Crépuscule C0 Autor

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Crépuscule C0 Autor Juan Branco CRÉPUSCULE Vorwort von Denis Robert Nachwort des Autors Aus dem Französischen von ceux qui ne sont rien Juan Branco wurde 1989 in Estepona, Andalusien, geboren. Er war Schüler an der École Alsacien- ne, diplomiert an der Sciences Po Paris, dann an der École normale supérieure in Jura und Philoso- phie. Heute ist er Rechtsanwalt und Rechtsbeistand, insbesondere von WikiLeaks, Julian Assange, sowie von Maxime Nicolle. Er ist ebenfalls Journalist bei der Zeitschrift Le Monde Diplomatique. Als politischer Aktivist war er ausserdem Kandidat der Partei La France Insoumise anlässlich der Parlamentswahlen von 2017 im Departement Seine-Saint-Denis. Dieser Text ist jenen gewidmet, die ihre Würde niemals aufgaben. Jenen die, angesichts der Verlockung der Macht und der Kompromissbereitschaft, der Lügen und der eigenen Interessen, zu widerstehen wussten. Er ist der Idee gewidmet, aus der ich stamme, dieser Republik die die Gleichwertigkeit ihrer Kinder postuliert. Dieser Republik, die die Welt angezogen hat, und die heute in prostituierten Händen versinkt. Vorwort von Denis Robert1 Es war Anfang November 2018. Der Präsident der Republik schloss seine Gedenktour mit einem Besuch in Pont-à-Mousson, einer Stadt an den Ufern der Mosel, ab. Er sollte dort eine Konferenz zum Abschluss bringen, die sich eines Anglizismus bediente, um seine Welt von morgen zu « erfin- den » : Choose France Grand Est. Ich bin dort mit einem Arzt befreundet. Ich verdächtige ihn, in beiden Runden der Präsidentschaftswahlen für Emmanuel Macron gestimmt zu haben. Damit wir uns richtig verstehen: Ich habe in der zweiten Runde dasselbe getan, ohne besondere Gemütslage. Plötzlich schickt mir dieser Freund, den ich verdächtige, immer rechts zu wählen, ein paar Tage später eine lange E-Mail mit einem Dutzend aufschlussreicher Fotos. Es war, als ob ein Giftgas eine ganze Stadt ausgelöscht hätte. Kein einziger Mussipontain auf den Strassen. Der Place Duroc für die Bevölkerung vollständig geschlossen. Idem für die Prämonstratenserabtei, wo die fünfhundert Gäste der Veranstaltung eingesperrt waren, gewählte Amtsträger und Entscheidungsträger, aussor- tiert, durchsucht, einkravattiert. An diesem Nachmittag wurde die Stadt in Narkose versetzt. Man hat die Bevölkerung ausgeschlossen. In einem Umkreis von etwa einem Kilometer um Emmanuel Macron nicht ein einziger freier und lebendiger Einwohner. Nichts als Metallschranken, Gendarmen und Republikanische Sicherheitskompanien, die in Dutzenden, den Ufern entlang geparkten Bus- sen, ausharrten. Am Abend im Fernsehen und am nächsten Tag in der Presse wurde der Erfolg der Präsidentschaftsreise hervorgehoben, ohne die Ausschliessung des unbequemen Volkes zu erwäh- nen. « So etwas habe ich noch nie gesehen, das ist völlig verrückt », kommentierte mein Freund an- gesichts dieser sichtbaren Angst, den Präsidenten mit Gegnern konfrontiert zu sehen. Es war der 5. November, und die gelben Westen lagen noch gefaltet in den Kofferräumen der Lie- ferwagen. Juan Branco gab seinem Manuskript Crépuscule, das er gerade in seinem Blog veröffent- licht hatte, den letzten Schliff. Es war immer noch vertraulich. Eine Woche später werden die Gelbwesten anfangen, erst in den sozialen Netzwerken zu protestie- ren, und dann auf den Kreisverkehren. Diese Kraftstoffsteuer auf Dieselfahrzeuge bringt die Armen zum Brüllen. Und die Reichen dazu, sich zu verstecken. Das Land spaltet sich auf, die Regierung spielt auf Zeit. Die Medienkommentare reden unisono die Bewegung klein, die Gestalt annimmt und Wurzeln schlägt. Die Kluft wird immer grösser, bald abgrundtief, zwischen dem Frankreich von ganz oben und dem von unten. Dazwischen öffnet sich eine Kluft, die die sogenannten Vermitt- lungsinstanzen und Boten für politischen Tratsch auszufüllen suchen. Niemandem gelingt es. Die Vermittlungsinstanzen wurden von Emmanuel Macron und seiner Partei « Republique en Marche » gesprengt. Die Medien bleiben im Wesentlichen nachsichtig gegenüber der Regierung und entwi- ckeln diffuse Theorien, um ihr Unverständnis angesichts dieser Revolte zu maskieren. Ich habe die 1 Denis Robert ist einer der bekanntesten französischen Investigativ-Journalisten, der mit seiner Arbeit die Aufdeckung der Clearstream-Affäre ermöglichte. (A. d. Ü.) !4 Bilder meines befreundeten Arztes im Kopf. Ein Präsident, der sich vor seinem Volk so sehr ver- steckt, ist ein Präsident, der betrügt und der Angst hat. Welche anderen Erklärungen soll es geben? Juan, der damals nur eine Facebook-Freundschaft ist, postet eine Nachricht, in der er mich einlädt, seinen Text zu lesen. Was ich nicht sofort tue, abgeschreckt durch die apokalyptische Äusserung: « Das Land gerät in eine Phase eines fieberhaften Umbruchs, in dem der Hass und die Gewalt Fuss gefasst haben. Diese im Oktober 2018 geschriebenen Ermittlungen über die intimen Mittel der ma- cronistischen Macht, versuchen, diesen Hass und diese Gewalt zu erklären, an denen man so sehr Gefallen fand, sie in Verruf zu bringen. » Davon sieht man so viel im Netz kursieren. Dennoch, trotz des schwer verständlichen Stils, der Länge der Sätze und der Härte einer Lektüre auf dem Bildschirm packt mich etwas im Ton, dieser Juan Branco scheint sein Thema zu kennen und die Distanz zu wahren. Ich speichere das Dokument. Ich bin umgeben von Freunden, Journalisten, Nachbarn, Verwandten, die zum grössten Teil die Be- wegung der Gelbwesten kleinreden. Auf Facebook breitet es sich wie ein Lauffeuer aus, aber in den Mainstream-Medien bewegt man sich gemächlich voran, bezeichnet die Demonstranten2 bestenfalls als « komische Käuze » oder « Dumpfbacken » (Jaques Julliard), oder schlimmer noch als « ver- mummtes Gesindel » (Pascal Bruckner), « Rechtsextreme oder linksextreme Scheisskerle, die kommen, um die Polizei zu vermöbeln » (Luc Ferry3) oder « Horden von Nullen, von Plünderern, vom Groll wie auch von Flöhen zerfressen » (F.-O. Giesbert). Jeden Samstag jedoch, während der Präsident sich verkriecht, nehmen die Gelbwesten immer mehr Platz ein. Meine Gesprächspartner greifen oft die Hauptschlagworte der Medienkommentare auf, haben Angst vor der Gewalt auf den Strassen, kritisieren den Mangel an Organisation und klaren Forderungen, vermischen die Gelbwes- ten mit den Rechtsextremen. Diese Argumentationen scheinen mir kleinkariert, reproduziert und in fine unbegründet. Sie bringen eine Angst vor dem Unbekannten und vor dem schwelenden Aufstand zum Ausdruck. Ich habe gerade eine Ermittlung veröffentlicht, welche die Art und Weise beschreibt, wie Milliardä- re, unterstützt von Investmentbanken und Anwaltskanzleien die Staaten plündern4. Ich habe viel nachgedacht, Bücher geschrieben und Dokumentarfilme gedreht, über die Frage dieser wachsenden Ungleichheiten, den Einfluss der Finanzen auf die Wirtschaft und die Verarmung der Mittelschich- ten: Wie kann ein Land so reich wie das unsere so viel Armut produzieren? In den sozialen Netz- werken, wie in öffentlichen Debatten, stehe ich auf der Seite der Gelbwesten. Sie bringen eine heil- same, notwendige Revolte zum Ausdruck. Sie geben uns Ehre und Stolz zurück, trotz der Exzesse und Fehltritte. Ich werde regelmässig daran erinnert: « Hast du Crépuscule gelesen? Hast du das Video von Juan Branco bei Mermet5 gesehen? » Eines Abends Ende Dezember 2018 ziehe ich mir 2 Lesen Sie diesbezüglich den Artikel von Serge Halimi und Pierre Rimbert: « La lutte des classes en France », in Le Monde diplomatique vom Februar 2019, der, von Bruno Jeudy über Hervé Gattegno bis hin zu Sébastien Le Fol oder BHL die traurige Leier der von den französischen « Editokraten » geschriebenen Gemeinheiten aufzählt. 3 Ehemaliger französischer Bildungsminister, Schriftsteller und Radiomoderator. Bekannt dafür, die Polizei während einer öffentlichen Radiosendung offen gebeten zu haben, Waffen gegen die Gelbenwestendemons- tranten einzusetzen: « Qu'ils se servent de leurs armes une bonne fois, écoutez, ça suffit. » (« Sie sollen ihre Waffen ein für alle Mal gebrauchen, hören Sie, es reicht jetzt. ») 4 Les Prédateurs, mit Catherine Le Gall, Le Cherche-midi, 2018. 5 Am 21. Dezember 2018 war Juan Branco der Gast von Daniel Mermet auf Là-bas si j’y suis. Sein Auftritt von etwa dreissig Minuten erreichte schnell über eine Million Sichtungen. !5 beide rein. Ich entdeckte zunächst einen ruhigen und lebhaften jungen Mann mit einem strukturier- ten Denkprozess, der eine argumentative und eigene Kritik am Macronismus darlegt. Dann stürze ich mich in Crépuscule. Ich komme müde aber begeistert daraus hervor. Sein Manuskript hat mich nicht mehr losgelassen. Trotz der Abschweifungen und der manchmal pathetischen Haltung ist es das erste Mal, dass ich eine so gründliche und überzeugende Geschichte darüber lese, was der Ma- cronismus sein könnte, der hier als ein grandioser demokratischer Betrug erscheint. Der Macronismus ist weder Humanismus noch Ideologie. Er ist – das wird offensichtlich, wenn man Crépuscule liest – eine Erfindung von Oligarchen. Er ist ein System zur Bewahrung der Machtposition und der Chancenungleichheit zu Gunsten der Bourgeosie, die nach dem Zusammen- bruch der beiden vorangegangenen Präsidentschaftsmandate nicht mehr wusste, welchen Heiligen sie sich verschreiben sollte. Emmanuel Macron hat diesen Weg gewählt. Er eroberte die Massen. Er geht auf dem Wasser. Er festigt und verewigt die Vorherrschaft der Elite über das Volk. Er versucht nicht, sich oder gerade seine Familie zu bereichern, wie der klassische gierige Tyrann. Aber er ist unerschütterlich, arbeitet für seine Kaste, seine Freunde, diejenigen, die ihm geholfen haben, die Macht zu erobern.
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