Reformatorischer Bildersturm
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Der Bildersturm betraf Städte und Dörfer in ganz Europa, vor allem in der Schweiz und dem Heiligen Römischen Reich (1522–1566), Schottland (1559) und den Burgundischen Niederlanden (1566) mit späteren Ausläufern bis in den Englischen Bürgerkrieg (1642–1649). Theologie Dem Bildersturm liegt ein theologischer Konflikt innerhalb des Christentums zugrunde: Zwar übernahm das Christentum vom Judentum das Erste und Zweite Gebot Mose (Verbot des Götzendienstes und Verbot der bildlichen Darstellung Gottes), doch wurden in der Spätantike und im Mittelalter zunehmend Bilder Christi und der Heiligen angefertigt und in die christliche Liturgie einbezogen. Rechtfertigungen der Bilderverwendung beriefen sich auf folgende Argumente: Bilder dienten der einfacheren Vermittlung der biblischen Botschaft an die leseunkundigen Laien; Gott habe sich durch die Fleischwerdung in Christus selbst in körperlicher Gestalt gezeigt und sei in dieser Gestalt darstellbar; die Verehrung des Bildes gelte nicht dem materiellen Bild, sondern der dargestellten Person. Diese Begründung war schon in der Spätantike umstritten. In der Frühzeit der Byzantinischen Kirche gab es kurze Phasen, in denen die Ikonoklasten dominierten, die sich auf das Erste Gebot beriefen. Die Reformatoren stellten die als Wort Gottes aufgefasste Bibel einschließlich der Zehn Gebote über die kirchliche Tradition (Bezeichnung der protestantischen Kirchen als evangelisch) und lehnten die Anfertigung christlicher Bildwerke grundsätzlich ab. Das Himmelreich sei allein durch die Gnade Gottes zu erlangen, nicht durch Opfergaben wie die Stiftung von Kunstgegenständen. Die Theologie der Reformation sah in der liturgischen Verwendung von Bildwerken abergläubischen Götzendienst und sinnliche Ablenkung von der Frömmigkeit. Gemäßigte Reformatoren im Umfeld von Martin Luther erlaubten Bilder für didaktische Zwecke; andere, etwa Ulrich Zwingli und Johannes Calvin, traten für ein völliges Bilderverbot ein. Sie bewirkten in ihrem Einflussbereich die Entfernung sämtlicher figürlicher Darstellungen aus dem Innenraum der Kirchengebäude, im Sinne einer Reinigung. Die schottischen Presbyterianer lehnten sogar große Kirchengebäude als Ausdruck menschlicher Hybris ab. Kunstgeschichte Durch den Bildersturm gingen sehr viele Kunstgegenstände des Mittelalters unwiederbringlich verloren. Die wenigen als protestantische Bauten vollendeten oder neugeschaffenen Kirchen der Spätgotik hatten von vornherein keinen Skulpturenschmuck. Mit dem Neubau der Peterskirche in Rom, dessen Finanzierung über den Ablasshandel einen wesentlichen Anstoß zur Reformation gegeben hatte, war die Spätgotik in Kirchenbau und religiöser Plastik stilistisch überholt. Etymologie Der deutsche Ausdruck „Bildersturm“ ist seit den 1530er Jahren in Gebrauch. Das lateinische Mittelalter sprach von iconoclastes, yconoclastes oder griechisch εικονοκλάστης. In der Frühzeit der Byzantinischen Kirche waren die Ikonoklasten Vertreter einer theologischen Richtung (s. o.). In späteren Jahrhunderten vor der Reformation wurden als iconoclastes meist Delinquenten bezeichnet, die mutwillig christliche Bildwerke beschädigten; man nahm jedoch nicht an, dass sie Ketzer seien, sondern dass sie von Dämonen verführt oder mit dem Teufel im Bunde waren. Erst im Laufe des 15. Jahrhunderts bekam das Wort iconoclasta durch die bilderstürmerischen Aktionen der Hussiten seine theologische Bedeutung zurück. Die deutsche Übersetzung „Bilderstürmer“ trug von der ersten Verwendung um 1530 an die Konnotation eines „kollektiven, aufständischen und illegalen (...) Vorgangs“,[1] der zur Verbreitung eines neuen Glaubens diente („Bilderstürmer wollen einen neuen Glauben predigen“, Goethe[2]). Der Ausdruck war auf die polemische Diskreditierung des Gegners gemünzt; es sollte gar nicht erst der Eindruck entstehen, dass die radikale Einforderung des ersten Gebots rechtmäßig sei. „Bilderfreunde“ und „Bilderfeinde“, „Stürmer“ und „Schirmer“ wurden in den zeitgenössischen und späteren Debatten einander polemisch gegenübergestellt. Diese Vereinfachung trifft jedoch nicht die historischen Tatsachen, da viel differenziertere Positionen überliefert sind. Vorgeschichte Bildtheologie vom frühen Christentum bis zum 10. Jahrhundert m Christentum gab es beinahe von Anbeginn an Auseinandersetzungen um die Frage, ob es erlaubt sei, Bildnisse Christi und der Heiligen anzufertigen und diese Bildwerke zum Teil christlicher Riten zu machen. Die neue Religion wurzelte im Judentum und übernahm in den Zehn Geboten auch das Verbot, Bildnisse Gottes anzufertigen.[3] Der Tanz um das Goldene Kalb stand im Judentum wie im Christentum für die gotteslästerliche Verehrung eines Götzen. Zudem wollte sich das Christentum von den bilderfreundlichen römischen und griechischen Religionen abgrenzen. Vom 3. bis 7. Jahrhundert wurden Illustrationen biblischer Erzählungen und Abbilder der Heiligen jedoch zunehmend üblich. Bildwerke biblischen Inhalts erschienen zuerst als Reliefs oder Fresken auf römischen Sarkophagen, Gräbern und Kirchen (frühestes belegtes Beispiel ist die Hauskirche von Dura Europos), wurden apotropäisch verwendet und schließlich wie Reliquien in die Liturgie einbezogen. Der byzantinische Kaiser Justinian II. ließ das Antlitz Christi zu Anfang des 8. Jahrhunderts erstmals sogar auf Münzen prägen. Die sich immer mehr ausbreitende Praxis war ein Problem für die christliche Theologie, die entweder mit vollständiger oder teilweiser Verurteilung (Ikonoklasten) oder apologetischer Rechtfertigung reagierte. Während Fresken und vor allem Glasmosaiken (wie in Ravenna) zunehmend Verbreitung fanden, hielt man sich mit Skulpturen noch lange Zeit zurück. Bereits im frühen Christentum entfaltete sich die christliche Bildtheologie, die im Wesentlichen um folgende Fragen kreiste: • ob die Verehrung von Abbildern Christi und der Heiligen zu tolerieren sei, weil sie nicht den Bildern selbst, sondern den in ihnen verkörperten Personen gelte, oder ob sie als heidnischer Götzendienst zu untersagen sei • welche Art der Verehrung den Bildern (wenn überhaupt) rechtmäßig zukommen dürfe (Latrie oder Dulia) • welche Ikonografie Gottes zulässig sei (in seiner menschlichen Form als Christus oder als Dreifaltigkeit) Frühchristliche Bildapologetik Einige wenige Argumente, die bereits im 4. bis 8. Jahrhundert formuliert wurden, dominierten die Rechtfertigung der christlichen Bildpraxis bis zur Reformationszeit und darüber hinaus: • Kommunikative Aufgabe der Bilder: Die didaktische Rechtfertigung wird auf Papst Gregor den Großen (Amtszeit 590–604) zurückgeführt. Bilder seien nützlich zur Unterweisung der Leseunkundigen (Bildkatechismus). Bilder regten die Menschen zur Andacht an (Mystik) und stützten das Gedächtnis (Memoria).[4] Gregors Argumente – besonders die Funktion der Bilderzählung als litteratura illiterato – fanden sehr weite Verbreitung und dienten späteren Bildbefürwortern als wichtigste Standardargumente. (Nicht zuletzt stützten sie sich auf die Auctoritas eines großen Kirchenlehrers.) Gregors Lehre wurde ins Kirchenrecht aufgenommen.[5] Im Jahr 1025 bekräftigte die Synode von Arras diese Ansicht; sie wurde durch viele Autoren wie etwa Walahfrid Strabo[6] und Honorius Augustodunensis[7] bestätigt und fand sogar noch bei Luther Anerkennung. (Ob die komplexen mittelalterlichen Bilderzählungen in der Praxis diese didaktische Rolle überhaupt erfüllen konnten, ist heute umstritten; die meisten Bildformen waren wohl an theologisch vorgebildete Rezipienten gerichtet.)[8] • Verweischarakter des Bildes: Im frühen Christentum verteidigte der Kirchenvater Athanasius (um 298–373) die Verehrung von Christusbildern mit folgendem Argument: Die Verehrung, die man Bildern Christi entgegenbringe, gelte nicht dem materiellen Bild, sondern Christus selbst. Athanasius argumentiere mit einer Analogie zur Verehrung von Bildnissen des römischen Kaisers: Der Kniefall vor dem Bild des Kaisers war in spätrömischer Zeit so viel wert wie der Kniefall vor dem Kaiser selbst. (Entsprechend galt eine Schändung des Kaiserbildes als Vergehen an dessen Person und wurde streng bestraft). Vor Bildern des Kaisers fiel man rituell nieder, entzündete Weihrauch und sprach Fürbitten; gleiches durfte man demzufolge auch vor Bildern Christi tun, da es nicht dem Bild selbst, sondern Christus gelte. Die richtige Art der Verehrung verschiedener Bildgegenstände differenzierte später Thomas von Aquin (siehe Abschnitt Bildpraxis im Mittelalter). • Menschwerdung Gottes: Ebenfalls sehr früh beriefen sich Bildapologetiker auf die Rechtfertigung, dass Gott sich selbst zweifach in menschlicher Form gezeigt habe. In seiner Menschwerdung habe sich