Anna Kröppel Bakk. rer. soc. oec.

Hoffnung Castingshow: Wie jugendliche Rezipientinnen das Format Blockstars – Sido macht Band lesen

Masterarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades einer Master of Arts der Studienrichtung Soziologie an der Karl-Franzens-Universität Graz

Begutachter: Univ.-Prof. i.R. Dr. Peter Gasser-Steiner Institut: Soziologie Graz

Graz, im Mai 2013 Ehrenwörtliche Erklärung

Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht benutzt und die den Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen inländischen oder ausländischen Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht. Die vorliegende Fassung entspricht der eingereich- ten elektronischenVersion.

Graz, am 07.05.2013

Anna Kröppel Die Zeit war reif für die Erfindung des Formats, und das Format war geeignet, der Zeit ihren Spiegel vorzuhalten (Jähner 2005, 621). Vorwort

Die wichtigste Inspirationsquelle für diese Arbeit war die 5. Jugendmedienschutztagung in Hamburg, die im Jahre 2010 unter dem Titel Tabubruch, Medienexhibitionismus und Jugendkultur – Herausforderungen für den Jugendmedienschutz abgehalten wurde. Die Ta- gung zeigte im Rahmen diverser Diskussionsrunden mit Expert_innen aus Wissenschaft und Kultur sowie wissenschaftlicher Publikationen die vielfältigen Herausforderungen, Gefahren und Potentiale auf, die eine fortschreitende Mediatisierung unserer Gesellschaft mit sich bringt. Meine Teilnahme, die ich dem Marktforschungsinstitut mindline zu ver- danken habe, weckte zweifelsohne mein Interesse für dieses Thema.

Mein besonderer Dank gilt Univ.-Prof. i. R. Dr. Peter Gasser-Steiner, der sich bereit er- klärte, diese Arbeit fachlich zu betreuen und für dessen wertvolle Feedbacks ich sehr dankbar bin.

Besonderer Dank gebührt auch den von mir kontaktierten Lehrkräften einer Neuen Mit- telschule und eines Gymnasiums, die mich in meinem Vorhaben unterstützten und mir zwei ihrer Unterrichtsstunden für Gruppendiskussionen zur Verfügung stellten. Mindes- tens ebenso dankbar bin ich den Schülerinnen, die an meinem Projekt interessiert waren und die mir das nötige Vertrauen entgegenbrachten, um an dieser Untersuchung mitzu- wirken. Ohne sie wäre diese Arbeit nicht zu Stande gekommen.

Andrea Ploder, Sonja Gruber, Michael Greger und Bibiana Medovics danke ich für die vielen Gespräche und Diskussionen und dafür, dass sie während des gesamten Projektes für mich da waren und mir stets mit ihrer fachlichen Kompetenz zur Seite gestanden sind. Ich danke auch allen qualitativ Forschenden, mit denen ich mich über das Thema austauschen konnte.

Romana Rust danke ich für die Zeit, die sie sich genommen hat, um die Arbeit schön aussehen zu lassen.

Nicht zuletzt bin ich meinen Eltern zu tiefstem Dank verpflichtet, die mir nicht nur das Studium ermöglicht haben, sondern die mir in jeder noch so schwierigen Phase meiner Studienzeit unterstützend zur Seite gestanden sind. Daniel Kollreider, der mich über die ganzen Jahre hinweg begleitet hat, hat mir stets viel Geduld und Verständnis entgegen- gebracht. Meinen Eltern und ihm verdanke ich mehr als ich an dieser Stelle sagen kann. Inhaltsübersicht

1. Einleitung 1 2. Sozialwissenschaftliche Reflexionen zur Popularität des Reality-TV 5 2.1 Castingshows – Gedanken zum Genre 5 2.2 Über das Hybridformat Blockstars – Sido macht Band 12 2.3 Medienaneignung und Medienrezeption 24 3. Die Untersuchung von Lesearten 34 3.1 Forschungsdesign 34 3.2 Das Gruppendiskussionsverfahren 44 3.3 Die dokumentarische Methode 48 4. Von der Rezeption zum konjunktiven Erfahrungsraum 66 4.1 Die Gymnasiastinnen: „Man kann si net wirklich eini versetzen“ 68 4.2 Die Neuen Mittelschülerinnen: „Und deis is net nach Skript, deis is freies Leben“ 84 4.3 Diskussion 104 5. Zusammenfassung 117 6. Abbildungsverzeichnis 119 7. Literaturverzeichnis 119 8. Anhang 126

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung 1

2. Sozialwissenschaftliche Reflexionen zur Popularität des Reality-TV 5

2.1 Castingshows – Gedanken zum Genre 5

2.1.1 Castingshows als Nachfolger früherer Talent-Wettbewerbe 5 2.1.2 Castingshows als Sub-Genre des Reality-TV 7

2.2 Über das Hybridformat Blockstars – Sido macht Band 12

2.2.1 Zum Inhalt der Sendung 12 2.2.2 Was die Sendung vorgibt zu sein 16 2.2.3 Beweg dein’ Arsch: Das große Gesellschaftsspiel im Zeitalter der Wirtschaftskrise 18 2.3 Medienaneignung und Medienrezeption 24

2.3.1 Die traditionelle Wirkungsforschung 24 2.3.2 Der Uses-and-Gratification-Ansatz 25 2.3.3 Medienaneignung aus Sicht der British Cultural Studies 26 2.3.4 Kommunikation und symbolischer Interaktionismus 29 2.3.4.1 Parasoziale Interaktion und parasoziale Beziehung 31

3. Die Untersuchung von Lesearten 34

3.1 Forschungsdesign 34

3.1.1 Forschungsfragen 34 3.1.2 Methodik 35 3.1.2.1 Erhebungsinstrument und Analyseverfahren 35 3.1.2.2 Bestimmung der Gruppe 36 3.1.2.3 Auswahl der Videosequenzen 38 3.1.2.4 Pretest 40 3.1.2.5 Durchführung der Gruppendiskussion 40

3.2 Das Gruppendiskussionsverfahren 44

3.2.1 Die Entstehung im angelsächsischen Raum: Focus Groups and Group Discussion 44 3.2.2 Gruppendiskussionen in Deutschland 46

3.3 Die dokumentarische Methode 48

3.3.1 Zur Methodologie der dokumentarischen Methode 48 3.3.1.1 Verstehen versus Interpretieren: Das Wesen des konjunktiven Erfahrungsraumes 49 3.3.2 Die Forschungspraxis der dokumentarischen Methode 53 3.3.2.1 Die Formulierende Interpretation 54 3.3.2.2 Die Reflektierende Interpretation 55 3.3.2.3 Komparativer Vergleich 59 3.3.2.4 Typenbildung 60 3.3.2.5 Beschreibung des Begriffsinventars 62 3.3.2.6 Die Diskursorganisation 64

4. Von der Rezeption zum konjunktiven Erfahrungsraum 66

4.1 Die Gymnasiastinnen: „Man kann si net wirklich eini versetzen“ 68

4.1.1 Die Sozialhilfe als zentraler Orientierungsrahmen 69 4.1.2 Über den Protagonisten Michael und seine unvorstellbaren Lebensumstände 72 4.1.3 Die Suche nach objektiven Kriterien für ein gerechtes Castingverfahren 74 4.1.4 Die kurzweilige Medienpräsenz von Alltagsmenschen in der Starproduktionsmaschinerie 76 4.1.5 Castingshows ja! Blockstars – Sido macht Band nein! Warum die Sendung kein Interesse weckt 82

4.2 Die Neuen Mittelschülerinnen: „Und deis is net nach Skript, deis is freies Leben“ 84

4.2.1 Ohnmacht oder Herausforderung 86 4.2.1.1 Michaels Geschichte erweckt vertraute Assoziationen 86 4.2.1.2 Dragan verkörpert das Ideal eines willensstarken und ungebrochenen Kämpfers 93 4.2.2 Die gesellschaftliche Relevanz der Sendung 95 4.2.3 Sidos Empowerment – eine professionelle Anleitung zur Selbsthilfe 98 4.2.4 Mehr als nur eine Castingshow: Parasoziale Beziehungen mit den Kandidaten 100

4.3 Diskussion 104

4.3.1 …über die Konstruktion konjunktiver Lesarten 104 4.3.2 …über ein Genre, das die Fernsehlandschaft nachhaltig veränderte 113

5. Zusammenfassung 117

6. Abbildungsverzeichnis 119

7. Literaturverzeichnis 119

8. Anhang 126 1. Einleitung

Durch die zunehmende Mediatisierung von Alltag, Kultur und Gesellschaft (Krotz 2007) die sich in jeglichen Kommunikationsformen mit und über Medien zeigt, werden „Medien wieder verstärkt als Modi der Vergesellschaftung diskutiert“ (Thomas 2008, 219). Dabei werden in wissenschaftlichen, ebenso wie in nicht-wissenschaftlichen Diskursen vielfach sowohl die Gefahren als auch die Potentiale aufgegriffen, die diese Modi mit sich bringen.

Die vorliegende Arbeit soll helfen, Medienaneignung als einen aktiven Prozess zu verste- hen, in dem Rezipient_innen1 nach ihren persönlichen Bedürfnissen und vor dem Hinter- grund ihrer sozialen Lage bzw. ihrer subkulturellen Gruppenzugehörigkeit mediale Texte auswählen, verstehen und letztlich auch produzieren und kommunizieren.

In diesem Zusammenhang möchte ich das empirische Vorhaben dieser Arbeit gemein- sam mit einer vom ZDF in Auftrag gegebenen Grundlagenstudie, die sich dem Thema Medien und Tabus widmete, vorstellen. Die Studie wurde von einem Marktforschungs- unternehmen durchgeführt, für das ich im Rahmen eines Praktikums tätig war. Ohne auf die einzelnen Ergebnisse hier eingehen zu wollen und ohne in weiterer Folge auf das Spektrum tabuisierter und grenzverletzender Medieninhalte Bezug zu nehmen, möchte ich kurz, sowohl die inhaltliche als auch die methodische Inspiration, die ich durch diese Studie gewann, ausführen.

Inhaltlich gab diese Studie einen fundierten Einblick in das Mediennutzungsverhalten von jugendlichen Männern und Frauen. Die entwicklungsspezifischen Besonderheiten der Ju- gendlichen im Hinblick auf ihre Medienpräferenzen wurden ebenso erhoben wie ihre Wahrnehmungen und Beurteilungen gegenüber einzelnen Medieninhalten. Die Wahrneh- mungsebene wurde im Rahmen eines qualitativen Forschungszugangs2 methodisch an- hand zweier Gruppendiskussionen untersucht.

1 In dieser Arbeit werden in Form des Unterstriches (bsp. Rezipient_innen, Protagonist_innen) die Geschlechts- zuschreibungen von feminin und maskulin zugunsten einer individuellen Subjektverortung aufgebrochen. 2 Die Studie umfasst sowohl eine qualitative als auch eine quantitative Untersuchung. Erstere diente als Basis für die Entwicklung einer standardisierten Befragung.

1 Dabei beschränkte sich die Untersuchung lediglich auf eine deskriptive Auswertung der Daten und ließ dahinterliegende Faktoren, die auf die Wahrnehmung und die Bedeu- tungskonstruktion der Rezipient_innen Einfluss nehmen, unberücksichtigt. Hierbei spre- che ich vor allem von den Gruppenbezügen, die die Akteur_innen zum Zeitpunkt der Rezeption haben, oder aber auch von ihren sozialräumlichen und milieuspezifischen Hin- tergründen, die ihre im Prozess der Medienaneignung aktualisierten Sinndeutungssyste- me, maßgeblich mitbestimmen. Dieser Umstand erweckte mein Interesse für die Frage, wie und warum mediale Texte auf die eine oder andere Art und Weise entschlüsselt wer- den. Ebenso interessiert die Frage ob, und wie die Beforschten die medialen Texte in ihre Lebenswelt bzw. in ihr Alltagsleben integrieren.

Meine methodische Herangehensweise ist mit zwei Gruppendiskussionen auf den ersten Blick identisch mit jener der ZDF-Studie. Allerdings unterscheiden sich die beiden Zu- gänge wesentlich in ihrer ergebnisorientierten Ausrichtung. Während ich mich ausschließ- lich auf bereits konstituierte Gruppen, die außerhalb des künstlichen Settings existent waren, festlegte, wurden die Gesprächsteilnehmerinnen der anderen Studie nach soziode- mographischen Merkmalen ausgesucht. Welche Unterschiede das im Einzelnen mit sich bringt, wird in dieser Arbeit an anderer Stelle noch genauer erörtert.

Im Rahmen der Gruppendiskussionen wurden Videosequenzen eingespielt, über die sich die Beforschten diskursiv austauschten. Gezeigt wurden exemplarische Ausschnitte der Castingshow Blockstars – Sido macht Band3. Weshalb gerade das Format Castingshow ausgewählt wurde, liegt darin begründet, dass es bei Jugendlichen sehr beliebt ist, weil es nahe an die Realität der jungen Erwachsenen heranrückt, indem es Alltagsmenschen präsentiert, die sich meist in derselben Lebensphase4 befinden. Laut Studien (darunter auch die des ZDF) sind es vor allem jugendliche Mädchen, die Castingshows anschauen und sich häufig bis regelmäßig darüber im Freundeskreis austauschen. Unter anderem auch ein Grund, weshalb ausschließlich weibliche Rezipientinnen in die Untersuchung aufgenommen wurden.

3 Zur Vereinfachung wird der Titel im Folgenden fast ausschließlich durch die Abkürzung BSmB ersetzt. 4 In den Castingshows, die nach zukünftigen Topmodels suchen, sind die Kandidaten kaum älter als 19 Jahre.

2 Ziel dieser Arbeit ist die Rekonstruktion der Sinndeutungen und Identitätskonstruktio- nen, die die Mädchen im Prozess der Medienrezeption hervorbringen. Dafür muss Me- dienrezeption als ein Aneignungsprozess verstanden werden, der dem kreativen Handeln der Menschen zugrunde liegt. Um die Frage, wie mediale Texte gelesen werden, überhaupt beantworten zu können, muss vorausgesetzt werden, dass dem_der Rezipient_in Hand- lungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die ihm_ihr erlauben, den Text unterschiedlich zu interpretieren. Konstituierend für die weiteren Ausführungen der Medienaneignung sind hierfür vor allem die Theorien der Cultural Studies sowie die konstruktivistische Handlungstheorie des Symbolischen Interaktionismus.

In Anlehnung an Werner Mangold (1960) gehe ich davon aus, dass die Gesprächsbetei- ligten Gruppenmeinungen nicht erst in der Diskussion produzieren, sondern diese dort lediglich aktualisieren. Das bedeutet, dass sich in den postulierten Meinungen der Be- forschten gleichzeitig auch ihre soziale Lage ausdrückt. Aus diesem Grunde wurde das Datenmaterial nach der dokumentarischen Methode nach Ralf Bohnsack analysiert. Mit ihr gelingt es in den konjunktiven Erfahrungsraum, d.h. in die gemeinsamen Erlebnis- bzw. Erfahrungshintergründe der Gesprächsbeteiligten einzudringen. Dadurch lässt sich der soziale Habitus der Beforschten aufspüren. Wird also der Prozess der Medienaneig- nung als kreatives Handeln verstanden, so ist dieses Handeln maßgeblich durch die be- reits vorhandenen sozialen Strukturen, die wir in unserer Gesellschaft vorfinden, geprägt. Kreatives Handeln bedeutet nicht, dass wir bereits erlernte Handlungs- und Denkmuster über Bord werfen und soziale Praktiken täglich neu erfinden. Vielmehr kann „der Mensch [.] als gewordenes, habitualisiertes Wesen verstanden werden, das aber im Prinzip immer die Möglichkeit behält, seine Handlungsweisen zu hinterfragen und zu überwinden, wenn auch immer auf Basis habitualisierter Strukturen“ (Krotz/Thomas 2008, 31).

Um zu den empirischen Forschungsergebnissen hinzuführen, werden im unmittel- bar darauffolgenden zweiten Kapitel die besonderen Charakteristika von Castingshows vorgestellt. Exemplarisch werden ihre Merkmale an der für diese Arbeit ausgewählten Castingshow Blockstars – Sido macht Band konkretisiert. Weshalb gerade diese Sendung mein Interesse weckte, wird in der Beschreibung ihres Inhaltes sowie in der soziologi-

3 schen Analyse ihrer Botschaften, die sie vermittelt, dargelegt. Anschließend werden die unterschiedlichen Paradigmen der Rezeptionsforschung präsentiert, die bereits eine hin- reichende Erklärung für das im dritten Kapitel beschriebene Forschungsdesign liefern. Eine genaue Begründung für das methodische Vorgehen dieser Arbeit findet sich in den methodologischen und forschungspraktischen Ausführungen zur Gruppendiskussion als Erhebungsinstrument sowie zur dokumentarischen Methode als Analyseverfahren. Im vierten Kapitel werden die Ergebnisse der empirischen Untersuchung präsentiert. Dafür werden die beiden Gruppen zunächst einzeln hervorgehoben, bevor sie in einer abschlie- ßenden Diskussion einander gegenübergestellt werden. Das fünfte Kapitel stellt schließ- lich die wesentlichen Aussagen dieser Untersuchung nochmals kurz und komprimiert dar.

4 2. Sozialwissenschaftliche Reflexionen zur Popu- larität des Reality-TV

Das Reality-TV ist zu einem fixen Programmangebot der deutschen Fernsehlandschaft avanciert. Während früher Fernsehformate das Publikum mit dem glamourösen Lebens- stil attraktiver Schauspieler_innen anzogen, feiert das Reality-TV gerade mit dem Gegen- teil große Erfolge. Der Reiz am Reality-TV liegt in der nichts zu verpflichtenden Teilhabe am gewöhnlichen Leben von Alltagsmenschen, deren Lebensumstände und Strategien zur Bewältigung dieser hautnah miterlebt und sich gleichzeitig aus weiter Entfernung an- geeignet werden können.

In diesem Kapitel wird anhand der Sendung BSmB die mediale Inszenierung von All- tagsmenschen exemplarisch dargestellt und soziologisch reflektiert. Zugleich wird auch das Phänomen der Medienaneignung bzw. Medienrezeption aus der Perspektive unter- schiedlicher sozialwissenschaftlicher Theorien beleuchtet. In der Auseinandersetzung mit Fragen, wie Rezipient_innen mediale Botschaften annehmen, wie sie Lesarten generieren und wie Medieninhalte Bestandteil ihres Alltags werden, versteht sich das Publikum nicht mehr nur als Mediennutzer, sondern auch als Mediengestalter.

2.1 Castingshows – Gedanken zum Genre

2.1.1 Castingshows als Nachfolger früherer Talent-Wettbewerbe

Vor rund einem Jahrzehnt erwuchs ein enormer Hype um Castingshows, der sowohl von privaten als auch von öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten mitausgelöst und vorange- trieben wurde. Dieser Hype hält bis heute an und macht dieses Format nach wie vor zu einem fixen Bestandteil des Programmangebots.

Im deutschen Fernsehen wurde die erste Castingshow im Jahre 2000 ausgestrahlt. Damals suchte RTL II mit Popstars nach weiblichen Talenten für eine Mädchenband und konnte

5 insbesondere in der Altersklasse der 14-29 Jährigen hohe Marktanteile erzielen.5 Zwei Jahre später sorgte Deutschland sucht den Superstar, die deutsche Version der britischen Castingshow Pop Idol, für Gesprächsstoff. Ihr Hauptjuror Dieter Bohlen hat die Sendung hierzulande zur erfolgreichsten ihres Formates gemacht und erreichte in der ersten Staffel zeitweilig einen Marktanteil von über 40 Prozent (vgl. Lünenborg et al. 2011, 26; Klaus/ Lücke 2003, 195).

Während in Castingshows zu Beginn vorwiegend Musik- und Tanzwettbewerbe ausge- tragen wurden, entstanden mit der Euphorie um dieses Format auch eine Menge anderer Ableger. Pro Sieben castet Models (Germany’s next Top Model), Schauspieler (Bully sucht die starken Männer), Ehe-und Beziehungspartner (Giulia in Love), Jobbewerber (Deine Chance! Drei Bewerber, ein Job), RTL sucht das Supertalent und ZDF Nachwuchspolitiker (Ich kann Kanzler). Einige der beispielhaft ausgewählten Shows wurden einmalig ausge- strahlt, andere halten sich seit x Staffeln im Programm.

Dabei sind Castingshows keine Neuerfindung der 2000er Jahre, sondern erwachsen aus der Tradition früherer Talentwettbewerbe, wie etwa Toi Toi Toi – Der erste Schritt ins Ram- penlicht (ARD 1958-1961), Talentschuppen (ARD 1966-1981) oder Wer will der kann – Die Talentprobe für jedermann (vgl. Klaus/O‘Connor 2010).

Während frühere Talentwettbewerbe lediglich Talente entdeckten, werden diese in heu- tigen Castingshows entwickelt und hervorgebracht (vgl. ebd, 51). Simon Fuller, der bri- tische Musikproduzent und Erfinder der Castingshow Pop Idol, welche sozusagen als die Mutter aller Castingshows gilt, sagt offen: „Ich mache Stars. Das ist mein Geschäft“ (Schulz, 2003).

Stars zu machen bedeutet dem Publikum nicht nur die künstlerischen Darbietungen der Akteur_innen vorzuführen, sondern, viel wichtiger noch, deren Persönlichkeiten zu in- szenieren und die einstigen Unbekannten in Identifikations- und Orientierungsfiguren zu verwandeln. Dazu muss das Publikum die Möglichkeit erhalten, die Menschen abseits der

5 Popstars war 12 Jahre lang fixer Bestandteil des Programmangebots von RTL II. In diesem Jahr findet die Sen- dung aufgrund mangelnder Einschaltquoten ihr vorzeitiges Ende. Auch andere, alteingesessene Castingshows wie beispielsweise DSDS oder GNTM bekommen mittlerweile Probleme mit dem zunehmenden Publikumsschwund. Das Jahr 2013 wird aller Voraussicht nach eine Wende für die einstige Popularität der Castingshows darstellen.

6 Bühnenpräsenz kennenzulernen, weshalb die Sendungsdramaturgie sowohl die Offenle- gung des Herkunftsmilieus, der Familiensituation, des sozialen Umfeldes als auch Bericht- erstattungen über vergangene (im besten Falle skandalträchtige) Lebensabschnitte und Einblicke in das derzeitige Privatleben der Darsteller_innen vorsieht. Dies suggeriert den Zuschauer_innen eine besondere Nähe zu den Kandidat_innen, die in der Beobachtung des inszenierten sozialen Handelns auf der Bühne mitunter verstärkt wird. Das Publikum wird dazu angeregt Favorit_innen zu ernennen, mit denen es Woche für Woche um den Sieg mitfiebert, der am Ende jeder Staffel nur einer_m Kandidatin_en vergönnt ist. Das Sendeformat ist daher stark danach ausgerichtet, parasoziale Interaktionen bzw. Bezie- hungen zu fördern, um das Interesse an der Show über die Rezeption hinaus aufrecht zu erhalten (vgl. Kap. 2.3.4.1).

2.1.2 Castingshows als Sub-Genre des Reality-TV

Castingshows gehören zur Genrefamilie des performativen Realitätsfernsehens. Angela Keppler bezeichnet damit Sendungen, in denen anstelle von Schauspieler_innen „reale“ Menschen die Medienbühne betreten. Genauer gesagt „umfasst [es] jene Sendungen, die eine Bühne für nicht-alltägliche Inszenierungen sind, jedoch zugleich direkt in die Alltags- wirklichkeit nicht-prominenter Menschen eingreifen“ (Keppler 1994, 8f).

Dazu zählen mitunter auch Castingshows, weil sie, wie bereits besprochen, keine reinen Talentwettbewerbe darstellen, sondern vielmehr als hybride Show- und Unterhaltungs- formate gedacht sind, die im Gegensatz zu ihren Vorgängern auch Elemente anderer Fernsehgattungen aufweisen, wie zum Beispiel die der Serie oder Dokumentation.

Diese hybride Zusammensetzung ist auch für andere Subgenres des performativen Reali- tätsfernsehens konstitutiv. In Abbildung 1 werden die Subgenres, die sich zum Zeitpunkt des Jahres 2003 als eigenständige Formate ausdifferenziert haben, vorgestellt. Obwohl sich mittlerweile wieder einige neue Ausrichtungen finden, können diese hier nicht näher ausgeführt werden.6

6 In Lünenborg et al. (2011) finden sich einige dieser neuen Formate des performativen Reality-TV.

7 Diese Formate geben Einblicke in das Beziehungs-Shows soziale Umfeld von Alltagsmenschen Nur die Liebe zählt (Sat.1) und dokumentieren deren zumeist außergewöhnliche Lebensabschnitte. Beziehungs-Game-Shows Traumhochzeit (RTL) Obwohl die persönlichen Geschichten und Erlebnisse der Akteur_innen auf Reality-Dating-Shows einem realen Hintergrund basieren, Bauer sucht Frau; Das Geschäft mit der Liebe (beide ATV) werden diese medial konstruiert wied- ergegeben. Problemlösesendungen Raus aus den Schulden; Die Supernanny (beide RTL)

Doku Soap Im Unterschied dazu ist der Drehort in Goodbye Deutschland (VOX) Reality-Soaps und Castingshows nicht TV Reality Performatives das gewohnte, alltägliche Umfeld, Reality-Soap sondern ein unbekanntes, eigens für Big Brother (RTLII) die Show arrangiertes Setting, in das sich die Protagonist_innen begeben, Castingshows Austrias Next Topmodel (PULS 4); Starmania (ORF) um dort schwierige Situationen und Aufgaben zu bewältigen.

Abbildung 1: Unterschiedliche Genres des performativen Realitätsfernsehens Eigene Darstellung in Anlehnung an Klaus/Lücke 2003, 200.

Weil Reality Formate Anteile aus unterschiedlichen Fernsehgattungen nehmen und sie diese zu etwas einzigartig Neuem vermischen, erodieren sie die Grenzen zwischen Au- thentizität und Inszenierung, verschleiern eine klare Orientierung nach Unterhaltung und Information und machen das vermeintlich Alltägliche zu etwas Außergewöhnlichem (vgl. Klaus/Lücke 2003, 204).

Klaus und O‘Connor halten es mittlerweile sogar für angemessener, das Reality-TV nicht als Genrefamilie, sondern vielmehr als „neue[.] dauerhafte[.] Angebotsform des Fern- sehens“ zu bezeichnen (Klaus/O‘Connor 2010, 51). Denn Reality-Formate durchbre- chen die bis in die 1990er Jahre geltende Konvention der Sendeanstalten, zwischen den Programmlinien von Unterhaltung und Information zu trennen. Mit ihnen werden diese Grenzen vermeintlicher Gegensätze aufgeweicht.

„Docu Soaps und Reality Soaps bewegen sich im Spannungsfeld zwischen Au- thentizität und Inszenierung, zwischen Realität und Fiktion. Sie möchten den Schein von Authentizität aufrecht erhalten, während sie tatsächlich Realität insze- nieren (Klaus/Lücke 2003, 205).

8 Den Schein von Authentizität aufrecht zu erhalten stellt für die Produzent_innen rund zwei Jahrzehnte nach Markteinführung (das Reality-TV etablierte sich zu Beginn der 1990er Jahre) eine herausfordernde Aufgabe dar. RTL II hat Ende der 1990er Jahre in der Presseausschreibung zur Doku Soap Reeperbahn! (1999)7 mitgeteilt: „Keine Szene wird ge- stellt, wir begleiten unsere Darsteller mit der Kamera und lassen sie einfach erzählen (…): ‚Dialoge schreiben wir nicht, die liefern uns unsere Darsteller‘“ (zit.n.Klaus/Lücke 2003, 204). Diese Konstatierung rief sicherlich einiges an Kritik hervor, jedoch im Vergleich zu heute vermutlich in einem viel geringeren Ausmaß. Es fehlten die Erfahrungswerte, und die Ähnlichkeit zu den bekannten dokumentarischen Filmaufnahmen legte den Glaube an Authentizität näher als heute. Denn im letzten Jahrzehnt (hier vor allem auf Privat- sendern) verstärkte der explosionsartige Anstieg der Reality-Formate den Kampf um die Quote, der zu einer zunehmend dramatisierenden Darstellung der Geschichten führte und damit gleichzeitig die Durchlässigkeit der Inszenierungsmethoden begünstigte. Mitt- lerweile gibt es zu viele Kritiker und kaum einen Tag, an dem die Medien, allen voran die Feuilletonblätter, nichts über die Opfer, den Voyeurismus, die Klischees und natürlich die gezielte Manipulation dieser Formate berichten. Es gibt bereits eine Vielzahl von Rezipi- ent_innen, die ihr Wissen um die Inszenierung unbeeindruckt hinnehmen und trotzdem an der regelmäßigen Konsumation festhalten (vgl. Gräßer/Riffi 2012).

Von dieser Perspektive aus betrachtet wählen einige Programmverantwortliche auch die Flucht nach vorne und stehen offen zu den Inszenierungsmethoden. Es ist mitunter kein Geheimnis mehr, dass Castingshows ihr Verständnis von Unterhaltung nicht auf das Prä- sentieren außergewöhnlicher Talente richten, sondern auf die Vorführung möglichst he- terogener sowie telegener Persönlichkeiten, die mit ihrem authentischen und performati- ven Selbst vermarktbar und in der Lage sind, das Publikum zu polarisieren. Daraus macht RTL – Unterhaltungschef Tom Sänger im Gespräch mit Jochen Voss auch keinen Hehl, wenn er zugibt, dass Deutschland sucht den Superstar in der Staffel 2009 vorwiegend als Doku-Soap konzipiert war (vgl. ebd.). Damals schaffte es eine teilnehmende Kandidatin, ganz im Sinne des Programmverantwortlichen Tom Sänger, die Gemüter zu erhitzen und

7 Laut Klaus/Lücke behauptet RTL II mit der Sendung „Reeperbahn!“ die erste Doku-Soap im Privatfernsehen ausgestrahlt zu haben. (vgl.Klaus/Lücke 2003, 204)

9 das Publikum in Sympathisanten und hasserfüllte Gegner zu spalten.

„Annemarie Eilfeld ist fantastisch im Storytelling dieser Staffel. Zehn nett ausse- hende, nett singende, sich nett behandelnde Konkurrenten wär die Entdeckung der Langeweile. Das ist nicht die Vision, die ich von einem Fernsehprogramm habe. Das ist dann ein schöner Musikwettbewerb, den kann man aber woanders machen und wahrscheinlich auch nicht mit 30 Prozent“ (Voss 2009).

Und dennoch hält sich das Reality-TV insgesamt sehr bedeckt mit den angewandten In- szenierungsmethoden. Denn anders als Tom Sänger, der offen mit dem bewusst in Szene gesetzten Konkurrenzkampf der Castingshowkandidat_innen umgeht, möchten Doku- Soaps nach wie vor die „ungeschminkten“ und „wahren“ Geschichten von Alltagsmen- schen präsentieren, die das Publikum bedarfsorientiert für sich verwerten kann. So infor- mieren sie nicht nur über alltagsrelevante Themen wie Schwangerschaft (Teenager werden Mütter), Kindererziehung (Die Supernanny), Partnervermittlung (Bauer sucht Frau) oder Gewichtsverlust (The Biggest Looser), sondern vermitteln auch Normen und Werte im sozialen Umgang miteinander. Beispiele an Konfliktbewältigung, Versöhnungsritualen, Emotionsmanagement oder auch an gemeisterten schwierigen Lebenssituationen rufen bei den Zuseher_innen vertraute Momente hervor und bieten einzelnen Personen prakti- sche Orientierungshilfen (vgl. Klaus/Lücke 2003, 205).

Die Protagonist_innen, die in diesen Sendungen auftreten, erklären sich ihrerseits dazu bereit, jene für sie relevanten Themenbereiche öffentlich zu verhandeln, die früher als Privatangelegenheiten unter Verschluss gehalten wurden. Es besteht daher zweifelsfrei „ein starkes persönliches Bedürfnis […] Gefühle in der Öffentlichkeit auszudrücken und gemeinschaftlich zu erfahren, ein Anliegen, das durch Normen im Umgang mit Privatheit und Intimität unterdrückt wird“ (Koenen/Michalski 2002, 97).

Gleichzeitig bedeutet dies aber, dass die Lebenswelt und die Geschichten der Protago- nist_innen in dramatisierter Form zum außergewöhnlichen Fernsehereignis hochstilisiert werden, während sie selbst (wenn auch meistens nur für kurze Zeit) zu Medienstars mu- tieren. Ein Vorgehen, das nicht zuletzt einen massiven Eingriff in das Alltagsleben der Protagonist_innen bedeutet und gleichzeitig ein, dem performativen Realitätsfernsehen, konstitutives Merkmal darstellt (vgl. Klaus/Lücke 2003, 207).

10 Hierin zeigt sich, dass nicht nur die Sphären des Öffentlichen und Privaten fließend in- einander übergehen, sondern auch, dass sich der Kontrast zwischen „Alltag und Exotik“ auflöst. So präsentiert das Reality-TV die routinierten, gewohnten und selbstverständli- chen Handlungspraxen seiner Akteur_innen, während diese für ihre Fernsehpräsenz da- von herausgerissen werden und den Alltag vor der Kamera nun vielmehr reflektierend als unmittelbar erleben (vgl. ebd.).

Auch in BSmB, welche Gegenstand der Untersuchung ist, werden die Kandidat_innen8 aus ihrem Alltagsleben herausgerissen. Anders als in Doku-Soaps finden die Dreharbeiten hauptsächlich in einer künstlich eingerichteten, fremden Umgebung statt, in der sich die Teilnehmer_innen aufgrund fortwährender Aufgabenbewältigung in einer Wettkampfsi- tuation befinden.

„Die Gestaltung dieses künstlichen Lebensraumes ermöglicht den Machern der Reality-Soap, extreme Lebensbedingungen zu schaffen und dadurch die Kom- munikation und Aktionen der Kandidatinnen und Kandidaten zu beeinflussen. Durch die Konkurrenzsituation steht deren Zusammenleben in der Spannung zwischen Gruppenharmonie und persönlicher Profilierung, so dass sich im Gen- re typische Elemente der Soap Opera, wie Melodramatik, Streit, Eifersucht und Neid, Versöhnung und Rivalität, finden“ (Klaus/Lücke 2003, 201f).

BSmB weist demzufolge typische Merkmale von Reality Soaps auf. Wikipedia spricht sogar umgekehrt von einer „Mischung aus Reality-TV und Dokumentation, [in welche auch] Elemente einer Castingshow mit[einfließen]“ (Wikipedia 2012a). Blockstars ist da- her ein Hybridformat, dessen verhältnismäßige Anteile aus unterschiedlichen Reality-TV Gattungen nicht genau benannt werden können.

8 Wie in Kap. 2.2.1 näher ausgeführt, gibt es in Blockstars – Sido macht Band sowohl männliche als auch weibli- che Kandidat_innen. Da ich mich in dieser Arbeit jedoch überwiegend auf die männlichen Kandidaten beziehe, wird im weiteren Verlauf fast ausschließlich die männliche Form verwendet.

11 2.2 Über das Hybridformat Blockstars – Sido macht Band

2.2.1 Zum Inhalt der Sendung

Im Dezember 2011 strahlt der österreichische Rundfunk mit BSmB eine Castingshow aus, die das Unterhaltungsangebot der jugendorientierten Programmschiene Donnerstag Nacht9 erweitert. Der Titel ist Programm: Sido, ein deutscher Rapstar, sucht männliche Ju- gendliche aus sozial schwachen Milieus, die mit Arbeitslosigkeit, Drogenproblemen oder Gesetzeskonflikten am Rande des sozialen Abgrundes stehen und sich aus eigener Kraft keine stabile Zukunft aufbauen können. Via YouTube Video möchte Sido sein Zielpubli- kum erreichen und es für sein Musikprojekt begeistern.

Diese Information erhält der_die Zuseher_in in der ersten Folge, in der behauptet wird, dass Sidos Aufruf zu einer großen Resonanz an Bewerbern geführt habe.10 Sidos Auf- nahmekriterien richten sich weniger an die individuellen musikalischen Talente, als viel- mehr an den Grad der sozialen Bedürftigkeit. Da er behauptet, diesen nicht aus einem Bewerbungsschreiben herauslesen zu können, macht er sich, gemeinsam mit seinem Ka- merateam (und zugleich auch mit den Rezipient_innen), auf den Weg, die Bewerber und deren Umfeld persönlich kennenzulernen. Im Rahmen von Homestorys (vgl. Gräßer/ Riffi 2012, 20) wird die Familiengeschichte der Kandidaten mit Fotostrecken und MAZ- Einspielern (inklusive Musikunterlegung und Zeitlupenaufnahmen) filmisch aufbereitet und erzählt.

Bei den Kandidaten handelt es sich um insgesamt sechs Jugendliche, deren Schicksale, wie Sido behauptet, ihm nicht gleichgültig sind. Wie etwa das des arbeitslosen Schulab- brechers Michael Göbl (19), der im Alkoholikermilieu aufgewachsen ist und gemeinsam mit seinem alkoholkranken Stiefvater auf 20 qm² wohnt. Sido nimmt Michael trotz seines

9 Wikipedia beschreibt die Donnerstag Nacht als eine „Fernsehprogrammschiene des Österreichischen Rund- funks, die auf eine gebildete, junge Zuschauerschaft abzielt“ (Wikipedia 2012b). 10 Die Information um eine hohe aktive Bewerberanzahl wurde fingiert. Tatsächlich hat die vom ORF beauf- tragte Firma Superfilm aktive Anfragen an einschlägige Communities und Behörden gestartet, um über Sozialar- beiter, Streetworker usw. an potentiell Interessierte heranzukommen. Meine Informationen beziehe ich aus einem internen Emailverkehr zwischen Superfilm und Grazer Jugendwohlfahrtsbehörden sowie der Stadt Graz.

12 mangelnden Gesangstalentes in das Bandprojekt mit der Überzeugung auf, er bzw. diese Sendung wären die einzige reale Chance auf Besserung seiner Lage. Dazu Sido wörtlich: „Wer wird jemals ein Auge auf dich werfen, wer soll jemals glauben, dem Jungen muss ich helfen? Das wird keiner tun. Ich kann dich hier nicht lassen, auch wenn ich jetzt mein Gesicht als Musiker verliere und jetzt jemanden mitnehme der nicht gut genug rappen kann“ (Folge 1 am 15.11.2011).

Auch Dragan Jurić (21) hofft auf eine Aufnahme in die Sendung. Er hat in seiner Kind- heit regelmäßig physische und psychische Übergriffe des Vaters erlitten, die ihn seither als seelische Traumata begleiten. Im Alter von 16 Jahren bricht er die Schule ab, um sich finanziell (und emotional) um seine schwer depressive Mutter zu kümmern, mit der er auf engstem Raum zusammenlebt.

Ein weiterer Kandidat ist Daniel Niedermayr (25), der, wie genauso wie seine Mitstrei- ter, seit seiner Kindheit mit massiven Problemen kämpft. Mit 11 Jahren stirbt sein Vater. Seine Mutter kann den Tod nicht verkraften, wird alkoholabhängig und übergibt Daniel der Fürsorge. Als Heimkind gerät er auf die schiefe Bahn, konsumiert alle erdenklichen Drogen, wird heroinabhängig und später auch spielsüchtig. Seit zwei Jahren versucht der Langzeitarbeitslose sein Schicksal zu wenden, um mit seiner Frau und der gemeinsamen Tochter ein einigermaßen harmonisches Familienleben zu führen. Die Familie plagen ernstzunehmende Schulden, weil Daniel das monatliche Gehalt seiner Frau oftmals für seine Spielsucht ausgibt. Sie droht ihm regelmäßig mit der Scheidung falls es ihm nicht gelingen sollte, den Teufelskreis zu durchbrechen. Sein Ticket in die Show löst er, nach eigener Aussage, vor allem für seine Tochter, der er ein gutes Vorbild sein möchte.

Marco Grgić (27), ein kroatisch-stämmiger Bosnier, der seit 15 Jahren illegal in Österreich lebt, keiner geregelten Arbeit nachgeht und Drogenprobleme hat. Ihm droht die Auswei- sung und er sieht in Sidos Bandprojekt die letzte Chance, einen dauerhaften Aufenthalts- titel zu erwerben.

Genauso wie die anderen ereilt auch Claus Willixhofer (19) das Schicksal keine Arbeit zu finden. Aufgrund einer schweren Augenkrankheit ist er massiv eingeschränkt und hat auf alle seine bisherigen Bewerbungen eine Absage bekommen. Last but not least ist auch

13 Benjamin Koeberlein (27) Teil der Auserwählten. Er ist der einzige Deutsche in der Run- de und erhält von Sido eine Wildcard.

Die Kandidaten bleiben in der Sendung allerdings nicht unter sich, sondern bekommen weibliche Verstärkung in Form dreier Mädchen, die um die weibliche Stimmbesetzung in der Band konkurrieren. Denn Sido möchte mit den Gewinner_innen der Show die deut- sche Version der amerikanischen HipHop Band Black Eyed Peas gründen. Das bedeutet, dass nur die Hälfte der männlichen und ein Drittel der weiblichen Blockstars Kandi- dat_innen ihr Ziel erreichen werden. Während die männlichen Jugendlichen den Erfolg vor allem für den sozialen Aufstieg anstreben, lastet auf den Mädchen diesbezüglich ein weitaus geringerer Druck, da sie, wie die Sendung mehrmals betont, aus sozial stabilen Verhältnissen kommen.

Portraitfotos von links nach rechts: Michael Göbl, Dragan Jurić, Daniel Niedermayr, Marco Grgić, Claus Willixhofer, Benjamin Koeberlein © Fotos: ORF/Thomas Ramstorfer

Mit ihrer Zusage zum Projekt haben sich die Protagonist_innen bereiterklärt, während ih- rer Teilnahme in eine 650 m² große Loftwohnung im dritten Wiener Gemeindebezirk zu ziehen. Wie sich an den Portraitfotos der Kandidaten, die neben einer Wandsäule stehen, zeigt, werden den Bewohner_inner der Loft WG klare Regeln auferlegt; Regeln die auf

14 deviante Jugendliche zugeschnitten sind und die sich vor allem an die männlichen Kandi- daten richten („Du benutzt keine Waffen“; „Keine Gewalt! Du wehrst dich mit Worten!“)

Uli Jähner findet kritische, aber sehr treffsichere Worte für die Beschreibung dieses künst- lich arrangierten Settings:

„Die Castingshow wäre freilich nur ein Mix altehrwürdiger Hitparaden und Ta- lenteschuppen, erhielte sie nicht durch Anklänge ans Container Prinzip des Big Brother ihren letzten Schliff. Die Kandidaten […] werden nun endgültig aus ih- rem bisherigen Leben gehoben und gemeinsam in ein Haus des Senders ver- bracht – das große Sozialexperiment, ein Star zu werden, findet im freiwilligen, von unkontrollierten Außenkontakten abgeschnittenen Asyl und unter fast per- manenter Beobachtung durch die Kameras statt“ (Jähner 2005, 620).

Ein Asyl, in dem die aus schwierigen Verhältnissen stammenden männlichen Kandidaten eine Welt entdecken, die sie zuvor noch nie gesehen haben und von der sie glauben, dass sie im Falle ihres Erfolges Wirklichkeit wird. Davon zeugt nicht zuletzt Dragans über- glückliche Reaktion auf die Zusage seiner Teilnahme: „Vielleicht schaff ich es vom Dreck ans Licht“ (Folge 1 am 15.12.2011). Eine Aussage, die zugleich den Sinn des gesamten Showspektakels auf den Punkt bringt. Schließlich geht es darum, das soziale Elend in all seinen Facetten zu durchleuchten und das armutsgebeutelte Individuum dabei zu beob- achten, wie es stark und heroisch um seine eigene Existenz kämpft, ehe es mit Ruhm und Prominenz belohnt werden sollte. Ein aus dieser Perspektive makabrer Leistungswettbe- werb, der im menschlichen Zoo der Container-Unterkunft à la Big Brother ausgetragen und entschieden wird. Der Stoff der Erzählung speist sich aus dem immensen Bruch zwischen Alltagswelt und neu gelebter Scheinwelt. Die Protagonist_innen werden dazu aufgerufen, sich bewusst mit der eigenen Herkunft auseinanderzusetzen und sich mit den bestehenden Milieuunterschieden, die zwischen den männlichen und weiblichen Kan- didat_innen vorherrschen, zu konfrontieren. Der Plot, die Handlung selbst, ergibt sich schließlich aus den Interaktionen der Beteiligten, in der auch ihre Selbstreflexion über den zwischenmenschlichen Umgang sowie über die mediale Situation sichtbar wird.

15 2.2.2 Was die Sendung vorgibt zu sein

Das Konglomerat aus performativem Realitätsfernsehen und Wohltätigkeitsprojekt be- wegt sich auf dem schmalen Grat zwischen aufklärender Bewusstseinsbildung und me- dienethischer Grenzüberschreitung. Letzteres lässt sich an unzähligen Stellen und nicht zuletzt bereits im Vorspann vermuten, der mit den reißerischen Schlagworten „Drogen“, „Gewalt“, „keine Perspektive“ die landläufige Vorstellung der No-Future Generation be- dient und mit dem nachfolgenden Bild jointrauchender Jugendlicher logisch fortsetzt und bestätigt. Die darauffolgende Szene zeigt Sido aus einer von unten nach oben gerichteten Kameraperspektive, die ihn in seiner vollen Größe übermächtig erscheinen lässt. Das Bild wird mit imposanter Musik und einer Stimme aus dem Off unterlegt, die Sido als Wohltäter vorstellt, der ausgewählte, sozial benachteiligte Jugendliche unterstützen und ihnen helfen möchte, den Weg zurück ins Leben zu finden. Ein Hilfsprojekt, das nicht nur medial in Szene gesetzt wird, sondern das als eigenständiges Unterhaltungsformat einem Massenpublikum Einblicke in die intime Privatsphäre und in die elende Wirklichkeit der jungen Parias gewährt.

Die Sendungsverantwortlichen haben offenbar mit Kritikern gerechnet, die darin mehr eine Marketingstrategie des Moderators und Hauptdarstellers Sido, als ein ernstzuneh- mendes karitatives Anliegen sehen könnten. Denn Sido nimmt bereits in der ersten Folge eine verteidigende Haltung ein und wiegelt etwaige Befürchtungen ab, die Sendung würde ihre Protagonisten voyeuristisch zur Schau stellen und für den Unterhaltungszweck inst- rumentalisieren. Mit zahlreichen Argumenten spricht er sich gegen den augenscheinlichen Verdacht der publikumswirksamen Vorführung schicksalsgebeutelter Biographien aus. Dramaturgisch wird Sidos Rechtfertigung dort in Szene gesetzt, wo er das Plattenlabel Universal Music als Partner akquirieren und dessen Chef Hannes Eder von seinem Pro- jekt überzeugen möchte. Während der Verhandlungsgespräche stellt Eder die Frage: „Wie können wir sicherstellen, dass in deinem Format wirklich der Unterstützungsgedanke und das Band- und Musikprojekt im Vordergrund steht und nicht das andere [Anm. die vo- yeuristische Zurschaustellung der Kandidaten]? Wie verhindern wir Zynismus?“ Darauf- hin stellt Sido klar: „So einen normalen Österreicher, für einen normalen Zuschauer, der

16 mindestens aus der Mittelschicht kommt, für den ist das schockierend so was zu sehen, da bin ich mir sicher. Aber niemand wird lächerlich gemacht“. In seinen unmittelbar darauf folgenden Ausführungen untermauert Sido zugleich auch den Authentizitätscharakter der Sendung: „Ich find das nicht zynisch. Ich find das ehrlich. Wir stellen ja nichts. Wir sagen ja niemandem, mach‘ dich mal besonders blöde oder so“ (Folge 1 am 15.11.2011).

Auf einer Bühne, wo etwaige Bedenken zum natürlichen Bestandteil der Verhandlungsge- spräche werden und wo ehrliche Ambitionen genauso wie transparente Darstellungen der Protagonist_innen propagiert werden, lässt sich immer noch keine Antwort auf die Frage finden, wie sich ein soziales Hilfsprojekt denken lässt, das in einem leistungsorientierten Unterhaltungsformat eingebunden ist, welches danach trachtet die Spreu vom Weizen zu trennen. Den vordergründigen Widerspruch möchte Sido entkräften, indem er die Cas- tingsendung an die besonderen Bedürfnisse seiner Teilnehmer anpassen möchte. „Auch wenn es jemand nicht in die Band schaffen sollte, was der Fall sein kann, dann verspreche ich, dass ich mich um denjenigen kümmern werde. Dieses Versprechen hab ich gegeben und das werde ich halten“ (Folge 8 am 02.02.2012).

Gemäß dem Titel Blockstars – Sido macht Band versucht das Projekt auch die musikali- schen Interessen seiner Zuschauerschaft zu bedienen. Dies sei weit verfehlt, meint zumin- dest Jan Braula, Autor des HipHop Magazins Message, der in seinem kritischen Beitrag zur Sendung konstatiert, das betreffende Musikgenre würde für den kommerziellen und optischen Aufputz der Reality-TV Sendung missbraucht. Seines Erachtens steht die me- diale Entblößung intimer und schwerwiegender Probleme im Mittelpunkt, die ihre Legi- timation im praktizierten Gangsta-Rap findet, der nach schwarzamerikanischem Vorbild die Bewältigung persönlicher Krisen und Traumata zum Inhalt hat.

„‚Blockstars‘ sind die ersten Gehversuche eines öffentlich-rechtlichen Senders auf dem glitschigen Pflaster des Brachial-Boulevard – auf Kosten einer von vie- len musikalischen Subkulturen in Österreich, deren Förderung dem ORF-Fern- sehen gleichzeitig mehr als fremd scheint“ (Braula 2012).

Darüber ob es wirklich die ersten Gehversuche sind, lässt sich streiten, immerhin sind die öffentlich-rechtlichen Sender schon seit langem auf den erfolgsversprechenden Zug

17 der Reality-TV Formate aufgestiegen. Ob es Unterschiede zu den Privatsendern gibt, beantwortet Jan Sternberg in seiner kritischen Rezension über die auf ARD ausgestrahl- te Reality-Soap Abenteuer 1900 – Leben im Gutshaus folgendermaßen: „Der Zuschauer bekommt [.] reichlich Dienstmädchentränen serviert. Doch Dschungelcamp-Kreische- rei überlässt die ARD den Privaten, im öffentlich-rechtlichen Fernsehen wird historisch wertvoll gequält und gelitten“ (Sternberg 2004). Ebenso wie die Privaten beauftragen auch die Öffentlich-Rechtlichen Subfirmen zur Produktion des Reality-TV, weshalb es im Angebot und in der Ausführung des performativen Realitätsfernsehens zwischen den einzelnen Sendeanstalten zumeist keine großen Unterschiede gibt. Stefanie Groiss, die Sendungsverantwortliche von BSmB, betont dennoch das Besondere am öffentlich-recht- lichen Fernsehen. Im Gespräch mit Braula konstatiert sie, dass der ORF den „Bildungs- auftrag […] auf jeden Fall erfüllt. Es werden prekäre Lebenssituationen von Jugendlichen gezeigt, die sonst kaum zu sehen sind. Dadurch findet eine Sensibilisierung statt“ (Braula 2012).

Die Frage bleibt allerdings, was den Reiz dieses Medienspektakels ausmacht. Ist es die Sensibilisierung für Armut und soziale Ausgrenzung, oder ist es vielmehr die Möglichkeit Augenzeug_in von Situationen zu sein, in denen aufs Gröbste benachteiligte Menschen um ihre Existenz kämpfen und unter öffentlicher Aufmerksamkeit versuchen, die soziale Leiter hoch zu klettern? Dieser Frage wird in Kapitel vier mit der Analyse der Rezeption jugendlicher Mädchen nachgegangen.

2.2.3 Beweg dein’ Arsch: Das große Gesellschaftsspiel im Zeitalter der Wirtschaftskrise

Dieses Kapitel beschäftigt sich mit den ideologischen Botschaften, die BSmB seinem Pu- blikum vermittelt. Bereits im Titellied der Sendung Beweg dein‘ Arsch lässt sich ein neoli- berales Paradigma identifizieren, das zu einem kritischen Diskurs über Selbsttechniken, Subjektivierungsprozesse und subtile Machtverhältnisse anregt. Hierbei beziehe ich mich vor allem auf Michel Foucaults Konzept der Gouvernementalität, sowie auf postmoder- ne Theorien, wie sie etwa Sieghart Neckel in der Beobachtung einer Erosion der Leis-

18 tungsgesellschaft zugunsten einer Erfolgsgesellschaft definiert hat.

„Beweg dein’ Arsch, Bruder reiß dich zusamm’, heute wird dein Tag! Steh auf geh raus und mach’s einfach!“ Mit kurzen, einfachen und motivierenden Botschaften will das Titellied der Sendung die Zuseher_innen davon überzeugen, dass widrige Umstände und eine so- zial missliche Lage keine statischen, sondern stets veränderbare Zustände sind. Das eigen- verantwortliche Individuum kann unter der Voraussetzung, dass es willensstark, zielge- richtet und fleißig an sich selbst arbeitet, seine soziale Situation maßgeblich beeinflussen. Im Umkehrschluss lässt diese neoliberale Denkweise allerdings auf eine kausale Ursache- Wirkungsbeziehung zwischen Armut und individuellem Fehlverhalten schließen, denn: Arm ist der, der seinen Arsch nicht bewegt.

Sido formuliert in diesem Lied Selbsttechnologien, die seine Zuhörer_innen ermutigen sollen, sich mit seinem positiven Lebenswandel zu identifizieren und ihn, der es bereits „geschafft“ hat, als Orientierungsfigur anzuerkennen. „Du willst, dass sie von dir sagen, er ist ein guter Junge, dann mach’s wie ich […] Junge!“ Das Wie sind im Lied die Imperative: Aufstehen! Beine in die Hand nehmen! Mit dem Kopf durch die Wand gehen!

Sido, dem ein sozialer Aufstieg vom Prekariat in die obe- re Gesellschaftsschicht gelungen ist, ist in den Augen der Kandidaten eine authentische Figur, der sie uneinge- schränkten Gehorsam schenken. So behauptet Dragan: „Sido kann man vertrauen, denn er hat auch viel Scheiße durchgemacht und er verurteilt dich nicht gleich im Vor- hinein. Er hat den Blick, mit dem er verstehen kann, wie- so du das alles gemacht hast. Sido ist Reality. Er ist ein- fach immer er. Das beeindruckt“ (Rauth 2011). © Foto: ORF/Thomas Ramstorfer Die Kandidaten unterwerfen sich seinem Postulat, das sie unhinterfragt als Wahrheit anerkennen. Damit erklären sie sich zu einer Selbstdiszi- plinierung und Selbstunterwerfung bereit, die Sidos Macht stärkt. Und diese wird in der Sendung auch offen demonstriert.

19 Dieses Machtverhältnis, das als Empowerment, als hinreichende Bedingung zur Selbst- befähigung der Kandidaten kommuniziert wird, ist allerdings kein alleiniges Merkmal von BSmB, sondern ist ebenso Bestandteil vieler anderer Castingshows und Formate des Reality-TV. In den Sendungen werden allgemein neoliberale Paradigmen hochgehalten, die in Zeiten hoher Arbeitslosenraten und prekärer Beschäftigungsverhältnisse zur „(Re-) produktion eines Subjektivierungsregimes“ (Thomas 2008, 220) beitragen. Im wissen- schaftlichen Diskurs werden im Zusammenhang mit diesen Sendungen unter anderem Schlagwörter wie „das ‚neue‘ Fernsehen als Kulturtechnologie des Neoliberalismus“ be- nutzt und die „15 minutes of fame“ der Alltagsmenschen „als neuer Modus der Subjek- tivierung und als ‚neoliberale Form der Selbsttechnik‘ bezeichnet“ (ebd.). In der Ausein- andersetzung mit den neoliberalen Machttechniken dieser Sendungen haben sich bereits einige Autoren an Michel Foucaults Konzept der Gouvernementalität orientiert.

Foucault vereinigt in diesem Begriff „Regierung“ (gouvernement) und „Denkweise“ (mentalité) als Ausdruck der semantischen Verbindung und wechselseitigen Konstitution von „Machttechniken, Wissensformen und Subjektivierungsprozessen“ (Thomas 2008, 226).

Unter „Regierung“ versteht Foucault eine Machtausübung, die sich nicht auf einen po- litischen Kontext beschränkt, sondern die sich in jedem erdenklichen sozialen Setting entfalten kann und dort in irgendeiner Art und Weise gestaltend auf Handlungsfelder und Denkweisen der Individuen und Kollektive eingreift. Die „Regierung“ bzw. die Machtaus- übung aktiviert und lenkt damit auch Subjektivierungsprozesse, in denen sowohl Tech- niken zur Selbstführung wie auch Techniken zur Fremd-Führung eingelagert sind (vgl. Lemke 2001).

„Der Kontaktpunkt, an dem die Form der Lenkung der Individuen durch andere mit der Weise ihrer Selbstführung verknüpft ist, kann nach meiner Auffassung Regierung genannt werden. In der weiteren Bedeutung des Wortes ist Regie- rung nicht eine Weise, Menschen zu zwingen, das zu tun was der Regierende will; vielmehr ist sie immer ein bewegliches Gleichgewicht mit Ergänzungen und Konflikten zwischen Techniken, die Zwang sicherstellen und Prozessen, durch die das Selbst durch sich selbst konstruiert und modifiziert wird“ (Foucault 1993, übersetzt und zit. nach Lemke 2001, 119f).

20 Sidos Führungstechniken anzunehmen, sich an seine „Gesetze“ zu halten, wird von den Kandidaten als subjektivierende Maßnahme verstanden, sich als unternehmerisches Selbst auf der Bühne zu entfalten und zu verkaufen. Das heißt, sie lernen „sich selbst, ihre Fä- higkeiten, Verhaltensmuster und Körper als inkorporierte Standortmerkmale zu sehen, die sie eigenverantwortlich entwickeln, pflegen und anbieten müssen“ (Thomas 2009, 54).

BSmB ist diesem Verständnis nach eine „Werkstatt des neoliberalen Subjektes“ (Thomas 2004), in der vermittelt wird, dass finanzieller Reichtum und materieller Besitz eine ge- lungene Reintegration ausmachen. Empirisch evident wird das nicht zuletzt im Titelsong: „Du willst ein Haus am Strand? Du brauchst erst mal nen Job! […] Du träumst vom großen Geld auch für den kleinen Mann? Ich zeig dir, dass man Träume und Geld vereinen kann.“

Aus der gegenwärtigen Wirtschaftskrise, die vielen, vor allem jungen Menschen, soziale Aufstiegschancen erschwert, erwächst zusehends „die Nachfrage nach ‚Vorzeigesiegern‘“ und erreichbaren Erfolgsmodellen‚ die das Fernsehen mit der Prämierung der Selbst- darstellungsökonomie anbietet (Jähner 2005, 621). Wenig überraschend daher, dass der Unterhaltungsmarkt insbesondere für Jugendliche aus bildungsfernen Schichten zum In- begriff des sozialen Aufstiegs wird, „werden sie doch aufgrund ihrer Habitusdefizite und der Abwehrstrategien der Mittelschichten […] von den Bildungsinstitutionen fern gehal- ten“ (Heinzelmaier 2012, 34).

Für die angestrebte Karriere über die Medienwelt sind keine erworbenen Qualifikationen vonnöten, es wird vielmehr nach den Botschaften des Körpers und der Ausstrahlung ge- fragt. Die gesellschaftliche Statuszuweisung beläuft sich auf den Gelegenheitsmärkten der Medien-, Werbe- und Modewelt auf Prominenz und Aufmerksamkeit und nicht auf die bürgerlichen Leistungsprinzipien, nach denen begüterte Klassen ihren sozialen Abstand erst dann sichern, wenn sie durch Bildung, Titel und einen distinktiven Geschmack eine Vorrangstellung herstellen können (vgl. Neckel 2008, 46).

Diese Beobachtung begünstigt nach Sieghart Neckel eine Erosion der Leistungsgesell- schaft zugunsten einer Erfolgsgesellschaft, in der die Forderung nach ökonomischer Rentabilität nicht nur wirtschaftliche, sondern auch alle übrigen sozialen Lebensbereiche durchdringt. Der Markterfolg, der sich in seiner heutigen Gestalt als kurzfristig und wenig

21 vorhersehbar zeigt, führt schließlich auch zu Veränderungen des moralischen Haushaltes der Gesellschaft, weil er menschlich egoistisches und machthungriges Verhalten fördert und damit gegenseitige Verpflichtungen auflöst. Gut sichtbar wird dies am zufälligen -Er folg, dessen Erträge – wie beispielsweise Spekulationsgewinne an der Börse – nicht an die Leistungen anderer geknüpft sind und der deshalb auch zu nichts verpflichtet (vgl. ebd.).

Völlig ohne soziale Verpflichtungen ist auch der schnelle, aber maximal unsichere Erfolg der Castingshows. Er vermag seine Inhaber_innen kurzweilig in ungeahnte Höhen zu ka- tapultieren, ehe sie zumeist ohne Sicherheitsnetz ernüchtert auf dem Boden der Realität ankommen. Die nachhaltigen Profiteur_innen der Castingshows sind selten bis nie die Darsteller_innen selbst, sondern die dahinterstehenden Produktionsfirmen, die mit ih- rem Sendungskonzept, den Marketing- sowie Merchandisingstrategien enorme Umsätze erzielen. Das Vermarkten von sogenannten One-Hit-Wonders bringt ihnen ein sicheres Geschäft, die Entdeckung zeitloser bzw. langlebiger Musikstars gelang den deutschspra- chigen Castingshows allerdings noch nicht. Marc Kowalsky fragt Dieter Bohlen in einem Interview, wann er denn nach bereits 10 Staffeln der Sendung Deutschland sucht den Su- perstar endlich einen Star finde. Daraufhin kontert Bohlen: „Hast du die Zeile nicht ge- lesen? Die Sendung heißt Deutschland sucht den Superstar und nicht Deutschland findet den Superstar“(Kowalsky 2013).

Ein weiterer Grund, warum es den Gewinner_innen von Castingshows zusätzlich er- schwert wird sich am Markt zu profilieren, sind nicht zuletzt die Knebel-Verträge, die sie mit der Produktionsfirma der jeweiligen Sendung abschließen, welche sie in der Regel übervorteilen. Leicht nachvollziehbar daher auch, dass es den Produktionsfirmen nicht unrecht ist, wenn ihre Vertragspartner_innen aus bildungsfernen Milieus stammen, die nicht im Detail abschätzen können, was sie tatsächlich unterschreiben.

Nun aber ist es kein Geheimnis, dass diese Vorgehensweise eine seit jeher praktizierte Me- thode in der Mode-, Film- und Musikwelt ist, schließlich übernehmen die dahinterstehen- den Produzenten auch die Verantwortung für das Produkt und seinen (Miss-)Erfolg. We- nig überraschend daher der marktwirtschaftliche Egoismus als wichtigstes Merkmal der gesamten Branche. Es steckt viel Wahrheit im Sprichwort „there is no biz like showbiz“,

22 das pointiert die ungeahnten Möglichkeiten und bitteren Überraschungen beschreibt, die das Mediengeschäft bereithält.

Richtet man wiederum das Augenmerk auf Castingshows – im Speziellen auf BSmB – so wird versucht, das neoliberalistische Marktprinzip mit sozialen Normen und Werten zu bändigen.

Auch Friedrich Krotz sieht darin ein zum Scheitern verurteiltes Anliegen, da Casting- shows „ein problematisches Vergemeinschaftungspotential zum Ausdruck bringen, das Solidarität und Verständnis für die anderen eher ausschließt“ (Krotz, 2012, 79). Er spricht in diesem Zusammenhang von individualisierten Sekundärtugenden, und benennt For- men einer Selbsttechnologie, die eine homogene Anpassung an das herrschende Gesell- schaftssystem weiterentwickelt und forciert. Das zeigt sich nicht zuletzt im Zwang der Individuen, ihre Umwelt permanent zu beobachten und sich an ihr zu orientieren. Und genau nach dieser Logik funktionieren auch Castingshows, die damit der Gesellschaft ihr eigenes Spiegelbild vorhalten.

„Weil die Gesellschaft nicht erst in der Finanzkrise zu einer durchökonomisier- ten Dequalifizierungseinrichtung wird, in der soziale Mobilität im Wesentlichen von oben nach unten stattfindet und von Chancengleichheit kaum die Rede sein kann, weil die vermittelten Werte letztlich eine ‚freiwillig‘ betriebene Anpassung an immer wechselnde Bedingungen verlangen, die vor allem den monetären Er- folg konstant zu halten versucht, und weil dies durch soziale wie auch staatli- che und ökonomische Kontrolle via Datensammeln gerahmt wird, sind die im Reality-TV präsentierten Lebensformen dann vielleicht doch die einzigen, die wenigstens einigen ein auskömmliches Leben ermöglichen“ (Krotz, 2012, 79f).

Letztlich aber, so hält Krotz fest, ist das nur ein „grandioses Täuschungsmanöver“, denn die einigen wenigen für die Castingshows eine Perspektive eröffnen, sind nichts anderes als Gewinner_innen eines Lotteriespieles. Soziale Verhältnisse lassen sich damit weder verändern noch gerecht gestalten. Auch führt es zu keinen positiv nennenswerten Ent- wicklungen. Was bleibt sind nur ein paar wenige Vorzeigesieger, deren Erfolge jedem versprochen werden (vgl. ebd., 80).

Den Erfolg jedem zu versprechen bedeutet nichts anderes als eine direkte Aufforderung

23 an das Publikum, diese Botschaft in den Alltag zu integrieren und zum Bestandteil seiner Lebensperspektive zu machen. Ob es diese Botschaft auch annimmt, kann damit noch nicht beantwortet werden. Daher ist eine sozialwissenschaftliche Kritik an Castingshows untrennbar mit der Erforschung der Zuseher_innen und ihren Reaktionen sowie Lesarten verbunden. Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit der Frage, was das Publikum sieht, wenn es fernsieht. Dazu gibt es einen kurzen Überblick über die unterschiedlichen The- orien der Medienaneignung.

2.3 Medienaneignung und Medienrezeption

Das Publikum wird heute weitgehend als ein aktiver Teilhaber am Medienrezeptionspro- zess verstanden, das die Inhalte bewusst und nicht zufällig auswählt, sondern diese je nach persönlichem Bedürfnis und sozialer- bzw. subkultureller Einbettung verwertet. Dagegen sah man zu einer Zeit, in der audiovisuelle Medien für die Masse eine einzigartige Neuheit darstellten, in diesen vielmehr eine manipulative Kraft, die auf ein passiv geglaubtes Pub- likum einwirkt. Ausgehend von den Anfängen der Medienrezeptionsforschung sollen im Folgenden ihre weiteren wichtigen Entwicklungsschritte dargestellt werden.

2.3.1 Die traditionelle Wirkungsforschung

Die frühe Rezeptionsforschung begann in den USA der 1920er- und 1930er Jahre und versuchte Medienwirkungen nach dem Stimulus-Response Modell, das ursprünglich aus der behavioristischen Psychologie stammt, zu erklären. Der mediale Text wird danach als Reiz begriffen, der beim Publikum ein identes Reaktionsverhalten hervorruft. Die linear- kausale Beziehung zwischen Sender_in und Empfänger_in macht ersteren_erstere zum_ zur aktiven Übermittler_in von Botschaften, während sich zweiterer_zweitere zum_zur passiven und maximal beeinflussbaren Teilhaber_in des Geschehens reduziert (Winter 2010, 20f). Krippendorf beschreibt die Botschaft im Sinne des Reiz-Reaktionsmodelles metaphorisch als Transportmittel für einheitliche Sinndeutungen:

24 Kommunikate, das heißt „Botschaften, sprachliche Ausdrücke, Bilder und elekt- ronische Signale [werden] zu Containern für Bedeutungen, Ideen oder Dinge, die darin aufbewahrt an ihren Bestimmungsort verfrachtet und anschließend wieder entnommen werden können (Krippendorf 1990, 26).

Diese triviale Auffassung einer Medienkommunikation wurde in der späteren empiri- schen Wirkungsforschung zwar relativiert, indem unterschiedliche und individuelle Ein- stellungen der Menschen berücksichtigt wurden, jedoch hielt sie an der ursprünglichen mechanistischen Auffassung fest, wonach Medienbotschaften nur dann wirkungsvoll sei- en, wenn eine Veränderung des Denkens auch eine Veränderung des Verhaltens auslöse. So beispielsweise in der Werbung, wenn das Interesse der Kund_innen an einem Produkt auch zu dessen Kauf anregt (vgl. Winter 2010, 23).

2.3.2 Der Uses-and-Gratification-Ansatz

Der Uses-and-Gratification-Ansatz hat in seiner Weiterentwicklung der Rezeptionsfor- schung das Prinzip des traditionellen Stimulus-Response-Modells umgedreht und eine neue Ära in der Medienwissenschaft eingeläutet. Nunmehr lag der Fokus nicht auf den Medien und ihren Wirkungen, sondern auf den Individuen, von denen man annahm, sie verhalten sich im Rezeptionsprozess aktiv und lassen sich in ihrer Auswahl der Me- dieninhalte von individuellen Bedürfnissen und Erwartungen leiten. „We must get away from the habit of thinking in terms of what the media do to people and substitute it for the idea of what people do with the media“ (Halloran 1975 zit. nach Morley 1996, 37). Die nun erstmalige Orientierung am handelnden Subjekt stellte in der Wissenschaft der 1960er Jahre einen Paradigmenwechsel dar (vgl. Krotz 2001, 74).

Dennoch erntete der U&G-Ansatz vielfach Kritik, weil er das Individuum, seine Bedürf- nisse sowie seine Rezeptionsmotive losgelöst von seiner sozialen Umgebung und seinen Gruppenbezügen untersuchte. Soziologische Aspekte wurden weitgehend unberücksich- tigt gelassen. Dem Publikum – das „ebenso wie im früheren Stimulus-Response-Ansatz immer noch als atomisierte Menge von Individuen gedacht wurde“ (Morley, 1996, 38) – unterstellte man in der Auswahl seiner Medieninhalte stets ein zweckrationales Handeln

25 (vgl. Mehling 2001). Damit ignoriert die Uses-and-Gratification-Forschung weitgehend den Einfluss, den nicht bewusste, habitualisierte und inkorporierte Verhaltensmuster auf die Konstruktion von Bedeutungen haben. Dieses Manko schlägt sich auch in der empi- rischen Herangehensweise nieder, in der für die Untersuchung von Rezeptionsmotiven fast ausschließlich standardisierte Befragungsmethoden angewandt wurden (vgl. Morley 1996; Fromm 1999, 70). Damit lassen sich sicherlich Rahmenbedingungen erklären, je- doch nach dem Verständnis des interpretativen Paradigmas nicht die Generierung von Sinndeutungen innerhalb eines sozialen Settings bestimmen.

2.3.3 Medienaneignung aus Sicht der British Cultural Studies

Anders als beim Uses-and-Gratification-Ansatz haben sich die British Cultural Studies seit den 1970er Jahren qualitativer Forschungsmethoden angenommen, um die „kulturel- le[.] Dimension der Medienkommunikation“ herauszuarbeiten (Winter 2010, 113). Stuart Hall11 hat in seinem einflussreichen Aufsatz Encoding/Decoding in the Television Discourse ein Modell vorgestellt, das nicht nur für die Zukunft der British Cultural Studies wegwei- send war, sondern auch die Entwicklung der soziologischen Rezeptionsforschung voran- trieb. „Sein Modell wird von der semiotischen Fragestellung geleitet, wie Bedeutung im sozialen Prozess der Kommunikation produziert wird“ (ebd., 113f).

Dabei kritisiert er sowohl das triviale Sender-Empfänger Modell, als auch den Uses-and- Gratifications-Ansatz. Ersteres vernachlässigt in der Vorstellung einer linearen Übermitt- lung von Botschaften die soziale Konstruktion von Bedeutungen. Mit Letzterem teilt Hall zwar die Ansicht, dass die handelnden Subjekte den Sinn von Medienbotschaften aktiv konstruieren, in anderen Worten, dass sie unterschiedliche Lesarten einnehmen. Er dis- tanziert sich jedoch von der Annahme, dass diese gänzlich offen seien:

„Polysemy must not, however, be confused with pluralism. Connotative codes are not equal among themselves. Any society/culture tends, with varying degrees

11 Stuart Hall war Mitbegründer des Center of Contemporary Cultural Studies in Birmingham und von 1972- 1979 auch dessen Direktor. Er trug wesentlich zur Etablierung der Medienforschung am Institut bei (vgl. Winter 2010).

26 of closure, to impose its classifications of the social and cultural and political world. These constitute a dominant cultural order [Hervorh. d. Verf.], though it is neither univocal nor uncontested“ (Hall 1996, 134).

Medienbotschaften operieren mit „kulturellen Codes“ (Winter 2010, 114), die im Alltags- wissen der Rezipient_innen verankert sind und legen ihnen eine bevorzugte Lesart nahe, die sie aufgrund ihrer kulturellen und sozialen Zugehörigkeit geneigt sind anzunehmen. Dennoch legt die bevorzugte Lesart Bedeutungen nicht definitiv fest.

„In speaking of dominant meanings, then we are not talking about a one-sided process which governs how all events will be signified“ (ebd., 134f).

Sowohl bei der Encodierung als auch bei der Decodierung werden Botschaften „in einem aktiven, interpretativen und sozialen Prozess“ generiert (Winter 2010, 115). Das heißt, die Rezipient_innen interagieren mit den medialen Texten, sie konstruieren mit ihrem lebensweltlichen Wissen und ihrem sozialen Sinnsystem die Bedeutungen, die diese für sie haben. Umgekehrt ist der produzierte mediale Text in den kulturellen Kontext der Rezipient_innen eingebunden, der seinerseits die Rezeption vorstrukturiert (vgl. Mikos 2001, 59). „Text und Zuschauer haben so gemeinsam den rezipierten Text geschaffen. Sie haben die kommunikative Konstellation […] handelnd realisiert“ (ebd., 62).

Wird eine gedachte Botschaft der Produzent_innen bei den Rezipient_innen falsch oder anders verstanden, ist dies nach Hall nicht unbedingt nur auf divergierende kulturelle Kompetenzen zurückzuführen, sondern lässt auch auf die jeweiligen sozialen Hinter- gründe schließen (vgl. Winter 2010, 116f).

„Hall also suggests that there is a necessary correlation between people’s social situations and the meanings that they may generate from the television program. He thus postulates a possible tension between the structure of the text, which necessarily bears the dominant ideology, and the social situations of the viewers, which may position them at odds with that ideology. Reading oder viewing te- levision, then, becomes a process of negotiation between viewer and the text“ (Fiske 1992, 292).12

12 David Morley hat Stuart Halls Modell in seiner empirischen Untersuchung angewandt, in der er mittels Gruppendiskussionen herausfinden wollte, wie unterschiedliche Rezipient_innengruppen die Sendung Nationwide decodieren. Ebenso wie in dieser Arbeit untersuchte Morley reale Gruppen, das heißt Personen die einander aus

27 Fiske hat in diesem Zitat bereits darauf hingewiesen, dass Fernsehinhalte entweder so gedeutet werden, wie sie gedacht sind, oder dass ihre Bedeutung abhängig von der so- zialen Lage der Rezipient_innen erst ausverhandelt werden muss. Das Erste bezeichnet nach Hall die Vorzugslesart (dominant-hegemonic position), das Zweite die ausgehandel- te Lesart (negotiated position). Aber es gibt auch noch eine dritte Möglichkeit, nämlich die der oppositionellen Lesart, die von all jenen eingenommen wird, die die Vorzugslesart zwar verstehen, sie aber gänzlich ablehnen. „This is the case of the viewer who listens to a debate on the need to limit wages but ‚reads’ every mention of the ‚national interest‘ as ‚class interest‘“ (Hall 1996, 138).13

Es lässt sich also feststellen, dass Botschaften für die Cultural Studies symbolischen Cha- rakter haben, weil sie je nach den Bedeutungen, die die Menschen ihnen geben, inter- pretiert werden. Die Konstruktion von Bedeutung ist jedoch nur möglich, wenn das In- dividuum, das sie vornimmt, in eine bereits existierende Kultur und in eine geordnete Gesellschaft eingebunden ist. Sprache und Kultur werden von den Cultural Studies als interdependente Strukturen verstanden, ohne die eine soziale Welt nicht existent wäre. „Ohne Sprache als Struktur gäbe es kein Sprechen und Denken als Handlung und ohne Sprechen und Denken als Praxis gäbe es keine Sprache“ (Krotz 2008, 129). In die semi- otische Deutung der Texte fließt also jegliche Erfahrung und Einstellung der Zuschau- er_innen, die sie im Laufe ihrer Sozialität erworben haben. An der strukturtheoretischen Ausrichtung der Cultural Studies kritisiert Krotz, dass sie „zu einem kulturellen Determi- nismus [tendieren], der die kommunikativen Aktivitäten der Individuen recht rigide auf die kulturelle Wirklichkeit eines strukturierten gesellschaftlichen Lebens bezieht“ (Krotz 2008, 132).

Obwohl die Cultural Studies in vielerlei Hinsicht Berührungspunkte mit dem Symboli- schen Interaktionismus aufweisen, sehen sie konkrete Kommunikationsprozesse sowie dem sozialen Umfeld kennen und stellte fest, dass die jeweiligen Gruppen gemeinsame Orientierungen hatten. Halls Auffassung, dass die Generierung von Lesarten primär auf die Klassenzugehörigkeit zurückzuführen sei, konnte er widerlegen. Morley erkannte, dass viele weitere soziale Faktoren Einfluss auf die Interpretation medialer Texte haben (vgl. Winter 2010, 125ff). 13 Diese oppositionelle Lesart findet sich auch in einer qualitativen Studie von Robert Dawson und John Fiske (1994), die darin das Rezipient_innenverhalten von Obdachlosen beim Fernsehen untersuchten.

28 situatives Handeln und Interpretieren mehr oder weniger gesellschaftlich präformiert. Das interpersonale Handeln als kreativer Prozess des Problemlösens und der Identitäts- bildung wird von ihnen weitgehend unberücksichtigt gelassen (vgl. ebd.).

2.3.4 Kommunikation und symbolischer Interaktionismus

Trotz der theoretischen Nähe zwischen den Cultural Studies und dem symbolischen In- teraktionismus und der Möglichkeit zur gegenseitigen Befruchtung sind die beiden inter- pretativen Ansätze deutlich voneinander zu unterscheiden. Während „die Cultural Studies als kontextorientierte, kulturell dependente, aber hoch komplexe und integrationsfähige Strukturtheorie verstanden werden [müssen]“, ist der Symbolische Interaktionismus eine dem Konstruktivisums zuzuordnende Handlungstheorie (Krotz 2001, 128). Er begreift den Menschen als kommunikatives und sinnhaft handelndes Wesen, das erst im sozia- len Austausch und durch den Gebrauch und die Deutung von Symbolen (Sprache, Zei- chen oder Gebärden) sich selbst und seine soziale Umwelt verstehen kann. Die soziale Welt, das heißt jegliche Strukturen und Phänomene, wird danach im interaktiven Inter- pretationsprozess der Individuen geschaffen, geformt und (re-)produziert. Das bedeutet gleichzeitig, dass es keine von vornherein vorhandenen Bedeutungen gibt, die materiellen Objekten, sozialen Regeln, Normen oder Werten anhaften (Joas/Knöbl 2011, 196). Be- deutungen sind nach Ansicht der Symbolischen Interaktionisten ausschließlich mensch- liche Konstrukte, die gemäß dem Handlungskontext definiert und interpretiert werden müssen (vgl. ebd., 196ff ).

In diesem Zusammenhang interessiert sowohl die Frage, welche Bedeutung die Rezipi- ent_innen Medieninhalten zukommen lassen, als auch die Frage, wie Rezipient_innen im Sinne des Symbolischen Interaktonismus mit Medienfiguren kommunizieren. Um zu klären, wie Medienkommunikation nach der Theorie des SI funktioniert, wird der Begriff Kommunikation definiert als

„eine komplexe Form menschlichen Handelns, die ohne kulturelle und gesell- schaftliche Kontexte nicht vorstellbar ist […]. Kommunikation beinhaltet, dass die Beteiligten miteinander kommunizieren wollen, dass sie sich auf einen ge-

29 meinsamen Handlungsrahmen, also auf eine Definition der Situation einigen, dass sie sich in ihren Rollen und Perspektiven in dieser Situation aufeinander beziehen – erst dadurch sind die Konstitution von Bedeutung und damit Kom- munikation und Verständigung unter Menschen möglich“ (Krotz 2001, 83).

Mit der Definition der Situation wird die Beziehungsebene, welche ich mit dem_der In- teraktionspartner_in eingehe, ausverhandelt. Ein Prozess, der in jeder Interaktion von Neuem beginnt, weil Zeichen, Symbole und Bedeutungen je nach situativem Kontext unterschiedlich interpriert bzw. konstruiert werden.

In dieser Situationsdefinition einige ich mich mit meinem_meiner Interaktionspartner_in allerdings nicht nur auf den Handlungsrahmen, sondern nehme auch eine konkrete Rolle ein, die nichts anderes bezeichnet als meine gegenwärtige perspektivische Betrachtung gegenüber Dingen. Trete ich in Kommunikation mit dem_der anderen, so wird meine Perspektive um seine_ihre erweitert. Anders gesagt begebe ich mich imaginativ in sei- ne_ihre Rolle und übernehme in meiner Vorstellung seine_ihre Sicht der Dinge, womit es mir gelingt, seine_ihre Absichten sowie den Sinn seiner_ihrer Handlungen und Aussagen zu begreifen (vgl. ebd., 84).

Mit dem imaginativen Rollentausch konfrontiere ich die übernommene Sichtweise des_ der anderen mit meiner eigenen und beginne sie in einem inneren Dialog miteinander in Beziehung zu setzen, um damit darauffolgende Handlungs- und Interpretationsschritte für eine weiterführende Kommunikation zu planen (vgl.ebd.).

„Wir können zu uns selbst sprechen, und wir tun dies auf dem inneren Forum, welches wir Denken nennen […] Unser Denken ist ein Selbstgespräch, in wel- chem wir uns selbst gegenüber die Rollen ganz bestimmter Personen einneh- men, die wir kennen. Gewöhnlich aber unterhalten wir uns mit dem von mir so genannten ‚generalisierten Anderen‘ und gelangen so auf die Ebene abstrakten Denkens und zu jener Unpersönlichkeit, die wir als sogenannte Objektivität so besonders schätzen“ (Mead 1969, 95).

In der Kommunikation mit mir selbst kann ich die Rolle des_der anderen heranziehen, um meine zu hinterfragen oder zu bestätigen. Ebenso kann ich in der Bezugnahme auf ihn_sie über Konsequenzen aus vergangenen Handlungsschritten reflektieren und über

30 zukünftige Schritte nachdenken. Schließlich, so sei festgestellt, „kann ich mich auf mich selbst beziehen“ (Joas/Knöbl 2011, 198), denn mein Handeln erschließt sich mir erst durch die Reaktionen meiner Mitmenschen darauf. Und aufgrund meines Kontextwissens aus vorangegangenen ähnlichen Situationen (Mannheim würde hier die Situation als ein Dokument für die mir bekannten Muster bezeichnen) kann ich die Reaktionen auf mein Handeln zuvor bereits abschätzen. Diese Ausführungen sollen verdeutlichen, dass das Selbst in den Augen der Symbolischen Interaktionisten keine feste Struktur, sondern ein durch Interaktionen veränderbarer Prozess ist (vgl. Joas/Knöbl 2011, 199).

2.3.4.1 Parasoziale Interaktion und parasoziale Beziehung

Der Einfluss des Symbolischen Interaktionismus auf die Kommunikationsforschung zeigt sich unter anderem im Modell der parasozialen Interaktion bzw. der parasozialen Beziehung von Horton und Wohl (1956), sowie von Horton und Strauss (1957). Sie über- nehmen die konstruktivistische Handlungstheorie zur Erklärung der Kommunikation zwischen Medienfiguren und Rezipient_innen. Die parasoziale Interaktion als kommuni- kativer Aneignungsprozess zwischen Fernsehakteur_in und Rezipient_in ist ein „simula- crum of conversational give and take“ (Horton/Wohl 1956, 215), das analog zur alltägli- chen face-to-face Interaktion verstanden wird. Darüberhinaus beschreibt eine parasoziale Beziehung ganz ähnlich einer sozialen, die über das Rezeptionserlebnis hinausgehende, langfristige, zwischenmenschliche Relation zu den Medienakteur_innen, die mitunter sehr lebendig und authentisch in Erscheinung treten.

„One of the striking characteristics of the new mass media – radio, television, and the movies – is that they give the illusion of face-to-face relationship with the performer. The most remote an illustrious men are met as if they were in the circle of one’s peers” (ebd.).

Der bedeutendste Unterschied zwischen einer parasozialen und einer „normalen“ Inter- aktion ist das fehlende aufeinander bezogene Handeln der Akteur_innen, das diese dazu bewegt, ihr in realen Interaktionen gelerntes Handeln zu modifizieren und neue soziale Spielregeln anzuwenden.

Beispielsweise kann der_die Rezipient_in die ihm_ihr medial angeboteten Beziehungen

31 wählen, annehmen oder ablehnen, jedoch kann er_sie von sich aus keine Beziehungen schaffen oder auf eine bereits angenommene gestaltend eingreifen. Umgekehrt addres- sieren Medienfiguren, anders als in realen Interaktionen, eine Menschenmasse, von deren einzelnen Akteur_innen sie nicht wissen wie sie auf sie reagieren.

„The crucial difference in experience obviously lies in the lack of effective reci- procity, and this the audience cannot normally conceal from itself. To be sure, the audience is free to choose among the relationships offered, but it cannot create new ones. The interaction, characteristically, is one-sided, nondialectical, controlled by the performer, and not susceptible of mutual development […] Whoever finds the experience unsatisfying has only the option to withdraw“ (Horton/Wohl 1956, 215)

Der_die Rezipient_in vollzieht in einer parasozialen ebenso wie in einer „normalen Inter- aktion den imaginativen Rollentausch, um die im Fernsehen Auftretenden zu verstehen. „The entering into any interaction with another involves some adaption to the other’s per- spectives, if communication is to be achieved at all“ (ebd., 219). Ein wesentlicher Unter- schied im parasozialen Setting besteht jedoch darin, dass die Aneignung der Perspektive nicht dazu dient, „um in der Folge sein eigenes Handeln darauf bezogen zu konzipieren“ (Krotz 2001, 87).

Wesentlich ist auch, dass Horton und Wohl unter einem imaginativen Rollentausch oder der Aneignung der anderen Perspektive nicht die Übernahme der Rolle durch den_die Rezipienten verstehen. Eine Übernahme soll, eine über die „normale“ (parasoziale) Inter- aktion hinausgehende Identifikation mit der anderen Person sein. Diese Art der Identifi- kation würde bedeuten, dass die Rezipient_innen ihre Rolle als „eigene Partei im Interak- tionsprozess“ aufgeben, um sie mit der Rolle des Gegenübers zu ersetzen. Diese Art der Identifikation schließen Horton und Wohl prinzipiell aus14 (Hippel 1992, 136).

Für spätere Autoren, wie beispielsweise Schramm und Hartmann, ist es jedoch nicht un- üblich, dass gerade Jugendliche im Zusammenhang mit ihrer Identitätsausbildung dieses

14 Dazu Horton/Wohl: „It is possible that the spectator‘s ‚collaborative expectancy‘ may assume the more pro- found form of identification with one or more of the performers. But such identification can hardly be more than intermittent.“ (Horton et al. 1956, S. 218)

32 Identifikationsangebot nutzen und Rollen, wie beispielsweise die des Helden oder erfolg- reichen Musikers ausprobieren, ohne dabei Gefahr zu laufen soziale Konsequenzen oder Sanktionen erwarten zu müssen. Sie können vor dem Fernseher und ohne das Beisein anderer jene Verhaltensäußerungen ungehemmt durchführen, die sie im interpersonellen Setting bewusst unterdrücken und beherrschen würden (vgl. Schramm/Hartmann 2010, 214).

Hinzu kommt die Annahme, dass Jugendliche parasoziale Interaktionen zumeist inten- siver erleben, weil sie altersbedingt nach Vorbildern suchen, die sie vorwiegend in den Medien finden. Aus der JIM Studie15 des Jahres 2003 geht hervor, dass jeder zweite Ju- gendliche zwischen 12 und 19 ein Idol oder Vorbild nennen kann. Ein Großteil dieser Idole und Vorbilder stammt aus den Medien. So geben aus einer Stichprobe von 1209 Befragten 31% an, Personen aus der Musikbranche zu verehren. Weitere 7% schwärmen für Akteur_innen aus Film und Fernsehen. Aus dem eigenen sozialen Umfeld gibt es hingegen kaum Vorbilder (vgl. Hoffmann 2010, 22). Es ist daher naheliegend, dass sich eine parasoziale Interaktion bei Heranwachsenden zumeist nicht auf die Rezeption selbst beschränkt, sondern rezeptionsübergreifend zum Bestandteil der Alltagspraxis und somit zur Grundlage für eine parasoziale Beziehung wird (vgl. Schramm/Hartmann 2010). Auf den empirischen Beleg, wie eine parasoziale Beziehung entsteht, wie sie sich ausdrückt bzw. wie sie gelebt wird, nimmt diese Arbeit in Kapitel 4.2.4 eingehend Bezug.

15 Siehe JMI Studie im Internet unter http://www.mpfs.de/index.php?id=46 ; Stand: 24.9.2012

33 3. Die Untersuchung von Lesearten

3.1 Forschungsdesign

3.1.1 Forschungsfragen

In dieser Arbeit werden die Lesarten von 13-15 jährigen Mädchen untersucht, die diese bei der Rezeption der Castingshow BSmB generieren. Die Sendung hatte aufgrund ihrer Erstausstrahlung parallel zum Zeitpunkt der Erhebungen einen für die Untersuchung relevanten Neuheitsgehalt. Denn Castingshows, die über Jahre hinweg regelmäßig aus- gestrahlt werden, können bei den Rezipientinnen bereits Abnutzungserscheinungen her- vorrufen und das Gefühl erzeugen, man habe sich über das Rezipierte schon mehrmals ausgetauscht und könne in einer Diskussion darüber nichts „Neues“ mehr beisteuern. Ausschlaggebend für die Auswahl der Rezeptionsvorlage war auch Sido, der als Rapstar große Popularität bei den Jugendlichen genießt und in dieser Castingshow als Moderator omnipräsent ist.

In Anlehnung an die – am qualitativen Paradigma orientierten – Theorien der Mediena- neignung (vgl. Kap. 2.) lassen sich für die Untersuchung der Lesarten einige grundlegen- de Fragestellungen formulieren: Ob und wie nehmen die Mädchen, die Vorzugslesart von BSmB an?16 Welche Rolle spielt die Milieuzugehörigkeit in der Konstruktion ihrer Lesarten? Sehen die Mädchen in der Darstellung der Lebenswelten tabuisierte Themen angesprochen? Empfinden sie die gewährten Einblicke in das intime Lebensumfeld der Kandidaten als Verletzung der Privatsphäre?

16 Diese wurde in Kapitel 2.2.2. als eine in ein Unterhaltungsformat eingebundene real deklarierte Sozialhilfe erkannt.

34 3.1.2 Methodik

3.1.2.1 Erhebungsinstrument und Analyseverfahren

Im Verständnis des Symbolischen Interaktionismus eignet sich das Individuum die „pro- duzierte Wirklichkeit“ (Göttlich 2008) des Reality-TV in einem inneren Dialog an, in welchem es die eigene Wirklichkeit (oder Lebenswelt) mit der medial produzierten in Beziehung setzt. Es interpretiert das soziale Handeln auf der Medienbühne, indem es seine Perspektiven mit jenen des ‚generalisierten Anderen‘ abgleicht und den Text je nach „individuellen Handlungsinteressen, Lebensthemen, sozialen Beziehungen und Entwick- lungsthemen“ (Krotz, 2001, 90) strukturiert. Dieser innere Dialog findet in der direkten Kommunikation mit dem im Fernsehen Gezeigten statt. Wird ein Fernseherlebnis kol- lektiv erfahren, so werden die Rezipient_innen nach einer gewissen Zeit der direkten Interaktion mit dem Fernseher in das „reale“ soziale Setting zurückkehren, indem sie ihre verschiedenen Perspektiven vor dem Hintergrund ihrer gemeinsamen Erfahrungsbasis austauschen und ihre Bedeutungen im kollektiven Miteinander interpretieren (vgl. ebd.).

Die Fragestellungen beziehen sich auf genau dieses soziale Setting der Medienaneignung, das letztlich auch für die Wahl des Erhebungsinstruments konstitutiv ist. Das Gruppen- diskussionsverfahren zeigt sich als die geeignetste Methode, um die Lesarten nicht losge- löst von den subkulturellen Zugehörigkeiten und den gegenwärtigen Gruppenbezügen der Rezipient_innen zu untersuchen. Unter der Voraussetzung, dass die Gesprächsbetei- ligten aus demselben sozialen Umfeld stammen, sind Gruppendiskussionen der Ort, an dem Lesarten im diskursiven Austausch erlebnismäßig und interaktiv hergestellt werden und wo sich die kollektiven Orientierungsmuster der Gruppe aktualisieren.

Die Auswahl dieses Erhebungsinstruments wird in dieser Arbeit um das Analyseverfah- ren der dokumentarischen Methode komplementiert, auf deren Basis die empirischen Daten anschließend ausgewertet werden. Die dokumentarische Methode erschließt den Sinngehalt der artikulierten Orientierungsmuster, indem sie die gegenseitigen Bezugnah- men der Gruppenmitglieder rekonstruiert. In der Rekonstruktion gelingt es ihr auch den Habitus der Gesprächsbeteiligten aufzuspüren bzw. deren existentielle Hintergründe in

35 Erfahrung zu bringen.

Die an dieser Stelle verkürzte und spärliche Ausführung über die Erhebungs- und Aus- wertungsmethode wird im Folgenden noch einmal aufgegriffen und eingehend erörtert. Davor möchte ich allerdings auf das konkrete empirische Vorhaben dieser Arbeit zurück- kommen und die Planung sowie die Durchführung von insgesamt zwei Gruppendiskus- sionen nachvollziehbar veranschaulichen.

3.1.2.2 Bestimmung der Gruppe

Die Kriterien für die Auswahl der Gruppen wurden anhand der soziodemografischen Merkmale Alter, Geschlecht und Bildungsmilieu bestimmt. Die Zielgruppe setzte sich aus insgesamt zwölf Mädchen im Alter zwischen 13 und 15 Jahren zusammen, wovon jeweils die eine Hälfte ein Gymnasium und die andere eine Neue Mittelschule besuchte. Über Bekannte aus dem eigenen Umfeld konnte ich Kontakte zu einem Gymnasiallehrer und einer Hauptschullehrerin herstellen, die mir den Zugang zu den Teilnehmerinnen ermöglichten und in deren Schulen ich die Gruppendiskussionen abhalten durfte. Das Gymnasium lag etwas außerhalb von Graz, im Bezirk Graz-Umgebung. Die Neue Mittel- schule befand sich im südlichen Teil der Stadt.

Das Interesse an der Zielgruppe erklärt sich vor allem durch die Besonderheit ihrer Le- bensphase, die durch maßgebliche Veränderungen und Umbrüche gekennzeichnet ist. Im Prozess des Erwachsenwerdens lösen Jugendliche ihre kindliche Bindung an das Eltern- haus und sie suchen neue Wege, um mit einer veränderten Realität umzugehen. Dabei wird die Orientierung an gleichaltrige Peers mindestens ebenso wichtig wie die stärker werdende Zuwendung zu den Medien, die eine Auseinandersetzung mit Entwicklungs- themen ermöglichen, „die mit Gefühlen wie Scham und Peinlichkeit (z.B Sexualität) oder mit mehr oder weniger illegalen Praktiken (z.B. Drogenkonsum) verbunden sein können“ (Mikos 2010, 40). Nach Bohnsack sind Peer Groups auch „als der soziale Ort anzusehen, an dem genuin jugendliche Orientierungen innerhalb und in Abgrenzung mit der Ge- sellschaft zur Entfaltung und zur Artikulation gelangen“ (Bohnsack 1989, 10f). Die Ab- grenzung vom sozialen Establishment ist gleichzeitig die Zuwendung zu selbst gewählten Identifikations- und Orientierungsfiguren. Sido könnte für die Mädchen eben eine solche

36 Orientierungsfigur sein, denn er spricht sich demonstrativ gegen dieses Establishment aus. Seine Verherrlichung von Drogen gehört mittlerweile ebenso wie seine homophoben und sexistischen Lieder zu seinen unverwechselbaren Markenzeichen. Für die Untersu- chung ist daher auch die Frage relevant, welche entwicklungs- und sozial relevanten The- men die jugendliche Zielgruppe in Zusammenhang mit BSmB ansprechen und welche Bedeutung diese Themen in ihrer Lebenswelt einnehmen.

Ein weiteres Kriterium für die Gruppenauswahl war die Geschlechtshomogenität aller Gesprächsbeteiligten inklusive der Diskursleitung. Diese Entscheidung begründet sich in der Annahme, dass die Mädchen einer weiblichen Person offener und sich im Diskurs untereinander natürlicher verhalten, als sie dies in Anwesenheit eines Mannes täten. Um- gekehrt wird daher auch vermutet, dass männliche Jugendliche in der Tatsache, dass diese Diskussion von einer Moderatorin geführt wird, eine Hemmschwelle sehen, und sie die Themen, die ihnen wichtig erscheinen, weniger offen behandeln.

Bei den Erforschten handelte es sich in beiden Fällen um Realgruppen, die, im Gegensatz zu jenen, die eigens für die Gruppendiskussion zusammengestellt werden, unabhängig von der Erhebungssituation bestehen. Davon kann aufgrund ihrer Teilhabe an derselben Klassengemeinschaft, in der Erlebnisse kollektiv erfahren werden, ausgegangen werden. Der tägliche Kontakt, den die Mädchen in der Schule miteinander pflegen, konstituiert eine homogene Erfahrungsbasis, die nicht zuletzt im engen Zusammenhang mit der Er- giebigkeit und dem qualitativen Gehalt der Gruppendiskussion steht (vgl. Loos/Schäffer 2001, 44).

Weshalb die gemeinsame Erfahrungsbasis für eine tiefergehende Diskussion notwenig ist, möchte ich anhand einer Anekdote beschreiben. Um mein Forschungsvorhaben an einer Schule durchführen zu können, war eine Genehmigung seitens der Schulleitung, der ver- antwortlichen Lehrer_innen sowie der Eltern notwendig. Letztere erhielten eine schriftli- che Information über das Datum, die Dauer und den Ablauf der Gruppendiskussion, mit der Bitte um ihre Einwilligung in das Vorhaben.

Diese Information wurde den Schülerinnen mit der Aufforderung ausgeteilt, sie von den Eltern unterschreiben zu lassen, um sie anschließend vorzuweisen. Die Gymnasiastin-

37 nen kamen der Bitte wortlos nach und brachten die Einwilligungserklärungen mit Unter- schrift zurück. Die Neuen Mittelschülerinnen hingegen sahen keinen Bedarf darin, ihre Eltern über die Gruppendiskussion zu informieren. Eine Schülerin meinte sogar, es sei ihrer Mutter egal, was sie in der Schule mache, wichtig sei nur, dass sie dort sei.

Diese Begebenheit lässt deutliche Unterschiede im Bildungs- und Sozialmilieu der beiden Gruppen erkennen. Die Neuen Mittelschülerinnen sind in ihrem Schulalltag weitgehend auf sich selbst gestellt, ihre Lebenswirklichkeit ist daher eine andere als die der Gym- nasiastinnen, deren schulisches Leben die Eltern mit hoher Aufmerksamkeit verfolgen. Würde man unter diesen Voraussetzungen einige der Mädchen aus der Neuen Mittel- schule und aus dem Gymnasium zu einer Gruppe formieren, würde eine Diskussion nur oberflächlich geführt werden (vgl. Loos/Schäffer 2001, ebd.). Der Grund liegt, wie die anschließende Interpretation in Kap. 4 zeigt, in den verschiedenen existentiellen Hinter- gründen, aufgrund derer keine gemeinsamen Orientierungsmuster vorhanden sind.

3.1.2.3 Auswahl der Videosequenzen

Der Einsatz von Inputs bzw. Stimulimaterialen ist charakteristisch für Gruppendiskussi- onen. Je nach Bedarf liefern sie in Form von provokanten Thesen, Texten (Meldungen, Zeitungsartikel, Briefe etc.), Fotos, Objekten (Produkte, Modelle etc.), Filmaufnahmen oder Audioaufzeichnungen wichtige ‚Diskursanreize‘ (vgl. Flick 2010, 256). Inputs erwei- sen sich in mehrerlei Hinsicht vorteilhaft. Sie liefern den Diskursbeteiligten (zusätzlich benötigte) Informationen zum Thema, lassen auf Wesentliches fokussieren und werden als Anregung zur Selbstläufigkeit an unterschiedlichen Stellen des Gespräches eingesetzt.

In dieser Arbeit wurden drei Filmausschnitte zweier Folgen der Castingshow BSmB mit einer Länge von insgesamt 12 Minuten gezeigt. Die Videosequenzen17 enthalten anfäng- liche Informationen zu Inhalt und Konzept sowie Sidos erste Begegnungen mit Michael und Dragan vor der Kamera (vgl. Kap. 2.2.1.). Diese Begegnungen lassen sich stilistisch als Homestorys bezeichnen, weil Sido seine Protagonisten und ihre Lebensgeschichten

17 Die Beiträge wurden nicht im Original, sondern in gekürzter Version wiedergegeben. Beim Schneiden wurde jedoch stets darauf geachtet, ursprüngliche Zusammenhänge und Inhalte nicht zu verzerren und sie so gut wie möglich unverändert beizubehalten.

38 vor der Kulisse ihres eigenen Wohnraumes vorstellt.

In der Gruppendiskussion wurden die beiden Homestorys in zwei eigenständigen Vide- osequenzen und zeitlich versetzt vorgeführt. Das Stimulusmaterial erscheint als geeignete Vorlage in das medial präsentierte Leben der handelnden Akteure und deren soziales Umfeld einzudringen, um hieraus vor dem Hintergrund des eigenen Milieus Deutungen, Zuschreibungen und Interpretationen vorzunehmen. Darauf nimmt auch der inszenierte Drehort einen bedeutenden Einfluss, dessen stark assoziative und interpretative Bilder – losgelöst von den sozialen Interaktionen vor der Kamera – eine eigenständige Geschichte erzählen, ohne die eine Bewertung des Geschehens nicht gedacht werden kann.

Inhaltlich zeigen die Videosequenzen mit Michael und Dragan zwei Persönlichkeiten, die in der Verschiedenheit ihres Erscheinungsbildes, ihres Auftretens, ihres Lebensstils und schließlich ihres musikalischen Talentes völlig unterschiedliche Voraussetzungen zur Pro- filierung in die Sendung mitbringen.

Es besteht die Annahme, dass die Protagonisten aufgrund ihrer auffallenden Andersartig- keit von den Rezipientinnen intensiver wahrgenommen werden und sie inhaltliche Details leichter in Erinnerung behalten.

Das Erkenntnisinteresse der Forscherin liegt im Wesen dieser Wahrnehmung, also in der Frage, ob durch sie Identifikationen, Orientierungen, Abgrenzungen oder Indifferenzen freigelegt werden.

Wie bereits eingangs erwähnt, haben die Videosequenzen auch einiges zum gelungenen Ablauf der Gruppendiskussion beigetragen. Der erste Filmausschnitt unmittelbar nach der Vorstellrunde erleichterte den Diskurseinstieg und evozierte ungezwungene Stellung- nahmen. Damit erhielten die Gesprächsbeteiligten viel Raum sich in der Gruppe zu po- sitionieren, ein dynamisches Zusammenspiel zu entwickeln und ihre kollektiven Deu- tungsmuster zu entfalten. Dieser Art von Selbstläufigkeit wird in der dokumentarischen Methode hohe Bedeutung beigemessen, weshalb davon abgesehen wurde, die Gruppen- diskussion nach einem strikten Leitfaden im Sinne eines geregelten Frage-Antwort Rhyth- mus durchzuführen (vgl. Kap. 3.4.4.).

39 3.1.2.4 Pretest

Eine in ihrer Wirkung nicht zu unterschätzende Vorbereitungsmaßnahme ist der Pretest, der den Forscher_innen vor Durchführung ihrer qualitativen Erhebungen hilft offene Fragen zu beantworten, unerkannte Fehler aufzudecken und neue Erkenntnisse zu ge- winnen. In meinem Falle konnte ich aufgrund einer mit Kommiliton_innen simulierten Gruppendiskussion einige Fehler in der Praxis vermeiden.

Das von mir ausgewählte Videomaterial bzw. die einzelnen Videosequenzen wurden darin kritisch auf Dauer, Wirkung und Adäquanz geprüft. Prinzipiell gilt, dass zu lange Sequen- zen die Aufmerksamkeit der Teilnehmer_innen schwinden lassen und der Diskussion unnötig viel Zeit nehmen. Die Lesarten, die die Gruppe einnahm bzw. die Eindrücke und Assoziationen, die das Videomaterial bei ihr hinterließ, wurden eingehend diskutiert. Da- mit konnte im Vorfeld erprobt werden, wie viel Potenzial der Input hat um den Diskurs anzuregen.

Gleichzeitig war der Pretest eine einmalige Chance die eigenen Fähigkeiten als Modera- torin zu testen. Der simulierte Diskurs wurde ebenso wie die darauffolgend geplanten Gruppendiskussionen audiovisuell aufgezeichnet. Damit war es möglich, das Übungsge- spräch hinsichtlich der Köperhaltung, der angewandten Fragetechnik sowie der Sprech- häufigkeit zu analysieren. Ein, wie sich herausstellte, empfehlenswertes Vorgehen, das wirkungsvoll auf Fehlerquellen aufmerksam macht. In der Videoanalyse bemerkte ich meine verhältnismäßig starke Präsenz im Diskurs, die mich nach Bewusstwerdung stärker für die zugeschriebene Rolle der Gruppendiskussionsleitung sensibilisierte.

3.1.2.5 Durchführung der Gruppendiskussion

Sowohl die Gruppendiskussion mit den Gymnasiastinnen als auch die mit den Neuen Mittelschülerinnen wurden innerhalb der Schulgebäude in Projekträumen abgehalten, die optimale Infrastrukturen boten und damit ideale Rahmenbedingungen für den Dis- kurs schufen. Die Projekträume waren mit Fernseher und DVD-Player ausgestattet, die aufgrund des einzusetzenden Videomaterials für die Gruppendiskussion von enormer Wichtigkeit waren. Die anberaumte Zeit war mit zwei Unterrichtseinheiten, inklusive der

40 Pausenzeiten, sehr gut gewählt, weil die Teilnehmerinnen vor Beginn des Gespräches aus- reichend Zeit hatten, sich in die neue Situation einzufinden und im Raum anzukommen. Dafür standen auch eigens Getränke und kleine Snacks zur Verfügung. Am Ende des Dis- kurses blieb dann auch noch ein zeitliches Fenster um die Veranstaltung ruhig ausklingen zu lassen. Weiters war die Gruppengröße von sechs Teilnehmerinnen ideal. Sie war klein genug, dass für jede Person ausreichend Redezeit vorhanden war, und groß genug, um eine Gruppendynamik zu gewährleisten. Für die Aufzeichnung der Gruppendiskussion wurden zwei Videokameras inklusive Stativ und ein Audioaufnahmegerät verwendet. Das Aufnahmegerät wurde als zusätzliche Sicherheitsmaßnahme in die Mitte des Tisches ge- legt, um den sich die Teilnehmerinnen gruppierten. An dieser Stelle sei angemerkt, dass die Vornamen der Mädchen, sowohl im Transkript als auch in der empirischen Auswer- tung (vgl. Kap.4.), durch Pseudonyme ersetzt wurden. Im Folgenden möchte ich noch eine kurze Beschreibung zu den einzelnen Gruppen bzw. Teilnehmerinnen geben:

In der neunten Schulstufe des Gymnasiums formierte sich eine Gruppe aus drei 14-jäh- rigen und drei 15-jährigen Mädchen. Ein auffallendes Merkmal der Gruppe war die do- minante Sprecherrolle der 15-jährigen Laura, die unmittelbar als erste zu den Fragen der Diskussionsleitung Stellung nahm. Das Charakteristische an dem Diskurs ist, dass er vor allem durch das Trio Laura, Anne und Mia geführt wurde. Heike, Tina und insbesondere Meli fielen als etwas schüchtern auf.

In der achten Schulstufe der Neuen Mittelschule setzte sich die Gruppe aus zwei 13-, zwei 14- und zwei 15-jährigen Mädchen zusammen. Eine sehr starke Dominanz ging von den zwei Wortführerinnen Franziska und Melanie aus, die das Gespräch weitgehend beherrschten und innerhalb der Gruppe die Orientierungen vorgaben. Die Teilnehmerin- nen Julia und Nina konnten sich in diese Sprechdynamik einfügen, äußerten sich jedoch eher zurückhaltend und artikulierten ihre Meinungen nur zu bereits erwähnten Themen, das heißt sie griffen von sich aus keine neuen auf. Die beiden anderen Mädchen meldeten sich kaum bis gar nicht zu Wort und leisteten für die Gruppendiskussion keinen nennens- werten Beitrag. Ihr Schweigen war offensichtlich so auffallend, dass sie von den anderen Diskursbeteiligten ermuntert wurden mitzudiskutieren. Besonders negativ fiel Nena auf,

41 die pausenlos nach den auf dem Tisch stehenden Snacks und Süßigkeiten griff und mit den dadurch verursachten Geräuschen die Audioaufzeichnungen faktisch unbrauchbar machte. Obwohl dieses Problem ansonsten weder bei den übrigen Teilnehmerinnen noch bei den Gymnasiastinnen aufkam, sei nach dieser Erfahrung niemandem geraten, Geträn- ke und Speisen auf dem Diskussionstisch zu platzieren.

Weshalb ich als Moderatorin nicht in die Gruppendynamik eingriff, erklärt sich aus Bohn- sacks Auffassung, man solle den „Diskurs (denjenigen der Erforschten untereinander) [.] initiieren, ohne diesen [dabei] nachhaltig zu strukturieren“ (Bohnsack 2010, 208). Initiie- ren bedeutet, wie bereits in Kap. 3.4.2. angesprochen, die Diskussion der Teilnehmerin- nen untereinander gerade am Anfang anzukurbeln.

Um eine soweit wie möglich natürliche und für die dokumentarische Methode der In- terpretation ergiebige Gesprächssituation herzustellen, orientierte ich mich an den acht Prinzipien, die Bohnsack (Bohnsack 2010, 208ff) für den reibungslosen Ablauf einer Gruppendiskussion bereithält:

〉〉 Die gesamte Gruppe ist Adressatin der Forscherintervention: Die Gruppe wird von der Diskussionsleitung in ihrer Gesamtheit angesprochen. Es wird vermieden einzelne Personen zu adressieren und in die Verteilung der Redebeiträge einzugreifen.

〉〉 Vorschlag von Themen, nicht Vorgabe von Propositionen: Die Bearbeitung eines Themas steht den Teilnehmer_innen völlig frei. Es wird tunlichst vermieden Propositionen vorzugeben, um nicht Einfluss auf den Orientierungsrahmen zu nehmen, innerhalb dessen das Thema behandelt wird.

〉〉 Demonstrative Vagheit: Die Diskussionsleitung ist dazu angehalten, Fragestellungen „bewusst und ‚demonstrativ‘ vage“ (Bohnsack 2010, ebd.) zu halten. Damit soll den Diskursbeteiligten signalisiert werden, dass die Diskussionsleitung nichts über deren milieuspezifische Orientierungen weiß. Einerseits wird damit „Respekt gegenüber dem Relevanzsystem, der Erfahrungswelt der Erforschten bekundet“ (Bohnsack 2010, 209), andererseits werden diese dazu animiert die Forscher_innen ausführlich darüber zu informieren.

42 〉〉 Kein Eingriff in die Redebeiträge: Die Forscher_innen versuchen sich während der gesamten Diskussion zurückzunehmen und nicht lenkend in das Gespräch einzugrei- fen. Das heißt, sie ignorieren die von Moderator_innen ansonsten üblich erwartete Rolle der Zuweisung von Redebeiträgen. Damit soll den Diskursbeteiligten ausführ- lich Gelegenheit gegeben werden, Themen eigenmächtig zu beenden und die Re- debeiträge selbstständig zu verteilen. Die Schweiger in den beiden Gruppendiskus- sionen wurden daher, entgegen der sonst üblichen Auffassung (vgl. Lamnek 2010, 403ff), nicht dazu animiert an der Diskussion teilzunehmen.

〉〉 Generierung detaillierter Darstellungen: Um wie in der dokumentarischen Methode gefordert, die Handlungspraxis bzw. den modus operandi zur Herstellung dieser er- mitteln zu können, bedarf es detaillierter Erzählungen bzw. Darstellungen. Mit ei- ner expliziten Aufforderung zur Erzählung (z.B. „Könnt ihr einmal erzählen oder beschreiben, wie sich das damals zugetragen hat...“) sollten die Forscher_innen den Teilnehmer_innen detaillierte Darstellungen entlocken.

〉〉 Immanente Nachfragen, die einem tiefgründigen Verständnis eines bereits bestehen- den Themas gelten, sind den examenten Fragen, die ein neues Thema anschneiden, vorzuziehen.

〉〉 Die Phase examenter Nachfragen: Wenn die Diskussionsleitung merkt, dass der dra- maturgische Zenit bereits überschritten ist und die für die Gruppe zentralen Themen (Fokussierungsmetapher) erschöpfend diskutiert wurden, wird seitens der Modera- tion auf jene Themenbereiche zurückgegriffen, die für das Erkenntnisinteresse von Bedeutung sind, aber bislang noch nicht gegenständlich wurden.

〉〉 Die direkte Phase: Gegen Ende der Diskussion greift die Diskussionsleitung anhand immanenter Nachfragen noch einmal jene Sequenzen auf, die im Diskurs (gefühlte) Ungereimtheiten aufwiesen oder sonstwie hervorstachen. Die Prinzipien (2) und (3) werden an diesem Punkt außer Kraft gesetzt.

43 3.2 Das Gruppendiskussionsverfahren

Das Gruppendiskussionsverfahren ist in der Markt- und Meinungsforschung ein bereits sehr lang etabliertes und in vielerlei Hinsicht bewährtes Forschungsinstrument. Obwohl die Gruppendiskussion in der empirischen Sozialforschung keine dominante Stellung ein- nimmt, wird sie seit geraumer Zeit durch die „Schule der Dokumentarischen Interpretati- on um Ralf Bohnsack als ein legitimer Bestandteil des qualitativen Methodenarsenals an- erkannt“ (Wolff/Puchta 2007, 17). In den folgenden zwei Kapiteln wird die Entwicklung des Verfahrens in einem kurzen historischen Abriss dargelegt.

3.2.1 Die Entstehung im angelsächsischen Raum: Focus Groups and Group Discussion

Die Anfänge der Gruppendiskussion finden sich in den USA der 1930er Jahre. Kurt Lewin und sein Forscherteam haben Gruppendiskussionen in sozialpsychologischen Experimenten eingesetzt, um Gruppenprozesse zu analysieren. Dabei interessierte sich Lewin weniger für den Inhalt der einzelnen Sprechbeiträge, als vielmehr für die Art der gegenseitigen Bezugnahme, das heißt für den „‘Führungsstil[.] und [die] Reaktionen der Gruppenmitglieder untereinander‘“ (Krüger 1983 zit. n. Lamnek 2010, 372).

Mitte der 1940er Jahre entdeckten Merton und Kendall die Gruppendiskussion (engl. Focus Groups) als Forschungsinstrument für ihre Studien zur Medienwirkungsforschung. Ihr Erkenntnisinteresse galt den Wirkungen und Reaktionen von Rezipient_innen auf Propagandafilme des zweiten Weltkrieges. Die Methode hatte gegenüber den damals stark dominierenden Einzelinterviews den Vorteil, die Reaktionen der Erforschten gebündelt zu erheben. Da sich die empirische Sozialforschung zu dieser Zeit stärker dem quantita- tiven Paradigma zuwandte, räumte man den Focus Groups nur eine kleine Rolle im For- schungsgefüge ein. Dies traf auch auf Merton und Kendall zu, die die Gruppendiskussi- on primär für den explorativen Zweck einsetzten, um nach neuen Ideen und Hypothesen zu suchen (vgl. Merton 1987, 558; Loos/Schäffer 2001, 16).

44 Gleichzeitig wurde der Gruppendiskussion im Bereich der kommerziellen Marktforschung mehr Aufmerksamkeit geboten. Auch Paul Lazarsfeld, der in seinen sozialwissenschaftli- chen Forschungsprojekten vorwiegend mit standardisierten quantitativen Befragungsme- thoden arbeitete, setzte die Gruppendiskussion in außeruniversitären Marketingprojekten ein (vgl. Wolff/Puchta 2007, 3).18 Dort sind sie bis heute ein sehr beliebtes Erhebungsin- strument. Im Unterschied zu den Sozialwissenschaften haben Privatunternehmen jedoch einen sehr pragmatischen Zugang zu Gruppendiskussionen. Sie ermöglichen Auftrag- geber_innen unmittelbar mit den Verbrauchergruppen in Berührung zu kommen, über deren Einstellungen und Äußerungen sie ein transparentes Bild des Marktes erhalten. Die kommerzielle Marktwirtschaft verzichtet dabei jedoch weitgehend auf methodische Reflexionen.

Demgegenüber ist die Praxis in den Sozialwissenschaften in theoretisch-programmatische Überlegungen eingebettet und erfährt dort eine stetige Weiterentwicklung. Beispielsweise wandte sich David Morley von der bis zu diesem Zeitpunkt üblichen Rekrutierung nach soziodemografischen Aspekten ab und wählte Teilnehmer_innen aus demselben sozialen Umfeld. Damit bezweckte er eine real bestehende Gruppe als Kollektiv zu erforschen. Dies tat er erstmals in seiner Studie „Nationwide“ (Morley 1980), in der er die Lesarten von Gruppen untersuchte, die diese über die gleichnamige BBC Sendung entwickelten.

In einer seiner späteren Studien „Family Television“ (Morley 1986), greift er den kollekti- ven Charakter des Fernsehens auf. Fernsehrezeption erkennt er nicht als eine Aktivität, die vom Individuum isoliert vollzogen wird, sondern als eine Tätigkeit, die innerhalb sozialer Beziehungen stattfindet. Mit der Gruppendiskussion gelang Morley das Fernseherleben der Gemeinschaft zu untersuchen. Obwohl er sich, entgegen der damaligen Vorherrschaft von Einzelinterviews, für Gruppendiskussionen entschied, kritisieren Loos und Schäffer, Morley hätte in der Darstellung seiner Auswertungen wiederum nur die einzelnen Spre- cher_innen bzw. deren individuelle Äußerungen angeführt (vgl. Schäffer 2006, 118).

18 Dabei kam ihm zugute, dass er sich bereits in den 1920er Jahren in Wien „mit der empirischen Erforschung des Konsumentenverhaltens beschäftigt hatte“ (ebd.)

45 3.2.2 Gruppendiskussionen in Deutschland

In Deutschland hat sich das Gruppendiskussionsverfahren erst einige Jahre später am Frankfurter Institut für Sozialforschung etabliert. Federführend dafür war die von Fried- rich Pollock Anfang der 1950er Jahre entwickelte Studie „zum politischen Bewusstsein im Nachkriegsdeutschland“, die sich mit der Annahme und den Bewältigungsstrategien ge- genüber nationalsozialistischem Gedankengut auseinandersetzte (Schäffer 2006, 119). In Pollocks Begründung, weshalb er im Rahmen dieser Studie das Gruppendiskussionsver- fahren dem Interview vorzieht, führt er aus: „Es sollte vermieden werden, Einstellungen, Meinungen und Verhaltensweisen der Menschen in ihrer Isoliertheit zu studieren, in der sie kaum je vorkommen“ (Pollock 1955, 34).

Für die Weiterentwicklung des Verfahrens ist vor allem Werner Mangold zu nennen, der in dieser Hinsicht einen Paradigmenwechsel einleitete. Wurden Gruppendiskussionen bis dahin als Methode benutzt um die Meinung Einzelner in der Gruppe bzw. unter Grup- penkontrolle zu ermitteln, wandte er sich von diesem Ansatz ab und ebnete den Weg „für die Erforschung kollektiv verankerter Orientierungen, die er ‚Gruppenmeinungen‘ [Hervorh. d. Verf.] nannte“ (Loos/Schäffer 2001, 21).

Eine Gruppendiskussion ist seines Erachtens kein Instrument, mit dem eine statistisch repräsentative Einzelmeinung zu gewinnen sei. Denn erstens gibt es in der Gruppe immer wieder Schweiger, die keinen Beitrag in der Gruppe liefern, zweitens sind die im Diskurs geäußerten Meinungen immer in einen Kontext eingebunden und drittens dürfen auch die Einflüsse, die von den „Gruppenkontrollen“ ausgingen, nicht unterschätzt werden (vgl. ebd.). In diesen Erscheinungen, die man in früheren Ansätzen als Nachteil erkannte und versuchte bestmöglich auszugleichen, sah Mangold kein Problem. Problematischer sah er die zufällige Auswahl der Gesprächsbeteiligten unter dem Aspekt soziodemogra- fischer Daten. Er plädierte, ähnlich wie Morley, für Realgruppen, also für Gruppen, die außerhalb des Diskussionssettings existieren und sich nicht erst aufgrund der Auswahl der Forscher_innen vor Ort kennenlernen. Denn seines Erachtens können sich „wirkli- che ‚Gruppenmeinungen‘ [.] nur in von der sozialen Struktur her homogen zusammen- gesetzten und ‚gewachsenen‘ Gruppen ausbilde[n]“ (Loos/Schäffer 2001, 22; vgl. Kapitel

46 3.3.2.2).

Ende der 1980er Jahre hat Ralf Bohnsack in der dokumentarischen Methode das Mangold‘sche Konzept aufgegriffen und gab dem Verfahren die bis dahin fehlende me- thodologische Begründung. Im folgenden Kapitel werden sowohl die Methodologie als auch die Forschungspraxis der dokumentarischen Methode näher ausgeführt.

47 3.3 Die dokumentarische Methode

3.3.1 Zur Methodologie der dokumentarischen Methode

Die Dokumentarische Methode nach Ralf Bohnsack versteht sich als ein rekonstruktives Verfahren, das sich auf die Wissenssoziologie von Karl Mannheim, die Ethnomethodo- logie sowie die Phänomenologie stützt. Der Begriff, welchen Mannheim prägte, wurde nach langer Zeit der Vergessenheit von Harold Garfinkel wiederentdeckt, der ihn zur methodischen Beschreibung erfolgreicher Alltagspraxis heranzog.

Garfinkel versteht die dokumentarische Methode als ‚Ethnomethode‘, der sich die Ak- teur_innen in Interaktionen bedienen um Äußerungen und Handlungen in ihrer jeweili- gen Bedeutung zu entschlüsseln. Sie tun dies indem sie sie mit ihrem Kontextwissen, dem ein bekanntes Muster ähnlicher Ausdrücke oder Handlungen zugrunde liegt, in Beziehung setzen. Als dokumentarische Methode bezeichnet Garfinkel dieses Verfahren deshalb, weil die Akteur_innen neue, einzelne Erscheinungen bzw. Äußerungen als ‚Dokument‘ dieser vorhandenen Muster begreifen und als solches auch verstehen.19 Somit können „okkasionelle Ausdrücke“ (vgl. Husserl 1921), also Ausdrücke, die mehrdeutig und von einer „wesensmäßigen Vagheit“ gekennzeichnet sind, bewältigt werden (vgl. Bohnsack 2010, 57f).

Obgleich es der Ethnomethodologie darum geht herauszufinden, wie soziale Realität20 von den Akteur_innen hergestellt wird, bleibt sie in ihren empirischen Studien ‚lokal‘ gebunden und verweilt in der aktuellen Regelanwendung bzw. Situation ihrer Untersu-

19 Garfinkel argumentiert, dass die Krisenexperimente gerade deshalb zur Störung des Kommunikationsflusses führen, weil die Experimentator_innen darauf verzichten, die dokumentarische Methode anzuwenden. Das heißt sie weigern sich, auftretende Erscheinungen als Dokument eines für die Beteiligten bekannten Musters anzuerken- nen. (Bohnsack 2010, 57f/vgl. Bohnsack et al. 2007, 13f) 20 Die empirischen Untersuchungen der Ethnomethodologie sind ebenso wie die dokumentarische Methode nach Bohnsack darauf erpicht, den von Mannheim geforderten genetischen Sinn von Handlungen zu erforschen. Beiden geht es um die Frage danach wie „gesellschaftliche Tatsachen“ hergestellt werden und nicht um die Frage danach was sie sind. (Bohnsack 2010, 58) Eine weitere wichtige Sinnebene ist die des intendierten Ausdruckssinns, die sich auf die Motive und Intenti- onen der Handelnden stützt. Sie kann jedoch nicht Teil der Interpretation sein, da die Forscher_innen nur auf Annahmen darüber verfügen, d.h. ihre Vermutungen nur spekulativer Natur wären. (vgl. Loos/Schäffer 2001, 62; Mannheim 1964, 104ff)

48 chungsobjekte. Die Möglichkeit, dass der Modus zur Herstellung von Wirklichkeit au- ßerhalb dieser spezifischen Situation liegt und „Resultat einer typischen (kultur-,- sub kultur-, oder institutionsspezifischen) Bildungsgeschichte“ (Meuser 2007, 218) ist, wird nicht berücksichtigt. Daher, so kritisiert Bohnsack, wird die dokumentarische Methode von der Ethnomethodologie nicht zur Gänze eingelöst, weil man hier vergeblich nach der Explikation jenes zugrundeliegenden Kontextwissens der Beteiligten sucht, das Auf- schluss über ihre habituellen Orientierungsmuster gibt (vgl. Meuser 2007; Bohnsack 2003; 2010). Bohnsack versucht indes, in den konjunktiven Erfahrungsraum der Beforschten einzudringen und dort das habitualisierte Orientierungsmuster in der Rekonstruktion des modus operandi, des Aktes der handlungspraktischen und erlebnismäßigen Herstellung von Wirklichkeit, aufzuspüren (vgl. Bohnsack 2003, 561).

3.3.1.1 Verstehen versus Interpretieren: Das Wesen des konjunktiven Erfah- rungsraumes

Eine empirische Untersuchung der beschriebenen Realitätskonstruktion muss die Äu- ßerungen und Handlungen der Beteiligten aus dem Kontext, aus den Erlebniszusam- menhängen bzw. aus den gemeinsamen konjunktiven Erfahrungsräumen, aus denen sie entstanden sind, verstehen können.

„Wir [erfassen] beim Verstehen der geistigen Realitäten, die zu einem bestimm- ten Erfahrungsraum gehören, die besonderen existentiell gebundenen perspek- tivischen Bedeutungen nur, wenn wir uns den hinter ihnen stehenden Erlebnis- raum und Erlebniszusammenhang irgendwie erarbeiten“ (Mannheim 1980, 272).

Dieses Erarbeiten folgt in der dokumentarischen Methode der Interpretation zunächst der Mannheimschen Unterscheidung von zwei Sinnebenen, der objektiven und der do- kumentarischen, die unterschiedliche Formen der Sozialität ansprechen.21 Bohnsack ver- deutlicht diese Differenzierung beispielhaft am Begriff Familie.

„Uns [ist] die […] ‚wörtliche‘ Bedeutung des Begriffs ‚Familie‘ unproblematisch

21 Eine weitere wichtige Sinnebene ist die des intendierten Ausdruckssinns, die sich auf die Motive und Inten- tionen der Handelnden stützt. Sie kann jedoch nicht Teil der Interpretation sein, da die Forscher_innen nur auf Annahmen darüber verfügen, d.h. ihre Vermutungen nur spekulativer Natur wären. (vgl. Loos/Schäffer 2001, 62; Mannheim 1964, 104ff)

49 gegeben, da wir alle ein Wissen um die Institution Familie haben. Dieses kommu- nikativ generalisierende Wissen ermöglicht uns aber noch keinen Zugang zum Erfahrungsraum der je konkreten Familie in seinem milieuspezifischen oder auch individuell fallspezifischen Eigensinn […]“ (Bohnsack 2003, 561).

Der Zugang zum kommunikativ generalisierenden Wissen, das heißt zu dem objektiven Sinngehalt ist relativ leicht, da die Befragten selbst darüber Auskunft geben können, sie ihr Wissen selbst explizieren. Für die Interpretation wird ein Modell zweckrationalen Handelns impliziert, das den „Um-zu-Motiven“ im Sinne Alfred Schütz‘ folgt (vgl. Bohn- sack 2010, 60). Mit dem oben genannten Beispiel könnte man also sagen: Ich heirate, um eine Familie zu gründen. Die Gründung einer Familie ist der „immanente“ oder der „ob- jektive“ Sinngehalt. Obgleich dieses Motiv keine Allgemeingültigkeit besitzt, kann man es in unserer Gesellschaft als institutionalisiert und im Sinne seiner Nachvollziehbarkeit als „objektiviert“ annehmen.

Anders verhält es sich jedoch mit dem Dokumentsinn, der in die soziale Praxis der Betei- ligten eingebettet ist. Die Familie als konjunktiver Erfahrungsraum ist eine Gemeinschaft, die an perspektivische Erlebnisse innerhalb des sozialen Zusammenlebens gebunden ist. Dabei beschränkt sich der Erfahrungsraum nicht nur auf das unmittelbar gemeinsame Erleben der Individuen zueinander, sondern es werden auch „alle gemeinsamen Erleb- nisse, die sich auf außenweltliche Dinge (Landschaften, Menschen, Politik usw.) beziehen […], auf diesen Erfahrungsraum bezogen“ (Mannheim 1980, 214). Die Erlebnisse und damit auch das Wissen, das darin entsteht, erhält dort zugleich auch seine Orientierung. Mannheim spricht hier von konjunktivem bzw. atheoretischem Wissen, welches sich mit dem „tacit knowledge“ bei Polanyi (1966) vergleichen lässt (vgl. Przyborski 2004, 23). Den Teilhabenden, in diesem Falle den Familienmitgliedern, ist dieses Wissen immanent und unmittelbar gegeben, jedoch ohne die Möglichkeit, reflexiv darauf zurückzugreifen, das heißt ohne es selbst auf den Begriff bringen zu können. Den Forscher_innen obliegt nun die Aufgabe, sich mit der Handlungspraxis der Beteiligten vertraut zu machen, sich ihren Erlebnisraum bzw. Erlebniszusammenhang zu erarbeiten um somit dieses Wissen begrifflich theoretisch zu explizieren und damit zugrunde liegende habituelle Orientierungs- muster offen zu legen (vgl. Bohnsack 2003, 561; 2010).

50 Während der Erfahrungsraum ‚Familie‘ noch beschränkt ist auf die existentielle Bezie- hung der Mitglieder zueinander, deren „momentan bedingte[.] perspektivische[.] Erleb- nisse[.] [sich] im Flusse des Zusammenlebens veränd[ern]“, (Mannheim 1980, 227) kann der Erfahrungsraum auch größere Dimensionen annehmen und eine Vielzahl an Indivi- duen mit einbeziehen.

Mit dieser Erweiterung kommt der Sprache und ihrer begrifflichen Fixierung eine zent- rale Rolle zu, denn durch sie lassen sich unzählige Teilhaber_innen eines Erfahrungsrau- mes analytisch erfassen. Sie bewahrt die Beständigkeit und Dauerhaftigkeit konjunktiver Erfahrungen und stereotypisiert gleichzeitig die Erlebniszusammenhänge der Mitglieder, die sich nun losgelöst von einer unmittelbaren Kontagion22 in einer wachsenden Gruppe wiederfinden. Die Sprache selbst kann dabei auch nicht vollkommen losgelöst von einem konjunktiven Erfahrungsraum gedacht werden. So kritisiert Mannheim an der naturwis- senschaftlich orientierten Erkenntnistheorie, dass sie in der wissenschaftlichen Betrach- tung der Begriffsbildung nur jene exakten Begriffe vor Augen hat, die kontextfrei aus der Definition entstehen und dadurch überkonjunktiven Charakter besitzen.23 Übersehen wird dabei nämlich der existentielle Bezug bzw. die funktionale Verankerung, aus der diese Begrifflichkeiten stammen. Ein Allgemeinbegriff eingebettet in den konjunktiven Erfahrungsraum kann für die Gruppe mit einem gemeinsamen Erlebniszusammenhang eine besondere Bedeutung erlangen.

„Es ist bekannt, daß insbesondere bedeutende Revolutionsreden, wenn sie nur gedruckt gelesen werden, oft als nichtssagend und unbedeutend erscheinen, wäh- rend sie in der Versammlung, wo der konjunktive Erfahrungsraum noch vorhan- den war und die Rede sozusagen nur die hinweisende Funktion auf gemeinsam

22 Die Kontagion ist nach Mannheim die existentiellste Form der Erkenntnis, welche sich durch die Berührung des Selbst mit dem Gegenüber (egal ob Gegenstand oder Individuum), durch dessen Aufnahme in den eigenen Selbstkreis, dem Eins-werden mit ihm vollzieht. Erst mit dieser Verschmelzung kommt es zu einer erkennbaren Subjekt-Objektbeziehung. Berührung bedeutet den Anderen nicht nur körperlich (durch den Tastsinn) sondern auch seelisch, geistig zu erfassen. Mit der Kontagion entsteht eine „existentielle Beziehung, eine Seinsrelation zu dem anderen, die zur Grundlage einer jeden späteren Kommunikation und Erfahrung des Gegenübers werden wird“ (Mannheim 1980, 210). 23 Mannheim spricht hier von einem „utopischen Ideal der Begriffsbildung“ (Mannheim 1980, 217). Przyborski ergänzt, dass dies einem Idealtypus entspricht und von einem akademischen konjunktiven Erfahrungsraum gese- hen, als solcher auch nachvollziehbar erscheint (vgl. Przyborski 2004, 25).

51 Erlebtes hatte, als ein adäquater Ausdruck erlebt wurden“ (Mannheim 1980, 219).

Mit der fehlenden Teilnahme am Ort des Geschehens, in der sich die konjunktive Er- fahrung entfaltete, reduziert sich für die Leser_innen im Nachhinein das Verständnis der Rede auf die Allgemeinbedeutung der Worte.

„Hieraus ist aber bereits ersichtlich, was durch ein ausschließliches Eingestellt- sein auf den anderen Typus der Wortbedeutungen zumeist übersehen werden mußte: daß sie nicht nach der Analogie der streng definierten Begriffe im Sinnbil- de einer einmalig abhebbaren Begriffsebene erfaßbar sind, deren letzter Sinn sich nur erschließt, wenn man die Wortbedeutung und die ganze Rede rückverankert in jenen existentiellen Bezug, aus dem und für den sie entsprungen ist“ (Mann- heim 1980, ebd.).

In Analogie zu Bohnsacks Beispiel der Familie, zeigen sich auch in der Sprache die beiden unterschiedlichen Sinnebenen. Der objektive, immanente Sinngehalt wird in Form der Allgemeinbegriffe, der dokumentarische erst durch den Funktionalitätsbezug der verwen- deten Begriffe augenscheinlich.

Mit der Sprache, darauf wurde bereits hingewiesen, werden Erfahrungszusammenhän- ge stereotypisiert. Die konjunktiven Begriffe, wie beispielhaft in der Rede, können von diesem einmaligen Erlebnis losgelöst auch in anderen Ereignissen innerhalb desselben Erfahrungsraumes auftauchen und dort eine einheitliche Sinnzuschreibung erfahren, die sich nicht auf einen anderen Erfahrungsraum übertragen lässt. Die Begriffe lassen sich so gesehen abstrahieren, sind aber dennoch nicht mit Allgemeinbegriffen zu vergleichen, da sie keinen generalisierenden Charakter besitzen, sondern perspektivisch an den Erfah- rungsraum gebunden sind. Stereotypisierung meint daher lediglich die Wiederholungen der bezeichneten Phänomene innerhalb eines Erfahrungsraumes und nicht etwa darin auftretende Einzelerscheinungen (vgl. Mannheim 1980, 220ff).

Auch die Art der Verständigung der Mitglieder eines Erfahrungsraumes unterscheidet sich von der jener, die nicht daran teilhaben. Besonders und gerade dann, wenn sie über ihre gemeinsamen Erfahrungen sprechen, verfügen sie über ein Kontextwissen, das die Kom- munikation kurz, präzise und fraglos gestaltet. „Man erklärt [Hervorh. d. Verf.] einander

52 nicht mehr, sondern man versteht [idem] einander“ (Przyborski 2004, 27). Außenstehende, die den Gesprächen nicht ohne weiteres folgen können, bedürfen einer Interpretation der Sinnzusammenhänge.

Verstehen versus Interpretieren, Allgemeinbedeutung versus konjunktive Bedeutung, im- manent generalisierendes versus atheoretisches Wissen – mit dem Verständnis der Sin- nebenen und ihren Polaritäten wird der Zugriff auf die Genese des Habitus bzw. der Orientierungsmuster der Beforschten ermöglicht.

Das empirische Material, das zur Analyse der dokumentarischen Methode herangezogen wird, wird aus unterschiedlichen Erhebungsverfahren gewonnen: Erzählungen, Beschrei- bungen und direkte Beobachtungen sind dabei ebenso gebräuchlich wie Gruppendis- kussionen. Letztere stellen für die dokumentarische Methode ein besonders passendes Verfahren dar, weil in der wechselseitigen Bezugnahme der Gesprächsbeteiligten jene (unabhängig von den subjektiven Intentionen Einzelner) Kollektivvorstellungen24 zum Ausdruck gebracht werden, die Aufschlüsse über die spezifischen Gemeinsamkeiten in- nerhalb der Gruppe geben (vgl. Bohnsack 2010, 42).

3.3.2 Die Forschungspraxis der dokumentarischen Methode

Das Interpretationsverfahren der dokumentarischen Methode vollzieht sich nach Bohn- sack in drei bzw. vier interdependenten Auswertungsschritten. Mit den zentralen Fragen an das Material, nach dem Was und dem Wie einer Erzählung lassen sich die ersten beiden Arbeitsschritte der formulierenden und reflektierenden Interpretation unterscheiden.Was ist „die gesellschaftliche Realität in der Perspektive der Akteure [und] wie [wird] diese in

24 Mannheim teilt Durkheims Auffassung nicht, wonach Kollektivvorstellungen eigenständige Dinge sind, die von außen (exterior) an die Subjekte herantreten. Die Begründung dafür, dass Durkheim mit seiner Definition falsch liegt, liefert Mannheim am Beispiel des Berges. Ein Ding bezeichnet nämlich etwas, das an und für sich da ist. So gesehen ist der Berg ein Ding, das zunächst ohne Bedeutungszuschreibung existiert. In konjunktiver Erfahrung erfährt der Berg jedoch eine Zuschreibung, die für unterschiedliche Gemeinschaften Unterschiedliches bedeutet. Für die einen ist es ein „Zauberberg“, für andere eine alpine Herausforderung. „Der Berg ist [Hervorh. d. Verf.], die Kollektivvorstellung bezieht [idem] sich auf ihn. Die Kollektivvorstellung mag sich in ihrem Inhalte verändern, aber ihre Seinsweise ist auch später die des Sichbeziehens [idem] auf seiende Dinge“ (Mannheim 1980, 232).

53 der Praxis hergestellt [.]“ (Bohnsack 2006, 42)?

Im nächsten Schritt, in der komparativen Analyse, versuchen die Interpret_innen sich vom Einzelfall zu lösen und ihn zu abstrahieren um Kenntnisse über den existentiellen Hintergrund einer Gruppe zu gewinnen. In der Praxis wird dabei nach Besonderheiten, Gemeinsamkeiten und Unterschieden, sowohl innerhalb einer Gruppe (fallintern) als auch im Vergleich zu anderen Gruppen (fallextern) gesucht. Die komparative Analyse fließt re- flexiv in allen Interpretationsschritten ein und ist daher in jeder Phase der Untersuchung unabdingbar. Nicht zuletzt deshalb, weil mit dem Vergleich bzw. der Kontrastierung von Einzelfällen Typiken herausgearbeitet werden können. Auf Generationstypiken lässt sich beispielsweise schließen, wenn sich in den Daten perspektivische Unterschiede zwischen den Generationen, aber innerhalb der Altersgruppen Gemeinsamkeiten begründet fin- den.

„Der Kontrast in der Gemeinsamkeit läßt sich somit als Verfahrensregel einer Vorgehens- weise rekonstruieren, die sich als typengenerierende versteht […]“ (Bohnsack 1989, 17). Die Auswahl der Gruppe erfolgt nach dem theoretical sampling. Mit den ersten Anzei- chen eines Typus wird nach weiteren Fällen gesucht, die für eine Typengenerierung oder nach Glaser/Strauss für eine Theoriegenerierung erforderlich sind (vgl. Bohnsack 1989, ebd.).

Im Folgenden werde ich die einzelnen Interpretationsschritte ausführlich beschreiben.

3.3.2.1 Die Formulierende Interpretation

Gegenstand der formulierenden Interpretation ist eine zusammenfassende Darstellung des immanenten Sinngehalts, also dessen, was die Akteur_innen im Diskurs bereits selbst explizierten. Die Interpret_innen bleiben auf der Ebene des Gesagten und begeben sich (noch) nicht in die Rolle der Beobachter_innen. Das Ziel ist zunächst, den thematischen Inhalt bzw. die Struktur anhand von Überschriften bzw. Ober- und Unterthemen zu glie- dern, um sich eine genaue Übersicht über den Text zu verschaffen. Interpretativ ist dieses Vorgehen schon alleine deshalb, weil die Forscher_innen die Sprache der Erforschten übersetzen und mit der Formulierung von Überschriften das im Text zunächst Implizite

54 begrifflich explizieren. Die Offenlegung der thematischen Struktur ist die Ausgangsbasis für jede weitere Interpretation, um sich bei späteren Uneinigkeiten wieder darauf rückbe- ziehen zu können und die Perspektive auf das Material zu korrigieren oder zu schärfen.

Da nicht die gesamte Gruppendiskussion einer Interpretation unterzogen wird, werden in der Phase der formulierenden Interpretation einige Diskurspassagen nach folgenden Gesichtspunkten selektiv ausgewählt.

〉〉 Nach der thematischen Relevanz der Fragestellung der Forscher_innen

〉〉 Nach der thematischen Vergleichbarkeit mit anderen Diskussionen, um eine „kom- parative Analyse“ bzw. auch die Erstellung einer Typologie zu ermöglichen

〉〉 Nach dem Hinweis für eine übergreifende kollektive Haltung der Gruppe, die beson- ders in Passagen mit hoher interaktiver und metaphorischer Dichte zum Ausdruck kommt (vgl. Bohnsack 2010/ vgl. auch Kapitel 3.3.2.2).

3.3.2.2 Die Reflektierende Interpretation

Die reflektierende Interpretation transzendiert den immanenten Sinngehalt und richtet die Analyse auf die Dokumentation der konjunktiven Erfahrungsräume bzw. der kollek- tiven Handlungspraxen der Diskursteilnehmer_innen. Dabei geht es vor allem darum, wie ein Thema behandelt wird, in welchem Orientierungsrahmen es behandelt wird. Der Orientierungsrahmen25 einer Gruppe ist dabei Träger des Dokumentsinns, also jener Sin- nebene, die die dokumentarische Methode zu rekonstruieren sucht (vgl. Bohnsack 2006; 2010). Um sich nun dem dokumentarischen Sinngehalt eines Diskurses zu nähern, bedarf es der näheren Beschreibung der Begrifflichkeiten: Orientierung, Rahmen und Gegenho- rizont.

„Orientierungen [sind] Sinnmuster, die unterschiedliche (einzelne) Handlungen struktu- rieren, hervorbringen“ (Przyborski 2004, 55). Sie sind im Sinne von Alfred Schützs „Um- zu-Motive“ den Handlungen implizit gegeben, können also nicht begrifflich-theoretisch gefasst werden. Nach Schütz orientiert sich sinnhaftes Handeln immer an dem selbst entworfenen Handlungsmuster des Handelnden. In den Gruppendiskussionen tauscht

25 Bohnsack verwendet den Orientierungsrahmen auch synonym für den Habitus

55 man sich über die Handlungsentwürfe, an denen man orientiert ist, aus (vgl. Schütz 1974; Bohnsack 1989, 26). So werden Orientierungsmuster (auch Orientierungsfiguren genannt) einerseits auf verbal inhaltlicher Ebene, in Form von Propositionen, (d.h. Darstellungen, Erklärungen oder Erzählungen) gegenständlich. Andererseits kommen sie auf der Ebene der Performanz als Metakommunikation zum Ausdruck, wozu die formalen Aspekte der Interaktion wie beispielsweise Gesten, die Verteilung der Redebeiträge oder die Aushand- lung der Teilnehmerrollen zählen (vgl. Przyborski 2004, 62/ Loos/Schäffer 2001, 66).

Biografisch relevante Orientierungsmuster und die in der Interaktion ausgedrückten Er- lebnisdarstellungen und -prozesse sind in den Erfahrungsraum der Gruppe eingebettet. „Diesen Erfahrungsraum bzw. seine Grenzen, wie sie durch ‚Gegenhorizonte‘ (negative und positive) markiert sind, habe ich auch ‚Rahmen‘ der Gruppe genannt“ (Bohnsack 1989, 25). Durch die Gegenhorizonte gewinnen die Orientierungsmuster an Kontur. Ar- tikuliert ein Sprecher bzw. eine Sprecherin im Diskurs ein positives Ideal oder eine (Hand- lungs-) Möglichkeit, so spricht man von einem positiven Horizont. Passiert Gegenteiliges, wird also ein Entwicklungsweg strikt abgelehnt, nennt man dies einen negativen (Gegen-) Horizont. Ein weiterer wichtiger Begriff ist jener des Enaktierungspotentials. Darun- ter versteht Bohnsack die Realisierungsmöglichkeiten von Orientierungen ins alltägliche Handeln. Das Enaktierungspotential und die Gegenhorizonte sind jene drei Struktur- merkmale, welche einen interpretativen Zugang zur Orientierung erlauben.

Die Suche nach Orientierungen und die Identifikation eines Rahmens vollziehen sich in der Sequenzanalyse, wo einzelne Diskursbewegungen zum Gegenstand der Interpreta- tion werden. In der Sequenzanalyse wird, vergleichbar mit der Objektiven Hermeneu- tik, von einer regelhaften Abfolge der Gesprächsbeiträge ausgegangen. Im Unterschied zur Objektiven Hermeneutik geht die dokumentarische Methode davon aus, dass diese Regelhaftigkeit den Gesprächsteilnehmer_innen intuitiv gegeben ist, das heißt, dass ihre Kenntnis davon, in den atheoretischen bzw. konjunktiven Wissensbeständen eingelagert ist. Dieses intuitive Verstehen sichtbar zu machen, bedeutet eine kollektive Haltung, einen Orientierungsrahmen homolog auch in anderen thematischen Auseinandersetzungen zu finden (vgl. Bohnsack 2003, 564).

56 Rahmen In Abbildung 2 wird das Zusammenspiel der Begrifflichkeiten, mit welchen der konjunktive v) Ge siti gen Erfahrungsraum bzw. Rahmen der Gesprächs- po ho ( r t iz n o o n teilnehmer erarbeitet wird, veranschaulicht. z t i r ( o n

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Wie bereits angedeutet, liegt das Interesse der

Forscher_innen am Kollektiven, das heißt am E n le akt tia gemeinsamen Problem bzw. am gemeinsamen ierungspoten existentiellen Hintergrund der Gesprächsteil-

Abb. 2: Aufbau des Orientierungsrahmens nehmer_innen. Der kollektive Bedeutungszu- Eigene Darstellung in Anlehnung an Bohn- sammenhang erschließt sich nicht durch die ein- sack 1989, 28. zelnen Redebeiträge, sondern eröffnet sich mit der Betrachtung der im Diskurs stattfindenden wechselseitigen Bezugnahme und dem gemeinsamen Fokus der Gruppe. Hier hat vor allem Mangold einen entscheidenden Bei- trag zur Untersuchung von Gruppendiskussionen geleistet.

„In der Diskussion schlagen offenkundig bereits ausgebildete Gruppenmeinun- gen sich nieder. Diese werden gleichsam arbeitsteilig vorgetragen. Die Sprecher bestätigen, ergänzen, berichtigen einander, ihre Äußerungen bauen aufeinander auf, man kann manchmal meinen, es spreche einer, so sehr paßt ein Diskussions- beitrag zum anderen. Eine Zerlegung dieses kollektiven Prozesses der Meinungs- äußerung in die Ansichten der einzelnen Sprecher ist vielfach unmöglich. Die Gruppenmeinung ist keine ‚Summe‘ von Einzelmeinungen, sondern das Pro- dukt kollektiver Interaktionen. Die einzelnen Sprecher haben an ihrer Darstel- lung zwar in verschiedenem Umfang Anteil, jedoch sind alle aneinander orien- tiert […]. Die Gruppenmeinungen lassen sich nur aus der Totalität der verbalen wie nicht verbalen Stellungnahmen herauskristallisieren“ (Mangold 1960, 48f).26

Nach Mangold wurden die in diesem Zitat dargelegten Gruppenmeinungen zuvor bereits „in der Realität unter den Mitgliedern des betreffenden Kollektives ausgebildet […].“ (Mangold 1973, 240)27 und daher nicht unmittelbar im Prozess des Diskurses produziert,

26 Dazu ausführlich in Bohnsack, 2010 op.cit. 27 Idem

57 sondern lediglich aktualisiert. Als Voraussetzung dafür gilt der gemeinsame Erlebnishin- tergrund, der sich beispielweise durch ein gemeinsames Schicksal oder durch die soziale Lage definiert. Empirisch evident wird das Kollektive vor allem dann, wenn derEin- zelne im Diskurs (euphorisch) aufgeht und sich die Redebeiträge zunehmend steigern, sodass die Gruppe letztlich ihr gemeinsames Anliegen auf den Punkt bringt. Bohnsack konstatiert, dass diese empirische Evidenz schwer mit „jenem theoretischen Verständnis des Kollektiven [vereinbar ist], wie es nachhaltig die soziologische Diskussion bestimmt und durch die Durkheimschen Kriterien der Exteriotität und des Zwanges definiert ist“ (Bohnsack 2010, 107)28. Durkheim erkennt Kollektivvorstellungen als soziale Tatsachen, die aufgrund der in ihnen aufgelösten Einzelmeinungen, unabhängig von der Gruppe, einfach existieren. Mannheim wendet sich von diesem Ansatz ab und liefert mit seinem Verständnis von einem ‚konjunktiven Erfahrungsraum‘ eine angemessene theoretisch- methodische Begründung der empirischen Evidenz des Kollektiven in Gruppendiskussi- onen29 (vgl. Bohnsack 2010, 108).

In der Sequenzanalyse orientieren sich die Forscher_innen zunehmend an jenen Textpas- sagen, in denen die soeben beschriebenen kollektiven Bedeutungsmuster verstärkt zu Tage treten. Bohnsack nennt diese Passagen Fokussierungsmetaphern. An diesen Stellen sieht man, dass die Gruppe „in besonderer Weise ‚bei sich selbst‘ ist“, sie also stark interagiert und mit ihren wechselseitigen Äußerungen dramaturgische Höhepunkte erreicht (Bohnsack 1989, 25). Charakteristisch ist für sie daher die besonders hohe interaktive und metapho- rische Dichte gegenüber anderen Passagen. Die verstärkte Interaktion ist Indikator für die habituelle Übereinstimmung der Sprecher. Die Zentren gemeinsamer Orientierungen kommen in den detaillierten Erzählungen und Darstellungen metaphorisch zum Ausdruck (vgl. Bohnsack 2006, 67). In jeder Gruppendiskussion sollte es zumindest eine Textstelle geben, in der ein zentraler bzw. übergreifender Orientierungsrahmen sichtbar wird, der dann auch in anderen Passagen homolog auffindbar ist (vgl. Loos/Schäffer 2001, 70).

28 Mangolds gewonnene empirische Evidenz aus der Rekonstruktion von Diskursprotokollen, fand zunächst keine adäquate theoretisch-methodische Verortung; weder von Seiten des Frankfurter Instituts für Sozialforschung noch seitens des Diskussionsstandes „der damaligen bundesrepublikanischen Nachkriegssoziologie“ (Bohnsack 2010, 108). 29 Siehe auch Kap. 3.2.1.

58 3.3.2.3 Komparativer Vergleich

Die Rahmenkomponenten, d.h. die beiden Gegenhorizonte und das Enaktierungspoten- tial, welche den Rahmen aufspannen, sind wesentlicher Teil der reflektierenden Interpre- tation. Sie können aber nur interpretierend erfasst werden, wenn sich die Forscher_innen auf einen vergleichbaren Bezugspunkt bzw. Standort außerhalb dieses Rahmens berufen können, um so die Abstraktionsfähigkeit des Rahmens zu testen. Die Interpret_innen be- dienen sich im Zuge des Vergleichs zunächst ihres eigenen Standorts. Das heißt, dass Ver- gleiche vor dem Hintergrund der eigenen Erfahrung bzw. des eigenen Erfahrungsraums aufgrund gedankenexperimenteller Gegenhorizonte oder hypothetischer Ideen etc. erfol- gen. Mannheim nennt dies die Standortgebundenheit oder auch Seinsverbundenheit der Interpret_innen. Zur genauen Veranschaulichung bedient er sich am Beispiel der Land- schaft, die aus vielen verschiedenen Blickwinkeln betrachtet und je nach Perspektive ein anderes Bild vom Gegenstand liefert. Mannheim konstatiert, dass nicht nur „jedes dieser Bilder eine Erfahrung dieser [Hervorh. d. Verf.] Landschaft“ ist, sondern auch jedes dieser Bilder seine Wahrheit hat, weil für das Bild „sowohl mein räumlicher Standort wie auch die Beschaffenheit des betrachteten Gegenstandes konstitutiv“ sind. Schließlich ließe sich eine Landschaft ohne die perspektivische Betrachtung auf sie nicht denken (Mannheim 1980, 212).

Obgleich es also für die Forscher_innen nicht möglich ist ihren Standort zu verlassen, lässt sich die Standortgebundenheit methodisieren, indem anstelle der impliziten Ver- gleichshorizonte der Interpret_innen empirische Vergleichsfälle treten, um eine intersub- jektiv nachvollziehbare Analyse zu gewährleisten. Für die dokumentarische Methode ist die komparative Analyse eine wichtige Vorgehensweise, weil sie durch das Heranziehen fallexterner Vergleiche sowohl die Intersubjektivität, die methodische Kontrollierbarkeit, als auch die Validität der Forschung erhöht (vgl. Bohnsack, 2007; 2010). Der komparative Vergleich erstreckt sich daher über den ganzen Interpretationsverlauf und ist sowohl für die reflektierende Interpretation als auch für die Typenbildung konstitutiv.

59 3.3.2.4 Typenbildung

Charakteristisch für die Typengenerierung in der dokumentarischen Methode ist das He- rausarbeiten verschiedener Typiken eines Falles, die nur vor dem Hintergrund empirisch rekonstruierter Vergleichshorizonte systematisch identifiziert werden können. Unter Ty- piken versteht man ineinander verwobene Bedeutungsstrukturen eines Falles, die sich im Einzelnen etwa als Milieu-, Geschlechts-, Bildungs- oder Entwicklungstypiken ausdiffe- renzieren lassen (vgl. Bohnsack 1989, 16).

Für eine weitere methodische Bezugnahme ist es eventuell hilfreich, sich nochmals die bisherigen Arbeitsschritte vor Augen zu führen. In der reflektierenden Interpretation wird ein Orientierungsrahmen generiert, der auf dem Gegenhorizont anderer Fälle abstrahiert und in all seinen Ausprägungen spezifiziert wird. Der Orientierungsrahmen (bzw. der Habitus) wird anschließend einer Typik zugeordnet. Die Vermutung eines Zusammen- hangs kann jedoch wiederum erst in einer komparativen Analyse bestätigt oder verworfen werden. Damit die mehrdimensionale Typenbildung dem Anspruch an Generalisierbarkeit gerecht wird, muss wiederholt vor dem Vergleichshintergrund anderer Fälle, nach Kont- rasten in der Gemeinsamkeit gesucht werden. Bohnsack nennt diesen Vorgang nach Mann- heim die sinngenetische Typenbildung, in der „zwar sichtbar [wird], dass unterschiedliche Erfahrungsdimensionen im Spiel sind, ohne aber zu wissen, um welche genau es sich handelt“ (Bohnsack 2007, 245).

Von einer soziogenetischen Typenbildung spricht er dann, wenn im Sinne des erklärenden Verstehens nach Max Weber danach gefragt wird, in „welchem spezifischen Erfahrungs- raum, welcher Erfahrungsdimension oder welcher sozialen Lagerung eine generelle Ori- entierung zuzurechnen ist, wofür [Herv. d. Verf.] sie also typisch ist“ (Bohnsack 2007, 253).

Ein sehr anschauliches empirisches Beispiel findet sich bei Loos und Schäffer in der Be- schreibung eines Kontrastes von Gruppen gemeinsamer Milieuzugehörigkeit. In der Unter- suchung von Gruppen aus dem Arbeitermilieu kristallisiert sich ein Orientierungsmus- ter heraus, das sie als „strikten Individualismus“ bezeichnen. Bei einer weiteren Gruppe, ebenfalls aus dem Arbeitermilieu, zeigt sich ein anderes Muster, nämlich das des „kollek-

60 tiven Schicksals“. Der Kontrast innerhalb ihrer milieuspezifischenGemeinsamkeit lässt sich nach Loos und Schäffer auf ihre unterschiedliche sozialräumliche Einbindung zurück- führen. Während erstere Gruppen in quer über die Stadt verteilten Gebieten wohnen, kommt letztere Gruppe aus einer gewachsenen Arbeiternachbarschaft. Ihre milieuspezifi- sche Gemeinsamkeit liegt schließlich in ihrem „spezifischen Blick auf die Gesellschaft, der sich als ‚Frontstellung‘ zwischen dieser und dem Individuum beschreiben lässt“ und der, im Vergleich zum bürgerlichen Milieu, dort nicht auffindbar ist (Loos/Schäffer 2001, 72).

Der abstrahierte Orientierungsrahmen, den ich abgekürzt als „spezifischen Blick“ wieder- hole, wurde der Milieutypik erst dann zugeordnet, als seine Relevanz für das bürgerliche Milieu auszuschließen war.

Kontraste in der Gemeinsamkeit könnten an diesem Beispiel weiterhin gesucht werden um die Orientierungsstruktur bzw. den milieutypischen Erfahrungsraum des „spezifischen Blickes“ näher zu spezifizieren ohne ihn dabei zu verändern. Das heißt, es könnte wei- terführend danach gefragt werden, ob der „spezifische Blick“ einer Alterstypik zugrunde liegt, und ebenso hypothetisch angenommen werden, dass „ein strikter Individualismus“ eher bei den jungen Leuten des Arbeitermilieus und ein „kollektives Schicksal“ eher bei der älteren Generation zu finden sei. Selbiges gilt für eine Anzahl weiterer Typiken, die sich gegenseitig überlagern und damit den milieuspezifischen Erfahrungsraum mit Einbe- ziehung anderer Erfahrungsräume (bzw. Typiken) spezifizieren, validieren und vor allem generalisieren (vgl. Bohnsack 2007, 249).

Welches Niveau an Validität und Generalisierung der einzelnen Typik zukommt, hängt von der Abgrenzungsfähigkeit zu anderen in Frage kommenden Typiken ab, ob also Be- obachtungsfälle eindeutig auf sie zuordenbar sind oder nicht, welchen Erklärungsgehalt sie liefern und wie sehr sich der einzelne Fall in seiner Mehrdimensionalität innerhalb der Typologie verorten lässt (vgl. Bohnsack/Nentwig-Gesemann 2006, 166).

61 3.3.2.5 Beschreibung des Begriffsinventars

Um die Diskursorganisation nachvollziehbar zu interpretieren, hat sich in der empi- rischen Arbeit ein Spektrum an Begriffen bzw. eine Terminologie entwickelt, die sich in ihrer Anwendung bewährt hat. Dieses Begriffsinventar ist als wichtiges analytisches Handwerkszeug zu verstehen, welches in der Literatur anhand von Beispielinterpretatio- nen (Bohnsack 2010; Loos/Schäffer 2001) exemplarisch dargestellt wird. Bei Przyborski (2004) findet sich zudem eine ausführliche, theoretische Rekonstruktion der Begriffe, wo- rauf ich mich in diesem Kapitel überwiegend beziehe.

Zunächst soll jene thematische Stellungnahme erläutert werden, die in einer Diskurs- bewegung erstmals eine inhaltliche Orientierung gegenständlich macht. Man nennt die- se Stellungnahme Proposition. Mit dem Begriff knüpft Bohnsack an Harold Garfinkel an, in dessen Sinne „sich alltägliche Darstellungen oder Beschreibungen („descriptions“) aus Propositionen zusammen[setzen]“ (Bohnsack 2010, 136). Der propositionale Bedeu- tungsgehalt wird dabei von den Gesprächsbeteiligten unabhängig von ihren Lebensbezü- gen geteilt.

„Vom Standpunkt des Benutzers aus gesehen, entsprechen jeder Beschreibung spezielle Bedeutsamkeitsgehalte, die in der besonderen Lebensgeschichte des Be- nutzers und der anderen Person ihren Ursprung haben. Vom Standpunkt des Benutzers aus gesehen sind jedoch derartige Bedeutungsgehalte für die gerade verfolgten Absichten der beiden Interaktionspartner irrelevant“ (Garfinkel 1981 zit. nach Pryzborski 2004, 63).

Für die dokumentarische Methode ist die Proposition nun deshalb unentbehrlich, weil sie die „Ebene des Dokumentsinns“ anspricht, in ihr also der dokumentarische Gehalt im Prozess der Themenverhandlung erstmals auftaucht oder zumindest „in einem ersten Ansatz […] artikuliert [wird]“ (Przyborski 2004, 64).

Jede Interaktionspassage, die eine thematische Einheit bildet, besitzt einen propositiona- len Gehalt, gibt also Aufschluss darüber, wie und in welcher Art und Weise ein Thema behandelt wird. Es stellt sich nun die Frage, woran man eine Proposition eigentlich er- kennt. Innerhalb einer Diskursbewegung lässt sie sich am einfachsten dann identifizieren,

62 wenn ihr eine Konklusion vorausgeht, welche ein Thema beendet und damit (zumindest vorläufig) auch eine Orientierung zum Abschluss bringt. Vorläufig bedeutet, dass eine Orientierung im weiteren Gesprächsverlauf unter anderen thematischen Gesichtspunk- ten wieder zum Vorschein kommen kann, was die Identifikation des dokumentarischen Gehaltes im Interpretationsverlauf erleichtert und begünstigt. Eine Zwischenposition nimmt die Transposition ein, die wie die Konklusion ein Thema beendet, aber damit gleich- zeitig ein neues aufwirft. Bei mehrfachen Äußerungen eines Sprechers/einer Sprecherin innerhalb der Diskursbewegung ist es jedoch oft schwierig, das Ende der Proposition festzumachen. Pryzborski rät sich dem Text mit folgender Frage zu nähern: „Wird hier etwas näher, genauer bestimmt, entkräftet, entwertet, umformuliert, verneint, was schon aufgeworfen wurde ( - dann gehört es nicht mehr zur Proposition) oder entfaltet sich eine Perspektive an dieser Stelle noch in ihren Eckpunkten ( - dann ist es Teil der Proposition)“ (Przyborski 2004, 65)?

Der erste Sachverhalt im obigen Zitat beschreibt eine Elaboration. Sie folgt der Proposi- tion und spezifiziert bzw. baut den darin aufgeworfenen Orientierungsgehalt weiter aus. Vergleichbar mit der formalen Gliederung eines Dramas in Akte, müssen in einer Propo- sitions-Konklusionssequenz „mindestens drei unterschiedliche Äußerungszüge bzw. Dis- kursbewegungen, die zur Rekonstruktion von Orientierungen notwendig sind, vollständig vorliegen“ (Przyborski 2004, 51) .30

Die Elaboration als beschreibendes Element der Diskursbewegung enthält selbst eine Vielfalt unterschiedlicher Textsorten. Wird die Proposition anhand einer Geschichte oder eines Beispiels veranschaulicht, spricht man von einer Elaboration in Form einer Exem- plifizierung. Mit einer Elaboration der Differenzierung wird der propositionale Orientie- rungsgehalt ergänzt, eingeschränkt bzw. modifiziert. Es handelt sich hierbei um eine an- tithetische Differenzierung („ja, aber“), welche von einer Validierung („ja genau“) und einer Opposition unterschieden werden muss. 31

Die Antithese steht der Proposition verneinend gegenüber, aber löst sich im Gegensatz

30 Siehe hierzu auch: Bohnsack 2010, 125 31 Siehe hierzu auch: Loos/Schäffer 2001, 68

63 zur Opposition in eine Synthese auf. Dies geschieht zumeist am Ende einer Diskursbe- wegung, in der zuvor erkämpfte unterschiedliche Orientierungsgehalte letztlich in eine konsensfähige Konklusion münden. Im Gegensatz dazu kommt es bei der Opposition und bei der Divergenz oftmals zu rituellen Konklusionen, weil sich die Widersprüche in den Orientierungsgehalten nicht auflösen (vgl. Przyborski 2004, 71f). Häufig zeigt sich auch erst in Konklusionen, inwieweit kollektive Orientierungen der Gesprächsteilnehmer vor- liegen bzw. ihnen ein gemeinsamer Erfahrungsraum immanent ist (vgl. Przyborski 2004, 51). Deshalb hat die Offenlegung der unterschiedlichen Formen der Diskurseinheiten (die sich dann zu Diskursorganisationen formieren) eine wesentliche Bedeutung für die formale Analyse.

3.3.2.6 Die Diskursorganisation

Der Sinngehalt der kollektiven Orientierungen eröffnet sich mit der genauen Rekonstruk- tion der aufeinander bezugnehmenden Gesprächsbeiträge der Teilnehmer_innen. Bohn- sack bezeichnet diese formale Art der Bezugnahme als ‚Diskursorganisation‘, welche sich in unterschiedliche Modi ausdifferenzieren lässt. Diese Modi werden systematisch erfasst und „als Dokument für die Art der Gemeinsamkeit bzw. Verschiedenheit von Erfah- rungshintergründen der Diskutant_innen und in ihrer Funktion für die Inszenierung der Kollektivität interpretiert. Die Gruppen werden als Epi-Phänomen gesehen, als Trägerin- nen kollektiver Orientierungen und Habitus und als Repräsentantinnen von Formen der Konjunktion, Formen der Sozialität“ (Przyborski 2004, 95).

Konkret unterscheidet man zwischen inkludierenden und exkludierenden Modi. Zu den inkludierenden zählen der parallele, der antithetische und der univoke Modus. Sie alle bringen die gemeinsamen Orientierungen der Gruppe zum Ausdruck. Für den parallelen Modus kennzeichnend ist die aneinandergereihte Darstellung von Beispielen. Die Spre- cher_innen gehen nicht konkret auf das Thema ein, sondern reihen eine Erzählung an die andere. Für die Interpret_innen mag es anfänglich schwer sein den Zusammenhang zu erkennen. Findet man jedoch den thematischen Schlüssel, erschließt sich rasch eine ho- mologe Orientierung auch in anderen Diskurspassagen.

Der antithetische Diskursmodus wird in der Literatur synonym auch als konkurrierender

64 bezeichnet, weil sich die Sprecher_innen oftmals um den passendsten Ausdruck ihres gemeinsamen Rahmens konkurrieren.

Der univoke Modus wurde von Pryzborski erstmals herausgearbeitet. Im Unterschied zu den anderen beiden Formen der Diskursorganisation sind die Erfahrungen der Sprecher_ innen nicht nur homolog bzw. strukturidentisch, sondern es sind die gleichen, identischen Erfahrungen. Das soll nicht heißen, dass alle die gleichen vergangenen Erlebnisse teilen, sondern dass sie die gleiche Perspektive gegenüber Dingen einnehmen.

Im Gegensatz dazu handelt es sich bei den exkludierenden Modi um Formen der Dis- kursorganisation, in denen die Sprecher_innen keine gemeinsame Basis haben, ihre Ori- entierungen also auseinanderklaffen. Sowohl beim oppositionellen als auch beim diver- genten Modus liegen Rahmeninkongruenzen vor. Przyborski nimmt einen Unterschied dahingehend vor, dass die Gesprächsbeteiligten im oppositionellen Modus ihre gegen- sätzlichen Orientierungen offen artikulieren. Im divergenten Modus hingegen finden sich sogenannte Falschrahmungen. Das bedeutet, dass die Sprecher_innen den Rahmen des Gegenübers in den eigenen integrieren und verändern. Die Rahmeninkongruenz ist hier also verdeckt und wird der offenen Verhandlung entzogen (vgl. Bohnsack/Przyborski 2010, 243ff; Przyborski, 2004).

65 4. Von der Rezeption zum konjunktiven Erfah- rungsraum

Dieses Kapitel umfasst die Ergebnisse der beiden Gruppendiskussionen. Zunächst wird kurz auf das Wissen, über das die Schülerinnen von BSmB bereits im Vorfeld zur Erhe- bungssituation verfügen eingegangen. Danach werden in Kap. 4.1 die Ergebnisse der gymnasialen Diskursbewegungen dargestellt. Die Auswertungen beziehen sich zunächst (Kap. 4.1 – 4.1.2) auf die Reaktionen und Diskussionen rund um die erste Videosequenz, die das desolate Leben des 19-jährigen Michaels (vgl. Kap. 2.2.1)zeigt. In Kap. 4.1.3 wird auch auf die zweite Videosequenz über den Kandidaten Dragan, eingegangen. Die Er- gebnisse der Neuen Mittelschülerinnen (Kap. 4.2.) folgen demselben formalen Aufbau und können im direkten Kontrast zu den Gymnasiastinnen gelesen werden. In Kap. 4.3 werden schließlich die Ansichten der beiden Schülerinnengruppen einander gegenüber- gestellt und diskutiert.

In der zufälligen Auswahl der Gruppendiskussionsteilnehmerinnen innerhalb einer Klas- sengemeinschaft wurde auf keine genaue Verteilung von Rezipientinnen und Nicht- Rezipientinnen der Castingsendung BSmB wertgelegt. Im primären Interesse stand der unmittelbare Diskurs nach Rezeption ausgewählter Videosequenzen, wobei es dafür un- erheblich war, ob die Mädchen einen aufgrund vorangegangener Rezeption reflektierten Blick auf das Material einnehmen und sie deshalb die Videosequenzen, welche in der Gruppendiskussion gezeigt werden, in einen größeren Kontext verorten können oder nicht. Wichtig erschien nur, dass allen Mädchen das Konzept von Reality-TV vertraut war, was aufgrund ihres Alters angenommen wurde.

Im Falle der Gymnasiastinnen formierte sich eine Gruppe, der die Sendung zwar vom Hören-Sagen ein Begriff war, die aber bis zu diesem Zeitpunkt keine der bis dahin aus- gestrahlten Folgen angesehen hatte. Als Grund dafür nannte sie den späten Sendungster- min am Donnerstag um 21:55 Uhr, eine Uhrzeit, zu der die Mädchen offensichtlich nicht

66 mehr fernsehen.

Demgegenüber spielte bei den Neuen Mittelschülerinnen der Ausstrahlungszeitpunkt kei- ne Rolle. BSmB war ihnen nicht nur ein Begriff, sondern galt für die meisten von ihnen als abendliches Fixprogramm. Lediglich eine Schülerin in der Gruppe kannte die Sendung nicht. Für eine andere unter ihnen ging indes das Interesse sogar über die allwöchentliche Rezeption hinaus. Als bekennender Fan der Siegerband 3punkt5 pflegte sie mit einigen ihrer Mitglieder Facebook-Freundschaften und folgte ihnen zu einem Konzert, wo sie nebst anderen Groupies um Autogrammkarten kämpfte.

Das Phänomen des Fantums und die Vorliebe für Castingshows sind selbstverständlich keine alleinigen Merkmale dieser Gruppe. Auch die 14 bzw. 15-jährigen Schülerinnen des Gymnasiums haben eine Vorliebe für Formate wie beispielsweise Deutschland sucht den Superstar, Die Große Chance oder Starmania und sind stets up to date über Personen und Gewinner_innen einzelner Staffeln. Beispielsweise berichtet in dieser Gruppe ein Mädchen stolz, im Besitz von Fotos zu sein, welche sie gemeinsam mit einem Castingstar zeigen.

Beide Gruppen nutzen Reality-TV unter anderem als Mittel zur Interaktion und zur so- zialen Begegnung mit ihrer Umwelt. Das ist keine Seltenheit, denn für Jugendliche erfül- len diese Sendungen oftmals den Zweck der Anschlusskommunikation, um in der Peer Group mitreden zu können. Wie Klaus und O’Connor konstatieren, drehen sich die In- halte der Gespräche vorwiegend um die Aktionen der handelnden Akteur_innen, um die Frage, was rechtens geschieht, wann Ungerechtigkeiten gegenüber Kandidat_innen beob- achtet werden, wie der soziale Umgang der Protagonist_innen wahrgenommen wird und welches Verhalten akzeptiert und welches als unakzeptabel deklariert wird. Danach ist das Verhandeln sozialer Spielregeln nicht festgeschrieben, sondern wird im zwischenmensch- lichen Umgang der Gesellschaftsmitglieder stets neu definiert (vgl. Klaus/O‘Connor 2010, 49).

Dies ist eine Beobachtung, die sich für beide Gruppendiskussionen bestätigen lässt. An- ders als in den üblichen Castingshows, wo Talente und Kritiker einander gegenüberstehen und die Rollenverteilung deutlich erkennbar wird, findet man inBSmB eine Aufweichung

67 klarer Zuschreibungen. Es stehen einander nicht nur Talente und Kritiker, sondern auch Hilfesuchende und selbst ernannte Wohltäter gegenüber.

Das Verhandeln sozialer Spielregeln ist in diesem Falle stark geprägt von Fragen der Zweckmäßigkeit, der Zielerreichung und nicht zuletzt von jener nach der wahren Inten- tion dieser Sendung. Verfolgt sie ein ernsthaftes Interesse am Wohl der Kandidaten, oder inszeniert sie eine soziale Mission zugunsten erhöhter Einschaltquoten?

Im Folgenden lässt sich zeigen, dass diese Frage in beiden Diskussionen von maßgebli- cher Relevanz ist.

4.1 Die Gymnasiastinnen: „Man kann si net wirklich eini versetzen“

In der ersten Videosequenz, auf die die Gymnasiastinnen Bezug nehmen, wird die Le- benswelt des 19-jährigen Michael beschrieben. Als Kind von seiner alkoholkranken Mut- ter vernachlässigt, verliert er mit acht Jahren seinen Vater, der kurz nach seiner Haftent- lassung stirbt. Michael hat zum Zeitpunkt der Dreharbeiten weder eine Ausbildung noch eine Arbeit und lebt mit seinem alkoholkranken Stiefvater auf 20 qm² Wohnfläche.

Das sind soziale Zustände, die die Gymnasiastinnen als absolut befremdlich empfinden, und die jeglichen Bezug zu ihrer eigenen sozialen Milieuzugehörigkeit vermissen lassen. „Na ja es wirkt [stöhnt] man kann si net wirklich eini versetzen also…“ (L: 140-141). Eine inhaltliche Begründung für das Unvermögen sich in Lage der Kandidaten hineinzuverset- zen, folgt an dieser Stelle zunächst nicht, sondern wird mit dem Zweifel am Realitätsgehalt der Sendung ausgeklammert. „Aber man kann auch nicht sagen, ob das wirklich ernsthaft is, oder ob deis net nur gspüt is, weil bei jeder Castingshow host du […] deis Gfühl, dass es gscho- ben is“ (L: 141-145). Lauras medienkritische Einstellung und ihr mangelndes Vertrauen in die authentische Darstellung der Sendung werden auch von den übrigen Gesprächs- teilnehmerinnen geteilt. Der Gruppe wird eine kollektiv skeptische Haltung eigen, die sie über den gesamten Diskursverlauf hinweg begleitet. Das zeigt sich zunächst auch an Mias Validierung, die den Verdacht der Inszenierung anhand von Sidos Verhalten bestätigt: „Ja

68 mir kommt’s mehr so vor, als würd der Sido so machen, so ja er hat ihn gerettet und…“ (MI: 149-151). Die Formulierung im Konjunktiv verweist auf seine Unglaubwürdigkeit und den Versuch, Michaels Schicksal für seine eigene Popularität zu nutzen. Sidos egoistische Selbstdarstellung wird auch von Tina betont, die sie vor allem im Vorspann des Videos wahrgenommen hat: „Ja also das vor der Show, das kommt mir so vor wie wenn Sido der ‚Star‘ „ich mach jetzt alles, ich bin so cool […] und ich rette die Welt“ und so ähnlich“ (T: 152-155).

Das Misstrauen gegenüber einer authentischen Abbildung der Wirklichkeit ist allen Betei- ligten gemein, gibt ihnen aber den Anstoß, Sidos postulierte Sozialhilfe diskursiv zu ver- handeln. Denn in dieser steckt ihres Erachtens auch ein positives Enaktierungspotential. „Aber auf der anderen Seite, also ich weiß ja nicht, ob das wirklich so ist, aber wenn er das wirklich so gmacht hat wie es erzählt wird, dann ist es eigentlich schon cool von ihm wenn er das macht“ (A: 156-160). Cool finden sie auch, dass er nicht wie in anderen Castingshows üblich, Leistung und Talent zu den wichtigsten Entscheidungskriterien macht, sondern sein Augenmerk auf den Grad der sozialen Bedürftigkeit richtet und sich darauf konzen- triert, „wer do wirklich in einem Drecksloch wohnt und deis is jo… find i net so schlecht wenn deis net gspüt ist“ (L: 170-172).

4.1.1 Die Sozialhilfe als zentraler Orientierungsrahmen

Mit der Befürwortung einer sozialen Unterstützung für bedürftige Gesellschaftsmitglie- der erhebt sich zwangsläufig die Frage nach der Definition von Bedürftigkeit. Wem steht sie zu und ab wann steht sie jemandem zu? Und worin liegt eigentlich das Problem in Sidos Hilfsprojekt?

Fragen wie diese stehen im Fokus der gymnasialen Gruppendiskussion und finden ihre Auseinandersetzung im zentralen Orientierungsrahmen der Sozialhilfe, der sich mit den beiden Gegenhorizonten Gerechtigkeit versus Instrumentalisierung aufspannen lässt:

L: […] jo man hot wahrscheinlich gewisse Vorurteile, i will do jetzt net ir- gendwie… aber bei Starmania war einmal a Behinderte,… also ihr Stimme hot mi jetzt net wirklich überzeugt g‘hobt… sie ist hoit von den Menschen deshalb

69 weitergewählt worden weil sie in einer schlimmen Situation war und deis hot ihr wahrscheinlich schon weitergholfen, weil a wirklich gute Stimme hot sie net ghobt.[…] MI: Ja und vielleicht dann die Jury und dei beeinflusst das dann auch und die werden sich denken ja sie wollen den net aussi haun weil dann muss der wieder zruck. A: Ja und wahrscheinlich wollte er ihn ah net enttäuschen, weil wenn er jetzt gesagt hätte du kannst net rappen und das geht net so, dann hätt‘ er ihn voll enttäuscht. T: Oba wenn er nur denen hilft? Er fahrt ja zu mehreren hin – [allge- meines Ja] – und jeder wohnt in so einer Situation? Er kann ja net alle mitnehmen, oder!? [Allgemeine Zustimmung] […] L: Ja aber i glaub die kumman dann in a riesen WG oder so und dort is deis dann für dei a voll schwierige Situation, weil dort haben’s dann alles und dei san 20 Jahr die meisten im Durchschnitt und kumman dort hin und san die Situati- on überhaupt net gewohnt und dann werden’s dort aussi gschmissen und dann miassn’s von dort wieda zruck, deis is ja eigentlich… deis wär… deis is dann ah ziemliche Umstellung

Der Wohlfahrtsgedanke ist in mehrerer Hinsicht inkompatibel mit einem Sendeformat, das sich dem Leistungswettbewerb verschreibt und die künstlerischen Darbietungen sei- ner Protagonist_innen nach Erfolg und Misserfolg selektiert. Die Attribuierung von Er- folg und Misserfolg basiert in diesem Genre letztlich auch weniger auf Leistung als viel- mehr auf Sympathiezuschreibungen, was für ein faires und gerechtes Castingverfahren prinzipiell problematisch ist. So zumindest beschreibt es Laura am Beispiel einer körper- lich behinderten Kandidatin der Castingshow Starmania, die trotz schlechter Gesangs- leistung sowohl von der Jury als auch vom Publikum mehrmals weitergewählt wurde. Sie erhebt den Verdacht einer ausschließlich mitleidhaften Bevorzugung, die sie auch bei BSmB vermutet, wo Rezipient_innen mit Einblicken in das aktuelle Leben und in die misslichen Wohnverhältnisse der Kandidaten bewusst in ihrer Sympathiebewertung be- einflusst werden.32

Die Sendung bietet aber auch aus einem ganz anderen Grund keine nachhaltige Hilfe-

32 Blockstars – Sido macht Band folgt entgegen anderer Castingshows nicht dem Konzept des Publikumsvo- tings. Die Sieger werden ausschließlich von Sido ernannt.

70 stellung. Jeder Kandidat, der in dieses Projekt aufgenommen wird, sieht sich plötzlich mit einer bislang unbekannten Welt konfrontiert, die für ihn zum Gefahrenpotenzial für nicht-intendierte, negative Konsequenzen wird. Bestand die Schlafstätte bislang aus einer Matratze am Küchenboden33, so bettet man sich mit Eintritt in die Sendung im Schlaf- zimmer einer luxuriösen Loft. Die neue Unterkunft, so kann man annehmen, war bislang nicht einmal Teil der Fantasie und wird nun zur zeitlich begrenzten Realität. Der kurze Wechsel in eine vollkommen andere Welt, die nur von kurzer Dauer ist, verändert ihre Perspektive auf die eigenen tristen Lebensverhältnisse in einer Art und Weise, die ih- nen den Weg zurück in die gewohnten Verhältnisse nur zusätzlich erschwert. „Und [die] kumman dort hin und san die Situation überhaupt net gewohnt und dann werden’s dort aussi gschmissen und dann miassn’s von dort wieda zruck, deis is ja eigentlich…[…] dann a ziem- liche Umstellung“ (L: 213-218).

Die univoke Diskursbewegung der Gymnasiastinnen liest sich als die Erzählung und Beschreibung einer Person, die ihre Geschichte fortwährend um neue Facetten ergänzt. Ein besonders charakteristisches Merkmal, das sich in der homologen Bezugnahme der Gruppe findet, ist die theoretische Abhandlung des Orientierungsrahmens, in dem sich keinerlei Hinweise auf individuelle oder kollektive Erlebniserfahrungen finden lassen.

Während die Neuen Mittelschülerinnen ununterbrochen nach dem eigenen Erfahrungs- hintergrund greifen, um ihre Nähe zum gezeigten sozialen Milieu auszudrücken, distan- zieren sich die Gymnasiastinnen von diesem gänzlich. Als Dokument dafür steht zu- nächst Lauras Proposition „man kann si net wirklich eini versetzen“, die sie an anderer Stelle wiederholt: „Ja für uns ist das irgendwie so weit weg, dass ma deis so sehen kann. Dass es wirklich Leit gibt die in so ana Situation leben“ (L: 1229-1231).

Die sozialräumliche Distanz der Gymnasiastinnen bedingt ihr Unvermögen, die Perspek- tive der Betroffenen einzunehmen und aus ihr heraus zukunftsorientierte Bewältigungs- strategien für das Individuum zu formulieren. Viel leichter fällt es ihnen, ob der fremden Milieuzugehörigkeit, das Phänomen ‚soziale Bedürftigkeit‘ in unterschiedliche Ausprä- gungen zu kategorisieren um sie in allgemein gültige Sozialhilfekriterien zu überführen.

33 Angesprochen werden hier die Lebensumstände des Kandidaten Michael vgl. Kapitel 2.2.1

71 Der Diskursverlauf dreht sich im Folgenden daher nicht um die Frage nach etwaigen Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten der Kandidaten, sondern um die Frage nach dem Grad der Bedürftigkeit, der eine Teilnahme an Sidos Projekt rechtfertigt.

Zuvor soll jedoch noch kurz darauf eingegangen werden, wie die Mädchen das ihrer Handlungspraxis zugrunde liegende bürgerliche Milieu, dem sie sich zugehörig fühlen, zum Ausdruck bringen.

4.1.2 Über den Protagonisten Michael und seine unvorstellbaren Lebensumstände

Die Intention meiner einleitenden Frage („…vielleicht kennt ihr jemand dem es auch so geht?“) (MO: 276-277) gilt der direkten Aufforderung, das Videomaterial34 in Bezug auf die eigene Lebenswelt zu reflektieren. Diese Aufforderung lässt lediglich Laura dazu hin- reißen, vertraute Assoziationen herzustellen und diese in Form einer Exemplifizierung zu benennen. Ihr Versuch des Vergleiches impliziert gleichzeitig eine soziale Abgrenzung, die sich im Kollektiv erhärtet.

L: Na jo, deis is jetzt net so oarg, aber i kenn schon wen der a bissl so..der ka Göd hot und holt… Mei Schwester zum Beispiel, die wird jetzt 30 dieses Jahr und die is in so ana Situation, sie hat 2 Kinder,[…] und ihr Freund der arbeitet nix.. der hat nur… ( ) und die wohnen halt in ana blöden Situation, aber es geht sich dann irgendwie wieder aus weil’s das Geld von meiner Großmutter kriegen und so. Aber i will jetzt net…. MO: und wie is es bei euch? A: Jo, man kann sich gar nicht vorstellen, dass der in der Küche schlafen muss. MI: mhm, jo so zwischen drinnen [unverständliches Durcheinander (2)] L: Da steht ja nicht einmal ein Bett drinnen MI: Oba irgendwie tut er so als wär das selbstver- ständlich T: Das ist normal für ihn, der hat sonst nie was anderes gesehen

34 Gezeigt werden darin die prekären Lebensumstände und das soziale Herkunftsmilieu von Michael.

72 Ihre Angaben zu den finanziellen Nöten der Schwester „deis( is jetzt net so oarg, aber i kenn schon wen der a bissl so..der ka Göd hot“) (L: 278-279) bereiten ihr unmittelbar nach ihrer Darlegung ein Unbehagen, das sie zunächst zur Relativierung und schließlich zum Abbruch der Erzählung veranlasst. Abgesehen von der eigenen Befindlichkeit, ruft ihre Stellungnahme auch deutliche Irritationen in der Gruppendynamik hervor. Sie verletzt den charakteristischen Bezugsrahmen der Gruppe, der sich nur innerhalb theoretisch-ab- strakter Bahnen bewegt und keine Einblicke in das private Umfeld gewährt.35 Verständlich daher auch Annes Zäsur, die eine weiterführende Elaboration über die eigene Lebenswelt unterbindet. „Jo, man kann sich gar nicht vorstellen, dass der in der Küche schlafen muss“ (A: 290-291). Mit ihrem Kommentar zu Michaels Schlafstätte gelingt ihr die Wiederherstel- lung des Rahmens und die Fortführung des unbeschwerten Diskurses innerhalb seiner theoretischen Grenzen.

Verständnislosigkeit und Fremdheit dokumentieren sich in den Kollektivvorstellungen über ein Milieu, das über die mediale Vermittlung im Verdacht des Surrealen steht. Aus si- cherer Distanz wird versucht nachzuvollziehen, welche Selbstwahrnehmung das Leben in desolaten Verhältnissen hervorruft. Folgt man Mias Proposition, so ist sich Michael über die Abnormität seiner Wohnverhältnisse reflexiv bewusst, um überhaupt so tun zu kön- nen, als wären sie selbstverständlich. Eine gegenteilige Auffassung vertritt Tina, die in ihrer Behauptung „Das ist normal für ihn, der hat sonst nie was anderes gesehen“ (T: 297-298) auf Michaels herkunftsspezifische, immanente Denk- und Handlungsmuster verweist, die kein Bewusstsein des Abnormalen oder Außergewöhnlichen zulassen. Ungeachtet seiner eigenen Wahrnehmung ist Michael nicht dazu in der Lage, Strukturveränderungen herbei- zuführen, sondern muss seine Situation ohnmächtig akzeptieren. „Also irgendwie hat der nie eine andere Chance ghabt, dass er irgendwie anders wird“ (MI: 311-312).

Michaels Herkunft prägt seine habituellen Handlungs- und Bedeutungsmuster, die letzt- lich seine realen Gestaltungsmöglichkeiten determinieren. Mit dieser Überzeugung folgen die Gymnasiastinnen einem Orientierungsmuster, das ihnen den Weg zur Kategorisie- rung des Begriffes ‚Armut‘ ebnet und ihnen dazu verhilft, Abstufungsgrade zu definieren.

35 Hierzu sei auf das Rahmenkonzept von Erving Goffman verwiesen, das er in seinem Werk: Frame Analysis, An Essay on the Organization of Experience (1974), ausführlich darlegt.

73 Michaels Armut charakterisiert sich als eine durch Geburt gegebene und ohne aktives Verschulden zu Stande gekommene, eine als symbolische Gewalt zu erkennende, weil in den Habitus inkorporierte und vom Individuum akzeptierte Armut, die es ihm unmöglich macht ihr aus eigener Kraft zu entfliehen.

Anhand dieser Zuschreibung, nach der die Gymnasiastinnen Michael zur Aufnahme in Sidos Sozialprojekt befähigt sehen, gehen sie nun der Frage nach, welche Indikatoren noch für oder gegen eine solche Aufnahme sprechen. Diese versuchen die Mädchen in der ver- gleichenden Betrachtung mit Dragan zu beantworten.

4.1.3 Die Suche nach objektiven Kriterien für ein gerechtes Casting- verfahren

Aus den bisherigen Interpretationen geht hervor, dass sich die Mädchen weder mit dem kollektiven Schicksal sozialer Bedürftigkeit, noch mit den individuellen Bedürfnissen, Pro- blemen, Erwartungen oder Ängsten der Kandidaten identifizieren können. Es bleibt das Wissen um Sidos soziales Vorhaben, das sie zur kritischen Stellungnahme des Rezipierten auffordert. Der folgende Diskurs bezieht sich auf Dragans Portrait, welches sie mit dem Michaels in Beziehung setzen.

T: Naja, die haben jetzt amal a größere Wohnung und ma hat g‘sehen er hat an Computer ( ) und i waß net… es ist zwar schlimm, aber wenn das jetzt wirklich echt ist dann…. Ja, wenn er… ja [tiefer] er ist Tellerwäscher haben sie g’sagt und dann ist das so gwesen, dass er die Miete zahlen kann, also dürften sie vom Geld her net schlecht stehen, eigentlich. […] er hat zumindest eine Arbeit und die anderen eigentlich net. MI: Es ist so, bei dem anen, bei dem ersten da [Anm. Michael] ist das eigentlich schon vergangen, aber es ist eigentlich jetzt no. Und bei dem [Anm. Dragan] ist es schon vorbei, jetzt geht’s ihm eigentlich gut. […] A: Ja, ma merkt ah in der Wohnung es ist viel aufgeräumter als in der anderen, es ist irgendwie alles so schön. Ja, da is ja nur Dreck herumg‘legen in der ersten und da war’s jetzt scho so a bissl schen. Also daraus kann man schließen, dass es denen ah bissl besser geht als den… also wenn i mi entscheiden muss zwischen den zweien, dann würd i den ersten neh- men, weil’s dem anfoch vü schlechter geht. L: Ja, aber eigentlich wird der Mutter ja dann das Grundrecht g‘nommen,

74 weil die Mutter hat Depressionen und der hat extra wegen seiner Mutter deis aufgeben. Und die Mutter die wird ja jetzt dann…. MI/A: Ja, eh! MI: Also eigentlich würd i denn gar nie mitnehmen. Da würd i lieber wen nehmen den’s jetzt no schlecht geht. Und i glaub ah, dass deis da war schon echt… also irgendwie klingt das, ja…

In der sich stets reproduzierenden Prozessstruktur des univoken Diskurses suchen die Gymnasiastinnen nach weiteren Armutskriterien, die über eine (Dis-)Qualifikation der Teilnahme entscheiden. Die von Sido postulierten Aufnahmekriterien wie soziale Depri- vation, Arbeits- und Perspektivenlosigkeit nehmen sie als vage und schwammige Begriffe wahr, die keine genauen Richtlinien für eine maximal gerechte Kandidatenauswahl bein- halten. Daher versuchen sie anhand der vorhandenen (rezipierten) Portraits qualitative Unterschiede in den Lebensumständen zu finden, um die sehr weitläufigen Begriffe ein- zuengen und mittels spezifischer Indikatoren zu objektivieren.

„Und ma hat g‘sehen er hat an Computer“ (T: 1181-1182). „Ja, ma merkt ah in der Woh- nung es ist viel aufgeräumter als in der anderen, es ist irgendwie alles so schön. Ja da ist ja nur Dreck herumg’legen in der ersten […] Also daraus kann man schließen, dass es denen ah bissl besser geht als den… (A: 1208-1214). Ja, wenn er… ja [tiefer] er ist Tellerwäscher haben sie g’sagt und dann ist das so gwesen, dass er die Miete zahlen kann, also dürften sie vom Geld her net schlecht stehen, eigentlich. […] Er hat zumindest eine Arbeit und die anderen eigentlich net (T: 1184-1192). Anhand der stark einprägsamen Bilder über die Wohnungszustände, deren darin befindliche Besitztümer sowie der entnommenen Kenntnis über die Arbeits- verhältnisse der Kandidaten können die Gymnasiastinnen den Grad an sozialer Bedürf- tigkeit hierarchisch ordnen. Wohnung, Besitz und Arbeit sind operationalisierbare Indi- katoren, deren unterschiedliche Ausprägungen sich in unterschiedlichen Lebensqualitäten widerspiegeln und als solche auch zu unverzichtbaren Aufnahmekriterien für die Sendung werden. Dragan hätte in diesem Falle wohl kaum Chancen auf einen Teilnahmeplatz: „[A]lso wenn i mi entscheiden muss zwischen den zweien, dann würd i den ersten nehmen, weil’s dem anfoch vü schlechter geht“ (A: 1214-1217). Mia validiert Annes Proposition „Da würd i lieber wen nehmen den’s jetzt no schlecht geht“ (MI: 1225-1226). Und auch Heike spricht von einer offensichtlichen Zwickmühle, in der sich Sido befindet „wenn er an von

75 die zwa nimmt. Der besser singt und net so schlecht lebt, oder der schlecht singt und schlecht lebt“ (H: 1237-1239).

In der Art und Weise, wie sie den Helferdiskurs abhandeln, dokumentiert sich ihr existen- tieller Hintergrund. Sie selbst sind Angehörige einer sozialen Schicht, in der Armut und soziale Ausgrenzung nicht zur unmittelbaren Erfahrung, sondern zur gesellschaftlichen Aufgabe werden. In der Verantwortung dieser Aufgabe bedarf es stichhaltiger und nach- vollziehbarer Kriterien, die entscheiden, wem Hilfe gebührt. In diesem Fall machen sie sie vom Schicksal der Herkunft, den objektiv einsehbaren materiellen Besitzverhältnissen sowie vom gegenwärtigen Status des Arbeitsverhältnisses abhängig. Michael, der „nie was anderes gesehen [hat]“ (T: 297-298) ist Opfer seiner Verhältnisse. Dragan hingegen verfügt über Mittel zur Gestaltung einer positiven Zukunft und ist auf keine fremde Unterstüt- zung angewiesen. Sein finanzielles Einkommen und die saubere Wohnung lassen auf ein besseres, bereits geordnetes Leben schließen.

4.1.4 Die kurzweilige Medienpräsenz von Alltagsmenschen in der Starproduktionsmaschinerie

Ein Hilfsprojekt in Gestalt einer Castingshow, in der es zwangsläufig Verlierer geben muss, rief bei den Gymnasiastinnen bereits einige Kritikpunkte hervor. Aber was passiert eigentlich mit den Gewinnern? Können sie die Sendung als Sprungbrett für ein besseres Leben nutzen?

Als allgemein bekennende Rezipientinnen von Castingshows rufen sich die Mädchen un- zählige Leute ins Gedächtnis, die einst zu Superstars, Popstars oder Topmodels gekürt wurden. Das Thema wird zum Fokus ihrer Aufmerksamkeit, ihr Wissen, über das sie in diesem Zusammenhang verfügen, legitimiert sie zu qualifizierten Sprecherinnen und sie beginnen ihre Interaktion euphorisch zu steigern. Der Diskurs wird zur Fokussierungs- metapher.

Es herrscht eine kollektive Einigkeit darüber, dass die Chance, durch diese Sendeformate tatsächlich nachhaltigen (meist musikalischen) Erfolg zu genießen, eine rein vermeintli-

76 che ist. Anders als propagiert, schafft niemand der Gewinner_innen wirklich den großen Durchbruch, denn die einstigen Kandidat_innen verweilen allesamt nur sehr kurz im Blitzlicht der Öffentlichkeit, können aber wieder in anderen themennahen Reality-For- maten auftauchen. „…die werden dann irgendwie wieder aufgwärmt, so dass sie irgendwo hingehen und zwa Minuten später, wenn deis scho vorbei is und es kan mehr interessiert, dass die dort waren, deis is eigentlich…“ (L: 1053-1058).

Die Tatsache, dass sich diese Sendungen als Talentschmiede verkaufen, jedoch niemandes Talent wirklich erfolgreich fördern, liegt nach Meinung der Gymnasiastinnen an der feh- lenden Unterstützungsleistung der Verantwortlichen.

L: Ja meistens.. zum Beispiel der Piedro Lombardi hat der überhaupt kein eigenes Lied außer bracht, außer des ane da, oder sonst no irgendwas? Aber du stehst dann eigentlich alan do; ok, du kriegst an Plattenvertrag aber dann, du hast ja sonst gar nix. Du hast mit 18 kan Manager oder irgendan der dein Leben irgendwie ordnet. Do host du ja nix. Do kriagst an Plattenvertrag und super das war’s dann, was willst’n dann nacher machen? A: Hat man von dem der vor 2 Jahren DSDS gwonnen hat, vorm Piedro, waßt no wie der heißt? H: Marashi! A: Hat man von dem je wieder was ghört? H: Na L: Du hörst von nie wem…... MI: Jo, i man so ab und zu siehst so a Video oder so irgend- was, aber… L: Von den Helden von Morgen von da Mooswalder host du nix mehr g’hört, gar nix… das letzte Lied… jo der Lukas Plöchl, der jo mei…

Besonders interessant liest sich Lauras biografisches Orientierungsmuster nach dem ju- gendlichen Bedarf an einer richtungsweisenden Führungsfigur. „Aber du stehst dann ei- gentlich alan do; ok, du kriegst an Plattenvertrag aber dann, du hast ja sonst gar nix. Du hast mit 18 kan Manager oder irgendan der dein Leben irgendwie ordnet. Do host du ja nix. Do kriagst an Plattenvertrag und super das war’s dann, was willst’n dann nacher machen?“ (L: 935-942). Wirklicher Erfolg beginnt mit erfolgreicher Begleitung. Ein einfaches Prinzip, dem die Programmverantwortlichen nicht folgen und stattdessen marktstrategisch nach hohen Quoten streben, die sie mit dem kurzweiligen Fernsehauftritt unbekannter All- tagsmenschen erhalten. Der Erfolg der Kandidat_innen endet meist mit der jeweiligen

77 Sendung. Nachhaltige Popularität genießen dann jene, die sie ohnehin schon haben: die Juror_innen.

Eine Erklärung für die gläserne Decke des Casting-Showgeschäftes haben die Gymnasi- astinnen schnell parat. Zu unerfahren und noch nicht vollständig ins Erwachsenenleben eingeführt, verfügen jugendliche Kandidat_innen in Talentwettbewerben weder über die Fähigkeit sich selbst zu organisieren bzw. ihr Leben zu ordnen, noch über eine berufliche Sicherheit durch bereits erworbene Qualifikationen.„Vor allem wennst so jung bist, da kann man net amal wirklich irgendwie was“ (L: 981-982).

Deswegen, so konstatieren sie, ist man als junger Erwachsener besser beraten sich für einen sicheren Ausbildungsweg zu entscheiden, anstatt alle Hoffnungen auf eine risiko- reiche Musik- oder Modelkarriere zu setzen.

L: Jo man muss jetzt wirklich schaun, wenn’st jetzt wirklich zu ana Casting- show hingehst ohne irgendwas, dann kann ja nix aussa kumman. Du host dann a Lied und deis war’s dann. [Mia versucht etwas zu sagen… Laura setzt fort] Vor allem wennst so jung bist, da kann man net amal wirklich irgendwie was MI: Oder, dass’d nur die ganze Hoffnung in das eini- setzt und immer nur für das strebst, das funktioniert net A: Und dann haßt’s dei warat nix mehr… [et- was unverständlich] MO: Also eher kein Erfolgsgarant… MI: Irgendwie net…

Die Arbeitsplatzsicherheit ist für die jungen Mädchen ein wichtiges biografisches Orien- tierungsmuster, das sie mit drei Viertel der österreichischen Jugend teilen. Laut der ös- terreichischen Jugendwertestudie des Jahres 2011 gibt diese einem sicheren Arbeitsplatz sowie einer guten Bezahlung den Vorzug gegenüber einem „neoliberalen Arbeitsethos“, von dem sie sich zunehmend abwenden. Materialistische Werthaltungen gewinnen durch die Wirtschaftskrise und die damit hervorgerufene Unsicherheit wieder an Bedeutung (vgl. Heinzelmaier/Ikrath 2011, 96). Die Relevanz einer abgeschlossenen Ausbildung und das Bedürfnis nach beruflicher Stabilität dokumentieren sich auch in der Vergleichsgrup- pe der Neuen Mittelschülerinnen. Genaue Differenzierungen, das heißt auch Kontraste innerhalb dieser Gemeinsamkeiten, die auf eine Bildungstypik hinweisen könnten, kön-

78 nen an dieser Stelle nicht näher ausgeführt werden. Festzustellen ist jedoch, dass der Le- bensraum Schule gegenwärtig bei allen Diskursbeteiligten hohe Priorität genießt.

Das zukünftige Schicksal, von dem die Gymnasiastinnen glauben, dass es den Gewin- ner_innen von Castingsendungen anheimfällt, wird ihres Erachtens für die Kandidaten von BSmB zur beinahe sicheren Prophezeiung. Die ohnehin verschwindend geringen Chancen, durch diese Formate einen Durchbruch zu feiern, sind für die sozial schwa- chen Jugendlichen erst gar nicht gegeben. Sie sind nicht nur jung und unerfahren, son- dern auch ohne ein stabiles soziales Umfeld. Sidos Aufgabe wird so dargestellt, dass er ihren Mangel an familiärem Rückhalt in nur wenigen Wochen ausgleicht und sie auf den rechten Weg ins Erwachsenenleben begleiten wird. Eine von der Öffentlichkeit verfolgte Begleitung mit zeitlichem Ablaufdatum kann weder zum erhofften Erfolg führen, noch im Sinne einer nachhaltigen Sozialhilfe gesehen werden. Trotz Sidos Unterstützung bleibt ihr Elend auch nach kurzfristigem Einblick in eine andere Welt bestehen. Das bestätigt auch ein Artikel in der Tageszeitung KURIER, in dem fast ein Jahr nach Sendungsbeginn die Bilanz gezogen wurde, dass Sido „seine Versprechungen nicht eingehalten“ hätte, die er anfangs zu seiner Herzensangelegenheit gemacht hatte. (KURIER, 2012) „Ich möchte sozial schwachen Jugendlichen auf die Beine helfen“ hieß es dazu in der ersten Folge (Folge 1 am 15.12.2011).

MO: Wie glaubst du ist das dann bei den Jungs [gemeint sind die Kandidaten aus SIDO macht Band]? T: Meistens schon… MI: Irgendwer kennt sie wenn sie an der Straße vor- beigehen oder so, aber irgendwie denkt sich keiner, dem will i jetzt helfen oder… irgendwie ist das dann, ok ja…. A: I glaub, dass sie einfach auf sich aufmerk- sam gmacht haben MI: Aber irgendwie funktioniert das net, weil… L: Jo wenn du dann ausscheidest, wenn du glei amal ausscheidest, dann hast ja nix. Du gehst auf da Straßen und dann gehst im 10. Wiener Bezirk und dann kennen die 3 Leit oder kennen die halt irgendwie… deis bringt ja dann nix A: Aber vielleicht, dass du eine neue Perspektive kriegst… so, es geht auch was anderes als so und so will ich eigentlich nimmer weitermachen. Und dass du das dann vielleicht auch ergreifst und es zu was bringst dann

79 T: Vielleicht hat man dadurch auch mehr Selbstvertrauen. So, ich bin jetzt zu der Castingshow kumman, ich war dort bei dem engsten Kreis dabei und jetzt kann i dann wieder neu anfangen. MI: Oder es denkt sich wer scheiße i hab verloren i geh jetzt ham, es is ma ganz egal was die anderen machen i geh jetzt in die Küche und schlaf [Anspielung auf Michaels Schlafplatz] [alle lachen] L: Zwischen die Waschmaschin‘ und d’n Kühlschrank MI: Ja, da kann a immer gleich essen wenn er Hunger kriegt [alle lachen!] ME: Is eigentlich no was mit’n Marco Angelini?

Den Gymnasiastinnen zufolge verhilft der mediale Auftritt weder zur Selbsthilfe noch zur Chance, das Leben der Kandidaten in neue Bahnen zu lenken. Vielmehr sehen sie in den jungen Männern mitleidhafte Wesen, die sich vergeblich auf eine erhoffte Sozialhilfe freuen. Bei der großen Masse ehemaliger Rezipient_innen hinterlassen sie keinen blei- benden Eindruck, sondern gehen in der Flut der Medien unter. Der Rest des Publikums erinnert sich nach Ablauf der Sendung vereinzelt an ihre Gesichter, aber erkennt sie nicht als talentierte Musiker, sondern als Sozialhilfeempfänger, die ihr Schicksal einst in einer Castingshow mitteilten. „Irgendwer kennt sie wenn sie an der Straße vorbeigehen oder so, aber irgendwie denkt sich keiner, dem will i jetzt helfen oder…“ (MI: 1013-1015) „Du gehst auf da Straßen und dann gehst im 10. Wiener Bezirk und dann kennen die 3 Leit oder kennen die halt irgendwie… deis bringt ja dann nix…“ (L: 1021-1025).

Mit Annes anschließender Proposition kommt es zu einer interessanten Wende. Sie geht nicht mehr auf die Formen des Scheiterns ein, sondern sieht in der Medienpräsenz, die BSmB den Kandidaten bietet, ein positives Enaktierungspotential: Die Medienpräsenz, die die Kandidaten genießen, könnte diese zu einer selbst-bewussten Auseinandersetzung mit sich und deren sozialen Umwelt animieren, die letztlich zur Veränderung der Lebens- umstände führt. „Aber vielleicht, dass du eine neue Perspektive kriegst… so, es geht auch was anderes als so und so will ich eigentlich nimmer weitermachen. Und dass du das dann vielleicht auch ergreifst und es zu was bringst dann“ (A: 1026-1030). Dieser kurze Einwand einer So- zialhilfe, die Instrumente für eine langfristige Selbsthilfe bereitstellen will, wird von Tina als durchaus möglich erachtet: „Vielleicht hat man dadurch auch mehr Selbstvertrauen […]

80 [und] kann [.] wieder neu anfangen“ (T: 1031-1035). Damit wird ein gemeinsamer Link zur Referenzgruppe der Neuen Mittelschülerinnen hergestellt, die davon überzeugt sind, dass Sido das Empowerment der Kandidaten stärken will und kann. Bei den Gymnasiastinnen wird diese Sichtweise jedoch alsbald durch ein alternatives Szenario ersetzt. „Oder es denkt sich wer scheiße i hab verloren i geh jetzt ham, es is ma ganz egal was die anderen machen i geh jetzt in die Küche und schlaf [Anspielung auf Michaels Schlafplatz] [alle lachen]“ (MI: 1036-1040). In der Regelhaftigkeit des Diskurses wiederholen sich die proponierte Unver- einbarkeit von Castingshows und Sozialhilfe sowie die habituelle Distanz zu einem Milieu, das in der Alltagswelt der Mädchen keine Relevanz besitzt. An dieser Stelle eröffnet sich auch eine soziolinguistische Interpretationsebene. Mia di- stanziert sich als Subjekt ihrer selbst formulierten (möglichen) Reaktion auf einen früh- zeitigen Rauswurf aus der Sendung. Anstatt zu sagen ICH würde mir denken, verwendet sie die Formulierung „oder es denkt sich WER.“ Auf der Ebene des immanenten Sinns ist die Verweigerung der ersten Person ein semantischer Hinweis auf die Befremdung, die der Gedanke an eine konkrete Handlungsoption auslöst. Mit Blick auf die genetische Sinnebene erfasst die Interpretation auch den situativen Zynismus, dessen sich Mia in der Bewältigung eines ihr unbehaglichen Themas bedient. Laura übernimmt automatisch und unhinterfragt ihre Haltung und ergänzt validierend: „Zwischen die Waschmaschin‘ und d’n Kühlschrank (L: 1041-1042). Ja, da kann a immer gleich essen wenn er Hunger kriegt [alle lachen!]“ (MI: 1043-1044). Unmittelbar danach vollzieht Meli eine rituelle Konklusion (vgl. Przyborski 2004), die abrupt jede weitere Bezugnahme verhindert. Sie benutzt den gegenwärtigen Orientierungsrahmen, also die Frage, was die Kandidaten nach ihrem Ausstieg machen, um mit ihm einen Themen- wechsel zu vollziehen. „Is eigentlich no was mit’n Marco Angelini?“ (ME: 1045). Melis Zäsur beendet den unangenehmen Diskurs über ein sensibles Thema und gibt Anstoß für eine unbeschwerte Auseinandersetzung mit Marco Angelini, einem ehemaligen DSDS Gewinner, von dem Meli stolz berichten kann, ihn selbst, zufällig und unverhofft in einem Bücherladen getroffen zu haben. „Na i bin so ummadum gangen und wollt ma a Buch kaufen und auf amoi renn‘ i fast in den eini und dann schau i den an und denk ma…. is deis da Marco Angelini?? […] Jo, dann hab i ihn gfragt und dann hamma a Foto gmacht und jo…“ (ME: 1062-1068).

81 4.1.5 Castingshows ja! Blockstars – Sido macht Band nein! Warum die Sendung kein Interesse weckt

Angelini, Mooswalder, Stürmer… Diese und noch viel mehr Namen nennen die Gymna- siastinnen ad hoc, wenn es um ehemalige Mitstreiter_innen dieser Sendungsformate geht. Sie bekunden ihr Interesse ausführlich, fragen einander um Neuigkeiten und artikulieren univok ihre gemeinsame Perspektive. Beim Thema Castingshows steigern sie sich diskur- siv und gelangen zu einem einheitlichen Rhythmus, der sich durch eine besonders inter- aktive Dichte auszeichnet. Damit wird eine Fokussierungsmetapher erkennbar, die dem Interpreten den Zugang zu den habituellen Übereinstimmungen der Gruppe ermöglicht. Diese Übereinstimmung zeigt sich ebenso in ihrem Desinteresse für BSmB. Eine Casting- show unter dem Deckmantel eines Sozialhilfeprojektes verfehlt ihren Geschmack. „Na i glaub i würd’s ma net anschauen… jetzt wo ich’s g’sehen hab, na ich glaub ich würd’s ma net anschauen“ (MI: 1266-1268). Mias Ablehnung findet eine überwiegende Zustimmung. Die Begründungen dafür sind genauso simpel wie widersprüchlich. „Na irgendwie is es ja teilweise schon, ja sicher was passiert mit denen und so, aber es interessiert mi net“ (MI: 1270- 1272).

Castingshows locken mit einem hohen Identifikationspotential, wenn sie jugendliche Kandidat_innen auf die Bühne schicken, deren Lebenswelt nahe an das der Rezipient_in- nen heranrückt. Zwar gehören die Gymnasiastinnen nach diesem Kriterium nicht der Zielgruppe von BSmB an, jedoch wäre es denkbar, dass die außergewöhnlichen Schicksale der Jungs Voyeurismus und Neugierde erwecken und sie dazu verleiten, das Bandpro- jekt hautnah miterleben zu wollen. Obwohl die Sendung Mias Hang zum Voyeurismus aktiviert „ja, teilweise schon, ja sicher was passiert mit denen“, ist ihr Desinteresse „aber es interessiert mi net“ und die fehlende Identifikation mit dem, was sie sieht, viel stärker aus- geprägt. Das Leben und die Geschichten mit und über die Kandidaten sind fern ihrer All- tagsrealität und somit auch ihres Habitus. Davon ist sogar Sido überzeugt: „Ein normaler Österreicher, ein normaler Zuschauer, der mindestens aus der Mittelschicht kommt, für den ist es schockierend, so was zu sehen, da bin ich mir sicher.“ (Folge 1 am 15.12.2011)

Dieselbe Distanz zeigt auch Tina, deren gegenwärtig postulierte Ablehnung „Jo, so wirk-

82 lich interessieren mi die Castingshows eigentlich net so…“ (T: 1289-1290) im Widerspruch zu ihrer einleitenden Interessensbekundung gegenüber GNTM36 steht. Es macht also durch- aus einen Unterschied, um welche Personen es sich handelt, die von heute auf morgen im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehen. Junge Mädchen, die eine Karriere am Laufsteg anstreben, rufen eine stärkere Bindung hervor als ebenso junge Burschen, die mit Rap- songs den sozialen Aufstieg wagen. Die Identifikation und die habituelle Nähe sind also die zentralen Schlüssel zur positiven Reaktion und zum Bedürfnis einer regelmäßigen Konsumation. Bei Meli führt diese Schlussfolgerung jedoch zu einem Dilemma, weil sich ihre Identifikation mit dem Inhalt nicht in den Orientierungsrahmen der Gruppe veror- ten lässt: „Jo also mi hot’s jetzt schon a bissl bewegt die letzte Szene, weil die haben ja gsagt, sie san aus dem Krieg in Bosnien gflüchtet und deis hat mei Mutter ah gmacht und da denkt ma sich schon mehr dabei, irgendwie wenn deis jetzt so is.. und ja… also i würd’s vielleicht [betont] schauen, i waß es net“ (ME: 1282-1288).

Gänzlich konform mit einer Ablehnung gehen auch Laura und Hanna. Während Laura zur Begründung den späten Ausstrahlungstermin heranzieht „Mhh, das ist immer so spät“ (L: 1265), räumt Hanna den schulischen Verpflichtungen mehr Priorität ein: „Also wenn i jetzt nix zu tun hab und mir langweilig is, dass ich’s dann schau oder so, aber wenn i jetzt am nächsten Tag an Test hab dann geh i eher schlafen“ (H: 1297-1301). Ihre Interessenslo- sigkeit steht jedoch ebenfalls in keinem Zusammenhang mit den üblichen, abendlichen Fernsehgewohnheiten, die an anderer Stelle der Gruppendiskussion offengelegt werden. Wie sich dort zeigt, genießen die Unterhaltungsmedien, falls sie die Aufmerksamkeit der Rezipientinnen für sich gewinnen, Vorrang gegenüber schulischen Verpflichtungen. Ein, nach meinem persönlichen Empfinden, alterstypisches Verhalten.

Gleichzeitig findet sich mit Anne eine Gesprächsteilnehmerin in dieser Gruppe, die auf den weiteren Sendungsverlauf neugierig ist: „I wü do irgendwie sehen was da außa kummt, deis is irgendwie interessant, […]“ (A: 1273-1274). Annes wissbegierige Haltung nimmt Sidos erklärtes Sendungsziel in den Blick. „und was da jetzt aussa kummt, ob die jetzt wirk- lich so a tolle Band werden wie da Sido rapt?“ (A: 1279-1281). Mit einer weiterführenden

36 In der Vorstellungsrunde ZN 16-17 bekennt sich Tina zu ihrer Lieblings- Castingsendung Germany’s Next Topmodel.

83 Rezeption erhofft sie sich Antworten auf den im Diskurs artikulierten Zweifel am Au- thentizitätsgehalt und auf die kritische Frage nach der wahren Umsetzung einer medial propagierten Sozialhilfe.

Obwohl die Gymnasiastinnen die Erfahrung gemacht haben, dass Castingshows keine nachhaltigen Stars produzieren, ihnen das zumindest noch nie gelungen ist, haftet diesen Formaten dennoch etwas Reizvolles an. Sie präsentieren zu Beginn jeder Staffel ‚Men- schen wie Du und Ich‘, die mit zunehmendem Sendungsverlauf durch viel Disziplin, Training und Ehrgeiz zu einem neuen Selbst finden, das sich des alten Ichs entledigt und versteckte Potenziale offenlegt. (vgl. Klaus/O‘Connor 2010, 52)

Anne ist motiviert zu sehen, ob diese Persönlichkeitstransformation auch bei Sidos Schütz- lingen erfolgreich stattfindet und ob die Band entgegen aller Erwartungen vielleicht doch dem einen oder anderen nachhaltig im Gedächtnis bleibt. Ein Rezeptionsmotiv, das viele Castingshowinteressierte teilen und das auch den übrigen Gesprächspartnerinnen inhä- rent ist. Im Falle von BSmB jedoch nicht, weil sie mit den verhandelten Themen keine Be- rührungspunkte haben. Die Präsentation von ‚Menschen wie Du und Ich‘ soll den Rezipi- entinnen das Gefühl geben, sie selbst könnten es sein, die dort auftreten. Ein Gefühl, das bei sechs arbeits- und perpektivenlosen männlichen Jugendlichen im Fernsehen ausbleibt.

4.2 Die Neuen Mittelschülerinnen: „Und deis is net nach Skript, deis is freies Leben“

Die Vorliebe für Castingshows und Doku-Soap Formate sind beiden Diskussionsgruppen gemein. Im Unterschied zu den Gymnasiastinnen können die Neuen Mittelschülerinnen jedoch zum Zeitpunkt der Gruppendiskussion auf eine vorangegangene Rezeption von BSmB zurückgreifen und verfügen daher über eine im Vorfeld kommunikativ ausgehan- delte, reflektierte Meinung, die es ihnen ermöglicht, über die rezipierten Videosequenzen hinaus Bezug zu nehmen. Das tun sie auch, indem sie das Auftreten des Moderators, das Sendungskonzept und die Regieführung in BSmB mit anderen populären Castingshows, wie beispielsweise Deutschland sucht den Superstar oder Das Super Talent vergleichen. Und

84 gerade an diesem Vergleich verdeutlichen sie das Besondere an Sidos Sendung.

Während sich die Neuen Mittelschülerinnen mit den Gymnasiastinnen darüber einig sind, dass das Reality-TV – im Konkreten Castingshows – Realitäten mitunter nach Bedarf inszeniert, lesen die Neuen Mittelschülerinnen in BSmB eine vergleichsweise völlig ande- re Produktionsweise. „Aber es is eh im Prinzip die anzige Castingsendung, wo man merkt, dass es net gspüt ist. Zum Beispiel bei DSDS oder das Super Talent, da merkt man sofort, dass das nur Show ist“ (F: 321-325). Dieter Bohlen, der Moderator von DSDS und das Super Talent, wird von den Mädchen zum Großteil abgelehnt, weil sie ihm überwiegend ne- gative Charaktereigenschaften zuschreiben. Charaktereigenschaften, die im Verdacht der Inszenierung stehen und an Authentizität vermissen lassen. Es bleibt überwiegend der fahle Beigeschmack, Bohlen würde sich strikt an Regieanweisungen halten, nach denen er selbstgefällig und sich am Misserfolg der Kandidat_innen ergötzend auftreten muss, um die Quote zu steigern und die Zuseher_innen an die Sendung zu binden. „Das [Anm. gemeint sind die szenischen Darstellungen in der Sendung DSDS] ist alles nach Skript und alles gspielt, sonst würden‘s das Live zeigen die ganze Zeit, alles was auf den Malidiven passiert. Und […] das [Anm. Blockstars -Sido macht Band] is net nach Skript, das ist freies Leben“ (F: 573-578).

Sido ist Reality und nicht zuletzt deshalb, weil er das gegenwärtige Leben der Kandidaten selbst geführt hat und weiß, wie sich Armut und soziale Ausgrenzung anfühlen. Er ist au- thentisch, sympathisch und sozial.37 Zweifel an einer wahren Darstellung hegt die Grup- pe, die ihr soziales Umfeld in der Sendung wiedererkennt, nicht. Ganz im Unterschied zu den Gymnasiastinnen, die aufgrund alltagsweltlich fehlender Berührungspunkte skeptisch gegenüber den – zumindest medial vermittelten – tatsächlichen Lebensverhältnissen des sozialen Prekariats sind. Denn ihre Unwissenheit nährt den Verdacht der Inszenierung,

37 Eine Lesart, die auch die Journalistin Sibylle Hamann teilt. In der Talksendung Club 2, die anlässlich des Skandals um Sidos Faustschlag gegen Dominik Heinzl ausgestrahlt wurde, nimmt Hamann Bezug auf Sidos Rolle in der Castingshow. Sie beschreibt ihn als eine authentische Persönlichkeit, die ernsthaft und selbstlos darum bemüht ist, den Schwachen in der Gesellschaft zu helfen, ihnen Gehör zu verschaffen und ihr Potential zu fördern. Dabei empfindet sie auch seinen Umgang mit den Kandidaten als durchaus respektvoll. Eine Wahrnehmung, die vertreten von einer Medienfachfrau selbst für Diskussionsstoff sorgen könnte. Denn gerade in diesem Berufsstand werden die Kommerzialisierung und Inszenierungsmethoden des Reality-TV und die damit oft einhergehende symbolische Ausbeutung der Protagonist_innen verstärkt kritisch betrachtet. (Club 2 am 24.10.2012)

85 welcher sich allerdings aus Mangel an Erfahrungs- und Erlebnishintergründen auch nicht ausdrücklich bestätigen lässt.

Die beiden diametral entgegengesetzten Lesarten von Realität und Fiktion entspringen dem atheoretischen Wissen der Gesprächsbeteiligten und werden im modus operandi, in der habitualisierten, handlungspraktischen Deutung ihrer Wirklichkeiten gegenständlich.

Lesarten sind, um mit Mannheim zu sprechen, bestimmt durch die Zugehörigkeit zu konjunktiven Erfahrungsräumen, von deren vorhandenen Wissensbeständen sie kulturell überformt und strukturiert werden.

Eine analoge Beschreibung findet man bei David Morley, der von einem Publikum spricht,

„das sich nicht aus einer Masse atomisierter Individuen zusammensetzt, sondern aus einer Reihe von Subkulturen, [deren] Mitgliedern […] bestimmte kulturelle Orientierungen darüber gemeinsam [sind], wie Medienbotschaften zu decodieren sind.“ Dazu schreibt er weiter: „Die Menschen verstehen ihre Lage und reagieren auf Medienbotschaften, indem sie auf ihre jeweilige subkulturelle Einbettung und deren Bedeutungssysteme zurückgreifen.“ (Morley, 1996, 39)

Morley geht ebenso wie die dokumentarische Methode davon aus, dass Lesarten von einer Vielzahl sozialer Determinanten beeinflusst werden. Unterschiede lediglich auf Milieuun- terschiede zurückzuführen sei zu wenig, vielmehr müssen auch Bildungs-, Geschlechts- und Altersaspekte mitberücksichtigt werden.

4.2.1 Ohnmacht oder Herausforderung: Ein Diskurs über Fremd- und Selbstbestimmung an den Beispielen Michael und Dragan

4.2.1.1 Michaels Geschichte erweckt vertraute Assoziationen

Geboren und aufgewachsen im Alkoholikermilieu. Der Vater stirbt nach jahrelangem Gefängnisaufenthalt. Mit 8 Jahren wird er der Fürsorge übergeben und in verschiede- nen Heimen untergebracht. Heute lebt Michael im Alter von 19 Jahren bei seinem alko- holkranken Stiefvater in einer 20 m² Wohnung. Die Mutter hat eine eigene Unterkunft. Michael ist arbeitslos. Welche Zukunftschancen hat das sozial schwache Individuum, das

86 mit diesen Ausgangsbedingungen sein Leben bestreiten muss? Genau diese Frage wird zum zentralen Orientierungsrahmen der Neuen Mittelschülerinnen und damit zum Dreh- und Angelpunkt der gesamten Gruppendiskussion. Innerhalb dieses Rahmens bewegen sich biografisch relevante Orientierungsmuster und Erlebnisdarstellungen zwischen den Gegenhorizonten der Selbst- und Fremdbestimmung. Die Horizonte verstehen sich sy- nonym zu den Lesarten des Videoausschnittes. So könnte man Michaels Leben als jenes eines hoffnungslosen Sozialhilfeempfängers interpretieren, dessen Handlungsbeschrän- kung auf heteronomen Zwängen fußt. Gegenteilig ließe sich vermuten, dass ihn seine schlechten Ausgangsbedingungen zu selbstbestimmten, situationsverändernden Entwick- lungsschritten anspornen.

Beide Ansätze werden anhand von Michaels vermeintlichem Drogenkonsum oppositio- nell diskutiert. Vermeintlich deshalb, weil er weder in dem von mir gekürzten Videoaus- schnitt noch in irgendeiner der acht Folgen als Drogenkonsument benannt, jedoch von den Neuen Mittelschülerinnen als solcher erkannt, wurde.

MO: Was haltet ihr davon? Was geht euch durch den Kopf? F: Krank, krank! ME: Also ich find‘s gut vom Sido, dass er ihn rausgholt hot. Wos i höchstpersönlich arg find, überhaupt von dem Jungen wenn seine Eltern schon so abgsunken sind, wieso er jetzt dasselbe macht, wieso er net was tut. Zum Beispiel er hätt in a WG gehen können und dort leben kön- nen und dort ah, a normales Leben führen können. Also net normal aber… F: besser ME: besser führen... ohne Alkohol und Drogen. Also für mi san solche Leut die das machen mit Alkohol und Drogen, die san selbst Schuld wenn‘s dann sterben. Ka Mitleid J: Jo manche Leit haben kan Ausweg als wie Drogen nehmen. Die Sandler.. Die Sandler nehmen ja auch Drogen. ME: Ja die Sandler sterben auch an Drogen. Was denkst du...?

Melanie reagiert auf Michaels Handlungsträgheit verständnislos. Anstatt die Initiative zu ergreifen und sich vom Alkoholikermilieu zu absentieren, übernimmt er das Fehlverhal- ten seiner Eltern, deren Leben die Sucht bestimmt. Sein selbstverschuldeter Drogenkon- sum hätte genauso wie die heute zu tragenden Konsequenzen verhindert werden können.

87 Mit selbstbewusster Stimme ruft Melanie daher überzeugt: Ka Mitleid!

Julia hält entgegen, dass dieser Vorwurf eine unrealistische Handlungsfreiheit suggeriert und die tatsächlichen sozialen Verhältnisse verschleiert. „Jo manche Leit haben kan Aus- weg als wie Drogen nehmen. Die Sandler.. Die Sandler nehmen ja auch Drogen“ (J: 74-76). Exemplarisch verweist sie auf eine sozial exkludierte und stigmatisierte Randgruppe, die mit maximaler Handlungsbeschränkung und geringen Chancen auf Resozialisation den einzigen für sie noch zugänglichen Weg wählt: die Flucht in den Drogenkonsum. Eine Proposition, die Melanie nicht überzeugt, weil sie ihres Erachtens nur das Symptom des Problems und nicht dessen Ursache erklärt. „Ja die Sandler sterben auch an Drogen. Was denkst du...?“ (ME: 77-78).

Das Scheitern an einer einheitlichen Perspektive drängt Julia zu einer Transposition, (vgl. Przyborski 2004) in der sie das Diskursthema für einen Legitimationskampf mit ihrer Gesprächspartnerin zweckentfremdet. Mit der Frage „Hast du schon einmal Drogen gnom- men?“ (J: 79) definiert sie die Bedingung an eine qualifizierte Sprecherrolle, die mit -Me lanies Gegenfrage „Hast du’s genommen?“ (ME: 80) verbindlich wird. Während Julia ihre Sprechlegitimation unter Beweis stellen kann, „Ja einmal gschnupft. Waßt eh wie die Welt dann schen ist. Rosarot und schön toll.“ (J: 81-82) hat sich Melanie ihrer diskursiven Macht bereits selbst beraubt und entgegnet aus der Defensive: „Ja schön, bist stolz drauf weilst amal gschnupft hast?“ (ME: 83-84) Die Interpretation über die Einforderung der legiti- mierten Sprecherposition steht bis dato zwischen den Zeilen, aber wird mit Franziskas Konklusion explizit: „Ja wenn ma’s net selber erlebt hat, dann kann man glaub ich nix drüber sagen“ (F: 86-87).

Im diskursiven Ringen um die Behauptung der eigenen Person wird erstmals eine Fo- kussierungsmetapher bemerkbar, die sich über die gesamte Diskurspassage erstreckt und das zentrale Anliegen der Gruppe bzw. ihren Fokus der Aufmerksamkeit offenlegt. Die Gesprächsteilnehmerinnen beginnen das rezipierte Material mit ihrem gemeinsamen Er- lebnishintergrund in Beziehung zu setzen und bedienen sich für den Ausdruck ihrer Ori- entierungen zahlreicher Erzählungen und szenischer Darstellungen. Es dokumentieren sich also zunehmend „die Zentren eines für die Gesprächsbeteiligten gemeinsamen [mili-

88 euspezifischen] Erfahrungsraumes.“ (Bohnsack 2006, 67)

Im Tauziehen um die beiden Gegenhorizonte der Fremd- und Selbstbestimmung validiert auch Franziska die determinierenden Einflüsse auf das durch seine Verhältnisse bestimm- te Individuum. „Ja stell dir vor du wächst in einem Verhältnis auf wo die Mutter sterbenskrank ist und dein Vater im Knast a net für die da ist. Du da net amal was zum Essen kaufen kannst. Das einzige was du machen kannst ist irgendwas nehmen, damit die Welt schön ausschaut. Und so lebst dann auf“ (F: 89-95). Melanie hingegen hält unbeirrt an ihrer Auffassung über ein autonomes Selbst fest. „Jo es is scho a arge G’schicht, aber er hätt was aus seinem Leben machen können. Er hätt was machen können. Hat er aber nicht. Er wartet bis da Sido kommt und erm hilft“ (ME: 114-118).

Franziskas Überzeugung, dass Kinder ohne elterliche Unterstützung und ohne Vorbild keinen normalen - der Norm entsprechenden - Lebensweg bestreiten können, versucht Melanie zu relativieren. Ihres Erachtens lassen sich elterliche Aufgaben und Pflichten auch durch andere Erziehungsmodelle ersetzen. „Ja es gibt Heimkinder, es gibt WG-Kin- der.“ (ME: 122) Damit lenkt sie den Fokus auf eine wichtige Frage innerhalb des Orientie- rungsrahmens: Kann die staatliche Fürsorge tatsächlich die notwendigen Ressourcen zur selbstbewussten und selbstbestimmten Lebensführung bereitstellen oder verbleibt der Unterschied zur mangelhaften Obsorge der Eltern verhältnismäßig gering? Im Bemühen um eine zufriedenstellende Antwort suchen die Neuen Mittelschülerinnen nach Erlebnis- sen im eigenen Erfahrungsraum.

ME: Ja es gibt Heimkinder, es gibt WG-Kinder F: Schau da mal den Nils an, der kummt aus am Heim, schau da an wie der geendet ist, oida ME: Ja du kannst in einem Heim leben und trotzdem a normales... später a normales Leben führen wennst 18 bist. F: Glaubst du? ME: Na glaub i net, sondern waß i F: Könn ma den anen anschauen der was im Heim war? MO: Nein, leider ME: Jedenfalls glaub i ma kann aus je- der Perspektive was aus seinem Leben machen F: Ja schau da amal den Sam an, der ist aus einem Heim

89 ME: Der könnt auch was machen aus sich wenn er will. F: Schau die Jessi an! ME: Die kann a was machen F: Schau da die Viecha an, die da drin sitzen. ME: Die Jessi lernt sie ist gut in der Schul‘… F: Die Jessi lernt pudan mehr net oida ME: Später, wenn sie z.B. an Job hat, wird sie alles was sie da jetzt in da Schul.. F: Was kriegt sie für an Job? An der Stangen, am Strich? [im sarkastischen Ton danach unverständlich] ME: Ja vergess ma jetzt die Jessi. Zum Beispiel da Sam hätt ah a Möglichkeit oder da Till von unserer Klass. Der is a aus ana WG. Sei Papa is a gstorben. Und trotzdem tut er net deppat und nimmt Drogen und i waß net was. F: Schau da den Psycho an. [schmunzelt] Schau da Till der hat ah a zeitlang g‘raucht und so weil er‘s nimmer ausghalten hat. Den haben seine Freun- de unterstützt

Die reellen Auswirkungen eines Heimaufenthaltes belegt Franziska anhand des Mit- schülers Nils, dessen Schicksal den übrigen Gesprächsteilnehmerinnen wohl bekannt ist. „Schau da mal den Nils an, der kummt aus am Heim, schau da an wie der geendet ist, oida“ (F: 123-125). Hier zeigt sich die „auf unmittelbarem Verstehen basierende ‚konjunktive Erfahrung‘“ (Bohnsack 2010, 59) sehr deutlich, weil sich die Teilnehmerinnen ein Bild von Nils Lage machen können, ohne einander interpretieren zu müssen.38

Der diskursive Streit um die (Nicht-)Anerkennung heteronomer Gesellschaftsstruktu- ren nimmt mit Franziskas folgender Proposition neue Dimensionen an. Ihres Erachtens sind Heimkinder nicht nur sozial benachteiligt, sondern darüber hinaus – was noch viel schwerwiegender ist – minderwertige Geschöpfe. „Schau da die Viecha an die da drin sit- zen“ (F: 142). Heimkinder lassen (gewisse) menschliche Eigenschaften vermissen, denn sie leben wie Viecha in großer Zahl und ohne Stabilität mit wechselnden Bezugspersonen unter einem Dach.

38 Ein äquivalentes Beispiel findet sich auch in der Sendung. Daniel, einer der insgesamt sechs Mitstreiter in Blockstars-Sido macht Band verbrachte seine Jugend im Kinderheim Judenau, wo er erstmals mit harten Drogen in Kontakt kommt, die sein Leben seither bestimmen.

90 Während zunächst das familiäre Umfeld als Dreh- und Angelpunkt für den Grad der autonomen Handlungsmöglichkeit bzw. des einschränkenden Determinismus diskutiert wurde, geht es nun um die Frage, ob die Gesellschaft diesen Menschen überhaupt jemals eine reale Chance auf Besserung ihrer Lage geben kann.

Aus dieser Perspektive nimmt der oppositionelle Schlagabtausch der Gesprächsteilneh- merinnen eine komplett neue Gestalt an. Melanies Verständnis von Selbstbestimmung liest sich bis zu diesem Zeitpunkt als Aufruf, die Menschen mit ihren Problemen und Fehlentscheidungen sich selbst zu überlassen. Nun aber kommt der optimistische As- pekt ihres Autonomieverständnisses zur Geltung. Im positiven Horizont der Selbstbe- stimmung ist auch ein ermutigendes Enaktierungspotential eingelagert. Menschen, egal welcher Herkunft, haben die Chance auf einen positiven Lebenswandel. Ihr Vertrauen, dass Fleiß, Ehrgeiz und Zielstrebigkeit in unserer Gesellschaft belohnt werden, veran- schaulicht ihre positive Prognose für Jessis Zukunft: „Die kann was machen.“ (ME: 141); „die Jessi lernt, sie ist gut in der Schul“ (143) „Später wenn sie z.B. an Job hat, wird sie alles was sie da jetzt in der Schul‘….“ (145-146).

Im Gegensatz dazu verwandelt sich Franziskas artikulierter Determinismus fortan in die Gestalt einer unüberbrückbaren Mauer, die Menschen aus prekären Lebenssituationen nicht überwinden können. Augenscheinlich wird das im Dialog mit Melanie, dem bereits zuvor (siehe oben) ein Ausschnitt entnommen wurde:

F: Schau die Jessi an! ME: Die kann a was machen F: Schau da die Viecha an, die da drin sitzen. ME: Die Jessi lernt sie ist gut in der Schul‘… F: Die Jessi lernt pudan mehr net oida ME: Später, wenn sie z.B. an Job hat, wird sie alles was sie da jetzt in da Schul… F: Was kriegt sie für an Job? An der Stangen, am Strich?

Für Franziska resultiert die Hoffnungslosigkeit der Betroffenen aus der gesellschaftlichen Sorglosigkeit und der fehlenden Unterstützung, die zu keiner Besserung der Lage beitra- gen. In ihrer Bezeichnung Viecha drückt sie ihre Kritik am System erstmals bildlich aus.

91 Auf den ersten Blick erhebt sich der Verdacht eines oppositionellen oder gar divergenten Diskursmodus, weil sich die Gesprächsbeteiligten argumentativ nicht aufeinander zube- wegen und auf ihren unterschiedlichen Auffassungen beharren. Da sich diese allerdings innerhalb des Rahmens um ein und dieselbe Orientierung drehen, führen die Neuen Mit- telschülerinnen einen antithetischen Diskursmodus. Verhandelt Melanie den Sachverhalt nun oppositionell zu den übrigen Gesprächsteilnehmerinnen, so wird sie dies in der Pra- xis auch tun. Dennoch lässt sich nicht darauf schließen, dass die Gruppe keine Gemein- samkeiten hat. „Die Einheit der Gruppe ist hier durch das gemeinsame Problem, den geteilten existentiellen Hintergrund gegeben, auch wenn sich die einzelnen Mitglieder in dessen Beurteilung unterscheiden mögen“ (Loos/Schäffer 2001, 65).

Diesen existentiellen Hintergrund legen Franziska und Melanie sehr deutlich in der Her- stellung analoger Erlebnisdarstellungen aus der eigenen Erfahrungswelt offen. „Mei Mut- ter kommt ah aus einem Heim und schau an wie sie jetzt ist… aber oida…“ 39(F: 203-204). Franziskas Berührung mit diesem Thema ist nicht nur auf das Klassenzimmer beschränkt, sondern ist Teil der Familiengeschichte. Auch Melanie entdeckt Parallelen zum eigenen Leben und kennt Michaels Schicksal nur zu gut: „Ja, ah Verwandter von mir hat’s erlebt. Und genau, sei Mutter Alkoholikerin. Sei Vater is a früh gstorben und trotzdem er… er hat sich bei Verwandten untergebracht. Und dort ist er dann normal aufgezogen worden.“ (ME: 237-241) Nach einer kurzen Pause ergänzt sie: „I waß wirklich von was i sprich weil er hat selber Drogen gnommen“ (ME: 243-244).

Im Orientierungsrahmen der Zukunftschancen (und in ihm die Gegenhorizonte der Selbst- und Fremdbestimmung) „artikulieren sich die habitualisierten, d.h. [die] immer wieder reproduzierten Handlungspraktiken des Diskurses“ (Bohnsack 2010, 63). Ihre Performanz ist u.a. stark geprägt durch den konjunktiven Erfahrungsraum der Familie, d.h. primär durch die Erziehung der Eltern. „I man mei Mama hat ah zu mir gsagt du hast dein Leben selber in der Hand. Du wirst schon entscheiden was wichtig ist und so. Und jetzt hat sie gsagt i muss schauen, dass i mi selber auf die Reih krieg irgendwie. […] Jetzt hot mei Mama gsagt du hast dei Verantwortung für di, geh jo net glei Drogen nehmen. Weil i hab ja

39 An anderer Stelle erwähnt Franziska, dass ihre Mutter auch im Kinderheim Judenau untergebracht war. (siehe ZNr: 489)

92 ah die Verantwortung für mi. Also i schau schon, von mir selber aus, dass i was tua für mi. Was guats und net was schlechts. Und deis is deis was i net versteh“ (ME: 612-623). Melanies Beschreibung über die erzieherische Praxis der Mutter und ihre eigene Handlungspraxis „also i schau, von mir selber aus, dass i was tua für mi“, gehen nahtlos ineinander über. Bei Franziska zeigen sich die im familiären konjunktiven Erfahrungsraum erworbenen habi- tuellen Handlungsmuster beispielhaft an ihrem performativen Unmut gegenüber Kinder- heimen.

Schließlich sei darauf hingewiesen, dass sich in der Art und Weise, wie die Mädchen ihre alterstypischen Entwicklungsprobleme bewältigen, ein milieuspezifischer Zusammen- hang dokumentiert. (vgl. Bohnsack 2010, ebd)

4.2.1.2 Dragan verkörpert das Ideal eines willensstarken und ungebrochenen Kämpfers

Im Unverständnis gegenüber Michael expliziert Melanie ihre biografische Orientierung der Selbstbestimmung, die nun in Dragans Lebenskonzept ihre beispielhafte Enaktierung findet. Seine schicksalsgebeutelte Biografie entmutigt ihn nicht, sondern lässt ihn noch härter an einer besseren Zukunft arbeiten. Als Kind mit den Eltern vom Krieg in der Heimat geflohen, findet er auch im neuen Zuhause keine Sicherheit. Dragan und seine Mutter leiden unter den gewalttätigen Übergriffen des Vaters, der das gemeinsame Fami- lienleben zum Martyrium macht. Mittellos flüchten die beiden in das Frauenhaus, in dem Dragan einen Teil seiner Kindheit verbringt und wo man ihn früh lehrt Verantwortung zu übernehmen. Als Jugendlicher bricht er die Schule ab und kümmert sich fortan um das finanzielle Auslangen der Familie. Seine Mutter ist aufgrund starker Depressionen arbeits- unfähig und phasenweise nicht im Stande das Haus zu verlassen.

MO: Was ist mit ihm? N: Ich find‘s gut, dass er für seine Mutter, dass er für sie sorgt ME: Er is super, na ohne Scheiß. Er hat versucht seiner Mutter zu helfen, er hat obwohl er seine Ausbildung abgebro- chen hat, aber er arbeitet trotzdem muss man erwähnen und er will anfoch seiner Mutter helfen und deis is anfoch.. find i komplett ok! N: Das is komplett a andere Seite

93 F: Der ane kämpft für sein Schicksal der andere kämpft für das Schicksal seiner Leit und der andere muss mit seinem Handikap lernen umzuge- hen. Und da greift die erst beste Chance. NA: I find‘s schon gut, dass er trotzdem wei- tergearbeitet hat. Also i glaub i würd deis ah tun, wenn mei Mutter so schwer krank wär [kurze Pause] i find‘s ok J: Auf amal is vui leise [in Richtung ME] N: [lacht] Ja genau, vielleicht fehlt ihr was ME: Was geht‘n mit eich? F: Und i find es haben alle die da drin san verdient eini zu kommen. Weil ma waß jo net ob da Michi davor versucht hat die Schule fertig zu machen, oder so. Is ja net g‘sagt worden, das waß ma net. Vielleicht wollt er das anfoch net, vielleicht war ihm das zuviel Privatsphäre. N: Aber i find das super echt, dass er seiner Mutter hilft. Statt sein Leben.... statt in die Schule zu gehen und so, aber.

Seine Geschichte löst große Bewunderung aus. Er sucht keinen Ausweg im Drogenkon- sum, sondern kämpft unermüdlich um ein besseres Leben und eine erwartungsvolle Zu- kunft. Nicht nur sein eigenes Glück ist ihm wichtig, sondern vor allem auch jenes der Mutter. Dragans Entschluss, ihrem Wohlbefinden mehr Priorität einzuräumen als seiner beruflichen Entwicklung, übertrifft sogar Melanies Erwartungen an ein selbstbestimmtes und verantwortungsvolles Leben. Gemeinsam mit Nina betont sie seine außergewöhnli- che soziale und auch mentale Stärke sowie sein uneigennütziges Handeln. Das veranlasst auch Nena zur Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Wertorientierung um schließlich festzustellen genauso agieren zu wollen. „Also i glaub i würd deis ah tun, wenn mei Mutter so schwer krank wär“ (NA: 986-987).

Franziska relativiert zunächst die euphorische Bewunderung, um die Aufmerksamkeit wieder auf das Kollektiv zu richten. „Der ane kämpft für sein Schicksal der andere kämpft für das Schicksal seiner Leit und der andere muss mit seinem Handikap lernen umzugehen“ (F:980-983). Mit ihrer antithetischen Differenzierung möchte sie den einzelnen Schick- salen wertfrei begegnen, um kritische Stimmen nach einer (un-)verdienten Teilnahme zu verhindern. „Und i find es haben alle die da drin san verdient eini zu kommen. Weil ma waß jo net ob da Michi davor versucht hat die Schule fertig zu machen, oder so. Is ja net g‘sagt wor- den, das waß ma net. […], vielleicht war ihm das zuviel Privatsphäre“ (F:993-999).

94 Franziska proponiert, dass sich die Zuseher_innen über die in der Sendung lückenhafte Darstellung der Wirklichkeit bewusst sein müssen. Michael könnte versucht haben schuli- sche Ziele zu erreichen, die den Rezipient_innen vorenthalten werden. Dahinter vermutet sie weniger den filmischen Inszenierungscharakter, als vielmehr Michaels persönlichen Wunsch, der Öffentlichkeit den Zugang zu gewissen privaten Informationen zu verweh- ren. Egal wie viel von der Vorgeschichte preisgegeben wird, es ist unbestritten, dass alle Bewerber die Aufnahme in die Sendung verdient haben. Die einzelnen Lebensumstände sprechen für sich, aber finden in ihrer Individualität kein Gehör in der Gesellschaft. Was zählt ist das Kollektiv, dem es gelingt die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, um den Kampf gegen bestehende Verhältnisse anzutreten. Nur zusammen entwickeln sie jene Stärke, die für eine Veränderung gegenwärtiger sozialer Strukturen vonnöten ist.

4.2.2 Die gesellschaftliche Relevanz der Sendung

Für die Neuen Mittelschülerinnen ist BSmB eine sozialkritische Castingsendung mit strukturveränderndem Potential. Die Mädchen sind davon überzeugt, dass die Sendung die Zuseher_innen mit Menschen in prekären Lebenssituationen konfrontiert, um sie zu einem gesellschaftspolitischen Umdenken zu animieren. Sie sind sich auch darüber einig, dass milieuferne Rezipient_innen die medialen Bilder anders lesen. „Es ist wichtig für die Menschen wo man das jetzt nachvollziehen kann. Wenn i deis sieh, denk i ma, der hat was hinter sich, der hat was erlebt“ (ME: 912-914).

An ihrer Haltung zeigt sich der Unterschied zwischen einem unmittelbaren und einem kommunikativ vermittelten Verständnis gegenüber den sozialen Verhältnissen. Ersteres ist im atheoretischen Wissen der Rezipient_innen verankert und bedarf keiner näheren Erklärung. Letzteres verhilft all jenen, die nicht in Berührung mit dem betroffen Milieu kommen und es nur anhand äußerer Zuschreibungen bewerten, („Es gibt Leute die nehmen ihn nur als Person an, wenn er schon was erreicht hat“ (F: 915-917)) genau diese zu hinter- fragen.

Das instinktive Verständnis für die Kandidaten erzeugt im Umkehrschluss eine soziale

95 Diskrepanz zum bürgerlichen Milieu, welche die Neuen Mittelschülerinnen in einer per- formativen Abgrenzung und Aversion ausdrücken.

MO: Ist das für euch dann ok, dass man so was dann sieht im Fernsehen? NE: Naa [Schüttelt den Kopf] N: I find scho J: Ja F: I find‘s scho gut, weil das macht amal aufmerksam dass die ande- ren Leute... dass die Leute amal respektieren, dass das ah Menschen san N: Ich find‘s gut dass wir so was sehen wie die anderen leben ME: I find sowas... wenn man zum Beispiel diese Reichen, diese Eingebildeten und so, die denken sich von eam was ganz Schlechtes und so. Also i denk ma von eam prinzipiell nix Schlechtes. Er ist vielleicht so a guter Mensch, aber er hätt‘s besser machen können, scho! Weil er hat die Möglichkeit g‘habt! J: Aber geh der viel Geld hat is ja net eingebildet oder hochnäsig. ME: Die Meisten. J: Ja aber warum? ME: Es reicht wenn‘s 100% san 60 ein- gebildet und so. Waßt eh und die 40 anderen normal F: Waßt was es Problem is bei uns in Österreich? Du kriegst ja fast ka Unterstützung, ah wenn du arbeitslos bist, oder so. Du kriegst das net, wenn‘st du‘s net beantragst. In Deutschland kriegst eh glei Hartz 4 und so, aber dei san ja in Österreich.

Die einleitende Frage der Moderatorin (Ist das für euch dann ok, dass man so was dann sieht im Fernsehen?), die darauf abzielt zu erfahren, ob die Mädchen die Privatsphäre der Protagonisten in Gefahr sehen, wird von diesen anders gedeutet.40 Für sie trägt die Veröf- fentlichung privater Szenen zur Aufklärung sozialer Missstände bei. Die Sendung macht „amal aufmerksam, dass die anderen Leute… dass die Leute amal respektieren, dass das ah Menschen san“ (F: 266-268). Besonders auffällig an Franziskas Proposition ist die Regel- haftigkeit ihres Umgangs mit dem Wort Mensch, das weit mehr als die simple Abgrenzung der menschlichen Spezies gegenüber anderen Lebewesen bedeutet. Mensch zu sein, als Mensch anerkannt zu werden, ist an den Genuss gesellschaftlicher Privilegien geknüpft und verliert im sozialen Prekariat seine Gültigkeit. Augenscheinlich wird diese Distink-

40 Jene beiden Gesprächspartnerinnen, die sich in der Gruppendiskussion kaum zu Wort melden, sehen die Pri- vatsphäre der Protagonisten verletzt. Ihre Begründung dazu findet sich erst an anderer Stelle.„I wü jo ah net wenn die Kamera do mei Privatleben do….“ Natalia ergänzt: „filmt“. (932-934)

96 tion erstmals im vorhergehenden Diskurs um die Zukunftschancen von Heimkindern. Bezeichnet Franziska dort jene ihrer Mitschüler_innen, die nicht im familiären Umfeld aufwachsen, als Viecha, unterstellt sie gegenwärtig milieufernen, bessergestellten Gesell- schaftsschichten die Bezeichnung Mensch lediglich auf sich selbst zu beziehen.

Die kommunikative Überbrückung der sich gegenüberstehenden Milieus gelingt mit der Sendung BSmB. Sie fungiert als mediales Bindeglied zwischen den antagonistischen so- zialen Klassen, indem sie Aufklärungsarbeit beim Bürgertum leistet und es Respekt und Toleranz gegenüber Angehörigen unterer sozialer Schichten lehrt. Das Unvermögen der privilegierten Klassen, Armut und soziale Ausgrenzung ihrem Wesen nach zu erkennen und richtig einzuschätzen, kommt auch in Melanies Validierung zum Ausdruck. „I find sowas... wenn man zum Beispiel diese Reichen, diese Eingebildeten und so, die denken sich von eam [Michael] was ganz Schlechtes und so. Also i denk ma von eam prinzipiell nix Schlechtes“ (ME: 271-275).

Die kollektiven Deutungsmuster, die soziale Spannungen und Verständnislosigkeit an den Klassenantagonismen festmachen, lassen an die sozialkritischen Thesen Marx‘ und Engels‘ erinnern. In Engels‘ Beschreibung der Bourgeoisie und deren Stellung zum Pro- letariat erkennt er erstere als eine vorurteilsbehaftete, eigennützige Klasse, die von der Besitzlosigkeit des Proletariats profitiert, diesen Profit jedoch nicht als Ergebnis ihrer Un- terdrückungsmechanismen erkennt, sondern ihn für den Beweis ihrer Tüchtigkeit, ihres Engagements und letztlich ihrer Durchsetzungsfähigkeit hält. Damit werden gesellschaft- liche Strukturprobleme von jenen, die maßgeblichen Einfluss auf ihre Entstehung ebenso wie auf ihre Lösung besäßen, ignoriert. Stattdessen werden die Gründe für Besitzlosigkeit und Armut bei den betroffenen Individuen selbst gesucht. (vgl. Engels 1972, 486ff)

Wenn Melanie also davon spricht, dass diese Reichen, diese Eingebildeten etwas Schlechtes von Michael denken, so kritisiert sie eben jene unreflektierte Schuldzuweisung, die von Menschen formuliert wird, die mit Scheuklappen vor den Augen und ohne Einfühlungs- vermögen gegenüber sozial schwachen Gesellschaftsmitgliedern nur Interesse an den ei- genen Befindlichkeiten zeigen. Sie erkennt in diesen Reichen eine soziale Schicht, die die Gesellschaft reduzierend in gut und schlecht klassifiziert und aufgrund ihrer Besserstellung

97 vermeidet, die gegebenen Verhältnisse zu hinterfragen.

Was die Kritik an Michael betrifft, so kann das bürgerliche Milieu gar nicht beurteilen, welche Handlungsoptionen ihm zur Verfügung stehen. Melanie allerdings, die dem Milieu nahe steht, kann sich aufgrund eigener Erfahrungen ein qualifiziertes Urteil bilden: „Er ist vielleicht so a guter Mensch, aber er hätt‘s besser machen können, scho! Weil er hat die Mög- lichkeit g‘habt“ (ME: 275-277)!

Argumentative Unterstützung erhält sie wiederum von Franziska, die auch die politisch- strukturellen Probleme des Staates in den Blick nimmt. „Waßt was es Problem is bei uns in Österreich? Du kriegst ja fast ka Unterstützung, ah wenn du arbeitslos bist, oder so. Du kriegst das net, wenn‘st du‘s net beantragst. In Deutschland kriegst eh glei Hartz 4 und so, aber dei san ja in Österreich“ (F: 284-289). Bleibt man bei Marx‘ Gesellschaftsverständnis, könnte man eine radikale Lesart entwickeln und den österreichischen Staat als politischen Überbau identifizieren, der die Interessen der Unterschicht, in diesem Fall insbesondere die der Arbeitslosen, negiert. Obwohl Franziska einlenkt, dass das Sozialsystem eine Un- terstützung vorsieht, reicht diese nicht um sich eine neue Existenz aufzubauen. Demnach ist das System in jedem Fall reformbedürftig und sollte sich an der egalitären Sozialpolitik Deutschlands orientieren.

4.2.3 Sidos Empowerment – eine professionelle Anleitung zur Selbst- hilfe

Blockstars- Sido macht Band stellt aber nicht nur die tatsächlichen Lebensbedingungen ins Licht der Öffentlichkeit, sondern zeigt den Rezipient_innen den eisernen Willen, die wachsende Arbeitsmoral und das im Inneren schlummernde Potential der Kandidaten, das Sido wie kein anderer zur Geltung bringt. Er ist Mentor und Idol zugleich, weil er nicht nur als Musiker überzeugt, sondern auch selbst ein Lied von sozialer Armut und Ausgrenzung singen kann. Seine Biografie ist daher die wichtigste Voraussetzung, um in dieser Rolle kompetent zu überzeugen.41

41 Die Diskursbewegung in den Zeilen 776-870 belegt, dass Sidos empirische Selbsterfahrung, d.h. sein früheres Leben in Armut, wesentlich dazu beiträgt, dass die Neuen Mittelschülerinnen ihn als würdigen Moderator dieser

98 Sein deklarierter Wunsch, Sozialarbeiter für Österreichs minderbemittelte Jugend zu sein, polarisiert die Öffentlichkeit. Für die Neuen Mittelschülerinnen ist er eine Lichtfigur für „die Leut die nix gschafft haben“ (F: 312-313), für Sendungskritiker der Hauptdarsteller eines Sozialpornos.

F: Die haben dann eh an Bericht kriegt, von da Zeitung oda so, wo drinnen gstanden ist, dass der Sido die Leute diskriminiert und so, dass er sie peinlich darstellt in der Öffentlichkeit. Aber i find er stellt sie eigentlich gut dar, weil er ihnen zeigt, dass die Leut die nix gschafft haben.. ME: Er hilft ihnen ja… F: …Anpacken, dass sie was schaffen

In den Medien hat die Sendung reichlich Kritik hervorgerufen. So etwa stolpere ich über einen Online Artikel mit der Schlagzeile „Sido macht Band – ORF erreicht neuen Tief- punkt“ und lese in demselben die zynische Bemerkung „Sido soll seine Rolle […] irgendwo zwischen Musiklehrer, Scharfrichter und Sozialarbeiter finden“(N.N. 2011b). Empörte Re- zensent_innen gibt es viele, darunter eine, die im Titel „ORF- Blockstars: Rapper sind Opfer von Sido. Beinharter Sozialdarwinismus bestimmt die neue TV-Serie „Blockstars – Beweg dein‘ Oarsch, “ (Kellermann 2012) ihrer Kritik Ausdruck verleiht.

Auch Online-Foren lassen mehrheitlich kein gutes Haar an ihm und seinen Ambitionen: „Wiedermal Fernsehen von Asozialen für Asoziale“ (N.N. 2011a), „Diese Massenverblödung sollte strafrechtliche Relevanz haben“ oder etwa „In dieses Unterschichtsprogramm, das dafür sorgt, dass die Schicht auch bleibt, wo sie hingehört, fließt also die Gebührenerhöhung... zum Kotzen.“ Scherzhafte Beiträge, wie „Wer will mich – Sido, die Edith Klinger für Arme“, fin- den sich aber ebenso wie positive Resonanzen: „Also ich find’s gut - der hebt sich ab von der Masse, hat an guten Stil. Stichwort: Wiedererkennungswert.“ (N.N. 2011c)

Eine ausschließlich positive Stimme erheben auch die Neuen Mittelschülerinnen, die die medialen Vorwürfe stark zurückweisen. Sidos lehrreiches Empowerment schafft Inspira- tion und kann in der 8-teiligen Staffel minutiös mitverfolgt werden. „Und so zeigen sie halt wie die Band zusammen kommen ist. Die san alle aus schwierigen Verhältnissen und dann haben sie’s alle geschafft, gemeinsam, weil’s angepackt haben und die Unterstützung ghabt ha-

Sendung anerkennen. Siehe dazu auch den anfangs analysierten Diskurs um das Thema Drogenkonsum.

99 ben. Insofern ist es nicht schlecht, dass sas zeigen. Dass es wissen wie die Band entstanden ist“ (F: 957-964).

4.2.4 Mehr als nur eine Castingshow: Parasoziale Beziehungen mit den Kandidaten

Die charakteristischen Eigenschaften der beiden Diskussionsgruppen konnten vor allem im fallexternen komparativen Vergleich zueinander in Erfahrung gebracht werden. Die distanzierte Haltung der einen Gruppe konnte durch die artikulierte Nähe der anderen bestimmt werden und umgekehrt. In den folgenden Ausführungen wird auf ein spezifi- sches Merkmal der Neuen Mittelschülerinnen Bezug genommen, das bei den Gymnasias- tinnen nicht auffällig ist. Es handelt sich um das Phänomen der parasozialen Beziehung, eine intensivere Form der parasozialen Interaktion, welche einen wesentlichen Beitrag zur Auffindung und Untermauerung der habituellen Orientierungen dieser Gruppe leistet.

Die parasoziale Interaktion versteht sich als einseitige Interaktion, in der die Akteur_innen keinen Einfluss auf das Verhalten und Handeln ihres Gegenübers nehmen. Eine Interak- tion dieser Art, die nicht auf der Reziprozität der Teilnehmer_innen beruht und aufgrund ihrer fehlenden wechselseitigen Bezugnahme asymmetrisch verläuft, nennt die Kommu- nikationswissenschaft parasozial (vgl. Kapitel 2.3.4.1). Laut Hartmann und Schramm ist es faktisch unmöglich, mit Medienfiguren nicht nicht parasozial zu interagieren. Hinsicht- lich des Interesses an den Medienfiguren und den Inhalten, in denen sie vorkommen, können parasoziale Interaktionen stärker und weniger stark ausgeprägt sein. Eine stärkere Ausprägung kann auch bedeuten, dass sich die Interaktion bei Heranwachsenden nicht nur auf die Rezeption selbst beschränkt, sondern rezeptionsübergreifend zum Bestand- teil der Alltagspraxis und somit zur Grundlage für eine parasoziale Beziehung wird (vgl. Schramm/Hartmann 2010).

Genau dieses Phänomen zeigt sich auch bei den Neuen Mittelschülerinnen, hier insbe- sondere bei Franziska, die Sidos Projekt in allen Einzelheiten mitverfolgt und voller Stolz berichtet: „I hab alle Lieder auf meinem Handy. Und am Samstag hab ich mir ein Auto-

100 gramm g’holt“ (F: 30-32). In einer anderen Sequenz prahlt sie: Schau i hab a ganzes Album nur Dragan [blickt zu Melanie, lacht und zeigt auf ihr Handy] (F: 1322-1324).

Mit dem Bekennen zu Dragan und dessen Musik äußert sich Franziska nicht nur über ihre Zugehörigkeit als Fan, sondern leistet im semiöffentlichen Kreis ihrer Mitschülerinnen aktive Identitätsarbeit. Das eigene Selbst findet seinen Ausdruck in der Einstellung zu Dragan, der im Moment der öffentlichen Bewunderung zum „Self-Impression Symbol[.]“ wird: „Ich bin, zu wem ich mich öffentlich bekenne bzw. wen ich öffentlich ablehne“ (Schramm/Hartmann 2010, 216).

Eine Identitätsfindung dieser Art ist für Jugendliche generell nicht nur typisch, sondern in Anbetracht ihrer Unsicherheit zum eigenen Selbstbild und ihrem noch instabilen Werte- system von großer Bedeutung. Eine parasoziale Interaktion bzw. Beziehung verhilft diese Unsicherheit zu kompensieren, indem die Medienpersonen typenhaft und verlässlich in Erscheinung treten und selbstverständlicher Bestandteil der Alltagspraxis werden (vgl. ebd.).

Parasoziale Beziehungen bleiben als solche fast immer bestehen, weil sich für die Zuse- her_innen im realen Leben kaum eine Chance bietet, den Akteur_innen außerhalb des Rezeptionserlebnisses zu begegnen. Mit dem internationalen Erfolg der Reality-Formate, die mittlerweile in vielen Ländern zum alltäglichen Fernsehrepertoire gehören, ändert sich diese zuvor selbstverständlich geglaubte, einseitige Beziehung. Die Stars der Sendungen sind Alltagsmenschen, die im Falle von Castingshows das propagierte Ziel verfolgen, in nur wenigen Wochen zu Medienstars zu transformieren. Es besteht also eine durchaus realistische Wahrscheinlichkeit, dass Castingshowbewerber_innen aus dem persönlichen Umfeld der Rezipient_innen stammen. Genau diese Erfahrung machte Franziska, die stolz berichtet, Marco bereits vor der Sendung gekannt zu haben. „Waßt wos mitn Marco ist? Mit dem war i amal gemeinsam im Jugendferienlager“ (F: 1011-1012). Franziskas be- stehende Bekanntschaft zu Marco zeigt die Entwicklung von einer realen Beziehung in eine parasoziale, in der der einstige Bekannte aus dem Jugendferienlager nun primär über mediale Kanäle in Erscheinung tritt. Durch die Präsenz im Fernsehen, dem Internet oder auch im Social Web steigt in diesem Falle nicht nur Marcos Bekanntheitsgrad, sondern

101 auch Franziskas Gefühl der Verbundenheit und der Stolz über den gemeinsamen Erleb- nishintergrund. „…werden‘s vielleicht berühmt ah und dann kennen‘s mehr Leut und dann kann i sagen i hab sie schon davor kannt, und so…“ (F: 1339-1341). Ihre Überzeugung, dass ein möglicher Ruhm der Kandidaten auch auf ihre Person reflektiert, bestimmt zu diesem Zeitpunkt ihre Identität sowie Selbstverständnis. Ein Phänomen, das nicht individuell auftritt, sondern sich alterstypisch im Kollektiv entfaltet.

Franziska aktualisiert in der Gruppendiskussion ihr Konzerterlebnis42, womit sie im Akt der Erzählung ihren Selbstwert stärkt und die für sie existentiell wertvolle Gruppenzuge- hörigkeit bewusst erlebt. Sie kann stolz berichten, dass Dragan, der in ihrer Peer Group sehr wertgeschätzt wird, ihr während des Konzerts besondere Aufmerksamkeit zukom- men ließ. „Und dann hat ma da Dragan sein Leiberl gschenkt an dem Tag. Und dann san die ganzen Weiber ausgrastet“ (F: 1351-1353). Dragan wird zu einer Symbolfigur hochstilisiert, die hinsichtlich ihres Habitus, ihrer Wertevermittlung und vor allem hinsichtlich ihrer Ausstrahlung nicht nur für Franziska, sondern auch für die Gruppe zur Orientierungsgrö- ße wird (vgl. Hoffmann 2010, 23).

Obwohl die dokumentarische Methode nicht darum bemüht ist, einzelne Sprecherinnen- positionen zu analysieren, soll zu Franziskas Schilderung ihres Konzerterlebnisses im Fol- genden noch einmal ausführlich Stellung genommen werden. Denn in ihren Ausführun- gen (siehe unten) wird „eine (das Handeln der Erforschten implizit strukturierende) Regel zur Explikation“ gebracht (Bohnsack 2003, 564).

F: Ich bin ja dort hingangen um zu zeigen, dass Leute an sie glau- ben, dass sie das gschafft haben. Die stolz auf sie sind, dass sie das gschafft ha- ben und weitergehen wollen. Aus dem anzigen Grund bin i dort hingangen. Und weil i ma dacht hab, wenn‘s jetzt den Eurovision Songkontest gwinnen, werden‘s vielleicht berühmt ah und dann kennen‘s mehr Leut und dann kann i sagen i hab sie schon davor kannt, und so.. MO: Hast du mit denen da auch reden können? F: Ja, es is so a Tisch gwesen und da ist jeder so nach der Reihe so aufi gangen. Und dann... i kenn den Marco und den Dragan, mit denen hab ich schon auf Facebook scho gschrieben g‘habt seit der ersten Folge. I war mit

42 Die aus der Sendung formierte Band gab unmittelbar nach dem Fernsehauftritt einige Konzerte in Öster- reich. Unter anderem auch in Graz.

102 denen befreundet. Da Marco kennt an guten Freund von mir und so war er halt befreundet. Da Marco hat gwusst, dass ich den Dragan hübsch find und so. Und dann hat ma da Dragan sein Leiberl gschenkt an dem Tag. Und dann san die ganzen Weiber ausgrastet [lacht]

Franziskas Empathie und Solidaritätsbekundungen sind abermals Dokument für den mi- lieuspezifischen Erfahrungshintergrund der Neuen Mittelschülerinnen, der im empiri- schen Vergleich zu den Gymnasiastinnen Gestalt annimmt. „Ich bin ja dort hingangen um zu zeigen, dass Leute an sie glauben, dass sie das gschafft haben. Die stolz auf sie sind, dass sie das gschafft haben und weitergehen wollen.“ (F:1332-1335) Was den Gymnasiastinnen fehlt, und worüber die Neuen Mittelschülerinnen verfügen, ist ein Lebensumfeld und damit ein Erfahrungshintergrund, der eine Identifikation für die Kandidaten erlaubt. Sie sind fähig, ihre missliche Lage nachzuvollziehen, sich in die Situation hineinzuversetzen und ihren willensstarken Kampfgeist wahrzunehmen. Es ist daher kein Zufall, dass sich ein Großteil der Gruppe bewusst mit den Themen der Sendung auseinandersetzt und die Mädchen sich gemäß ihrer Bedürfnisse untereinander austauschen. In der kollektiven Auseinandersetzung mit dem Sendungsinhalt und dem Verständnis für die Kandidaten formen und stärken sie ihre Peer Group. Währenddessen werden die in der Peer Group verankerten Erlebniszentren aktualisiert, indem sie mithilfe von Sendungeausschnitten ihr atheoretisches Wissen der Alltagspraxis und ihre Gruppenwerte hervorbringen, die sich entlang der Diskussion reproduzieren. Beispielsweise dokumentiert sich an mehreren Stellen, dass die Mädchen den Kandidaten weniger für ihren musikalischen Fernsehauf- tritt Bewunderung schenken, als vielmehr für den Mut, ihre soziale Deprivation zu veröf- fentlichen, um das gesellschaftliche Interesse im Kampf gegen Jugendarmut zu stärken. Die Burschen, so sind die Neuen Mittelschülerinnen überzeugt, haben das Glück, in Sido einen Mentor zu finden, der sie im Kampf um den sozialen Aufstieg motiviert und ihnen dabei stets ein positives Vorbild ist. Letztlich auch, indem er das Leben, das seine Schütz- linge begehren, vorlebt.

103 4.3 Diskussion

4.3.1 …über die Konstruktion konjunktiver Lesarten

Die vorliegende Forschungsarbeit widmete sich der Analyse von Lesarten, die weibliche Teenager aus unterschiedlichen Bildungsschichten, in der Rezeption ausgewählter Video- ausschnitte von BSmB, konstruierten. Die Erhebungsmethode umfasste zwei Gruppen- diskussionen, die an zwei unterschiedlichen Schulen in Graz bzw. in Graz-Umgebung durchgeführt wurden. Im diskursiven Austausch über die Art und Weise, wie die Schü- lerinnen den medialen Text lasen, war es möglich ihre konjunktiven Erfahrungs- und Erlebniszusammenhänge in Erfahrung zu bringen und hieraus zu ihren habituellen Ori- entierungsmustern vorzudringen.

Bevor ich die spezifischen Merkmale der beiden Gruppen konkretisiere, sei angemerkt, dass die untersuchten Schülerinnen aus dem Gymnasium und der Neuen Mittelschule sowohl in ihren Lesarten als auch in ihren Diskursmodi starke Divergenzen aufwiesen.

〉〉 Die Gymnasisatinnen haben keine Berührungspunkte zum medial inszenierten Mi- lieu und zeigen in ihrer Distinktion vor allem die Schwächen des Bandprojektes auf. In der Rezeption dieses Formates nehmen sie im Sinne Halls eine ausgehandelte Lesart ein. Das bedeutet, dass ihnen zwar bewusst ist, wie der mediale Text gemeint ist, das heißt wie er von Seiten der Produzent_innen encodiert wurde, jedoch über- nehmen sie die dem Text eingeschriebenen Bedeutungen nicht automatisch. Dies vor allem deshalb nicht, weil sie im Widerspruch zu ihrem lebensweltlichen Wissen ste- hen, das sie zur Interpretation des Textes heranziehen. Die Rezipientinnen konstru- ieren daher neue Sinndeutungen und schaffen somit das was Hall eine ausgehandelte Lesart bezeichnet.

〉〉 Das zeigt sich mitunter an ihrem Zweifel an der angeblich realen Darstellung eines Sozialmilieus, das nicht Teil ihrer Lebenswelt und ihnen nicht über die Rezeption hi- naus vertraut ist. Ihre Unwissenheit gegenüber der tatsächlichen Alltagswelt und den Lebensbedingungen der Kandidaten erklärt gemeinsam mit ihrem Wissen, dass das

104 Reality-TV mit Inszenierungsmethoden arbeitet und Realitäten mitunter abändert, die Konstruktion einer alternativen Lesart.

〉〉 Eng verbunden damit ist auch ihre Skepsis gegenüber Sidos postulierter Hilfe zur Selbsthilfe. Prinzipiell können sie seiner Idee, Jugendliche ohne Zukunftsperspek- tive in die Mitte der Gesellschaft zurückzuholen, etwas abgewinnen. Bei genauerer Betrachtung sehen sie allerdings wie sein Vorhaben fassadenartig zu zerbröckeln be- ginnt, denn es ist ihnen weitgehend unklar, welcher Zielgruppe er helfen möchte. Schließlich ist ihnen aufgefallen, dass seine Kandidaten unterschiedliche Ausgangs- bedingungen in die Sendung mitbringen: manche leiden unter existentiellen Nöten und verfügen über kein Gesangstalent, andere wiederum können zwar singen oder rappen, aber scheinen auch gut ohne Sidos Hilfe zurechtzukommen. Letztere hinter- lassen bei den Gymnasiastinnen den Eindruck, als seien sie ungerechtfertigt in die Sendung aufgenommen worden.

〉〉 Die Mädchen sehen Sidos Plan, eine Band zu casten, die sich in weiterer Folge dau- erhaft im Musikgeschäft etablieren soll, zum Scheitern verurteilt. Sein erklärtes Sen- dungsziel, die Kandidaten aus ihrer sozialen Notlage herauszuholen und ihnen da- mit neue (Lebens-)Wege zu eröffnen, ist für die Mädchen vielmehr eine illusorische Wunschvorstellung als eine hoffnungsreiche Zukunftsaussicht. Denn die Gymnasias- tinnen wissen aus Erfahrung, dass die große Mehrheit der Castingshowteilnehmer_ innen später an keine ernstzunehmenden Erfolge anknüpfen kann. Sie sind davon überzeugt, dass Sido nach Ende der Sendung aus dem Leben der Kandidaten ver- schwindet und die Gewinnerband, die aus diesem Format hervorgeht, im Anschluss daran in der Flut der Medien untergehen wird. Eine Wohltätigkeitsprojekt, verpackt in eine Castingshow, ist für sie nichts anderes als in schicksalsgebeutelten Menschen die Hoffnung zu wecken, sie könnten mit der Sendung ihre sozial missliche Lage zum Positiven wenden und ihr Leben neu ausrichten. Dabei handelt es sich ihrer Meinung nach aber nur um eine Illusion, weshalb die fehlende Nachhaltigkeit von Sidos medial inszeniertem Hilfsangebot, den Verdacht einer Instrumentalisierung zugungsten von Sidos Popularität und Imagepflege nahelegt.

105 〉〉 Eine gänzlich konträre Lesart findet sich bei den Neuen Mittelschülerinnen. Sie übernehmen die Vorzugslesart43 des Textes und integrieren die darin enthaltenen Botschaften in ihre eigene Lebenswelt. Sie identifizieren sich mit den Kandidaten und glauben an die Chancen, die Sido ihnen aufzeigt. Sido überzeugt sie in seiner Rolle als Mentor nicht nur deshalb, weil er ehrlich und authentisch ist, sondern weil er den Kandidaten und dem Publikum kein von außen angeeignetes, kein bewusst erlerntes Wissen vermittelt, sondern eines, das in seiner eigenen Lebensgeschichte, in seiner Erfahrung begründet liegt. Für die Neuen Mittelschülerinnen bedeutet das Einhalten seiner Selbstbefähigungsstrategien nicht nur den sicheren Weg aus der Krise, sondern es bedeutet vor allem auch die Chance, sich in der Gesellschaft behaupten zu können. Denn der Erfolg, der aus diesen Selbstbefähigungsstrategien resultiert, löst in ihrer Vorstellung bei den Mitmenschen, egal welcher Schichtzugehörigkeit, Bewunderung aus und führt unweigerlich zur sozialen Akzeptanz. Sido selbst und seine Biografie sehen sie als den empirischen Beweis dafür. Aus diesem Grunde haben die Neuen Mittelschülerinnen einen gänzlich anderen Zugang zum Text als die Gymnasiastin- nen. Sie fragen nicht danach, welcher Grad an Bedürftigkeit erreicht sein muss, damit eine Teilnahme an Sidos Sendung gerechtfertigt erscheint, sondern sie fragen nach den allgemeinen Handlungsoptionen und Potentialen, die die Sendung den Kandida- ten zur Verfügung stellt und die sie zur Besserung ihrer Lage nutzen können.

Genauso unterschiedlich wie die Lesarten sind auch die Diskursmodi und das Wesen der Argumentationslinien.

〉〉 Die Gymnasiastinnen pflegen mehrheitlich einen univoken Modus, was soviel be- deutet, als dass sie einander nicht widerspechen und ihre Stellungnahmen gegenseitig validieren und ergänzen.

〉〉 Dagegen kämpfen die Neuen Mittelschülerinnen hart um ihre Orientierungen. Allerdings sind sie sich in der Auffassung einig, dass die Sendung nicht nur den Kan- didaten, sondern auch der Gesellschaft einen erheblichen sozialen Nutzen bringt.

43 Vgl. Kapitel 2.3.3

106 〉〉 Weiters ließ sich feststellen, dass der Diskurs bei den Neuen Mittelschülerinnen stark von ihrem eigenen Erfahrungsschatz, aus dem sie ihre Erkenntnisse schöp- fen, geprägt ist. Ihres Erachtens sind Behauptungen innerhalb der Gruppe nur dann profund und gültig, wenn die einzelnen Sprecherinnen bezeugen können, diese be- reits zuvor empirisch überprüft zu haben. Diese implizite Regel verlangt, dass die jeweiligen Wortführerinnen in ihren Konstatierungen und Thesen stets ungefragt und automatisch auf ihre a posteriori abgeleitete Erfahrung verweisen, um etwaige Kritiken der anderen zu vermeiden. Dies ist ein wesentliches Merkmal ihrer Argu- mentationslinie.

〉〉 Diese Notwendigkeit, den empirischen Wahrheitsgehalt der Aussagen permanent begründen zu müssen, findet sich bei den Gymnasiastinnen nicht. Sie ziehen es erst gar nicht in Erwägung ihre eigenen Erlebnis- und Erfahrungshintergründe in die Diskussion miteinzubeziehen. Wäre ihre Argumentationslinie ähnlich jener der Neuen Mittelschülerinnen, würden sie über ihre eigene Lebenswelt elaborieren, um damit den offensichtlichen Kontrast zum sozialen Milieu der Blockstars Kandidaten hervorzuheben. Das heißt, sie würden bewusst Einblicke in ihr soziales Umfeld ge- ben wollen, um ihrem Gefühl der Fremdheit Ausdruck zu verleihen.

Das sie diesen argumentativen Weg nicht wählten, zeigt das unangemessene Bekennt- nis einer Teilnehmerin, die der Gruppe die gegenwärtig finanziellen Sorgen ihrer Schwester offenbart. Das Mädchen hatte damit jedoch nicht von sich aus das An- liegen, sich mit ihren Mitschülerinnen über persönliche Schicksale auszutauschen. Vielmehr kann ihre Äußerung als eine plötzliche Reaktion auf meine zuvor gestellte Frage gedeutet werden, mit der ich in Erfahrung bringen wollte, ob die Gruppe in ihrem sozialen Umfeld Menschen kenne, die (annähernd) Ähnliches erfahren haben, wie die Protagonisten der Sendung. Unmittelbar nachdem sich die Schülerin dazu hinreißen ließ, meine Frage mit den Finanzproblemen ihrer Schwester zu beantwor- ten, überkam sie ein ungehagliches Gefühl, den formalen Rahmen der Diskussion verletzt zu haben. Der Rahmen impliziert, dass Ausführungen über das persönliche Lebensumfeld nicht nur auszuklammern, sondern regelrecht tabu sind. Dies zeigt

107 nicht zuletzt die darauffolgende Zäsur ihrer Kolleginnen, die die Elaboration ihrer Mitschülerin ignorierten und die Möglichkeit jeder weiteren Bezugnahme im Keim erstickten (vgl. Kap. 4.1.2).

〉〉 Der Rahmen erlaubt daher lediglich die Lebenswirklichkeiten und die sozialen Schicksale der Kandidaten zu analysieren. In diese Analyse der Gymnasiastinnen fließt jedoch kein a posteriori erworbenes Wissen über den Diskussionsgegenstand ein. Denn aufgrund ihrer sozialen Besserstellung können sie nicht nachempfinden, wie die Betroffenen in der Sendung das Heranwachsen in Jugendheimen erleben, genauso, wie sie aufgrund fehlender Erfahrung nicht wissen können, wie man mit einer Armut umgehen sollte, die eine soziale Ausgrenzung bedingt. Als Angehörige des bürgerlichen Milieus sind sie sowohl in finanzieller als auch in sozialer Hinsicht weit von der Alltagswirklichkeit der Blockstars Kandidaten entfernt. Daher konstru- ieren sie aus apriorischen Annahmen Erklärungsmodelle, die ihnen dazu verhelfen den Begriff Armut unter verschiedenen Aspekten zu beleuchten und ihn für sich selbst einigermaßen stimmig zu definieren. In ihren Erklärungsmodellen plausibili- sieren sie auch welchen Teilnehmern Sidos Unterstützung tatsächlich gebührt, und wer aufgrund besserer Ausgangsbedingungen ungerechtfertigt in die Sendung aufge- nommen wurde.

Im direkten Vergleich zwischen den Neuen Mittelschülerinnen und den Gymnasias- tinnen zeigen sich jedoch nicht ausschließlich gegenläufige Ansichten und Wahrnehmun- gen. In den konstruierten Lesarten beider Gruppen finden sich auchGemeinsamkeiten . So zum Beispiel sahen die Mädchen beider Schulen, in dem von mir gezeigten Filmmate- rial über das unmittelbare soziale Umfeld der Kandidaten, weder deren Privatsphäre ver- letzt, noch erkannten sie in selbigem, Überschreitungen von Tabugrenzen. Damit lassen sich die darauf bezogenen Forschungsfragen (Empfinden die Mädchen die gewährten Einblicke in das intime Lebensumfeld der Kandidaten als Verletzung der Privatssphäre? Sehen sie in der Darstellung der Lebenswelten tabuisierte Themen angesprochen?) für beide Gruppen verneinen.

Die Relevanz dieser Fragen begründet sich in der Annahme, Sidos Umgang mit den Kan-

108 didaten könnte von den Rezipientinnen als Bloßstellung empfunden werden. So wurden den Gesprächsbeteiligten Szenen vorgespielt, die die Kandidaten inmitten ihres nahen sozialen Umfeldes zeigen und die die schreckliche Wirklichkeit ihrer Lebensumstände detailliert abbilden. In einer der Szenen hält die Kamera sekundenlang und in Großauf- nahme Dragans verzweifelte Mutter fest, die zusammengekauert und in Tränen aufgelöst Details ihrer schrecklichen Vergangenheit preisgibt und vor einer breiten Öffentlichkeit zugibt, aufgrund schwerer Depressionen zeitweise nicht fähig zu sein die Wohnung zu verlassen. In einer anderen Szene inspizieren Sido und sein Kamerateam minutiös Micha- els verwahrloste Bleibe. Das Filmmaterial hebt vor allem die Enge des Wohnraums, die mangelnde Hygiene, die unzähligen leeren Wein- und Bierflaschen sowie die überquellen- den Aschenbecher hervor. Davon nicht genug werden auch noch Michaels Eltern gezeigt, die inmitten des Chaos schwer betrunken in die Kamera lallen und sich gegenseitig in derber Fäkalsprache beschimpfen.

Szenen wie diese können als tabubehaftet bewertet werden, weil sie mit sozialen Konven- tionen brechen, die die Intimität des Menschen wahren und ihn mit seinen Schwächen und Fehlern nicht (öffentlich) zur Schau stellen. Interessant ist, dass sich weder in den Diskursbewegungen der Gymnasisatinnen noch in denen der Neuen Mittelschülerinnen Hinweise finden, wonach sie die Privatssphäre, die Intimität und die Würde der Protago- nist_innen verletzt sehen. Allerdings wurde vereinzelt darüber reflektiert und zugegeben, dass man sich selbst nicht in dieser Position sehen möchte. Warum in Reality-Formaten allgemein vielfach auch kein menschenverachtender Umgang identifiziert wird, liegt da- ran, dass die Protagonist_innen nach Ansicht vieler Rezipient_innen stets freiwillig dort auftreten, diese also offenbar ein intrinsisches Bedürfnis haben, Privates über sich selbst und ihre Lebensumstände preiszugeben.

Im Falle von BSmB sind gerade die Neuen Mittelschülerinnen davon überzeugt, dass die Protagonisten von einem intrinsischen Bedürfnis geleitet werden, um die Öffentlich- keit auf ihre sozialen Probleme aufmerksam zu machen.

Eine weitere mögliche und sehr wahrscheinliche Erklärung, weswegen diese Darstellun- gen bei keiner der beiden Gruppen Irritationen hervorrufen, liegt darin, dass sie das Re-

109 ality-TV bereits als natürlichen Bestandteil des Fernsehangebotes anerkennen und ihnen Szenen wie diese bereits so vertraut sind, dass sie sie als selbstverständlich und gegeben hinnehmen.

Bislang konnte festgestellt werden, dass sich der konjunktive Erfahrungsraum (das soziale Milieu) in den Lesarten beider Gruppen dokumentiert. Während der mediale Text in der Lebenswelt der Neuen Mittelschülerinnen einen wichtigen Stellenwert einnimmt und er in ihrer Identitätskonstruktion eine wesentliche Rolle spielt, besitzt er in der Lebens- welt der Gymnasiastinnen keine nennenswerte Relevanz.

Aus diesem Grunde möchte ich an dieser Stelle die Neuen Mittelschülerinnen und den Einfluss, den der mediale Text auf ihre sozialen Sinnsysteme und ihre Alltagswelt hat, separat hervorheben: Der konjunktive Erfahrungsraum der Neuen Mittelschülerinnen er- klärt sich vor allem durch das unmittelbare Verstehen, das sie gegenüber den handelnden Personen und deren sozialen Verhältnisse aufbringen. Die Lebenswelt der Protagonisten ist ihnen vertraut und lässt auf gemeinsame Formen der Sozialität schließen. Belege dafür finden sich vor allem in der situativen Handlungspraxis, in der Herstellung direkter Ver- gleiche, unzähliger Beschreibungen und szenischer Darstellungen, die die Rekonstrukti- on eines unmittelbaren Verstehens bzw. atheoretischen Wissens ermöglichen (vgl. Kap. 3.1.1.).

In Anbetracht dessen verwundert es auch nicht, dass die Mädchen keinen Zweifel am Authentizitätsgehalt der Sendung hegen. Sie verwehren sich gegen die Vorstellung einer Inszenierung, weil ihnen die medial übermittelten sozialen Verhältnisse nicht fremd sind, sondern im Gegenteil, sie in der Darstellung des Milieus ihr eigenes gespiegelt sehen. Folglich erscheint es fast selbstverständlich, dass sich ihre Wahrnehmung nicht auf das Unechte und überzogen Dargestellte richtet, sondern auf ihren Glauben, BSmB fördere eine soziale Sensibilisierung für Jugendarmut und böte reale Chancen für den sozialen Aufstieg.

Dieser Glaube wird vor allem von Jugendlichen getragen, die aus bildungsarmen Schich- ten stammen und im Falle einer krisenhaften Arbeitsmarktsituation zu den Hauptleidtra- genden zählen. Selbst im Wissen, dass nur ganz wenige über die Unterhaltungsindustrie

110 den Weg nach oben schaffen, halten viele an der Hoffnung auf eine verbleibende Rest- chance fest (vgl. Jähner 2005; Krotz 2012).

Nicht selten wird Reality-TV auch von Rezipient_innen für die Vorbereitung auf lebens- wichtige Ereignisse genützt. Friedrich Krotz konstatiert, dass das Sendungsangebot von einer Vielzahl an Zuschauer_innen als handlungsleitende Orientierungsvorlage für prak- tikable Wege der individuellen Lebensgestaltung verstanden wird. Er spricht daher von „Ratgebersendungen“, in denen die darin vorfindlichen Normen, Werte und Ziele in die relevanten Lebenskontexte der Rezipient_innen transferiert werden, um sie für die Iden- titätskonstruktion und die Gestaltung des Selbst nutzbar zu machen. Das Reality-TV sug- geriert stets, dass man unter der Voraussetzung „der Einhaltung [.] vorgegebene[r] Wer- te und Handlungsorientierungen zu den Gewinnern in […] der Gesellschaft [gehöre]“ (Krotz 2012, 79).

Eine Botschaft, die gerade die Neuen Mittelschülerinnen als Anreiz für ein individuel- les Selbstmanagement heranziehen, vor allem, wenn sie wie im Falle von BSmB von einer Persönlichkeit artikuliert wird, zu der sie aufblicken und die sie als Idol anerkennen. Sido ist eben jene Persönlichkeit, deren Botschaft ungemein glaubwürdiger und authentischer klingt als die irgendeines anderen Popstars. Immerhin ist er selbst das lebende Beispiel einer aufwärtsgerichteten Mobilität über den Unterhaltungsmarkt und hat es geschafft, Armut und soziale Ausgrenzung gegen Reichtum und Anerkennung einzutauschen. „Und beim Sido ist es so, dem ist es gleich gegangen wie die Leute die er jetzt unterstützt. Er ist zuerst unten gwesen, dann ist er […] rauf kommen“ (F: 761-765). Sidos Unterstützung, so verkün- det er im Vorfeld zur Sendung, fußt auf einem Reziprozitätsverständnis. Er möchte das Glück, das ihm zuteil wurde, als er Menschen begegnete, die ihm den Weg zum Erfolg ebneten, an Jugendliche weitergeben, die es dringend nötig haben. Damit nimmt er in seiner Rolle als Mentor auch eine Machtposition gegenüber all jenen ein, die mit einer Erwartungshaltung an ihn herantreten.

Diese Machtposition wird in der Sendung auch offen demonstriert. Der Aufruf zur Un- terwerfung unter seine Regeln („Sidos Wort ist Gesetz“) drückt in nur wenigen Worten die Paradoxie der Sendung aus. Das Untergraben der Ich-Müdigkeit des Subjektes, vollzieht

111 sich im Verlangen nach Anpassung an klar vorgegebene Strukturen und der Forderung nach unermüdlicher Leistungsbereitschaft. Gleichzeitig sind Sidos Schützlinge intrinsisch motiviert sich zu fügen und ihm zu gehorchen, denn Sidos Angebot ergeht freiwillig und wird zur Anrufung der Selbstverwirklichung und für den Glauben an den sozialen Auf- stieg gerne angenommen (vgl. Kap. 2.2.3.). Sidos Machtposition wird als Empowerment anerkannt und begrüßt, weil die Kandidaten darin den Königsweg zur Transformation in ein unternehmerisches Selbst sehen, das für ihr Karrierestreben eine hinreichende Be- dingung darstellt (vgl. Bröckling 2007). Das Empowerment auf der Bühne des Unter- haltungsfernsehens wird auch von den Neuen Mittelschülerinnen als funktionierendes Instrument erkannt, das die Armutsschleife, in der sich viele gefangen sehen, aufbricht (vgl. Kap.4.2.3.).

Wie bereits an anderer Stelle erörtert spiegeln Castingshows gesellschaftlich vorhandene Normen und Werte auf der Bühne des Unterhaltungsfernsehens wider (vgl. Kap. 2.2.3). So dringt mit dem in BSmB propagierten Empowerment auch die Ideologie des Neoli- beralismus über die mediale Hintertüre in das (Unter-)Bewusstsein der Individuen und erhebt den Leistungswettbewerb und den Zwang zur ständigen individuellen Verbesse- rung zur Maxime. Die subtil übermittelte neoliberale Geisteshaltung wird gerade von den Neuen Mittelschülerinnen postiv angenommen, weil sie bei ihnen auf bereits vorhandene Denk- und Handlungsmuster stößt, die mit ihr korrespondieren. Der Neoliberalismus kann also nicht alleine am Diskurs der wirtschaftlichen Deregulierung festgehalten wer- den, sondern ist, wie ihn Heinzelmaier in Anlehnung an Gilles Deleuze (1993) beschreibt, eine „Idee, ein ständig zirkulierender Diskurs, ‚eine Seele, ein Gas‘ [das] uns ständig [um- gibt] und [uns] subtil dazu [drängt], die Prinzipien der neoliberalen Ideologie zu glauben und ihnen in unseren praktischen Handlungen zu folgen“ (Heinzelmaier 2012, 23f).

Diese neoliberale Idee wird in BSmB paradoxerweise in ein soziales Unterstützungsanlie- gen eingebettet und suggeriert, dass all jene, die in das falsche Milieu geboren wurden und an der Sendung teilhaben, eine Nische finden, die sichere soziale Aufstiegschancen bietet. Davon zeugt nicht zuletzt Franziskas Erklärung für Michaels Teilnahme: (F: 1105-1107) „Ja und dann hat er g‘sehen, dass der Sido sei letzte Chance ist und er hat die Chance ergriffen“

112 (vgl. Kap 2.2.3.).

In acht Folgen zeigt die Sendung den Rezipient_innen also nicht nur, wie sich die Kandi- daten ein unternehmerisches Selbst erarbeiten und es gezielt zum Einsatz bringen, son- dern bietet der breiten Öffentlichkeit auch Einblicke in die soziale Unterschicht. Für die Neuen Mittelschülerinnen, ist das ein sozialkritisches Sendungskonzept, das vor allem so- zial bessergestellten Kreisen den Anstoß geben sollte, sich mit Jugendarmut in Österreich auseinanderzusetzen, um gesellschaftlich langfristige Veränderungen herbeizuführen.

Es ist meines Erachtens unbestritten, dass BSmB als Bestandteil des Reality-TV die Di- versität der Gesellschaft auf einer Unterhaltungsebene verhandelt und Repräsentanten eines sozialen Milieus eine Bühne bietet, das ohne diese Präsenz unsichtbar geblieben wäre. Meine Kritik richtet sich selbstverständlich nicht an die öffentliche Verhandlung sozialer Probleme, Randgruppen oder Lebensformen. Sie richtet sich an die symbolische Ausbeutung von Menschen, die sich diesen Sendungsformaten zur Verfügung stellen und dabei, ohne es zu wissen, die Kontrolle über die Darstellung ihrer Persönlichkeiten und ihrer Lebensumstände verlieren.

4.3.2 … über ein Genre, das die Fernsehlandschaft nachhaltig ver- änderte

„Die Zeit war wohl reif für die Erfindung des Formats, und das Format war geeignet, der Zeit ihren Spiegel vorzuhalten.“ (Jähner 2005) Das Zitat, welches diese Arbeit einleitete, besitzt ein stark diskussionsanregendes Potential und gibt mir den Anstoß, mich, in der abschließenden Diskussion, nochmals dem Fernsehgenre zu widmen, dessen Spezifika ich in Kapitel zwei herausgearbeitet habe. In einer soziologischen Auseinandersetzung mit dem Reality-TV im Allgemeinen und Castingshows im Besonderen, möchte ich wiederholt auf das symbiotische Abhängigkeitsverhältnis zwischen Medienproduzent_innen und Medienrezipient_innen aufmerksam machen. Denn ein medialer Text wird erst dadurch erschaffen, in dem er stets von beiden Seiten (unabhängig voneinander) mit Bedeutungs- und Sinnzuschreibungen versehen wird. So gesehen muss eine Rekonstruktion von Les- arten eines Fernsehformates auch eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem

113 Format selbst berücksichtigen. Genauer gesagt bedarf es einer Auseinandersetzung mit den Enkodierungen und Wirkungspotentialen des Formates, wie sie beispielhaft in Kap. 2 angeführt wird. Im Folgenden möchte ich vor dem Hintergrund der empirischen Ergeb- nisse dieser Arbeit, nochmals einige kritische Positionen über das Reality-TV anführen.

Richtet man seinen Blick nochmals auf das obrige Zitat, könnte man unter Zeit einen konstruierten Rahmen verstehen, dem eine Alltagskultur eingebettet ist, die die besonde- ren Merkmale und Charakteristika einer Gesellschaft widerspiegelt. Reality-Formate ge- hören zu dieser Alltagskultur und haben seit über einem Jahrzehnt ein beachtlich großes Publikum. Ihre Themen sind ebenso wie ihre Protagonist_innen dem „echten“ Leben entnommen, jedoch sind sie weder Fernsehdokumentationen noch Nachrichten- bzw. Informationssendungen. Genau genommen sind sie Hybridformate, die unterschiedliche Fernsehgenres in sich vereinen und als Alleinstellungsmerkmal etwas Neues, Drittes her- vorbringen. Für viele sind diese Sendeformate vor allem deshalb so reizvoll, weil sie ein inszeniertes Abbild einer Wirklichkeit produzieren, das nahe an jene der Zuseher_innen heranrückt und bei diesen ein starkes Identifikationsmoment auslöst. In der empirischen Untersuchung dieser Arbeit konnte eben jener Zusammenhang zwischen Identifikation und Rezeptionsbereitschaft festgestellt werden. Dafür richtete sich der Fokus exempla- risch auf das Hybridformat Castingshow, eines von vielen Subgenres des Reality-TV. Bei den Erforschten erfreuen sich Castingshows großer Beliebtheit, allerdings werden die einzelnen Angebote nach dem Identifikationspotential der Moderator_innen sowie nach dem der Kandidat_innen aussortiert. Ein Selektionsritus, der für Jugendliche im Prozess ihrer Identitätsfindung prinzipiell nicht unüblich ist, da sie in den Medien vorwiegend nach Orientierungsfiguren suchen an denen sie ihre eigenen Werte- und Sinnsysteme ab- gleichen, formen und entwickeln können.

Egal welche Castingshow man im Einzelnen präferiert, es geht stets darum, das soziale Handeln der Protagonist_innen zu beobachten und ihnen dabei zuzusehen, wie sie in einem künstlich angelegten Setting immer neue Situationen und Aufgaben bewältigen und dabei den Konkurrenzkampf zu ihren Mitstreiter_innen meistern. In einer kritischen

114 Betrachtungsweise erscheint dieser gegenseitige Wettbewerb als „Spiegel einer brutalen Leistungsgesellschaft, in der Sieg und Niederlage zugleich als Showspektakel vermarktet werden“ (Lexikon des internationalen Filmes 1987 zit. n. Jähner 2005, 619). Sieg und Niederlage werden allerdings erst dann zum Showspektakel, wenn der prozesshafte Weg dorthin das Publikum zu fesseln vermag. Das gelingt Castingshows mit dem Konzept einer eigenwilligen Mischung aus Persönlichkeitscoaching und modernem Assessment- Center. Ersteres erfüllt den Zweck, die Kandidat_innen zu einer enormen Selbstdisziplin und Selbstunterwerfung zu erziehen, um ihre Persönlichkeit zu formen und Selbsttech- nologien zu entwickeln, die ihren Marktwert steigern sollen, letzteres operiert mit einem Selektionsritus, der die erfolgreiche oder eben weniger erfolgreiche praktische Umsetzung dieses „Coachings“ beispielhaft darstellt. Die Sieger_innen von Castingshows werden schließlich als diejenigen vorgestellt, die es nicht nur geschafft haben, sich diese Regeln anzueignen und vorbildhaft umzusetzen, sondern die es gleichzeitig schaffen, ihre indi- viduellen Persönlichkeitsmerkmale zu wahren und gewinnbringend zu verkaufen. Darin liegt auch die Paradoxie dieses Angebots. Die Persönlichkeitsschulung preist mit einem Schema F die homogene Anpassung an eine idealtypische „Einheitsperson“, während sie von den Kandidat_innen gleichzeitig abverlangt, sich von der Masse abzuheben und in der eigenen Individualität aufzufallen. Und weil sowohl das bewusste Arbeiten an der ei- genen Persönlichkeit als auch die Vorbereitung auf Assessment-Centers, die schon lange zu einem natürlichen Bestandteil der Arbeitswelt geworden sind, erhebliche Relevanz im „echten“ Leben besitzen, werden Castingshows nicht umsonst gerne als Spiegelbild einer neoliberalen Gesellschaft bezeichnet.

Das zeigt sich auch im Vermitteln ihrer Botschaften, Scheitern und Versagen seien stets auf ein Fehlverhalten der Betroffenen zurückzuführen. Wenn Kandidat_innen die Cas- tingshow frühzeitig verlassen müssen, ist das ein Zeichen, dass sie zu diesem Zeitpunkt unfähig waren, die Coachingstrategien der Mentor_innen richtig und rechtzeitig umzuset- zen. Auch Gründe, sie seien dem Leistungsdruck und den Stresssituationen nicht gewach- sen, werden bei solchen Ausschlüssen gerne ins Treffen geführt.

Probleme und Schiffbrüche stets in die Eigenverantwortung des Individuums zu legen,

115 ist eine neoliberale Denkweise, die von den Castingshows selbstverständlich nicht erzeugt wird und, wie an anderer Stelle konstatiert, auch nicht direkt auf die Rezipient_innen einwirkt. Sie kann aber dort auf fruchtbaren Boden stoßen, wo bereits Einstellungen vor- handen sind, die mit diesem Denken korrespondieren und darauf ansprechen.

Das Ansprechen auf einen oder das Ablehnen von einem medialen Text hängt nicht nur von den individuellen Bedürfnissen der Rezipient_innen ab, sondern ist letztlich auch von ihrem sozialen Hintergrund sowie von ihren subkulturellen Einbettungen bestimmt. Ei- nen wissenschaftlichen Zugang zur Medienaneignung und zur Konstruktion von Bedeu- tungen können, wie diese Untersuchung zeigt, Forscher_innen mit Anwendung rekons- truktiver Verfahren finden. Die dokumentarische Methode ermöglichte in dieser Arbeit die Bedeutungen dort aufzuspüren wo sie entstehen, nämlich im konjunktiven Erfah- rungsraum, dem Ort an dem Jugendliche ihre Orientierungen zur Artikulation bringen und Medientexte in Bezug darauf entschlüsseln.

Obwohl viele der altbekannten Castingshows (GNTM, Deutschland sucht den Superstar etc.) auch in diesem Jahr wie gewohnt ausgestrahlt werden, wage ich zu behaupten, dass sie in 13 Jahren ihres Bestehens den Zenit ihrer Popularität bereits überschritten haben. Zwar haben sie noch immer ein breites Publikum, allerdings zeichnen sich erwartungs- gemäß Abnutzungserscheinungen ab, die sich in den Prozentsätzen ihrer Marktanteile niederschlagen. Werden Castingshows in Zukunft vermutlich nicht mehr (in dieser Form) ausgestrahlt, stimme ich dennoch Klaus und O‘Connor (2010) zu, die behaupten, dass das Reality-TV als übergeordnete Genre-Familie zu einer dauerhaften Angebotsform des Fernsehens mutiert ist. Danach wird der Reiz das Leben von Alltagsmenschen im Fern- sehen zu verfolgen, nicht verschwinden, sondern lediglich die einzelnen Ausführungen ihrer Subformate werden immer neue bzw. andere Gestalt annehmen.

116 5. Zusammenfassung

Die vorliegende Forschungsarbeit untersuchte, welche Bedeutungen und Lesarten 13-15 jährige Schülerinnen generieren, die im Rahmen von Gruppendiskussionen Szenenaus- schnitte der Castingshow BSmB rezipieren. Die Gruppendiskussionen wurden an zwei verschiedenen Schulen durchgeführt. Die Auswahl der Schulen fiel auf eine Neue Mittel- schule in der Stadt Graz und ein Gymnasium im Bezirk Graz-Umgebung. Das Erkennt- nisinteresse galt vordergründig der Frage, wie sich die Unterschiede im Bildungs- und Sozialmilieu, in den Lesarten der beiden Gruppen dokumentieren. Eine Erklärung für die pozesshafte Konstruktion von Lesarten findet sich in dieser Arbeit in den theoretischen Zugängen der British Cultural Studies sowie im Symbolischen Interaktionismus. Die do- kumentarische Methode nach Ralf Bohnsack, die ich für die genaue Rekonstruktion der Lesarten herangezogen habe, ermöglichte mir zudem den Habitus der Gruppendiskussi- onsteilnehmerinnen aufzuspüren.

Die Castingshow BSmB handelt von männlichen Jugendlichen aus sozial desolaten Ver- hältnissen, die unter der Anleitung des deutschen Rapstars Sido eine Band gründen möch- ten. Die Band gibt ihnen die Hoffnung, ihren sozialen Deprivationen zu entkommen und stärkt ihren Mut, ihr Leben zukünftig neu auszurichten. Am Ende geht der Traum in die Band aufgenommen zu werden für drei von sechs Kandidaten in Erfüllung.

Die Peer Group der Neuen Mittelschülerinnen sieht in der Sendung ihr eigenes soziales Milieu widergspiegelt. Sie können sich mit den Protagonisten identifizieren. Ihnen ist das soziale Schicksal der Kandidaten nicht unbekannt, weil sie Ähnliches auch in ihrem so- zialen Umfeld gesehen oder erlebt haben. Aus diesem Grunde erkennen sie in der Show die authentische Abbildung einer Realität, die sie selbst auch wahrnehmen. Hinzu kommt, dass die NMS der Sendung einen nicht zu unterschätzenden, sozialpolitischen Charakter zuerkennen. In ihren Augen bietet sie Menschen aus sozial benachteiligten Schichten eine öffentliche Plattform, um der Gesellschaft zu zeigen, dass auch ihnen ein sozialer Auf- stieg möglich ist.

117 Die Schülerinnengruppe aus dem Gymnasium hingegen, distanziert sich gänzlich von den handelnden Akteuren der Sendung. Sie reagiert skeptisch auf die mediale Präsentation eines Sozialmilieus, das ihnen gänzlich fremd erscheint. Sie vermuten, dass BSmB in der Darstellung der sozialen Schicksale Inszenierungsmethoden anwendet um die Zuschau- erquoten zu steigern. Sie sehen weder in Sido noch in den Kandidaten Orientierungsfigu- ren, mit deren Aussagen und Handlungen sie sich identifizieren können. Die mangelnde Identifikation, die aus einer großen sozialen Distanz resultiert, erklärt schließlich auch ihre nicht vorhandene Bereitschaft diese Sendung weiter zu verfolgen.

118 6. Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Unterschiedliche Genres des performativen Realitätsfernsehens 10

Abbildung 2: Aufbau des Orientierungsrahmens 54

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125 8. Anhang

126 Transkript der ersten Gruppendiskussion

Kürzel der Teilnehmerinnen:

MO Moderatorin L Laura, 15 T Tina, 15 H Hanna, 15 MI Mia, 14 A Anne, 14 ME Meli, 14

Die Gruppendiskussion beginnt mit der Begrüßung und Vorstellung der Moderatorin. Es folgt eine kurze Aufwärmrunde, in der sich die Teilnehmerinnen vorstellen und über Einstellungen zu Castingshows, über präferierte Sendungen und über Rezeptionsge- wohnheiten sprechen. Vor dem Start der Gruppendiskussion erhalten die Gesprächs- beteiligten noch wichtige Informationen zu Thema und Ablauf.

1 L: I bin die Laura, i bin 15 und na jo i schau 2 schon, aber meistens schau i eher damit i mi 3 drüber lustig mach [alle lachen]. Also bei uns 4 is deis so daham, dass wir ka Kabelfernse- 5 hen haben, das heißt wir haben nur ORF, 6 das heißt i könnt jetzt net DSDS anschauen. 7 Aber das würd ich auch nicht machen, also... 8 MO: Wenn du nur ORF hast, hast du diese Sen- 9 dungen [Anm. auf Privatsender] dann schon 10 mal gesehen oder redet man mit anderen da- 11 rüber? 12 L: Na jo, na es gibt schon Sachen wo ich davor 13 sitze und sage, dass muss ich nächste Woche 14 wieder schauen. Also das gibt’s schon. 15 MO: Was wär das zum Beispiel? 16 L: Jo Starmania zum Beispiel. Deis hob i ma 17 angschaut, oder (.) jo keine Ahnung. 18 MO: Und schaust du das dann alleine? 19 L: Na i hob so a Ritual, zwa Freundinnen und i, 20 do homma uns vor Dancing Stars immer ge- 21 troffen. Vor zwa, drei oder vier Jahren oder 22 so. Do hab ma uns wirklich jede Woche ge- 23 troffen und dass ma’s bei ihnen schauen und 24 sonst hob i mit meinem Vater gschaut. 25 MO: Danke 26 T: I bin die Tina, i bin ah 15. I schau meistens 27 bei meiner Oma Fernsehen, weil wir haben 28 keinen Fernseher daham und da schau ich 29 am liebsten GNTM, oder so was. 30 MO: Schaust du das dann auch regelmäßig, so 31 einmal die Woche bei deiner Oma? Schaust 32 du dann mit ihr? 33 T: Es ist meistens so, dass wir am Wochenende 34 oben sind und i schau dann ( ). Jo, meistens 35 bin i allan, manchmal kommt wer, meine 36 Cousine, dann schau ma’s gemeinsam. 37 H: Also i bin die Hanna und i bin ah 15 und i 38 schau jetzt so zum Beispiel DSDS. Das schau 39 i scho regelmäßig aber sonst jetzt net... im- 40 mer so zwischendurch. 41 MO: Und hast du auch so ein Ritual mit jemand 42 anderes? 43 H: Jo genau, mit meiner Mama meistens. 44 MI: I bin die Mia, i bin 14. Mit meiner Mutter 45 schau i manchmal so GNTM oder ANTM, 46 oder so was. Aber eigentlich, so net, dass i’s 47 immer anschau, so mi interessiert’s jetzt net 48 wirklich aber ich setz mich einfach dazu. 49 A: I bin die Anne, i bin a 14. Also so Casting- 50 shows schau ich eigentlich nicht so gern, au- 51 ßer jetzt Die Große Chance, dies hab i vui 52 gern g’schaut weil irgendwie waren die alle 53 nur zum auslachen [alle lachen] die waren 54 alle irgendwie super witzig und ich mag ei- 55 gentlich die Kommentare von denen net. 56 Wenn der da jetzt super singt und der sagt 57 du bist trotzdem scheiße und so. Vor allem 58 in DSDS, deis mag i überhaupt net und jo. 59 Wenn dann so Dancing Stars und so. 60 ME: Also i bin die Meli und i bin a 14. Also i 61 schau Castingshows voll gern weil’s irgend- 62 wie witzig ist und i schau’s meistens mit mei- 63 ner ganzen Familie einfach, da setzen sich 64 immer alle dazu. 65 MO: Weil ihr gesagt hab ihr habt keinen Fernse- 66 her bzw. nur ORF [T und L]. Ist es dann 67 auch interessant solche Sendungen dann im 68 Internet zu schauen? 69 L: Bei mir war das letztes Jahr irgendwie so, 70 bei DSDS bei Mark ... hob i deis hoit zwa, 71 drei Mal bei meiner Freundin geschaut und 72 dann hab ich schon, seine Auftritte bei RTL 73 angschaut, also im Internet, aber da hast ja 74 nur a Woche Zeit sonst zahlst ja. Aber ei- 75 gentlich wenig, weil mein Laptop ist kaputt 76 gangen, also jetzt kann i sowieso nix mehr 77 machen. Mein Bruder lasst mich nicht an 78 seinen Computer... der einzige Internet Zu- 79 gang momentan bei uns daham...jo..deis is 80 jetzt a bissl... 81 T: Na i schau eigentlich gar nichts im Internet. 82 MO: Und wie ist das bei euch [Blick in die Run- 83 de]? [allgemeines Ablehnen] [zu A]: Weil du 84 gesagt hast Die Große Chance. 85 L: Deis hab i ah immer gschaut. 86 MO: SIDO ist hier Juror. Ist der euch allen be- 87 kannt? [Allgemeines Nicken] Habt ihr den 88 davor [bevor er im ORF präsent war] schon 89 gekannt? [alle nicken] Woher kennt man den 90 eigentlich? 91 MI: Ja, von seinen Liedern und so. 92 MO: Hört ihr diese Musik? [MI, A nicken zustim- 93 mend. T verneint] 94 L: Jo, wenn’s neu aussa kummt du hörst’as halt 95 schon immer wieder. A wenn der Radio 96 rennt – mei Mutter hört immer Ö3 und do 97 hörst schon ab und zu was. 98 T: aber net wirklich (.) also extra würd ich’s 99 nicht hören 100 MI: Aber eigentlich schalt ich nicht um, also 101 stört’s mi net wirklich 102 L: Jo ich find’s net schlimm, aber... 103 MO: Rap Musik soll ja recht populär sein bei den 104 Burschen. Kennt ihr welche die das regelmä- 105 ßig hören? [alle lachen] 106 L: Jo eher net deutschen Rap. Also ich find 107 Eminem z.B. viel besser als den Sido

108 [Alle]: ja, ja

109 L: Da sind schon gravierende Unterschiede 110 zwischen deutsch- und englischem Rap. 111 MO: Was könnte das ausmachen? 112 L: Ja ich find deutschsprachige Musik so und so 113 net wirklich... ich find‘s auf Englisch klingst 114 einfach viel (.) also wennst deis dann über- 115 setzt ins Deutsche und weißt, dass nix Ge- 116 scheites dabei rauskommt. (.) Oder wennst 117 das von Taio Cruz Hangover ins Deutsche 118 übersetzt, dann denkst da ah, jo wos issn. 119 Auf Englisch gfallt’s ma, aber auf Deutsch... 120 A: Das ist einfach der Klang. Das es nicht 121 einfach so übersetzen kannst. Ja bei einem 122 deutschen Lied, dass das gut ist dann muss 123 schon die Melodie sehr gut sein und der Ge- 124 sang ah, aber im Englischen wirkt das halt 125 net so. 126 T: Aber das kann sein, weil wir’s auf Englisch 127 net so richtig glei verstehen und dann, dass 128 das einfach besser ist. 129 L: Jo es gibt scho Deutsche Lieder wost dran 130 hängst, aber es is beim Deutschen dann eher 131 die Melodie als der Gesang. 132 MI: Aber man kann besser mitsingen. Da kann 133 sogar mei Mutter mitsingen. [alle lachen] 134 MO: Erklärt die Sendung Sido macht Band, da nie- 135 mand der Teilnehmer diese Sendung kennt. Le- 136 diglich vom Hören-Sagen ist sie ein Begriff

137 Abspielen der ersten Sequenz ‚Michael‘.

138 MO: [Nach dem Videoausschnitt] Was haltet ihr 139 davon? Wie fühlt ihr euch? 140 L: Na ja es wirkt [stöhnt] man kann sich nicht 141 wirklich eini versetzen also... aber man kann 142 auch nicht sagen ob das wirklich ernsthaft is, 143 oder ob deis net nur gspüt ist, weil bei jeder 144 Castingshow host du irgendwie... host du 145 deis Gfühl, dass es gschoben is. Man kann 146 wie bei der ah net sogen ob deis wirklich 147 echt ist, oder ob deis gspüt ist.

148 (5)

149 MI: Ja mir kommt’s mehr so vor als würd der 150 Sido so machen, so ja er hat ihn gerettet 151 und... keine Ahnung 152 T: Ja, also das, das vor der Show, das kommt 153 mir so vor wie wenn SIDO der Star ich mach 154 jetzt alles, i bin so cool und i mach deis jetzt 155 alles und ich rette die Welt und so ähnlich. 156 A: Aber auf der anderen Seite, also ich weiß ja 157 nicht ob das wirklich so ist, aber wenn er das 158 wirklich so gmacht hat wie es erzählt wird, 159 dann ist es eigentlich schon cool von ihm 160 wenn er das macht. 161 L: Ja vor allem geht er jetzt nicht so drauf ein, 162 ob er...weil eigentlich will er ja eine Band 163 machen... Aber jetzt geht er net so drauf 164 ein, dass er... wer jetzt was kann, sondern 165 schaut wirklich die Situation wie der auf- 166 wachst. Und wenn der wirklich so aufwachst 167 dann ist das echt ziemlich schlimm. Und 168 dass er sich jetzt net nur so auf ’s Singerische 169 also aufs Rappen konzentriert sondern sich 170 drauf konzentriert wer do wirklich in einem 171 Drecksloch wohnt und deis is jo.. find i net 172 so schlecht, wenn deis net gspüt ist. 173 MO: Ist das wichtig für eine Castingshow wo’s da- 174 rum geht wer in eine Band kommt, wie der 175 daheim wohnt? 176 L: Jo es kommt wirklich auf die Situation drauf 177 an. Weil bei den Castingshows wie Starma- 178 nia do hot si wahrscheinlich kana interes- 179 siert wirklich wie... (Satz abbruch) jo man 180 hot wahrscheinlich gewisse Vorurteile, i will 181 do jetzt net irgendwie... aber bei Starmania 182 war einmal a Behinderte,... also ihr Stimme 183 hot mi jetzt net wirklich überzeugt ob... sie 184 ist hoit von den Menschen deshalb weiter- 185 gewählt worden weil sie in einer schlimmen 186 Situation war und deis hot ihr wahrschein- 187 lich schon weitergholfen, weil a wirklich 188 gute Stimme hot sie net ghobt. Also es kann 189 schon irgendwie etwas damit zum tun ha- 190 ben. Es muss jo net, aber... 191 MI: Ja und vielleicht dann die Jury und dei be- 192 einflusst das dann auch und die werden sich 193 denken ja sie wollen den net aussi haun weil 194 dann muss der wieder zruck. 195 A: Ja und wahrscheinlich wollte er ihn ah net 196 enttäuschen, weil wenn er jetzt gesagt hätte 197 du kannst net rappen und das geht net so, 198 dann hätt‘ er ihn voll enttäuscht.

199 [kurzes unverständliches Durcheinander]

200 T: Oba wenn er nur denen hilft? Er fahrt ja zu 201 mehreren hin – [allgemeines Ja] – und jeder 202 wohnt in so einer Situation? Er kann ja net 203 alle mitnehmen, oder!?

204 [Allgemeine Zustimmung]

205 MO: Ja und wie gesagt am Schluss ist es so, dass 206 nicht alle die er jetzt zu sich holt es letztlich 207 auch in die Band schaffen werden. Das ist 208 dann so das Castingprinzip. 209 L: Ja aber i glaub die kumman dann in a riesen 210 WG oder so und dort is deis dann für dei a 211 voll schwierige Situation, weil dort haben’s 212 dann alles und dei san 20 Jahr die meisten 213 im Durchschnitt und kumman dort hin und 214 san die Situation überhaupt net gewohnt 215 und dann werden’s dort aussi gschmissen 216 und dann miassn’s von dort wieda zruck, 217 deis is ja eigentlich... deis wär... deis is dann 218 ah ziemliche Umstellung. Wennst denkst wo 219 dei gwohnt haben und dann komman’s in a 220 super WG und dann müssen’s wieda zruck, 221 weil’s as net gschafft haben, weil’s nur 3 Leut 222 aufnehmen oder wieviel auch immer... 223 H: Wenn da Sido jetzt den weiterlasst der net 224 so gut singen kann, dann könnt‘ er theore- 225 tisch einen anderen der besser singt aber die 226 gleichen Lebensverhältnisse hat die Chance 227 nehmen. 228 L: Jo, deis kann immer... ma waß jo nie...net 229 welche Leut da no san. Das könn ma jetzt 230 net einschätzen. 231 MO: Wie siehst du das? [Blick zu ME] 232 ME: [Überlegt, hat aber vergessen was sie sagen 233 wollte] 234 MO: Schaut ihr eigentlich sowas gern, bzw. ist es 235 interessant sowas zu sehen, also das was ihr 236 jetzt gesehen habt? [betrifft hier die gezeigte 237 Video-Sequenz] 238 MI: Für mi ist deis jetzt schon interessant so, 239 weil man sich denkt wie geht’s den anderen... 240 L: Jo, genau! 241 MI: Was passiert jetzt, was macht der 242 L: Es is dann so schwer wenn du a Folge amoi 243 siehst, dann bist so gefesselt, dass du denkst 244 i muss dann das nächste Mal wieder schaun 245 und dann immer und immer wieder und 246 dann, jo, und dann schaust das immer und es 247 ist eigentlich a voller Blödsinn, eigentlich... 248 [lacht] 249 A: Jo, du denkst da was ist denn das für a 250 Schmarrn, aber trotzdem schaust das an. 251 [lacht] 252 L: Jo und dann sitzt ma die nächste Woche wie- 253 der ( ) 254 MO: Ist das dann wenn man jede Woche schaut, 255 hat man da einen Favoriten, einen der einen 256 besonders gut gefällt? 257 L: Jo sicher, das kommt dann scho. Und wenn 258 dann der außigschmissen wird dann bist 259 schon, scho ziemlich ma.. 260 MI: und du schaust es trotzdem an 261 T: Ja, weil du immer wissen willst wer... 262 L: Und dann wird’s meistens der der am we- 263 nigsten kann. 264 A: Dann is meistens der, der dir gfallen hat eh 265 besser als der [der weitergekommen ist] 266 L: Das war jetzt so wie bei der Großen Chance, 267 da hast Talente und dann gwinnt wieder ein 268 Sänger. Das ist eigentlich vui dumm, weil da 269 wollen’s die Talente aussa holen 270 A: Jo die (?) die waren voll guat gö? 271 L: Na i war voll fürn Diabolo 272 MO: Kann man sich eigentlich... Laura, du hast 273 am Anfang gesagt man kann sich das gar 274 nicht vorstellen kann wie’s Michael geht... 275 kann man sich da in seine Lage versetzen? 276 Oder vielleicht kennt ihr jemanden dem es 277 auch so geht. [MI und A schütteln den Kopf] 278 L: Na jo, deis is jetzt net so oarg, aber i kenn 279 schon wen der a bissl so..der ka Göd hot 280 und holt... Mei Schwester zum Beispiel, die 281 wird jetzt 30 dieses Jahr und die is in so ana 282 Situation, sie hat 2 Kinder, sie hot jetzt grod 283 wieder eines kriegt und ihr Freund der ar- 284 beitet nix.. der hat nur... ( ) und die wohnen 285 halt in ana blöden Situation, aber es geht 286 sich dann irgendwie wieder aus weil’s das 287 Geld von meiner Großmutter kriegen und 288 so. Aber i will jetzt net.... 289 MO: und wie is es bei euch? 290 A: Jo, man kann sich gar nicht vorstellen, dass 291 der in der Küche schlafen muss. 292 MI: mhm, jo so zwischen drinnen

293 [unverständliches Durcheinander (2)]

294 L: Da steht ja nicht einmal ein Bett drinnen 295 MI: Oba irgendwie tut er so als wär das selbst- 296 verständlich 297 T: Das ist normal für ihn, der hat sonst nie was 298 anderes gesehen 299 L: Ich find die Situation schon so schlimm, 300 dass du net amal mit einem von deinem 301 wirklichen Elternteil aufwächst, deis find 302 i schon amal schlimm. Dass dei Mutter ist 303 abghaut oder sie kummt irgendwann und sie 304 ist eigentlich ah immer nur bsoffen oder zu- 305 getrönt mit irgendwas, keine Ahnung. Und 306 da Vater is verstorben und der war vorher im 307 Gfängnis, den hat er net amal kennt gscheit. 308 A: I man was das für Eltern san.. 309 L: Und sei Stiefvater is Alkoholiker, deis is ir- 310 gendwie.... 311 MI: Also irgendwie hat der nie eine andere Chan- 312 ce ghabt, dass er irgendwie anders wird, also 313 wenn er [schwer verständlich] die Schule ab- 314 bricht... 315 A: I waß net wie alt der war als sein Vater aus 316 dem Gfängnis kommen ist 317 L/T: 8 hot er gsogt 318 A: Aber hättens do ihn net ins Heim geben 319 müssen? 320 T: Er wor eh im Heim 321 L: Aber dann is er zu seinem Stiefvater kom- 322 men, aber wenn der Alkoholiker ist, dann ist 323 deis ka... 324 A: Wieso is er dann zruck gangen? 325 MI: Aber bevorst dann irgendwo im Heim bist, 326 gehst schon lieber zu wem, der... damit’st 327 wenigstens irgendwen hast. 328 A: I glaub i wär dann lieber im Heim geblieben 329 L: I waß es net ob deis überhaupt geht, dass 330 man... 331 A: Na, bis 19 kannst sicher net im Heim blei- 332 ben 333 L: Wennst dann irgendwen hast der für dich 334 sorgt, mit dem du verwandt bist 335 A: Er is jo net mit ihm verwandt 336 L: Jo aber er muss mit seiner Mutter verheira- 337 tet g’wesen sein, oder mit ihr irgendwie was 338 ghobt hoben weil sonst... 339 A: Jo 340 L: und wenn dann so a Berechtigung da is, 341 dann muss er glaub ich schon zu ihm 342 A: I hätt’s zumindest versucht, dass i a eigene 343 Wohnung hob oder so 344 T: Aber wenn i.. [unverständlich] 345 MI: Jo, dass er jetzt net auszieht? 346 T: Jo er hat ka Göd, ka Ausbildung [schüttelt 347 leicht den Kopf] 348 L: Jo, er kann nix 349 A: Jo oba man kriegt immer so einen kleinen 350 Job wo’st di grad durchbringst 351 L: Jo, aber dasst dann a eigene Wohnung host? 352 MI: Jo dann tuast halt sparen und bleibst bis 21 353 bei dem. 354 L: Oder du mochst a WG, das is nimmer so 355 schlecht. 356 MI: Oder dass die alle, die dann ausscheiden 357 beim Sido zusammen gehen.

358 [allgemeines kurzes Auflachen] 359 MO: Worin seht ihr Gemeinsamkeiten oder Un- 360 terschiede zu anderen Castingformaten? 361 A: Jo, dass halt die Vorsituation ah beschrieben 362 wird... weil halt bei anderen, da weiß man 363 net wo der herkommt, oder... vielleicht was 364 der macht, aber sonst weiß man da net viel. 365 L: Jo, du siehst an Vorspann meistens, aber... 366 A: Ja da geht’s dann nur um das Talent, wie er 367 dazu gekommen ist... 368 L: Jo und was halt no is, dass wirklich nur der 369 hingeht, der das macht der schaut sich das 370 Vorort an wie das ausschaut. Deis macht 371 sonst.... 372 MI: Kana, na 373 L: Do gibt’s eigentlich niemanden, gö? Da 374 komman dei hin und bewerben sich dort und 375 da Sido kriegt no a Vorlage, was er gschickt 376 kriegt... ah, keine Ahnung. Und dann fahrt 377 er dort selber hin und schaut sich die Situati- 378 on dort selber an, dass ist normalerweise bei 379 keiner Castingshow so. 380 MI: Deis is eigentlich eh cool, aber ja [Ende sehr 381 leise] 382 MO: Was genau ist daran cool? 383 MI: Ja, dass er das macht. Dass er do einfach hin- 384 fährt und dass er da mit die Leute persönlich 385 redet. 386 L: [Anfang unverständlich] Ja und die Bewer- 387 bungen, dann kriegen die 500 Bewerbungen 388 oder so, und dann fahrt er da... da musst da 389 dann vorstellen... wieviel darf er denn da 390 überhaupt nehmen, ich weiß es gar nicht? 391 MI: 6... mhh, 5 vielleicht 392 L: Ja und dann sind da 500 Bewerbungen und 393 da fährt er ja net zu jedem einzelnen hin. 394 Das heißt da werden die Leut dann auch voll 395 benachteiligt. Weil der wird net zu 500 Leit 396 hinfahren. Obwohl... jo, i waß es net ob deis 397 dann nur Wien ist, oder ob... wenn er dann 398 auch nach Bregenz fahren müsste. Ich weiß 399 es ja nicht, wie weit es dann ist. Oba da wer- 400 den dann aber auch Leute benachteiligt, die 401 vielleicht net in so einer argen Situation sind, 402 aber doch irgendwie... 403 MO: Wie seht ihr das? [Blick in die Runde] 404 ME: Vielleicht fahren da so mehrere Leute hin, 405 vielleicht und schauen sich das an. Und er 406 fahrt dann nur zu den ärgsten hin, oder ir- 407 gendwie...jo, dass die Castingshow irgend- 408 wie so, dass sie mehr hilft einfach. 409 MI: Jo aber das ist dann ja trotzdem nicht bes- 410 ser, andere die irgendwo hinfahren und zum 411 SIDO sagen, ja der war ganz gut so im Rap- 412 pen oder so und dass der Sido dann dem... 413 [Unterbrechung] 414 L: Man sieht ja nur die wo der Sido hinfährt. 415 Und der wird net zu 500 Leit hinfahren. Jo 416 sag’ma und wenn er dann zu 10 Leit selber 417 hinfahrt und die anderen 490, da fahrt ir- 418 gendwer anderes hin. Und dann sind da 20 419 verschiedene Leute umma und dann sagt der 420 von 10, dass sie gut sind, der andere sagt zu 421 20, dass sie gut sind... also, das ist dann....ja... 422 MO: Was gibt es noch für Unterschiede? Ich hab 423 mal ein Satement von Sido gehört wo er 424 selbst sagt er sei der Dieter Bohlen von Ös- 425 terreich. 426 H: Bei der Großen Chance war er ja, dass er 427 da so Sprüche abgliefert hat, wie da Dieter 428 Bohlen bei DSDS. 429 MO: Was zum Beispiel? 430 H: Jo i waß deis jetzt net, kan Spruch, aber die 431 anderen dei in der Jury waren die waren im- 432 mer so liab und dass ma kan enttäuscht und 433 er ist dann halt kumman so ja... [L fällt ins 434 Wort] 435 L: Der is dann halt drübergfahren, vui... 436 T: Genauso wie’s sei Meinung ist 437 L: So wie bei dem anen der da kommen is von 438 der Krone, 439 H: Ja, genau 440 L: der do komman is mit seinem Freund und 441 der hat ihn vorgestellt, da is da SIDO aber 442 schon voll auszuckt, dass deis überhaupt net 443 geht und dann hat der, der für die Krone 444 schreibt, wie haßt der?.. der hat in SIDO in 445 der Zeitung dann voll schlecht gmacht und 446 die anderen zwei von der Jury die haben sich 447 halt zruckghalten, dass sie jo net in der Zei- 448 tung negativ aufscheinen. Und beim SIDO, 449 dem ist deis halt wurscht, der is halt, jo steht 450 er halt in der österreichischen Zeitung... 451 MI: Jo aber i glaub ah net, dass die Leit so den- 452 ken, mah nur weil das in der Zeitung steht 453 stimmt das. Jo aber die, die das gsehen ha- 454 ben, die werden sich auch denken mah ei- 455 gentlich ist das gut von ihm, dass er wos sagt 456 und sich net immer nur um sei Image schert, 457 anfoch.. 458 A: Es hätten ah irgendwie alle gwonnen bei der 459 Großen Chance wenn der Sido net wär, weil 460 die haben alle immer plus drückt.

461 [allgemeines Gemurmel]

462 A: Ja aber die haben immer so, also wenn’s 463 schlecht war, jo net ganz so ganz gut aber... 464 [L fällt ins Wort] 465 L: Die haben auch gschaut, dass sa sie aussire- 466 den, dass es net direkt sagen. Die anderen 467 sagen glei so wie’s is. 468 MO: Ist das der bessere Zugang, jemanden gleich 469 zu sagen was man von ihm hält? 470 MI: Manchmal schon, weil da machen sich die 471 Leute Hoffnungen und so 472 A: Bei so Castingshows schon 473 L: Aber is halt schon cool wenn jetzt irgendwer 474 drinnen sitzt der a bissl sachter umgeht, weil 475 wenn do jetzt drei Leit drinnen sitzen und 476 sagen, dies... 477 MI: Die machen di voll fertig und so 478 L: ...passt überhaupt net. Und wenn dann ein, 479 zwei Leut drinnen sind und a bissi freindli- 480 cher sind, dann bist net ganz so enttäuscht. 481 Aber wenn do wirklich 3 Leit drinnen sitzen 482 die volles Programm fahren, dann hast über- 483 haupt ka Selbstvertrauen mehr. 484 H: Und wenn der jetzt so, manchmal san auch 485 lustige Sprüche dabei, dann san sicher die 486 Einschaltquoten ah höher weil’s die Leut in- 487 teressiert und deis mocht dann ah die gan- 488 ze Sendung lustiger, aber es verletzt einen 489 halt... die, die beleidigt werden.. deis ist dann 490 ah wieder.. [leiser] 491 MO: [zu A] Und wie siehst du das? Du hast am 492 Anfang erwähnt, dass du die Sendung auch 493 gerne wegen den Sprüchen anschaust. 494 A: Jo, ( ) machmal ist es wirklich so, dass wer 495 gut singt und das wirklich gut macht was ein 496 normaler Mensch halt net kann. Und dass er 497 dann trotzdem sagt das gfallt ihm net, weil 498 das halt Geschmackssache ist. Und dann voll 499 drüber fahren... das ist a bissl unfair. Weil 500 ihm das einfach net gfallt, die Musikrichtung 501 und so... 502 MO: Passiert es auch, dass man sich wenn man 503 das ansieht in die Lage der Person versetzt. 504 Und sich denk oh Gott wenn ich da jetzt 505 stehn würd und er das zu mir sagt... 506 L: Ob und zu san die Leut a wirklich kleinlich. 507 Also wenn’s jetzt .... ja do rennen’s von der 508 Bühne und san vull fertig und dann sagt ana 509 was, ok da Sido hat einen Namen, das sag 510 ich ja gar nicht... was wollt ich sagen? Jetzt 511 hab ich’s vergessen, ok... 512 T: Ich denk ma halt schon, manche sind halt 513 aufgeregt und wenn da Sido dann wieder so 514 drüber fährt über sie, dass es net so sein soll, 515 dann ist das ja eigentlich menschlich und so. 516 Jeder hat Gefühle, Aufregung 517 L: Ja, aber i glaub deis taugt im Sido ah a bissl, 518 dass er da so Leit fertig macht. Das taugt 519 ihm sicher auch, dass er da nach Österreich 520 kommt und sagt ja, ich bin da in der Casting- 521 show... bin i der der das Wort hat und dann 522 gibt er ja ab und zu ( ) Sprüche ab und so. 523 MO: Dieter Bohlen polarisiert stark. Mag man 524 ihn nun oder eher nicht? 525 H: Also jetzt beim Dieter Bohlen der is manch- 526 mal lustig und i denk ma wenn er jetzt so 527 gemeine Sprüche abliefert dann ( ) weni- 528 ger Leute als wie wenn er... also da war z.B. 529 mal ein Mädchen, deis is grad 16 worden, 530 bei DSDS und ab 16 war das erlaubt und 531 es haben aber alle gsagt sie ist trotzdem zu 532 jung. Und dann war er hoit wieder der Lia- 533 be der gsogt hot sie kann doch mitmachen, 534 die anderen haben nein gesagt. Also da ist er 535 dann... deswegen mögen ihn die Leut auch 536 wieder... 537 L: Na jo, du kannst ja net von jedem verlagen, 538 dass dich jeder mag, das geht net...Sag ma 539 irgenda Verwandte von mir macht bei DSDS 540 mit und kann wirklich net singen und für mi 541 kann sie’s halt irgendwie doch.. mei Cousi- 542 ne oder wos a immer is und dann lasst er 543 so gemeine Sprüche auf sie los, dann mag 544 i ihn halt net und wenn er dann halt ( ) auf 545 irgendwelche Personen los geht dann mag 546 man halt automatisch. Obwohl man sehn 547 müsste, dass sie halt wirklich net gut ist. 548 Aber deis is halt... 549 MI: Ja das mit die 16 Jahre, das kommt dann so 550 rüber, ja nur damit er cool ist damit er wie- 551 der eingschleimt ist. 552 [Allgemeine Zustimmung]

553 MI: Alle sagen nein und er... 554 MO: Ist das ein Unterschied ob man 16 oder älter 555 ist? 556 MI: Ja ich glaub das ältere auch besser damit um- 557 gehen... [L fällt ins Wort] 558 L: Es kommt voll auf die Fans drauf an. Wenn 559 du als 16 Jähriger Bursche hingehst hast du 560 sicher viel mehr weibliche Fans als wie wenn 561 ein 30 Jähriger dort hingehen würd. Deis 562 hast eh bei DSDS letztes Jahr gsehen, da war 563 ana der war 30, über 30 und da Sebastian der 564 war halt 16 und der hat halt viel mehr Fans 565 ghabt. 566 H: Es is ja so wenn jetzt im Finale ein Bub und 567 ein Mädchen sind, dann sind die Chancen 568 größer, dass der Bub gewinnt weil viel mehr 569 Mädchen anrufen. 570 MO: Warum schauen Mädchen das lieber? 571 L: Die Buben in diesem Alter wollen halt cool 572 sein und wollen da net so einen Blödsinn 573 anschauen, die wollen dann halt eher... die 574 schaun dann halt am Freitagabend oder am 575 Samstagabend net deis sondern irgendan 576 Film. Die wollen dann halt cool sein in dem 577 Alter. 578 H: Jetzt bei einem Konzert hörst eh hauptsäch- 579 lich nur die Mädchen kreischen, weil...

580 [kurzes Auflachen, kurzes unverständliches Durcheinander]

581 MO: Und wie ist das mit den Moderatoren? Die 582 haben’s ja auch schon mehr oder weniger ge- 583 schafft im Leben. Ist deren Wort dann auch 584 Gesetz? 585 L: Eigentlich, ich kenn kann einzig guten Mo- 586 derator, der jetzt so wie bei der Großen 587 Chance oder bei Helden von Morgen die 588 Doris oder wie die heißt, die macht so an 589 unsympathischen Eindruck auf mi..

590 [Zustimmung]

591 L: und immer wenn di gredet hat, hab i an vol- 592 len Auszucker kriegt und da hab i fast den 593 Ton wegschalten müssen, der kannst net 594 beim Reden zuhören, die hat irgendeinen 595 Blödsinn dahergredet. Da hätt sich auch 596 irgendein anderer raufstellen können der 597 überhaupt keine Erfahrung hat. Der hätt 598 sicher... [Satzende] Die hat anscheinend ir- 599 gendwas... ich weiß nicht woran’s liegt, am 600 Aussehen... dass die Männer im ORF sie 601 raufstellen. Es san z.B. ah viel mehr Frauen 602 die solche Sachen moderieren als Männer. 603 A: Aber es ist grundsätzlich so, dass... Modera- 604 toren müssen immer irgendwie etwas Komi- 605 sches sagen oder so 606 MI: Oder irgendwie so an Blödsinn sagen, wo’st 607 da denkst was reden die... 608 H: Jo weil, bei DSDS da gibt’s die zwa, i waß net 609 wie die haßen, die zwa Männer die immer so 610 viel Blödsinn machen. Und ana hot sogar ah 611 eigene Sendung und deis is dann ah lustiger 612 deis zum schaun vor der Werbung, nach der 613 Werbung, was Lustiges... 614 MO: Was ist der Unterschied zwischen männli- 615 chen und weiblichen Moderatoren. GNTM 616 hat z.B. eine Frau als Moderatorin. 617 H: Bei GNTM könnat’s sein, dass die Frau die 618 Mädchen besser versteht als die Männer. 619 Eben... Wenn jetzt zum Beispiel blöd ah 620 Fingernagel abbricht bei einem Model, dann 621 kann das die Heidi Klum besser verstehen 622 als ein Mann, der sagt was is da so schlimm, 623 der wachst eh wieder nach. 624 MO: Und von der Kritik her? 625 L: Die Mädchen können sicher besser die Kri- 626 tik von einer Frau vertragen als von einem 627 Mann. 628 T: Ja, aber ich denke die Heidi kritisiert die 629 Mädchen genauso wie die Männer 630 L: Ja, aber die Heidi tut sich als Vorbild mit ih- 631 rem Gesicht als Model... deshalb die ist so 632 super die hat als Model alles erreicht, auf 633 die schau ma jetzt und wenn di dies kritisiert 634 dann... 635 MO: Ja, aber Dieter Bohlen ist ja auch Sänger? 636 [zu ME]: Du siehst ja seine Sendungen auch 637 gern? 638 ME: Ja, aber ich mag seine Musik eigentlich net 639 A: Ich hab gar net g‘wusst, dass der Musiker ist 640 [alle lachen] 641 MO: [zu ME]: schaust du eigentlich GNTM? 642 ME: Na deis schau i net. DSDS und das Superta- 643 lent und manchmal die im ORF die Casting- 644 shows 645 MO: Aber in den ersten Sendungen kommt eh 646 Dieter Bohlen vor, was hältst du von ihm? 647 ME: Jo also i würd die Show net schauen wenn er 648 net dabei wär, dann wär’s irgendwie net so 649 witzig. 650 MO: Was macht ihn so besonders? 651 ME: Die Sprüche, die san einfach witzig, aber 652 manchmal san’s a bissl zu arg. 653 MO: Angenommen er würde bei dir solche Sprü- 654 che machen? 655 ME: Wenn’s positiv gmeint wär, dann wär’s gar 656 net so schlimm aber mi würd deis schon a 657 bissl aufregen wenn er was Blödes sagt zu 658 mir.

659 [alle reden durcheinander; Abschweifen vom Thema]

660 [Sequenz 2 wird vorgespielt – Klaus] 661 MI: Ja, irgendwie hat er Recht, wenn er sagt, dass 662 er seinen Hals hin haltet, dass sie da mitma- 663 chen dürfen. Und das ist irgendwie schon 664 wenn er das schon seit seiner Geburt hat, 665 dass er das irgendwie hätte wissen müssen, 666 dass er das nicht lesen kann, oder das größer 667 schreibt oder keine Ahnung. Aber irgendwie 668 ist es jetzt ah gstört, dass er ihn vui fertig 669 macht 670 L: Ich hätt amal die anderen abgewartet, wie 671 die anderen alle auftreten 672 MO: Der Film ist gekürzt, es kann sein dass er gar 673 nicht der erste ist. 674 H: Er hätt anfach sagen können, weil er waß jo 675 net wie das Lied selber war, weil er hat’s ja 676 nur net lesen können. Er hätt die anderen 677 vorher singen lassen sollen und er hätt’s in 678 der Zwischenzeit größer schreiben sollen, 679 dass er’s dann owalesen kann. 680 L: Jo wenn er von drei Meter Entfernung no 681 was sieht... 682 MO: Kommt Sido da an Dieter Bohlen ran? 683 ME: Ja i schau net irgendwie so oft was mitn Sido 684 aber, ja ( ) i hab das jetzt a bissal arg gfun- 685 den, weil er kann ja fast nix sehen und dann 686 schreit er ihn irgendwie so an, ja ( ) Er hätt 687 ihm mehr Zeit geben können zum Lernen... 688 den Text 689 A: Aber er hätt wirklich vorher draufkommen 690 können, dass er ihn nicht lesen kann. [MI 691 stimmt zu] 692 MI: Wenn er ihm jetzt mehr Zeit gibt, dann 693 denkt er sich das kann i eh immer machen, 694 er kriegt eh immer mehr als Bonus oder so 695 irgendwas, dass er... 696 L: Jo du kannst jetzt net immer glei so... ( ) Au- 697 ßerdem, dass ist bei den Castingshows, so- 698 wieso a bissal schwer, weil du waßt wo der 699 wohnt und du host sei Vorgeschichte so 700 halbwegs mitkriegt, aber do waß ma... die 701 Hälfte waß ma sicher net was der erlebt hat 702 in seinem Leben. Man sollte seine Meinung 703 schon sagen, aber vielleicht ah bissi besser 704 aufpassen. Weil man wirklich net waß wie 705 der ganz genau glebt hat vorher. 706 MI: Aber man kann auch sagen, dass es schlim- 707 mer gmacht wird. Damit die Leut einschal- 708 ten und sich denken, mah der Arme hof- 709 fentlich schafft er das. 710 A: Aber wenn da Dieter Bohlen gsagt hätt, 711 dann hätt ich’s echt viel schlimmer gfunden. 712 Weil der weiß nicht wie das ist. Da Sido weiß 713 das, der kann das glaub ich mehr einschät- 714 zen. 715 MO: Das heißt es könnte nicht jeder x-beliebige 716 Moderator die Sendung moderieren... 717 L: In der Situation ist deis, dass er angeblich, 718 man weiß es ja nicht, dass er die Situation 719 ah mitgmacht hat... weil wenn du do irgen- 720 dan hinschickst der sich mit der Situation 721 überhaupt net auskennt, das do dann die 722 Zuschauer... 723 MI: Der redet dann nur gscheit und selber weiß 724 er net wie‘ s ist. 725 A: Aber wenn deis jetzt so wär, dass er das nicht 726 selber erlebt hätte, dann hätte er auch mehr 727 Mitleid mit denen, irgendwie. Ob der jetzt ah 728 so hart wär, das beurteilen würd, wenn das 729 a ganz normaler Mensch ist, oder? I glaub, 730 dass der dann no mehr Mitleid hat und dann 731 versucht dem nocheinmal ah Chance zu ge- 732 ben oder so. 733 T: I find trotzdem, dass die Kritik vom Dieter 734 Bohlen nie so hart is wie vom Sido. I find 735 da Sido, das ist no a bissl extremer, wie da 736 Dieter Bohlen. 737 MI: Jo, wennst jetzt zu so einem hingehst und 738 du waßt, (.) du denkst das irgendwie so und 739 wennst hingehst jo ma wird schon wieder, 740 irgendwie so liab, dann irgendwie ist des 741 dem vielleicht ungewohnt oder so, dass er 742 so liab mit ihm redet und keine Ahnung das 743 jetzt net so ernst nimmt und glaubt er kann 744 das jetzt immer so.. 745 L: Jo das ma jetzt an Blinden bei so was so ext- 746 rem drüberfahrt, so dass es scheiße war.... 747 MO: Wenn wir jetzt an die Songs denken, die die- 748 se Jungs singen und Songs die in anderen 749 Castingshows gesungen werden. Wo gibt’s 750 da Besonderheiten? 751 A: Die müssen selber einen schreiben. Weil 752 wenn du jetzt zu DSDS gehst musst du ir- 753 gendeinen vorsingen, einfach. Und do 754 muasst hoit an von deiner Lebensgeschichte 755 schreiben. Das ist schon a bissal anders. 756 H: Und dort beim Sido jetzt do dürfte man ja 757 glaub i ablesen, was du bei DSDS net darfst, 758 dann bist dann glei draußen. Der hat ja able- 759 sen dürfen, wenn er’s lesen hätt können gö? 760 L: Na ja, aber du siehst ja bei den meisten Cas- 761 tingshows siehst du ja a kan Rapper eigent- 762 lich. Also i hab bei Castingshows hob i no 763 nie, bis auf bei Helden von Morgen do war 764 ein Rapper dabei, aber sonst san immer nur 765 Sänger, wirklich Sänger dabei, also Rapper 766 hob i no nie wirklich an gsehen, do bei einer 767 Castingshow. Und die sind ja nur auf Rap- 768 pen spezialisiert. 769 H: Und wenn einer dabei war, dann ist er net 770 weiterkommen 771 L: Genau 772 A: Ja, aber er ist ja auch benachteiligt gewesen, 773 weil die anderen haben ja ablesen dürfen. 774 Und die haben wirklich fünf Stunden Zeit 775 g’habt den Song zu schreiben. Und er hätt 776 dann nur in 5 Stunden den Song schreiben 777 und auswendig lernen müssen. Und ich weiß 778 ja nicht wie schnell er das kapiert oder so, 779 aber das braucht sicher lang bis er das weiß 780 und auswendig kann. 781 L: Ja und vor allem wenn du da hinkommst 782 und du musst das jetzt machen und du hast 783 vui den Zeitdruck und dann denkst da, deis 784 muss i no auswendig lernen. Und die ande- 785 ren denkt er sich san scho alle fertig. Die 786 haben deis nur aufschreiben müssen und 787 dürfen das dann owalesen und er steht dann 788 da und muss das auswendig können und ka 789 andere hat das aber machen müssen. 790 H: Es kann ja sein, dass einer schon vorbereitet 791 war, dass er vielleicht so an Rap schreiben 792 muss und der hat’s dann schon auswendig 793 können und auf an Zettel geschrieben und 794 der war dann halt bevorzugt wenn er das da- 795 ham scho gmacht hat. 796 MO: In der Schule muss man Referate halten und 797 vor der Klasse stehen und etwas vortragen. 798 Vergleicht man sich da vielleicht mit Klaus, 799 wenn man ihn da so draußen stehen sieht 800 und er vor Publikum singt? 801 A: Ja schon, aber ich glaub singen, also zumin- 802 dest für mich ist es einfacher vor Publikum 803 als reden. 804 L: Jo, für mi ah 805 A: Beim Singen da weiß ich genau den Text, ge- 806 nau die Noten und beim Reden da musst ir- 807 gendwie so a bissl eigene Worte finden. Das 808 kannst net so auswendig lernen, das hört 809 sich so komisch an. 810 L: I tu ma vü leichter wenn jetzt zu mir wer 811 sagt... I muss daham, i muss deis Referat 812 jetzt vorbereiten, dann tu ich mir viel schwe- 813 rer als wie wenn mir jetzt wer was vor einer 814 Stund erzählt hat und i muss das jetzt vor 815 der Klasse vortragen, dann tu i ma viel leich- 816 ter als wenn ich’s daham vorbereiten muss, 817 dann bin i viel nervöser als wenn ... na keine 818 Ahnung.... 819 T: Ja nervös, ich bin schon oft nervös vor Auf- 820 tritten und so. Es is, eigentlich ja vergleichen 821 tu ich mich schon öfters. Also wenn die da 822 draußen stehen und denen passiert wieder 823 was, das der Jury net passt, dann denk i ma 824 schon oft, das könnte der Jury passieren, das 825 könnte mir passieren und den anderen. Und 826 wenn die Jury dann so drüber fahrt über die, 827 dann denk ich mir denen hätt das ja auch 828 amal passieren können, die sind ja auch 829 nicht perfekt. 830 H: Wenn i jetzt zum Beispiel a Referat hab, dann 831 bin i vü nervöser als wenn i so red. Und bei 832 meiner Freundin ist das genau umgekehrt. 833 Do is ah die Stärke vom anderen, wo er sich 834 leichter tut. 835 MI: I tu ma ah viel leichter wenn ich frei red, in 836 meiner eigenen Sprache. Bei den Referaten 837 bin ich schon nervös, aber jetzt in der 5ten 838 find ich’s nimmer so schlimm weil ich die 839 Leut kenn und die müssen ah amal da vorne 840 stehen und... [kurzer Exkurs über den Schul- 841 alltag] 842 MO: Wenn wir nun wieder zurückgehen auf un- 843 ser Thema, kann man das auch mit Casting- 844 shows vergleichen? 845 A: Wenn man weiß, dass der Lehrer einen nicht 846 ernst nimmt oder so und das ist in einer 847 Castingshow glaub ich nicht so, ich glaub da 848 kriegt man wirklich eine Chance. 849 MI: Wenn du schlechte Noten hast is das blöd 850 und wenn’s dich in der Show raushauen ist 851 das auch so 852 H: bei den Shows sieht dich die ganze Welt und 853 in der Schule nur die Mitschüler denen es 854 vielleicht gleich geht. 855 MO: Findet ihr wäre es besser wenn bei den Cas- 856 tingshows nicht die Kritik im Vordergrund 857 steht, sondern man sich nur von den Dar- 858 stellern unterhalten lässt? Würde man sich 859 das anschauen? 860 L: I würd des eher net anschauen... du schaust 861 vielleicht schon wegen... und irgendwie ver- 862 liert das dann schon den Reiz. 863 A: Es kommt drauf an, wenn die Kandidaten 864 alle gut wären, wenn die alle ungefähr gleich 865 gut, und die alle gleich bewertet werden das 866 wär dann schon irgendwie besser. Es geht 867 ah viel nach Aussehen und so und Auftritt 868 und Erscheinungsbild und so, einfach den 869 ersten Eindruck. Jo wenn di alle irgendwie 870 nett wären, würd man’s wahrscheinlich net 871 so anschauen. 872 ME: Wenn sie nur so sagen würden du bist wei- 873 ter, du bist nicht weiter, dann würd ich’s mir 874 nicht anschauen. Das ist dann irgendwie... 875 MI: Ja dann denken sich die Kandidaten, das ist 876 eh net ernst wenn alles so... ja war gut oder 877 war net so gut... wenn alle so freundlich sind, 878 dann kommt ja nie was außer, weil dann 879 kommen irgendwie alle weiter. 880 L: Na und außerdem wenn da jetzt wer drin- 881 nen sitzt, also wenn wirklich irgendein Ju- 882 rymitglied... die sagen alle du warst gut, und 883 irgendwann denkst du dir, ja i bin so super 884 und hebt er vom Boden ab und dann irgend- 885 wie kommt er dann... es ist schon gut wenn 886 einen wer auf den Boden der Realität zurück 887 holt. 888 MO: Wenn ich das nochmal in den Raum werfe 889 was du am Anfang erwähnt hast Laura, und 890 zwar dass die Jungs aus ärmlichen Verhält- 891 nissen kommen und dann in eine so eine 892 große Wohnung ziehen... 893 T: I glaub ma denkt sich jetzt ich hab voll den 894 Aufstieg gmacht und bin jetzt mächtiger wie 895 die anderen und i steh jetzt über alle anderen 896 drüber und die anderen sind halt jetzt nicht 897 so gut. 898 H: Also das wär dann, denkt er sich, wenn er 899 außi fliegt ist das dann net so schlimm weil 900 er eh seinen eigenen Weg gehen kann, aber 901 das muss net unbedingt sein. 902 MO: Warum nicht? 903 H: Jo, dass er sich denkt er ist gut und er wird 904 jetzt nach Amerika gehen und dort wird er 905 sicher aufgnommen. Dann vielleicht hat er 906 einen Beruf und er kündigt den. So wie bei 907 ANTM, die hat einen Beruf g’habt und hat 908 den extra für das kündigt und wenn sie jetzt 909 net erste wird dann hat sie gar nichts mehr, 910 kein Geld, keinen Job. 911 L: Aber bei jeder Castingshow, jeder der gwinnt, 912 i hab no nie jetzt wirklich von irgendwem 913 wieder was ghört. Die einzige, von der man 914 nacher was ghört hat war die Christina Stür- 915 mer und die hat net amal was gwunnen. 916 Aber sonst.. von der Nadine Beiler hat man 917 jetzt wieder beim Songkontest was ghört, 918 aber jetzt ist sie ah überhaupt nimma da. 919 H: Da Checker ah, bei DSDS der ist fünfter 920 worden. Der is ah ziemlich berühmt. 921 MO: Ja? 922 H: Ja jetzt nimmer so, aber er war’s damals. 923 ME: Da ane hot jetzt ah a neues 924 Lied, hobt’s deis schon ghört?

925 [Alle]: na.. [Alle lachen]

926 ME: Es lauft die ganze Zeit, aber es geht ma eh 927 schon voll auf die Nerven irgendwie. Weil 928 die Nelly[?] schaltet immer auf den Sen- 929 der und deis kummt dann immer und dann 930 schaltet sie immer ( ) wenn ma’s so oft hört, 931 dann will ma’s nimmer hören. 932 L: Ja meistens.. zum Beispiel der Piedro Lom- 933 bardi hat der überhaupt kein eigenes Lied 934 außer bracht, außer des ane da, oder sonst 935 no irgendwas? Aber du stehst dann eigent- 936 lich alan do; ok, du kriegst an Plattenvertrag 937 aber dann, du hast ja sonst gar nix. Du hast 938 mit 18 kan Manager oder irgendan der dein 939 Leben irgendwie ordnet. Do host du ja nix. 940 Do kriagst an Plattenvertrag und super das 941 war’s dann, was willst’n dann nacher ma- 942 chen? 943 A: Hat man von dem der vor 2 Jahren DSDS 944 gwonnen hat, vorm Piedro, waßt no wie der 945 heißt? 946 H: Marashi! 947 A: Hat man von dem je wieder was ghört? 948 H: Na 949 L: Du hörst von nie wem...... 950 MI: Jo, i man so ab und zu siehst so a Video oder 951 so irgendwas, aber... 952 L: Von den Helden von Morgen von da Moos- 953 walder host du nix mehr g’hört, gar nix... 954 das letzte Lied... jo der Lukas Plöchl, der jo 955 mei... 956 A/T: Mei jo.. na [A und T schütteln den Kopf] 957 A: Na, wenn der zum Songkontest fahrt... 958 MI: Na der fahrt net... Aber deis Lied is no 959 schlimmer als das letzte find ich. 960 A: Joo! [lacht dabei und schüttelt den Kopf] 961 L: Das Lied is einfach nur dumm...da schreibt 962 mein Bruder bessere Lieder, da könn ma 963 den auch hinschicken 964 A: Da schreibt mei Katze bessere Lieder 965 L: Aber verstehst, von dem hörst wenigstens 966 no was 967 T: Jo, aber der hat ja vorher schon a Band 968 ghabt, oder? 969 L: Jo schon... 970 T: Bei der Christina Stürmer war’s ja auch 971 so, die hat ja auch schon vorher eine Band 972 ghabt, oder? Dann is sie zu dem kumman, 973 dann is sie a bissal berühmter worden und 974 dann is die Band richtig aufgangen 975 L: Jo man muss jetzt wirklich schaun, wenn’st 976 jetzt wirklich zu ana Castingshow hingehst 977 ohne irgendwas, dann kann ja nix aussa 978 kumman. Du host dann a Lied und deis 979 war’s dann. 980 MI: [versucht etwas zu sagen...] 981 L: [setzt fort] Vor allem wennst so jung bist, da 982 kann man net amal wirklich irgendwie was 983 MI: Oder, dass’d nur die ganze Hoffnung in das 984 einisetzt und immer nur für das strebst, das 985 funktioniert net 986 A: Und dann haßt’s dei warat nix mehr... [etwas 987 unverständlich] 988 MO: Also eher kein Erfolgsgarant... 989 MI: Irgendwie net... 990 ME: Deis gibt’s ja in Amerika ah, deis gleiche wie 991 DSDS und i kenn halt nur a Gewinnerin und 992 deis is die , halt deis war die 993 erste und die is wirklich berühmt worden ir- 994 gendwie 995 L: Ja, aber in Amerika hast sicher mehr Chan- 996 cen als in Deutschland oder in Österreich. 997 A: Ja, aber man muss wirklich was tun wenn 998 man gewonnen hat, also man darf net, darf 999 sie net alles zufliegen lassen nur weil man 1000 g‘wonnen hat. 1001 L: Jo, man kann net sagen, so jetzt hab i 1002 g’wonnen, jetzt kann i mi ausruhen weil jetzt 1003 is’s vorbei ( ) und irgendwas fliegt mir wieder 1004 zu. 1005 T: Ja so wie bei der Mooswalder. Die is Schul‘ 1006 gangen, dann hat sie die Castingshow 1007 g’wonnen und dann is sie wieder ganz nor- 1008 mal in die Schul zruck kommen. 1009 MO: Ja, wenn du das so sagst. Wie glaubst du 1010 ist das dann bei den Jungs [gemeint sind die 1011 Kandidaten aus Sido macht Band]? 1012 T: Meistens schon... 1013 MI: Irgendwer kennt sie wenn sie an der Straße 1014 vorbeigehen oder so, aber irgendwie denkt 1015 sich keiner, dem will i jetzt helfen oder... ir- 1016 gendwie ist das dann, ok ja.... 1017 A: I glaub, dass sie einfach auf sich aufmerk- 1018 sam gmacht haben 1019 MI: Aber irgendwie funktioniert das net, weil... 1020 L: Jo wenn du dann ausscheidest, wenn du 1021 glei amal ausscheidest, dann hast ja nix. Du 1022 gehst auf da Straßen und dann gehst im 10. 1023 Wiener Bezirk und dann kennen die 3 Leit 1024 oder kennen die halt irgendwie... deis bringt 1025 ja dann nix 1026 A: Aber vielleicht, dass du eine neue Perspek- 1027 tive kriegst... so, es geht auch was anderes 1028 als so und so will ich eigentlich nimmer wei- 1029 termachen. Und dass du das dann vielleicht 1030 auch ergreifst und es zu was bringst dann 1031 T: Vielleicht hat man dadurch auch mehr 1032 Selbstvertrauen. So, ich bin jetzt zu der Cas- 1033 tingshow kumman, ich war dort bei dem 1034 engsten Kreis dabei und jetzt kann i dann 1035 wieder neu anfangen. 1036 MI: Oder es denkt sich wer scheiße i hab verlo- 1037 ren i geh jetzt ham, es is ma ganz egal was 1038 die anderen machen i geh jetzt in die Küche 1039 und schlaf [Anspielung auf MIs Schlafplatz] 1040 [alle lachen] 1041 L: Zwischen die Waschmaschin‘ und d’n Kühl- 1042 schrank 1043 MI: Ja, da kann a immer gleich essen wenn er 1044 Hunger kriegt [alle lachen] 1045 ME: Is eigentlich no was mit’n Marco Angelini? 1046 L: Deis letzte Mal hab‘ ich ihn gsehen beim 1047 Kiddy Contest [Gelächter] Letztens hab i 1048 waß net, ganz zufällig hab i K.C. g’schaut... 1049 A/MI: [im Chor lachend] ganz zufällig!!! [alle lachen] 1050 L: Na, i hab eh net das Ganze gsehen und 1051 dann... irgendwas hab i dann nacher g’habt, 1052 deshalb hab i net das Ganze g’sehen leider. 1053 Und da war ( ) und da Marco Angelini... die 1054 werden dann irgendwie wieder aufgwärmt, 1055 so dass sie irgendwo hingehen und zwa Mi- 1056 nuten später, wenn deis scho vorbei is und 1057 es kan mehr interessiert, dass dei dort wa- 1058 ren, deis is eigentlich... 1059 ME: Da Marco Angelini war amal im Libro im 1060 Shopping Nord. [alle lachen] 1061 MI: [lacht] net beim McDonald’s? [alle lachen] 1062 ME: Na i bin so ummadum gangen und wollt ma 1063 a Buch kaufen und auf amoi renn‘ i fast in 1064 den eini und dann schau i den an und denk 1065 ma.... is deis da Marco Angelini?? 1066 L: Host ihn g’fragt? 1067 ME: Jo, dann hab i ihn gfragt und dann hamma 1068 a Foto gmacht und jo... [geht mit der Stimme 1069 runter] deis war’s eigentlich 1070 A: Und dann bist zum McDonald‘s gangen.. 1071 [alle lachen] 1072 A: Ja aber die beim Kiddy Contest, die haben 1073 ja auch keine Aussichten irgendwie. Die kla- 1074 nen Kinder die da singen... die einzige ir- 1075 gendwie...( ) [nennt einen Namen aber nicht 1076 verstanden] 1077 MI: Ja, die kommen sich cool vor und glauben 1078 sie sind die Besten... 1079 L: [zu A] Jo, so vü hörst von der ja jetzt ah 1080 net, du hörst zwar jetzt am meisten von der 1081 aber... 1082 A: Ja, aber die hat wenigstens a bissi was draus 1083 g’macht... und sie hat net amal g’wunnen. 1084 L: Aber I find i find deis sowieso, i find das 1085 alles a bissal a Frechheit deis mit dem Kiddy 1086 Contest 1087 MI: Ja weil die denken sich, die klanen Mädchen 1088 so, ohh, die Beste und so [Tonlage höher] 1089 A: Und i find das vui die Frechheit die müssen 1090 irgendwas singen, was wahrscheinlich...[L 1091 fällt ins Wort] 1092 L: Ja da hat eine, die hat so die Strähnen so 1093 auffi glättet g’habt, das ist so weggstanden... 1094 und die is sich so cool vorkommen, das ist 1095 unglaublich. Und sie glaubt sie ist die Beste... 1096 und die Lieder, die sind ja eigentlich nur... 1097 T: ...Kommerz 1098 L: Und die singen da das Lied und die meisten 1099 können net amal singen 1100 A: Jo, weil i waß net... weil sie irgendeinen Text 1101 von irgendeinem Lied vorgsetzt kriegen, was 1102 vielleicht ja gar net auf sie zutrifft... Irgend- 1103 wie da war...war das voriges Jahr?... in der 1104 Zeitung da is gstanden, irgendwie... das Lied 1105 hat so Planet der Mädchen gheißen, ja und 1106 da is es halt so drum gangen um Planeten 1107 [alle lachen] wo irgendwie Fußball über- 1108 haupt kan Platz g’habt hat und dei war aber 1109 Fußballfan. Ja und das passt dann irgendwie 1110 net

1111 [schweifen kurz ab und reden über schulische Erfahrungen]

1112 MO: Wenn wir jetzt wieder zurückkommen und 1113 wir haben jetzt viel über Musik geredet. 1114 Habt ihr schon mal bei den Rap Liedern auf 1115 den Text geachtet? 1116 MI: Jo, da san schon manchmal arge Texte...ja 1117 aber das ist schon irgendwie cool, so über 1118 das Leben und du denkst dir das stimmt 1119 dann so 1120 L: Beim Rap Song hat viel ah vom Gesang her 1121 und so... so wie das Sido singt...do kummt 1122 halt... 1123 MI: Jo stimmt bei manche Texte denkst da jo 1124 stimmt eigentlich 1125 A: Die haben einfach alle einen Hintergrund. 1126 So wie normale Popsongs deis net so haben 1127 irgendwie. 1128 MO: Ihr habt davor gesagt, bei dem was in Cas- 1129 tingshows läuft ist die Frage ob das alles echt 1130 ist. Und dann singen die Kandidaten Rap 1131 Songs, ist das echt? 1132 L: Jo waß i net, i war no nie selber beim Kiddy 1133 Contest... 1134 A: Deis is ja net live.. 1135 L: Die stellen sich da hin, bewegen den Mund 1136 und im Hintergrund lauft deis mit was sie 1137 im Studio g‘sungen haben. Im Studio hört 1138 si deis ja viel anders an als wenn du das live 1139 singst. Beim Studio host du nix drum her- 1140 um, do stehst du do drin host a Mikrophon 1141 vor dir und alles is schalldicht isoliert und du 1142 steht da drin und do singst anfach ins Mik- 1143 rophon eini und keiner is da! Kana is da... 1144 A: Da kannst den Text auch mithaben... und du 1145 kannst es fünf Mal wiederholen... 1146 MO: Das ist dann ja nicht so wie bei Sido macht 1147 Band 1148 A: Bei so, wie soll ich sagen, richtigen Casting- 1149 shows is das glaub i net so 1150 L: Ja aber bei dem wo der do erzählt, ob deis 1151 wirklich live war oder ob das ausgemacht 1152 war, dass da wer kritisiert wird, waß ma ja ah 1153 net, ob das dann wirklich so ist [in Anspie- 1154 lung auf Klaus‘ Performance] 1155 MI: Ja eigentlich... das is immer so, das ist ja bei 1156 jeder Ding [Castingshow] so, da denk ich mir 1157 auch ob das wirklich so stimmt und so. Und 1158 weil die ganzen... bei GNTM is ja ah voll im- 1159 mer da die Zickenkriege, damit man sich’s ja 1160 anschaut... das ist ja immer so gspielt... 1161 MO: Und die Menschen selbst, so wie so wie sie 1162 sind werden, also jetzt abgesehen von der 1163 Gruppendynamik, sind die so wie sie sind? 1164 MI: I glaub manchmal net, aber manchmal würd 1165 i dann scho sagen ja 1166 L: Jo mit die Zickenkriege... letztes Jahr bei 1167 DSDS, wia sie dei zwa so gstritten haben, 1168 i waß net, wer war deis no..keine Ahnung... 1169 und dann is so die ane die ganze Zeit.. deis 1170 war so.. das war die ganze Zeit so, das war 1171 eigentlich positiv fürn Marco Gelini, weil 1172 der war Arzt, der hat studiert.. und die is 1173 zammenbrochen und er hat sie retten kön- 1174 nen weil er halt... zwar net fertig war, aber 1175 eine Ausbildung hat.. na ja und dann war so 1176 a Aufregung...

1177 [Sequenz 3 wird vorgespielt – Dragan]

1178 MO: Was fällt euch zu ihm ein? Vielleicht auch in 1179 Hinblick auf die erste Sequenz 1180 T: Naja, die haben jetzt amal a größere Woh- 1181 nung und ma hat g‘sehen er hat an Compu- 1182 ter ( ) und i waß net... es ist zwar schlimm, 1183 aber wenn das jetzt wirklich echt ist dann.... 1184 Ja, wenn er... ja [tiefer] er ist Tellerwäscher 1185 haben sie g’sagt und dann ist das so gwesen, 1186 dass er die Miete zahlen kann, also dürften 1187 sie vom Geld her net schlecht stehen, eigent- 1188 lich. Weil sie ja, weil jeder hat ein Zimmer, 1189 oder sie san gemeinsam in einem.. sie haben 1190 eine größere Wohnung und sie können mehr 1191 Miete zahlen, er hat zumindest eine Arbeit 1192 und die anderen eigentlich net. 1193 MI: Es ist so, bei dem anen, bei dem ersten da ist 1194 das eigentlich schon vergangen, aber es ist 1195 eigentlich jetzt no. Und bei dem ist es schon 1196 vorbei, jetzt geht’s ihm eigentlich gut. I man 1197 sei Mutter is es ja no immer so, aber wenn er 1198 jetzt no ah Star wird, dann is er nimmer bei 1199 seiner Mutter dann geht er weg und so und 1200 dann is‘ sie allanig und dann wird’s sicher ah 1201 net besser, dass sie irgendwie so glücklich 1202 wird oder so. Beim anderen is es jetzt no 1203 so dass er irgendwie daham is, das alles vui 1204 eng ist und so... deis is eigentlich, ja das war 1205 schon schlimm was der da durchgmacht hat 1206 und so, aber das ist bei dem anderen eigent- 1207 lich jetzt noch so... 1208 A: Ja, ma merkt ah in der Wohnung es ist viel 1209 aufgeräumter als in der anderen, es ist ir- 1210 gendwie alles so schön. Ja, da is ja nur Dreck 1211 herumg‘legen in der ersten und da war’s jetzt 1212 scho so a bissl schen. Also daraus kann man 1213 schließen, dass es denen ah bissl besser geht 1214 als den... also wenn i mi entscheiden muss 1215 zwischen den zweien, dann würd i den ers- 1216 ten nehmen, weil’s dem anfoch vü schlech- 1217 ter geht. 1218 L: Ja, aber eigentlich wird der Mutter ja dann 1219 das Grundrecht g‘nommen, weil die Mutter 1220 hat Depressionen und der hat extra wegen 1221 seiner Mutter deis aufgeben. Und die Mutter 1222 die wird ja jetzt dann... 1223 MI/A: Ja, eh! 1224 MI: Also eigentlich würd i denn gar nie mitneh- 1225 men. Da würd i lieber wen nehmen den’s 1226 jetzt no schlecht geht. Und i glaub ah, dass 1227 deis da war schon echt... also irgendwie 1228 klingt das, ja... 1229 L: Ja für uns ist das irgendwie so weit weg, dass 1230 ma deis so sehen kann. Dass es wirklich sol- 1231 che Leit gibt die in so ana Situation leben. 1232 Also i, deis is für mi also schwer, weil... ja... 1233 H: Weil wenn der jetzt gut singt, deis hot ma 1234 jetzt net ghört, aber wenn er gut singt und 1235 net so schlechte Lebensbedingungen hat, 1236 dann wär da Sido ja wieder in der Zwick- 1237 mühle wenn er an von die zwa nimmt. Der 1238 besser singt und net so schlecht lebt, oder 1239 der schlecht singt und schlecht lebt. Weil 1240 er ja vorher ah in der Zwickmühle war ob 1241 er den jetzt nimmt. Das kann bei jedem a 1242 Zwickmühle sein 1243 A: Also i glaub, der größte Fehler was der 1244 gmacht hat ist, dass er die Schule überhaupt 1245 abgebrochen hat. Weil wenn er fertig gmacht 1246 hätt dann wär er vielleicht gar net in der Si- 1247 tuation. I waß net wie’s seiner Mutter jetzt 1248 dementsprechend gangen wär, aber.... 1249 MI: Jo wenn er jetzt eh Tellerwäscher ist dann 1250 verdient er eh... 1251 A: Jo aber er hätt an viel besseren Job kriegt... 1252 MI: Jo, aber dass er halt für seine Mutter besser 1253 sorgen kann 1254 H: Der geht jo dahin, dass er Göd kriegt, also 1255 Göd verdient dann. Wenn er gleich die Schu- 1256 le gmacht hätt, dann hätte er’s gleich auch so 1257 machen können, dann hätt er bessere Chan- 1258 cen g’habt. Weil wer sagt, dass er da erfolg- 1259 reich wird 1260 MO: Gibt’s irgendwas in den drei Szenen wo ihr 1261 sagt, dass wollt ihr gar nicht sehen, das inte- 1262 ressiert euch nicht so? ..... Oder jetzt wo ihr’s 1263 gesehen habt, möchtet ihr das weiterverfol- 1264 gen? 1265 L: ..Mhh, das ist immer so spät 1266 MI: Na i glaub i würd’s ma net anschauen... jetzt 1267 wo ich’s g’sehen hab, na ich glaub ich würd’s 1268 ma net anschauen. 1269 MO: Warum? 1270 MI: Na irgendwie is es ja teilweise schon, ja si- 1271 cher was passiert mit denen und so, aber es 1272 interessiert mit net. 1273 A: I wü do irgendwie sehen was da außa 1274 kummt, deis is irgendwie interessant, weil’s 1275 so irgendwie... also der ane total unerfahren 1276 mit der Musik überhaupt und denen geht’s 1277 irgendwie allen schlecht und für di is glaub 1278 ich die Musik nie so im Vordergrund gestan- 1279 den und was da jetzt aussa kummt, ob die 1280 jetzt wirklich so a tolle Band werden wie da 1281 Sido rapt? 1282 ME: Jo also mi hot’s jetzt schon a bissl bewegt die 1283 letzte Szene, weil die haben ja gsagt, sie san 1284 aus dem Krieg in Bosnien gflüchtet und deis 1285 hat mei Mutter ah gmacht und da denkt ma 1286 sich schon mehr dabei, irgendwie wenn deis 1287 jetzt so is.. und ja... also i würd’s vielleicht 1288 [betont] schauen, i waß es net. 1289 T: Jo, so wirklich interessieren mi die Casting- 1290 shows eigentlich net so weil... mhh und deis 1291 mit dem Singen, ja... man sieht nachher ei- 1292 gentlich nie wieder so wirklich was von dem 1293 und dann schaust du deis jedesmal und dann 1294 kommt eigentlich wieder nix aussa... und 1295 dann ist das für mi eigentlich umsonst ir- 1296 gendwie 1297 H: Jo, i waß net ob i so was schauen würd, also 1298 wenn i jetzt nix zu tun hab und mir lang- 1299 weilig is, dass ich’s dann schau oder so, aber 1300 wenn i jetzt am nächsten Tag an Test hab 1301 dann geh i eher schlafen. 1302 MO: Noch eine Frage: Angenommen ihr seht je- 1303 manden in der Castingshow den ihr kennt 1304 [Verwandte, Freunde, Bekannte, Schulkolle- 1305 gen...] wie wär das für euch? 1306 L: Na ja bei Starmania war das so, dass der Ri- 1307 chi ??? mitgmacht hat, den hab i na ja... na 1308 kennt is jetzt übertrieben, aber i hab gwusst 1309 wer er ist und i hab scho mit ihm g’redet 1310 ghobt, aber i hab net zu dem g’halten nur 1311 weil ich ihn kennt hab, er hat mi net so über- 1312 zeugt mit seiner Stimme. 1313 MO: Also wenn wir jetzt die gezeigte Sendung 1314 hernehmen, wo’s ein bisschen anders ist als 1315 bei Starmania, wo man zu den Leuten nach 1316 Hause fährt... 1317 A: Ja, i würd schon zu dem halten weil jetzt weil 1318 dem geht’s dann ja wirklich schlimm und 1319 dass ich das dann nicht g’merkt hab oder 1320 so. Ja wenn das irgendwer von der Schule ist 1321 schon... aber wenn das ein Verwandter ist, 1322 das hätt ich ja dann gmerkt oder so.. das wär 1323 ja dann irgendwie voll arg. 1324 MI: Ja wenn i deis schon g’wusst hätt, dann würd 1325 i dem wünschen, dass er das gwinnt, damit 1326 er so sein Leben aufbauen kann. 1327 A: Und wenn er net g’winnt dann würd i versu- 1328 chen dem zu helfen. 1329 H: Jo deis wär dann vielleicht so... man waß deis 1330 net, aber z.B., das deis wirklich... 1331 L: Jo es gibt so.. z.B. a Freundin von mir, die 1332 hat wen kennt der so bei ana Castingshow 1333 mitg’macht hat...do is halt hinter der Bühne 1334 besprochen worden wer aussi fallt, das war 1335 halt mit anrufen wie bei jeder Castingshow 1336 und do is halt diskutiert worden wer aussi 1337 fallt. Also dann denkt ma sich ja schon es is 1338 irgendwie ja alles g’schoben. I waß ja net ob 1339 das bei jedem so ist, aber das war halt vorm 1340 Finale und das System wie der rausgfallen is, 1341 is halt komisch aber... 1342 MO: Ja aber wenn ihr die Personen dann kennt 1343 und wisst wie die leben oder so, ist das auch 1344 ok, dass das ganz Österreich weiß? 1345 MI: Wenn sie damit einverstanden ist, wenn sie 1346 do freiwillig hingangen is, dann ist’s für sie 1347 ok und dann ist’s für mich auch ok 1348 H: Es kann ja sein, wenn das jetzt wer von der 1349 Schule wär, dass dann alle dem helfen, also.... 1350 MI: Ja, und dass dann auch wenn er’s net schafft, 1351 dass er da im Mittelpunkt steht da in der 1352 Schul‘ und dass alle lieb zu ihm san oder so 1353 und dass dann für ihn deis ah besser ist. 1354 A: Dass halt mehr Verständnis aufbracht wird, 1355 weil er halt nicht so toll anzogen is und ma 1356 waß halt net in was für einer Situation der ist 1357 und dann kommt da halt in die Castingshow 1358 dann kann man das halt irgendwie tolerieren 1359 oder respektieren.. 1360 MO: Wie ist das eigentlich mit euch? Könnt ihr 1361 euch vorstellen in einer Castingshow aufzu- 1362 treten? 1363 L: Vielleicht ja... [lacht] 1364 ME: I kennt ma deis net vorstellen 1365 L: Ja bei einer Castingshow schon.. Ja also i 1366 steh gern also i tua gern singen und so vor 1367 anderen Leuten Gitarre spielen und so sin- 1368 gen, dass tua i total gern. Aber i würd ma das 1369 gut überlegen ob i tuat hingehen würd. Ja i 1370 würd vielleicht zu einer Castingshow hinge- 1371 hen, aber... 1372 MO: Wo liegt die Skepsis? 1373 L: Jo dass dann alles... 1374 A: Nix bringt... 1375 L: Jo und dass, sich dann alles nix bringt und 1376 dass, das dann alles nur gspielt ist und das 1377 alles 1378 MI: Ja, dass net das Talent zählt

1379 [kurze Pause]

1380 T: Ich glaub i würd das net aushalten, i würd 1381 da psychisch total fertig werden, wenn mi ir- 1382 gendwer so ganz niedermacht und so 1383 A: I waß net ob wenn i dann glei aussi fallen 1384 tät, so in der ersten Runde, ob i dann je wie- 1385 der singen könnt, also ob i dann den ganzen 1386 Mut verlier. Und das is schon ein volles Ri- 1387 siko eigentlich, weil eigentlich mach ich’s ja 1388 gern. 1389 MO: dass man die Lust dran verliert... 1390 A: Ja.. so dass wer sagt, das kannst du net, weil 1391 eigentlich will ich eher so für mich singen. ( ) 1392 Ja vielleicht kann ich das nicht so beurteilen, 1393 aber ich find meinen Gesang eigentlich so 1394 ok. 1395 H: Jo, also wenn i do wo mitmachen würd, 1396 dann beim Super Talent nur dort wo i alles 1397 machen kann was i mach. Und i waß ah net 1398 ob i deis jetzt aushalten würd wenn i wei- 1399 terkommen würd... weil dann stehen die da 1400 alle auf der Bühne und dann wird g’sagt wer 1401 weiterkommt, weil i halt’s jetzt scho fast net 1402 aus wenn die [Lehrer] die Schularbeiten aus- 1403 teilen. 1404 MO: Was würdest du beim Supertalent präsentie- 1405 ren? 1406 H: I hab keine Ahnung... i würd irgendwie was 1407 gern mit meinem Hund machen, wenn... 1408 [lacht] 1409 A: Deis kommt sicher gut an, weil das mit Tie- 1410 re, dass is immer so liab und so, vor allem 1411 wenn man anrufen muss irgendwo 1412 ME: Es hat ja amal ana g’wunnen mit am Hund 1413 H: Jo, vor zwei Jahren [alle lachen]... Jo weil mei 1414 Hund der kann hoit scho ziemlich vü Tricks, 1415 dem hab i scho vü glernt... 1416 L: Wir haben amal wenn in der Schul‘ g’habt, 1417 der dort hingangen is, i waß aber net ob’s 1418 wirklich stimmt, der hat... der is aus der 3ten 1419 kommen, da Kevin 3te? ... 1420 T: Ja [nickt zustimmend] 1421 L: Und dem kannst du irgendeinen Satz sagen 1422 und der kann das sofort rückwärts sagen 1423 MI: Und der kann dann alles umdrehen. Ja aber 1424 da stimmt wirklich, weil du denkst dann so 1425 nach und überlegst und ja, das stimmt wirk- 1426 lich..

1427 [es wird kurz über diverse Talente und Auftritte diskutiert]

1428 [ENDE: Bedanken fürs Gespräch, Verabschiedung.. keine offenen Fragen] Transkript der zweiten Gruppendiskussion

Kürzel der Teilnehmerinnen:

MO Moderatorin J Julia, 15 N Nina, 13 NE Nena, 14 NA Natalia, 13 M Melanie, 15 F Franziska, 14

Die Gruppendiskussion beginnt mit der Begrüßung und Vorstellung der Moderatorin. Es folgt eine kurze Aufwärmrunde, in der sich die Teilnehmerinnen vorstellen und über Einstellungen zu Castingshows, über präferierte Sendungen und über Rezeptionsge- wohnheiten sprechen. Vor dem Start der Gruppendiskussion erhalten die Gesprächs- beteiligten noch wichtige Informationen zu Thema und Ablauf.

1 J: Jo mit meinem Bruder oft. Meistens solche 2 Sendungen. Scrubs und Malcom mittendrin 3 oft. 4 F: Jo es geht ja um Castingshows 5 J: DSDS, aber das lauft ja nicht das ganze Jahr. 6 N: Also ich heiße Nina und ich mag Casting- 7 shows weil sie einfach in echt sind und net 8 so g’spielt, find ich jetzt. 9 MO: Und was schaust du da? 10 N: Ja eh was jeder schaut DSDS und so weiter 11 MO: Und mit wem? 12 N: Ja schon mit Familie 13 NE: Also ich heiß Nena und ich schau eigentlich 14 nur DSDS an mit meiner Schwester 15 NA: Ja i bin die Natalia und i schau’s gern. Jo 16 DSDS und so mit Freunde, ja 17 ME: Also i bin die Melanie und i schau eigentlich 18 ah.. i schau DSDS und so aber wenn z.B. The 19 Voice of Germany ist, schau ich’s ma ah an 20 aber net so unbedingt. 21 F: I bin die Franziska und i schau eigentlich die 22 Top Model Sendungen DSDS und Super Ta- 23 lent und so, was halt lauft so. 24 MO: Also bei mir geht’s heute um eine spezielle 25 Sendung. Ich werde euch daraus auch Vide- 26 osequenzen vorspielen und danach werden 27 wir drüber diskutieren. Es geht um die Sen- 28 dung Sido macht Band.

29 [lautes Durcheinander und kollektive Zustimmung]

30 F: Ja, ha!! I hab alle Lieder auf meinem Han- 31 dy. Und am Samstag hab ich mir ein Auto- 32 gramm g’holt 33 MO: Echt? Wo? 34 F: Im Shopping Nord waren’s! 35 MO: Ach ja, die treten ja schon auf, die wollen ja 36 zum Song Contest 37 F: Ja, aber ich glaub nicht, dass sie’s weit schaf- 38 fen. Obwohl es wär eigentlich gar net so 39 schlecht wenn sie’s schaffen würden weil 40 dann würden vielleicht die ganzen alten bis- 41 sigen Leut amal sagen, dass ah aus den Sand- 42 lern was werden kann. Das wär insofern net 43 schlecht 44 MO: Und gesehen habt’s ihr das alle? 45 N: Na i kenn’s net

46 [Ansonsten allgemeine Zustimmung]

47 MO: Kann wer vielleicht erklären um was es geht? 48 F: Es geht einfach darum, dass da Sido ahmm 49 Jungs aus schweren Verhältnissen hilft eine 50 Zukunft aufzubauen, indem er mit denen 51 Musik macht weil’s alle die gleiche Leiden- 52 schaft haben zu rappen, ja! 53 MO: Ja also ich zeig euch eher den Anfang dieser 54 Sendung. Das habt ihr dann eh schon gese- 55 hen 56 Abspielen der ersten Videosequenz ‚Michael‘ [nach der Videosequenz]

57 MO: Was haltet ihr davon? Was geht euch durch 58 den Kopf? 59 F: Krank, krank! 60 ME: Also ich find’s gut vom Sido, dass er ihn 61 rausgholt hot. Wos i höchstpersönlich arg 62 find, überhaupt von dem Jungen wenn sei- 63 ne Eltern schon so abgsunken sind, wieso 64 er jetzt dasselbe macht, wieso er net was tut. 65 Zum Beispiel er hätt in a WG gehen können 66 und dort leben können und dort ah, a nor- 67 males Leben führen können. Also net nor- 68 mal aber.. 69 F: besser 70 ME: besser führen... ohne Alkohol und Drogen. 71 Also für mi san solche Leut die das machen 72 mit Alkohol und Drogen, die san selbst 73 Schuld wenn’s dann sterben. Ka Mitleid 74 J: Jo manche Leit haben kan Ausweg als wie 75 Drogen nehmen. Die Sandler.. Die Sandler 76 nehmen ja auch Drogen. 77 ME: Ja die Sandler sterben auch an Drogen. Was 78 denkst du...? 79 J: Hast du schon einmal Drogen gnommen? 80 ME: Hast du’s gnommen? 81 J: Ja einmal gschnupft. Waßt eh wie die Welt 82 dan schen ist. Rosarot und schön toll 83 ME: Ja schön, bist stolz drauf weilst amal 84 gschnupft hast? 85 J: Na warum? Es is anfoch nur schen 86 F: Ja wenn ma’s net selber erlebt hat, dann kann 87 man glaub i nix drüber sagen 88 ME: Man kann was drüber sagen, zum Beispiel... 89 F: Ja, stell dir vor du wächst in einem Verhält- 90 nis auf wo dei Mutter sterbenskrank ist und 91 dein Vater im Knast a net für di da ist. Du da 92 net amal was zum Essen kaufen kannst. Das 93 einzige was du machen kannst ist irgendwas 94 einnehmen, damit die Welt schön ausschaut. 95 Und so lebst dann auf. 96 ME: Deis tun die Leut die für mi ka Hirn haben 97 F: Und wenn dei Vater aus dem Knast kommt 98 dann stirbt er glei a paar Wochen später… 99 ME: Sei Geschichte ist schon schockierend aber 100 wieso tut er net was aus seinem Leben 101 F: Weil’s a Sucht ist 102 ME: Wieso hat er’s zum ersten Mal eingenom- 103 men? 104 F: Es gibt Erbsucht auch 105 ME: Dazähl mir jetzt net, er hat net gwusst das 106 das Drogen san. Is klar, dass man davon 107 süchtig und abhängig wird. Deswegen nimm 108 ich’s nicht 109 F: Ja du nimmst as net, aber es gibt genug auf 110 der Welt die’s nehmen 111 N: I glaub die wollen nix fühlen gö? Die wol- 112 len nix fühlen. Denk i glaub i und aus Frust 113 glaub i 114 ME: Jo es is scho a arge G’schicht, aber er hätt 115 aus seinem Leben schon was machen kön- 116 nen. Er hätt was machen können. Hat er 117 aber nicht. Er wartet bis a Sido kommt und 118 erm hilft. 119 F: Ja wennst von deinen Eltern ah net die Un- 120 terstützung kriegst, dann fehlt da ah irgend- 121 wann amal die Kraft 122 ME: Ja es gibt Heimkinder, es gibt WG-Kinder 123 F: Schau da mal den Nils an, der kummt aus 124 am Heim, schau da an wie der geendet ist, 125 oida 126 ME: Ja du kannst in einem Heim leben und trotz- 127 dem a normales... später a normales Leben 128 führen wennst 18 bist. 129 F: Glaubst du? 130 ME: Na glaub i net, sondern waß i 131 F: Könn ma den anen anschauen der was im 132 Heim war? 133 MO: Nein, leider 134 ME: Jedenfalls glaub i ma kann aus jeder Perspek- 135 tive was aus seinem Leben machen 136 F: Ja schau da amal den Sam an, der ist aus ei- 137 nem Heim 138 ME: Der könnt auch was machen aus sich wenn 139 er will. 140 F: Schau die Jessi an! 141 ME: Die kann a was machen 142 F: Schau da die Viecha an, die da drin sitzen. 143 ME: Die Jessi lernt sie ist gut in der Schul‘… 144 F: Die Jessi lernt pudan mehr net oida 145 ME: Später, wenn sie z.B. an Job hat, wird sie alles 146 was sie da jetzt in da Schul.. 147 F: Was kriegt sie für an Job? An der Stangen, 148 am Strich?

149 [im sarkastischen Ton danach unverständlich]

150 ME: Ja vergess ma jetzt die Jessi. Zum Beispiel da 151 Sam hätt ah a Möglichkeit oder da Till von 152 unserer Klass. Der is a aus ana WG. Sei Papa 153 is a gstorben. Und trotzdem tut er net depp- 154 at und nimmt Drogen und i waß net was. 155 F: Schau da den Psycho an. [schmunzelt] Schau 156 da Till der hat ah a zeitlang g’raucht und so 157 weil er’s nimmer ausghalten hat. Den haben 158 seine Freunde unterstützt 159 ME: G’raucht aber er hat keine Drogen gnom- 160 men 161 F: Ja aber schau, den Till haben seine Freunde 162 unterstützt dass er aufhört. Und der Typ da 163 drin hat überhaupt keine Freunde die ihm 164 helfen. Und jetzt lass mi in Ruh! 165 J: Rauchen is aber auch a Einstiegsdroge, gö? 166 N: Ja [nickt zustimmend] 167 ME: Rauchen ist, ja... 168 J/N: Ja das ist a Droge! So is es! [schmunzeln] 169 ME: Ja aber ihr versteht’s das net 170 F/J: Du (!) verstehst das net [lauter] 171 ME: Na sagn ma er is arm, er hat wirklich nix aus 172 seinem Leben machen können. Und deshalb 173 is er jetzt versunken und jetzt san allan nur 174 die Eltern Schuld, mach ma das jetzt so? 175 Und er hat Drogen nehmen müssen weil er 176 sonst... Jo passt lass ma’s so! 177 F: Ja ok passt!

178 (2)

179 F: Seine Mutter hat ihn mit acht Jahren in a 180 Heim gsteckt und da Vater war tot 181 N: Ja, i find das schon schad, das aber... 182 ME: Es is schon schad... 183 N: Aber er kann’s auch nicht anders machen. I 184 man i würd’s a das Gleiche machen so wie er. 185 I man wenn meine Eltern mi ah net unter- 186 stützen und sonst was. 187 F: …und keine Freunde 188 N: Und wie’st jetzt sei Mutter gsehen hast, so 189 besoffen. Dann würd i mi ah... dann würd i 190 ah trinken, damit i’s a net merk und hör und 191 gar nix 192 ME: I würd da wegziehen. Mi interessiert die 193 ganze Familie da net 194 F: Und woher willst du dann das Geld neh- 195 men? Glaubst du der Staat unterstützt uns 196 so… unterstützt di bei sowas? 197 ME: Was ist denn mit einem Heim? Wie funktio- 198 niert denn das mit am Heim? 199 F: Ja deis kostet ah was. Da musst zuerst be- 200 antragen, dass du an Platz kriegst und alles. 201 Und das ist net so leicht. [sehr energisch]

202 (4)

203 F: Mei Mutter kommt ah aus einem Heim und 204 schau an wie sie jetzt is... aber oida... 205 ME: Jo jetzt is sie a normale... jetzt hat sie was auf 206 das sie stolz sein kann. Sie hat an Job, sie hat 207 a Tochter. 208 F: [lacht] Auf mi soll sie stolz sein?? [lacht wei- 209 ter] 210 ME: [überdreht die Augen] na jetzt... 211 N: I würd ah das Gleiche machen was er macht 212 ME: I würd nie im Leben das Gleiche tun. Wenn 213 ana von der Brücke springt gemma ah sprin- 214 gen oder was? 215 N: Weil man vielleicht. Na weil man.... 216 J: Wenn deine Eltern stock betrunken und dei 217 Vater stirbt, was machstn dann? 218 F: Und du hast keine Familie mehr. Dein Va- 219 ter stirbt deine Mutter sitzt jeden Tag vor dir 220 betrunken. Was würdest du machen? Wür- 221 dest du einfach sagen Na Mama trink nur 222 wird schon wieder...[sarkastisch] 223 ME: Hallo, es is net möglich dass er null Freunde 224 hat, also das ist amal so... 225 F: Ja zeig an Freund von da. Der sitzt ja den 226 ganzen Tag nur in da Buden 227 ME: Ja er soll... hallo, es ist unmöglich, dass ein 228 Mensch auf der Erde lebt und der über- 229 haupt keine Freunde hat und niemanden 230 hot und ganz allan ist. Er hat irgendwelche 231 anderen Verwandten. Von seiner Mutter z.B. 232 a Schwester oder...irgendwen 233 F: Dei san anscheinend net für earm da gwe- 234 sen, sonst wär er net ins Heim kommen. 235 MO: Kennt ihr so eine Situation? Hab ihr in eu- 236 rem Leben sowas schon amal erlebt? 237 ME: Ja, ah Verwandter von mir hat’s erlebt. Und 238 genau, sei Mutter Alkoholikerin. Sei Vater is 239 a früh gstorben und trotzdem er.. er hat sich 240 bei Verwandten untergebracht. Und dort is 241 er dann normal aufgezogen worden.

242 (5) 243 ME: I waß wirklich von was i sprich, weil er hat 244 selber Drogen gnommen 245 F: I kenn a, a paar Freunde. Also die wohnen 246 eh da in der Umgebung und… die san ah 247 so 15,16 und ah mittlerweile scho drogenab- 248 hängig. Owa, bei dem anen is so, dass seine 249 Eltern überhaupt net für ihn da sein. Und 250 jetzt hat er a Freundin die von ihm schwan- 251 ger ist. 252 ME: Maria… [Ausruf… kurze Pause und schüttelt 253 verständnislos den Kopf] 254 F: Und die Eltern von seiner Freundin die 255 wollen net, dass er das Kind zu Gesicht 256 bekommt und so. Und i man, er hat scho 257 Freunde aber die san ah nix besser als er. 258 Und jetzt is er wieder so reingrutscht in die 259 Drogen und so. 260 MO: Ist das für euch dann ok, dass man so was 261 dann sieht im Fernsehen? 262 NE: Naa [Schüttelt den Kopf] 263 N: I find scho 264 J: Ja 265 F: I find’s scho gut, weil das macht amal auf- 266 merksam dass die anderen Leute... dass die 267 Leute amal respektieren, dass das ah Men- 268 schen san 269 N: Ich find’s gut dass wir so was sehen wie die 270 anderen leben 271 ME: I find sowas... wenn man zum Beispiel die- 272 se Reichen, diese Eingebildeten und so, die 273 denken sich von eam was ganz Schlechtes 274 und so. Also i denk ma von eam prinzipi- 275 ell nix Schlechtes. Er ist vielleicht so a guter 276 Mensch, aber er hätt’s besser machen kön- 277 nen, scho! Weil er hat die Möglichkeit g’habt! 278 J: Aber geh der viel Geld hat is ja net eingebil- 279 det oder hochnäsig. 280 ME: Die Meisten. 281 J: Ja aber warum? 282 ME: Es reicht wenn’s 100% san 60 eingebildet 283 und so. Waßt eh und die 40 anderen normal 284 F: Waßt was es Problem is bei uns in Öster- 285 reich? Du kriegst ja fast ka Unterstützung, 286 ah wenn du arbeitslos bist, oder so. Du 287 kriegst das net, wenn’st du’s net beantragst. 288 In Deutschland kriegst eh glei Hartz 4 und 289 so, aber dei san ja in Österreich. 290 ME: Ja i waß. In Bosnien kriegt hot man deis ah 291 net, wennst net arbeitest 292 F: Ja, Bosnien is Bosnien,- ok?? Da handelt 293 man… pssst [Anm. sei leise] 294 ME: Was willstn da handeln?? Mei Cousin hat 295 letzte Woche an Unfall baut mitn Auto.. 296 F: [unterbricht] Mahh, könn ma das Nächste 297 schaun? Sie redet so viel 298 ME: Mahh, sie is so dumm.Ihra kann man net er- 299 klären... mahh 300 MO: Was sagt ihr eigentlich dazu? [Blick in die 301 Runde] Soll das nun gezeigt werden? 302 NE: Schüttelt den Kopf 303 NA: Doch... 304 NE: Irgendwie net 305 MO: Und warum? 306 NE: Ja keine Ahnung. Weil’s arm ist. 307 F: Die haben dann eh an Bericht kriegt, von 308 da Zeitung oda so, wo drinnen gstanden ist, 309 dass der Sido die Leute diskriminiert und so, 310 dass er sie peinlich darstellt in der Öffent- 311 lichkeit. Aber i find er stellt sie eigentlich gut 312 dar, weil er ihnen zeigt, das die Leut die nix 313 gschafft haben.. 314 ME: Er hilft ihnen ja… 315 F: …Anpacken, dass sie was schaffen 316 MO: Is auch was drinnen was zu privat ist? 317 N: Schon, glaub ich schon 318 ME: Na die Gesichter san ja eh net von den El- 319 tern erkannt worden und so. Deis is amal 320 gut. Also i find es ist im Prinzip nix so 321 F: Aber es eh im Prinzip die anzige Casting- 322 sendung, wo man merkt, dass es net gspüt 323 ist. Zum Beispiel bei DSDS oder das Super 324 Talent, da merkt man sofort, dass das nur 325 Show ist.

326 [Zweites Stimmungsmaterial]

327 F: Und was kann er jetzt da dafür, da Klaus? 328 [an ME gerichtet] 329 ME: Jo, dass er des net auswendig lernen hat kön- 330 nen, wo er 5 stunden zeit ghabt hat, hätt er 331 das lernen können. 332 NA: I schaff deis in 2 Stund, vielleicht 333 ME: Da is a selbst Schuld wenn er da oben steht 334 und... das ist das Gleiche wie, i find dei… 335 F: Ja schon aber er hat den Text auch selber 336 schreiben müssen 337 ME: Ja maximal 2 stund kriegt er an Text super 338 hin und 3 Stunden zum auswendig lernen 339 F: Passt, das mach ma, ok?! Schreib an Rap 340 Text in 5 Stunden und lern ihn auswendig

341 [alle lachen]

342 N: Jetzt kannst nix sagen 343 F: Aber was kann er für sein Handikap? Was 344 hätt er machen können damit er net den 345 Sido braucht? 346 ME: Wie manst deis jetzt was hätt er machen 347 können damit er net den Sido braucht? 348 F: Ja du hast g’sagt der ane was davor war, hätt 349 er net ihn Sido braucht hätt er sich vorher 350 z’ammen grissen 351 ME: Ja 352 F: Was hätt er machen müssen, damit er den 353 Sido net braucht? 354 ME: I kenn sei richtige Vorgeschichte net, viel- 355 leicht hat er a Probleme g’habt mit seiner 356 Familie, oder so, aber er hätt definitv was 357 arbeiten können auch 358 F: Er hat nix arbeiten können, er hat über 200 359 Bewerbungen abgschickt. Keiner hat ihn 360 gnommen wegen seinem Handikap, und da 361 kann er nix dafür. Und das Gleiche kann der 362 Michael auch sagen... 363 MO: Was sagt ihr dazu? 364 N: Man kann schon in 5 Stunden was Lernen 365 NE: Er sieht ja aber ah nix 366 NA: Ja doch bis zu 3 Meter schon 367 J: Dann hätt er das schöner schreiben sollen 368 oida, oder a bissl größer damit er das besser 369 sieht 370 NA: Ja irgendwie schon 371 N: Man kann das schon schaffen... 372 F: Ja aber net amal i schaff ’s den Geschichte 373 Stoff in 3 Tagen auswendig zu lernen 374 ME: Ja den Geschichte Stoff. Waßt du wie viele 375 Seiten deis san? 376 F: Waßt du wie neig deis für den is? Wir haben 377 deis in der Schul schon öfter durchglesen 378 und der hat das selber gschrieben. 379 N: Ja schau, wenn man’s selber schon schreibt, 380 dann kommt das ja von selbst, oder? 381 ME: Ja, is ja logisch 382 MO: Was sagt ihr zu Sido wie er reagiert? 383 N: Das ist schon richtig was er gsagt hat. Der 384 soll sich net nur da hinsetzen uns, boa jetzt 385 hab ich a Wohnung oder sonst was, wo i 386 schlafen kann und essen oder so gratis. Man 387 soll sich schon bemühen und so.

388 (8)

389 N: Sag du amal was [zu NE – sie zuckt die Ach- 390 seln] 391 F: NE und ich sind der gleichen Meinung 392 N: Und was ist die gleiche Meinung? 393 NE: Dass man das net in 5 Stunden auswendig 394 lernen kann, i waß net. 395 NA: I find scho 396 ME: I find ah[zuckt mit den Achseln] 397 N: I find scho, i man in 5 Stunden wennst as 398 schon selbst gschrieben hast 399 NE: Ja aber die müssen ah nochdenken was sie 400 schreiben 401 ME [zu J]: Kann man’s in 5 Stunden lernen? 402 NA: Schon 403 J: Eigentlich schon 404 F: Ja aber du brauchst allan fürs Schreiben... 405 [ME fällt ins Wort] 406 ME: Ja beim Schreiben lernt ma’s schon a bissi 407 F: Allein damit’s zum Beat passt musst du al- 408 lein schon einmal 2 Stunden überlegen und 409 die ganze Zeit wiederholen 410 ME: Jo deis is unmöglich [ironisch, verständnislos] 411 F: Ja, die anderen die was gute Augen haben 412 und so, die können’s ah net auswendig. Weil’s 413 so viel Zeit mit dem Scheiben verbracht ha- 414 ben, die haben’s ah net auswendig glernt ob- 415 wohl der Sido das gsagt hat. 416 N: Haben’s das gwusst oder net? 417 F: Na sie haben’s net alle gschafft. Da andere 418 zb den’s davor zeigt haben, der hat’s über- 419 haupt net gschafft [Anmerkung auf Micha- 420 el] 421 N: I man an Satz hat er gsagt wow. Man kann 422 schon mindestens 2 he.. 423 ME: I man der hat deis ja selber geschrieben, i 424 werd ja wohl schauen... jetzt, das Englisch... 425 i waß jo no immer was i gschrieben hab, was 426 für Sätze 427 F: Wieso?

428 [alle lachen]

429 ME: Wir reden jetzt net von Englisch, aber i waß 430 es i sog’s da dann [zu F] 431 NE: Jetzt lenkt sie vom Thema ab 432 NA: Also i find schon, dass ma’s schoffen kann, 433 wenn man’s selber schreibt, dann bleibt 434 schon a bissl was hängen find i 435 MO: Ja der steht da oben und dem geht’s ja offen- 436 sichtlich nicht so gut... 437 F: Jo Druck und Nervosität kommt ah no dazu 438 N: I find’s traurig, dass er das net kann 439 F: I find’s traurig, dass die ganzen Firmen sa- 440 gen, na er kann nix arbeiten. Weil es gibt ge- 441 nauso Sachen wo er net unbedingt die beste 442 Sehstärke braucht. 443 N: Sag mir an Beruf! [lacht] Mi interessiert’s 444 grad...I hab grad überlegt, i muss ja überall a 445 bissl sehen 446 J: Ja am Computer 447 N: Ja du musst ja auch sehen was du schreibst 448 J: Ja, er sieht eh bis zu 3 Meter alles....von 3 449 Meter 450 N: Ja und warum hat er dann den Text net lesen 451 können 452 J: Weil er schiach g’schrieben hat wahrschein- 453 lich 454 F: Und da Computer is ja schön gschrieben 455 N: I glaub am Computer würd er’s ah net sehen, 456 weil es blendet ja 457 J: [unverständliche Aussage Ende/ NA bereitet 458 Getränke zu] 459 MO: Ihr geht ja auch in die Schule! Passiert euch 460 auch so was...? 461 ME: Ja 462 F: Es gibt schon Lehrer die allan.. i wü jetzt 463 net sagen rassistisch oder so, aber die.. keine 464 Ahnung.. anfoch so die Person. [Wird abge- 465 lenkt - wundert sich warum ihr Name auf dem 466 Polster über dem Kasten steht] 467 N: [In Bezug auf den Polster] Is ja wurscht jetzt 468 F: Bei uns in der Klasse gibt’s so Typen die 469 werden net von jedem fair behandelt, ob- 470 wohl sie nix tan haben. Einfach der erste 471 Eindruck bei den Lehrern. 472 MO: Habt’s ihr die Folge eigentlich gesehen? [be- 473 zieht sich auf das zweite Stimulusmaterial – 474 „Klaus muss auf der Bühne singen“] 475 J: Ja 476 N: Also, i seh’s zum ersten Mal 477 ME: I hab dei Folge ah net gsehen 478 J: Aber i find deis mit dem an aus der WG is 479 ärger find i 480 MO: Wieso? 481 J: Weil er so schlecht behandelt worden ist. 482 Und er nur ah Bezugsperson g’habt hat. Die 483 ane Frau die da Betreuer oder was auch im- 484 mer war. 485 F: Ja wie er sich aufgführt hat, wie er dann auch 486 hingehen hat müssen 487 J: Wo er den Leiter von der WG zammen 488 g‘schissen hat 489 F: Mei Mutter war im gleichen Heim 490 J: Wär kommt den als nächstes dran? 491 MO: Will euch davor noch was fragen. Kennt ihr 492 eine Sendung die vergleichbar ist mit dieser? 493 J: Mitten im Leben 494 NA: Deis is alles nachgspielt 495 ME: Ja 496 NE: Ja 497 N: We are familiy [lacht] 498 ME: Net wirklich, dass das so vergleichbar ist 499 glaub i net 500 NA: I man deis meiste is nachgspüt. Die Ver- 501 dachtsfälle und so 502 F: I find die deutschen Sendungen sind eher 503 nachgspielt, als deis was bei uns sind. So wie 504 ANTM ist a eigentlich wos, wo’s Leute die 505 das gerne machen würden einfach unter- 506 stützen auf dem Weg, dass sie’s gut machen. 507 Und ihnen eine Chance geben praktisch. 508 Und das gleiche ist wie bei Die große Chan- 509 ce. Da haben’s ihnen auch a große Chance 510 geben um was zu machen. Und Helden von 511 Morgen, da waren auch a paar dabei, die was 512 net gar so gut waren. 513 J: [unverständlich] 514 MO: Ihr schaut ja auch gerne DSDS. Wenn man 515 jetzt den Dieter Bohlen hernimmt... 516 NE: Der übertreibt meistens 517 J: Ja 518 F: Na er gibt denen ka Kraft, dass sie weiter- 519 machen, sondern er puscht sie irgendwie 520 owi. 521 NE: Ja 522 F: Und er macht sie nieder wenn ihm irgend- 523 was net passt. 524 N: Ja deis is a besser so 525 ME: Ja aber irgendwie zu Recht, weil sonst wür- 526 den sie’s net lernen 527 N: Ja find i ah 528 ME: Weil zu dem einen da hat er schon amal liab 529 gsagt lern deinen Text und was tut er, er 530 lernt seinen Text net. 531 F: Ja schau aber... [J unterbricht] 532 J: Wenn du [unverständlich, dem Sinn nach 533 wenn ein Lehrer sagt] ME lernens das für 534 Englisch am Anfang und du lernst das net 535 und dann plärrt er di vuigas an du bist eh so 536 schlecht du wirst eh nix aus deinem Leben 537 machen. Wirst dann weiterlernen, oder lasst 538 as dann? 539 ME: Hot er g‘sogt... [unverständlich F fällt ins 540 Wort] 541 F: Es gibt bei allem was man macht a positive 542 Seite und da Dieter Bohlen wenn ihm was 543 net passt, erwähnt er nur die Negative, der 544 sagt nichts Positives. Ja und zum Piedro hat 545 er gsagt er hat a gute Stimme und der singt 546 scheiße, der singt zum kotzen, das tut weh in 547 die Ohren. 548 N: Na i glaub deis is... 549 F: Da war da [unverständlich] vü besser [lacht] 550 N: Na aber wenn i jetzt zur ME sag du singst 551 gut und das nächste Mal singst scheiße 552 ME: Ja will ich ahh, weil ich bin ja sowieso schon 553 so gut, warum soll ich was tun, ich bin ja 554 sowieso schon so gut 555 N: Weil wenn ich sag ME du singst scheiße, 556 dann blamiert sie sich um das nächste Mal 557 besser zu singen 558 F: Ja aber du könntest z.B. sagen, ME du hast 559 die Töne nicht getroffen aber du hast den 560 Text können, verstehst? 561 N: Ja dann versucht sie halt das nächste Mal die 562 Töne zu treffen 563 F: Und den Text zu können, dann lernt sie ja 564 beides 565 N: Ja 566 F: Und das ist was der Dieter Bohlen net macht, 567 der sagt einfach nur du warst scheiße 568 ME: Er ist ehrlich. 569 NE: Ja aber er übertreibt meistens 570 ME: Und deis is gut, dass er ehrlich ist zu den 571 Kandidaten. 572 N: Ja 573 F: Deis is scheißegal weil das ist alles nach 574 Skript und alles gspielt, sonst würden’s das 575 Live zeigen die ganze Zeit, alles was auf den 576 Malidiven passiert. Und das ist alles nach 577 Skript und das [Sido macht Band] is net nach 578 Skript, das ist freies Leben 579 ME: Ja gestern im Fernsehen waren diese 2 Rap- 580 per bei Explosiv oder so, hot deis no wer 581 gschaut von euch? 582 F: Welche Rapper? 583 ME: Waß i net dei waren no total unbekannt, i 584 hob no nie von ihnen ghört. Dei hoben do 585 ah so a paar... von ihrer Siedlung in Deutsch- 586 land, da gibt’s is so a Ghetto, deis is ziemlich 587 verkommen voller Drogen und so und die 588 wissen jede Drogenecke überall, deis is wirk- 589 lich katastrophal dort. 590 J: [unterbricht unverständlich] kriegst ah über- 591 all Drogen 592 ME: Jo schen aber,deis habens dann auch zeigt 593 und so und dei san ah dort aufgwachsen, 594 aber trotzdem haben’s was aus dem Leben 595 gmacht. Und es hot jeder so ziemlich das 596 gleiche Schicksal so mit den Eltern und so… 597 Alkoholiker und so, ziemlich die gleichen 598 Schicksale, aber er hat mit ihnen auch gspro- 599 chen und hat sie auch motiviert zu... ,dass 600 sie was machen, dass sie z.B. kane Drogen 601 nehmen und so... 602 F: Und was macht da Sido mit dem anen? Der 603 hat ihn ja ah aussi gholt und ihn motiviert, 604 dass er was macht und jetzt ist er dabei. 605 J: Aber da kommst net so leicht aussa weil’s a 606 Sucht ist [bezieht sich auf Daniel] 607 F: Obwohl er da dabei ist, ist er net von die 608 Drogen weg kommen; weißt du weil das 609 Mittel was man ihm als Ersatz für die Droge, 610 also deis was deis stillt, is dann ah a Droge, 611 deis is ah a Suchtmittel [bei Daniel] 612 ME: I man mei Mama hat ah zu mir gsagt du hast 613 dein Leben selber in der Hand. Du wirst 614 schon entscheiden was wichtig ist und so. 615 Und jetzt hat sie gsagt i muss schauen, dass i 616 mi selber auf die Reih krieg irgendwie. Also, 617 dass i net zum Beispiel.. jetzt hot mei Mama 618 gsagt du hast dei Verantwortung für di, geh 619 jo net glei Drogen nehmen. Weil i hab ja 620 ah die Verantwortung für mi. Also i schau 621 schon, von mir selber aus, dass i was tua für 622 mi. Was guats und net was schlechts. Und 623 deis is deis was i net versteh 624 F: Das ist aber net so leicht. 625 J: [zu ME] Leb amal einen Monat auf die Stra- 626 ße, ganz allein 627 ME: Wieso sollt ich? 628 J: Ja wennst Verantwortung für dich selber 629 hast! 630 ME: Jo du musst erstmal so kommen mit dei- 631 ner Verantwortung, dass du auf die Straße 632 kommst. Du wirst jo net auf die Straße von 633 oben irgendwie auf die Straße gsetzt gleich. 634 J: Es gibt Straßenkinder auch 635 ME: Ja es gibt Straßenkinder. Der Text da in Eng- 636 lisch The street kids da bietet der Pfarrer ih- 637 nen ja ein Essen und so ein Heim an 638 N: Aber der kann nicht alle Kinder aufneh- 639 men... 640 ME: Der kann nicht alle aufnehmen... 641 NA: Aber die meisten 642 ME: Aber die meisten kann er aufnehmen und 643 deis is scho was guats 644 N: Ja eh 645 F: Jo waßt du wie viele Leit dass es gibt? Kann 646 ja sein, dass es voll is 647 ME: Jo gibt’s glaub ich andere auch. Es wird net 648 nur der eine Mann in ganz Amerika a Heim 649 aufbauen. 650 N: Deis a wieder net aber... 651 F: Da siehst, das wär super wenn die Band [Si- 652 dos Band] zum Eurovisionkonstest kommt, 653 damit sie beweisen dass sie auch was kön- 654 nen. Für solche Leut wie sie [gemeint ist ME] 655 ME: Na i bin überzeugt die können was, ja. Aber 656 sie hätten vorher auch was tun können 657 N: Ja das stimmt schon. Schule, Abschluss das 658 wär schon mal super. 659 F: Wennst ka Unterstützung hast? Schule kos- 660 tet ah was! Schule kostet Geld. Wenn wir 661 unsere Eltern net hätten, wär würde unsere 662 Schule zahlen. Wie würden wir dann Schule 663 gehen 664 N: Trotzdem man kann schon irgendwie in die 665 Schule gehen 666 ME: I hab kane Nerven mehr 667 N: Man kann sich [unverständlich] a Buch kau- 668 fen oder? 669 F: Ja schon aber was willst lernen? 670 N: Ja du gehst in die Schule und du hast halt dei 671 Buch und... 672 F: A Freundin von mir die is 4 Jahre in die 673 Schule gangen, die hat einfach a Krankheit 674 ghabt, die war Analphabetin die hat net le- 675 sen können und net schreiben können. Sie 676 kann nix dafür. Sie ist in der Schule gsessen 677 hat mitglernt mitghört und so aber die hat 678 halt nix machen können. 679 N: Ja aber trotzdem 680 ME: Solche Menschen die a Krankheit haben tun 681 mir wirklich leid, die tun mir irrsinnig leid. 682 Aber solche Leute die Drogen nehmen die 683 tun mir null Leid. 684 F: Das ist aber auch a Krankheit, Drogen 685 ME: A Krankheit is für mi wenn jemand richtig 686 krank ist, a Analphabet und deis wirklich 687 nicht kann. Drogen ist einfach jemand der 688 sein Leben hinschmeisst 689 MO: Wenn ma jetzt nochmal zurück kommen 690 zu den Castingshows. Wir waren ja grad bei 691 Dieter Bohlen. 692 N: Ja der ist ja auch nett. Der hat ein paar Leut 693 im Casting Schuhe gschenkt weil die nicht 694 so richtige Schuhe haben. I find deis ah scho 695 nett. 696 F: Das ist Show. Das ist die Art wie er darste- 697 hen will nach dem Ganzen was er sonst re- 698 det. 699 N: Ja i will net irgendwem meine Schuhe herge- 700 ben. 701 MO: Is da da Sido anders? Oder is der gleich wie 702 der Bohlen? 703 NA: Na 704 ME: Na 705 NE: Vui net 706 J: Na, da Sido macht’s ehrlich 707 N: Da Dieter Bohlen ist ah ehrlich 708 F: Ja da Dieter Bohlen hat so a gespielte ehrli- 709 che Art 710 ME: Kennt’s ihr den Dieter Bohlen in echt? 711 J: Ja sicher i hab sei Telefonnummer [lacht] 712 F: Kennst den Sido in echt [zu ME]? Da Sido 713 in echt ist so wie er da ist 714 ME: Ja da Dieter Bohlen vielleicht nicht.Vielleicht 715 ist er dann im normalen Leben total liab 716 N: Ja das kann auch sein 717 ME: Ja und wenn’s dann da nach dem Skriptum 718 geht, dann ist das dann... dann muss er das 719 machen 720 F: Dann musst aber ah a bissal deppert sein 721 in der Birn wennst die absichtlich von am 722 Fernsehsender deppert darstellen last 723 ME: [schüttelt den Kopf und versinkt ihren Kopf in 724 der Hand]

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726 MO: Du sagst der muss das machen wegen dem 727 Skript. Warum, was ist der Sinn dahinter? 728 ME: I glaub das RTL, Bachelor der ane do, schaut 729 das wer? 730 N/NA: JA 731 ME: Und das ist total g‘spielt, der hat das Skrip- 732 tum... 733 F: Ganz RTL ist gespielt. Von in der Früh bis 734 am Abend ist alles gespielt. Mitten im Leben, 735 Familien im Brennpunkt, das ist alles nachge- 736 spielt. 737 ME: Das steht sogar auch, dass das gspielt ist. 738 F: Bei uns in Graz das Casting heuer für 739 DSDS. Drei Freunde von mir haben’s gsagt 740 die sind weiterkommen bei den Castings. Ja 741 gut haben’s gsagt sie kommen ins Fernsehen. 742 Kein einziger war im Fernsehen. Das waren 743 nur Deutsche die sich ausgeben haben als 744 Österreicher. 745 ME: [murmelt] Deis is a Katastrophe, a Katastro- 746 phe...[murmelt ungläubig] 747 F: [laut] Du bist a Katastrophe! 748 ME: I red net von dir, i red von RTL. Jo i hab mei 749 Meinung. Mei Mama wenn sie jetzt dasitzen 750 tät, dei tät do ziemlich oarg... a ärgere Mei- 751 nung als i haben. Mei Mama ist ziemlich arg, 752 no ärger als i. 753 MO: Also wenn ich das zusammenfasse, dann ist 754 da Sido ehrlich und da Bohlen nicht so. 755 F: Ja da Bohlen is so a geschliffener, verwöhn- 756 ter 757 N: Er glaubt er is’as 758 NE: [nickt] 759 F: Er ist durch ein gutes Elternhaus erzogen 760 worden und jetzt hat er selbst ein gutes 761 Haus. Und beim Sido ist es so, dem ist es 762 gleich gegangen wie die Leute die er jetzt un- 763 terstützt. Er ist zuerst unten gwesen, dann 764 ist er wieder rauf kommen, dann wieder un- 765 ten und jetzt ist er wieder rauf. 766 ME: Das ist egal aus welchem Elternhaus du 767 kummst. I kenn Leit... 768 F: Na es gibt andere Leute die kommen aus ei- 769 nem guten Elternhaus und san so hochnäsig 770 ME: Ja solche Leut gibt’s ah. Ah Bekannter von 771 uns, der ist Polizist, also die haben a super 772 gutes Haus do in Graz. Zwa Häuser haben’s 773 mittlerweile schon. Die leben super, also 774 super leben di wirklich. Und da Sohn? Da 775 komplette Gstörte. 776 MO: Könnte die Sendung eigentlich wer anderer 777 als Sido auch moderieren? 778 F: Bushido, aber Bushido ist Deutscher. Da 779 Nazar 780 N: Und was ist der Sido dann? 781 NE: Da Sido is a Deutscher 782 F: Na da Sido is nach Österreich gezogen. 783 MO: Und warum können’s nur die moderieren? 784 N: Na i find deis kann jeder moderieren 785 J: Weil die ah im Ghetto aufgwachsen sind 786 NA: Weil die haben das Gleiche erlebt damals. 787 F: Weil die können mitfühlen. Wenn deis da 788 Bohlen macht dann sagt a deis is scheiße 789 aber mir is scheißegal wo du herkommst. 790 Glaubst du dass der Piedro Lombardi wirk- 791 lich so deppert ist wie er im Fernsehen war? 792 Glaub i nämlich net, weil der is net... a Itali- 793 ener so dumm das geht net. 794 ME: Das hat nix mit Italiener zu tun

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796 MO: Ok, das heißt also es ist schon wichtig, dass 797 man das selber erlebt hat 798 [Alle]: Ja 799 ME: Es ist schon wichtig mitfühlen zu können. 800 Ah wenn’s da Dieter Bohlen ist. Der kann 801 trotzdem bei ana Geschichte mitfühlen. 802 Wenn da ana kommt und sagt, der hat keine 803 Eltern mehr... 804 J: So wie mit da Daniela... 805 N: Ja mit der einen 16 Jährigen da 806 ME: Der kan a mitfühlen, bin i ma sicher. 807 F: Ja er kann schon mitfühlen, aber er kann’s 808 net nachvollziehen 809 N: Es kann fast jeder machen, der schlecht auf- 810 gwachsen ist. Das muss jetzt ka Rapper sein 811 so 812 F: Schau, aber i sag jetzt zum Beispiel i hab 813 Drogen gnommen, mir is es so geil gangen, 814 gö und die ME denkt sich, die hat Drogen 815 gnommen, wie behindert ist sie? Und wenn 816 sie dann selber Drogen nimmt, dann wird 817 sie wahrscheinlich das Gleiche sagen. Waßt 818 wie geil die Welt war? 819 N: Ja schau, i find nix Schlimmes wenn jetzt a 820 Mensch Drogen nimmt. Dann waß i das der 821 Probleme hat. 822 F: [fängt laut an zu lachen] 823 ME: Oh mein Gott [schlägt sich mit der Hand auf 824 den Kopf], i geh jetzt Drogen nehmen und 825 damit erzähl ich euch allen, dass ich Proble- 826 me hab. I kumm morgen als Drogierte in die 827 Schul und dann wisst’s dass i Probleme hab 828 F: [lacht noch immer] 829 ME: Na, deine Probleme kannst du durch Reden 830 auch lösen. Deine Probleme kannst du... 831 NA: Es gibt Psychiater auch.. 832 N: Dein Vater ist gstorben wie kannst du mit 833 Problemen [Anm. wie kannst du dieses Pro- 834 blem] lösen? Sag, bitte Papa, steh wieder 835 auf… lebt er dann wieder, na! 836 J: Mit wem willst den reden wennst ka Fami- 837 lie hast. Du lebst auf da Straße, hast keine 838 Freunde, hast kein Geld. Dann redst mit am 839 Sta [Stein]. 840 N: Ja dann redet er halt mit dem Alkohol, dann 841 betrinkt er sich halt 842 J: Aso, ja [hat es akustisch nicht verstanden] mit 843 dem Alkohol. 844 F: Und Drogen? Also wenn man auf Drogen 845 ist und high halt oder betrunken ist, dann 846 führt man anfoch a anderes Leben, als die 847 Realität. Weil es is anfoch a anderes Gfühl. 848 ME: Daran is nix gut 849 J: Im ersten Moment schon 850 F: In dem Moment, in dem Moment ist es 851 schon gut 852 ME: Ja in dem Moment ist es schon gut, aber spä- 853 ter? 854 F: Ja und danach checken’s dass as Schieße ist. 855 ME: Woran is jetzt diese Witzige da, diese Whit- 856 ney Houston, an was isn dei gstorben? Die 857 Oide... 858 F: Der Alkohol is es ah.. [unverständlich] 859 ME: Ja es ist der Alkohol ah, aber war gestern, 860 haben’s zeigt was vorher war, sie war auf 861 einer Party mit ihrer Tochter, hat drogiert, 862 Alkohol und alles zusammen und... selbst 863 Schuld.. i man 864 N: Aber ihr Mann ist auch Schuld. Man hat’s eh 865 gsehen. Ihr Mann war auch Schuld, der hat’s 866 eh dauernd provoziert. 867 ME: Wenn mein Mann... was provoziert wie 868 meinst das? Jo Ende, Scheidung, Ende, 869 Tschüss geh deinen Weg. 870 N: Ja sie hat sich eh scheiden lassen 871 MO: Sag mal hört ihr eigentlich so die Musik vom 872 Sido? 873 [Alle]: Ja 874 NE: A paar Lieder 875 J: Er schreibt sein eigenes Leben in die Texte 876 rein 877 N: Emotionen san do... 878 F: I hob vom Dragan ah Lieder oben auf 879 meinem Handy. Vui viele... jo da Dragan 880 [schmunzelt] 881 ME: Dei waren scho oarg gö? 882 F: I waß net erstens er ist Kroate, zweitens i 883 find’s cool wie er um seine Mutter gesorgt 884 hat. Er selber hat net so das Problem ghabt 885 aber sei Mutter. Und er hat für sei Mutter 886 sich das Leben praktisch schwerer gmacht. I 887 find’s cool um zu zeigen, dass es besser geht 888 a für andere Menschen. Und ja, und auch 889 weil ich sein Leiberl hab [lacht auf] 890 ME: Also i bin selber Ausländer und wenn du da 891 jetzt nach Österreich kummst und so… 892 F: [unverständlich] 893 ME: Das Erste was ich ghabt hab, i wollt net. I 894 wollt schon lieber drüben bleiben und so. 895 Aber wenn deine Eltern scho vom Krieg ge- 896 flüchtet san, da erlebst du ah a Geschichte 897 mit. 898 F: Ja das war eh beim Marco dann, wie er vom 899 Krieg gflüchtet ist und 18 Jahre in - Öster 900 reich illegal war. Und wo ihm, wo er durch 901 die Band da jetzt a Aufenthaltsbewilligung 902 beantragen kann. 903 MO: I man die gründen da ja die Band. Ist das 904 jetzt eigentlich so wichtig, dass man ihr Pri- 905 vatleben so mitkriegt? Dass das so gezeigt 906 wird? 907 F: Na aber die zeigen da wie’s dem einen Teil 908 der Welt geht und wie’s dem anderen Teil 909 geht 910 MO: Der andere wird ja hier nicht gezeigt 911 ME: Es ist wichtig für die Menschen wo man das 912 jetzt nachvollziehen kann. Wenn i deis sieh, 913 denk i ma, der hat was hinter sich, der hat 914 was erlebt 915 F: Der hat das gschafft. Es gibt Leute die neh- 916 men ihn nur als Person an wenn er schon 917 was erreicht hat. 918 MO: Was meint ihr dazu? Ist das gut, dass da auch 919 ihr Leben gezeigt wird? 920 NE: I hob mei Meinung! 921 N: [zu NE] Jo dann sog sie! 922 NE: Ja zu wos! 923 MO: Man weiß recht viel über sein Privatleben. 924 Letztlich geht’s aber um die Gründung ei- 925 ner Band..Es könnte ja auch nur das Talent 926 im Vordergrund stehen. Findest du das gut 927 oder nicht so gut? 928 NE: Na 929 N: Findet du deis net gut? 930 NE: [laut] NA! 931 N: Wieso net? 932 NE: [genervt]. Na! Keine Ahnung! I wü jo ah net 933 wenn die Kamera da mei Privatleben do... 934 NA: …filmt 935 NE: Ja 936 F: Ja das kann man sich ja vorher ausmachen 937 ob man sich auf das einlässt oder nicht, 938 oder? Bevor ma... 939 NA: I tat deis net wollen wenn do in da gleichen 940 Situation wär. 941 MO: Wieso? 942 NA: Ja Privatsphäre 943 N: Du hast ja gwusst wennst ins Fernsehen 944 kommst, dass’d dran bist. Du hast as ja 945 gwusst. Es is ja net so, dass da Sido so unbe- 946 kannt ist 947 MO: Ja abgesehen davon, dass ihr nicht gefilmt 948 werdet. Wie beurteilt man sowas, wenn man 949 das sieht? 950 J: Ja es is scho interessant das zu schaun aber... 951 ME: Ja 952 F: Es ist gut zu wissen, egal aus welchen Ver- 953 hältnissen man ist, ob reich oder arm oder 954 arbeitet oder net, oder ob man ein Handi- 955 kap hat, dass es trotzdem ah Leidenschaft 956 gibt, die mehrere Menschen haben und das 957 ist die Musik. Und so zeigen sie halt wie die 958 Band zammen kommen ist. Die san alle aus 959 schweren Verhältnissen und dann haben 960 sie’s alle geschafft gemeinsam, weil’s ange- 961 packt haben und die Unterstützung ghabt 962 haben. Insofern ist es nicht schlecht, dass es 963 zeigen. Das es wissen wie die Band entstan- 964 den ist. 965 NA: Nächstes [gemeint Sequenz]? 966 MO: Ja 967 ME: Jetzt bin i gspannt welcher Drogenjunkie als 968 nächstes dran ist.

969 [3te Sequenz] 970 MO: Was ist mit ihm? 971 N: Ich find’s gut, dass er für seine Mutter, dass 972 er für sie sorgt 973 ME: Er is super, na ohne Scheiß. Er hat versucht 974 seiner Mutter zu helfen, er hat obwohl er 975 seine Ausbildung abgebrochen hat, aber er 976 arbeitet trotzdem muss man erwähnen und 977 er will anfoch seiner Mutter helfen und deis 978 is anfoch.. find i komplett ok! 979 N: Das is komplett a andere Seite 980 F: Der ane kämpft für sein Schicksal der ande- 981 re kämpft für das Schicksal seiner Leit und 982 der andere muss mit seinem Handikap ler- 983 nen umzugehen. Und da greift die erst beste 984 Chance. 985 NA: I find’s schon gut, dass er trotzdem weiter- 986 gearbeitet hat. Also i glaub i würd deis ah 987 tun, wenn mei Mutter so schwer krank wär 988 [kurze Pause] i find’s ok 989 J: Auf amal is vui leise [in Richtung ME] 990 N: [lacht] Ja genau, vielleicht fehlt ihr was

991 (4)

992 ME: Was geht’n mit eich? 993 F: Und i find es haben alle die da drin san ver- 994 dient eini zu kommen. Weil ma waß jo net 995 ob da Michi davor versucht hat die Schule 996 fertig zu machen, oder so. Is ja net g’sagt 997 worden, das waß ma net. Vielleicht wollt er 998 das anfoch net, vielleicht war ihm das zuviel 999 Privatsphäre.

1000 (3)

1001 N: Aber i find das super echt, dass er seiner 1002 Mutter hilft. Statt sein Leben.... statt in die 1003 Schule zu gehen und so, aber. 1004 F: [leise]: Aber der Dragan ist eingebildet. 1005 N: Aber ich find’s nur blöd, dass er nie die Ma- 1006 tura g’macht hat. Wenn er die hätt, dann wär 1007 schon amal was aus ihm geworden und sonst 1008 was. 1009 J: Jo sei Vater der g’hört a irgendwo hingsteckt, 1010 oida. 1011 F: Waßt wos mitn Marco ist? Mit dem war i amal 1012 gemeinsam im Jugendferienlager [lacht]

1013 (5)

1014 F: Na ja wie er gsagt hat, sie haben die Unter- 1015 stützung vom Frauenhaus kriegt, aber der 1016 geringe Platz einfach. Es besteht net immer 1017 die Möglichkeit dass er einen Platz kriegt 1018 weil wäre der Platz da g’wesen hätt’s sicher 1019 was Größeres geben für die. Aber es war 1020 halt net der Platz da. 1021 N: Aber ich find’s gut, dass es solche Einrich- 1022 tungen gibt. 1023 F: I wohn gegenüber vom Frauenhaus 1024 MO: Haben diese Jungs Potential? 1025 F: Ja, sonst würden sie nicht dort sein 1026 MO: Haben sie Chance auf eine Musikkarriere? 1027 J: Schon 1028 NA: Jo, wenn’s wollen.. 1029 J: Jo eigentlich ist es nur der Wille der zählt 1030 F: Na ja die Unterstützung zählt hoit ah. Und 1031 da Grund warum man’s macht 1032 MO: Helfen da die Shows? 1033 F: Ja 1034 J: Besser ist es auch für die anderen Leut die 1035 sehen wie’s denen geht und das Ganze 1036 F: Aber bei der Sendung ist cool g’wesen, dass 1037 der Sido versprochen hat, ah dei was es net 1038 in die Band schaffen, die unterstützt er trotz- 1039 dem weiter. Zum Beispiel der Michi wohnt 1040 jetzt bei seiner Freundin und hat einen nor- 1041 malen Alltag. Und da Klaus, dem hat der 1042 Sido g’holfen an Job zu finden mit seinem 1043 Handikap und so. 1044 MO: Woher weißt du das? 1045 F: In der letzten Sendung ist das gwesen. Und 1046 zum Schluss ist eh da Marco, da Dragan, die 1047 ..wie heißt sie... 1048 N: Aber i find da Sido hat jetzt schon was 1049 g’holfen. Find ich jetzt. Weil i glaub jetzt, 1050 dass die jetzt glauben sie singen net schlecht 1051 und so..... und dann würden sie eh schon, 1052 was... Hoffnung oder so was.

1053 (10)

1054 N: Gibt’s jetzt ah schon Frauen oder was? 1055 NE: Ja es sind drei Mädchen dazukommen 1056 F: Das ist scho fertig 1057 N: Frauenband oder was? 1058 NE: Nein, drei Hawis und... 1059 N: Und die rappen da auch? 1060 NE: [nickt] 1061 F: I hab eh a Lied am Handy soll ich’s abspie- 1062 len? 1063 MO: [lacht] nachher vielleicht. Aber wo hast du 1064 die gesehen hast du gesagt, Shopping Nord? 1065 F: Ja am Samstag 1066 MO: War Sido auch dabei? 1067 F: [schüttelt den Kopf]. Aber der Manager vom 1068 Sido ist ja die geilste Schwuchtel [lacht]. 1069 NE: Wer ist jetzt überhaupt der Manager? 1070 F: Der ane Schwule da 1071 NE: Aso 1072 F: Das ist in Echt auch sein Manager, aber der 1073 war net dabei, Shopping Nord, da waren ein- 1074 fach nur so Security Leute normale [zuckt 1075 die Achseln]. Die san halt so am Tisch gses- 1076 sen und haben Unterschriften geben. 1077 MO: Um was geht’s denn eigentlich bei den Rap 1078 Texten [Anmerkung: Assoziation durch Ma- 1079 nager und die oft frauenfeindlichen und homo- 1080 phoben Inhalte] 1081 F: Um’s Leben. Um die Vergangenheit. Zum 1082 Beispiel statt Drogen um die Vergangheit zu 1083 [?] und Musik zu spielen. Dass man die Leu- 1084 te aufmerksam macht, dass die Eltern zum 1085 Beispiel aufpassen, dass ihre Kinder nicht in 1086 so eine Phase rutschen

1087 (5)

1088 N: I find’s super, dass es sowas gibt. 1089 F: Aber i glaub im Heim wohnen ist ah net 1090 grad das Angenehmste 1091 NA: Jo, besser als auf da Straßn 1092 F: Ja ich glaub in am Heim das ist schon ziem- 1093 lich arg kontrolliert. Zum Beispiel in da 1094 [Hip] da hast net amal 5 Minuten allan aufs 1095 Klo gehen können, dass net irgendein Be- 1096 treuer gangen ist und dich sucht. 1097 MO: Weil ME vorhin gsagt hat, Michi wartet bis 1098 da Sido zu ihm kommt. Wie ist er eigentlich 1099 in die Sendung gekommen 1100 F: Er hat dem Sido a Bewerbung g’schrieben 1101 für das Projekt.

1102 [bis dahin hat ME die ganze Zeit über starr in die Luft geschaut und sich nicht beteiligt]

1103 ME: Jo das ist ma ah scho klar g’wesen, aber i 1104 kann net warten... 1105 F: Ja und dann hat er g’sehen, dass der Sido sei 1106 letzte Chance ist und er hat die Chance er- 1107 griffen. 1108 ME: Sei letzte Chance ist immer no net da Sido. 1109 Wie alt ist er 1110 NE: 18 oder? 1111 ME: Er kann seinen Abschluss no immer nach- 1112 holen 1113 N: Ja immer 1114 ME: Er kann no immer was werden 1115 F: Hat er jetzt eh durchn Sido 1116 ME: Ja durchn Sido. Er hätt’s allan ah machen 1117 können. 1118 NE: Ist er net gangen dann? 1119 F: Ja er ist gangen, aber er wohnt jetzt bei sei- 1120 ner Freundin und macht den Schulabschluss 1121 nach. 1122 ME: Ja das hätt er vorher ah machen können, wär 1123 auch ka Problem g’wesen. 1124 N: Aber i find’s traurig wenn man die Schule 1125 net gmacht hat. Mindestens die neun Jah- 1126 re kann man in die Schule gehen und dann 1127 kannst machen was’d willst. Ah net was du 1128 willst aber... 1129 F: Aber neun Jahre ohne Unterstützung als 1130 Kanaker für die Lehrer ohne Familie ohne 1131 irgendwas. 1132 N: Ja das ist ah blöd 1133 F: kann ah net sein 1134 N: Es ist überhaupt blöd wenn deine Eltern 1135 nicht an dich glauben oder wenn ein Eltern- 1136 teil fehlt 1137 ME: Du lebst nicht das Leben von deinen Eltern 1138 und deine Eltern leben nicht das Leben von 1139 dir 1140 F: Ja und was macht der Dragan? Er lebt sein 1141 Leben für seine Eltern 1142 ME: Ja das ist ok 1143 F: Ja.. 1144 ME: Ja er würd jetzt auch nicht in Depressionen 1145 fallen, weil sein Vater hat ihn auch geschla- 1146 gen und jetzt fällt er ah net in Depressionen. 1147 F: Weil er stark genug war 1148 ME: Ja genau 1149 F: Ja es ist aber net jeder gleich stark 1150 ME: Na es san die Drogendealer [unverständlich] 1151 [spöttisch] 1152 F: Das hab i net gsagt, das hast du gsagt. Aber 1153 wenn du manst, dass du immer Recht hast 1154 dann bitteschön. 1155 ME: I waß soviel... du hast sicher irgendwas im 1156 Hirn um zu sagen, na i hab a Selbstbewusst- 1157 sein, wieso sollt ich jetzt die Drogen neh- 1158 men? Na net einfach, die Welt ist Scheiße. 1159 F: Schau mal wieviele Leute bei uns in der Schu- 1160 le rauchen. Die werden alle irgendwo Grund 1161 haben. Irgendwo daham Probleme, die man 1162 net gern in die Öffentlichkeit bringt. 1163 N: Das stimmt schon aber... Das stimmt schon 1164 wirkli. Man macht das glaub ich aus Frust 1165 oder aus... 1166 J: Das Gleiche ist mitn Ritzen ah 1167 F: [zu ME] Du hast ja ah amal gritzt und war- 1168 um? Weil du deprimiert warst und kan Aus- 1169 weg gfunden hast. 1170 ME: Aus Fehlern lernt man 1171 N/F: Ja 1172 F: Ja und er will jetzt lernen! Durchn Sido, mitn 1173 Sido seiner Nachhilfe. 1174 ME: Jo jetzt is es zu spät. I wart a amal bis da Sido 1175 kummt und mi irgendwo aufi ziagt. 1176 NE: [lacht] Du musst di scho bewerben. 1177 F: Du willst jetzt echt warten bis wir alle sagen 1178 du hast jetzt Recht, ME 1179 ME: Na, i hab mei eigene Meinung. Du darfst da 1180 dei Meinung selber bilden. I hab meine Mei- 1181 nung 1182 F: [laut] Ja dann sprich net gegen meine 1183 ME: I sprich ja net gegen deine. Deis schau i ma 1184 an 1185 MO: Also ihr kennt die Typen ja alle. Geht’s de- 1186 nen allen gleich schlecht? 1187 N: Es geht fast jeden gleich schlecht 1188 F: Es geht net jeden gleich schlecht, aber sie 1189 kämpfen alle für ein Ziel.

1190 (10) 1191 N: Denen muss man wirklich helfen, egal ob 1192 man sie jetzt zwingen kann oder nicht. Man 1193 sollte jetzt keine Vorurteile gegenüber an- 1194 deren machen nur weil sie Drogen nehmen, 1195 oder sonst was 1196 ME: [stöhnt und dreht die Augen über] 1197 F: Das ist das Gleiche wie mitn Rassismus 1198 N: Ja, es gibt einen Grund 1199 MO: Ja jeder hat so seine Probleme. Ihr habt vor- 1200 hin gesagt, damit mag man auch nicht an die 1201 Öffentlichkeit gehen. Wann macht’s denn 1202 Sinn? 1203 F: Indem sie wissen, dass es mehrere Leut gibt, 1204 die in ana ähnlichen Situation sind. In der sie 1205 anfoch beweisen, dass sie es schaffen kön- 1206 nen aus ihrem Leben... ah wenn’s ihnen so 1207 scheiße geht. Mit am Ziel vor Augen geht 1208 ois.

1209 (20)

1210 ME: Genau deis was i gsogt hab. Mit am Ziel ... 1211 sie hot’s wortwörtlich gsogt. Genau deis hab 1212 i gmant. Hätt er a Ziel ghabt sei Schul fertig 1213 zu machen, geht alles. 1214 F: Aber wenn’s Leute gibt, die net an dei Ziel 1215 glauben dann, die net glauben an dich, dass 1216 du es schaffen kannst verlierst ah die Kraft. 1217 N: Genau, das stimmt aber schon 1218 F: Kannst dich noch erinnern wo i so gstrebert 1219 hab vor längerer Zeit, damit i nach Salzburg 1220 ziehen kann? Kannst dich noch erinnern? 1221 Am Anfang des Semesters hab ich voll ei- 1222 nigstrebert 1223 ME: Ja kann sein 1224 F: Ja und dann hab i aber kan Grund mehr 1225 ghabt weil die Beziehung zu der Person net 1226 mehr da war, worum ich dort hin wollte. 1227 Und jetzt auf einmal ist sie wieder da und 1228 jetzt kämpf i wieder weiter. 1229 J: Wolltest du net wegen deim Bruder? 1230 F: Ja, deis war a Ausrede 1231 MO: Gibt’s nun auch was in der Sendung das ihr 1232 nicht so ok findet? 1233 N: I find es net so ok, dass sie da zeigt haben, 1234 bei dem ersten Video, dass seine Eltern be- 1235 trunken waren, das find i net ok 1236 NA: I ah net 1237 N: Dass jeder sieht wie... 1238 NE: Ja und wie man g’sehen hat er wollt’s ja auch 1239 net, weil... 1240 N: Er hat sich ja gschämt dafür 1241 J: Deis wär gut g’wesen wenn’s das unten vor 1242 seiner Wohnung deis gfilmt hätten, also mit 1243 eam allan 1244 N: Und dass da Sido dann gsagt hat, ja die Frau 1245 hat mi ja schon angschrien vorher und so.. also 1246 würd i net sagen, aber...

1247 (10)

1248 MO: Wie ist das bei euch, könnt ihr euch vorstel- 1249 len bei einer Castingshow mitzumachen? 1250 NA/NE/N: Na 1251 N: I bin froh, dass i so a Leben hab, dass i in die 1252 Schul gehen kann. 1253 NA: Normal und keine Kameras nix 1254 F: Kommt drauf an wenn’s die letzte Möglich- 1255 keit ist.. 1256 NA: Ja dann schon 1257 MO: Na ja es gibt ja viele verschiedene Casting- 1258 shows 1259 N: Ja man muss ein Talent haben erstens, 1260 damit’s d‘ überhaupt zu einem Casting gehst. 1261 MO: Und wenn’s irgendwer macht den ihr kennt? 1262 NE: Jo wenn der deis wü 1263 F: I würd den unterstützen 1264 NA: I ah 1265 N: Er kann’s ja wenigstens ausprobieren, das 1266 kostet ja nix, so 1267 F: Bei da Großen Chance, da war ja ah so ana 1268 dabei der hat mitn Sido auch gemeinsam ge- 1269 rapt g’habt und der war ah do von Graz, der 1270 ist öfters (?) und den haben’s ah alle unter- 1271 stützt, ah wenn er’s net gschafft hat. 1272 ME: Wer war das? 1273 F: I waß net wie er haßt. Guter Freund vom 1274 Marvin, den kenn i net.

1275 MO wird gefragt ob sie in einer Castingshow auftreten möchte.

1276 F: Die Castingshows die i überhaupt net mag 1277 sind, wenn sie bei diesen Modelcastings ir- 1278 gendso einer dünnen Alten sagen, sie ist zu 1279 fett dafür. Das versteh i net. Die werde nur 1280 magersüchtig und krank. 1281 J: Das is jo scho schiach oida 1282 F: Ja das ist echt schiach, i find deis anfoch nur 1283 mehr schiach. Weil die meisten Leute die 1284 sich das kaufen, san jo ah net so dünn, dass 1285 sie da genau einipassen. Warum kann man 1286 da net verschiedene Körpermaße präsentie- 1287 ren. 1288 J: Es hat eh schon so amal [unverständlich] a 1289 Castingshow für dickere Leit. 1290 MO: Wenn ich’s richtig verstanden habe, dann 1291 gibt es Castingshows die weniger gut sind 1292 für die Teilnehmer, aber es gibt auch welche 1293 die für sie gut sind. 1294 NA: Ja da gibt’s schon die die helfen und…

1295 [allgemeine Zustimmung]

1296 MO: Habt ihr eigentlich auch das Ende der Sen- 1297 dung gesehen? 1298 N: Was passiert den am Schluss? 1299 F: In der Hälfte von der Serie san’s hoit in a 1300 Band kumman und dann zum Schluss 1301 hoben’s no amal so zeigt wie das Leben 1302 nach der Entscheidung gwesen ist. Dass da 1303 Marco jetzt ah so zu 98% ah Aufenthalts- 1304 bewilligung kriegt hat und dass sie jetzt halt 1305 für ah weiteres Ziel ankämpfen aber diesmal 1306 zusammen und nicht gegeneinander. Und 1307 am 27. oder 24. is eh im Fernsehen deis, der 1308 Vorentscheid. 1309 MO: Habt ihr in der Sendung überhaupt einen 1310 Favoriten g’habt? 1311 ME: Ja den Dragan. Der war für mi bis jetzt der 1312 Normalste. Der hat das wirklich verdient. Er 1313 kämpft wirkli um was 1314 F: I find das hat jeder verdient 1315 MO: Hast du einen Favoriten g’habt? 1316 F: I hab den Dragan und den Marco ghabt 1317 ME: [lacht] Jo do san ma einer Meinung 1318 NE: Na i hob gar kan g’hobt 1319 NA: I ah net 1320 N: Ja i man es hat jeder was Schlimmes… 1321 ME: Also für mi hat’s net jeder verdient 1322 F: [zu ME zeigt auf’s Handy] Schau i hab a gan- 1323 zes Album nur Dragan [lacht] 1324 ME: Verdienen ist scho wirkli was... Er hat’s in 1325 erster Linie ah für mi verdient nur weil er... 1326 [redet nicht zu Ende... F ruft laut ZICKE] 1327 MO: Hat sich da nun schon was geändert? Sind 1328 die in euren Augen schon Stars?

1329 (Allgemeine Verneinung)

1330 ME: Im Endeffekt müssen’s kane Stars werden. 1331 N: Das sind ganz normale Menschen 1332 F: Ich bin ja dort hingangen um zu zeigen, dass 1333 Leute an sie glauben, dass sie das gschafft 1334 haben. Die stolz auf sie sind, dass sie das 1335 gschafft haben und weitergehen wollen. Aus 1336 dem anzigen Grund bin i dort hingangen. 1337 Und weil i ma dacht hab, wenn’s jetzt den 1338 Eurovision Son Contest gwinnen, werden’s 1339 vielleicht berühmt ah und dann kennen’s 1340 mehr Leut und dann kann i sagen i hab sie 1341 schon davor kannt, und so.. 1342 MO: Hast du mit denen da auch reden können? 1343 F: Ja, es is so a Tisch gwesen und da ist jeder so 1344 nach der Reihe so aufi gangen. Und dann... i 1345 kenn den Marco und den Dragan, mit denen 1346 hab ich schon auf Facebook scho gschrie- 1347 ben g’habt seit der ersten Folge. I war mit 1348 denen befreundet. Da Marco kennt an guten 1349 Freund von mir und so war er halt befreun- 1350 det. Da Marco hat gwusst, dass ich den Dra- 1351 gan hübsch find und so. Und dann hat ma da 1352 Dragan sein Leiberl gschenkt an dem Tag. 1353 Und dann san die ganzen Weiber ausgrastet 1354 [lacht] 1355 MO: Bist du richtig befreundet mit ihm auf Face- 1356 book oder bist du Freundin seiner Fanpage? 1357 F: Befreundet wirklich.

1358 [Pause, reden belangloses]

1359 ME: Allan schon bei DSDS die Juroren. 1360 F: Da Bruce ist da Beste

1361 [Allgemeine Zustimmung]

1362 ME: Dei san für mi ah a bissi witzig. I würd mi 1363 selber auslachen, wenn i da sitzen tät und 1364 irgendwas, so net was mei eigene Meinung 1365 sondern die Meinung von RTL jetzt da er- 1366 zählen müsst. I würd ma selber a bissi dumm 1367 vorkommen. 1368 MO: Wie funktioniert denn das eigentlich? 1369 ME: I glaub das funktioniert so, dass die so ah 1370 Skriptum von RTL kriegen 1371 F: Schau, zerst fahren die so auf cool und rein 1372 natürlich durch die Städte mit so am großen 1373 Bus und sagen es gibt ah Casting. Dann ge- 1374 hen die Leute dorthin und stellen sich dort 1375 vor und da ist net da Dieter Bohlen drinnen 1376 sondern so Regisseure drinnen und die ge- 1377 ben denen die gut sind praktisch so an Text 1378 zum Lernen bis sie... 1379 ME: Ins Fernsehen kumman 1380 F: Und deis is alles! Und wenn sie rausgehen aus 1381 dem Wagon und sagen, Ja ich hab’s gschafft 1382 dann mit sa am Papier in der Hand, dann ist 1383 da drin eigentlich nur die Textvorgabe und 1384 net so irgendwas Du hast’s geschafft du bist 1385 im Recall und sowas. Da steht nur da Text 1386 drinnen den sie das nächste Mal sagen müs- 1387 sen 1388 MO: War das immer schon so? 1389 F: Ja heuer bei uns in Graz war es so. Drei Wei- 1390 ber vom Funtastic, das ist so a Jugendtreff, 1391 die waren zum Beispiel dabei und haben 1392 alle so an Zettel kriegt und haben gsagt, Du 1393 musst deis auswendig lernen und wir melden 1394 uns wenn du’s wirklich geschafft hast, wenn 1395 du passt für die Fernsehserie. 1396 MO: Also von Graz gibt’s da auch Leute die da 1397 hingehen? 1398 F: Ja dieser Partyboy (?) und so.. 1399 ME: Den tät i daschissn, den tät i ins LSF schi- 1400 cken

1401 (Alle reden wild durcheinander)

1402 F: [Anfang unverständlich] Die Deutschen 1403 machen das mit Absicht. Die Österreicher 1404 stehen jetzt bei den Deutschen wie die Voll- 1405 deppen da, weil da haben’s nur kranke Leute. 1406 ME: DSDS is scho. Anfoch nur wie a Film der 1407 anfoch gspüt wird. Anfoch so 1408 N: Ja aber es blamieren sich auch sehr viele 1409 Leute dort muss ich schon sagen. 1410 ME: Ja schon aber, deis 1411 N: Deis geht aber net mit diesem, weil deis 1412 kannst net... 1413 ME: Täten’s wirklich alles zeigen was auf den 1414 Malidiven ist waßt eh wie lang das dauern 1415 tät. Überhaupt, DSDS, da könnt ma i waß 1416 net wie lang schauen. 1417 N: Ja, aber die kürzen fast immer alle 1418 ME: Die kürzen ja, aber.... [F fällt ins Wort] 1419 F: I find heutzutage singen die klaneren Kinder 1420 die beim Super Talent dabei sind, meistens 1421 besser als die Großen. 1422 NE: Jo aber die san jo no zu jung

1423 [leise Zustimmung]

1424 N: Wennst mit 16 kommst dann sagen sie ..[ME 1425 fällt ins Wort] 1426 ME: Die ane war so arrogant bei Das Super Ta- 1427 lent. I wollt ihrer... i waß net. 1428 F: Ja z.B. beim Super Talent die Vanessa, so a 1429 klanes Kind, waßt eh so süß die hat so gut 1430 singen können, und jetzt bei DSDS sie ist 1431 so arrogant sie glaubt sie ist es und so, ob- 1432 wohl... dabei haben die ja das so gmacht, da 1433 Dieter Bohlen ist selber Schuld 1434 J: Wer? 1435 F: Vanessa Krasnici 1436 NA: Die war amal beim Super Talent 1437 N/J: Aso die Blonde? 1438 [Kollektiv außer N]: Na 1439 NA: Und die ist jetzt no amal zu DSDS kommen 1440 weil sie’s net gschafft hat, also weitergschafft 1441 hat amal. 1442 F: Sie ist zweiter worden a Mal 1443 N: Also mein Favorit bei das Super Talent war 1444 der ane Junge da auf dem Klavier. 1445 F: Der hat gleich gut gspielt wie der Punker 1446 ME: Der Punker war sowieso scheiße, von sich 1447 aus. 1448 N: Ja und der eine wie heißt’n das ane da ..[Pan- 1449 flöte] 1450 ME: Ja was isn deis für a Talent, das kann man 1451 lernen ah 1452 N: Ja deis is ka Talent für mi 1453 ME: Alles was man lernen, so richtig ah lernen 1454 kann ist ka Talent für mi.. singen [schüttelt 1455 leicht den Kopf] 1456 F: Aber es kann ma kana erzählen,dass a Drei- 1457 jähriger von seiner Geburt an g‘lernt hat zu 1458 spielen wie Mozart 1459 N: Ja Klavier... und deis find i so süß mit seinem 1460 Kuscheltier 1461 ME: Deis is a Talent. Aber Singen. Wenn man 1462 zum Super Talent kommt und singt, dann 1463 denk i ma für was gibt’s DSDS? 1464 MO: Was machen diese Sendungen so cool? 1465 J: Jo die Leit, wos sie dissen, deis is schon wit- 1466 zig. 1467 N: Jo die Leit san so witzig, 1468 MO: Ok die Leute sind also witzig. Spielen die das 1469 jetzt oder nicht? 1470 N: I glaub net 1471 ME: Also die Persönlichkeiten so richtig spielen 1472 net. Deis was sie dann vielleicht vor der Jury 1473 sagen.. 1474 F: ...wie sie die Persönlichlkeit auch darstel- 1475 len, glaub ich schon. Zum Beispiel wer ist 1476 so dumm und stellt in ana Castingshow so 1477 a fette Schwuchtel mit rote Haare ein, die 1478 überhaupt net singen kann und einfach nur 1479 fett ist und rote Haare hat. Einfach nur um 1480 die Show interessant zu machen. 1481 ME/ NE: [lacht] 1482 F: Um neugierig zu machen, kann der das jetzt 1483 oder net, is deis irgend a Schwuchtel oder 1484 so. I zum Beispiel i schau DSDS eigentlich 1485 net. I hab die ganze Zeit so herumgschalten 1486 und auf einmal is da diese fette Schwuchtel 1487 drinnen und i denk ma oha was ist deis und 1488 bleib stehn und schau das. Das san einfach 1489 solche ane Hingucker! 1490 ME: Da Bachelor, der zum Beispiel 1491 J: Der is schiach, der is schwul

1492 [Allgemeines Gemurmel und kleinlaute Zustimmung]

1493 ME: Der is überhaupt net schiach, der is total 1494 hübsch oida, was habt’s denn schon wieder?

1495 [unverständliches Durcheinander]

1496 ME: Der hat im echten Leben a Freundin und 1497 RTL kann net sagen, der Bachelor ist 1498 g’storben und deswegen spielt er des und am 1499 Ende wird eh die Sissy die Gewinnerin sein. 1500 N: Na hoff ma’s net 1501 ME: Weil die Katja und die Anja glaub ich gehn 1502 jetzt. 1503 J: Und was ist mit der der Chinesin der witzi- 1504 gen? 1505 ME: Die is vui behindert oida. Ja die hat Störun- 1506 gen. Sie bringt eam Kekse mit und sagt find’s 1507 heraus, oida. 1508 N: Also i find den Bachelor am besten von den 1509 dreien. I schau das immer 1510 ME: I schau das ah immer, weil i schau das to- 1511 tal gern mit meiner Mama. Weil mit ihra ist 1512 das so witzig, da kannst di nur abhauen. Weil 1513 mei Mama ist echt total witzig 1514 F: I find im Moment übertreiben sie’s sowieso 1515 mit den ganzen Castingshows. Da kommt 1516 ma net amal mehr zammen was man schau- 1517 en soll. 1518 ME: Aber du im Fernsehen da is eh fast [betont] 1519 alles übertrieben. Die ganzen Filme, anfoch 1520 Fernsehen. 1521 F: Das Deppertste ist ja, das jeder... dass mit 1522 2012 die Welt untergeht. So dumme Leut 1523 muss es geben die dran glauben an einen 1524 depperten Film und irgendwelche Leute die 1525 was da arbeiten und die was solche Voraus- 1526 sagen machen haben wahrscheinlich auch zu 1527 viel Film gschaut. 1528 J: Das hängt mit dem Majakalender zusam- 1529 men, das ist das Einzige. Weil der Majaka- 1530 lender am 31 Dezember aus ist. Das hat mit 1531 dem nichts zu tun. 1532 F: Ja und! Dann erfind ma halt an neuen. Mach 1533 ma halt was anderes. 1534 N: Wie 2000 angfangen hat haben sie ja auch 1535 gsagt, dass die Welt untergeht.

1536 [kleiner Exkurs über den Weltuntergang]

1537 ME: [steigt von sich aus wieder ein] Also ehrlich 1538 gsagt, i schau die Castingshows wirklich gern 1539 mit meiner Mama weil mir ah langweilig ist. 1540 Ohne Scheiß, jetzt... 1541 F: Na i schau a Castingshows wo i die Jury und 1542 so ah mag. Also zum Beispiel Heidi Klum 1543 und so, Lena Gercke und Sido und solche 1544 Sachen schau ich gern. Wo jemand dabei ist 1545 und mich selber inspiriert oder so, der mir 1546 selber an Ruck geben hat in meinem Leben 1547 ME: I schau DSDS weil mi da Bruce inspiriert 1548 [lacht] 1549 NE: Ja da Bruce [lacht] 1550 ME: Er versucht ja Leuten auch zu helfen und 1551 das find ich gut.

1552 [F wiederholt Bruces Sprüche: ‚Believe, wenn du fest an dich glaubst‘]

1553 [alle lachen] 1554 N: Believe, ich find das so witzig, was heißt das 1555 überhaupt?

1556 [allgemeines Durcheinander]

1557 MO: Also sie inspirieren. Wie nimmt man dann 1558 die Kritik wahr? 1559 F: Die Kritik nimmt man dann gerne an. Es 1560 gibt so [unverständlich] aber so ohne Ge- 1561 fühl, so du hast das und du hast das schlecht 1562 gemacht und so und es gibt aber auch wo 1563 man sagt, ich helf ’ dir jetzt das zu verbes- 1564 sern und das find ich ganz ok und so. 1565 N: Also Castingshows find ich schon cool weil 1566 da blamieren sich voll viele Leute 1567 J: Stimmt N zu [nicht gut verständlich aber 1568 nennt ein Beispiel wie sich jemand blamiert, 1569 und verweist dann auf eine Comedysendung] 1570 MO: Daraufhin die Frage ob die, wenn sie sich 1571 bei Castingshows blamieren nur eine Rolle 1572 spielen. 1573 N: Na also bei DSDS da war einer der hat ah 1574 scheiß Kindheit ghabt, ist von der Mutter 1575 gschlagen worden und das Ganze, hat seine 1576 Ausbildung abgebrochen [??] und war dann 1577 bei DSDS und die haben ihm ganz normal a 1578 Chance geben, dass er das machen kann. 1579 F: Aber bei Super Talent merkt man zum Bei- 1580 spiel, die erste Show beim Casting da tun’s 1581 alle so natürlich und normal und ab der 1582 zweiten Show wo die dann das Sagen über 1583 die haben merkt man, dass die so aufge- 1584 motzt und gespielt sind. Wenn man so im 1585 Internet zum Beispiel schaut von Amerika 1586 oder so, erste Sendung ganz gut da singens 1587 Acapella und so und dann bei der zweiten 1588 Show, voll Elektro und gschminkt mit Ma- 1589 keup Haare gestylt, Gwand ausgsucht alles, 1590 das ist dann schon wieder g’spielt find i. In 1591 der Schule gibt’s a genug Leute die spielen. 1592 ME: In der Schul gibt’s Leute die g’hören net in 1593 ah Schul. 1594 F: Na in der Schul da gibt’s Leut die ziehen sich 1595 so an damit’s anderen Leuten gefallen und 1596 verhalten sich so damit’s aufgnommen wer- 1597 den 1598 N: Also ich persönlich finde das Scheiße. Wenn 1599 ich was will dann nimm ich da. Das ist mein 1600 Leben da kann ich machen was ich will und 1601 so. Und wenn jemand zu mir sagt i bin Schei- 1602 ße, ja dann bin ich’s halt. 1603 ME: Ma soll sich im Leben net unterkriegen las- 1604 sen und schaun, dass ma auf den richtigen 1605 Weg kommt. Ah wenn man z.B. Probleme 1606 hat. I hab ja ah Probleme, jeder hat Proble- 1607 me. Ma kann jetzt net sagen i geh jetzt Dro- 1608 gen nehmen, deis find i net ok.

1609 [Bedanken, beantworten organisatorischer Fragen, Ende]