Originalveröffentlichung in: Dewitz, Bodo von (Hrsg.): Hugo Erfurth : 1874-1948. Photograph zwischen Tradition und Moderne, Kataloghandbuch Köln 1992, S. 86-96 Dietrich Schubert „Form ist unentbehrlich" Abstraktion und Umsetzung in eine sub­ (R. Arnheim 1974) jektiv­leidenschaftliche Sprache des Bild­ ners ist. Durch diese schöpferische Dimen­ Keineswegs soll hier generalisierend sion produzieren wesentliche Künste ­ über die Unterschiede und Gemeinsan> nach Karel Kosik ­ Wirklichkeit, d. h. keiten einer realistisch gestimmten Photo­ Kunstwerke verändern den Gesamtkon­ graphie und einer realistisch­expressiv ori­ text der kulturellen Wirklichkeiten durch entierten Malerei und Graphik gesprochen ihr Dasein und ihren Werk­Charakter. Und werden. Aber als im April 1985 im Wiener indem sie die Zeiten überdauern, vermö­ Konzerthaus der Dichter Erich Fried, der gen sie auch in späteren Jahren auf an­ Psychosomatiker Erwin Ringel und der dere Menschen zu wirken. Bildhauer Alfred Hrdlicka Vorträge und Ist der Photograph meist dem Zufälli­ „Ein harter Diskussionen „redend gegen Vernichtung" gen vorerst ausgeliefert, filtert der bil­ durchführten, photographierten natürlich dende Künstler bereits über die Auswahl Mann, dieser Berufsphotographen wie G. Nenning u. a.1 hinaus, (die beide wie gesagt verbindet), die Protagonisten dieser pazifistischen in seiner Perception und Memorierung Maler..." Veranstaltung. Das Prinzip der auch für das Wesentliche, das er als Ziel empfindet, alle Realismen konstitutiven Auswahl, das das seinem , Kunstwollen' entspricht und Camus in seinem Text von 1957 „Der in diesem prädisponiert ist. Ort, Zeit und - photographiert Künstler und seine Zeit" im Hinblick auf Handlungseinheiten kann er bereits in der von Hugo Erfurth die Problematik des Realismus heraus­ Phantasie variieren. Baudelaire sah dem­ stellte, prägt selbstverständlich die Arbeit entsprechend für den primär aus der Be­ des Photographen, des Dichters oder des obachtung arbeitenden Maler/Graphiker bildenden Künstlers, der auf handwerk­ als ,Naturalisten' eine andere Dimension licher Basis von Zeichnung, Graphik oder des Schöpferischen als für den aus dem plastischen Methoden seine Beobachtun­ speichernden Gedächtnis heraus Schaffen­ gen, Erinnerungen und Gesichte bild­ den; diesem gab Baudelaire das Prädikat nerisch in GESTALT d. h. Form bringt. der „mnemonischen Kunst"3. Während der Photograph aber am Ort des Als Hrdlicka 1984 einen Pasolini­Zyklus Geschehens verweilen muß, wie Arnheim radierte, hat er „seinen" Pasolini in Szenen betonte2, kann der bedeutende Künstler voller Geschichtlichkeit gestaltet und nicht aus dem Vermögen seines Gedächtnisses, die „Bilderwelt desselben ausgeschlachtet" seiner Erinnerung und der Synthese aus (Hrdlicka). Nach der öffentlichen Veran­ Anschauung und Phantasie gestalterisch staltung in Wien „Die da reden gegen Ver­ in einen Prozeß eintreten. Er muß nicht nichtung" hat der Bildhauer, Maler und am Ort der Ereignisse oder Menschen, die Graphiker nicht nur in einer Farbzeich­ der Photograph mehr oder weniger ver­ nung in Kohle und Rötel sich und die fremdend aufnimmt, verweilen; der Künst­ zwei Freunde portraitiert. Im Laufe der ler kann zwar Skizzen machen vor Ort, Monate danach arbeitete er an einer „Re­ wird jedoch dann einen bildnerischen konstruktion" aus dem Gedächtnis, indem Prozeß einleiten, der für Photographie er auf zwei Kupferplatten verschiedene nicht in Frage kommt, abgesehen von Anläufe zu Porträts der Redner (Abb. 1) Ausschnittsvergrößerungen, Abdeckungen ausführte: „Rekonstruktion Fried ­ Ringel und Detailsbearbeitung. Das Zufällige vor ­ Hrdlicka" (Radierung 1985). Mit diesem allem, das der am Ort tätige Photograph Beispiel aus der Gegenwart sollten die nicht eleminieren kann, wird vom Bildner Unterschiede zwischen realistisch ge­ ausgeschieden zugunsten einer Gestalt­ stimmten Photographen und den aus An­ Verdichtung, die ­ wenn auch realistisch schauung und Gedächtnis abeitenden rea­ orientiert ­ immer Wirklichkeiten themati­ listischen Malern/Graphikern pointiert siert und zugleich übersteigt, eben ver­ werden ­ sozusagen als Einleitung in das dichtet, transzendiert, ja in dieser Verdich­ schwierige Kapitel DIX ­ ERFURTH. tung Wirklichkeit deutet und subjektiv Da für deren Verhältnis, Bekanntschaft auslegt. Schöpferischer Realismus inter­ und mögliche Wechselwirkung weitge­ pretiert demzufolge immer Realitäten auf hend Dokumente fehlen (von wenigen individuelle Weise, ­ mehr oder weniger Briefen zwischen 1923 und 1933 abgese­ abstrahierend, wie alle Kunst gradweise hen)4, sind wir vorerst gezwungen, uns

86 auf die Kraft der Anschaulichkeit, auf die Psychologisch signifikant ist das Dop­ Porträtphotos von Erfurth, die Otto Dix pelbildnis Felixmüller­Dix, das 1919/20 zeigen, als die primären Dokumente zu entstand (Abb. 3), beide an einer hellen stützen5. Tür stehend, die großen Paletten in den Bereits die Frage, wann Dix und Er­ Händen, ein inszeniertes Bild des neuen furth sich kennenlernten, kann nicht prä­ KPD­Mitglieds Felixmüller in russischem zise beantwortet werden. Hemd, und des Geraer Arbeitersohns Dix, Dix, dessen durch Nietzsches „Zarathu­ der sich mehr der Boheme in eleganter stra" geprägtes Weltbild und jugendliche Kleidung zuordnete als dem Proletarier­ Hochgestimmtheit in dreieinhalbjährigen milieu oder gar der kapitalistischen Bour­ Kämpfen und Töten in Schützengräben geoisie. Das Photo10 dürfte bei Felixmüller vollkommen erschüttert und gebrochen oder in der Galerie Richter entstanden war, ging im Januar 1919 an die Dresdner sein; Dix nahm die Palette sicher lediglich Kunstakademie; er wollte endlich malen, für Erfurths Photos in die Hand. Sein u. a. diejenigen Themen wie „Schwan­ strenger Blick auf den Photographen und gere", „Leda", „Fruchtschale", die ihn ge­ Betrachter ist erstaunlich. rade im Kriege als Lebenssymbole ­ ge­ Bereits die ersten, bislang nachweis­ gen den Tod ­ beschäftigt hatten. baren Photographien zum Bildnis DIX, Er schloß sich schnell der linksexpres­ die Erfurth anfertigte, haben den Prozeß sionistischen Gruppe um Felixmüller an, der Serie genutzt, aus der heraus dann trat der „Gruppe 1919" als Gründungsmit­ wohl die intensivsten Bilder auszuwählen glied bei, stellte mit ihr im April 1919 in waren. Lange nahm man an, das erste der Galerie Richter aus6. Durch Felixmül­ Porträt Dix sei im Jahre 1921 entstanden ­ ler, der nicht zu kämpfen brauchte, wird wegen der Widmung von Dixens Hand im Dix etliche Kontakte erhalten haben, u. a. November 1921 „für Maud" (die Frau zu Hugo Zehder, der ab 1918 die „Neuen Martha Koch in Düsseldorf, spätere Frau Blätter für Kunst und Dichtung" heraus­ Dix)11. Aber das 21 x 16 cm große Ölpig­ gab, zu Theodor Däubler, zu Will Groh­ mentphoto en face, das ich bereits 1980 Abb. 1 Alfred Hrdlicka, mann, Paul Ferdinand Schmidt. Selbstre­ publizierte, das ohne Zweifel eine Auf­ Rekonstruktion'. Erich nahme aus der gleichen Serie wie das ge­ Fried in Wien, 1985 dend lernte Dix nun die Künstler der (Privatbesitz) Dresdner Szene auch über die „Gruppe widmete, berühmte Profil­Bildnis ist, 1919" hinaus kennen, auch den vom Ex­ wurde von Hand unten rechts signiert und pressionismus zum Realismus wechseln­ 1920 datiert. (Abb. 4) Wegen dunklem den Bildhauer Christoph Voll, der ebenso Jacket, Hemd mit spitzen Kragen, quer­ wie Dix dreieinhalb Jahre MG­Schütze in gemusterter Krawatte und besonders der Frankreich war und nun seit 1920 mit der expressiven Frisur (Strähne nach rechts, Gruppe ausstellte7. abstehendes Haarbüschel über dem mar­ Ob Dix Erfurth über Felixmüller in der kanten Hinterkopf) haben wir mindestens 1. Ausstellung der „Gruppe 1919" im April drei Aufnahmen dieser Sitzung. 1919 oder durch den Sohn Erfurths, Gott­ Denn die Halbprofil­Aufnahme im Dix­ fried, der seit 1919 an der Akademie Dres­ Nachlaß (Vaduz), die die Widmung „Mei­ den Bildhauerei bei C. Albiker und S. Wer­ ner süßen Maud ­ Jim" links oben mit ner studierte, kennenlernte, ist unklar. Tinte trägt, zeigt rechts unten den Präge­ Jedenfalls photographierte Erfurth bereits stempel von Hugo Erfurth, das Datum Abb. 2 Hugo Erfurth, Juni 1918 Felixmüller mit Frau Londa in 1920 und den Stempel GDL. Auch hiervon Doppelportrait Londa halbfigurigen Doppelbildnissen (Abb. 2), machte Erfurth 19 ­ 20 cm hohe Ölpig­ von Berg und Conrad 8 Felixmüller, 1918 (Pri­ so daß auch dieser Strang denkbar ist . ment­Handabzüge, die unten hell signiert vatbesitz Altenburg) Da Erfurth aber eine Galerie zu betreiben sind, ­ ohne Datierung. Dies trifft auch plante, wird er auch von sich aus die auf die Abzüge des berühmten Profilpho­ Kontakte zu Künstlern gesucht haben, tos nach rechts zu. Offenbar hat Erfurth und schließlich hatte er bereits die alten größere und kleinere Abzüge gemacht, Herren der Dresdner Malerei, Dorsch, denn ein Bild des Profils nach rechts ist Kuehl und Feldbauer vor 1914 photogra­ bei der Publikation 1925 mit 24 x 18 cm phisch porträtiert, den Typus des Künst­ bezeichnet (Dt. Camera Almanach)12. lerporträts im Profil schon 1904 mit dem Bereits mit diesem prononcierten Profil Bildnis Franz von Stuck etabliert9. setzte eine Art Dialog zwischen Dix und

87 Erfurth ein. Der Maler tritt in einen Wett­ Roesberg von 1922; Mutter und Kind ­ streit bzw. Wettbewerb, er orientiert sich Martha und Jan ­ von 1929; das Bildnis am Photo, aber nur um davon abzuwei­ der Frau Helene E. u. a.). chen, es in seinem Sinne zu straffen, es zu Ferner ließ sich Dix sogar vor seinen glätten, es von Zufälligkeiten zu befreien. Hauptwerken und während der Arbeit "Raa Nachdem Dix die gewidmeten Photos im etwa am George­Porträt 1932 von Erfurth November 1921 nach Düsseldorf ge­ ablichten. schickt hatte, zeichnet er sich programma­ In 1922 entstand eine Art tisch im neuen Stil, gemäß der Avantgarde 2. Serie photographischer Porträts von Dix des neuen Realismus, vereinfacht auf das und Martha (Mutzli) Koch, für die nicht Wesentliche, den harten Ausdruck des die Geschlossenheit der 1. Serie 1920 zu s.i. nietzsche'schen Willens­Habitus etwas konstatieren ist, aber die Präferenz von f verstärkt, die Frisur gestrafft, konzentriert Halbprofil und En­Face­Blick auffällt. auf nur das Wichtigste: Stirn, Augen, Zu der Zeit, da Dix den Photographen in Nase­Mund­Partie, Kinn, Hemdlinie: „Toy ersten Zeichnungen zu gestalten sucht im November 21" (Abb. 5 ­ 6)13. Inspira­ und die Schrägsicht vorzieht, entstehen tion, Wettstreit, Konkurrenz, Korrektur Erfurths Lichtbilder, die er von Martha oder gar Kontradiktion — dies wären die Koch und Dix macht und rechts unten Modi, die für die Wechselbeziehung Er­ stempelt (1922). Dieses Datum trägt ein furth­Dix von 1920 an zu überlegen seltenes Photo des Künstler­Paares, das ^4&ö. 3 Unbekannter wären, und zwar im Kontext der Ge­ sich in Düsseldorf 1921 kennengelernt Photograph, Otto Dix schichtlichkeit einer neuen Zuwendung hatte: in Halbfiguren photographiert und Conrad Felixmüller zur sichtbaren Wirklichkeit und dem Wil­ Erfurth die Frau des Urologen Dr. Hans als Maler, Dresden 1919, Koch mit ihrem neuen Mann Dix (Abb. 7), aus: Lothar Fischer, len, diese im Sinne der Entlarvungspsy­ Otto Dix. Ein Malerleben chologie Nietzsches und der radikalen Af­ wohl als sie zu Besuch in Dresden in Deutschland, Berlin firmation des ,Scheins', also des real Sicht­ weilte15. 1981, S. 25 baren als des Authentischen, zu bannen, Die junge Frau links in einem dunklen ' zu thematisieren, zu formen: Malerei als Kleid mit ovalem Ausschnitt, der den Hals kritische Feststellung (Carl Einstein), im zeigt, das ernste Antlitz leicht zur Mitte Rahmen des „dionysischen Pessimusmus", gedreht, aber innerlich dem Maler Dix, wie ihn P. F. Schmidt 1923 für Dix konsta­ der rechts im Halbprofil erscheint, wie tierte14. fremd abgewandt. Auch Dix schaut im Es ist hier leider nicht der Raum für Habitus seines harten Feststellungswillens ausführliche Beschreibungen und Analy­ mit düsteren Brauen wie in der „Toy"­ sen; vorderhand geht es dämm, sich ei­ Zeichnung von 1921 in den leeren Raum. nen Überblick über die Probleme des Ver­ Einander angeglichen hatten die Mo­ hältnisses Erfurth ­ Dix und primär über delle ihre Frisuren, nämlich die streng die Photoserien aus verschiedenen Zeiten nach hinten gebürsteten Haare, die die zu verschaffen. Daran anzuknüpfen sind hohen Stirnen hell und offen lassen. freilich immer die Fragen des Kontextes Dix behielt diese Frisur nun bis gegen ssumm WISwPSw und der Möglichkeit einer Reaktion von 1927 bei, bis er wieder die Haare nach Dix. Daß Dix den Photographen seit 1922 vorn kämmte. Zur gleichen Zeit wie das auch porträtierte in Zeichnungen, die zu Doppel­Photo entstand eine Folge von einem ersten großen Ölgemälde von 1925 Einzelaufnahmen von Martha Koch, glei­ hinführten (Erfurth mit Objektiv, heute ches Kleid, gleiche Haare, in strenger München), dann zum großen Bildnis mit En­Face­Sicht und nahsichtiger, der Kopf Hund Ajax 1926, macht das ganze Kapitel erhoben. (Abb. S. 292) zwar interessant und zu einem Exempel Desgleichen gab es 1922 Aufnahmen des Verhältnisses von Malerei und Photo­ von Martha nahsichtig mit leicht gesenk­ graphie, aber auch komplizierter und viel­ tem Kopf (Dix­Stiftung, Vaduz) und wohl schichtiger. Dazu kommt, daß Erfurth auf in gleicher Sitzung Dix allein, nun weni­ Dix' Wunsch hin auch Hauptwerke des ger grimmig schauend, im Hintergrund Malers in exzellenten Photographien fest­ sein Junges Mädchen vor grüner Gar­ hielt (die Nietzsche­Büste von 1912; das dine" (Minneapolis). (Abb. S. 293) Dieses Abb. 4 Hugo Erfurth, Otto Dix en face, 1920 Doppelbildnis als Tanzpaar von 1922/23 Gemälde von 1922 im Hintergrund hilft, (Privatbesitz Heidelberg) ehem. Museum ; das Porträt Max das Photo den genannten zuzuordnen:

88 auch die dunkle Jacke, das Hemd, die Auf dem zweiten Photo schaut Dix, streng breite Fliege sind identisch mit dem pho­ im Profil gesehen, nach links wie auf tographischen Doppelporträt, das 1922 seiner Zeichnung von 1921, den linken gestempelt ist. Offenbar während des glei­ Zeigefinger auf das rechte Handgelenk chen Treffens photographierte Erfurth Dix gelegt. Später, nach seiner Völlendung, auch vor einem Gemälde von 1922, das photographierte Erfurth das große zu den programmatischen Bildern des Gemälde, das Dix auf Empfehlung von Verismus gehört und die Kritik damals Max Sauerlandt (Hamburg) an das höchst lobte, ,An die Schönheit' von 1922. Museum in Halle verkaufen konnte (1937 In diesem Gemälde hatte Dix sich im Zen­ von den Nazis konfisziert, verschollen)18. trum in Schrägsicht nach links dargestellt; Ein signifikanter Akzent des kunst­ nun läßt er sich von Erfurth in ebensol­ historischen Kontextes war die von Paul cher Schrägsicht (nach rechts) vor dem Westheim 1922 im ,Kunstblatt' initiierte Gemälde aufnehmen. Das erstaunliche Debatte „Ein neuer Naturalismus?', in der Photo wurde 1988 im Dixkatalog von Grosz die neue Sachlichkeit als reaktionär Kamakura/Japan publiziert. (Abb. 8) ablehnte, Hartlaub bereits die zwei Flügel So wie bei den prononcierten Schräg­ von zeitgenössisch­grellem Verismus und aufnahmen Erfurths von 1920 und 1922 zu „Neuer Sachlichkeit", klassizistisch orien­ fragen ist, ob Dix diese Sicht forderte oder tiertem Nazarenertum unterschied. Dix ob Erfurth sie dem Modell suggerierte, zu­ wird sicher auch das (verlorene) Anschrei­ mal in den frühen Selbstbildnissen von ben von Westheim erhalten haben, ant­ Dix aus 1912/13 die strenge Schrägsicht wortete aber nicht (?). Merkwürdigerweise Abb. 5 Hugo Erfurth, bereits als Topos ausgebildet war16, so ging Westheim nicht auf die Rolle der Otto Dix im Profil, 1920 muß hier 1922 der Kontext mit des Malers Photographie ein; bildete auch keine Pho­ (Privatbesitz Heidelberg) Arbeit an einem seiner wichtigsten Werke tographie ab, außer „versteinerte Leichen" hergestellt werden. Neben den „Eltern" von Pompeji. von 1921, dem „Schützengraben" als Bis zum Jahre 1925, in welchem Dix Summe und „Personifizierung des Krie­ nach Vorarbeit mit gleich großem Karton ges" (Liebermann) und Porträts ist das das erste große Ölgemälde „Erfurth mit verschollene Doppelbildnis von Dix mit Objektiv" vollendete, verdichtete sich die Martha Koch (1923 verh. Dix) lebensgroß Beziehung Dix­Erfurth insofern, als nun eines der Chef­d'Oeuvres, ­ das 1922 in beinahe jedes Jahr Photos des Malers und Arbeit war, 1923 vollendet und in Darm­ auch seiner Gattin entstehen, die Gemälde stadt von Dix gezeigt wurde (Deutsche von Dix photographiert werden müssen, Kunst ­ Darmstadt 1923). Lothar Fischer, die Tochter Nelly (geb. 14. Juni 1923) für der 1981 eines der Photos Erfurths aus ei­ die Eltern Dix in Gera­Untermhaus abge­ t; ner Serie/Folge von Dix vor seinem lichtet werden soll (im August 1925 sind Gemälde „Selbst mit Martha als Tanzpaar" die Photoabzüge „in Arbeit")19, Dix dem aus dem Nachlaß von Martha publizierte17, Photographen für seine breiten Studien c datierte das Photo noch 1923 und sah für die Verarbeitung der Kriegserlebnisse richtig, daß das Gemälde in noch unvoll­ in Tuschezeichnungen und Radierungen endetem Zustand war! In diesem Photo (1923 ­ 24) offenbar auch ­ um sein Ge­ hatte sich Dix auf den quer stehenden dächtnis zu stützen ­ um Kriegsphotos Stuhl frontal postiert, helles Hemd, herauf­ bat, und 1925 von Dix und Erfurth eine gerückte Ärmel, den linken Arm aufge­ Ausstellung der Dix­Aquarelle, Zeichnun­ WSBm stützt, Zigarette, die Rechte über das Bein gen und Graphik geplant wird (Brief vom Abb. 6 Otto Dix, Selbst­ in Flanellhose gelegt, auffallend kritisch 11. 7. 1925 an Dix). bildnis, 1921 (Otto Dix auf die Linse schauend. Inzwischen ist ein Im Jahr 1925 entstehen offenbar vor Stiftung, Vaduz) zweites Photo im Archiv des Museums zu dem Umzug der Dixfamilie nach Berlin, Gera aufgetaucht, das Dix als Postkarte an also noch in Düsseldorf, ganze Folgen seinen Bruder Fritz (in Gera) gesandt von Photos, in Ölpigmentabzügen erhal­ hatte; dieses Kartenphoto (kleiner Abzug, ten, die Frau , Otto Dix und Abb. 9) ist auf den 8. Juli 1922 datiert, d. h. die Tochter Nelly jeweils in verschiedenen die Folge der Erfurthschen Bilder von Dix Haltungen wiedergeben. Martha trägt in­ in Hemd und Krawatte (längsgestreift) zwischen die Haare in einem voll gestalte­ haben damit einen terminus ante quem. ten Bubikopf, in dunkler geschlossener

89 Form, die Stirn verdeckt. Erfurths Bilder doch eine größere Auswahlsendung. ... zeigen sie einmal als Büste, sodann als Wie geht es Ihnen? Ich glaube, Sie waren Halbfigur mit den beiden Händen, die ei­ vor einiger Zeit einmal in Dresden ohne nen Gegenstand vor dem dunklen Pull­ mich zu besuchen. Das wäre sehr bedau­ over halten; der helle Hemdkragen ist erlich. Denn ich würde Sie gern einmal über dem Pulloverausschnitt zu sehen wieder sehen. Mit besten Grüßen auch an (Ex. in Dix­Stiftung Vaduz). Ihre Frau bin ich Ihr H. Erfurth". (GNM Auch rechts unten per Hand signiert Nürnberg, ABK). und datiert 1925 sind die entsprechenden Der erwähnte Brief vom Juli 1925 Bilder von Dix (Abb. S. 298), die ihn eben­ sprach nicht nur von einer Dix­Ausstel­ falls in Büstenform nach rechts gewendet lung in Erfurths Graphischem Kabinett, ­ Abb. 7 Hugo Erfurth, zeigen (dunkles Jacket, helles Hemd, wei­ „Auch mit den Photos für Ihre Eltern müs­ Doppelportrait Martha sen Sie sich gedulden bis ich wieder in Koch und Otto Dix, 1922 che Fliege) und in Halbfigur wie Martha, (Galerie Remmert und beide Hände im Bilde, eine Zigarre hal­ Dresden bin, da ich die Bilder selbst an­ Barth, Düsseldorf) tend. Ohne Zweifel gleichzeitig sind die fertigen muß. Wenn Sie das Porträt in Photographien der zweijährigen Tochter Chemnitz malen, werden wir uns wohl in Nelly mit großer Haarschleife, die Hände Dresden sehen, Sie kommen doch hof­ auf dem Tisch, auffallend traurig, ja un­ fentlich einmal mit zu mir..." glücklich schauend. Das Gemälde, das Offenbar war sich Dix seiner führenden Dix im gleichen Jahr von seiner Tochter Stellung als realistisch­naturalistischer Ma­ malte20, „Nelly mit Spielzeug', nimmt der ler bewußt; er schien Erfurth überwiegend Darstellung wieder alles Zufällige, kon­ für die Dienstleistungen des Aufnehmens zentriert das Bild des Kindes, im Sinne der Gemälde und der Photofolgen von strengeren Bauens, strafft die Teile bis hin sich, seiner Frau, den Kindern bestellt zur propellerartigen Schleife, forciert den bzw. engagiert zu haben. Von einer Augenausdruck deutlich ins Magische. Freundschaft kann keine Rede sein. Malerei und Photographie waren wie­ Das Jahr 1926 ist wichtig für zweierlei: der im Dialog, aber wie verschieden sind es entsteht das zweite Gemälde von Dix die Ergebnisse. Der sachliche Photograph „Porträt Erfurth mit Hund" und Erfurth Erfurth wird ohne Zweifel von der stren­ Photographien Serien der alten Eltern des gen, intensiven Beobachtungsgabe des Malers in Gera. Ferner fertigt Erfurth wie­ Malers auch für sich profitiert haben oder derum Photos von Dix in Halbfigur an, angefeuert worden sein. seitlich aufgenommen, in dunklem Jacket, Im übrigen gab es immer auch ein Zigarette in der Hand (Ex. in Vaduz, Berli­ kaufmännisches Verhältnis, da es um Ar­ nische Galerie). (Abb. S. 299)21 beit, Leistung, Wert und Gegenwert ging. Am 25. Juli 1926 schrieb Erfurth an Dix: Für 12 Photographien nach Gemälden „Lieber Herr Dix! Abb. 8 Hugo Erfurth, und Photos des Radierwerkes („DER Ich möchte heute auf die Angelegen­ Otto Dix vor seinem KRIEG") mochte Erfurth im Herbst 1924 heit des neuen Portraits, welches Sie von Gemälde ,An die Schön­ von Dix künstlerische Arbeiten nach des­ mir anfertigen wollten, zurückkommen. heit', 1922, aus: Katalog Otto Dix, Kamakura, sen Gutdünken erhalten. Ein Brief von Er­ Wollen Sie für diesen Zweck nach Dres­ Japan 1988, Anhang furth an Dix, der bislang frühest bekannte, den kommen oder wie hatten Sie sich die vom 20. Dezember 1923 sei hier wieder­ Sache gedacht ... Von Anfang September gegeben, um das Verhältnis zu beleuch­ bin ich dann zu Ihrer Verfügung. Bitte tei­ ten: len Sie mir mit wie wir am vorteilhaftesten „Lieber Herr Dix! die für das Bild nötigen Sitzungen gestal­ Ihren Brief und die zwei Kriegsphotos ten können, so daß wir beide nicht allzu­ erhielt ich. Ich bin gern bereit, die ge­ sehr gestört werden." wünschten Vergrößerungen, sowie den Hatte das Gemälde von 1925 (Abb. 10) Abzug des Bildes Rösberg anzufertigen, der Gestalt des Photographen durch die auch will ich versuchen noch einige nahsichtige Präsenz, die Anordnung im Schlachtfeldphotographien zu erlangen. Format, die geschlossene Form der quasi Als Gegenleistung würde ich gern Hand­ Ellipse von Kopf bzw. Augen oben und zeichnungen oder ein Aquarell anneh­ den Händen, die das Sehgerät halten, un­ men, ev. auch einiges darüber hinaus ten ­ verbunden durch die Kurven der noch erwerben. Bitte schicken Sie mir Arme ­ durchaus etwas Magisches gege­

90 ben, so gerät das zweite Erfurth­Bildnis Jan Dix und die Bilder der Frau mit den mit dem Hund Ajax weniger künstlerisch zwei Söhnen Jan und Ursus, 1933 (Dix­ gesteigert. Alles ist ruhig, ja beschaulich; Stiftung, Vaduz); ein Bild dieser Serie pu­ die Figuren von Hund und Mensch wer­ bliziert in ,Das Atelier des Photographen' den einfach vor verschiedenen Hinter­ 1933, als „Mutter mit Kindern." (Kat. 113) gründen addiert, beide schauen nach Ich konzentriere mich noch auf dieje­ links, der Vorgang der Beobachtung ist nigen Porträts von Dix, die den Künstler thematisiert.22 (Abb. 11) hervorheben und visualisieren. Denn ge­ Schürer, Steinen, B. Lohse u. a. Autoren gen 1929/30 erscheint Dix in Erfurths Auf­ haben meist die Photos von Erfurth in nahmen weniger als der elegante Bohe­ ihren Publikationen nicht datiert. Für die mien und streitbare Bürgerschreck, der wichtigen Ölpigmentdrucke der Photos der Weimarer Bourgeoisie den Zerrspiegel der Eltern Dix (Abb. S. 296) haben wir vorhielt. Die Aufnahmen um 1930 präfe­ jedoch Signatur und Datiemng durch Er­ rieren Dix als Künstler; er erscheint nun furths Hand. In diesem Falle sind die im Malerkittel, in dem er arbeitet. Dix künstlerisch gemalten Porträts der Eltern hatte im September 1926 schon das Ange­ von der Hand des Sohnes zeitlich vor den bot erhalten, die Professur für Malerei (O. Erfurth­Porträts von 1926 entstanden: „El­ Gußmann­Nachfolge) in Dresden zu über­ tern I" bereits im Jahr der „Schwangeren nehmen. Erst zögerte er, aber als er sich Arbeiterfrau mit Kind" (Dresden) und „Sa­ für das 2. Erfurth­Bildnis in Dresden auf­ lon I" (Stuttgart) 1921; die zweite, deutlich hielt, nahm er den Ruf an und lehrte ab beruhigtere Eltern­Fassung, die den Veris­ Sommersemester 1927 in Dresden. Sein mus der frühen 20er Jahre zu einem alt­ drittes Hauptwerk nach dem berüchtigten meisterlichen, an Cranach und Dürer ori­ „Schützengraben" von 1923 (verschollen) Abb. 9 Hugo Erfurth, entierten Naturalismus wandelte, im Jahr und dem Triptychon „Großstadt" von Otto Dix vor seinem Dop­ pelportrait mit Martha 1924 (Hannover Kunstmuseum). Der Pho­ 1927 sollte sein Chef­d'oeuvre an sich als Tanzpaar, 1922 tograph tritt aber insofern nicht in einen werden: das Triptychon mit Predella „Der (Kunstgalerie Gera, Otto Wettbewerb mit dem Maler ein, als er die Krieg1', das auf vier Tafeln den tödlichen Dix Haus) Eltern Louise und Franz Dix nicht in ei­ Kreislauf des imperialistischen Krieges an nem Doppelbildnis festhält. Wieder haben der Westfront 1914 ­ 18 als ,Hinein'­Voll­ wir die Büstenform in einer ,Serie': die treffer im Graben ­ Rettung eines Verwun­ Mutter streng frontal mit ihren klaren deten (mit Selbstbildnis) und die zwischen Augen den Betrachter fixierend; der Vater Kampf und Tod Schlafenden in der Pre­ den Kopf leicht nach links gewendet. della veranschaulicht. Dix arbeitete seit Auch die größere Folge der Porträts mit 1928 vier Jahre mit Skizzen, dem Aquarell den Halbfiguren und der Sprache der (Dresden) und den großen 1:1 Kartons Hände zeigt die gleiche Kleidung der Mo­ (KH Hamburg) an dem gewaltigen Werk. delle, aber die Gleichmäßigkeit der Licht­ In diesen Jahren photographierte Erfurth führung wird von Erfurth für das große den in Dresden vor allem für die Konser­ Photo der Mutter nicht gewählt. Stattdes­ vativen, Deutschnationalen und Nazis pro­ sen nutzt der Photograph die vokanten Künstler ­ eben als Male): Das Rembrandt'sche Beleuchtung einer Her­ oft reproduzierte ­ meist auf 1925 datierte vorhebung von rechter Gesichtshälfte und ­ Photo von Dix im Malkittel, den aufge­ Plastizität der Hände, wie er sie schon seit stützten Armen mit dem großen Pinsel in Jahren ­ z. B. Bildnis Dehmels 1910 ­ be­ der Rechten, quer in die Diagonale gehal­ herrschte. Auch der Hintergrund des Mut­ ten, wählt wieder die strenge Halbprofil­ ter­Bildnisses wird abgedunkelt, so daß sicht. (Abb. S. 301) Darin fällt auf, daß ein das Hervortreten der Gestalt ihre innere Topos anschaulich wird, den Dix selbst Abb. 10 Otto Dix, Por­ Kraft zu pointieren scheint (Abb. S. 297)23. bereits seit um 1921 in Selbstbildnissen trait des Photographen Es können hier nicht auch die zahlrei­ („an die Schönheit") und Zeichnungen Hugo Erfurth mit Objek­ tiv, 1925 (Bayerische chen Photos behandelt werden, die Er­ (Selbst mit Baby Ursus, 1927) einsetzte. Staatsgalerie moderner furth von Frau Martha Dix zwischen 1927 Die Entstehungszeit könnte die des Pho­ Kunst, München) und 1933 in verschiedener Kleidung und tos von Dix am Tisch mit Nelke im Was­ Schmuck (Bernsteinkette, schles. Braut­ serglas und aufgestütztem Kopf (Abb. S. schmuck) in Büsten und Halbfiguren auf­ 304) sein, denn die unter den Ärmeln des nahm, ebensowenig die Aufnahmen von Malkittels sichtbaren Hemden mit Knopf

91 sind identisch; dazu kommmt die Frisur, Antlitz einsetzt, ist ähnlich der Haltung im d. h. die (seit der Arbeit an Kartons und Erfurth­Photo mit dem großen Pinsel von Tafeln des Großstadt-Tryptychonsy4 wie­ 1929, nur ist das gemalte Gesicht forcier­ der locker in die Stirn gekämmten Haare, ter im expressiven Pathos des radikalen die in drei bis fünf Strähnen fallen, ähn­ Feststellungswillens. lich der Frisur von 1920/21. Möglicher­ Was Dix einfach gegenüber dem Photo weise ist das Jahr 1929 zutreffend, denn von sich versucht, ist mehr als einen signi­ das Porträt mit dem Pinsel am Kinn wurde fikanten Augenblick, den der einfühlsame im Februar 1930 in einer Montage mit Erfurth schaut und festhält, zu gestalten, dem Gemälde „Mutter und Kind" (Martha nämlich die Summe von denkbaren Mo­ mit Jan) von 1929 in der illustrierten Zei­ menten, eine Verdichtung des Charakteri­ tung' publiziert. stischen, eine symbolische Überhöhung. Ein weiteres Photo, das Dix als Maler­ Diese ist zweifellos gelungen. Abb. 11 OttoDix, Hugo Erfurth mit Hund Ajax, Künstler ausweist, ist für Erfurth unge­ Was nun noch zu besprechen ist, sind 1926/1927 (Fondazione wöhnlich, weil es eine quasi zufällige zwei Fakten: das Arbeiten von Dix am Thyssen-Bornemisza, Szene mehrerer Menschen zeigt: Dix in Porträt des Schauspielers Heinrich George Lugano) der Mitte seiner Schüler der Dresdner in Berlin 1932, die Photos von Erfurth Kunsthochschule, alle im weißen Malkittel währenddem, und das extrem nahsichtige bei der Arbeit nach einem Modell einer En­Face­Photo, das Erfurth von Dix auf­ i»* dunklen, schwangeren Frau mit kurzen nahm. Es ist die Zeit der zunehmenden Haaren (die Dix 1930 in einem Tafelbild Wahlerfolge der Nazis, des Erstarkens der malte). Da die Aufnahme im März 1930 in Rechtskräfte und der drohenden Nazi­Dik­ der Zeitschrift „Der Querschnitt" reprodu­ tatur. Mit der Entlassung von Dix von der ziert wurde (Abb. S. 303), kann als Datum Kunstakademie durch den NS­Rektor R. 1929 ­ wie für die eben besprochenen ­ Müller, seiner Anfeindung als „Verfalls­ angesetzt werden25. künstler" und seinem Wegzug im Sommer Es ist ­ wie gesagt ­ die Zeit der Arbeit 1933 von Dresden nach Randegg, wird von Dix am Kriegs­Triptychon, während auch die Beziehung Dix­Erfurth unterbro­ der in großer Produktivität auch Gemälde chen. wie die „Schwangere" (Stuttgart) oder Berta Drews hat in ihren Memoiren die „Melancholie" (Venus und Mars?) von Geschichte des George­Porträts durch Dix 1930 entstanden. beschrieben27. Dies braucht hier nicht Während Dix sich in Selbstbildnissen wiederholt zu werden. Dix war zu Besuch der frühen 20er Jahre meist in spezifi­ bei George und beobachtete auch Dreh­ schen Rollen zeigte, betont er zur glei­ arbeiten zu dem Film des Seemanns­ •^üff^Ätf i chen Zeit als die letzten Erfurth­Bilder ent­ schicksals „Terje Wiggen"; dies schien standen, ebenfalls den Habitus als Maler. seine Phantasie „zu entzünden": „er war Höhepunkt in inhaltlicher, d. h. ge­ in höchstem Maße inspiriert. Möglich, daß v4öfo. 12 Bruno Schuch, haltsästhetischer, und in gestalterischer, d. seinem realistisch entlarvenden Charak­ Otto Dix bei der Arbeit h. formästhetischer Hinsicht ist das 1931 terisierungsbedürfnis eine Steigerung ohne für das, Großstadttripty- chon', Berlin 1927 in Dresden vor dem „Krieg" vollendete Rücksicht auf irgendeine historische Maske (Kunstgalerie Gera, Otto Selbstporträt als Seher von Unheil (Köln) mehr zusagte. Kaum waren wir zu Hause Dix Haus) (Abb. 13), worauf die Glaskugel auf dem entwarf er mit seiner phänomenalen Tisch hinweist. Zwischen Fenster und zeichnerischen Begabung eine große hellem Malgrund links steht der Maler im Kohleskizze des Portraits, das ihm vor­ Kittel vor dunklem Grund, aus dem sein schwebte. George war hell begeistert, und Kopf mit den kritisch zusammenge­ so entstand in drei Wochen, mit der Tech­ zogenen Augenbrauen plastisch hervor­ nik der alten Meister auf Holz gemalt, ein tritt, ganz unbunt gemalt, beinahe Grau in suggestives, dunkel brennendes Gemälde. Grau26, nur wenige Grundfarben auf der Ein Moment visueller Kraft, breit und Palette. Die Malhand hält den feinen mächtig." Dachshaarpinsel auf dem Malstock, um Erfurth weilte offenbar in Berlin, denn genaue Details in altmeisterlicher Manier es entstanden sowohl ein Photo von formen zu können. Höchst kunstvoll ist George und Dix mit großen Hüten (Abb. die Figur zwischen Gerade und Schrägen S. 300), als auch mehrere Aufnahmen von eingespannt. Der Topos, den Dix für sein der fortgeschrittenen Sitzung des Modells

92 für Dix (Abb. 14). M. E. ist jedoch diese Sollte Dix doch auf Photographien von Folge von Lichtbildern gestellt, da das Erfurth reagiert haben oder aber sollte Dix Modell und der Maler derart dicht zusam­ den Photographen bei Sitzungen beein­ mengerückt sind, wie es dem tatsäch­ flußt haben, ­ wie auch immer, ein Reflex lichen Arbeitsvorgang bei einem Porträt auf die Photos mit George und andere um nicht entspricht. Im übrigen hat Erfurth 1932 kann in der Selbstbildnis­Zeichnung auch George des öfteren Photographien. in Arbeit vor dem Spiegel von 1933 (Berlin (Abb. S. 372)28 Alte Nationalgalerie)30 gesehen werden; Die Photos von der Porträtsitzung in zumindest ist hier werkgeschichtlich der Berlin sind bislang in zwei Varianten be­ Kontext zu den Erfurth'schen Bildern ge­ kannt (Nachlaß Martha Dix; Museum geben. Die Silberstift­Zeichnung belegt Gera), wobei George einmal Dix in die die ständige Arbei von Dix nicht nur an Augen schaut, andernmals nach links an seinen ,objektiven' Werken, sondern auch ihm vorbei. Dix ist in seinem Habitus daran, sich in Selbstbildnissen seiner sub­ ebenfalls variiert, aber jeweils fixieren jektiven Lage, seiner Existenz und seiner „seine hellen Augen" das zu malende Ob­ politischen Lage zu versichern31, sich und jekt mit auffallender Intensität. diese zu prüfen. Jedoch ein weitaus er­ Ein Brief von Erfurth an Dix rekurriert staunlicherer Reflex ergibt sich, wenn man am 8. 4. 1933 auf die Sache: Erfurths Aufnahme neben das Selbstbild­ „Lieber Herr Dix ­ das gewünschte Bild nis von Dix aus dem Jahre 1913 (Staatsga­ ,Dix malt George1 habe ich in Auftrag ge­ lerie Stuttgart, Öl a. Lw., 35 x 29 cm)32 geben und schicke es nach Fertigstellung stellt (Abb. 16), das in einem zwischen ... Teilen Sie mit aber bitte noch mit, ob Hodlers Plastizität und van Goghs Mal­ das Bild zur Reproduktion für eine Zei­ weise stehenden Stil das Antlitz in eine tung bestimmt ist und für welche, oder ob extreme Nahsicht gebracht hatte, streng es nur Privatzwecken dienen soll. Wer er­ frontal gemalt, unausweichlich in der Sug­ hält die Rechnung dafür, Sie oder der gestivkraft. Belegt diese Konfrontation Adressat. Die beiliegenden Rohdrucke über zwanzig Jahre hinweg, daß der Maler IJRH wird vielleicht Ihre Frau besitzen wollen." Dix letztlich doch dem Photographen (GNM Nürnberg/ABK). seine eigenen Blicke aufzwang bzw. ihn • & Das jüngst in „Dix und Berlin" auf 1937 dirigierte? datierte Photo von Erfurth, das zu den er­ Sicher lag beiden, Erfurth und Dix, eine staunlichsten seiner sachlich­veristischen Disposition zum PORTRÄT zugrunde. Phase gehört, zeigt den Kopf von Dix ex­ Beide waren leidenschaftliche Beobachter trem nahsichtig, orthogonal dem Betrach­ der Spezies Mensch und gestalteten die­ ter gegenüber und diesem unausweichlich sen in Beobachtung und Ausführung in Abb. 13 Otto Dix, Selbst­ • in die Augen blickend. Durch die Nah­ Bildnissen von jeweils eigener Suggestion. portrait als Seher von sichtigkeit kommt von Schultern und Klei­ Die Mittel der Photographie waren dabei Unheil, 1931 (Museum Ludwig, Köln) dung lediglich ein Stück des weißen Ma­ andere als die reichen Mittel der Malerei lerkittels ins Bild. (Abb. 15) Originale be­ (in Farben!), die zudem auf einem ande­ finden sich im Museum f. Kunst, u. Ge­ ren handwerklichen Prozeß und Können Abb. 14 Hugo Erfurth, werbe, Hamburg und in Vaduz (Dix­Stif­ beruhen. Doch scheinen beide, trotz sehr Otto Dix malt Heinrich tung); es wurde 1961 in der Erfurth­Aus­ unterschiedlicher Temperamente (Dix ein George, 1932 (Kunstgale­ rie Gera, Otto Dix Haus) stellung in Hamburg gezeigt. harter, wilder Mensch; Erfurth ein modera­ Ich würde die Aufnahmen ­ wegen des ter Mensch) ein Interesse an ihren Arbei­ Malkittels ­ zwar nicht auf 1929 ten zusammengebracht zu haben: zwei zurückrücken, aber nach dem Antlitz „Menschen­Erfasser", wie O. Schürer von Dix, der Nähe zu den Photos mit schrieb33, die ihr intensives Sehen wech­ H. George zusammen, bietet sich eine selweise austauschten, ja quasi belauerten. Datierung um 1932/33, also kurz vor der Für die Formen des Porträts konnte Dix Nazi­Diktatur, an. Nach seinem Wegzug von Erfurth die Komposition von Kopf aus Dresden, d. h. nach seinem Raus­ und Sprache der Hände lernen, denn Er­ schmiß durch die Nazis, dürften auch furth hatte bereits in seinen Photos die kaum Möglichkeiten zu einem visuellen Hände der Modelle für den Ausdruck und Dialog zwischen Erfurth und Dix bestan­ die Charakterisierung derselben genutzt. den haben. Dix nahm seit 1921 (P. F. Schmidt, H.

93 Schilling, Uzarsky, Erfurth, Silvia von Har- sowieso alles Porträt, was wir malen!' Daß den u. a.) die Sprache der Hände als Aus­ Porträtmalen durch die Photographie ab­ drucksträger vermehrt auf, ­ auch und ge­ gelöst worden sei, ist einer der moderni­ rade in den zwei Eltern­Porträts. Ob frei­ stischen, hochmütigen und zugleich nai­ lich Erfurth das Dix'sche Sehen bereits seit ven Irrtümer. Photographie kann immer 1921 beeinflußte, scheint mir fraglich. Das nur einen Moment (und rein äußerlich) Verhältnis war ohne Zweifel ambivalent. aufnehmen, nie aber die spezifische und Die Frage, ob der kritisch­realistische Stil individuelle Form gestalten: denn letztere von Dix, also sein damals als „ Verismus" hängt von der künstlerischen Kraft und verstandener Kunstbegriff (Hausenstein, Intuition des Malers ab. So würden hun­ Hartlaub, P. F. Schmidt, Westheim, Wolf­ dert Photos eines Menschen nur hundert radt) von der naturalistischen Kunstphoto­ verschiedene Momentansichten geben, nie graphie von Erfurth mitgeprägt wurde, ist aber das Phänomen des Ganzen. Das zu erwägen. Dix' Stil um 1921 ist sicher Ganze sehen und bilden, kann nur der nicht als ,photographischer' Stil zu be­ Maler. ­ Nun ist nicht nur die Form, son­ zeichnen, da der Realismus vereinfacht, dern auch die Farbe von größter Wichtig­ verdichtet, sich auf's Wesentliche konzen­ keit und ein Mittel, das Individuelle aus­ triert. Aber die Annäherung von Dix um zudrücken. Jeder Mensch hat seine ganz 1924/25 an einen neuen altmeisterlichen spezielle Farbe, die sich auf dem ganzen ,Naturalismus' mag die Affinität zwischen Bild auswirkt. Farbphotographie hat kei­ ihm und Erfurth erhöht haben. Und typi­ nen seelischen Ausdruck, sondern ist nur scherweise fallen die Bildnisse, die Dix materielle Bestandsaufnahme, und diese Abb. 15 Hugo Erfurth, Otto Dix, 1932/1933 von Erfurth schuf, in diese Phase seiner ist nicht einmal gut. Jedem guten Bildnis (Otto Dix Stiftung, Va­ Entwicklung zur Altmeisterlichkeit, seiner liegt eine Schau zugrunde. ­ Das Wesen duz) ,Imitation' von Baidung Grien, Cranach, jedes Menschen drückt sich in seinem Dürer, Bruegel. Ist dies richtig beobachtet, Außen aus; das Außen ist der Ausdruck so stellt sich weiter die Frage, wie sich An­ des Inneren, d. h. Äußeres und Inneres regungen durch das Sehen der sachlichen sind identisch. Das geht soweit, daß auch Photographie zu dem Interesse von Dix an die Gewandfalten, die Haltung des Men­ den Werken der Alten Meister und deren schen, seine Hände, seine Ohren dem Ma­ Einfluß auf ihn verhalten? Und es waren ja ler sofort Aufschluß über das Seelische nicht nur die Altdeutschen, die ihn inspi­ seines Modells geben; letztere oft mehr als rierten, auch Mantegna und das Kinderbild Augen und Mund. Man stellt sich den Por­ von Pinturicchio (Galerie Dresden) haben trätmaler immer als großen Psychologen ihn nachhaltig beeinflußt in Technik und und Physiognomiker vor, der sofort in je­ Form der Menschenwiedergabe. dem Gesicht die verborgensten Tugenden Dix war sicher andererseits nicht nur und Laster ablesen könne und diese dann die „Konkurrent durch die Photographie im Bilde darstellt. Das ist literarisch ge­ von Erfurth oder Sander bewußt, er fühlte dacht, denn der Maler wertet nicht, er ohne Zweifel die entscheidende Überle­ schaut. Mein Wahlspruch ist: Trau deinen genheit einer verdichtenden Malerei der Augen!" Menschen­Charakterisierung über Photo­ Der Text kann in gewisser Weise als graphie und insbesondere seine Überle­ später Kommentar zu dem Dialog von genheit über einen Hugo Erfurth. Dabei vielen Jahren zwischen Dix und Erfurth ist die Zeitlichkeit die tragende Struktur. gelesen und gewertet werden. Die starke Dix hat sich später zum Verhältnis von Differenz, die Dix streng zwischen beiden Malerei und Photographie geäußert, so Formen der Realitätsreflexion und Men­ daß dieser Text (März 1955) hier wieder­ schendarstellung markiert, ist sicher zu­ gegeben werden muß34: treffend. Aber die Bemerkung, Farbphoto­ „Porträtmalen wird heute von den Mo­ graphie habe keinen seelischen Ausdruck, dernen für eine subalterne künstlerische kann so nicht bejaht werden. Auch für Er­ Beschäftigung gehalten: dabei ist es eine furth trifft sie natürlich nicht zu, denn mit der reizvollsten und schwersten Arbeiten den nahsichtigen Porträts von Corinth, für einen Maler. Vor vielen Jahren sagte Dehmel, Leo Samberger, Ernst Haeckel Max Liebermann einmal zu mir: ,Malen oder Däubler hat Erfurth eine seelische Sie nur viel Porträt! Bei uns Deutschen ist Dimension anschaulich gemacht.

94 Heute gehen natürlich realistische und Anmerkungen expressionistische Maler, die die Realitäten * Der Titel dieses Beitrags übernimmt die Aussage reflektieren, wie Georg Eisler, Hrdlicka von Maria Wetzel aus ihrem Interview mit Dix von oder Baselitz ganz anders mit der Farbe 1965 (Dipl. Kurier, Köln, 14. Jg. 731). um als Dix; der dynamische Duktus und 1 Erich Fried/Alfred Hrdlicka/Erwin Ringel: Die da die Distanz zum Naturalismus sind die reden gegen Vernichtung ­ Psychologie, bildende Schienen, auf denen sich keine Nähe zum Kunst und Dichtung gegen den Krieg, hg. von A. Trompe­l'oeil­Effekt der Farbphotographie Klauser, Wien 1986, S. 64

herstellt. 2 Rudolf Arnheim: On the Nature of Photography, Dix und Erfurth - dies war ein span­ in: Critical Inquiry, Vol. 1, Sept. 1974, wieder in: nendes Kapitel in der Geschichte des mo­ Neue Beiträge, Köln DuMont 1991, S. 145 0 dernen Sehens in den Jahren 1920 ­ 1933­ 3 Karel Kosik: Die Dialektik des Konkreten (1967), Aber das Technische der Photographie ist Frankf./M. 2. Aufl. 1973, S. 123. Ch. Baudelaire: Der eben nicht durchgestaltete Arbeit mit der Maler des modernen Lebens (1863), IV, in: ders., Ge­ Hand (also nicht Bildnerei); die Photogra­ sammelte Schriften, ed. M. Bruns, Bd. 4, S. 291 ­ 296, betonte „memoire et imagination". phie bleibt bei aller Verfremdung und ex­ pressiven Gestaltung und Handhabung 4 Briefe Erfurth ­ Dix im Teilnachlaß DIX im GNM Technik und technikdeterminiert. Die Ma­ Nürnberg. Bis heute hat sich kein Dokument über die 1. Begegnung zwischen dem Photographen und lerei von Dix war in keiner Phase von den Abb. 16 Otto Dix, Selbst­ dem aus dem Kriege Ende 1918/1919 nach Dresden bildnis, 1913 (Staats­ Mitteln determiniert. Dix setzte die Mittel unverkrüppelt gekommenen Maler gefunden. Auch galerie Stuttgart) mit Wille und Phantasie für seine Ziele meine Gespräche mit Herrn Gottfried Erfurth (Juli künstlerlischer Gestaltfindung ein. 1979) hatten diesbezüglich nichts erbracht. Wie ihm danke ich auch Bodo von Dewitz für freundlich kol­ Sehen und Überführen ­ dies hat Schü­ legiale Hilfe. rer betont ­ sind die zwei Schritte der künstlerischen Arbeit und mithin die zwei 5 J. A. Schmoll­Eisenwerth: Das photographische Bildnis ­ sein geschichtlicher Ort ­ Bildnisse von Pole des ambivalenten Verhältnisses von Hugo Erfurth, hg. von Otto Steinen, Gütersloh 1961, Erfurth und Dix. Das Sehen ist möglicher­ wieder in: Schmoll­Eisenwerth: Vom Sinn der Photo­ weise tatsächlich wechselweise. Die Pho­ graphie, Texte 1952 ­ 1980, Prestel München 1980, S. tographie übernahm bzw. erhielt Impulse 43 ­ 56; ­ D. Schubert: Otto Dix ­ in Selbstzeugnis­ sen und Bilddokumenten, Reinbek 1980, 2. Aufl. durch „das Schauen der gleichzeitigen Ma­ 1985, 3. verbesserte Aufl. 1991, S. 35f, 51f, 84 ­ 86 lerei". Aber sicher wurde ein Maler wie (zit. als Dix 199D Dix auch bewußt oder unbewußt von der 6 Felixmüller hatte bereits seit 1917 mit spätexpres­ Strenge des Sehens von Erfurth beeinflußt, sionistischen Holzschnitten ä la Schmidt­Rottluff in als er den Wechsel vom Expressionis­ Dresden reüssiert; Dix stellte als Soldat u. a. im Okt. mus/Futurismus/DADA zu seinem scharf 1916 bei E. Arnold aus: „Dresdner Künstler, die im beobachteten veristischen Stil um 1920 Heeresdienste stehen", und zwar 11 Blätter, mit de­ nen er zeigte, daß er die Modi der Gestaltung Realis­ vollzog. Die Hinwendung zur sichtbaren mus, Kubismus und Futurismus beherrschte (dank Welt als der wirklichen, ja .einzigen Welt' freundl. Hinweis von Otto K. Werckmeister, siehe und Realität (Nietzsche) und der Verzicht Schubert: Dix 1991, S. 33); ­ vgl. auch Fritz Löffler: auf die expressionistischen Visionen und Die Dresdner Secession ­ Gruppe 1919, in: Kunst im Aufbruch, Dresden 1918 ­ 1933, Dresden 1980, S. 39f. futuristischen Simultane­Bilder hat die Nähe zwischen dem Sehen der sachlichen 7 Christoph Voll, der anscheinend nicht von Erfurth Photographie und dem Sehen von Dix ge­ photographiert wurde, stellte seit der 3. Ausstellung der .Dresdner Secession' im Oktober 1920 mit der fördert. Gruppe Holzskulpturen und Graphik aus (P. F. Mag das Sehen ähnlich geworden sein, Schmidt, in: Cicerone XII, 1920, S. 826 ­ 27), 1921 so blieben die Überführung in Form und war er Mitglied; aber schon 1924 ging Voll als Lehrer an die Kunstschule in Saarbrücken. Löffler hatte in die Weise der Form jedoch völlig ver­ seinem Aufsatz über die Dresdner Secession 1980 schieden. (in: Kunst im Aufbruch, S. 46) für das Inflationsjahr 1923 keine Ausstellung genannt; aber die 6. Ausstel­ lung fand im Sommer 1923 ­ als Dix bereits nach Düsseldorf zum Studium an die Akademie ging ­ im Graphischen Kabinett von Hugo Erfurth statt ­ mit Werken von Dix, Lange, Griebel, E. Hoffmann, C. Voll u. a. (vgl. Oskar Schürer: Dresdner Sommeraus­ stellungen II, in: Cicerone XV, 1923, S. 801 ­ 802, der für Dix bereits von einem „schneidenden Verismus" sprach, wie P. F. Schmidt in: Kunstblatt 8, 1924, S. 367: Die deutschen Veristen)

95 8 Dieter Gleisberg hat in seiner Felixmüller­Mono­ dern in dem geheimnisvoll Geistigen, das man als graph war aber nicht Hugo Erfurth (wie März an­ graphie Abzüge der „Hochzeitsphotos" von Erfurth magisch bezeichnen möchte, mit dem diese schein­ gibt), sondern Bruno Schlich (Berlin). Das Museum publiziert (Felixmüller ­ Leben und Werk, Dresden bare Wirklichkeitskunst sich doch ganz über die zu Gera besitzt einen Abzug und gab ihn jüngst als 1982, Anhang, S. 281 oben); sie sind mit Trocken­ Wirklichkeit erhebt. Ich würde mich ganz außeror­ Postkarte heraus (Abb. 12) stempel 1918 datiert dentlich freuen, wenn es gelingen sollte, das Bild für Halle zu erwerben." W. Wolfradt publizierte das 25 Vgl. ,Der Querschnitt', Jg. X, 1930, 318f. ­ Ein 9 Hugo Erfurth, hg. von B. Lohse, Seebruck 1977, S. 56 Gemälde 1923 sogleich im „Cicerone" Bd. XV mit ei­ zweites Photo dieser Folge besitzt das Archiv der nem signifikanten Text im Rahmen der avantgardisti­ Akademie Dresden, dort weist Dix auf die Zeich­ 10 vgl. D. Gleisberg: Felixmüller, 1982, S. 281; ­ Fi­ schen Strömung von Naturalismus und kritischem nung des Schülers im Vordergrund; s. DRESDEN ­ scher 1981, S. 25 gab als Photograph den Linkssozia­ Verismus: „Der Verismus dieses Künstlers ist von ei­ Kunstakademie, Dresden 1990, S. 613. P. Barth (Hg.): listen und Herausgeber der „Aktion" Franz Pfemfert ner technischen Virtuosität, die Bewunderung ab­ Die Dresdner Künstlerszene 1913 ­ 1933, Galerie an. ­ Eventuell stammt das Photo aber von Felixmül­ nötigt ... er reißt alle Blicktrübungen der Gewöh­ Remmert und Barth, Düsseldorf 1987, S. 104 lers Frau Londa; das ist noch ungeklärt. nung von unserem Auge und beschreibt kalt und fast zynisch" (S. 177). 26 Diether Schmidt: Dix ­ im Selbstbildnis, Berlin­ 11 Das Profil-Photo mit Widmung („für Maud Nov. Ost 1978, 2. Aufl. 1981; ­ D. Schubert: Dix 1991, S. 21") im Kupferstichkabinett in Dresden und Privatbe­ 19 Brief Erfurth an Dix vom 12. 8. 1925 (GNM Nürn­ 104 ­ 105; ­ Kat. der DIX­Retrospektive, hg. von W. sitz Heidelberg; (Fr. Löffler: Dix ­ Leben und Werk, berg, ABK) Herzogenrath/J. K. Schmidt, Stuttgart/Berlin 1991 4. Aufl., Dresden 1977, Abb. 7 im Anhang; Katalog „Dada in Europa", Frankf./M. 1978, 3/358). ­ die 20 Dix in Halbfigur frontal in dunklem Jackett und 27 Kat. OTTO DIX ­ Retrospektive (zum 90. Geburts­ strenge en-face-Ansicht von 1920 Privatbesitz Heidel­ Zigarre (1925) publiziert bei S. Sabarsky: Dix, dt. tag), Gal. d. Stadt Stuttgart, Stuttgart 1981/82, S. 29 ­ berg, 1 Ex. ohne Datum Privatbesitz Dresden (abgeb. Ausgabe Berlin 1987, S. 1. ­ Das Photo Nellys von 32; Kat. DIX, 1991, S. 202 Farbtafel bei S. Sabarsky: Otto Dix, Milano 1986). Die Halb- Erfurth und das Gemälde von Dix stellte L. Fischer: pro/i'/­Aufnahme nach links („meiner süßen Maud Dix, 1981, S. 88 ­ 89 gegenüber; ­ Fr. Löffler: Dix ­ 28 Für meine Rowohlth­Monographie hatte mir Frau Jim"), heute im Dix­Nachlaß Vaduz (Dix Stiftung) Oeuvre der Gemälde, Recklinghausen 1981, Nr. Martha Dix freundlicherweise Photos von Erfurth 1925/12 ausgeliehen (s. Schubert: Dix 1991, S. 105 Dix und 12 S. Deutscher Camera­Almanach, Jg. 1925, S. 98 George mit Hüten). ­ vgl. L. Fischer 1981, S. 84 ­ 85; Abb. 21 Das Erfurth­Photo von Dix mit Zigarette, seitlich S. Sabarsky: Dix, Milano 1986, S. 20 (Detail Kopf von gesehen, Blick zum Betrachter, existiert in mind. Dix), Originale im Besitz von Frau Berta Drews­Ge­ 13 Bereits in der 1. Aufl. meiner Dix­Monographie zwei Versionen, erstmals publiziert im Kat. H. E. ­ orge/Berlin; ­ R. März: Dix + Berlin, 1991, S. 51/52 habe ich diese Gegenüberstellung anschaulich ge­ Bildnisse, Leipzig Lehrauftrag 1929, Abb. 3; ­ 1986 macht (S. 50 ­ 51), um die enge Beziehung zwischen katalogisiert von P. Oehmen in seiner Ex.arbeit FH 29 Die Galerie (Wien), Heft 8 von 1935, S. 141; ­ R. beiden Porträtisten anzudeuten. Münster. Erfurth nahm Dix 1926 auch im grauen An­ März/R. Radeke: Von der Dada­Messe zum Bilder­ zug sitzend, drei viertelfigurig auf, nach links schau­ sturm ­ Dix + Berlin, 1991, 62. ­ Zur Erfurth­Schau 14 Carl Einstein: Otto Dix, in: Das Kunstblatt, hg. v. end, eine Zigarre in der Hand, dunkle Fliege, glatt von Juni 1961 in Hamburg s. DIE WELT vom 22. Juni P. Westheim, Jg., VII, 1923, S. 97 f. ­ Paul F. Schmidt: gebürstetes Haar (publ. im Jan. Heft von Dt. Kunst 1961, Abb. Dix. Otto Dix, Köln 1923­ ­ Zu Dix und Nietzsche vgl. u. Dekoration, 1927, S. 238 ­ 240 von Oskar Schü­ meinen Beitrag in Nietzsche­Studien Bd. 10/11, Ber­ rer). Diese Aufnahmen sind wohl (?) zu einem ande­ 30 Fr. Löffler: Dix, 4. Aufl., 1977, no. 139; ­ D. lin 1981/82, S. 278 ­317 und Sarah O'Brien Twohig: ren Zeitpunkt entstanden als das Photo bei R. März: Schmidt: Dix im Selbstbildnis, Berlin 1978, no. 88 Dix and Nietzsche, in: Cat. Expos. OTTO DIX, Lon­ Dix + Berlin, 1991, 42 „Dix zeichnet" von 1928. don, Täte Gallery 1992, S. 40ff. 31 Vgl. meinen Beitrag: „Ich habe Landschaften ge­ 22 Öl auf Holz, 80 x 100 cm, Lugano Slg. Thyssen; malt, das tuar doch Emigration" ­ zur Lage von Otto 15 vgl. P. Barth: Dix und die Düsseldorfer Künstlers­ der Karton im Kupferstichkabinett Berlin­Dahlem; Dix und der politischen Metaphorik in seinem Werk zene 1920 ­ 25, Düsseldorf Galerie Remmert & Barth eine Zeichnung von 1926 im Museum zu Albstadt. 1933 ­ 1937, in: OTTO DIX, Stuttgart/Berlin 1991, S. 1983. ­ Schubert: Dix, 1991, S. 57 Der Karton für das 1. Erfurth­Bildnis von 1925 befin­ 273 ­ 283 1 det sich bei Gottfried Erfurth, Gaienhofen. Vgl. B. 16 Es kann hier nur kurz gefragt werden, ob Dix Lohse, 1977, S. 28; ­ F. Löffler: Dix, 1977 no. 79 (das 32 Zu Dix' Selbstporträts um 1912/13 vgl. meinen nicht diese strenge Schrägsicht seiner Selbstbildnisse 1. Bildnis Tempera auf Holz, 75 x 60 cm, von H. Aufsatz in: Beiträge zum Problem des Stilpluralismus, 1912/13 dem Photographen aufzwang(P), denn um Posse für die Gemäldegalerie Dresden erworben, Hrsg. v. W. Hager/N. Knopp, München 1977, S. 1912 schon entstanden auch solche Photos von Dix 1937 von den Nazis beschlagnahmt, dann in der Slg. 203­224 und die Ausschlachtung desselben durch R. (mit dem ponnyhaften Haarschnitt), deren Autor bis­ • E. Fohn, heute München); Katalog Ausst. „PARIS ­ Beck: Dix­Neuland in: Kat. Dix ­ Bestand Museum lang nicht zu identifizieren war; vgl. S. Sabarsky: BERLIN", Paris 1978, p. 191; Löffler: Dix ­ Oeuvreka­ Friedrichshafen, Hrsg. v. L. Tittel, 1992, S. 23; auch Dix, Milano 1986, p. 37 und auch das verwandte talog, 1981, Nr. 1926/14; ­ J. Heusinger v. Waldegg das von Dix gelobte Knabenporträt von Pinturicchio Photo im Frontispiz des DIX­Kataloges Stuttgart/Ber­ (Hg.): Die zwanziger Jahre im Porträt, Bonn 1976, S. (Dresden) hatte ich bereits 1980 in den Dix­Diskurs lin 1991, bearbeitet von Andrea Hollmann, ohne An­ 187 ­ 189 eingebracht. gabe des Photographen. 23 Die genannten Photos sind signiert und datiert: 33 Oskar Schürer: Bildnisse von H. Erfurth, in: Dt. 17 L. Fischer: Dix, Berlin 1981, S. 53 die kleinen Büstenformate „Hugo Erfurth Dresden Kunst und Dekoration, Jg. XXX, Januar 1927, S. 238 1926" (Ex. in Privatbesitz; Dt. Fotothek Dresden, 18 Erfurth photographierte das Gemälde sicher 1923 Dix­Stiftung Vaduz; Hamburg M. f. Kst. u. Gew.), die 34 Dix: Gedanken zum Porträtmalen, in: Internatio­ (ein Photoabzug gest. 1927 im Dix­Nachlaß, s. Schu­ großen Halbfiguren mit Händen in Privatbesitz, For­ nale Bodensee­Zeitschrift f. Lit., Bild. Kunst u. Wiss. bert: Dix 1991, S. 62); ein altes Photo in Halle, Ar­ mate 32 x 23 cm, ebenso 1926 per Hand datiert. (Amriswil), März 1955, S. 59 ­ 60; ­ D. Schmidt: chiv der Moritzburg­Galerie, zeigt noch die Vor­ Ganz falsch angesetzt sind die Eltern­Photos bei J. K. Selbstbildnis , 1978, S. 220 ; ­ Schubert: Dix, 3. Aufl., hänge, aus denen das dunkel gekleidete Paar in Schmidt/W. Herzogenrath u. A. Hollmann: DIX­Kata­ 1991, S. 84 ­ 85. Vgl. dazu insbesondere die grundle­ strenger Pose, wie Puppen, heraustrat; ­ (Format log, Stuttgart/Berlin 1991, S. 12 „um 1920' gende Theorie des Portraits von Georg Simmel, Das 191 x 86 cm, 1926 erworben) ­ vgl. Andreas Problem des Portraits, in: Zur Philosophie der Kunst, Hüneke: Im Kampf um die moderne Kunst ­ Das 24 Ein Photo, das bereits Löffler 1977, Anhang 10 hrsg. von Gertrud Simmel, Potsdam 1922, S. 96 ­ Schicksal einer Sammlung, Staatl. Galerie Moritzburg abbildete, zeigt Dix im April 1927 in Berlin während 109; ders., Rembrandt, Leipzig 1916 Halle, Halle 1985, S. 40 Abb. 43, Brief von Sauer­ der Arbeit an den Kartons für „Die Großstadt"; der landt vom 3. Mai 1926: „Ich sehe das wesentlich Rowohlt­Verlag nahm es als Rückseite meiner Mono­ Künstlerische dieser letzten Phase der Malerei nicht graphie; jetzt veröffentlicht auch von R. März: Dix in ihrer getreuen Wirklichkeitsabschilderung, son­ und Berlin, Berlin 1991, Umschlag S. 2. Der Photo­

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