SWR2 Musikglobal
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SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE __________________________________________________________________________ SWR2 MusikGlobal Vallenato Die Kolumbianer lieben das deutsche Akkordeon! Von Camilla Hildebrandt Sendung: Dienstag, 19. September 2017, 23.03 Uhr Redaktion: Anette Sidhu-Ingenhoff Produktion: SWR 2017 __________________________________________________________________________ Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. __________________________________________________________________________ Service: SWR2 MusikGlobal können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de __________________________________________________________________________ Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? 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Es ist DIE Musik der karibischen Küste und mittlerweile eine der populärsten Musikrichtungen im ganzen Land. Wenn ein Musiker im Norden auf einem der zahlreichen Plätze sein Instrument auspackt und eine Melodie anstimmt, wird lautstark mitgesungen, voller Inbrunst. Dann geht es nicht darum Singen zu können, sondern gemeinsam etwas zu teilen. In Valledupar – im Innern des Landes -, in der Nähe der Küstenstadt Riohacha - wo Tag und Nacht die Temperaturen kaum unter 30 Grad fallen, und der Lebensrhythmus dementsprechend ein anderer ist, als in der kühlen Hauptstadt Bogotá, findet jedes Jahr das "Festival de la Leyenda Vallenata" – das Festival des Vallenato statt. Dieses Jahr im April wurde das 50. Jubiläum gefeiert! Während dieser Festivitäten steht die Stadt mit ihren rund 350.000 Einwohnern Kopf. Alles, was irgendwie untervermietet werden kann, wird als Zimmer für Gäste umfunktioniert. Ein legendäres Fest zu dem jährlich rund Fünfzig Tausend Musikbegeisterte die Stadt regelrecht belagern. Juan Rincón Vanegas, mehrfach mit Preisen ausgezeichneter Journalist und Pressechef des „Festivals des Vallenato“. erzählt: Juan Rincón Vanegas: „Es gibt verschiedene Wettbewerbe. Zunächst das Akkordeon, da gibt es den Kinder-, Jugendlichen, -Amateur und Profi-Wettbewerb, dann der Wettbewerb des unveröffentlichten Liedes und die Piquerie, ein verbaler Kampf, der mit sarkastischen Lied-Versen ausgetragen wird.“ Musik 2, Song: chispitas de Oro, Interpret: Diomedes Díaz Liedtext: „Der Vallenato diente einst als Botschaft, als Nachricht, man ging von Dorf zu Dorf und sang. Es vergingen Tage, aber die Nachrichten kamen an, so wie die Troubadoure es zu tun pflegten. Sagt Juan Rincón Vanegas. Der Vallenato wurde ursprünglich mit der Caja - einer hölzernen Trommel -, der Guacharaca - einem gerillten Rohrstab und der Gitarre gespielt. Er war die Musik des Nordens, der Karibikküste, wo die Menschen vorwiegend schwarz und arm waren. Eine Mischung aus indigenen, afrikanischen und europäischen Musikstilen und Instrumenten. Denn später wurde die Gitarre durch das deutsche Akkordeon ersetzt, das mit den Seeleuten über den Ozean kam. Die Bedeutung des Vallenato änderte sich aber Mitte der 60er mit Consuelo Araújo Noguera. Die Schriftstellerin, Journalistin und später Kulturministerin des Landes gründete zusammen mit dem Komponisten Rafael Escalona Martínez in Valledupar ein Festival. Anfangs stand dahinter die Idee den Feierlichkeiten zu Ehren der 2 „Virgen del Rosario“ einen festen Rahmen zu geben. Aber bald stand der Vallenato ganz im Vordergrund. Juan Vanegas: „Der Vallenato war damals die Musik der einfachen Leuten. Für die Intellektuellen oder die Leute in Bogotá war das nicht interessant. Aber das Festival machte diesen Rhythmus bedeutend, er wurde zur Identität Kolumbiens. 2015 wurde er außerdem durch die UNESCO zum immateriellen Weltkulturerbe ernannt. Alejando Durán war der erste “Rey” – König des Vallenato, 1968. Er sang damals: “este pedazo de acordeón es donde tengo el alma mía, donde tengo mi corazón y tengo mi alegría” – Dieses Akkordeon, da ist meine Seele, dort ist meine Freude.” Das sang er. Der Vallenato-Spieler war ein König, auch für die Frauen. Es war ein Ehre und ist es nachwievor rey del vallenato zu sein!“ Musik 3, Alejandro Durán “pedazo de acordeón Liedtext: “Dieses Akkordeon ….da wohnt meine Seele, dort ist mein Herz und ein Teil meines Glücklich-Seins. Freunde, wenn ich sterbe, dann bitte ich euch um einen Gefallen: bringt mich bitte mit dem Akkordeon zum Friedhof. Meine Freunde sagen, das sei dummes Zeug aber niemand ist so zärtlich zu mir, wie das Akkordeon.” Anfangs, Ende der 60er, war es noch ein kleines Festival. Aber nach und nach wurde es immer bedeutender. Besonders als Alfonso López Michelsen Gouverneur der Region - Cesar – wurde und später auch Präsident des Landes. Alfonso López verehrte den Vallenato, kam regelmäßig nach Valledupar, weil er die Gastfreundschaft, die Kultur und Tradition dort sehr schätzte. Durch ihn wurde das Festival national bekannt. Der Song “El amor amor” wurde zur Hymne des Vallenato. Er besang genau das, was Alfonso López faszinierte: die Gastfreundschaft, Freundschaft und Liebe der Menschen in dieser Region. “Este es el amor, amor, el amor que me divierte, cuando estoy en la parranda, no me acuerdo de la muerte.” “Das ist die Liebe, die Liebe, die mir Freunde bringt, wenn ich in der Parranda – einem Vallento-Fest – bin, dann vergesse ich den Tod.“ Musik 4, „El amor amor“, Unbekannt Es heißt, mit der Berühmtheit des Vallenato wurde er u.a. auch zur Musik der Drogenbosse deklariert. Mit dem Geld der „Narcos“ konnten Musiker endlich Platten pressen und ihre Lieder wurden auch außerhalb des Landes gehört. Der Komponist Rosendo Romero Ospino, 66, der seit Jahrzehnten Vallenatos für die ganz Großen komponiert, lehnt diese Verbindung ab, er sagt: Rosendo Romero Ospino: „Der Vallenato ist für mich immer ein Ausdruck des Lebens gewesen. Der Meister des Vallenato und Sänger Sergio Moya Molina meinte mal: “A veces uno se siente inspirado y el sentimiento se vuelve canción. Manchmal fühlt man sich inspiriert, und dann wird aus der Inspiration ein Vallenato.“ Der Vallenato ist ein Gefühl, er beschreibt Bräuche, Legenden, Personen, Anekdoten, Landschaften und den Protest gegen soziale Ungerechtigkeit. Der Vallenato ist eine Musik der sozialen Integration und nicht die Musik der Narcos, wie er gerne genannt wurde. Er ist eine Musik der Landbevölkerung, die durch diese Musik in die 3 Gesellschaft integriert wurden – und er ist ein Weg zu Gott, eine Kommunikation mit ihm.“ Musik 5, Song: La miseria humana, Gabriel Escorcia Gravini Liedtext: In einer geheimnisvollen Nacht Als die Welt schlief Und ich auf der Suche war nach einer verlorenen Liebe Kam ich auf dem Friedhof vorbei. Aus der blauen Hemisphäre Kam das Licht des Mondes zum Vorschein Und bestrahlte die kühlen Mauern der heiligen Städte Wo der Uhu den Toten seine traurigen Klagelieder darbrachte… La Gran Miseria Humana – Die große menschliche Misere –ein vertontes Gedicht des Kolumbianers Gabriel Escorcia Gravini, 1892 geboren. Als Kind wurde bei ihm Hansen – d.h. Lepra – diagnostiziert. Er musste die Schule verlassen, wurde komplett isoliert, verbrachte seine Tage in einem abgeschirmten Zimmer, wo er studierte und schrieb. Er nannte es eine “christliche Zelle”. Nur nachts wagte er sich heraus und wanderte über die Friedhöfe. Sein bekanntestes Werk wurde das Gedicht “La Gran Miseria Humana” ein poetisches Werk über den Tod, aber vor allem über die Liebe. Die Legende besagt, dass Gravini eines Sonntags einen Trouvadour singen hörte, der unter seinem Fenster vorbeikam. Ihm übergab er das Manuskript des Gedichts und sagte: Mach es bekannt. Literatur-Nobelreisträger Gabriel García Márquez schaute regelmäßig beim „Festival de la Leyenda Vallenata“ vorbei. Im Festival-Büro hängen Fotos von ihm, den Gründern und natürlich den „Reyes“, den Königen der jeweiligen Veranstaltungen. Márquez liebte den Vallenato. Nachdem er einige Jahre im Ausland gearbeitet hatte und 1966 nach Kolumbien zurückkam, versammelte er zusammen mit seinem Freund und Komponisten Rafael Escalona die besten Musiker in seinem Heimatdorf Aracataca, um sich anzuhören, was in der Vallenato-Szene passiert war. Zu seinem legendären Zitat über den Vallenato, dass er mit Anfang zwanzig für einen Zeitungsartikel verfasst hatte, befragte ihn später sein jüngerer Bruder Jaime Márquez. Jaime Márquez: „Er hatte geschrieben: Ich weiß nicht, was dieses Akkordeon an Kommunikativem hat, aber wenn wir es hören, legen sich uns die Gefühle in Falten“. Ich sagte zu ihm: Aber Gabito, wie können sich einem denn die Gefühle in Falten legen? Und er sagte: Schau mal Jaime, du bist Ingenieur, ich bin Schriftsteller.“ Musik 6,