Ein Erzähler Aus Instinkt Und Temperament

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Ein Erzähler Aus Instinkt Und Temperament EIN ERZÄHLER AUS INSTINKT UND TEMPERAMENT John Knittel, der Verfasser des Romans «Via Mala» Text CHARLES LINSMAYER Kurz nach dem Ersten Weltkrieg macht zu- kommen lässt. Aaron West nennt sich 1921 im nächst im englischen, dann im deutschen gleichnamigen Roman der Erste von ihnen: ein Sprachraum ein Autor Furore, dessen Name wüster Seebär mit einer liebeshungrigen See- so abenteuerlich international anmutet wie le, der an der Liebe zu zwei Frauen zerbricht seine Romane. John Knittel heisst der Mann, und am Ende mit Gott hadert, weil der ihn um der, unbekümmert um intellektuelle literari- ein besseres Schicksal betrogen hat. Drei Jah- sche Trends und sprachliche Raffinessen, eine re später, in «Der Weg durch die Nacht», wird ganze Reihe von einprägsamen Gestalten zu ein Schriftsteller namens David Bright zum John Knittel, der sprühendem Leben erweckt und in packend Protagonisten, und wenn der hoch sensible «staunenswerte erzählten, die halbe Welt zum Schauplatz ma- Zeitgenosse an der Liebe und an seiner Umwelt Fremdling», chenden Romangemälden an sich selbst, ihrer zugrunde geht, so nicht zuletzt deshalb, weil Verfasser des Romans Umwelt oder an der Liebe scheitern oder in er die ganze fürchterliche Hypothek des Ersten «Via Mala» . einem fragilen Glück vorübergehend zur Ruhe Weltkriegs auf sein Gemüt geladen hat. Die erste Geschichte eines Vatermords «Therese Etienne» ist 1927 Knittels erstes Fa- die heimliche Geliebte sich von seinem Vater miliendrama, ein Roman, in dem ein junger befreit. Ein gewalttätiger Schluss, den Knit- Mann, Gottfried Müller, so zwanghaft von der tel nicht einfach so stehen lässt, muss doch Liebe zu Therese Etienne, der jungen zwei- 1939, im Roman «Amadeus», der Sohn der ten Frau seines Vaters, gepackt wird, dass er beiden die Tat sühnen, indem er sich, statt zu nach einem jahrelangen inneren Ringen zur lieben, für die Mitmenschen opfert. treibenden Kraft an dem Mord wird, mit dem THERESE ETIENNE Roman Englische Originalausgabe: «Into the abyss». 1927 Aus dem Englischen von M. Furtwängler-Knittel und H. Furtwängler, 2007 Die arabische Welt als Schauplatz Von 1929 bis 1933 legt Knittel die ersten drei reich einen General der Besatzungsarmee als jener Romane vor, die ihm den Ruf eines ge- Geisel nimmt und von diesem am Ende getötet wieften Kenners und Sympathisanten der ägyp- wird, ohne dass er erfahren hätte, dass es sein tisch-arabischen Welt einbringen: «Der blaue Vater ist. «Selten ist wohl Stärkeres, Zwingen- Basalt», die traumhaft-imaginäre, das moderne deres geschrieben worden zur moralischen Le- Fantasy-Genre vorwegnehmende Begegnung gitimierung der Kämpfe, die ein ‹barbarisches› eines Ägyptologen mit einer aus ihrer Mumi- Volk gegen die Mächte der ‹Zivilisation› geführt fizierung wiedererwachten Pharaonin – eine hat», bemerkte die NZZ dazu. Schliesslich 1933 Vision, die das grossartige alte Ägypten dem bri- «Der Commandant», ein Roman, der vom tisch kolonialisierten von 1929 gegenüberstellt. Schauplatz Marrakesch her zu den «arabischen» «Abd-el-Kader» ist 1931 der Roman des marok- Titeln gehört und vom russischen Fremdenlegi- kanischen Rebellenführers dieses Namens, der onär Igor handelt, der auf zwei Engländerinnen im Kampf um die Unabhängigkeit von Frank- eine unerklärlich starke Faszination ausübt. «Das Menschenleben ist heilig! Das Wenn wir die Lebenden beschützen menschliche Leben muss mit allen Mit- wollen, dann müssen wir auch die To- teln geschützt werden! Ein Zeitalter der ten und ihre heiligen Überzeugungen Toleranz! Jeder Mensch mag sagen und schützen.» lamcorper velit. Phasellus gravida semper glauben, was er will! Diese Grundsät- nisi. Nullam vel sem. ze werden uns als die moralischen Er- Pellentesque libero tortor, Knittel verfasst DER ÄGYPTOLOGE WALTER BEAM IN alle seine Romane rungenschaften unseres Jahrhunderts tincidunt et, tincidunt «Der blaue Basalt», 1929 eget, semper nec, quam. und Erzählungen dargestellt. Ich sage, das genügt nicht! Sed hendrerit. auf Englisch. Knittel mit seinem Vorbild und Freund «Via Mala», die zweite Vatermordgeschichte Robert Hichins am Genfersee Anfang der Zwanzigerjahre. Nach «Therese Etienne» ist «Via Mala» 1934 des Tyrannen sich befindet, ja für die erschüt- der zweite Roman Knittels, der in der Schweiz ternde Tragik des Geschehens überhaupt, spielt. Und auch da steht mit dem Sägereibe- wie geschaffen ist. Die zeitgenössische Pres- sitzer Jonas Lauretz ein Mann im Zentrum, se ist von dem Buch jedenfalls beeindruckt. dessen brutale Selbstherrlichkeit, Rück- «Eine Kriminalgeschichte von dämonischem sichtslosigkeit und infernalische Bosheit bei Einschlag und riesigem Ausmass» sieht Carl aller Abscheulichkeit etwas Dunkel-Grossar- Seelig in der NZZ darin, ein Werk, das «bis tiges, ja Dämonisches besitzt. Ein Verbrecher, zum tröstlichen Schluss den Eindruck ei- der einem mit seinem nes energischen Wurfs Schicksal gleichwohl «EINE hinterlässt.» Die Wie- nahegeht, der in sei- ner «Neue Freie Pres- nen Taten und Verhal- KRIMINALGESCHICHTE se» konstatiert: «Diese tensweisen durchaus ‹Via Mala› ist eines der glaubwürdig gezeich- VON DÄMONISCHEM schönsten und grössten net ist und der gerade Romanwerke der letzten darum so viel Negati- EINSCHLAG UND Jahre. Eine berauschen- ves und Hassenswertes de Fülle von Gestalt und mitbringt, dass man als RIESIGEM AUSMASS.» Gefühl, Figur und Atmo- Leser seine Ermordung, sphäre ist da vorhanden. ganz anders als diejeni- CARL SEELIG Ein kleiner Raum, in Ein ägyptischer ge des Vaters in «Therese dem alles sich begibt – Etienne», von Anfang an aber die Unendlichkeit Arztroman für gerechtfertigt hält, ja lange, bevor Sohn schauert uns an.» Auch in England sind Ur- Unter Knittels weiteren Werken ist 1936 der und Tochter auf den Gedanken verfallen, un- teile wie jenes des «Sheffield Independent» Roman «El Hakim» am erfolgreichsten, der bewusst zu erhoffen beginnt. Kommt dazu, an der Tagesordnung: «There are 576 closely seine Beschäftigung mit dem arabisch-ägyp- dass Knittel auch in den weiteren Figuren printed pages in ‹Via Mala›, but not one too tischen Raum fortsetzt. Es ist die Geschichte des Romans einprägsame, mit dem Gesche- many.» «Via Mala» ist auch beim Publikum des Ägypters El Hakim, der es aus einfachsten hen zwingend verbundene Gestalten gelun- Knittels grösster Erfolg: Bis 1978 wird er Verhältnissen zum Arzt bringt, sich als inter- gen sind und dass er die Geschichte in eine mehr als drei Millionen Mal verkauft, 1944, national erfolgreicher Mediziner für die un- enge, kalte, steinige Landschaft hineinstellt, 1961 und 1985 wird er verfilmt, zuletzt mit terdrückten Fellachen einsetzt, in der Liebe die für die Ausweglosigkeit, in der die Familie Mario Adorf in der Hauptrolle. aber kein Glück hat und jung stirbt. «Jedes Land, das mit Gewalt sich eines anderen Landes zu bemächtigen sucht, einerlei, wo dieses Land liegt, einerlei, welches Volk dieses Land bewohnt, hat nach dem Prinzip einer grundsätz- VIA MALA Roman lichen Gerechtigkeit falsch gehandelt Englische Originalausgabe, 1934. und folglich ein Verbrechen begangen.» John Knittel Aus dem Englischen von M. Furtwängler-Knittel mit Wilhelm Furtwängler und H. Furtwängler, 2000 Aus «Abd-el-Kader», 1931 auf dem Nil im April 1936. Knittel Ende der Fünfziger- jahre in Marrakesch. Nachlassen des Erfolgs nach 1945 Aus Gründen, von denen noch zu reden sein wird, kommen Knittels nach dem Zweiten Weltkrieg entstandene Werke bei Presse und Publikum weniger gut an. Das trifft leider auch schon für den fulminanten Afrika-Ro- man «Terra Magna» von 1948 zu, der aus der Optik eines in Marokko lebenden und dort die Liebe seines Lebens findenden Europäers ein lebensvolles Bild des afrikanischen Konti- nents entwirft. Es gilt für den 1953 publizier- ten Roman «Jean Michel», der die Geschichte eines Deutschen erzählt, der nach dem Krieg auf einem französischen Bauernhof eine Hei- mat und eine Liebe findet, bis er vom Kriegs- Wie ein «überlebender Fürst über heimkehrer Jean Michel allein deshalb er- unzählige Herden aus dem Kaukasus» schossen wird, weil er Deutscher ist. Knittels kommt er Carl Jacob Burckhardt bei letztes Werk ist der 1959 erschienene Roman einer Begegnung vor, und wird nicht «Arietta», dessen Titelgestalt nach dem Un- müde, seine Lebenslust, seine Heiterkeit, falltod ihres Mannes die ererbte Fabrik zu seine Männlichkeit und seine Grosszügigkeit Notleidenden einem sozialen Musterbetrieb macht und in gegenüber zu schildern. einer zweiten Ehe ein spätes Glück findet. John Knittel, der «staunenswerte Fremdling» Wer ist nun der Mann, der hinter dieser Fülle den «erfolgreichen Start mit einem englischen an Figuren und Geschichten steht? «Er be- Roman» ein Kunststück und bemerkt etwas, sass schon eine Legende», erinnert sich Carl was für Knittels bewusst international ausge- Jacob Burckhardt an den Dreizehnjährigen, richtetes Werk seine Gültigkeit behalten wird: der mit ihm das Basler Gymnasium besuch- «Knittel gehört zu der internationalen Art te. Der «staunenswerte Schriftsteller, bei denen Fremdling», so Burck- die Sprache gar nicht hardt, kommt am 24. «KNITTEL GEHÖRT ZU zählt. Er ist in jeder Spra- März 1891 als Sohn ei- che schon Übersetzung.» nes Basler Missionars DER INTERNATIONALEN Aber nicht nur die Spra- im indischen Dharwar che, auch der Schauplatz zur Welt, wo er in den ART SCHRIFTSTELLER, und der Schreibort blei- ersten drei Jahren nur ben international. Ne- eine indische Mundart BEI DENEN DIE SPRACHE ben wechselnden Wohn- spricht. Knittel verlässt sitzen in der Schweiz das Gymnasium vor- GAR NICHT ZÄHLT. – Pontresina, Montreux, zeitig, reist mit 19 nach La-Tour
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