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Leandro Riedi (19) und Alina Granwehr (17) sind zwei der grössten Talente im Schweizer . Im Doppelinterview sprechen sie über den Sprung in den Erwachsenen-Sport, die in ihren Augen wichtigsten Punkte für eine ­erfolgreiche Karriere und ihre Träume.

TEXT: ANDY MASCHEK, FOTOS: PIUS KOLLER

«ENTSCHEIDEND

IST DAS VERTRAUEN»SMASH 01–2021 45 SWISS WORLD

Leandro Riedi, das Jahr 2020 war ver- Riedi: Seit Juni arbeite ich rückt, schwierig und am Ende auch posi- mit als Trai- Im Prinzip sind Sie nun ein tiv. Wie haben Sie es in Erinnerung? ner. Es ist etwas ganz Neu- Unternehmer. Haben Sie im Leandro Riedi: Es war sehr speziell mit es, es läuft sehr gut und ich Hinterkopf, dass der ganze dem Coronavirus, als wir von März bis habe schon viel gelernt. Es Apparat kostet? Mai daheim bleiben mussten. Am Schluss war ein guter Entscheid. Riedi: Klar, das bringt einen gewissen konnten wir zum Glück doch noch Turnie- Druck mit sich. Am Anfang hatte ich ziem- re spielen. Es war ein gutes Jahr für mich, Was sind die grössten Unterschiede? lich grossen Respekt. Nun bin ich in diese ich konnte Fortschritte erzielen, die Junio- Riedi: Ich arbeite nur noch mit einem Situation hineingewachsen und habe keine renzeit abschliessen und gute Ergebnisse Coach, bin mit ihm acht Stunden pro Tag «Schiss» mehr. Ich kenne mein Budget, realisieren. zusammen. Das zieht sich schon, aber zum die Kosten, probiere aber, das alles auf dem Glück habe ich es gut mit ihm. Neu dazu Tennisplatz zu vergessen und mein Spiel zu Mit dem Doppel-Titel am kommen die ganzen Kosten und Spesen. spielen. und dem Finaleinzug am als absoluten Höhepunkten. Es ist ja nicht nur ein Trainer, sondern ein Sind Sie nun ab und zu Buchhalter und Riedi: Es war sehr schön, in Paris im ganzes Team… analysieren die Zahlen? ­Einzel im Final zu stehen, das mal Riedi: Neben Yves Allegro arbeite ich Riedi: Ich bin diesbezüglich zwar ein erleben zu dürfen. Schade, dass weiterhin mit Konditionstrainer ­Anfänger, schaue das aber schon an. es am Ende gegen Dominic Beni Linder von Swiss Tennis, Zum Glück sind meine Mutter und meine Stricker nicht gereicht hat, dazu kommt meine Manage- Schwester in diesem Bereich gut und erklä- aber es war trotzdem gut. rin Karine Molinari von Octa- ren mir gewisse Dinge. (lacht) Und auch der Gewinn des gon. Es ist alles ganz neu, sie Doppel-Titels am Australi- sucht Sponsoren, es ist eine Denkt man auch als Juniorin an die an Open war cool. sehr gute Lösung. Kosten?­ Granwehr: Die grössten Sponsoren sind die Und Sie, Alina Granwehr, wie Wurden Sie von Anfragen Eltern und da ist das Geld natürlich ein lautet Ihr Fazit nach dem letzten überhäuft, als Sie Ihr Team Thema. Sponsoren müssen wir privat su- Jahr? zusammenstellten? chen, deshalb beschäftige ich mich auch Alina Granwehr: Es war schon schwierig. Riedi: Am Australian Open 2020 fällte ich mit diesen Bereichen. Aber es ist nicht so, Aber ich sehe es nicht negativ, dass wir alle den Entscheid für ein eigenes Team. Ich dass das ständig ein zentrales Thema in während so langer Zeit daheim waren, es stellte mir vor, wie dieses im Idealfall aus- meinem Leben ist. Das würde zu einem hat auch mal gut getan. Einen so langen sehen würde. Yves Allegro war meine erste grossen Druck führen, der den Leistungen Trainingsblock werden wir wohl nie mehr Priorität, und er sagte glücklicherweise zu. auf dem Platz schadet. haben, davon habe ich stark profitiert. Ich Dasselbe gilt für Beni Linder, es ist perfekt, hatte zwar nicht so grosse Erfolge wie Lele, dass ich weiterhin mit ihm arbeiten und in Der sportliche Bereich, die Arbeit auf dem aber ich konnte das Jahr mit dem Finalein- Biel trainieren kann. Platz und an der Kondition ist eine Sache. zug an den Schweizer Meisterschaften gut Es kommen weitere Dinge dazu. Die Spon- abschliessen. Alina, machen Sie sich Gedanken, was in sorensuche, Versicherungen, Kommunika- einem Jahr ist, wenn für Sie ebenfalls der tion, Medienarbeit, eventuell auch psycho- Wie haben Sie den French Open-Final Wechsel ins Erwachsenen-Tennis ansteht? logische Arbeit. Es ist ein riesiges Paket, Ihrer Kollegen erlebt? Granwehr: Die Gedanken kommen langsam das man schnüren und bewältigen muss… Granwehr: Ich habe den Match am Fern­ auf. Ich bin viel mit meinen Eltern und Riedi: Ein Tennisprofi braucht ein Team um sehen geschaut und mitgefiebert. Es hat ­meinem Trainer Kai Stentenbach zusam- sich. Es ist cool, wenn man seine eigenen Spass gemacht, beide so zu sehen. mengesessen. Wir haben das Jahr 2021 Leute hat, mit denen man alles bespricht, ­geplant, weiter zu schauen, ist aktuell aber am Ende darf ich entscheiden. Wurden Träume wach, selber mal dort zu schwierig. Ende Jahr werden wir dann stehen? ­sehen, wie es in der Zukunft ausschaut. Plötzlich müssen auch noch Steuererklä- Granwehr: Ja, sicher. Es wäre schon cool, rungen ausgefüllt werden. Haben Sie Ihre wenn es in diesem Jahr klappen würde. Freuen Sie sich auf den nächsten Schritt? erste Erklärung selber ausgefüllt? Granwehr: Eigentlich schon, aber es ist Riedi: Das musste ich gemeinsam mit Sie sind 19 Jahre alt, Leandro, erwachsen auch eine Ungewissheit dabei. ­meinem Mami machen. Das ist auch eines auf und neben dem Platz. Hat sich Ihr dieser Dinge, die nun neu sind. Leben irgendwie verändert? Ein Team zu haben, ist ein Privileg, es soll Riedi: Ja, doch! Ich habe endlich damit ermöglichen, den Kopf für den Sport frei- Gerade mit den Preisgeldern, auch im begonnen, den Führerschein zu machen. zuhaben… Ausland, kann das doch sehr kompliziert Im Tennis bin ich nun nicht mehr bei Riedi: Das ist so. Sie machen alles, damit sein… den Junioren, sondern nur noch bei den ich mich voll aufs Tennis konzentrieren Riedi: Das ist so, aber irgendwie geht es Erwachsenen. Das finde ich recht cool. und mich verbessern kann. Ich muss nicht schon. Sponsoren suchen oder mich darum küm- Sie sind nicht mehr im Schoss von Swiss mern, wo ich trainiere, das wird alles orga- Alina, haben Sie schon früher im Hinter- Tennis… nisiert. kopf gehabt, dass es nicht nur um den

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Center Court geht, sondern viele weitere dass ich die für den März geplanten Turniere Granwehr: Für mich war es immer wichtig, Bereiche dazukommen? in Trimbach und Biel spielen kann. noch etwas zu machen und nicht nur das Granwehr: Am Anfang denkt man nicht Tennis im Kopf zu haben. Ich beschäftige daran, zumal man ja nicht weiss, dass man Das Leben generell ist aktuell schwierig. mich mit Sprachen, bin am Advanced-Diplom es im Tennis mal so weit bringt; man spielt Macht man sich da auch Gedanken, dass im Englisch und am DELF im Französisch. einfach. Wenn man den ersten Schweizer- man als Sportler dennoch privilegiert ist? Riedi: Ich versuche, das First endlich abzu- meistertitel holt oder an internationalen Tur- Granwehr: Wir gehen auf den Platz und spie- schliessen, ich bin da schon länger dran nieren gut spielt, tauchen solche Gedanken len Tennis, während andere nicht arbeiten (lacht). Mit dem Französisch befasse ich mich aber schon auf. können. Dass wir keine oder nur wenige momentan nicht, aber mit Yves Allegro kann ­Turniere bestreiten können, ist ärgerlich, ich mich in Zukunft sicher auch in dieser Eine erfolgreiche Karriere bei den Junioren aber man muss das als Ganzes ansehen. Wir Sprache verbessern. Zudem koche ich gerne. heisst nicht, dass man bei den Erwachsenen verdienen ja noch nicht unser Leben damit. den Sprung an die Spitze schafft. Sorgt das Ihr seid noch jung, welche Träume habt ihr? für Respekt? Aber irgendwann soll bei euch auch der Riedi: Ich bin sehr fantasievoll und hoffe, dass Riedi: Auf jeden Fall. Bei den 15 000er-Tur­ Aspekt Vermögensanlage und -beratung es eines Tages real wird, dass ich Geschichte nieren ist es teilweise nicht mehr so schön dazukommen… schreiben, Grand Slam-Turniere gewinnen, wie bei den Junioren an einem Grand Slam- Riedi: Wenn ich mal richtig gut verdiene, Olympische Spiele und Davis-Cup spielen Turnier. Die Motivation muss immer hoch schenke ich als erstes meinem Mami ihr kann. Das ist mein Ziel. sein, die Gegner sind bissiger und werden Traumauto, denn sie hat schon so viel für Granwehr: Bei mir sieht das ähnlich aus. immer stärker. Am Anfang sind es kleine mich gemacht. Sonst möchte ich sparen, um ­Leandro und auch Dominic haben vorgezeigt, Schritte und man muss weiter intensiv arbei- mir vielleicht später einmal ein schönes Haus wie es geht, nun kann ich ihnen etwas ab- ten und an sich glauben, wenn man ein-, kaufen zu können. Doch dafür braucht es schauen, auch wenn es im Frauen-Tennis zweimal hintereinander in der ersten Runde mehr als einen Titel… doch etwas anders läuft. verliert. Als ich 2016 bei den Junioren be- Riedi: Das Umfeld ist das A und O, um den gann, spielte ich auch Grade 5, verlor früh, Träumt man vom grossen Geld? Sprung zu schaffen, auch wenn man auf dem blieb aber dran. Ich hoffe, dass bei den Er- Granwehr: Es spornt schon an, wenn man die Court alleine ist. Wenn es ausserhalb unru- wachsenen nun dasselbe passiert, dass ich Villa von Novak Djokovic sieht. hig ist, passt es nicht. Entscheidend ist das schnell auf die ATP-Tour komme. Riedi: Klar, ich will Millionen verdienen, aber Vertrauen. Ich kam vor vier Jahren zu Swiss das ist nicht mein Hauptziel. Ich probiere, im Tennis und hatte nach zwei Wochen schon Ist man als Junior unbeschwerter als beim Tennis Geschichte zu schreiben. Ich mache das volle Vertrauen in dieses Team. Ich spüre Sprung ins Erwachsenentennis? den Sport, weil ich ihn liebe und nicht wegen ziemlich schnell, ob mir jemand gut tut oder Riedi: Bei den Junioren ist es vielleicht etwas des Geldes. Das kommt automatisch, wenn nicht. einfacher, vorwärts zu kommen, aber immer man erfolgreich ist. Granwehr: Ich bin offen gegenüber neuen noch schwierig. Es braucht Qualität. Bei den Leuten, merke aber schnell, ob es passt oder Erwachsenen ist es sicher härter, die Gegner Die Konkurrenz ist im Vergleich mit ande- nicht. Wenn ich eine Meinung habe, ändert schenken einem nichts. ren Sportarten riesig. Gibt es auch einen sich diese nicht so schnell, das hat Vor- und Plan B für den Fall, dass es nicht bis an die Nachteile. Sind Sie als Juniorin noch im Tennis-Para- Spitze reichen sollte? dies, Alina? Granwehr: Es braucht immer einen solchen Es geht auch darum, Trittbrettfahrer zu Granwehr: So würde ich das nicht sagen. Ich Plan, aber man sollte nicht vom Schlimmsten erkennen und harte Entscheide zu fällen… denke, der schwierigste Punkt ist, dass man ausgehen. Man darf nicht zuviel daran den- Granwehr: Ich denke, dass ich nicht zu lieb wieder bei Null anfangen muss, nachdem ken, was wäre, wenn es nicht klappen sollte, bin. Denn so kommt man in diesem Sport nicht man sich als Juniorin etwas aufgebaut hat. dennoch ist eine andere Schiene nicht weit. Zudem habe ich meine Eltern, die mich schlecht. bei solchen Entscheidungen unterstützen. Sie haben kürzlich in Kiev ein Turnier Riedi: Ich war früher sicher zu lieb. Seit ich gespielt. Wir war das? Zum Beispiel? mit Yves arbeite, weiss ich, dass dies anders Granwehr: Nach einigem Überlegen haben Granwehr: Ich könnte mir vorstellen, eine sein muss. Von ihm habe ich gelernt, dass ich wir entschieden, in die Ukraine zu reisen. Es KV-Lehre zu absolvieren. In der Schweiz mich von Leuten fernhalten soll, von denen brauchte einfach einen negativen Corona-Test ­haben wir so viele Möglichkeiten, dass man ich das Gefühl habe, dass sie mir nicht gut- – und danach wurden wir nicht mehr getes- auch mit 21 oder 22 Jahren noch eine Berufs- tun. Da braucht es einen gesunden Egoismus. tet, das war speziell. So gesehen verlief alles lehre absolvieren kann. Ich habe zudem das problemlos. Wie die Zukunft aussieht, ist Gymnasium begonnen, dort könnte ich eben- Erkennt ihr nun noch stärker, was der momentan aber offen. falls weitermachen. Verband all diese Jahre für euch gemacht Riedi: Aktuell gibt es nur wenige Turniere Riedi: Sollte es nicht reichen, würde ich mich hat? und die sind dann sehr stark besetzt. Da spie- immer noch im Tennis sehen, vielleicht als Riedi: Umso älter man wird, umso mehr reali- len an 15 000er- und 25 000er-Turnieren Athle- Trainer. Das wäre eine gute Option. Aber wie siert man, was Swiss Tennis für uns leistet. ten mit einem ATP-Ranking zwischen 200 Alina gesagt hat: Wir sind noch jung und Dafür bin ich sehr dankbar! und 300 mit, was sonst nur selten der Fall ist. haben in unserem Land viele Möglichkeiten. Granwehr: Man hat immer das Gefühl oder Ich probiere nun, mit meinem Junior-Ranking die Gewissheit, dass jemand hinter dir steht. direkt in die Felder dieser Turniere zu kom- Habt Ihr aktuell Zeit für eine kopflastige Die Türen sind hier immer offen, das ist mega men. Man muss sehr spontan sein. Ich hoffe, Nebenbeschäftigung? cool. •

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