STANDPUNKT focus 2/21 März Klimamassnahmen im Verkehr

Peter de Haan reduktion auch danach bewertet werden, ob Leiter Ressourcen, Energie sie in anderen Zieldimensionen, etwa bezüg- Liebe Leserin, lieber Leser und Klima bei EBP, Autor lich Lärm, Luftschadstoffen, Flächenbedarf, der Studie «Handlungs- Sicherheit, Zerschneidung der Landschaft Klimawandel, Klimakrise, Klimastreik spielräume der Städte für oder urbaner Qualität günstig sind oder nicht. – das Klima ist ein Dauerbrenner in der eine klimaneutrale Mobilität. Für ambitionierte Klimaziele sind prioritär Öffentlichkeit und in der politischen Are- Ansätze zu wählen, die den übrigen Dimen- na. Die Schweiz hat das Abkommen von sionen dienen oder zumindest nicht schaden. Paris ratifiziert und sich zum Ziel gesetzt, Synergien sind zu nutzen: Massnahmen mit bis 2050 vollkommen klimaneutral zu Die Schweizer Klimastrategie sieht netto eher kleiner Klimawirkung können sinnvoll werden. Somit ist klar: Der CO₂-Ausstoss null Emissionen bis 2050 vor. Dieses Ziel ist sein, weil sie in den anderen Dimensionen muss massiv reduziert werden. ehrgeizig. Auf Bundesebene sind die politi- positive Wirkungen entfalten. Umgekehrt schen Instrumente dafür noch nicht alle be- ist zu vermeiden, dass Zielkonflikte auftre- So führt kein Weg daran vorbei, schlossen, aber das revidierte CO₂-Gesetz ist ten, indem Massnahmen mit per se grosser die Emissionen im Verkehr deutlich zu als gute Grundlage dafür angelegt. Kantone, Klimawirkung anderweitig negative Folgen senken und eine klimaneutrale Mobilität Städte und Gemeinden müssen diese Ziele zeitigen. anzustreben. Der Verkehr ist für 40 Pro- ebenfalls mittragen und Massnahmen lancie- zent des gesamten CO₂-Ausstosses der ren, um diese zu erreichen. Es reicht nicht mehr aus, für jede Mass- Schweiz verantwortlich. Die Städtekon- nahme einzeln aufgrund des Kosten-Nutzen- ferenz Mobilität hat deshalb eine Studie Für den Verkehr, der für 40 Prozent des Verhältnisses oder der Akzeptanz zu entschei- erstellen lassen, die Handlungsspielräu- Kohlendioxidausstosses in der Schweiz ver- den, ob sie umgesetzt werden soll oder nicht. me der Städte zur Emissionsreduktion antwortlich ist, stellen sich dadurch beson- Gefragt ist eine systemische Betrachtungs- aufzeigt, die in dieser Ausgabe des dere Herausforderungen. Erstens müssen weise. Beispielsweise ist die Anpassung der «focus» näher beleuchtet werden. Klar und wollen Menschen mobil sein − für ihre Verkehrsinfrastruktur an energie- und platz- ist: Es gibt keine einfachen Lösungen. Die Arbeit, ihre Ausbildung, Einkäufe, Freizeit- sparende Mobilitätsformen wie den Fuss- und Städte gehen jedoch voran und haben erlebnisse sowie für den sozialen und kul- Veloverkehr eine Voraussetzung dafür, damit bereits für viele innovative Lösungsansät- turellen Austausch. Die Grenzen zwischen diese attraktiver werden. Und es braucht ze gesorgt. Dies zeigt auch das Beispiel sinnvoller Basismobilität und schädlicher zuerst Ladeinfrastruktur, bevor Elektroautos aus . Übermobilität sind dabei nicht nur fliessend, sich im Massenmarkt durchsetzen können. sondern sehr subjektiv. Zweitens gehören Schliesslich reicht es nicht aus, einmalig Wir wünschen eine gute Lektüre! aus Sicht der Treibhausgasinventare auch Massnahmen zu beschliessen. Ihre Wirkun- Baumaschinen, Land- und Forstwirtschaft, gen sind periodisch zu überprüfen, und falls mobile Maschinen, Garten- und Hobbywerk- nötig sind Anpassungen vorzunehmen. Inhalt zeuge dazu. Standpunkt 1 Interview 2 Um das langfristige Ziel der Klimaneu- Studie Handlungsspielräume der Städte für Thema 3 tralität zu erreichen, ist ein Umdenken beim eine klimaneutrale Mobiltiät auf der Website Session 4 Priorisieren der Massnahmen nötig. Die der Städtekonferenz Mobilität Städteverband im Fokus 5 Massnahmen müssen neben der Emissions- Agenda 6 focus 2/21 März · Schweizerischer Städteverband · Seite 2

INTERVIEW «Ab 2050 sind keine fossil betriebene Fahrzeuge mehr erlaubt»

Beat Jans Regierungspräsident Basel-Stadt

Beat Jans ist im November 2020 als Re- gierungspräsident in die Regierung von Basel-Stadt gewählt worden und steht dem Präsidialdepartement vor. Zuvor sass er wäh- rend 10 Jahren im Nationalrat und dort in der Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie.

Beat Jans ist Umweltnaturwissenschaftler und war beruflich unter anderem für Pro Natura und als selbstständiger Berater im Bereich Nachhaltigkeit und Kommunikation tätig.

Welchen Stellenwert haben für Sie die Wie soll das konkret geschehen? ÖV weiter auszubauen. Da ist in den vergan- Bestrebungen, eine klimaneutrale Mo- In Basel-Stadt sind im letzten Jahrzehnt genen Jahrzehnten viel geschehen, u.a mit bilität zu erreichen? 20‘000 neue Arbeitsplätze entstanden. In dem Tarifverbund Nordwestschweiz, der mit Einen sehr grossen Stellenwert! Denn die Stadt gezogen sind aber nur 10‘000 Men- einem einzigen Abonnement genutzt werden damit wir insgesamt klimaneutral werden, schen. Das Ziel ist es, diese Lücke kleiner zu kann. Dieses ist seit auch für Fahrten über die muss auch die Mobilität ihren Beitrag leisten. machen, sprich, entsprechend der Zunahme Landesgrenze nach St. Louis und Weil am Dazu ist es wichtig, Mobilität im Gesamtkon- von Arbeitsplätzen Wohnraum zu schaffen. Rhein gültig. Doch sollte es, um die Zent- text zu betrachten. Unser Mobilitätsverhal- Mit den Transformationsarealen verfügt Basel rumsfunktion Basels ideal zu nutzen, auch ten ist verbunden mit unseren Lebens- und über ein Wachstumspotential, das nachhaltig Olten einschliessen. Arbeitsmodellen und verknüpft mit anderen genutzt werden soll. Bereichen unseres städtischen Lebens. Wo sehen Sie die grössten Zu den zahlreichen Herausforderungen auf Herausforderungen? Welche Ziele und welchen Zeithorizont diesem Weg gehört die Mobilität. Kurze Wege Die grosse Herausforderung sehe ich darin, verfolgt Basel, um Emissionen bei der sind das eine, ein intelligenter Mix an ver- neue Lebens- und Arbeitsmodelle und neue Mobilität zu senken? schiedenen Verkehrsträgern das andere. Die Konsum- und Produktionsmuster zu entwi- Wir haben einen Volksentscheid, in Basel fahren bereits seit 2009 mit ckeln, um insgesamt klimaneutral zu werden, dass bis 2050 ausschliesslich emis- 100% erneuerbarer Energie. Bis 2027 werden auch in der Mobilität. Dies ist verbunden mit sionsarme, klima- und ressourcenschonende wir auch die Busflotte auf E-Busse umstellen, einem gesellschaftlichen Prozess. Verkehrsmittel und Fortbewegungsarten so dass der gesamte ÖV mit 100% erneuer- in Basel verkehren – das heisst, ab 2050 barer Energie betrieben wird. Aufgrund der Ist die klimaneutrale Mobilität werden keine fossil betriebenen Fahrzeuge wachsenden Menge der Warentransporte in der Bevölkerung akzeptiert? mehr erlaubt sein. Die künftige Mobilitäts- sind auch in der Logistik zunehmend innova- Die Basler Stimmbevölkerung hat einem strategie «Basel unterwegs – klimafreund- tive Ansätze für eine möglichst ökologische emissionsarmen, klima- und ressourcen- lich ans Ziel» zeigt auf, welche laufenden Abwicklung gefragt. Da neue Formen der Zu- schonenden Verkehr bis 2050 zugestimmt. und neuen Massnahmen dazu notwen- sammenarbeit und des Teilens an Bedeutung Basel hat zudem als erste Schweizer Stadt dig sind. Gleichzeitig arbeiten wir in allen gewinnen, ist z.B. beispielsweise eine digita- den Klimanotstand ausgerufen. Der Gros- Politikbereichen an Lösungen, welche auf le Plattform geplant. se Rat hat eine Spezialkommission Kli- verschiedenen Ebenen unsere Mobilität maschutz eingerichtet. Klimaschutz ist in beeinflussen. Eine integrale und res- Inwiefern stimmen Sie sich dabei mit Ih- Basel auf der politischen Agenda gesetzt. sourcenschonende Stadtentwicklung ist ren Nachbarkantonen und -ländern ab? Deshalb steht für mich die Bewerbung für eine, die kurze Wege zum Ziel hat. Arbei- Wir können unsere Kernstadt nicht den European Green Capital Award stark ten, wohnen, einkaufen sowie Freizeit sol- unabhangig von der Agglomeration betrach- im Vordergrund, der als eine Art Königspro- len nahe beieinander liegen. Denn das spart ten. Darum ist es wichtig, dass wir mit un- zess alle Bestrebungen im Bereich Nach- Verkehr. seren Nachbarn zusammenarbeiten, um den haltigkeit und Klimaschutz bündelt. focus 2/21 März · Schweizerischer Städteverband · Seite 3

THEMA

Fünf Ansätze für einen klimaneutralen Verkehr

Die «Mobilitätswende» hin zu einem Verkehr, der keine Belastung mehr ist für das del hin zu durchwegs elektrifizierten Perso- Klima, ist ein anspruchsvolles Unterfangen. Dafür gibt es nicht einen einzigen Hebel, nen- und Lastwagen sollte auch mit einem sondern mehrere Werkzeuge, die in geeignet einzusetzen und aufeinander abzustim- konzeptionellen Sprung verbunden werden, men sind. Ein wesentlicher Faktor beim Setzen von Prioritäten ist die Flächeneffizienz. wie es das ein SKM-Positionspapier von 2017 fordert. Elektrisch angetriebene Autos sollen vermehrt geteilte Autos sein, Autos auch, Adrian Borgula daraus die praktische Erfahrung mitnehmen, die nicht mehr vorwiegend Stehzeuge sind Stadtrat Luzern, dass wir unser Leben auch mit weniger Pen- sondern dem Namen Fahrzeug wieder ge- Präsident Städtekonferenz deln und mehr Freizeit in der Nähe führen recht werden. Der Erfolg der Elektromobili- Mobilität können, ist bereits etwas gewonnen. Beim tät bedingt nicht nur elektrische Fahrzeuge, Verlagern auf emissionsarme Verkehrsträger sondern auch Ladestationen, die wie bei den hilft uns die Siedlungsentwicklung nach in- Tankstellen primär im privaten Raum anzu- nen. Schweizer Städte waren schon Städte streben sind. Gemäss der SKM-Studie würde der kurzen Wege, bevor dieser Begriff jüngst ein «Recht auf Steckdose» bei Mietverträgen Bund, Kantone und Gemeinden sind in Mode gekommen ist, und sie sind es nach für Parkplätze die grösste Wirkung erzielen. enorm gefordert, Wege zu finden, um den wie vor. Indem nun auch die Agglomeratio- Ausstoss von Treibhausgasen möglichst nen baulich dichter und für die Nahversor- Zuerst Vermeidung und Verlagerung schnell auf null zu bringen. Der Beitrag gung attraktiver werden, steigt die Attrak- Bei aller Komplexität – unter dem Strich der Mobilität zu diesem gewaltigen Unter- tivität des zu Fuss Gehens, des Velofahrens macht die Studie zu den städtischen Hand- fangen wurde in den letzten Jahren oft zu sowie von Bahn, und Bus auch dort. lungsfeldern für eine klimaneutrale Mobili- wenig gewichtet, und teilweise ist das auch tät eine kompakte Aussage zu den richtigen heute noch der Fall. Mit der Studie «Städti- Weniger Raum ist gefragt Prioritäten in den Städten: «In Anbetracht sche Handlungsfelder für eine klimaneutrale Umgekehrt bedingen grössere Dichten an der aktuell stattfindenden Innenverdichtung Mobilität» hält die Städtekonferenz Mobilität Menschen und Bauten auch eine möglichst schwindet der Platz für Verkehrsmittel, in hier dagegen. Sie hat dafür die Ausgangs- flächeneffiziente Abwicklung der Mobilität. denen eine einzige mobile Person dutzende lage aufgearbeitet und zeigt Möglichkeiten Und hier haben wiederum die genannten Quadratmeter Strasse braucht. Individuelle auf, wie sich dem begegnen lässt. emissionsarmen Fortbewegungsarten die Elektroautos sind deshalb gerade für Städte Nase vorne. Abgesehen davon: Wir müssen ausser für den Gewerbe- und Güterverkehr Die Studie enthält nicht weniger als elf nicht nur dafür sorgen, dass Verkehrsmit- oft nur eine Teillösung, der Zielkonflikt zur verschiedene Stossrichtungen und 47 Hand- tel unsere Luft nicht mehr verschmutzen, Flächeneffizienz ist oft gross. Deshalb soll- lungsfelder, die dazu beitragen können, sondern auch dafür, dass unsere Mobilität ten an erster Stelle die Vermeidung und den Verkehr von jeglichem Kohlendioxid- weniger Raum in Anspruch nimmt. So wie Verlagerung und sekundär der Einsatz von Ausstoss zu befreien. Im Grundsatz lassen gemäss dem Bundesamt für Statistik heute erneuerbaren Antrieben erfolgen.» sich fünf Ansätze unterscheiden, die idealer- rund 40 Prozent des Kohledioxidausstosses weise intelligent zusammenwirken: erstens in der Schweiz auf das Konto des Verkehrs das Vermeiden von Verkehr und Verkürzen gehen, so nehmen die Verkehrsflächen (Ab- SKM-Frühlingsforum zur Zukunft des der Strecken; zweitens das Verlagern auf stellflächen inklusive!) heute einen Drittel öffentlichen Verkehrs in den Städten emissionsarme, siedlungsverträgliche Ver- der Siedlungsfläche in Anspruch. Nicht erst seit der Corona-Krise sieht sich der kehrsträger; drittens das Verbessern der klassische öffentliche Linienverkehr Veränderun- Antriebe; viertens das kluge Vernetzen der «Die Verkehrsfläche nimmt gen gegenüber. In den Städten finden sich neue Mobilitätsangebote. Und fünftens die Vor- einen Drittel der Siedlungs- Mobilitätsangebote, wie Miet-Velos oder Miet- bildfunktion der öffentlichen Hand gegen- fläche in Anspruch.» Trottinette, und die Digitalisierung vereinfacht über Bevölkerung und Wirtschaft - eine Transportketten aus verschiedenen Fortbewe- Funktion, die etwa mit der Beschaffung von Flächeneffiziente Verkehrssysteme erlauben gungsarten. Was heisst das für die Zukunft von Bus elektrisch angetrieben Kehrichtwagen an es, die geeignete Verteilung des öffentli- und Tram? Wie lassen sich die klassischen und die Fahrt aufnimmt. chen Raums zu überprüfen und in den ver- neuen Verkehrsmittel intelligent kombinieren und dichteten urbanen Gebieten Flächen zu ver- den jeweiligen Siedlungsstrukturen anpassen? Hilfe durch Siedlungsentwicklung nach innen bessern und zu gewinnen für eine erhöhte Und welche Rolle spielen dabei die Städte? Am Was es heisst, Verkehr zu vermeiden, haben Aufenthaltsqualität, mehr Biodiversität und Frühlingsforum-Webinar der Städtekonferenz am alle, die im Homeoffice arbeiten können, verbesserte Klimaanpassung. 20. April äussern sich kompetente Referentinnen in der Corona-Krise drastisch erfahren. Und und Referenten zu diesen Fragen und möglichen auch jene, die für ihre Ferien gerne weit Auch die Verbesserung der Antriebe, will Antworten darauf. Detailliertes Programm und Re- über die Landesgrenzen reisen, waren ange- heissen: die Elektrifizierung des Strassen- gistrierung bis am 4. April unter www.skm-cvm.ch. halten, ihren Radius zu reduzieren. Wenn wir verkehrs ist ein Gebot der Stunde. Der Wan-