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Sendung vom 14.7.2011, 20.15 Uhr

Prof. Dr. Carla Schulz-Hoffmann Stellvertretende Generaldirektorin Bayerische Staatsgemäldesammlungen im Gespräch mit Sabine Reeh

Reeh: Willkommen beim alpha-Forum. Zu Gast ist heute Frau Professor Carla Schulz-Hoffmann. Sie ist Kunsthistorikerin und stellvertretende Generaldirektorin der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen. Frau Schulz-Hoffmann, die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen umfassen ja eine ganz Reihe von Museen und Sammlungen hauptsächlich in München, aber auch in ganz Bayern. Was gehört alles dazu? Schulz-Hoffmann: In München gehören dazu die , die , die bzw. ein gewisser Teil davon, die Sammlung Brandhorst, die Schack-Galerie und auf ganz Bayern verteilt verschiedene Außengalerien, die auch alle von uns bestückt werden. Die gesamte Generaldirektion sitzt in München. Reeh: "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit", dieses Bonmot von Karl Valentin könnte vielleicht auch ein Motto für Ihren Arbeitsalltag sein. Sie haben ja eine Vielzahl von Tätigkeiten, die man sich als Laie gar nicht so vorstellen kann. Schulz-Hoffmann: Und die man sich auch als Kunsthistorikerin vorher nicht so vorgestellt hat. Man denkt immer, man kommt ins Museum und arbeitet dort ausschließlich mit der hehren Kunst und sitzt vielleicht in einem wunderbaren Elfenbeinturm und forscht vor sich hin. Aber das macht nur einen ganz minimalen Teil der Arbeit aus und ist eher mein Freizeitvergnügen. Der alltägliche "Trott" ist doch mit sehr vielen administrativen Aufgaben gefüllt. Es gibt unendliche viele Anfragen, es gibt unendlich viele Personen, die etwas Bestimmtes wissen wollen, die bestimmte Aussagen über Kunst haben wollen. Es gibt Leihanfragen für Bilder aus unseren Sammlungen usw. usf. Das sind die ganz alltäglichen Dinge. Aber darüber hinaus hat man natürlich das große Ziel, dass man die Sammlungen, für die man zuständig ist, auf einem ganz hohen Niveau auch weiter in die Zukunft fortschreiben können möchte. Genau dafür versucht man dann, Möglichkeiten und Wege zu entwickeln. Es geht nicht nur darum, dass man diese Sammlungen in einer Weise präsentiert, die nach außen hin das Publikum auch überzeugt, das Publikum in die Häuser holt. Denn das Publikum kommt nicht von alleine, d. h. dafür muss man eine ganze Menge tun: Man muss Kunstvermittlung betreiben, man muss tatsächlich in vielen Bereichen arbeiten, um das Museum zu dem lebendigen Ort werden zu lassen, der es verdient zu sein, um damit auch Bildung nach außen tragen zu können. Das sind aber eben alles ganz viele kleine Arbeiten, die ich Ihnen einzeln gar nicht alle wirklich schildern kann. Man kommt also im Grunde genommen tagsüber kaum von seinem Bürostuhl weg, d. h. es ist nicht so, dass man sich in Galerien aufhalten würde oder Bilder umhängen oder gar neue Bilder organisieren würde. Sondern es geht im Alltag ganz schlicht um administrative Dinge, um das Beantworten von Anfragen und dergleichen mehr. Reeh: Viele kreative Jobs haben ja einen sehr, sehr starken und oft unterschätzten Managementunterbau, der aber notwendig ist, um dann auch wirklich eine große kreative Freiheit ausleben zu können. Als Sie merkten, dass Sie sich für Kunst ganz besonders interessieren und vielleicht auch schon die Entscheidung getroffen hatten, der Kunst Ihr berufliches Schaffen zu widmen, wie alt waren Sie da? Was waren da Ihre Beweggründe? Schulz-Hoffmann: Das hat bei mir sehr früh angefangen. Ich wollte an und für sich Malerin, Künstlerin werden. Ich war sicherlich auch recht ordentlich unterwegs auf diesem Gebiet, so wie man eben ist als Jugendlicher, wenn man das werden möchte. Ich hatte sehr große Fähigkeiten handwerklicher Art, aber mit der Kreativität war es bei mir wohl nicht weit genug her. Ich komme aus einer Familie, die sehr kunstinteressiert war, ohne in dieser Richtung jemals gearbeitet zu haben. Für meinen Vater war es ein ganz besonderes Anliegen, mit den Kindern in jedes Museum zu gehen, das auf dem Weg lag, in jede Kirche usw. Wir mussten dann als Kinder immer irgendwelche Säulen bestimmen, also sagen, ob sie korinthisch oder ionisch sind usw. Meine beiden Brüder fanden das nur mäßig spannend, aber meine ältere Schwester und mich hat das von Anfang an sehr interessiert. Ich habe mir dann gedacht, dass ich nicht gut genug sei, um auf die Akademie gehen zu können – ich glaube, das hat sich nachträglich als eine sehr weise Entscheidung gezeigt. Stattdessen habe ich dann Kunstgeschichte, Philosophie und Archäologie studiert. Nach dem Studium habe ich mich dann bei den Staatlichen Museen hier in München um ein Volontariat beworben. Ich hatte mich parallel auch noch bei der Thyssen-Stiftung um ein Promotionsstipendium beworben, um meine Dissertation veröffentlichen zu können. Ich bekam dann den Anruf, dass ich das Volontariat tatsächlich bekommen habe. Aber ich habe das dann doch eher als etwas Furchtbares empfunden. Ich empfand die Vorstellung furchtbar, mein Leben in einem staatlichen Unternehmen zu fristen, in dem ich dann eines Tages sogar Beamtin werden würde. Das schien mir doch sehr eigentümlich zu sein. Ich habe dann dort aber angefangen und bin in der Tat per Zufall – weil man mich nämlich am Nationalmuseum nicht gebrauchen konnte, man hatte bereits einen anderen Volontär, der dort besser in das Ganze hineinpasste – an die Staatsgemäldesammlungen gekommen und habe mich dort von Anfang an im Bereich der Moderne eingesetzt – obwohl ich gar nicht über die Moderne promoviert hatte. Ich habe da relativ viel gemacht und wohl ganz offensichtlich sehr viel Eigeninitiative entwickelt. So kam es, dass man mir eine feste Stelle angeboten hat. Aber – und das war eigentlich unglaublich, denn bereits damals waren solche Stellen extrem rar – ich habe mir für die Beantwortung dieses Angebotes eine Bedenkzeit von sechs Wochen ausgebeten. Das war wirklich unglaublich frech von mir. Ich habe mir gedacht, dass ich es mir einfach nicht vorstellen kann, für mein restliches Leben in diesem System zu arbeiten. Aber wir haben dann eines Tages amerikanische Hitchhiker, also Autostopper, im Auto mitgenommen und mit denen über unsere Zukunftspläne gesprochen. Ich habe erzählt, dass ich nicht weiß, ob ich das machen soll mit dieser Verbeamtung, weil mir das als etwas sehr Stures vorkäme. Einer der Tramper sagte dann aber ganz cool: "But you can quit!" Ich habe mir gedacht: "Klar, er hat recht. Im Grunde genommen kann man das ja wirklich machen, man kann ja wirklich kündigen, wenn es einem nicht mehr passt." Und so bin ich irgendwie bei den Staatsgemäldesammlungen gelandet und auch dort geblieben. Ich hatte dann das große Glück, die große Chance, sehr schnell in unterschiedlichste Bereiche hineinzukommen. Ich habe dort sehr schnell eine recht gute Karriere gemacht und konnte mich dann auch nicht mehr entscheiden, an andere Häuser zu wechseln. Denn von Anfang an gab es da bei uns diese große Vision, die Pinakothek der Moderne aufzubauen, also einen neuen Bau zu schaffen für diese mittlerweile doch sehr groß gewordene Sammlung der Moderne. Dafür einen guten Bau auf die Beine zu stellen, war unsere Vision. Und wie wir alle wissen, ist dieser Traum dann auch 2002 mit der Eröffnung der Pinakothek der Moderne in Erfüllung gegangen. Reeh: An der Gestaltung der Architektur dieses Baus waren Sie maßgeblich mitbeteiligt … Schulz-Hoffmann: An der Gestaltung der Architektur wäre zu viel gesagt. Das ist selbstverständlich ganz alleine Stephan Braunfels gewesen. Aber wir haben natürlich durch die Erstellung des Raumprogramms, durch die Detailplanung und durch den ständigen Austausch mit dem Architekten ganz deutlich daran mitgearbeitet. Auch die Erstinstallation war dann unser Teil. Sie wissen ja, dass die Pinakothek der Moderne eine Zusammenfassung von vier verschiedenen Sammlungen ist. Wir als Staatsgemäldesammlung sind für den Bereich Malerei, Skulptur und Neue Medien im ersten Stock zuständig. Das war schon wirklich eine fantastische Herausforderung, diese ganze Sammlung installieren und hängen zu können. Ich glaube, es gibt keinen anderen Kunsthistoriker, keinen Kollegen – ich wüsste jedenfalls niemanden – der die große Chance und das große Glück gehabt hätte, zwei große Häuser begleiten zu können: einmal die Pinakothek der Moderne und dann wenig später das Museum Brandhorst. Reeh: Das ist wirklich fantastisch und diese lange "Liebesgeschichte" mit den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen zeigt ja einerseits, dass sich das entsetzliche Schicksal, das Sie damals als lebenslange Beamtin vor sich sahen, nicht erfüllt hat: Sie hätten kündigen können – taten es aber nicht. Andererseits haben die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen im Laufe der Zeit aber wohl auch gemerkt, was sie an Ihnen haben, denn sonst wäre das ja nicht zu so einer langen und fruchtbaren Zusammenarbeit gekommen. Wir sind hier beim Bildungsfernsehen und deswegen müssen wir das alles auch ganz ordentlich machen: Sie haben es ja bereits gesagt, die Pinakothek der Moderne speist sich aus vier Museen. Was sind das für Museen bzw. Sammlungen? Schulz-Hoffmann: Das ist das Architekturmuseum der Technischen Universität München, die Neue Sammlung mit dem Design und der neuen Form des 20. Jahrhunderts, die Staatliche Graphische Sammlung und das sind wir, also die Sammlung Moderne Kunst der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen. Wir haben dabei eine ganz bestimmte zeitliche Einteilung: Bei der Sammlung Moderne Kunst in der Pinakothek der Moderne fangen wir ungefähr mit dem Stichjahr 1905 an. In der Neuen Pinakothek findet sich alles vom ausgehenden 18. Jahrhundert bis eben ungefähr 1905. Und alles, was wiederum davor liegt, findet sich in der Alten Pinakothek. Reeh: Sie haben auf der einen Seite diesen unglaublichen Reichtum einer Sammlung, die bereits besteht. Auf der anderen Seite birgt das aber auch Beschränkungen, denn Sie müssen sich bei Ausstellungen, bei denen Sie sehr stark auf den Fundus zurückgreifen, danach richten, was vorhanden ist. Inwieweit gibt es da kreativen Spielraum? Kann ein Künstler, der in Ihrer Sammlung kaum vertreten ist, trotzdem von Ihnen besorgt werden, weil Sie ihn unbedingt haben wollen? Dabei kommen wir natürlich zu Fragen der Finanzierung, aber zunächst einmal interessiert mich rein die künstlerische Entscheidung: Wie viel Freiheit haben Sie da? Schulz-Hoffmann: Bei den künstlerischen Entscheidungen haben wir enorm große Freiheiten. Das ist eine Freiheit, die sich aber durchaus aus der Sammlung selbst entwickelt hat, aus dem Sammlungsprofil. Wir sind, was die klassische Moderne betrifft, eine relativ junge Sammlung, wie ich immer wieder betone. Wir hatten 1950 erst sechs von den Kunstwerken, die wir heute noch als zeigenswert in der Sammlung haben. Alles andere ist erst danach hinzugekommen. Es wurde diesbezüglich immer wieder mit leichter Ironie gesagt: "Ihr habt halt immer glücklich geheiratet, ihr habt es immer gut verstanden, fantastische Stiftungen ans Haus zu binden." Das ist auch so, das stimmt. Aber es ist uns andererseits eben auch gelungen, tatsächlich immer das entsprechende Klima zu schaffen: Die Chemie muss stimmen, um gute Sammlungen ans Haus zu binden. Ein ganz entscheidender Punkt unserer Anstrengungen war und ist: Wir haben immer versucht, zentrale Werke zu den Sammlungen hinzuzuerwerben. Das heißt aber auch, dass man die dafür notwendigen Beträge über Jahre hinweg abstottern musste, und dafür brauchte man auch viele Freunde und Helfer. Aber das ist einfach ein ganz wichtiger Punkt: Wir haben immer versucht, zentrale Werke zu den bestehenden Sammlungen hinzuzukaufen. Wir haben z. B. eine ganz bedeutende Max-Beckmann-Sammlung; das ist die bedeutendste Max- Beckmann-Sammlung neben der in St. Louis in den USA. Es war uns ganz, ganz wichtig, dazu eines der Hauptwerke Beckmanns, nämlich das letzte in Deutschland entstandene Triptychon "Versuchung" zu erwerben. Dafür mussten wir uns schon enorm aus dem Fenster hängen, weil das für uns ein riesengroßer Betrag gewesen ist. Aber das hat diese ganze Stiftung in sich erst abgeschlossen, das hat dem Ganzen etwas Rundes gegeben. Damit kommen wir auch auf die Freiheit unserer Entscheidung zu sprechen, die sich letztlich halt doch ganz deutlich aus den Sammlungen speist: Wir haben bestimmte Schwerpunkte in der Sammlung und wir haben andere Bereiche, die sind nicht gut abgedeckt. Vor allem bei der heutigen Preissituation würde es gar keinen Sinn machen, diese Bereiche besser abzudecken und zu sagen, dass wir nun das Umfeld des Bauhauses aufbauen müssen. Wir haben z. B. keinen Mondrian. Vor einigen Jahren haben wir mal einen fantastischen Mondrian angeboten bekommen, der lange schon als Leihgabe bei uns im Haus war. Reeh: Wie teuer wäre er gewesen? Schulz-Hoffmann: Das darf man, wie Sie wissen, nicht sagen, aber er wäre enorm teuer gewesen: Wir hätten uns damit über mehrere Jahre hinweg völlig blockiert. Ich habe nach schlaflosen Nächten dann wirklich irgendwann gesagt: "Nein, es macht keinen Sinn! Wir müssen, so fantastisch dieses Bild auch ist, davon Abstand nehmen, denn wir haben für dieses Bild keinen entsprechenden Kontext." Wir haben tatsächlich nichts, was das Ganze dann zu einem in sich geschlossenen und sinnvollen Raumbild zusammenschließen würde. Aber wir haben auf der anderen Seite diese fantastische Kirchner-Sammlung: Vor einigen Jahren wurde da ein Bild frei, das wir bei uns als Leihgabe hängen hatten. Bei diesem Bild haben wir dann wirklich alles dafür eingesetzt, es für unsere Sammlung zu erwerben. Das heißt, unsere Sammlung ist – durchaus in Anlehnung an die Alte Pinakothek – sehr, sehr deutlich auf bestimmte herausragende Künstlerpersönlichkeiten zugeschnitten. Wir haben von den vielen ganz großen Künstlern des 20. Jahrhunderts nicht ein Werk, sondern immer mehrere Werke, sodass wir damit wirklich ganze Räume bilden können. Diese Strategie haben wir auch in die Gegenwartskunst fortgesetzt, wo wir mittlerweile eine ganz bedeutende Sammlung amerikanischer Kunst, amerikanischer Minimal Art haben, wo wir im deutschen Bereich diese fantastische Georg-Baselitz-Sammlung haben. Im jungen Bereich haben wir ebenfalls ganz viele Dinge, die sich aus der Sammlung entwickelt haben: einerseits aus dem starken Profil im Expressionismus und dessen Fortschreibung in die Gegenwart, andererseits berücksichtigen wir aber schon auch ganz viele junge Tendenzen. Im Bereich der Gegenwart sind wir tatsächlich sehr viel breiter aufgestellt, könnten sehr viel häufiger die ganze Sammlung wechseln, austauschen, als im Bereich der klassischen Moderne. Reeh: Bevor wir wieder zu den Inhalten kommen, möchte ich gerne noch einen kleinen Moment bei den Abläufen bleiben. Auf der einen Seite pflegen Sie ja sehr intensiv den Kontakt zu den Sammlern. München hatte ja mehrfach das Glück – zuletzt bei der Sammlung Brandhorst oder ganz aktuell bei der Sammlung Wilde –, ganze, runde und auch sehr wertvolle Sammlungen zu erhalten. Wie sieht das denn bei Einzelakquisitionen aus? Wenn Sie sagen, dass Ihnen gerade noch dieses eine Werke fehlt, und dieses Werk nun gerade auf dem Markt zu haben ist, wie frei können Sie dann entscheiden? Welche finanziellen Überlegungen spielen dann mit eine Rolle? Es gibt ja auch eine Ankaufkommission: Wie läuft das alles ab? Schulz-Hoffmann: Zunächst einmal muss ich sagen, dass wir eigentlich nicht mehr in der Lage sind, große, bedeutende Erwerbungen mit staatlichen Mitteln zu tätigen. Diese Mittel sind einfach nicht mehr vorhanden. Es ist also völlig klar, dass wir dann, wenn wir etwas Bedeutendes erwerben wollen, versuchen müssen, unterschiedliche Personen und Gremien mit ins Boot zu nehmen. Vor einigen Jahren habe ich z. B. das hoch bedeutende Bild "Frau im schwarzen Mantel" von George Grosz für das Haus erwerben können. Das ist dadurch gelungen, dass ich zwei mit dem Haus sehr verbundene Privatpersonen von der Qualität dieses Bildes überzeugen konnte. Sie haben dann ein Drittel der Kaufsumme zur Verfügung gestellt. Sie machten das unter der Bedingung, dass die beiden anderen Drittel zum einen von der Kulturstiftung der Länder und zum anderen vom Freistaat Bayern kommen. Mit dieser Kombination ist dann diese fantastische Erwerbung möglich gewesen. Das war ein Ankauf im Bereich der klassischen Moderne: Hier läuft das immer wieder mal über solche Schienen. Aber auf jeden Fall läuft das immer auch mit privater Unterstützung. Im Bereich der Gegenwartskunst haben wir natürlich einen fantastischen Freundeskreis, fantastische Fördervereine. Da gibt es den Verein "PIN. Freunde der Pinakothek der Moderne": Ohne den enormen Einsatz dieses Vereins seit 1965, also seit der Gründung dieses Vereins, wäre im Bereich der Gegenwartskunst vieles nicht möglich gewesen. Das heißt, wir schlagen ihnen vor, was wir uns wünschen, was wir meinen, was wir für die Sammlung unbedingt bräuchten, um dafür die entsprechenden Mittel zu bekommen. Reeh: Die Preise auf dem Kunstmarkt sind ja so explodiert, dass das der Laie in vielen Bereichen überhaupt nicht mehr nachvollziehen kann. Natürlich ist auch deswegen die Entwicklung forciert worden, sich Sammler und Privatleute aus der Bevölkerung mit ins Boot zu holen, also Public Private Partnerships einzugehen. Auf der anderen Seite besteht aber Ihre Aufgabe auch darin, diese Kunst, die Sie zusammengestellt haben, mittels der Ausstellungen nach außen zu präsentieren, und zwar auch einem Publikum, das nicht a priori kunstaffin ist. Hierfür gibt es verschiedene Vermittlungsformen, Führungen, Veranstaltungen usw. Was unternehmen Sie, um die Leute ins Museum zu holen? Die Besucherzahlen sind ja nicht schlecht, aber natürlich gibt es auch hier Bevölkerungssegmente, die man nur sehr schwer erreichen kann. Was unternehmen Sie auf diesem Gebiet? Schulz-Hoffmann: Wir haben hier enorm viele unterschiedliche Formate entwickelt mit unserem "Palais Pinakothek". Wir haben damit gewissermaßen ein Forum, von dem aus all diese Vermittlungsaktivitäten starten. Auf der einen Seite machen wir natürlich das übliche Führungsprogramm, das ist klar. Es gibt bei uns permanent sehr, sehr viele Führungen für das allgemeine Publikum, aber das ist ja nicht das, was Sie gemeint haben. Darüber hinaus halte ich es für ganz besonders wichtig, dass wir versuchen, auch solche Gruppen zu erreichen, die normalerweise nicht ins Museum kommen würden. Hier haben wir u. a. das sogenannte PINK-Projekt, das z. B. von "Philipp Morris" unterstützt und finanziert wird, mit dem wir vor allem soziale Randgruppen ansprechen wie z. B. Jugendliche vom Hasenbergl. Wir arbeiten dabei auch unmittelbar mit den Sozialarbeitern vor Ort zusammen. Aber auf diesem Gebiet muss noch viel mehr investiert werden, muss noch viel mehr gemacht werden. Denn das ist wirklich eine unserer entscheidenden Aufgaben. Das Stammpublikum wird bei uns ohnehin wahnsinnig gut bedient. Da gibt es z. B. mittlerweile den Multimediaguide, der wirklich ganz vorzüglich ist. Wir haben auch für die Jugend Pilotprojekte, bei denen Jugendliche Führungen gemacht haben usw. Das ist aber doch eher für das Publikum gedacht, das ohnehin bereits im Museum ist. Das Wichtige an unserem Bildungsauftrag und an unserem Auftrag der Kunstvermittlung ist aber auch, Gruppierungen ins Haus zu bekommen, die bis jetzt eben nicht von alleine kommen. Dies ist aber eine ganz, ganz langwierige Arbeit, die auch nur dann funktioniert, wenn sie nachhaltig angelegt ist. Es bringt überhaupt nichts, wenn man einmal mit einer Gruppe Jugendlicher ins Museum geht, die normalerweise nicht ins Museum kommen. Die gehen da halt einmal mit – und damit war's das. Man muss stattdessen versuchen, irgendwie eine langfristige Bindung ans Haus zu schaffen. Das Hauptkriterium ist dabei meiner Meinung nach nicht, dass man da Inhalte vermittelt, dass man ihnen "-ismen" vermittelt, ihnen möglichst viele interessante Zahlen über die Kunstgeschichte mit nach Hause gibt. Nein, darum kann es nicht gehen. Stattdessen muss es um den Versuch gehen, tatsächlich ein bisschen Gefühl zu vermitteln für das, was das Leben lebenswert macht, was eigene Identität ausmacht. Denn heute haben doch viele Jugendliche aufgrund der Gegenden, in denen sie leben und aufwachsen, und aufgrund nicht vorhandener Möglichkeiten oft gar nicht mehr die Chance, noch zu sich selbst zu finden. Hier kann eventuell und mit viel, viel Engagement die Kunst etwas erreichen. Von diesem Engagement ist bei uns wirklich eine ganze Menge vorhanden, aber es müssten hier halt noch sehr viel mehr finanzielle Ressourcen aufgebracht werden. Ich denke, hier kann man wirklich eine gute Arbeit leisten. Man erreicht hier selbstverständlich nicht Tausende von Jugendlichen, aber ich finde es schon wichtig und erfolgreich, wenn man pro Jahr 500 Jugendliche erreichen würde: Das wäre meiner Meinung nach bereits enorm viel. Reeh: Das wäre in der Tat recht viel. Ich frage mich manchmal, ob man sich denn auch eingestehen muss, dass es hier eine natürliche Grenze gibt. Sie arbeiten sozusagen in einem Public-Service-Bereich, wo sie kulturelle Dienstleistungen erbringen. Trotzdem werden Sie nicht jeden erreichen. Wo ist da die Grenze? Denn es gibt einfach in der Bevölkerung einen bestimmten Anteil, der sich nicht interessiert und den Sie auch durch aktive Arbeit Ihrerseits nicht erreichen können. Schulz-Hoffmann: Man hat doch immer irgendwie seine Visionen und Hoffnungen. Auf der einen Seite weiß man ja, dass bestimmte Dinge nicht erreichbar sind, aber das hindert mich und alle anderen, mit denen ich hier zusammenarbeite, nicht daran, es trotzdem zu versuchen, trotzdem immer wieder zu versuchen, die Grenzen, die man sich selbst aufgrund äußerer Koordinaten zwangsläufig setzen muss, doch zu durchbrechen und vor allem nicht nachzulassen. Das hat ja auch ganz viel mit Neugier zu tun, das hat ganz viel damit zu tun, dass man einfach offen ist für diese Ansprüche, die von der anderen Seite kommen können. Das Tolle ist: Wenn man es tatsächlich schafft, mit Jugendlichen aus Wohngegenden zu arbeiten, die normalerweise nicht ins Museum kommen, dass dann unheimlich viel an einen selbst zurückkommt. Denn das ist ja nie eine einseitige Geschichte: Man ist da nicht alleine der Bildungsvermittler, sondern es kommt auch umgekehrt unglaublich viel an Erfahrung zurück. Insofern bin ich dann doch auch wieder optimistisch und denke mir: "Das bringt mir ja selbst auch enorm viel." Denn es ist tatsächlich nicht so, dass ich da immer nur der gebende Teil wäre. Reeh: Können Sie mal ein Beispiel einer besonders bereichernden Erfahrung nennen? Schulz-Hoffmann: Da gibt es ganz, ganz viele. Ich bin natürlich nicht so unmittelbar in diesen Führungsprojekten drin. Wenn da Workshops mit Jugendlichen gemacht werden, dann bin ich da nur selten dabei. Aber ich habe z. B. einmal eine sehr eindrucksvolle Erfahrung gemacht. Damals haben sieben- bis neunjährige Kinder einen Workshop gemacht: Sie bekamen Zeichenstifte und Aquarellfarben und einen Block in die Hand gedrückt und sollten einfach mal malen, was sie als besonders schön empfinden. Ein Mädchen kam dabei aus dem Kosovo, wenn ich mich recht erinnere. Sie hat sich zuerst einmal gar nicht getraut, den ersten Strich zu machen, und hat sich furchtbar hart damit getan, etwas aufs Papier zu bringen. Aber so allmählich hat sie sich immer mehr zugetraut und war dann gar nicht mehr wegzubringen von diesem Blatt Papier: Sie hat ein wunderschönes Haus gemalt, ein Haus mit Blumen davor usw. Dieses Haus war ihr Traumbild und ich empfand das als eine wahnsinnig schöne und auch bewegende Erfahrung. Da gibt es unglaubliche Hemmschwellen, aber wenn diese mal überwunden sind, dann bringt das für den betroffenen Menschen ganz viel an Bereicherung. Reeh: Sie haben ja auch an anderer Stelle Kontakt mit jungen Menschen, nämlich im Rahmen Ihrer Lehraufträge. Sie sind an der Akademie der bildenden Künste tätig und auch an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Dort haben Sie mal eine Vorlesung gehalten mit dem Titel "Zur Frage der Kunst als moralischer Instanz". Welche moralische Instanz ist denn die Kunst in unserer Gesellschaft? Schulz-Hoffmann: Das lässt sich natürlich nicht so ad hoc sagen. Reeh: Ich weiß, das ist eine gemeine Frage. Schulz-Hoffmann: Ja, das ist wirklich eine gemeine Frage, aber Kunst muss aus meiner Sicht, um gesellschaftlich wirksam zu sein bzw. zu werden, widerständig sein. Kunst muss also tatsächlich Fragen stellen. Nur, man kann nicht sagen, es gibt die und die Kunst und sie erfüllt genau das für eine große Gruppe von Menschen. Es ist einfach oft so, dass sich in der Kunst bestimmte Dinge erst nachträglich so entwickeln. Nehmen Sie als Beispiel die jüngste Verhaftung von Ai Weiwei, die ja ganz katastrophal und furchtbar ist. Da ist es die Person des Künstlers, die widerständig ist, die provoziert. Er schafft es durch seine Berühmtheit tatsächlich, die Menschen aufzurütteln. Ich würde sagen, dass das sogar über seine Kunst, über das, was er in seiner Kunst erreichen kann, hinausgeht. Auf der anderen Seite gibt es aber in der Kunst auch z. B. solche Bilder wie "Guernica" von . Das ist ein Bild, das über den konkreten Anlass hinaus der Menschheit nachhaltig immer wieder Fragen stellt über das Entsetzliche, was sich die Menschen gegenseitig antun. Dieses Bild stellt Fragen zu diesem ewigen Täter-Opfer- Verhältnis, das sich jedoch immer ganz leicht umkehren kann. Kunst kann also durch die Person des Künstlers widerständig sein, und ich glaube, das ist in unserer heutigen Zeit sogar sehr häufig der Fall. Kunst kann aber auch durch nachhaltiges Fragenstellen widerständig sein. Das ist etwas, das jeder Einzelne für sich und mit sich selbst ausmachen muss. Aber ich muss auch ganz offen sagen, dass dazu eine ganze Menge Neugier gehört. Wenn man in ein Museum geht und sagt: "Was soll das alles? Das interessiert mich doch sowieso alles nicht!", dann geht das nicht, das ist klar. Ich setze also den offenen Besucher voraus, der bereit ist, sich die Dinge anzusehen. Da habe ich doch ganz großen Optimismus und eine ganz große Zuversicht: Wenn es Kunst gelingt – und großer Kunst gelingt das fast immer –, Fragen zu stellen, einen auf Probleme zu stoßen, mit denen man sich davor in der Form noch nicht beschäftigt hat, dann ist Kunst etwas ganz, ganz Großartiges und hilft uns, unser Leben zu bewältigen, besser zu bewältigen. Reeh: Wenn ich diesen Aspekt des Widerstands, des Reibens und des Austragens von Konflikten gleich aufgreifen darf: Da fallen mir, was Ihre persönliche Arbeit betrifft, zwei Namen ein, nämlich Beckmann und Baselitz. Es ist sicherlich kein Zufall, dass gerade diese beiden Künstlerpersönlichkeiten ihren künstlerischen Impetus sehr stark aus der Reibung gegen den jeweiligen Staat, gegen die vorherrschenden Mächte bezogen haben. Beckmann gilt ja als der von den Nazis am meisten gehasste Künstler: Als "entarteter Künstler" musste er daher emigrieren. Bei Baselitz war es die Auseinandersetzung mit dem DDR-Regime: Er wurde zum Künstler, der die Dinge gerne buchstäblich auf den Kopf stellte. Haben Sie diese beiden Künstler gerade deswegen besonders interessiert? Schulz-Hoffmann: Ich muss ehrlicherweise sagen, dass ich zu Beckmann doch eher wie die Jungfrau zum Kind gekommen bin. Ich hatte damals nämlich gerade ein ganz anderes Thema in Arbeit: Ich war gerade dabei, eine Fontane- Ausstellung vorzubereiten. Wolf-Dieter Dube, der damals bei uns für die deutsche Kunst des 20. Jahrhunderts zuständig und gleichzeitig mein Chef war, wurde Generaldirektor in Berlin, als er wiederum gerade angefangen hatte, bei uns eine große Beckmann-Retrospektive vorzubereiten. Ich hatte, wie ich ganz offen gestehen muss, nicht mehr als die üblichen kunsthistorischen Grundkenntnisse von Beckmann. Ich kannte ihn, aber nur deshalb, weil wir diese bedeutende Sammlung von ihm besitzen. Ich wurde also ins kalte Wasser geschmissen und hatte diese große Retrospektive, die dann später auch nach Amerika gegangen ist, zu betreuen und zu erarbeiten. Da erst bin ich überhaupt auf diese Spur gekommen. Seitdem ist Beckmann tatsächlich eine große Leidenschaft von mir. Es ist sicherlich verständlich, dass ich mich deswegen dann auch für Baselitz interessiert habe. Aber auch zu ihm bin ich wie die Jungfrau zum Kind gekommen. Denn als damals im Jahr 1976 PIN., unser Freundeskreis, der damals noch "Galerieverein" hieß, eine Baselitz-Ausstellung an unserem Haus machen wollte, wollte das niemand im Haus kuratieren. Denn das war ja doch alles ein bisschen verdächtig. Es hieß: "Baselitz? Na ja, was der so malt! Das ist nichts Bedeutendes. Das kann doch mal diese kleine Assistentin machen, die gerade neu hereingekommen ist. Wenn es danebengehen sollte, dann wäre das nicht so sehr schlimm." Daraus hat sich dann meine Auseinandersetzung mit Baselitz ergeben. Die Auslöser waren zufällige, aber dass ich dann drangeblieben bin und mir diese beiden Maler seitdem ganz wichtig und wertvoll geworden sind und die Auseinandersetzung mit ihnen zu einem steten Quell der Erkenntnis bei mir wurde, hat tatsächlich mit der Haltung dieser Künstler zu tun: Sie waren bzw. sind sehr stark verhaftet mit diesem Land, haben sich aber auch immer sehr intensiv an diesem Land gerieben und mit diesem Land und seiner Politik auseinandergesetzt. Bei Beckmann war es so, dass er 1937 nach Amsterdam emigriert ist, nachdem er die Rede von Hitler über entartete Kunst gehört hatte. Er hat damit Deutschland für immer verlassen. Bei Baselitz ist das hingegen eher ein ständiges Reiben an der deutsch- deutschen Situation. Daraus entwickelte er sein ganz spezifisches Bildwerk, seine ganz spezifische Eigenheit. Gerade gestern hatten wir bei uns im Haus wieder einmal ein halböffentliches Gespräch und dabei ist mir aufgefallen, dass dann, wenn jemand an diesen Themen immer dran gewesen ist, er dann auch immer dran bleiben wird an ihnen. Das ist etwas völlig Unverstelltes. Das ist etwas, das mich wirklich interessiert. Mir ist völlig klar, dass ich mit Künstlern nicht unbedingt gut auskommen muss, wenn ich sie kennenlerne. Aber wenn da etwas ist, woran ich mich reiben kann, wenn da etwas ist, das in mir Widerspruch auslöst, dann bleibt das von Interesse. Reeh: Wie oft haben Sie denn noch mit den Künstlern direkt Kontakt? Von der klassischen Moderne lebt ja niemand mehr, aber wie ist das im zeitgenössischen Bereich? Geht das ganz anonym über Ankäufe oder Auktionen? Oder gehen Sie direkt hin und machen Galerie- und Atelierbesuche und verhandeln mit den Künstlern direkt und versuchen, sie zu motivieren, mit Ihrem Haus zusammenzuarbeiten? Schulz-Hoffmann: Wir sind ja auch unterschiedliche Referenten und ich bin jetzt nicht mehr speziell für die unmittelbare Gegenwartskunst zuständig. Das macht mein Kollege, der selbstverständlich ohne Ende Atelierbesuche macht. Dadurch, dass ich mehr oder weniger seit Jahrzehnten in verschiedenen Gremien sitze wie z. B. dem für den Bayerischen Staatspreis für junge Künstler, versuche ich zumindest immer, halbwegs dranzubleiben. Ich muss zugeben, dass das viel zu wenig oft geschieht, dass ich da gerne viel mehr machen würde. Man muss auch permanent in Galerien gehen, aber auch das mache ich leider viel zu wenig, weil das zeitlich einfach nicht immer möglich ist. Aber ich versuche schon, hier am Ball zu bleiben. Es ist ja heute nicht mehr so, wie man das etwa zu Zeiten von van Gogh hätte sagen können, dass es unendlich viele unentdeckte Künstler gäbe. Heute gibt es sehr, sehr viele Leute, die tatsächlich danach suchen, die neue, unverbrauchte gute Künstler auftreiben wollen. Das hat sich im Grunde genommen vervielfacht, sodass man nicht davon ausgehen kann, dass man da irgendwo in einem stillen Kämmerlein noch jemand entdecken würde. Man muss aber tatsächlich permanent am Ball bleiben, um halbwegs das Gefühl zu behalten für Qualitäten. Denn auch in der Gegenwartskunst können wir die Kriterien für qualitative Entscheidungen nur aus dem permanenten Vergleich begründen, aus dem immer wieder Hingucken, aus dem immer wieder neuen Versuch, sich klarzumachen, warum ein Künstler meiner Meinung nach überzeugend oder nicht so überzeugend ist. Reeh: Das sind jetzt natürlich hochinteressante und auch grundlegende Fragen, über die wir sicherlich noch stundenlang diskutieren könnten. Aber ich habe noch ein paar andere Punkte, die ich gerne ansprechen möchte. Sie haben es gerade selbst gesagt, Sie haben viele Jahre an Erfahrung hinter sich und sind vielleicht auch wider Ihren Willen und ungewollt eine Pionierin geworden, denn Sie sind in vielen Positionen die erste Frau: Als stellvertretende Generaldirektorin gab es vorher noch keine Frau, auch nicht als zuständige Referentin für ganz wichtige, große Museen wie z. B. dem Museum Brandhorst. Wie hat sich denn diese Landschaft verändert, sowohl bei den Kunsthistorikern und bei den Museumsleuten wie bei den Künstlern selbst? Schulz-Hoffmann: Was die Kuratoren betrifft, hat sich enorm viel verändert. Als ich angefangen habe, war das noch eher grenzwertig, wie ich wirklich sagen muss. Als ich meine feste Stelle bekam, kam bei uns der erste Protest aus der Verwaltung, weil man dort gemeint hat: "Na ja, Sie sind ja ganz nett, das ist ja ganz prima, aber Sie bekommen ja sicherlich gleich ein Kind und dann hören Sie wieder auf!" Mit diesen Klischees musste ich mich noch intensiv auseinandersetzen, aber das hat sich bis heute enorm geändert. Im Hinblick auf das Verhältnis von Männern und Frauen ist das bei den Kuratoren inzwischen mehr oder weniger ausgeglichen. Aber Sie haben völlig recht, in den ganz hohen Positionen ist das nach wie vor nicht ausgeglichen: Da verändert sich zwar inzwischen auch etwas, aber es ist immer noch nicht ganz so, wie es vielleicht sein könnte. Im Bereich der freischaffenden Künstler hat sich wirklich eine wesentliche Veränderung ergeben. Aber es gibt auch dort noch wahnsinnig viel an äußeren Bedingungen zu verbessern, um Frauen genauso die Möglichkeit zu geben, sich unabhängig von irgendwelchen Einschränkungen tatsächlich der Kunst widmen zu können. Ich kenne z. B. ein englisches Künstlerehepaar, das, als die gemeinsame Tochter noch klein war, versucht hat, das gemeinsam zu managen. Aber sie haben dann beide gesagt, dass sie als Künstler dann immer sozusagen auf Knopfdruck hätten funktionieren müssen, weil sie sich zwischendrin ja immer wieder um das Kind kümmern mussten. Irgendwie hat das also nicht so hundertprozentig funktioniert. Vorhin habe ich mit einer Kollegin gesprochen, die mir gesagt hat, sie hätte nun für ihr Kind keinen Hortplatz bekommen. Solche Sachen sind nach wie vor wahnsinnig enervierend, es ist sehr, sehr schwer, hier ein vernünftiges Reglement zu finden. Es gibt selten Berufsbilder, bei denen sich im Falle eines Paares beide gleichermaßen gut aus dem Beruf ausklinken können. Nach wie vor, denn so ist es leider, sieht man es immer noch eher Frauen als Männern nach, wenn sie z. B. bei Siemens sagen, dass sie wegen eines Kindes oder mehrerer Kinder nun nur noch halbtags arbeiten können. Ich habe das im Bekanntenkreis selbst unmittelbar so erlebt, denn da wurde zu der Frau dann eben gesagt: "Na gut, dann ist das halt mit der Karriere doch nicht so wichtig!" Ich denke, da muss noch irrsinnig viel passieren. Bei den Künstlern hat sich diesbezüglich bereits enorm viel geändert – vielleicht auch aufgrund anderer Medien. Denn man muss sich ja nur einmal die Fotografie anschauen: Im Bereich der Pionierfotografie – das konnte man jetzt gerade in der wunderbaren Ausstellung "Sammlung Wilde" sehen – gab es nämlich von Anfang an immer schon relativ viele Künstlerinnen, weil das wegen des Mediums selbst letztlich mit weniger Aufwand zu machen war. Aus diesem Grund war es in dieser Kunstrichtung den Frauen wohl eher möglich, eigenständig zu werden. Im Bereich der Malerei und Bildhauerei gibt es fantastische Künstlerinnen, aber der prozentuale Anteil ist immer noch nicht so, wie man sich das wünschen würde, vor allem auch im Hinblick auf den Erfolg. Reeh: Ich habe bereits einige gemeine Fragen gestellt und werde jetzt sogar noch gemeiner, denn ich möchte Ihnen angesichts der kurzen verbleibenden Gesprächszeit die schwierige Aufgabe stellen, möglichst knapp zu antworten. Ich habe nämlich noch ein paar große Themenfelder, auf die ich ungern verzichten möchte. Anknüpfend an das soeben Gesagte: Hat sich denn der Blick auf die Kunst, hat sich die Kunst selbst durch diesen weiblichen Anteil, der zunehmend präsent wird, verändert? Sie haben dazu ja bereits eine ganz wichtige Ausstellung gemacht mit dem Titel "Female Trouble. Die Kamera als Spiegel und Bühne weiblicher Inszenierungen". Schulz-Hoffmann: Die habe nicht ich gemacht, sondern meine Kollegin Frau Graeve Ingelmann. Sie hat im Bereich der Fotografie genau diesen neuen weiblichen Blick gezeigt. Das ist im allgemeinen Berufsleben so und nicht nur im Bereich der bildenden Kunst: Ich denke schon, dass die Frauen enorm viel zur Veränderung von Blickwinkeln beigetragen haben und nach wie vor beitragen. Sie haben vielfach einen anderen Umgang mit den Dingen als Männer. Wenn das in einer konstruktiven Zusammenarbeit funktioniert, dann kann sich das sehr gut befruchten. Reeh: Noch eine "gemeine" Frage, die sehr komplex ist, die man aber vielleicht dennoch einfach beantworten kann. Ihnen hat eine Kollegin mal die Frage gestellt, was im Museum Brandhorst Ihre Lieblingswerke seien. Sie haben dabei u. a. den "Pillenschrank" von Damien Hirst genannt. Ich habe gelesen, dass "Lullaby Spring", ein Werk aus dieser Reihe der Pillenschränke von Damien Hirst, vor einiger Zeit für ungefähr 20 Millionen Dollar verkauft wurde. Inwieweit stehen diese Preise überhaupt noch in Relation zu den Werken? Ist da eine Diskrepanz entstanden oder halten Sie diese Preise für gerechtfertigt? Schulz-Hoffmann: Ich halte sie sicherlich nicht für gerechtfertigt, aber man muss ohnehin ganz klar den Kunstmarkt und das, was der Künstler macht, auseinanderhalten. Damien Hirst bleibt für mich z. B. mit seinem "Pillenschrank" ein spannender, aufregender Künstler, weil er uns dabei auf eine ganz simple Art und Weise vor Augen führt, an welche Werte wir eigentlich glauben. Wir schauen uns also in diesem Pillenschrank selbst an, wir sehen uns permanent selbst im Spiegel an und müssen uns zwangsläufig fragen: "Was bedeutet Medizin für uns? Warum hat sie einen so wahnsinnigen Wert? Warum hat sie einen höheren Wert als andere Dinge?" Das sind einfach ganz simple Aussagen, das ist ganz simpel gemacht, aber das ist gleichzeitig von einer unglaublichen Tragweite. Dass er daneben ein genialer Selbstvermarkter ist und dass unabhängig davon Marktpreise von ganz anderen Dingen beeinflusst und gespeist werden, ist völlig klar. Dass er diese horrenden Preise erzielt oder bei seiner eigenen Auktion diese wahnsinnigen Ergebnisse hatte, würde ich ihm nicht als Künstler im Hinblick auf seine künstlerische Aussage anlasten, denn das sind einfach zwei völlig getrennte Bereiche. Reeh: Stichwort "Architektur", auch das ein riesengroßes Feld, das wir nur verkürzt ansprechen können. Ich finde es zum einen sehr begrüßenswert, dass es nun ein ausgewiesenes eigenes Architekturmuseum gibt. Die Architektur wird nämlich als eine der Künste gerne ein bisschen vernachlässigt und übersehen. In diesem in München – die beiden wichtigsten Neubauten dort haben Sie ja selbst hautnah miterlebt und auch ein Stück weit mit angeschoben – ist nun eine Symbiose von Kunst und Architektur entstanden: Inwieweit spielen denn diese beiden Neubauten Pinakothek der Moderne und Museum Brandhorst mit ihrer ganz außergewöhnlichen und prägnanten Architektur eine Rolle im Hinblick auf die Attraktivität dieses Areals? Schulz-Hoffmann: Das hat das natürlich noch mal sehr stark vorangetrieben, das ist ganz klar. Aber die Alte Pinakothek von Leo von Klenze ist nun einmal ein Juwel und stellt den Kernbereich dieses Areals dar. Die beiden Neubauten – und hier nun insbesondere das Museum Brandhorst durch die bunte und von vielen als Missoni-Schal titulierte Fassade – haben nun ein neues Signal gesetzt. Uns war es sehr wichtig, dass jeder Bau eine andere Sprache spricht: Die neue Pinakothek ist ganz, ganz deutlich eine Kunst der Postmoderne. Die Alte Pinakothek ist ganz klar das Juwel und steht insofern außerhalb des Ganzen. Die Pinakothek der Moderne und auch das Museum Brandhorst sprechen eine ganz andere, sehr viel zeitgenössischere Sprache. Insofern hat dieses Kunstareal – das natürlich noch sehr viel weiter gestreckt ist – unterschiedlichste neue Elemente hinzubekommen, die die Vielfalt der Jahrhunderte, die sie präsentieren, mit spiegeln. Reeh: Vielen Dank, das haben Sie wunderbar kurz und präzise beantwortet. Ich habe noch eine "gemeine" Frage, die eigentlich fast schon global ist: Die zeitgenössische Kunst ist ja jahrzehntelang in Richtung Abstraktion gegangen. Dann kamen die performativen Künste mit dazu, also die Performance Art, die Videokunst usw. Plötzlich gab es die Tendenz, dass die figurative Malerei wieder in den Vordergrund rückt und es gab z. B. eine sehr erfolgreiche große Neo-Rauch-Ausstellung. Was ist Ihre Prognose? Wohin wird die zeitgenössische Kunst gehen? Wird Sie sich diversifizieren? Gibt es da eine Tendenz, die Sie greifen und benennen können? Schulz-Hoffmann: Im Zuge der Globalisierung in unserer Zeit kommen sehr viele neue Felder und auch ganz neue nationale Kunsttraditionen hinzu, die ihre eigene Bildsprache mit einbringen. Das ist etwas, was erst so allmählich möglich geworden ist, denn es war ja lange Zeit so gewesen, dass z. B. der Blick auf die afrikanische Kunst sehr stark vom europäischen und amerikanischen Kontinent geprägt war. So ganz allmählich fängt es an, dass sich das alles unheimlich aufsplittet. Und man kann z. B. auch nicht mehr von europäischer Kunst versus amerikanischer Kunst sprechen, wie man das noch vor einigen Jahren machen konnte. Stattdessen gibt es heute unterschiedliche Fragmente, die sich auf unterschiedlichste Art und Weise miteinander verzahnen. Insofern würde ich keine Prognose wagen wollen, ob das eine oder das andere vorherrschend sein wird. Es wird immer wieder bestimmte Moden geben, es wird mal die Mode der Malerei und mal die Mode von unterschiedlichen Medien geben, aber es werden – und das ist meiner Meinung nach der eigentliche Trend – sich diese unterschiedlichsten, vielfachen Möglichkeiten in Zukunft sehr viel stärker nebeneinander und parallel entwickeln. Im Bereich der Computerkunst sind wir heute ja noch überhaupt nicht weit, denn hier steckt alles immer noch ein wenig in den Anfängen: Mir selbst liegt das, ganz spontan gesagt – denn dafür gehöre ich vielleicht doch einer anderen Generation an –, nicht so sehr, aber hier hat sich aus meiner Sicht einfach noch nicht so furchtbar viel entwickelt. Reeh: Vielen Dank für diese hervorragenden und präzisen Antworten. Dafür gibt es nun eine Belohnung, Sie dürfen nämlich träumen: Wenn Sie drei Kunstwerke Ihrer Wahl kaufen könnten und Geld dabei keine Rolle spielte, welche Kunstwerke wären das? Hätten Sie da etwas im Visier, was Sie gerne für das Museum Brandhorst oder für die Pinakothek der Moderne kaufen würden? Schulz-Hoffmann: Ach, das müsste jetzt für diese beiden Häuser sein und nicht für mich privat? Reeh: Oh, Sie dürfen auch für sich selbst privat etwas aussuchen. Wir sind da ganz offen. Schulz-Hoffmann: Ich würde mir tatsächlich von Rembrandt ein wunderbares kleines Jugendbildnis gönnen, das in der Alten Pinakothek ausgestellt ist. Im Bereich der modernen Kunst gibt es unendlich viele Dinge, die mir gefallen, aber ich würde mir da in der Tat ein Bild von Baselitz leisten. – Ich würde auch durchaus für unser Haus noch mehr von ihm kaufen. – Und ich würde auch ganz junge, völlig unbekannte und unverbrauchte Kunst kaufen. Ich würde vielleicht nicht unbedingt nur Malerei kaufen, sondern auch andere Dinge, wenn ich die entsprechenden Ausstellungsmöglichkeiten hätte, denn ich würde ja mit diesen Dingen leben wollen. Ich hatte ja immer die Chance, mit Kunstwerken zu leben, weil ich immer im Museum gearbeitet habe. Wenn ich also diese Ausstellungs- und Aufstellungsmöglichkeiten auch privat hätte, dann würde ich auch sehr gerne installative und auch medial vielfältige Arbeiten kaufen und sammeln. Reeh: Vielen Dank. Das war Carla Schulz-Hoffmann, Kunsthistorikerin und stellvertretende Generaldirektorin der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen. Vielen Dank und auf Wiedersehen.

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