M. MARHOFFER Schauspieler Wepper, Tappert: Mit Assistent Harry wurde die chronische Knechtschaft zum Kult erhoben

FERNSEHEN Sein Name war Derrick Ende einer Krimi-Ära: Ganovenjäger Derrick tritt ab – und darüber, wer er nun war, der Beste aller Deutschen oder nur ein öder Durchschnittsmensch, streiten die Kritiker immer noch. Von Susanne Beyer

s hat geschneit im Münchner Promi- -Filmstudio steht, in diesen Tagen Assistent Harry allein weitermachen darf, nenten-Vorort Grünwald. Eine weiße gedreht. ist unklar. Im nächsten Sommer wird noch ESchneedecke liegt verdächtig fried- Das Unfaßbare – es ist wahr. ZDF-Re- eine Super-Sonder-90-Minuten-Sendung ge- lich über all den vertrauten Villen und Lu- dakteur Claus Legal bestätigt das Gerücht, dreht; es heißt, Tappert wünsche sich, dann xuslimousinen – so bot sie sich vorige Wo- das viele nur für eine gemeine Finte der noch einmal Abschied zu nehmen von al- che dar, die einzig akzeptable Kulisse für bunten Blätter hielten: Die erfolgreichste len Sascha Hehns, Klausjürgen Wussows ein Filmvorhaben, das die Welt wohl nie Krimiserie aller Zeiten wird eingestellt, und und anderen Mörder-Darstellern, die er im richtig akzeptieren wird: Die letzte regulä- zwar ausgerechnet auf Wunsch des Haupt- Laufe seiner Amtszeit eingebuchtet hat. re Derrick-Folge wird hier, wo auch das darstellers Horst Tappert, 74. Ob Derricks Doch diese Sendung bleibt die Ausnahme Kultur – und nicht durch Ausnahmen ist Horst daß sie bei ihren Zusammentreffen aus- moyanz. Besonders beliebtes Jammer-The- Tappert zum bekanntesten Deutschen ge- wendig gelernte Stephan-Harry-Dialoge ma: die hoffnungslose Jugend der Welt, der worden, sondern weil er die Verkörperung deklamieren. Derrick global – einer für Leitfiguren fehlten und die dringend Zie- des Regelfalls war. alle, alle für einen. le, Visionen, Ideale brauche. Tatsächlich Jetzt, wo alles anders wird, stimmen auch Nur über die Antwort auf die eine Fra- wird kolportiert, Tappert schmeiße hin, seriöse Blätter in den Klagegesang ein. ge, die sich jeder noch so enthusiastische weil ihm Reineckers Drehbücher zu un- „Nicht nur unser Freitagabend, sondern un- Fan irgendwann einmal gestellt haben heilschwanger, zu pathetisch wurden. Und ser Ruf steht auf dem Spiel. Weltweit“, tatsächlich zeichnet sich klagt der Berliner „Tagesspiegel“. Und die Reineckers Frühwerk „Zeit“ blickt mitleidsvoll auf Derrick-ver- durch peinliche Propa- rückte Nachbarländer: „Holland in Not“. gandatexte aus – „Pan- So war es 23 Jahre lang: Mal höhnisch, zermänner erzählen vom mal respektvoll und immer ein bißchen Feldzug in Polen“ (1939) fassungslos kommentierten Publikum und ist nur einer von vielen. Kritiker, Freunde und Feinde der Serie ein Alles kalter Kaffee, Phänomen, das unerklärlich schien. In der behaupten indes die Der- Tat ist es ein Rätsel: Ein in Biederkeit er- rick-Macher. Sie verwei- starrter Oberinspektor, eher häßlich als an- sen darauf, daß die Serie sehnlich, löst in eher langatmiger als atem- gerade in den Ländern raubender Weise einen eher durchschau- immer beliebter wurde, baren als kniffligen Fall. die unter dem Expan- Fast ein Vierteljahrhundert tauchten im- sionswahn der Nazis zu mer dieselben Charaktere auf: das nase- leiden hatten – womit weise Muttersöhnchen, die devote Haus- sich wieder jene Sack- hälterin, die neugierige Zimmerwirtin, die gasse auftut, an deren verbitterte grüne Witwe, der geldgeile Un- Ende der treue Fernseh-

ternehmer, der sonderbare Aussteiger, die HÖRZU beamte als der Beste hörige Geliebte, die höhere Tochter. Und Erste Derrick-Folge 1974*: Wie Omas Wohnstube aller Deutschen trium- Du-Stephan. Und Ja-Harry. Die Welt sah phiert. nichts lieber als sie alle. muß, herrscht Uneinigkeit: Was, verflixt Rätsel Derrick. Da kann nur noch die Immer wieder, als handle es sich um eine noch mal, ist dran am tristen Tränensack- Wissenschaft helfen. Semiotiker Umberto kultische Beschwörungsformel, verweisen träger? „Derrick verkörpert das Bild des Eco beruft sich auf eine Studie und offeriert die Produzenten auf die Zahl der Länder, guten Deutschen in der Welt, deswe- seine ultimative Erfolgsanalyse in einem in denen Derrick über den Bildschirm tap- gen liebt man ihn“, säuselt Horst Tappert Artikel der „Süddeutschen Zeitung“: Der perte. Sagenhafte 102, von der Mongolei rituell, wenn ihm die eine Frage zum wackere Oberinspektor sei die Verkörpe- über die Walachei nach Schanghai, wo der tausendsten Mal gestellt wird. Lug und rung des Durchschnittsmenschen, der alles Polizeipräsident Derrick-Videos zur Fort- Trug, behauptet Schriftsteller Maxim und jeden ernst nehme, so daß jeder und bildung seiner Mitarbeiter empfiehlt. Von Biller. In einer Kolumne argwöhnte er, alle sich mit ihm identifizieren könnten. Australien über Indonesien nach Italien – Autor , 82, ein Mann Das, widersprechen Eco-Kritiker, sei dort hat sich ein hoffnungslos in Derrick mit Nazi-Vergangenheit, habe seinen Der- eine reichlich schlappe Erklärung, die man verliebter weiblicher Fan unlängst das Le- rick klammheimlich in ein „modernes auf jedes Fernsehprodukt anwenden kön- ben genommen. TV-,Mein Kampf‘“ verwandelt, mit wa- ne. Der Erfolg Derricks lasse sich gerade Frankreich trumpfte in diesem Jahr mit bernden Weltrettungsideen und geschickt aus der Abwesenheit typischer Fernsehzu- einem Wiederholungsrekord auf, insgesamt getarnten Wünschen nach großen, deut- taten erklären. Kein Sex, kaum Action – 13 Derrick-Filme liefen in einer Woche auf schen Lösungen. auf diese Weise habe sich die deutsche Se- verschiedenen Sendern; die Einschaltquo- Das ist sicher übertrieben, aber auch an- rie Zugang zu den moralisch ängstlichen, ten lagen zwischen 22 und 30 Prozent. Und dere Kritiker bemerkten in den vergange- staatlich beaufsichtigten Sendern der Welt ein niederländischer Fanclub kann nicht nen Derrick-Jahren eine bedenkliche Lar- erschlichen. akzeptieren, daß er nur einer von vielen Daß Welt-Derrick nicht nur von staat- ist. Die Vorsitzenden brüsten sich damit, * „Waldweg“, mit Herbert Bötticher (M.). lichen Sendern ausgestrahlt wird, entwer- Kultur tet auch diese These. Was bleibt? Konfu- für den Mord als Faktum, sondern für sion. Durchschnitt oder Anti-Durchschnitt? die Motive eines jeden Mörders – das Guter oder böser Deutscher? ließ ihn bei der Verhaftung mitleiden. Also, noch einmal alles auf Anfang. Und der Zuschauer litt mit ihm. Denn wer Es gibt ein Grundgefüge: Stephan und sagt eigentlich, daß das Krimi-Publikum Harry. Harry und Stephan. Alle Lobreden, nur scharf darauf ist, daß der Mörder alle Verrisse, alle Versuche, das Derrick- so schnell wie möglich im Bau landet? Phänomen zu packen, verhandeln ein The- Ein bißchen Mitgefühl für den Böse- ma, zwar oft nur am Rande, aber immer wicht muß schon sein, selbst wenn durch ist es da. Das Thema heißt Harry, armer den Verhaftungsakt diffuse Wünsche Harry. nach Recht und Gerechtigkeit befriedigt Manchmal äußert sich leiser Unmut über werden. die Entrechtung des ewigen Assistenten, Zwei Herzen schlagen also in der Brust manchmal schenkelklopfendes Gegeifer. des passionierten Krimi-Sehers. Das eine Das alte Lied vom heimlichen Schwulen- will die Motive des Mörders verstehen, pärchen ist besonders beliebt oder das von will dann sogar, daß er entkommt, das den Chinesen, die allen Ernstes glauben, andere fordert rasche Sühne für die jeder Deutsche habe seinen Harry, der schlimme Tat. Und Derrick, ausgerechnet Lästiges für ihn erledigt und nie aufmuckt. TV-Zombie Derrick, bediente zuverläs- Aber Harry wird zu Unrecht als lächerliche sig beide Wünsche auf einmal: überführ- te und litt mit dem Über- führten. Trauer im Tri- umph. Ein geknechteter Herr. Folge für Folge. Diese Wiederkehr des ewig Gleichen scheint das Krimi-Publikum besonders zu schätzen. Nichts ande- res belegt die umjubelte Rückkehr Schimanskis auf die deutschen Bildschirme – inklusive Schimi-Jacke, Schimi-Schnurrbart und Schimis „Scheiße“-Ausruf. Daß Schimanskis Partner Thanner nicht mit ihm zurückkehren konnte – der Schauspieler war inzwi- schen gestorben –, wurde dem Zuschauer in der ersten neuen Folge so scho- nend wie möglich beige-

ENGELMEIER bracht. Schimanski mußte Derrick-Szene mit Tappert*: Resignation im Basedow-Blick an Thanners Grab ein paar Tränen verdrücken und Nebenfigur abgestempelt. Mit ihm ist die durfte sich erst langsam, ganz langsam mit chronische Knechtschaft zum Kult erho- seinem neuen Assistenten anfreunden. ben, zum heimlichen Leitmotiv der Sen- Derlei Einschnitte mußte Derrick sei- dung geworden. nen Zuschauern nie zumuten. Und so wur- Denn Derrick war nur scheinbar der de die zuverlässigste aller Serien, die aus Herr. In Wahrheit blieb auch er Knecht – dem Mittelalter der Fernsehzeit stammt, lebenslänglich festgekettet an das Verbre- im Laufe der Jahre zu einer Art Ur-Ort, so chen. Schien das Böse in einer Folge ge- langweilig und so vertraut wie Großmut- bannt, kroch es in der nächsten wieder ters Wohnzimmer, das man aufsucht, nicht frech empor. Zwar durfte Derrick in den um etwas zu erleben, sondern um sich zu knapp 300 Folgen – bis auf drei Ausnahmen Hause zu fühlen. – stets den Mörder überführen, doch die- Wenn nun geschehen soll, was gesche- ser Sieg erfüllte ihn selten mit Genugtuung. hen muß, wenn Derrick tatsächlich geht, ist In den letzten Krimi-Sekunden konnte der der lahme Wunsch des Hauptdarstellers, Zuschauer immer so etwas wie Resignation einfach per Drehbuch in Pension geschickt aus Derricks verschleiertem Basedow-Blick zu werden, fatal. Das begreift kein Mensch. herauslesen. Treue, zu allem entschlossene Zuschauer Das lag auch daran, so suggerierten werden Tappert aufspüren und zum Voll- zumindest die Macher der Serie, daß zug seiner Pflichten zwingen. Nein, in der der Oberinspektor das Böse immer be- letzten Folge muß das Grundgefüge ein greifen, am liebsten noch das Gute darin für allemal gesprengt werden. Am besten finden wollte. Er interessierte sich nicht durch eine Art von rituellem Vatermord. Und dafür kommt nur einer in Frage. * „Wer erschoß Asmy?“, 1985, mit David Bennent. Harry, hol schon mal die Knarre. ™

der spiegel 50/1997 245