Das System Castingshow
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forschung 44 25/2012/1 Margreth Lünenborg/Claudia Töpper Das System Castingshow Provokationen und Skandale als ökonomisches und ästhetisches Prinzip von Castingshows In einer Studie untersuchten die eingegriffen wird« (Keppler 1994, en, ihrem Alltag und Skandalen die Autorinnen, wie Provokationen S. 8 f.). Formate dieser Art geben ein Emotionen der ZuschauerInnen (vgl. und Skandalisierungen in Casting- Versprechen auf authentische Dar- ebd.). shows realisiert werden und wie stellungen, bewegen sich jedoch »im Spezifische Formen der Inszenierung Jugendliche und junge Erwach- Spannungsfeld zwischen Authentizi- wie Stereotypisierung, Intimisierung sene derartige Grenzverletzungen tät und Inszenierung, zwischen Re- oder Polarisierung lassen den Alltag wahrnehmen und darauf reagieren. alität und Fiktion. Sie möchten den der KandidatInnen interessanter er- Schein von Authentizität aufrechter- scheinen. Indem sie bestimmte The- halten, während sie tatsächlich Rea- men aus dem Bereich des Privaten eutiges Reality-TV ist lität inszenieren« (Klaus/Lücke 2003, ansprechen und »aufdecken«, sind sie gekenn zeichnet durch »a va- S. 205). jedoch immer zugleich auch Skanda- Hriety of specialized formats Die Vermischung unterschiedlicher lisierungsstrategien. and subgenres« (Murray/Ouellette Darstellungsebenen basiert auf ei- Vor allem das werbefinanzierte 2004, S. 3), zu denen auch die Cas- nem (kalkulierten) Prinzip der Hy- Fernsehen lebt von der öffentlichen tingshows zählen. bridisierung, indem in Castingshows Aufmerksamkeit und versucht, diese Castingshows lassen sich dem perfor- unterschiedliche Bezüge zu Comedy- durch Darstellung von Normabwei- mativen Realitätsfernsehen zuordnen. Sendungen, Soaps und dem Musik- chungen zu erzeugen. Grenzüber- Im Gegensatz zum narrativen Reality- fernsehen hergestellt werden, um ein schreitungen sind dementsprechend TV handelt es sich bei Formaten die- möglichst breites, heterogenes Publi- regelmäßige Bestandteile der Cas- ser Art nicht um fiktive Erzählungen kum anzusprechen. Dabei sorgen vor tingshows. Mittels eines Verspre- mit professionellen DarstellerInnen, allem Elemente der Soap-Opera für chens auf authentische Darstellun- sondern »um Unterhaltungssendun- Spannung, Dramatik und Emotiona- gen wird das Fernsehpublikum da- gen, die sich zur Bühne herausgeho- lität. In Castingshows treten nicht nur bei zum voyeuristischen Beobachter bener Aktionen machen, mit denen die KandidatInnen mit ihren künst- moralischer Grenzverletzungen. Aus gleichwohl direkt oder konkret in die lerischen Darbietungen in Erschei- medienpädagogischer Sicht werden Alltagswirklichkeit der Menschen nung, sondern auch ihre Konflikte, ihr dabei insbesondere die verschiedenen persönliches Umfeld und Formen der Abwertung und Erniedri- ihre Entwicklung werden gung der TeilnehmerInnen in Casting- thematisiert. Dabei werden shows kritisiert (Abb. 1). Mit Blick drehbuchartig Geschich- auf das Publikum werden polarisie- ten von Aufstieg und Fall rende und »verzerrte« Vorstellungen erzählt, bei denen der Rea- von Wirklichkeit kritisiert, bei denen Deutschland sucht den litätsbezug nicht eindeutig ethisch problematische Botschaften vom 28.01.2009 © RTL verortet werden kann (vgl. als scheinbar authentische Realität Kurotschka 2007). Die Ak- vermittelt werden (vgl. Mikat 2012, teure der Sendungen wer- S. 44). Superstar Screenshot aus den wie Figuren einer Serie Doch trotz bislang vorliegender Er- Abb. 1: Erniedrigende Darstellungen und Kommentare, z. B. über Kleidung und Figur, sind Teil des »Systems crossmedial vermarktet und kenntnisse ist nach wie vor offen, ob Castingshow« binden mit ihren Biografi- und falls ja, wie Jugendliche mit un- forschung 25/2012/1 45 eindeutigen Konstruktio- tung in der Boulevardpres- nen von Realität und Fikti- se strategisch optimiert. on im Fernsehen umgehen. Die simulierte Provokation Ob und wie sie problema- war damit nicht auf Ver- tische Inhalte aus Reality- störung angelegt, sondern TV-Sendungen in ihren Deutschland sucht den diente der Unterhaltung realen Alltag übernehmen, und dem ästhetischen Prin- ist ebenfalls bislang nicht vom 18.04.2009 © RTL zip der Sendung. Obwohl hinreichend geklärt. Im Aktaufnahmen in der Öf- Superstar Rahmen einer Studie der Screenshot aus fentlichkeit kaum mehr als Autorinnen wurde daher Abb. 2: Annemarie Eilfeld wird in der Sendung DSDS als frei- nennenswerter Tabubruch zügige Intrigantin inszeniert und von Juror Dieter Bohlen als anhand von Inhaltsanaly- »Everybody’s Arschloch« und »Bitch« beschimpft wahrgenommen werden sen, Fallstudien, Gruppen- dürften, wurden die Auf- diskussionen, Werbezeitanalysen und KandidatInnen in Opposition gesetzt nahmen von Annemarie Eilfeld als ExpertInnenbefragungen untersucht, wurde. Anhand der Inszenierung klas- Normverstoß verhandelt. Ein/e Teil- wie Provokationen im Rahmen der sischer Antagonistenkonflikte, wie sie nehmerIn von Deutschland sucht den Sendungen und der Berichterstattung auch aus Soap-Operas bekannt sind, Superstar sollte demnach einen Sieg in der Presse sprachlich und visuell erschienen auf der einen Seite Anne- nicht durch den Einsatz sexueller realisiert werden und wie sich Ju- marie Eilfeld als selbstbewusste und Reize erreichen. Ein Verstoß gegen gendliche und junge Erwachsene zur ehrgeizige Intrigantin, die für einen die festgelegten Werte hatte automa- ethischen Zulässigkeit von Grenz- Sieg alles tun würde, und auf der an- tisch die Diskreditierung oder sogar verletzungen (z. B. verbale Erniedri- deren Seite integre KandidatInnen, Bestrafung der betreffenden Person gungen, Ausstellung von Nacktheit, die allein mit ihrem gesanglichen zur Folge, wie vor allem die Beur- Darstellung von Intimität) in Cas- Talent überzeugen wollten. Sowohl teilungen des Jurors Dieter Bohlen tingshows verhalten.1 Im Folgenden in den Boulevardmedien als auch im zeigten, der Annemarie Eilfeld in der stellen wir Ergebnisse der qualita- Rahmen der Sendung selbst wurde dritten Mottoshow als »Everybody’s tiven Fallstudie zur Castingshow vor allem Annemarie Eilfelds frei- Arschloch« (DSDS vom 21.03.2009) Deutschland sucht den Superstar zügiger Umgang mit Nacktheit und und in der sechsten Mottoshow am (DSDS) aus dem Jahr 2009 und aus- mit ihrem Körper sowie ihr geschäfts- 18.04.2009 als »Bitch« beschimpf- gewählte Ergebnisse der Gruppen- tüchtiges Auftreten in der Presse be- te. Ihre offensiv zur Schau gestellte, diskussionen mit Jugendlichen und wertet. Dieses Verhalten wurde in potente Weiblichkeit bedrohte die Erwachsenen vor. Opposition gestellt zu den von der Macht der Jury sowie die Macht der Sendung in Anspruch genommenen Sendungsregie und musste deshalb Werten wie Fairness, Ehrlichkeit und im Format scheitern. Dieses knappe Ergebnisse Talent. Beispiel zeigt, dass durch Erzählstra- Provokation und Skandale als Die erotisierende und sexualisierte tegien der Soap-Opera und unange- ästhetisches Prinzip Inszenierung Annemarie Eilfelds messene sprachliche Äußerungen der Das Beispiel DSDS durch die Senderegie bot für die Jurymitglieder fortlaufend neue Kon- Mit der polarisierenden Darstellung Personenentwicklung in der Staffel flikte inszeniert wurden, die bewusst der Kandidatin Annemarie Eilfeld und die begleitende Berichterstattung öffentliche Kritik evozieren sollten (Abb. 2) gelang es dem Sender RTL den Ausgangspunkt, um kommunika- und der Inszenierung von Skanda- im Jahr 2009, eine massive medien- tiv den Eindruck eines Skandals zu len dienten. Durch die vielschichtige öffentliche Auseinandersetzung zu erzeugen, der in der Realität keine Bezugnahme und Vernetzung wurde initiieren, die vor allem durch die Entsprechung hatte. Aktaufnahmen ein intermedial diskursives Feld um Bild-Zeitung gesteuert wurde. Mit- der Kandidatin wurden medial zum die Medienfigur Annemarie Eilfeld tels inszenierter Konflikte und unan- Regelverstoß stilisiert, der vorgab, aufgebaut, in dem sie polarisierte, gemessener Äußerungen bzw. unan- etwas Unerhörtes zu sein. Die au- um die Zuschauerschaft zu spalten. gemessenen Verhaltens der Jurymit- tonome, selbstbewusste Handlungs- Die gezielte Provokation durch die glieder gelang es RTL, bewusst zu weise der Kandidatin wurde narrativ konflikthafte Inszenierung im Rah- provozieren. Dabei wurde anhand der zum Skandal, der effektvoll im Rah- men der Show und der begleitenden zuvor unbekannten Kandidatin Anne- men der Sendungen inszeniert wur- Presseberichterstattung erzeugte bei marie Eilfeld durch die Montage und de. Die Aufmerksamkeitsökonomie den ZuschauerInnen eine hohe emo- sprachliche Attribuierungen eine Me- wurde dabei zwischen der Sendung tionale Spannung, die eine affektive dienfigur etabliert, die zu den anderen und der begleitenden Berichterstat- Positionierung einforderte und damit forschung 46 25/2012/1 Involviertheit herstellte. Der Norm- diskriminierenden Kommen- verstoß wird somit zur Erzeugung tare der Jury den Jugendli- von Aufmerksamkeit diskursiv erst chen ganz offenbar Vergnü- hergestellt. gen, bedienen sie doch eine jugendliche Sehnsucht nach Jugendliche in der Auseinander- Grenzverstößen. Zugleich Deutschland sucht den setzung mit Castingshows sind sich die Jugendlichen vom 28.01.2009 © RTL Dabei ist fraglich, wie Jugendliche der Amoralität öffentlich in- mit Provokationen aus dem Bereich szenierter, persönlicher Er- Screenshot aus Superstar niedrigung durchaus bewusst, Abb. 3: Befragte Jugendliche versuchen, die Aussagen des Sexuellen und dessen Skandali- der Jury zu rechtfertigen, und lassen die Autorität der sierung umgehen. Zweifellos spielen wie die folgenden Aussagen Jurymitglieder unangetastet