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Franz Overbeck Werke und Nachlaß 7/2 Autobiographisches »Meine Freunde Treitschke, Nietzsche und Rohde« Franz Overbeck Werke und Nachlaß

Editionskommission

Prof. Dr. theol. Ekkehard W. Stegemann (), Präsident Prof. Dr. theol. Rudolf Brändle (Basel) Prof. Dr. phil. Hubert Cancik (Tübingen) Dr. Hildegard Cancik-Lindemaier (Tübingen) Dr. phil. Bernd Lutz (Stuttgart) Prof. Dr. phil. Karl Pestalozzi (Basel) Dr. theol. Niklaus Peter (Basel) Dr. phil. Barbara von Reibnitz (Basel/ ) Prof. Dr. theol. Martin Anton Schmidt (Basel) Dr. phil. Mathias Stauffacher (Basel) Marianne Stauffacher-Schaub (Basel)

Verlag J. B. Metzler Stuttgart · Weimar Franz Overbeck Werke und Nachlaß Auto biographisches »Meine Freunde Treitschke, Nietzsche und Rohde«

Flerausgegeben von Barbara von Reibnitz und Marianne Stauffacher-Schaub

Verlag J. B. Metzler Stuttgart · Weimar Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Overbeck, Franz: Werke und Nachlaß / Franz Overbeck. Ed.-Komm.: Ekkehard W. Stegemann . . . - Stuttgart : Metzler. ISBN 978-3-476-01210-4 7. Autobiographisches 2. »Meine Freunde Treitschke, Nietzsche und Rohde« / hrsg. von Barbara von Reibnitz und Marianne Stauffacher-Schaub. - 1999 ISBN 978-3-476-01615-7 ISBN 978-3-476-98613-9 (eBook) DOI 10.1007/978-3-476-98613-9

ISBN 978-3-476-01210-4 (Gesamtwerk) ISBN 978-3-476-01615-7 (Band 7/2)

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

© 1999 Springer-Verlag GmbH Deutschland Urprünglich erschienen bei J. B. Metzlersehe Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH in Stuttgart 1999 V

Inhaltsübersicht

Einleitung VII Artikelverzeichnis LIII

Meine Freunde 5

Aufzeichnungen über Treitschke 5

Aufzeichnungen über Nietzsche 23

Aufzeichnungen über Rohde 223

Anhang: Ergänzende Texte zu den Aufzeichnungen über Nietzsche . 235 I: Aus dem Kirchenlexicon . 237 II: Jacob Burckhardt und 256 1. Der Briefwechsel Jak. Burckhardts und Fr. Nietzsches 256 2. Nietzsche's letzter Brief an J akob Burckhardt 264 3. Notiz zum Briefe Nietzsches an Jak. Burckhardt vom (angebl.) 6. Jan. 1889 266 III: Zu E. Förster-Nietzsche, Leben Nietzsches, Bd. li, 2 270

Zeittafel . 295

Abkürzungen 309 Verzeichnis der von Franz Overbeck selbst publizierten Schriften 311 Verzeichnis der Publikationen aus Franz Overbecks Nachlass 313 Bibliographie der von Franz Overbeck zitierten Literatur 314 Bibliographie der im Kommentar verwendeten Literatur 326 Register 329 VII

Einleitung

Ende März 1897 entwarf Franz Overbeck sich ein Arbeitsprogramm für die Zeit seines unmittelbar bevorstehenden Ruhestands. Neben kir• chenhistorischen Spezialuntersuchungen notierte er sich als drittes Vor• haben: »Persönliches. Meine gelehrte Laufbahn, wie ich zur Religion gestanden, wie zur Theologie gekommen. Wie ich mein Amt in Basel aufgefasst und verwaltet und damit zu einem Ende kommen musste. Meine Freunde Treitschke, Nietzsche und Rohde.« 1 In nuce und in äusserst knapper Form tritt hier die enge Verbindung zutage, in der für Overbeck das Nachdenken über seine drei wichtigsten Lebensfreundschaften und die Selbstverständigung über die eigene in• tellektuelle und berufliche Entwicklung standen. Entsprechend hat er in einer Aufzeichnung seines >>Kirchenlexicons« festgehalten, unter den ihn der Theologie entfremdenden >>Lebensfügungen« seien zuallerst seine Freunde zu nennen. Von ihnen seien >>die besten langjährigsten und intimsten, . .. wie dazu verschworen gewesen«, ihn >> um die Wette der Theologie nur immer mehr zu entfremden: Treitschke, Nietzsche und Rohde<<.2 Und ähnlich wiederholt er in dem kleinen Text >>Meine Freunde«, den wir diesem Band vorangestellt haben: >>Dass ich kein Theologe bin weiss ich längst selbst, und auch meine besten Freunde haben es mir stets gesagt. Ich habe an diesem Einverständniss den besten Beweis dafür, dass wir, ich und meine besten Freunde, wirkl. zusammengehören ....<< 3 Offensichtlich hat Overbeck seine Freund• schaftsbeziehungen als Rückhalt erfahren angesichts der paradoxen Aussenseiterposition, in der er sich als nichtgläubiger Theologe gegen• über seinem Fach und seinem Beruf empfand. Insofern ist die Paral• lelführung von Selbstbiographie, Selbstrechtfertigung als Theologe und Freundschaftserinnerung für Overbeck in der Sache begründet. Zu• gleich sind diese drei Unternehmungen von einem gemeinsamen Span• nungsmoment gekennzeichnet: der Spannung von Privatheit und Öf-

1 Nl A 268d, gedr. Overbeckiana II, S. 128f. 2 KL >>Theologie (meine)<< Nr. 15, OWN 5, 501. ' Vgl. unten S. 2; der Text ist zuerst veröffentlicht worden durch E. BAMMEL, Overbeck über seine Freunde, in: Theologische Zeitschrift 21, 1965, S. 113ff. VIII Einleitung fentlichkeit nämlich, die für den >Diastatiker< Overbeck lebenslang be• sondere Virulenz besass.4 Er hat im »Kirchenlexicon« seine Skepsis ge• genüber der wachsenden Bedeutung formuliert, die die >öffentliche Meinung< gewonnen hatte. »Alles was unter Menschengeistern wirklich lebt, gross und ernsten Antheils und Betrachtung werth ist, muss an die öffentliche Meing getreten sein, sie erregt oder in den Bereich seiner Wirkgen gezogen, ihr Interesse geweckt haben. Und wie kommt es andererseits, dass eine Sache, wenn sie es zu einer gewissen Stufe des öffentl. Interesses gebracht hat, wenn sie bis zu einem gewissen Grade dazu gelangt ist, eine öffentli. Angelegenht zu sein, ungefähr als von Grund aus verdorben und reif dazu gelten kann, um preisgegeben zu werden?«5 Nicht zuletzt diese Skepsis hat wohl dazu geführt, dass Over• beck zu Lebzeiten mit persönlichen Äusserungen nicht an die Öffent• lichkeit getreten ist. Gleichwohl hat er offenkundig das Gespräch gesucht, - die prospektiven Leser aber, an die er seine »Monologe« adressierte, waren als ein postumes Publikum angesprochen. Wann Overbeck tatsächlich begann, Erinnerungen an seine Freunde aufzuzeichnen, ist nicht sicher zu bestimmen. Jedenfalls sind sie ins• gesamt retrospektiv verfasst worden, als ein Dialog nicht mehr möglich war: Am 28. April 1896 war gestorben, am 11. Januar 1898 Erwin Rohde, und Nietzsche war schon seit Januar 1889 als ein gegenwärtiger Freund nicht mehr ansprechbar. Dass keine dieser Textsammlungen zu einem Abschluss gebracht worden ist, versteht sich nicht allein aus der Sache selbst, sondern ist auch in der Form begrün• det, die Overbeck für seine Aufzeichnungen gewählt hat.6 Nicht zufällig hat er auch hier das alphabetisch-lexikalisierende Notat beibehalten, das sich ihm in der Arbeit an seiner gelehrten »Privatencyclopädie«, dem »Kirchenlexicon«, als die ihm entsprechende Denk- und Schreib• form entwickelt hatte. Der geschlossenen Deutung abgeneigt, Selbst• verständigung in der (kritischen) Auseinandersetzung suchend, kam ihm diese Form entgegen, deren stichwortbezogene Struktur durch die

4 Vgl. zusammenfassend N. PETER, Art. Overbeck, in: TRE 25, 1995, S. 563-568. 5 »Meinung (öffentliche) Vermischtes«, Nr. 6, OWN 5, 138; dieses wie alle folgenden Zitate in der Schreibweise Overbecks, die wir in unserer Ausgabe unverändert beibehalten haben, vgl. auch die editorische Notiz zu OWN 4. 6 Es ist auch in diesem Zusammenhang daran zu erinnern, dass die Frage nach der literarischen >Form< religiöser Texte ein zentrales methodisches Postulat des Kirchenhistorikers Overbeck gewesen ist., vgl. dazu die Arbeiten von MARTIN ThTZ und J.-CHR. EMMELIUS, die bei N. PETER, a.a.o. (Anm. 4) zitiert sind. Einleitung IX

Möglichkeiten von Assoziation und Querverweis vor allem der Dif• ferenzierung und Problematisierung des Gegenstands dienlich war.7 Ich werde darauf im Zusammenhang mit den Nietzsche-Aufzeichnungen noch einmal zurückkommen. Auch wenn >Unabgeschlossenheit< als ein wesentlicher Zug der Overbeckschen Erinnerungsarbeit in Betracht zu ziehen ist, gilt das für die hier versammelten Textgruppen doch nicht in gleicher Weise. Die Aufzeichnungen über Treitschke und Rohde haben nicht allein durch ihren geringeren Umfang einen anderen Status als die Aufzeichnungen über Nietzsche, sondern auch in der Ausdifferen• zierung der Gesichtspunkte, unter denen Overbeck sich auf diese beiden Freundschaften bezogen hat. Das mag seinen Grund nicht allein im höheren Klärungsbedarf haben, den die Beziehung zu Nietzsche für Overbeck wohl gehabt hat, sondern auch in der im Falle Treitschkes und Rohdes sehr unterschiedlichen Erinnerungsnähe. Anders als die Nietzsche-Texte, die Overbeck schliesslich als eigene Konvolute aufbewahrt hat, wurden die Aufzeichnungen über Treitschke und Rohde von ihm in sein >> Kirchenlexicon« eingegliedert, bzw. ver• blieben immer innerhalb dieser Registratur.8 Das spricht dafür, dass er in ihrem Fall an eine eigenständige Veröffentlichung wohl kaum ge• dacht hat.

Heinrich von Treitschke (1834-1896)

Die Entstehung und frühe Entwicklung seiner Beziehung zu Treitschke hat Overbeck selbst in dem Text skizziert, den wir den lexikalischen Aufzeichnungen vorangestellt haben. Dieser Text, datiert auf Oktober 1903, findet sich im Nachlass dem Konvolut der Treitschke-Briefe bei• gelegt.9 Er war wohl als Orientierung für C. A. Bernoulli gedacht, sollte dieser sie nach Overbecks Tod herausgeben wollen. 10 Das ist bedauer• licherweise nur in einer schmalen Auswahl11 geschehen, obgleich dieser

7 Vgl. hierzu des Näheren die Einleitung zu OWN 4. 8 Vgl. auch den ausdrücklichen Hinweis darauf, unten S. 10. 9 UB Basel: Nl I, 362; das Konvolut enthält 78 Briefe von Treitschke und 73 von Overbeck, aus den Jahren 1860 bis 1894; der letzte Brief Treitschkes datiert vom 8.Jan. 1886, der letzte Overbecks vom 30. Dez. 1894. 10 Zu Overbecks Vereinbarungen mit Bernoulli im Hinblick auf seinen Nach• lass, unten Anm. 114. 11 Teilveröffentlicht sind 37 Briefe von Overbeck in C.A. BERNOULLI (Hg.), Overbecks Briefe an H. v. Treitschke und E. Rohde, in: Deutsche Rundschau X Einleitung

Briefwechsel zu den wichtigsten Dokumenten für die intellektuelle und insbesondere die politische Entwicklung Overbecks wie auch Treitsch• kes zu rechnen ist. Eine vollständige Edition ist bis heute ein dringen• des Desiderat. Ohne den Kenntnishintergrund dieses Briefwechsels bleibt die Intensität dieser Freundschaft aus Overbecks rückblickender Erinnerung kaum einsichtig - dies wohl nicht zuletzt deshalb, weil sie am weitesten zurücklag. Die Beziehung zu Heinrich von Treitschke 12 reicht in Overbecks Ju• gendzeit zurück. Beide besuchten die »Kreuzschule«, ein angesehenes Gymnasium in . Der drei Jahre ältere Treitschke machte dort 1851 Abitur, als Overbeck noch in die Unterprima ging. Sowohl Treitschke als auch Overbeck studierten, wenn auch nicht gleichzeitig, einige Semester in Göttingen und waren dort Mitglieder der gleichen Studentenverbindung, der >>Hannovera«. n Die Freundschaft entstand allerdings erst im unmittelbaren Austausch der Jahre 1859-63, die bei• de - von einer längeren Unterbrechung 14 abgesehen - gemeinsam in verbrachten. Overbeck beendete sein Theologiestudium und bereitete sich auf die Habilitation vor, während Treitschke bereits als Privatdozent lehrte. In dieser Zeit >>sog« Overbeck >>das Gift der Kritik« in sich, das, wie er bezeugt, damals noch >>üppig« aus Treitschkes >>Patriotenweisheit« geflossen sei. Die >>Kritik« galt den politischen Ver• hältnissen in Sachsen sowie allem, was Treitschkes leidenschaftlichem

2, 1907, S. 863-882 sowie in C.A. BERNOULLI, Franz Overbeck und Friedrich Nietzsche. Eine Freundschaft. 2 Bde, 1908; 26 Treitschke-Briefe in: Heinrich von Treitschkes Briefe, hg. von MAX CoRNICELIUS, 3 Bde, Leipzig 1912-1917. 12 Vgl. die ausführliche Darstellung bei BERNOULLI, ON I, 1- 38 sowie das knap• pe und dichte Porträt, das N. PETER von dieser Freundschaft gezeichnet hat: Im Schatten der Modernität. Franz Overbecks Weg zur Christlichkeit unserer heutigen Theologie«, Stuttgart 1992, S. 105- 118; zusammenfassend jetzt auch: H.P. EBERLEIN, Flamme bin ich sicherlich! Friedrich Nietzsche, Franz Overbeck und ihre Freunde, Köln 1999 (im Druck). Die Darstellung, die H. V. PETERSDORFF in ADB 55, 1910, S. 263-326 gegeben hat, ist ausschliesslich aus der Perspektive Treitschkes geschrieben. " Vgl. FR. ScHLERITT, >>Sein Kneippname war Struwwelpeter«. Franz Overbeck (1837- 1905) und das Ende von Theologie und Christentum, in: Bundeszei• tung der Grünen Hannoveraner zu Göttingen, Jg. 85 (NF), April 1995, Nr. 1, s. 43- 49. 14 Von Mai 1860 bis Mai 1861 setzte Overbeck seine Studien in Berlin fort; im April 1861 ging Treitschke bis Ende des Jahres zu privaten Studien nach München. Einleitung XI

Engagement für einen deutschen Einheitsstaat unter preussischer Füh• rung entgegenstand. Wenn man sich an den Briefen orientiert, die bei• de damals wechselten, hat die Politik eine grössere Rolle gespielt, als Overbecks rückblickende Aufzeichnungen nahelegen. Dabei scheint Treitschke zunächst in vielerlei Hinsicht für Overbeck mass- und ton• angebend gewesen zu sein.15 Dieser selbst bezeugt, Treitschke habe ihm >>als Mitgabe fürs Leben das Interesse an staatlichen Dingen« einge• geben und er sei darin sein >>dankbarer Schüler<< 16. Gleichwohl rechnete er sich, zumindest im Rückblick, nicht zu den eigentlich >politischen< Freunden TreitschkesY Zu diesen gehörte in den Leipziger Jahren vor allem der Kreis von Liberalen, den Gustav Freytag, der Herausgeber der >>Grenzboten«, um sich versammelte. Dem politischen Liberalismus freilich fühlte auch Overbeck sich verpflichtet und er ist dies, anders als Treitschke, geblieben. Wenn Overbeck es im Rückblick Treitschke dankt, dass er ihn >>ins Leben eingeführt« und >> zuerst sein Selbstbewusstsein gehoben« habe, ist damit deutlich bezeichnet, was auch aus den Briefen der damaligen Zeit herausklingt. Treitschke muss als der nur wenige Jahre Ältere die bestimmende Rolle in dieser Beziehung gespielt haben. Seine Leiden• schaft als politischer Denker und sein persönlicher Mut dürften ihm Overbecks Zuneigung gewonnen und die Anerkennung, die er dem kritischen Urteil des jungen Theologen zollte, dürfte für Overbeck eine Ermutigung und zugleich eine H erausforderung gewesen sein. Treitschke seinerseits hat immer wieder Overbecks Talent zur Freundschaft betont, so etwa 1865 gegenüber Louise Asverus: >>Sie sind voll des Lobes über Overbeck. Ich freue mich daran. Er ist Einer der besten Menschen, die mir je vorgekommen, zum Vertrauten wie ge• schaffen, von einer bei Männern seltenen Herzensgüte und doch fest und entschieden.« 18 An den Verleger Salomon Hirzel schrieb er nach Overbecks Habilitation: >> Ich glaube, an dem kleinen Kerlchen erleben wir noch viel Freude. Gottlob, dass er mit einem klaren Kopfe und 19 festen Charakter so milde Formen verbindet ... . «

15 Vgl. hierzu N. PETER, a.a.o. (Anm. S. 16 Overbeck an Treitschke, 1. Nov. 1875. 17 Vgl. unten S. 16. '" Treitschke an Louise Asverus, 30. Aug. 1865, CoRNICELIUS, Treitschke-Briefe, Bd. Il, S. 411 und ähnlich gegenüber seiner Braut, Treitschke an Emma von Bodman, 9. Aug. 1866, CoRNICELIUS, Treitschke-Briefe, Bd. III, S. 43. 19 Treitschke an Salomon Hirzel, Dez. 1864, CORNICELIUS, Treitschke-Briefe, Bd. II, S. 3 ... XII Einleitung

Als Treitschke 1863 emen Ruf nach Freiburg annahm, während Overbeck seine Habilitationsstudien in Jena fortsetzte und nach 1864 dort auch als Privatdozent lehrte, wurde die Freundschaft in Briefen und wo immer möglich auch in Treffen und gemeinsamen Unterneh• mungen fortgeführt. 1870 wurde Overbeck nach Basel berufen, wo er Nietzsche kennenlernte, der mit ihm im gleichen Haus wohnte. Aus der Wohnungsnachbarschaft entwickelte sich sehr rasch em engeres Freundschaftsverhältnis. In der Sicht Treitschkes scheint es wesentlich diese neue Freundschaft gewesen zu sein, durch die seine Beziehung zu Overbeck schliesslich zu wachsender Entfremdung führte. Er hat, wie• wohl anfanglieh mit freundlicher Zurückhaltung reagierend, Overbeck diesen Eindruck nicht verhehlt. »Über Nietzsche kann ich leider nur sagen: ich weiss schlechterdings nicht was er will.20 Unklare Gedanken in einer, bei aller rhetorischen Kunst, unklaren Sprache, vorgetragen mit einem grenzenlosen Dünkel, unter beständigen Fusstritten gegen Männer, die hoch über N. stehen; ein vorlautes Absprechen über die grössten Ereignisse der jüngsten Geschichte, ohne jeden Versuch, Wesen und Recht des Staates auch nur zu verstehen. - Das ist mir zuviel! ... Lieber Freund, lass Dir Deinen klaren Verstand nicht durch Mystik, Deine Bescheidenheit nicht durch gewaltsamen Hochmuth verderben 21 ••• <<. Für Overbeck hingegen waren es wohl vor allem die zunehmenden politischen Differenzen, durch die ihm eine Verständigung mit Treitschke schliesslich kaum noch möglich war.22 Bereits als Treitschke

20 Treitschke bezieht sich auf die 3. Unzeitgernässe Betrachtung »Schopenhauer als Erzieher«, die Nietzsche ihm geschickt hatte. 21 Treitschke an Overbeck, 23. Nov. 1874, CORNICELIUS, Treitschke-Briefe, Bd. III, S. 406f. Gegenüber seinem Freund W. Gass drückte sich Treitschke noch deutlicher aus: >>Mein lieber Baseler Freund geräth leider immer mehr unter den Einfluss Nietzsche's. Seine Abhandlung über Christenthum und Sclaverei finde ich ganz ausgezeichnet; ich fürchte aber, er verdirbt sich den Erfolg seines Wirkens durch ganz unnütze Ausfalle ... Es wäre zu traurig, wenn dieser geistvolle und im Grunde liebenswürdig bescheidene Mann in den rauhen Hochmuth der Schopenhauerianer sich gewaltsam hineinarbeitete. Ich habe ihm dringende Vorstellungen gemacht, aber leider kann ich ihm nur alle Halbjahr schreiben, während Nietzsche täglich und stündlich mit ihm verkehrt.« (Treitschke an W . Gass, 24. Nov. 1874, CoRNICELIUS, a.a.o., Bd. III, S. 406, Anm.) 22 Er hat allerdings Treitschkes tendenziell eifersüchtige Fixierung auf Nietz• sche sehr wohl wahrgenommen, vgl. unten S. 16f. Einleitung XIII von 1863/64 an immer deutlicher sein Engagement für die politische Einheit Deutschlands über die für gemeinsam gehaltenen liberalen Grundüberzeugungen stellte, und zumal, als er nach 1866 zum erklär• ten Parteigänger Bismarcks und einer preussisch geführten, nationalen Machtstaatspolitik wurde2'\ hatte Overbeck, wenn auch sehr vorsichtig, seinen Dissens formuliert. Er insistierte auf der Notwendigkeit einer liberalen Opposition und auf dem Primat politischer Freiheit. Er war und blieb Bismarck gegenüber auch nach 1866 kritisch eingestellt und hielt, trotz prinzipieller Bejahung der deutschen Einheit, mit seiner Skepsis gegenüber einer preussischen Führung nicht zurück24. Mag sein, dass er die illiberalen bis antiliberalen Tendenzen Treitschkes damals noch unterschätzt hat.25 Verstärkt haben sich die Differenzen jedenfalls nach 1870 und nochmals nach 1874, als Treitschke den historischen Lehrstuhl in Berlin übernahm und >Reichshistoriker< wurde. Overbeck hingegen vermochte aus der Aussenperspektive seines Basler >>Exils« eben diese >>reichsdeutschen« Verhältnisse nicht anders denn kritisch zu beurteilen - das galt zumal für die »moralischen Kosten« des Deutsch• Französischen Kriegs, und dann auch für den von Bismarck lancierten >>Kulturkampf«, wobei er Treitschkes Parteinahme sehr offen und prin• zipiell kritisiert hat.26 Der Dissens war für ihn in dieser Sache besonders schwerwiegend, denn er betraf eine Grundüberzeugung, in der er sich mit Treitschke einig geglaubt hatte: die Überzeugung von der not• wendigen Trennung von Kirche und Staat, Religion und Politik- rech• nete er Treitschke doch >> zu seinen Erziehern im Unchristenthum«. Wenn beide sich gegenseitig wegen ihrer >Weltlichkeit< schätzten, dann meinte dies die Überzeugung, in einer nicht mehr religiös begründeten Kultur zu leben.27 1864 hatte Overbeck an Treitschke im Zusammen-

23 Vgl. hierzu jetzt eingehend U. LANGER, Heinrich von Treitschke. Politische Biographie eines deutschen Nationalisten, Düsseldorf 1998. 24 Vgl. etwa seine Briefe an Treitschke vom 23. Okt. 1865 und vom 18. Juni 1866 (ON I, S. 14 u. 17). 25 Die in der Treitschke-Forschung häufig vertretene These eines eigentlichen antiliberalen Positionswechsels, den Treitschke vollzogen habe, hat LANGER jetzt revidiert, indem er zeigt, dass für Treitschke die nationalstaatliche »Ein• heit« immer schon ausdrücklich vor »Freiheit« rangierte: Heinrich von Treitschke, a.a.o. (Anm. 23), bes. S. 67ff. 26 Overbeck an Treitschke, 1. Nov. 1875 u. 13. Febr. 1878 (OWN 8). 27 ThEITSCHKE hat sich diesbezüglich am entschiedensten geäussert in seinem Essay »Die Freiheit« (1861), mit dem sich Overbeck auch eingehend be• schäftigt hat, vgl. hierzu N. PETER, S. 113ff. und A. PFEIFFER, Franz Over• becks Kritik des Christentums, Göttingen 1975, S. 141ff. sowie unten Anm. 28. XIV Einleitung hang mit dessen Freiheits-Essay28 geschrieben: »Dass unsere Bildung keine kirchliche und das Christenthum die modernen Völker nicht mehr ausschliesslich beherrscht, das sind auch mir Gedanken ohne wel• che ich mir die ganze neuere Geschichte nicht zurecht zu legen weiss.« 29 Er glaubte sich daher auch mit Treitschke einig im Abweis jeder In• strumentalisierung von Religion für politische Interessen. Als dieser jedoch 1874 und 1875 seine Auseinandersetzung mit den >Kathederso• zialisten<, vor allem mit dem liberalen Nationalökonomen Gustav von Schmoller führte>O und sich für seine Sozialismuskritik ausgerechnet auf die »Weltverneinung« und die »tiefe Verachtung aller zeitlichen Güter«, wie das Urchristentum sie ausgebildet habe, berief, musste Overbeck sich irritiert fühlen. 31 Völlig inakzeptabel aber war für ihn Treitschkes Engagement Im sogenannten »Berliner Antisemitismus-Streit«. In seinem Aufsatz »Un• sere Aussichten«32 hatte Treitschke sich kruder antisemitischer Stereo• typen bedient, um vor der Bedrohung »germanisch-nationaler Identi• tät« durch die »Herausbildung einer deutsch-jüdischen Mischcultur«, vor ostjüdischen Immigrationswellen usw. zu warnen. Durch die Re• putation seiner Person und seiner Stellung machte er so, wie ihm Theo• dor Mommsen und eine Vielzahl anderer Gegner vorwarfen, den An• tisemitismus akademisch diskussionsfähig. Die Kontroverse provozierte eine Flut von Veröffentlichungen. 33 Overbeck nahm sehr scharf Stel• lung, wiewohl seine Schärfe sich nicht so sehr auf die antisemitische Argumentation als solche bezog, als auf Treitschkes lnstrumentalisie• rung des Christentums für diesen Zweck. » ... bei dieser ganzen Juden-

28 H. v. ThEITSCHKE, Die Freiheit, in: Preussische Jahrbücher 7, 1861, S. 381-403; Overbeck reagiert vermutlich auf den (revisionistisch) veränderten Abdruck in der ersten Auflage der »Historisch-Politischen Aufsätze« ( 1865), vgl. U. LANGER, Heinrich von Treitschke, a.a.o. (Anm. 23), S. 106ff. 29 Overbeck an Treitschke, 9. Dez. 1864 (ON I, S. 9). 30 H. v. ThEITSCHKE, Der Sozialismus und seine Gönner, in: Preussische Jahr• bücher 34, 1874, 67-110 (I), 248-301 (II); Die gerechte Verteilung der Güter. Offener Brief an Gustav Schmoller, in: Preussische Jahrbücher 35, 1875, 409-447. 31 Vgl. seine Kritik im Brief an Treitschke vom 1. Nov. 1874 und nochmals am 1. Nov. 1875. 32 Preussische Jahrbücher 44, 1879, S. 559- 576. 33 Vgl. die wichtigsten Dokumente in: W. BOEHLICH (Hrsg.), Der Berliner An• tisemitismusstreit, Frankfurt 1965; dazu jetzt LANGER, a.a. o. (Anm. 23), S. 292-325. Einleitung XV

frage« sei er »persönlich zu wenig betheiligt«, - was auch immer das in diesem Zusammenhang heissen mochte -, >>um nicht in unseren ge• genwärtigen deutschen Wirren auch darüber den Dissensus eines Freundes zu vertragen«. >>Peinlicher« hingegen sei ihm, und >>abstos• sender«, >>ein anderer Ton, der aus Deinen letzten Veröffentlichungen immer unverzagter herausklingt, ich meine den >christlichen< .... Ich meine nicht ein persönliches Gefühl, ... sondern den öffentlichen Ge• brauch den Du im politischen Streit von diesem Gefühl machst, und in welchem ich immer mehr die alte, bei Dir mir immer besonders werthe Scheu verloren gehe sehe, Fragen der Religion in den Streit der Politik hereinzuziehen. . .. es handelt sich um einen Punkt, bei welchem ich keinen Spass verstehe und, wenn Du willst, unverträglich bin. . . . so lerne ich aus der Geschichte, dass wenn es einen Punkt giebt, an wel• chem man inne wird, dass das Christenthum etwas in der Menschheit verrenkt hat, dieser in allen Verbindungen zu finden ist, die das Chri• stenthum mit der Politik eingegangen ist.«34 Mindestens ebenso wichtig aber war wohl die unterschiedliche Auf• fassung des Historiker-Berufs, die Overbeck Treitschke gegenüber nicht verborgen hat. So schreibt er ihm etwa in Reaktion auf den ersten Band seiner >>Deutschen Geschichte«, er denke >>in den erheblichsten Dingen anders«; eine Geschichtsschreibung wie die seine erscheine ihm als >>ungeheure Ungerechtigkeit«; >>ein Urtheil, in welches sich so viel von der Hitze des Kampfes« sei!. des Tagesgeschehens mische könne keinen Anspruch auf wissenschaftliche Geltung erheben35 Treitschke verrech• net jedoch auch Overbecks vorsichtige Kritik auf das Schuldkonto Nietzsches: »Du irrst aber wenn du glaubst mir wie der Lehrer dem Schüler gegenüberzustehen, und Du hast vergessen, dass Du auch dem Freunde bei aller Offenheit doch Gerechtigkeit schuldest. Und gerecht war es nicht, wenn Du meine Deutsche Geschichte mit ein paar weg• werfenden Worten abfertigtest. Dein Unglück ist dieser verschrobene Nietzsche . ... Deiner liebevollen und bescheidenen Natur, die ich, nebenbei bemerkt, für zehnmal produktiver halte, als Nietzsche ist, steht es gar nicht zu Gesicht, wenn Du über Alles in Deinem Volke geringschätzig sprichst.... «.36

' 4 Overbeck an Treitschke, 19. Dez. 1880 (OWN 8); vgl. zu Overbecks grund• sätzlichem Einspruch gegen einen religiös aufgeladenen Nationalismus auch N. PETER, Einleitung zu: Franz Overbecks Briefwechsel mit , in: Zeitschrift für neuere Theologiegeschichte Bd. 3, 1996, S. 133ff. " Overbeck an Treitschke, 4. Mai 1879 (OWN 8). " Treitschke an Overbeck, 11. Nov. 1881, CORNICELIUS, Treitschke-Briefe, Bd. III, S. 535. XVI Einleitung

Doch Overbeck lässt sich seinerseits nicht mehr zum Schüler ma• chen. Er erneuert seine Kritik nach Empfang des Folgebandes: >>Je mehr ich mich aber mit Geschichte befasse, um so mehr gelange ich zu einer Betrachtung und Behandlung derselben, die zu der Deinen etwas Antipodisches hat. Ich lasse für mich Leidenschaft allenfalls gegen die Behandler der Geschichte gelten, . . . aber nicht am Stoffe. Diesen so ruhig wie möglich zu betrachten ist nicht sowohl mein Bestreben als die einzige Freude die ich daran habe.«37 Und noch im letzten erhal• tenen Brief vom 30. Dezember 1894 zum 5. Band heisst es: >>Mir fehlt, wie Du weisst, in politischen Dingen der heilige furor um als Leser dieses Werks nur erbaut zu sein, und hätte ich ihn, dann könnte es gar vielleicht nicht nach der wünschbaren Seite sein ....« In seinen Aufzeichnungen hat Overbeck festgehalten, er schätze sich glücklich, dass es nie zu einem >>Bruch« zwischen ihm und Treitschke gekommen sei, der ihm sein Andenken verdorben hätte. 38 Dem hat er zugearbeitet mit seiner in der Sache unversöhnlich-kritischen, in der persönlichen Beziehung hingegen treuen und vermittelnden Haltung. >>Dixi und - hoffentlich - salvavi amicitiam nostram.<< - so schliesst er seinen Einspruch im Brief vom 19. Dezember 1880: >>Meine eheliche Mitheidin lässt Dich und die Deinen herzlich grüssen. In allen Fähr• lichkeiten des Lebens, auch den inneren, in treuer Erinnerung der Dei• ne Fr. Overbeck.«

Erwin Rohde (1845- 1898)

>>Trotz aller Ungunst der damaligen Verhältnisse war mir der Aufent• halt in Basel doch sehr werthvoll;« schrieb Rohde am 13. Oktober 1874 an Nietzsche. >> Ich habe eure Existenz in der Nähe gesehen, auch die vielfachen Verschiedenheiten in unsern Naturen wohl und bestimmt empfunden, und nur um so bestimmter gefühlt, wie mächtig, bei all• dem, eine gründliche Gemeinsamkeit des Empfindens, Wollens und Wünschens uns zu jener Sympathie verbindet, die allein ... eine Grup• pe von Menschen ... zur Freundschaft vereinigen kann.« Die Freund• schaft mit Rohde ist die späteste von Overbecks Lebensfreundschaften. Sie war durch Nietzsche vermittelt, und Nietzsche blieb im Gespräch der beiden Männer durchgängig präsent. Doch gewann dieses Verhält-

37 Overbeck an Treitschke, 28. Dez. 1882 (OWN 8). 38 Vgl. unten S. 16. Einleitung XVII

nis eine Eigenständigkeil jenseits dieser Dreieckskonstellation. Es ist in erster Linie der Briefwechsel, den beide miteinander von 1873 bis 1897 geführt haben, durch den diese Beziehung für uns sieht- oder lesbar wird. In ihm ist eine Gelehrten-Freundschaft dokumentiert - mit der diesem Typus eigenen Distanz des Umgangstons und der entsprechen• den Gewichtung und Lagerung der Themen. Die Sie-Anrede wurde zwischen Rohde und Overbeck nie aufgegeben, was nicht hinderte, dass in ihrem Briefwechsel sehr Persönliches zur Sprache kam. Zu diesem Briefwechsel, der vollständig ediert und hervorragend kommentiert vorliegt,39 bilden die Aufzeichnungen Overbecks lediglich eine Ergänzung. Sie wurden erst nach Rohdes Tod begonnen. Mit Roh• de hatte Overbeck nach Nietzsche, Treitschke und, in den letzten Jahren auch Jacob Burckhardt, die letzte enge Beziehung verloren. >>Ich habe Seines Gleichen nicht mehr zu verlieren, nachdem in doppeltem Sinne noch vorzeitiger, schon vor 9 Jahren Nietzsche für mich aus den Reihen der Lebendigen geschieden ist.<< - hielt Overbeck in seinen persönli• chen Aufzeichnungen am 14. Januar 1898 fest,40 und an H einrich Kö• selitz schrieb er am 8. März 1898: »Wie viel Freunde habe ich aber nun überhaupt noch, um mich mit ihnen über das Stück Zeit und Leben, das wir getheilt, zu verständigen?<< Ein grosser Teil der Rohde-Texte dürfte erst nach Erscheinen der Rohde-Biographie von Otto Crusius (1902) und dem Briefwechsel zwi• schen Nietzsche und Rohde (ebenfalls 1902) entstanden sein. Hier wie dort war Overbeck nicht unbeteiligt. Crusius hatte ihn persönlich um Unterstützung bei seinem biographischen Versuch gebeten, und Over• beck stellte ihm einen grossen Teil seiner Rohdebriefe dafür zur Ver• fügung.41 Im Fall des Briefwechsels Rohde-Nietzsche hatte Rohde's Witwe Overbeck um Rat gebeten, ob sie diesen dem Nietzsche-Archiv zur Veröffentlichung überlassen solle. Overbeck hatte ihr abgeraten, musste aber erleben, dass man nach ihrem Tod seinem Rat nicht mehr

" Franz Overbeck - Erwin Rohde: Briefwechsel, hg. u. komm. v. A. PATZER, Berlin, New York 1990 (Supplementa Nietzscheana 1); vgl. dazu auch: MI• CHAEL MAAR, Der Wanderer und sein Schatten. Rohdes Briefwechsel mit Franz Overbeck, in: ders.: Die Feuer- und die Wasserprobe. Essays zur Li• teratur, Frankfurt 1997, S. 25- 36; zur Biographie Rohdes vgl. H. CANCIK, Erwin Rohde - ein Philologe der Bismarckzeit, in: Semper Apertus. Sechs• hundert Jahre Ruprecht-Karls-Universität Beideiberg 1386-1986, Bd. 2, S. 436- 505. 40 ÜVERBECK, Tagebuchartiges, 14. Jan. 1898, OWN 7/1. 41 Vgl. unten S. 238 (»Crusius (0.)<<). XVIII Einleitung folgte.42 Durch die Lektüre dieses Briefwechsels musste sich Overbeck nun mit der Innenperspektive einer Beziehung konfrontieren, in die er selbst durchaus involviert war - als der vertraute Dritte und als eigen• ständiger Freund beider. Auf beide Veröffentlichungen reagieren Over• becks Texte immer wieder, ja sie sind wohl in der Mehrzahl durch sie motiviert. Overbeck und Rohde lernten sich vermutlich im Frühjahr 1870 ken• nen, als Rohde auf der Rückreise von Italien vom 29. Mai- 13. Juni in Basel Station machte, um Nietzsche zu besuchen. Es ist anzunehmen, dass er damals auch Overbecks Antrittsvorlesung gehört hat, die dieser am 7. Juni über »Entstehung und Recht einer rein historischen Be• trachtung der Neutestamentlichen Schriften in der Theologie« gehalten hat.43 Der Briefwechsel setzt allerdings erst 1873 ein, mit einem Dank• brief Rohdes für Overbecks »Christlichkeit«. Unter dem Stichwort »Rohde und Ich« hebt Overbeck als verbin• dendes Moment den Humor hervor: »Ich habe auch mit Nietzsche viel und herzlich gelacht, aber noch mehr und noch herzlicher habe ich es mit Rohde gethan. Ich brauche nur an die Ergötzlichkten ( ) die uns Theod. Keim's Vorrede zu seinem Leben Jesu v. Nazara und die Drol• ligkten des sächsi. Dialekts bereitet, die R. so meisterhaft beherrsch• te.«44 In gewisser Hinsicht war Rohde Overbeck vielleicht sogar näher als Nietzsche - e in gemeinsamer Zug etwa ist die skeptische Ausprägung ihrer beider Intellektualität - und dazu stimmt, wenn Overbeck sagt, er habe ihn am meisten geliebt, wenngleich das Verhältnis nicht das In• timste gewesen sei.45 Ein trennendes Moment aber lag sicherlich in der unterschiedlichen politischen Haltung - in dem, was Overbeck Rohde's »Bismärcker• thum« nannte. So hält er fest, sie hätten anlässtich der letzten Besuche Rohde's in Basel >>ein paar höchst politi. hitzige Dispute gehabt, von denen wir >nichts gehabt<, ausser dass wir nur zu machen hatten, die alten Freunde zu bleiben und als Politiker einander laufen zu lassen.

42 Vgl. unten S. 230f., vgl. auch S. 131. 45 OWN 1, 83- 106; zum programmatischen Charakter dieser Vorlesung vgl. die Einleitung von N. PETER, ebd., 75-81. 44 unten S. 227; reiche Illustrationen für die Lust der Freunde an Sprachwitz und Sprachspiel bietet der Briefwechsel; vgl. z.B. Overbecks Brief vom 6. Okt. 1874. 45 Vgl. unten S. 3. Einleitung XIX

Für mich stand in einer in gewissem Sinne höchst unerwarteten Weise dabei mein alter längst verlorener Herzen(s)freund Treitschke wieder auf. ... Als Menschen sind sie mir gleich lieb gewesen, mich mit ihnen Beiden als Politikern zu überwerfen hat mir bei R. nur Zeit u. Gele• genht gefehlt, die Lust bei Beiden.«46 Eine ernsthafte Verstimmung scheint bei Overbeck jedoch eingetre• ten zu sein, als Rohde zwischen ihm und dem Nietzsche-Archiv zu vermitteln suchte,47 wie ihm auch die anfängliche Bereitwilligkeit Roh• des, Elisabeth Förster in ihrer Herausgebertätigkeit, vor allem bei der Publikation von Nietzsches philologischem Nachlass, zu unterstützen,48 schwer verständlich war. Rohde scheinen die Gründe für Overbecks strikte Distanzierung vom Archiv und seiner Leiterin nicht ganz ein• sichtig gewesen zu sein, was wiederum Overbeck in seinem Vertrauen zu Rohde stark irritiert hat, wie der eingehende Briefwechsel, den beide in dieser Sache führten, zeigt.49 Einig scheinen sie sich jedoch in der Einschätzung von Elisabeth Försters »Leben Friedrich Nietzsche's« ge• wesen zu sein.50 Als Gelehrten hat Overbeck Rohde hoch geschätzt. Das drückt sich auch aus in den Bemerkungen über Rohde, die sich andernorts in den Collectaneen des >> Kirchenlexicons« finden. Aufschlussreich ist vor al• lem der Vergleich im Hinblick auf Stil, Methode und Art der Betrach• tung, den Overbeck zwischen Rohde und Wilamowitz als Interpreten der griechischen Religion zieht - wobei er Rohde, der kein »Theologe des Alterthums« gewesen sei, als Historiker höher schätzt5 1• Allerdings hat er auch bei ihm die Beschränkung des Antikebegriffs bzw. die Ausgrenzung des Christentums aus dem Gegenstandsbereich der Al• tertumswissenschaft kritisiert und zeigte sich enttäuscht über das man• gelnde Verständnis, das deshalb sein Aufsatz >>Ueber die Anfänge der patristischen Litteratur« bei Rohde gefunden habe52. Ausserordentlich

"" Vgl. unten S. 232. 47 Vgl. unten S. 131. 48 Zu Rohdes Archivbesuch im Frühjahr 1894 vgl. PATZER, ORB, S. 502ff. 49 Rohde an Overbeck, 27. Dez. 1894, Overbeck an Rohde, 31. Dez. 1894, Rohde an Overbeck, 15. Jan. 1895, Overbeck an Rohde, 17. Jan. 1895. 50 Vgl. dazu auch die Auszüge aus Rohdes Stellungnahmen gegenüber Elisabeth Förster, bes. ORB, S. 537-541. 51 >>Griechen (Religion) Vermischtes.«, OWN 4, 430 ff. und »Philologie (All• gemeines)«, OWN 5, 243 ff. 52 OWN 4, 160; vgl. auch Overbecks Notiz im Handexemplar von ApL (A 347), gedr. Overbeckiana II, S. 163. XX Einleitung geschätzt hat er jedoch - das zeigen die Exzerpte im >>Kirchenlexicon« - Rohdes grosse Rektoratsrede >>Über die Religion der Griechen«, 53 wie natürlich auch seine »Psyche«.54 Er hebt - in Ergänzung der Crusius'schen Biographie - hervor, dass Rohde Sinn und Schätzung für die Beziehung wechselseitiger Not• wendigkeit zwischen dem Intellektuellen als >>geistreichem Dilettan• ten« und als Gelehrtem besessen habe - nicht zuletzt in Rücksicht auf sein Verhältnis zu Nietzsche.55 Es fehlen jedoch auch nicht kritische Töne gegenüber manchen Zügen von Rohde's Persönlichkeit, wie etwa gegenüber der >>Selbstgefalligkeit« des Rohdesehen Individualismus56. Dem Zerwürfnis Rohdes mit Nietzsche widmet Overbeck keinen ab• schliessenden Kommentar, aber es finden sich sowohl unter den Nietz• sche-Aufzeichnungen als auch in den Texten über Rohde verschiedent• lich vergleichende Bemerkungen über die Freunde, etwa über die Dif• ferenz ihres Skeptizismus57, über die sehr unterschiedliche Schätzung Schopenhauers, die >>fundamental divergirenden moral. Lebensanschau• ungen, zu denen sich beide schliesslich bekannten«58. Nietzsche hatte, so Overbeck, schon lange vor dem Streit über Taine, die Entfremdung wahrgenommen, die sich zwischen ihnen entwickelt hatte, aber er >>giesst in die Moral seiner heroi. Hintergründe, in die er sich zurück• zuziehen im Begriff ist, eine Wasserfluth hinein um sie nur brauchbar zu machen zu einem Vertrag, der ihm und Rohde noch weiter als Freunde fortzuleben gestattet«. 59 Die menschliche Schätzung Rohde's für Overbeck spricht sich aus in dem Antrag, den er an ihn auf die Übernahme der Patenschaft für seinen Sohn Erwin richtete: >>Nächstens werde ich nun wohl meiner Frau zu Liebe und um etwaigen späteren Nachtheil für das Kind selbst zu vermeiden, mich der für mich natürlich völlig bedeutungslosen Ce• remonie der Taufe des Wurms unterziehen müssen, wiewohl mit eini• gem Schaamgefühl. Hierfür nun, habe ich mir Sie zu einem der Pathen ausersehen .... Ich wünschte, durch Ihr Pathenthum ließen sich so manche der guten und schönen Eigenschaften die ich an Ihnen liebe in

5' Vgl. z.B. OWN 4, 430ff., 594f.; OWN 5, 304f., 309. 54 OWN 4, 430f. 55 OWN 4, 319. 56 Vgl. unter >>Nietzsche Individualismus« Nr. 1 u.Nr. 3, S. 100. 57 Vgl. S. 229. 58 Vgl. S. 228. 59 Vgl. »Nietzsche u. Moral«, S. 130. Einleitung XXI mem Kind hinüberleiten, dem ich ... ein gelasseneres Gemüth wün• sche als seinem höchst unphilosophischen Vater angewachsen oder an• erzogen ist.«60 Overbecks Gelassenheit, seiner »Klugheit und Geduld« jedenfalls scheint es zu danken zu sein, dass diese Freundschaft sich über alle Differenzen hinweg bewahrt hat.61

Friedrich Nietzsche (184+--1900)

»Einen Einfluss ganz unabsehbarer Art« habe Nietzsche auf ihn aus• geübt, >>den stärksten«, der ihn auf seiner >>Wanderschaft durch das Leben« getroffen habe: so bezeugt es Overbeck in der Einleitung zur zweiten Auflage seiner >>Christlichkeit<< aus dem Jahre 1903. Seine Auf• zeichnungen über Nietzsche bildeten denn auch den Gravitationskern seiner Freundschaftserinnerungen und haben ihn bis zu seinem Tod beschäftigt. Neben den in seinen Briefwechseln - vor allem denjenigen mit Erwin Rohde und Heinrich Köselitz - verstreuten Äusserungen, neben den zahlreichen Nietzsche-Bezügen in den Artikeln des >>Kir• chenlexicons« und neben der knappen Darstellung, die er seiner >>Christlichkeit« vorangestellt hat, stellen diese Aufzeichnungen die wichtigste Grundlage für eine Interpretation dieser Beziehung dar. In Auszügen sind Overbecks Aussagen über Nietzsche seit langem bekannt. 1906, kaum ein Jahr nach dem Tod Overbecks, gab Carl Alb• recht Bernoulli in Samuel Fischers >>Neuer Rundschau« eine gekürzte und überarbeitete Auswahl der Aufzeichnungen heraus, unter dem Ti• tel >>Franz Overbecks Erinnerungen an Nietzsche«. 62 1908 verarbeitete er dieses und weiteres Material in seiner grossen, zweibändigen Mo• nographie >>Franz Overbeck und Friedrich Nietzsche - Eine Freund• schaft«. 63 In beiden Fällen allerdings wurden Overbecks Texte einer

60 Rohde an Overbeck, 3. Okt. 1881, ORB, S. 50f.; vgl. auch den in dem er Overbeck von der Erschütterung durch den Tod seines spätgeborenen, jüng• sten Sohnes schreibt, der 1/12-jährig an Gehirnhautentzündung gestorben war: Rohde an Overbeck, Ende Januar 1897, ORB, S. 197f. 6' Vgl. H. CANCIK, Erwin Rohde, a.a.o. Anm. 39, S. 482. 62 Aus dem Nachlass herausgegeben von C.A. BERNOULLI, in: Neue Rundschau 1906, S. 209-231, 32ü-330; vgl. dazu auch unten Anm. 114. 63 Jena 1908; zu den langwierigen iuristischen Auseinandersetzungen, die sich daraus zwischen Bernoulli und Ida Overbeck auf der einen und Elisabeth Förster-Nietzsche und Heinrich Köselitz auf der anderen Seite ergaben, vgl. XXII Einleitung eingreifenden Bearbeitung unterzogen. Bernoullis Redaktion war dar• auf ausgerichtet, Overbecks Aussagen innerhalb der zeitgenössischen Nietzsche-Diskussion Gewicht zu verleihen. Zu diesem Zweck hat er die originalen Aufzeichnungen so zusammengezogen, geglättet und ver• knüpft, dass ihre ursprüngliche Anlage und sachliche Eigenart nicht mehr kenntlich war.64 Das gleiche Verfahren der Textcollage hat er später auch in anderen Nachlassbearbeitungen und vor allem in der Kompilation »Christentum und Kultur« angewendet.65 Overbcck selbst allerdings hatte gerade keine Nietzsche-Deutung geben wollen, über• haupt wollte er keine »Denkmälersprache<< sprechen.66 Im »Receptakel<< seiner >>Nietzsche-Blätter<< hatte er vielmehr, ohne systematisierenden Anspruch, versammeln wollen, was ihm >>theils das eigene Andenken an N. theils die Tagesgeschichte seines Andenkens bei Anderen gerade eingab.<<67 Für das Verständnis dieser Aufzeichnungen mag ein Blick auf ihre Entstehungsgeschichte und ihre eigentümliche Form hilfreich sein.

1. Zur Anlage und Entstehung der Aufzeichnungen

Overbecks Nietzsche-Aufzeichnungen, ein Konvolut von insgesamt 144 Einzelartikeln zum Stichwort >>Nietzsche<<, 68 waren ursprünglich wie diejenigen über Treitschke und Rohde, Teil seiner »Privatencyclopä• die«, des >>Kirchenlexicons<< . 69 Sie setzen sich zusammen aus zwei ge-

ULF DIEDERICHS, Kampagne um Nietzsche. Zur Entstehungs- und Wirkungs• geschichte von C.A. BERNOULLIS >>Franz Overbeck und Friedrich Nietzsche. Eine Freundschaft« (1908), in: Buchhandelsgeschichte, Beilage zum Börsen• blatt für den deutschen Buchhhandel, Nr. 76, 23. Sept. 1994, S. B 97- B112. 64 Vgl. BERNOULLI selbst zu seiner Redaktion: ON II, S. 416f. 65 Vgl. dazu die Einleitung zu OWN 4, S. XIVff. 66 A 321e2, p. 2 67 A 321b, Konvolut 5, p. 7. 68 Das Konvolut umfasst insgesamt 297 Blätter; dabei wird der Artikel >>Nietz• sche u. Geschlechtliches«, der sich nicht im »Kirchenlexicon«, sondern in einem Handexemplar im Nachlass von C. A. Bernoulli gefunden hat, mit• gerechnet. Für den Hinweis auf dieses Handexemplar danke ich Herrn Fr. ßESTEBREURTJE. 69 Dort werden sie auch in der heutigen Ordnung des Nachlasses aufbewahrt: NI A 232; vgl. die Beschreibung der übrigen, noch erhaltenen Nietzscheana Overbecks, die sich auf verschiedene Nachlassbestände verteilen, bei MARTIN Einleitung XXIII trennten, von Overbeck als »Serien« bezeichneten Blattfolgen. Die erste Serie wurde ungefähr 1898 begonnen und Ende September 1901 ab• geschlossen. 70 Sie ist von ihm blattweise von 1- 110 durchpaginiert wor• den. Die zweite Serie wurde am 28. Oktober 1901 begonnen, wie er selbst zum ersten Blatt anmerkt.71 Diese zweite Serie hat keine fortlau• fende Paginierung und scheint weitgehend unabhängig von der ersten aufgezeichnet worden zu sein. Sie enthält zahlreiche Stichworte, die bereits in der ersten enthalten sind.72 Die letzte datierte Niederschrift stammt vom 10. Mai 1905.73 Am 26. Juni 1905 ist Overbeck gestorben.

Die erste >>Serie« der Aufzeichnungen

Was Overbeck über Nietzsche niedergeschrieben hat, schrieb er zu• nächst zu Randen von Heinrich Köselitz als dem designierten Sach• walter seines Nietzsche-Nachlasses. 74 Mit dem Musiker und Komponi• sten, dem Reisebegleiter und Sekretär Nietzsches, verband ihn eine langjährige Beziehung. 75 Köselitz, der 1875 als Student nach Basel ge• kommen war, um bei Nietzsche, Burckhardt und Overbeck Vorlesungen zu hören, pflegte denn auch seine Briefe an Overbeck als >>Ihr ergebener Schüler« zu unterzeichnen. Mit ihm hatte Overbeck sich nach Nietz• sches Zusammenbruch in Turin in die Verantwortung für dessen Nach-

TETZ, Overbeckiana II, S. 28 und S. 139-152; der Bestand der Handexem• plare von Werken Nietzsches ist inzwischen erweitert durch NIETZSCHE, Un• zeitgemässe Betrachtungen I-IV (A 30la). 70 Overbecks Erinnnerung an den Beginn seiner Aufzeichnungen ist, seiner eigenen Aussage zufolge, unsicher: A 32lb, Konvolut 1, p. 1, so auch Kon• volut 4, p. 7; die erste Serie umfasst 53 Artikel. 71 (tr)»Nietzsche (Litteratur)«, Anmerkung zum Titel, vgl. unten S. 118; die zweite Serie umfasst 91 Artikel. 72 Die Kennzeichnung der verschiedenen Serien durch roten, bzw. blauen Farb• stift geht vermutlich auf Bernoulli zurück, von dem auch die sonstigen Be• arbeitungsspuren in Bleistift stammen dürften, vgl. das Faksimile unten S. 22. 73 Geschäfte< an sich zog. Mit Köselitz, der durch Frau Förster als Herausgeber desavouiert und entlassen worden war, glaubte er sich einig in der Distanz zum Naumburger/Weimarer Nietzsche-Archiv. 76 Es war Köselitz, der ihn früh zu Aufzeichnungen über Nietzsche drängte. Overbeck reagierte jedoch zunächst sehr abweisend: 77 »Reden ist also hier, wie es sich auch um seine Pflichtmässigkeit verhalte, jedenfalls verantwortungsvoll und setzt jedenfalls starke Ueberzeugung des Werths der Sache voraus, noch neben dem, was N. selbst für sein Gedächtniss gethan hat.«78 In seinem Briefwechsel mit Köselitz hielt er jedoch mit seiner (auch kritischen) Sicht auf Nietzsche nicht zurück, zumal in der Diskussion der »Vorreden«, mit denen Köselitz die von ihm herausgegebenen Neuauflagen von Nietzsches Werken begleitete.79 Köselitz gab daher nicht nach und drängte am 29. September 1893 noch einmal - auch mit Hinweis auf die Pläne der Schwester, eine Nietz• sche-Biographie zu schreiben: »Nachdem ich, und zwar täglich, Ihre Winke und Betrachtungen über mein letztes Vorwort80 gelesen habe, sage ich mir immer und immer wieder, wie unendlich schade es wäre, wenn Ihr Zeugniss über Nietzsche der zukünftigen Menschheit fehlen sollte! Wir Andern (z.B. ich, Frau Dr. Förster) sind Partei, sind zu jung gewesen, als Nietzsche auf uns einwirkte, konnten ihm keine selbst• ständig entwickelte Persönlichkeit entgegensetzen, sondern sogen uns an ihm voll. Sie dagegen, verehrter Herr Professor, waren an Geist und Seele ausgereift, als der we rdende Nietzsche in Ihr Gesichtsfeld trat: Sie behaupteten sich in Ihrer Burg und vermochten ihn in ganz anderer Art, als wir, zu überschauen. Wenn nun zu der Überlegenheit Ihres Standpunktes noch die ungeheure Finesse der Auffassung, wie sie mir

76 So hält er es später in »Tagebuchartiges«, 15. Dez. 1899 fest. (OWN 7 /1); vgl. auch den Briefwechsel mit Köselitz von November 1893 bis April 1894, OKB, S. 388- 404. 77 Köselitz an Overbeck, 29. Okt. 1892, OKB, S. 364. 78 Overbeck an Köselitz, 2. Jan. 1893, OKB, S. 371f. 79 Bes. Overbeck an Köselitz, 17. Okt. 1892 (zu Zarathustra I-IV) und die fol• gende Anm.; zur Differenz zwischen der kritischen Distanz Overbecks und dem missionarischen Verehrerturn von Köselitz vgl. die Einleitung zu OKB, S. XLff. 80 NIETZSCHE, Menschliches, Allzumenschliches, zweite Auflage, mit einem Vor• wort des Herausgebers. Leipzig 1894; das Vorwort ist in NI erhalten: A 325; dazu Overbeck an Köselitz, 18. Sept. 1893. Einleitung XXV aus Ihrem letzten Briefe entgegenleuchtet, hinzukommt, so muss ge• rade das Zeugniss von Ihnen, der Sie die Herausbildung N's zum Mann in einer Nähe wie wohl Niemand anders miterlebt haben, als das erste und wichtigste anerkannt werden.«81 Das waren hochgespannte Erwar• tungen, gegen die Overbeck sich >>harthörig« verhielt: >>Eigene Erin• nerungen N. betreffend so kann ich nur immer nur versichern, dass ich nicht ohne innere Mahnung dazu dahinlebe. Ich weiss was ich hier erlebt, leider aber auch was ich hier versäumt.«82 Noch im November 1897 bleibt es dabei: >>Nichts was ich in dieser Hinsicht noch nachholen könnte - ich, der ich eines Denkmals für das Hauptereignis meines Lebens nicht bedarf - hätte für mich selbst die Echtheit und die Un• mittelbarkeit, die es mir allein wertvoll machte; und mir wiederum steht diese Sache zu hoch und zu nahe, als dass ich in dieser Hinsicht irgend Zweifelhaftes gar in die Welt setzen möchte. Da könnte mir auch keine Zuversicht auf schriftstellerische Talente herüberhelfen, die ich etwa törichterweise jetzt noch fasste, nachdem ich sie nie gehabt, und gesetzt auch, ich könnte mir irgend ein Auseinanderfallen solchen Bewusstseins und des Erfülltseins von der Sache jemals verzeihen.<< 83 Am 28. Sept. 1897 hatte Overbeck Köselitz um Zusendung seiner Briefe, soweit sie sich mit Nietzsche befassten, gebeten - vor allem um den Brief, in dem er ihm über die Begegnung mit Nietzsche in Turin be• richtet hatte: »Es ist nicht der einzige seiner Art aus der damaligen Zeit, kein anderer kommt ihm an Unmittelbarkeit entfernt gleich. Wie oft und vergeblich habe ich überhaupt schon beklagt, keine tagebucharti• gen Aufzeichungen über meine Erlebnisse mit Nietzsche zu besitzen!«84 Köselitz war der Bitte nachgekommen, hatte Overbeck 21 Briefe aus der Zeit vom 11. Januar 1889 bis 13. April 1890 zugeschickt85 und ihn bei dieser Gelegenheit wiederum zu Aufzeichnungen aufgefordert: >>Ich würde mich herzlich freuen, wenn diese Sendung Jhnen Lust machte, an die Aufzeichnung Ihrer Nietzsche betreffenden Erinnerungen zu ge• hen, wenigstens derjenigen, die weit vor diesen Briefen liegen: denn die Unmittelbarkeit der hier mitfolgenden Briefe ist schwerlich durch eine andere Fassung zu ersetzen.«86

81 Köselitz an Overbeck, 29. Sept. 1893, OKB, S. 385. 82 Overbeck an Köselitz, 2. Okt. 1893, OKB, S. 388. 83 Overbeck an Köselitz, 26. Nov. 1897 (Text nach Aktenabschrift), OKB, S. 444. 84 OKB, S. 439 (Wortlaut nach den Prozessakten). 85 Diese Briefe hat Ida Overbeck abgeschrieben; sie sollten ursprünglich Teil des Overbeckschen Nietzsche-Archivs bilden, vgl. dazu unten. 86 Köselitz an Overbeck, 7. Okt. 1897, OKB, S. 440. XXVI Einleitung

Zunächst war Overbeck jedoch im Winter 1897/98 vorrangig mit zwei anderen Themenfeldern beschäftigt. Zum einen schrieb er an sei• ner Selbstrechtfertigung als Theologe und begann mit seiner Autobio• graphie sowie mit seinem Tagebuch, zum anderen arbeitete er an sei• nen Studien über Eusebius und die Anfange der Kirchengeschichts• schreibung, die die Summe seiner methodischen und sachlichen Fra• gestellungen als Kirchenhistoriker ziehen sollten. Beide Bereiche ver• schränkten sich für ihn in sehr komplexer Weise, bis er, auch unter dem Druck massiver gesundheitlicher Beeinträchtigung, diese Beschäftigung 1898 zunächst unterbrachY 1898 hat er dann, wie er später bezeugt, erste Nietzsche-Aufzeichnungen niedergeschrieben. 88 Am 22. Febr. 1899 teilte er Köselitz mit, er gehe daran, seinen Nachlass zu ordnen und fragt an, ob er auf ihn »als posthumen Herausgeber des Wenigen, was ich N. betreffend für die Oeffentlichkeit zu bestimmen überhaupt im Sinne habe« rechnen könne.89 Köselitz sagte zu: »schon aus dem Grun• de, weil ich damit Gelegenheit fände, meiner Bewunderung vor Ihnen mit der Dankbarkeit Ihres ergebensten Schülers öffentlich Ausdruck geben zu können.«90 Der Gedanke, seine Nietzscheana zu ordnen, muss Overbeck schliess• lich drängend geworden sein, als er Anfang Februar in der Frankfurter Zeitung den von Elisabeth Förster-Nietzsche eingeleiteten Abdruck des Briefwechsels zwischen Nietzsche und Jacob Burckhardt las. Die in sei• ner Sicht schiefe, weil das Verhältnis überhöhende Darstellung empörte ihn so, dass er sich zu einer öffentlichen Stellungnahme gedrängt fühl• te.91 Er legte den Textentwurf Köselitz im gleichen Brief vom 22. Februar zur Begutachtung vor, dieser riet von einer Veröffentlichung jedoch ab.

87 Vgl. dazu M. STAUFFACHER, Overbecks autobiographische Reflexionen zu sei• ner öffentlichen Stellung als Professor der Theologie, in: R. BRÄNDLE u. E. W. STEGEMANN (Hgg.), Franz Overbecks unerledigte Anfragen an das Chri• stentum, München 1988, S. 67-88; im einzelnen ist zu vergleichen die Ein• leitung zu OWN 7/1. 88 A 321b, Konvolut 5, p. 7; es ist nicht festzustellen, um welche Text es sich dabei gehandelt hat; im erhaltenen Konvolut stammt der erste datierte Text von 1899, doch scheint Overbeck erst 1899 begonnen zu haben, seine Texte zu datieren. 89 OKB, S. 472. 9° Köselitz an Overbeck, 2. März 1899, OKB, S. 477f. 91 Vgl. unten S. 256ff. Einleitung XXVII

Im Dezember 1899 teilte er Köselitz dann mit, er se1 inzwischen neben und im Zusammenhang seiner autobiographischen Beschäfti• gung >> zum Anfang einiger Aufzeichnungen über Nietzsche gekom• men«. Über sie habe er >> zur Zeit so disponirt, dass zu meinen Lebzeiten davon jedenfalls, wenn überhaupt etwas, so nur sehr weniges an das Licht der Oeffentlichkeit soll, der Rest aber später, wenn noch vorhan• den, nur durch Ihre Vermittelung und mindestens zum Theil selbst nach Ihrem Gutdünken allein. Auch das natürlich >ganz unter uns<.<<92

Der Konflikt mit Elisabeth Förster-Nietzsche

Dass Overbeck schliesslich doch begann, Aufzeichnungen festzuhalten, scheint also vor allem durch seinen Dissens mit den publizistischen und editorischen Unternehmungen Elisabeth Förster-Nietzsches motiviert gewesen zu sein. Man könnte auch sagen: Er fühlte sich zunehmend gedrängt, Einspruch einzulegen und Widerspruch zu formulieren an• gesichts der >Veröffentlichung< Nietzsches, wie sie von Naumburg und später von Weimar aus betrieben wurde. Zumal aus der Zeit während und nach der sog. >Lou-Affäre< glaubte er hinreichend Einblick in das widerspruchsvolle Verhältnis Nietzsches zu seiner Familie und die Machtansprüche der Schwester gewonnen zu haben, um ihr als al• leiniger Sachwalterirr der Werke des Bruders mit Misstrauen zu begeg• nen. Dies sollte sich für ihn auch sehr bald bestätigen. Bereits während ihres etwa 1 1/2-jährigen Aufenthaltes in Deutschland von Dezember 1890 bis Juni 1892 machte Frau Förster deutlich, dass sie sich als die erstverantwortliche Herausgeberirr der Werke Nietzsches verstand. 93 Nach ihrer definitiven Rückkehr aus Paraguay im September 1893 wurde der Konflikt dann unvermeidlich. 94 Im Oktober 1893 verlangte sie von Köselitz die Auslieferung sämt• licher Manuskripte. 95 Köselitz bändigte ihr das gesamte Material, ein• schliesslich der Abschriften von >>Ecce homo« und >>Antichrist«, die

92 Overbeck an Köselitz, 13. Dez. 1899, OKB, S. 490. 93 So wurde im März 1891 auf ihre Initiative hin die Auslieferung von Zara• thustra, Teil IV sistiert, dessen Drucklegung von Overbeck und Köselitz ein• geleitet worden war. 94 Vgl. die Einzelheiten der Entwicklung bei DM. . HoFFMANN, Geschichte des Nietzsche-Archivs, Berlin/New York 1991 (GNA). 95 Vgl. den diesbezüglichen Briefwechsel zwischen Köselitz und Overbeck, OKB, S. 384-389. XXVIII Einleitung

Overbeck und er angefertigt hatten, aus. Overbeck war damit jede wei• tere Kontrolle über Nietzsches Nachlass entzogen. Im November 1893 gab Elisabeth Förster ihre Pläne zu einer neuen Gesamtausgabe von Werken und Nachlass des Bruders bekannt. H ein• rich Kösclitz wurde unter dem Vorwurf eigenmächtigen und editorisch unvertretbaren Handeins die Herausgeberschaft der bei Naumann er• scheinenden Nietzsche-Ausgabe entzogen. Zusammen mit Fritz Koegel begann Elisabeth Förster mit der von Overbeck befürchteten, stück• weisen Veröffentlichung von Nachlasstexten Nietzsches.96 Zugleich wurde öffentlich angekündigt, sie werde eine Biographie des Bruders verfassen. 97 Als sie sich brieflich an Overbeck um Unterstützung wandte - und dabei zugleich gegen Köselitz zu intrigieren suchte - , nahm er ausführ• lich und kritisch Stellung und schloss mit dem Rat: »Sie sollten es vermeiden, die Gestaltung des Verhältnisses der Oeffentlichkeit zu Ih• rem Bruder sich überhaupt eine Sorge sein zu lassen, und sich die Zuversicht nicht verkümmern, die Sie hierfür zu den fertigen Leistun• gen Ihres Bruders haben dürfen.«98 Daran schloss sich ein Briefwechsel an, der schliesslich zum Bruch zwischen Overbeck und Elisabeth För• ster-Nietzsche führte.99 Nachdem Elisabeth Förster-Nietzsche ihm am 12. Januar 1894 mitgeteilt hatte, dass sie einen seiner Briefe ungelesen verbrannt habe, brach er die Korrespondenz mit ihr ab. Seither bestand er auf der Vermeidung persönlichen Kontakts und persönlicher Beziehungen zu Nietzsches Schwester, erklärte sich jedoch bereit, auf Sachfragen nach seinen Möglichkeiten Auskunft zu geben. So fertigte er z.B. 1894 ein Itinerar100 von Nietzsches Reisen und Auf-

96 FRIEDRICH NrETZSCHE. Ein ungedrucktes Vorwort zur Götzendämmerung. Er• läutert von FRITZ KoEGEL, in: Magazin für Litteratur Jg. 62, Nr. 44, 4. 11. 1893, S. 702ff.; FRIED!CH NIETZSCHE, Ueber die Zukunft unserer Bildungs• Anstalten. Erster Vortrag. I. Mit einer Einleitung von Frau Dr. ELISABETH FöRSTER-NIETZSCHE, ebd., Nr. 52, S. 825-828. 97 Die Erklärung im Magazin für Litteratur, a.a.o., Nr. 44, S. 710 über ihre editorischen und biographischen Absichten ist wieder abgedruckt in OKB, S. 724-726. 98 Overbeck an Elisabeth Förster-Nietzsche, 18. Nov. 1893, abgedr. ORB, S. 490. 99 Elisabeth Förster-Nietzsche an Overbeck, 14. Nov. 1893, Overbeck an Elisa• beth Förster-Nietzsche, 18. Nov. 1893; diese und die ansebliessenden Briefe sind abgedruckt in ORB, S. 488- 98 u. 515- 22; vgl. Overbeck an Köselitz, 16. Nov. und 27. Dez. 1893; an Rohde, 30. Dez. 1893, ORB, S. 166. 100 Ein »Brouillon« dazu ist erhalten in Nl A 312, abgedr. bei Rcrnoulli, ON II, S. 402ff. Einleitung XXIX

enthaltsorten für die Jahre 1886 - 1889 an, das Elisabeth Förster-Nietz• sche für die Recherchen zu ihrer Biographie nützlich gewesen sein dürfte - war sie doch durch ihren Aufenthalt in Paraguay über Nietz• sches Leben in diesen Jahren nur unzureichend unterrichtet. Strikt ver• weigert hat Overbeck jedoch die Herausgabe seiner Nietzschebriefe, zu der Frau Förster ihn mit allen Mitteln zu bewegen suchte. Sie tat dies persönlich zuletzt noch einmal im September 1895 anlässlich eines Treffens in Leipzig. 101 Danach liess sie Mittelsmänner für sich werben - bis zuletzt ohne Erfolg. Overbecks kompromisslose Weigerung bildete den harten Kern des Konflikts, den Bernoulli später wohl zurecht als etwas >>prinzipiell Unvermeidliches« beschrieben hat. 102

Köselitz' Eintritt ins Nietzsche-Archiv

Im Herbst 1899 versuchte Elisabeth Förster-Nietzsche, den zuerst so heftig kritisierten Heinrich Köselitz als Mitarbeiter des Archivs Zurück• zugewinnen. Sie bat ihn zunächst um Mitarbeit bei der Ordnung und Publikation von Nietzsches musikalischem Nachlass. Diese Aufgabe musste grosse Verführungskraft 103 für Köselitz besitzen, war er doch Nietzsches eigentlicher Musikerfreund gewesen. Er fuhr nach Weimar ins neu eingerichtete Nietzsche-Archiv und berichtete darüber an Over• beck: >>Zufällig hatte ich in Weimar in anderen Angelegenheiten zu thun und so scheute ich mich nicht, zu dem herrlichen Silberblick, vor welchem Weimar ungefähr wie Florenz von San Miniato aus gesehen daliegt, hinauf zu steigen. Unser Wiedersehen war natürlich, als wäre Nichts geschehen. Erst am dritten Tage kamen wir auf unsere Differenz zu sprechen. ... Das Archiv ist entzückend eingerichtet. - Nietzsche ruht, in ein weisses Flanellkleid gehüllt, oben den ganzen Tag auf einem Divan, nicht übel aussehend, sehr ruhig geworden ... Anfangs December gehe ich nochmals nach Weimar: bei meinem ersten Besuch konnte ich über dem Vielerlei von Spazierfahrten, neuen Bekannt• schaften, aktenmässigen Einblicken in die Vorgänge der letzten Jahre ... nur einen flüchtigen Blick in die vorhandenen Musikalien thun.«104

101 Vgl. den Bericht an Köselitz vom 26. Dez. 1895 und unten S. 27. 102 ON II, S. 511f.; vgl. auch die klugen Bemerkungen von W. NIGG, Franz Overbeck. Versuch einer Würdigung, München 1931, S. 16f. 103 Das hat F.R. LOVE überzeugend gezeigt: Nietzsches Saint Peter. Genesis and Cultivation of an Illusion, Berlin/ New York 1981. 101 Köselitz an Overbeck, 15. Kov. 1899, OKB, S. 485f. XXX Einleitung

Auch wenn diese Mitteilung Overbeck einigermassen erschreckt ha• ben dürfte, glaubte er zunächst, sein Verhältnis zu Köselitz von diesen Entwicklungen unberührt halten zu können. Im Frühjahr 1900 wurde dieser offiziell als Mitarbeiter des Nietzsche-Archivs angestellt und zwar zunächst als Mitherausgeber der Gesammelten Briefe Nietzsches. Von jetzt an nannte er sich offiziell mit seinem Künstlernamen >>Peter Gast«. Im Herbst 1900 besuchte Overbeck ihn - aufgrund seiner An• stellung hatte Köselitz heiraten können - in Weimar. Bei diesem Be• such wurde nochmals über Overbecks Nietzscheana gesprochen. Over• beck scheint seine Absicht, Köselitz ungeachtet seiner Anstellung am Archiv, als den Erben seiner Nietzscheana zu betrachten, wiederholt zu haben. Obwohl auch Köselitz seine Bereitschaft, zur Übernahme be• kräftigte, scheint es nicht zu klaren Vereinbarungen gekommen zu sein.105 In der Folgezeit wurde jedoch deutlich, in welchem Mass Köselitz sich von Elisabeth Förster vereinnahmen liess und Overbeck musste einsehen, dass er als Testamentsvollstrecker für ihn verloren war. Aus• schlaggebend war für ihn das von Köselitz als Eulog auf Elisabeth Förster-Nietzsche verfasste Vorwort zum ersten Band der gesammelten Briefe, den er Anfang Dezember 1900 erhielt sowie ein Vermittlungs• versuch, den Köselitz zwischen der Archivleiterin und ihm unter• nahm.106 In einem Brief vom 7. Dezember 1900 legte er Köselitz daraufhin noch einmal grundsätzlich dar, warum von einer >>Versöhnung« zwi• schen Elisabeth Förster-Nietzsche und ihm keine Rede sein könne und daher auch jede >Nermittlungsabsicht« ohne Aussichten sei. Er wieder• holte seine Bereitschaft, in Informationsanfragen mit dem Archiv zu• sammenzuarbeiten und bevollmächtigte Köselitz, in diesem Sinne die Briefe, die er ihm über Nietzsches Abholung aus Turin geschrieben habe, zu benutzen, bzw. zur Verfügung zu stellen. 107 Damit meinte er die Bedingungen geklärt zu haben, unter denen ihm die Fortsetzung ihrer Beziehung möglich schien. Doch als Köselitz kurz darauf so weit

105 Vgl. Köselitz an Overbeck, 14. Nov. 1900. 106 Er übermittelte einen Brief an Overbeck, obwohl er wusste, das dieser die Korrespondenz als geschlossen betrachtete. Overbeck sah sich dadurch ge• zwungen, Elisabeth Förster-Nietzsche nochmals in aller Deutlichkeit seinen Wunsch nach möglichster Distanz auszudrücken, vgl. seinen Brief an Elisa• beth Förster-Nietzsche, 6. Dez. 1900; der Brief ist im Auszug gedruckt bei BERNOULLI, ON II, S. 424ff.; vgl. auch unten S. 86. 107 OKB, S. 509-513. Einleitung XXXI ging, ihn zur leihweisen Auslieferung eines Teils seiner Nietzschebriefe an das Archiv zu überreden, musste für Overbeck die Sache entschieden sein. Er behielt sich zwar eine Prüfung der Anfrage durch erneute Lektüre der Briefe vor, verbat sich jedoch in scharfem Ton jeden wei• teren Vermittlungsversuch. 108 Die Lektüre der Nietzschebriefe wurde im Juni 1901 beendet und führte zu Overbecks Beschluss, >>die Pubb• eation ... bis zu meinem Lebensende und soweit mir möglich wohl noch auf Jahre über dieses hinaus zu verhindern, die Stücke selbst aber dem Archiv auf jeden Fall und auf immer zu entziehen.« 109 Zum glei• chen Zeitpunkt hielt er in seinem Tagebuch fest, dass Köselitz als Erbe der Briefe nicht mehr in Frage komme. Erst im September, nachdem das Archiv über den mit Overbeck bekannten Zoologen Rudolf Burck• hardt einen weiteren Versuch lanciert hatte, ihn zur Überlassung der Briefe zu bewegen, teilte Overbeck Köselitz diesen Entschluss mit, nochmals eingehend argumentierend und in der Hoffnung, dass daran ihre alte freundschaftliche Beziehung nicht zerbrechen möge. 110 Damit war nun allerdings eine andere Lösung zu finden, um seine Nietzschebriefe vor dem Zugriff des Weimarer Archivs zu schützen. Overbeck sah sich gezwungen, sein eigenes >Nietzsche-Archiv< zu be• gründen. Da die weitere Geschichte der >>Aufzeichnungen« mit Over• becks Verfügungen über seine Nietzschebriefe unmittelbar zusammen• hängt, muss darauf etwas näher eingegangen werden.

Overbecks >Nietzsche-Archiv< 1 11

Nach längeren Überlegungen und iuristischen Beratungen beschloss Overbeck, seine Nietzsche-Briefe der Basler Universitätsbibliothek zu vermachen - ein Gedanke, der im >>Tagebuchartigen« zuerst unter dem 17. Juni 1901 erwähnt ist. Mit dieser Schenkung sollte eine Verschluss• zeit von 20 Jahren nach seinem Tod verbunden sein. 112 Ergänzend zu

108 Overbeck an Köselitz, 28. April 1901. 109 Vgl. Tagebuchartiges, 17. Juni 1901 (OWN 7 /1). 110 Overbeck an Köselitz, 11. Sept. 1901, OKB, S. 519-524. 111 Das Overbeck'sche >Archiv< bildet den Kern der wesentlich umfangreicheren Basler Nietzsche-Bestände, vgl. dazu D.M. I-IOFFMANN: Das >>Basler Nietzsche• Archiv<<, Katalog der Ausstellung Basel 1993, Universitätsbibliothek. 11 2 Die Frist wurde von Overbeck manchmal auch auf 25 Jahre angesetzt; sie sollte jedenfalls dazu dienen, bei der Unsicherheit, die damals in Fragen des Urheberrechts an Briefen herrschte, einen Konflikt mit Elisabeth Förster• Nietzsche um die Veröffentlichung zu vermeiden. XXXII Einleitung den Briefen sollte eine Reihe von Dokumenten treten und alles zusam• men als »Nietzsche-Kassette« aufbewahrt werden. Wie er zu diesem Entschluss kam und wie er den Inhalt dieser »Nietzsche-Kassette«, die er auch als sein »Nietzsche-Archiv« bezeich• nete, verstanden wissen wollte, dazu hat Overbeck umfangreiche, sich wiederholende, ergänzende und überschneidende Erklärungen verfasst, die insgesamt nur fragmentarisch erhalten sind. 113 Sie datieren aus der Zeit von August 1901 - Mai 1902 und aus dem Juli 1904. Im August 1904 verständigte Overbeck sich mit C. A. Bernoulli, als dem Erben seines wissenschaftlichen Nachlasses, 114 darüber, dass dieser nach sei• nem Tod die Publikation der Nietzschebriefe übernehmen solle. In der Folge seiner Vereinbarungen mit Bernoulli nahm Overbeck dann wohl auch Abstand von der ursprünglich beabsichtigten Zusammenstellung seiner Kassette und damit wurde auch eine abschliessende Fassung der Erläuterungen oder »Vorbemerkungen« hinfällig. 115 Lediglich die Nietz-

113 NI A 321; das umfangreiche, 14 Din-A-4-Umschläge umfassende Notat• Konvolut wurde von MATHIAS STAUFFACHER versuchsweise chronologisch und thematisch geordnet und zur übersichtlicheren Zitationsmöglickeit mit Ord• nungsbuchstaben a-h versehen; unser Dank gilt Herrn Fr. Bestebreurtje, der uns in grasszügiger Weise die Transkriptionen hat benutzen lassen, die er von den wichtigsten Notaten genommen hat. 114 Vgl. zu den komplizierten Voraussetzungen der Overbeckschen Nachlassver• fügung das »Tagebuchartige<< (OWN 7 / 1) sowie die umfangreiche, unveröf• fentlichte Korrespondenz zwischen Bernoulli und Overbeck aus den Jahren 1901-1905; zusammenfassend MARTIN ThTZ, Overbeckiana II, S. 15-17. Overbeck hatte seinen wissenschaftlichen Nachlass im Brief vom 28. Juni 1904 als Schenkung an Bernoulli abgetreten; das volle Recht zur Publikation der Nietzsche-Briefe erteilte er ihm im Brief vom 16./ 17. August 1904; doch die nachfolgend gewechselten Briefe behandeln noch zahlreiche, wechselnde Zusatzvereinbarungen; wie unklar die Besitz-und Verfügungsfrage iuristisch blieb, zeigen das im Nachlass Bernoulli erhaltene »Memorandum zur recht• lichen Frage von Besitz und Eigentum der von Franz Overbeck hinterlasse• nen Papiere (wissenschaftliche Abteilung)«, das Bernouli zu Händen von Ida Overbeck verfasst hat (Nl CAB, E 3, in Auszügen gedruckt bei ThTZ, a.a.o., S. 16), sein »Bericht über die literarische Verwaltung des Overbeckschen Nach• lasses« aus dem Jahre 1909 (Nl CAB, E 6, Vierter Vorbericht) und die amt• liche Erklärung und Gegenerklärung, die Bernoulli und Ida Overbeck im Juli 1909 notariell beglaubigen Iiessen (Staatsarchiv Basel-Stadt, PA 795, Akten der Franz-Overbeck-Stiftung, Konvolut A, Fase. 1.4). Die Erklärung enthält eine detailliertes Inventar des Overbeckschen Nietzsche- Nachlasses. 11 5 Vgl. auch MARTIN ThTz, Overbeckiana II, S. 150. Einleitung XXXIII sehebriefe gingen, entsprechend dem Codicill, durch das Overbeck am 31. Januar 1905 sein Testament ergänzte, 116 in den Besitz der Univer• sitätsbibliothek über, »in einer verschliessbaren Cassette, die mit mei• nem Siegel versiegelt und mit einer von mir zu hinterlassenden ... Aufschrift versehen sein wird.« 117 Ursprünglich sollte die »Nietzsche-Kassette« neben den Briefen Nietzsches verschiedene ergänzende »Beilagen« enthalten: 1. einleitende Erläuterungen (»Vorbemerkungen«) zum Bestand sei• nes Nietzsche-Archivs; 2. eine Auswahl seines Briefwechsels mit Heinrich Köselitz, Nietz• sche betreffend, 21 Stück vom 11. Januar 1889 bis 13. April 1890; 3. den letzten Brief Nietzsches an Jacob Burckhardt, den dieser ihm überlassen hatte; 4. seine Nietzsche-Aufzeichnungen; 5. eine »Reclamation« Overbecks an das Nietzsche-Archiv, betreffend die Widmung von »Menschliches, Allzumenschliches«. 118 Alle diese Beilagen sollten eigene einleitende Erläuterungen erhal• ten, zusätzlich zu den die Kassette insgesamt erläuternden >>Vorbemer• kungen«. Diese Einzelerläuterungen sind nur z.Tl. erhalten. 119 Die in A 321 erhaltenen Entwürfe und Notate beziehen sich auf die geplanten >>Vorbemerkungen« - zur Kassette insgesamt, zu den Nietzsche-Briefen und zu den Nietzsche-Aufzeichnungen. Sie alle kreisen um die >>Kö• selitzkatastrophe« als Motiv und Ursache der Schenkung an die Basler Bibliothek, um Overbecks Beweggründe für ihren 20-jährigen Ver-

11 ' Vgl. NI A 319; das Codicill wurde in den Basler Nachrichten, 1905, Nr. 188 vom 12. Juli 1905 veröffentlicht; Overbeck hatte seine Publikationsabsicht bereits am 10. Dez. 1904 in der Frankfurter Zeitung (1. Morgenblatt) in einem offenen Brief an Elisabeth Förster -Nietzsche angekündigt. 117 Sie wurden der Bibliothek von Ida Overbeck 1905 übergeben; das genaue Datum habe ich nicht ermitteln können; der Eingangsvermerk im Manual der Bibliothek für das Jahr 1905 datiert vom 20. Dezember, es handelt sich dabei aber vermutlich um einen Nachtrag. Wann die Kassette eröffnet wor• den ist, ist mir unklar. Im Juli 1909 war sie, wie aus den oben (Anm. 114) genannten Dokumenten hervorgeht, noch versiegelt. 118 So z.B. die Aufstellung in A 321c4, Konvolut 2, p. 9 (vom 16. Oktober 1901). 119 Auf Beilage 2 (Köselitzbriefe) bezogen sich wohl, zumindest teilweise, die >>Köselitzaufzeichnungen«, NI A 322a-d, in den wichtigsten Stücken gedruckt als Anhang zu OKB, S. 545-553; zu Beilage 3 (Nietzsches Brief an Burck• hardt) vgl. unten Anhang II.2 u. 3; zu Beilage 5 (>>Reclamation«) vgl. unten Anhang I, Artikel »Seid! (Arth.)«. XXXIV Einleitung schluss, um den Status und die Intention der Aufzeichungen. Deutlich wird aus ihnen jedenfalls - gerade auch in der Summe der allesamt abgebrochenen Erklärungsansätze -, wie schwer Overbeck der Schritt geworden ist, mit seinen Aufzeichnungen und vor allem den Briefen in die - wenngleich sehr zukünftige - Öffentlichkeit zu treten. Denn die• ser Entschluss stand für ihn »in sehr schroffem Widerspruch mit der Behdlg ... , der sie (scil. die Nietzsche-Briefe) meinerseits bis vor kaum einem halben Jahre das grosse Stück Leben lang, das ich mit ihnen zusammen geführt habe, meinerseits unterworfen gewesen sind. Nietz• sche selbst musste erst durch das 3-fach ineinandergreifende und dem• gernäss sich verstärkende Wirken seiner schon von ihm selbst in die Welt gesetzten Werke, der Katastrophe seines Wahnsinns, die ihn so vorzeitig und in so jammervoller Weise lange Jahre selbst neben jenen Werken nur noch fortvegetiren liess, und endlich der Eigenthümlich• keit des Auftretens der eigenen Schwester für den Bruder eine Weide des Sensationsbedürfnisses des gegenwärtigen Lesepublicums geworden sein, bevor mir der Gedanke überh. nur zu dämmern begann, dass die von mir erhaltenen Briefe Nietzsche's noch einmal etwas mit der Oef• fentlichkeit zu thun bekommen könnten.« 120 Noch fragwürdiger war für Overbeck, was nach Köselitzens »Wegfall« aus seinen Nietzsche• Aufzeichnungen werden sollte. Sie entgingen wohl nur knapp der Ver• nichtung121; der Gedanke an die 20-jährige Verschlussfrist jedoch hat es Overbeck nach eigener Aussage dann doch ermöglicht, sie aufzubewah• ren, ja an ihnen weiterzuschreiben. Die Ausrichtung auf ein unbekann• tes, postumes, zeitlich weit entferntes Publikum nahm für ihn ein Stück der Spannung zwischen dem Wunsch nach Öffentlichkeitsferne und der Empfindung der Überlieferungsverpflichtung: » ... nur an Leser in der Zukunft und zwar einer nicht ganz nahen Zukunft kann ich für sie denken wenn eine ihnen wesentliche und mir vor Allem angelegene Eigenschaft ihnen auch erhalten werden soll, die des Mangels an Ac• tualität.« 122 Die mentale Reservation gegenüber >Actualität<, resp. >Publicität< als wesentlichem Hindernis vorurteilsloser Auseinanderset• zung gehörte allerdings zu den Grundüberzeugungen Overbecks und begründete auch die Unvereinbarkeit seines Standpunkts mit dem Elisabeth Försters. Im Artikel »Actualität (Vermischtes)« notierte er in

120 A 321c4, p. 13f. 121 Vgl. A 321b, Konvolut 3, p. 10 über die »ernste Lebensgefahr«, m der die Nietzsche-Blätter sich befanden. 122 A 321b, Konvolut 5, p. 12. Einleitung XXXV semem »Kirchenlexicon«: >>Das schlimmste Hinderniss, das sich der ernsten Ergründung einer Sache in den Weg stellt. Daher ich .... kein Bedenken tragen würde, jeder Behdlg Nietzsches in der Oeffentlichkt der Gegenwart aus dem Wege zu gehen, .. . aus dem einfachen Grunde, weil es nicht zweckmässig ist, sich zu einer besonders feinen und schwierigen Denkarbeit in den Lärm einer Kinderstube zu setzen.« Dass solcherart Restriktion ihre kontraproduktive Gefahr birgt, ist Overbeck nur allzu bewusst gewesen: >>Freilich«, fragt er unmittelbar anschliessend, >>ist die Lösung gesichert, wenn man sich abseits in die Stille begiebt, nur Problemen nachgeht, die aller Actualität entrückt sind? Müsste man darüber nicht die Erfahrung machen, dass man sich selbstmörderisch der unentbehrlichsten Voraussetzung zur Förderung aller Erkenntniss, des Lebens, beraubt hätte?«123 Er wollte seine Nietzsche-Aufzeichnungen nun lediglich als Ergän• zung zu den Nietzsche-Briefen betrachtet wissen, betitelt als >>Gedenk• blätter<<, >>Selbstgespräche<< oder >>Monologe eines Freundes Nietzsches aus den Jahren 1898-1901«. Nicht >>Erinnerungen << wolle er schreiben, betonte er, sondern lediglich bescheidener: >>Eindrücke«. >>Mir, der ich unter den Lucubrationen über N. manche >Erinnerungen über Fr. N.< überschriebene kenne, in denen die angekündigten Erinnerungen nicht ganz fehlen, sondern vorhanden sein meines Wissens gar nicht können, liegt es nahe die Unterscheidg nicht zu vergessen.« 124 Was ihn vor allem drängte, Verfügungen über seinen Nietzsche-Nachlass zu treffen, war die Ungeduld »mit Nietzsche zu Ruhe zu kommen«, bzw. >>das natür• liche Verlangen mit einem unvergesslichen Freunde vor meinem Ab• scheiden in Ordnung zu sein<<. 125 Auch nachdem die Absprachen mit der Universitätsbibliothek Basel getroffen waren, fand Overbeck die ge• suchte Ruhe nicht. Das zeigt die Fortführung seiner Nietzsche-Auf• zeichnungen in einer zweiten >>Serie«.

Die zweite Serie

Auf den 28. Oktober 1901 datierte Overbeck den Artikel >>Nietzsche (Litteratur)<<, mit dem er eine neue Folge von Aufzeichnungen eröff• nete, >>nach Abschluss der Ersten bei ihrer Einverleibung in meine der Basler Bibliothek zu übergebenden Cassette mit Nietzschepapieren.<<126

123 OWN 4, 2f. 124 A 321h, Konvolut 2, p. 1. 125 A 321c4, Konvolut 2, p. 7. 126 Vgl. unten S. 118. XXXVI Einleitung

Ob Overbeck daran dachte, auch diese zweite Serie der Nietzsche-Kas• sette »einzuverleiben«, ist nicht ausdrücklich zu belegen. Dass er jedoch an Leser beider >>Serien« dachte, zeigt sich an Verweisen auf bereits in der ersten Serie vorhandene Artikel bzw. an den ausdrücklichen Aus• weisungen einzelner Stichworte als zur 2. Serie gehörig. 127 Im Unterschied zur ersten Serie sah Overbeck sich nun sowohl in seinem eigenen Nachdenken über Nietzsche als auch in der Beurteilung der öffentlichen Nietzsche-Diskussion vollkommen auf sich gestellt. Von 1901 an erschienen die Nachlassbände der 3. Gesamtausgabe und im selben Jahr erschien auch die erste Auflage des >>Willen zur Macht« hrsg. von Peter Gast, den Brüdern Horneffer und Elisabeth Förster• Nietzsche. Zugleich wurde der Freund durch das Erscheinen der Brief• wechsel128 und den Abschluss der Schwester-Biographie 129 immer stär• ker >veröffentlicht<. Darauf reagieren zahlreiche Artikel der zweiten Serie. Overbeck hat bis zu seinem Tod fortlaufend an ihr gearbeitet.130 In vielfacher Hinsicht verschränkten sich seine Aufzeichnungen auch mit den anderen in dieser Zeit verfolgten Projekten, unter denen vor• rangig die Auseinandersetzung mit Adolf von Harnack und die Kritik der Modernen Theologie zu nennen sind. Zu diesen Themen hat er in seinem >>Kirchenlexicon« umfangreiche Materialien gesammelt. 131 Pa• rallel dazu und in enger Verknüpfung damit arbeitete Overbeck an seinem Versuch einer intellektuellen Selbstrechtfertigung als Theologe, an seiner Selbstbiographie und an seinem >>Tagebuchartigen«. Wie eng alle diese thematischen Stränge verknüpft waren, zeigt die Neuauflage seiner >>Streitschrift« aus dem Jahre 1873 >>Ueber die Christlichkeit unserer heutigen Theologie«, die 1903 mit einem neuen Nachwort und einer neuen Einleitung erschien. Nicht zufällig hat Overbeck hier seine

127 Vgl. z.B. die Anmerkung zum Artikel >>Nietzsche Kant« und den Artikel (n),>Nietzsche u. (Fr.) Kögel«, der in Nr. 1 auf den in der ersten Serie vor• handenen verweist. 128 1902 erschien der Briefwechsel mit Rohde als Band II der Gesammelten Briefe, 1904 diejenigen mit Ritschl, Burckhardt, Taine, Keller, Stein u. Bran• des als Bd. III, 1. 129 Elisabeth Förster-Nietzsche, Das Leben Friedrich Nietzsche's, Bd. II,1 er• schien Ende 1904. 130 BERNOULUS Darstellung, die die zweite Serie ausschliesslich von 1904, d.h. vom Erscheinen des Schlussbandes der Nietzsche-Biographie an datiert, ist unrichtig (ON II, 416). 131 Die Mehrzahl der in OWN 4 und 5 veröffentlichten KL-Texte stammt eben• falls aus dieser Zeit. Einleitung XXXVII

einzige zu Lebzeiten veröffentlichte Erinnerung an Nietzsche festge• halten und zugleich auch gewissermassen >versteckt<. 132

2. Zu Form und Sache der >>Gedenkblätter«

Die lexikalische, stichwortbezogene Form, in der Overbeck seine Notate organisiert hat, bildet - das gilt für die erste wie die zweite >>Serie<< der >>Nietzsche-Blätter« gleichermassen - keine einheitliche Motivation oder Intention ab. Sie verhält sich vielmehr als solche schon gegenläu• fig gegen jedes einheitliche Deutungsinteresse. In den Aufzeichnungen Overbecks überlagern, durchkreuzen, verschlingen sich verschiedene In• tentionen. Der monologische Charakter schreibt sich in die Assoziati• vität, bisweilen auch Sprunghaftigkeit der Gedankenführung ein. An• satz und Duktus seiner Aufzeichnungen über Nietzsche sind getragen vom Versuch, Distanz herzustellen, zugleich aber wird dieser Versuch bemerkenswert häufig wieder unterlaufen. Fast hat es den Anschein, als habe Overbeck auch hier an der gewohnten lexikalisierenden und da• mit objektivierenden, versachlichenden Form festgehalten, um sich so ein Stück weit gegen die eigene Subjektivität zu sichern. Der Gegen• stand seines Nachdenkens jedoch war so stark auf seine Person bezogen, dass er ihn sozusagen >unter der Feder< immer wieder in die Selbst• reflexion trieb. Der Versuch, sich den Freund >klarzustellen<, führte über den Weg der Selbstverständigung. So münden zahlreiche Auf• zeichnungen in Vergleiche und Selbstabgrenzungen. Overbecks Auf• zeichnungen über Nietzsche sind - neben den dezidiert autobiographi• schen Niederschriften - am dichtesten von Selbstbeschreibungen durch• woben. Zugleich ist sein Schreiben durchzogen von Reflexionen über die diesem Tun inneliegenden Schwierigkeiten. D as Bemühen, die Erin• nerung an den Freund lebendig zu erhalten, und das hiess für Overbeck: authentisch zu erhalten gegenüber den Facetten, die die Aussenwelt in dieses Bild eintrug, ihm ungewollt eintrug, war immerfort von Schei• tern bedroht. Sein Versuch, demgegenüber seine Erinnerung radikal zu privatisieren, wurde immer wieder unterlaufen: sei es durch von aussen kommende Anfragen, sei es durch die Unmöglichkeit, die öffentliche Diskussion vollständig auszugrenzen, sei es, weil eben seine Erinnerung an Nietzsche ihm hinreichend Rätsel s elbst aufgab, und sei es schliess-

132 Hierzu ist im Einzelnen zu vergleichen OWN 7/1. XXXVIII Einleitung lieh auch dadurch, dass er durch die Veröffentlichung von Nietzsches Briefen und das Anwachsen fremder Memoirenliteratur sich mit Zügen und Zeichnungen des Freundes konfrontiert sah, die sich in den Rah• men seines Bildes nicht mehr integrieren liessen. Ein grosser Teil seiner Aufzeichnungen ist dementsprechend reaktiv. Die Artikel nehmen häufig Stichworte der öffentlichen Diskussion um Nietzsche auf und versammeln dazu Overbecks kritische oder zustim• mende Stellungnahmen. An erster Stelle stehen die von 1893 an ein• setzenden publizistischen »Agitationen« der Schwester, gegen deren >>Anmassungen« Overbeck zumindest für sich Widerspruch einlegen zu müssen meinte. >>Wichtigthuerei und Kleinstädterei« warf er ihr vor, >>Anmassung«, indem sie die Aufgabe einer oder gar der geistigen Ver• tretung ihres Bruders übernahm und seine Biographie schrieb - nicht etwa bescheidener: >>Erinnerungen an den Bruder<<. Ihre >>Leistung als Prophetin ihres Bruders« bestand für Overbeck vor allem in seiner >>Reducirung auf den Maasstab der Zeitgemässheit im bescheidensten oder vielmehr niedrigsten Sinn des Worts.« Das im Nachlass erhaltene Handexemplar der Förstersehen Biographie ist mit zahlreichen An• streichungen und Annotationen versehen. Diese sind in ihrer ungefil• tert polemischen Zuspitzung ein überaus interessanter Kommentar und zugleich in ihrer Gesamtheit das umfassendste Dokument der Dif• ferenzen zwischen Overbeck und Elisabeth Förster-Nietzsche. 133 An• dererseits hat Overbeck keineswegs verkannt, welchen Anteil Nietzsche selbst am Auftreten seiner Schwester gehabt haben musste. Sie habe sich »von klein auf überh. nur im Schatten ihres Bruders entwickelt«, 134 er selbst habe sich seiner Schwester als seiner Schülerin gerühmt und diesen >>Wahn in ihr grossgezogen«. »Heute schwimmt die Schwester in einem Strom dessen Bett ihr der Bruder selbst gegraben und in den er sie selbst geschleudert hat.«135 Es war vor allem die seines Erachtens voreilige und unüberlegte publizistische >>Ausschlachtung« von Nietzsches Nachlass, an der Over• beck Anstoss nahm - eine Übereilung, die er schon während der Zeit, in der er zusammen mit Köselitz die Verantwortung trug, zu verhindern gesucht hatte.136 Wiederholt sprach er von der >>industriellen Ausbeu-

"'Vgl. auch Anhang III. 134 Unten S. 167. 135 Unten S. 182. 136 Vgl. seinen Briefwechsel mit Köselitz über die Drucklegung von »Nietzsche contra Wagner«, »Ecce homo« und »Götzendämmerung<< im Frühjahr 1889. Einleitung XXXIX tung«, die dieser Nachlass nun erfahre und kritisierte den dahinterste• henden >>Reclamegeist«. Es war nicht nur die exegetische >>Anmassung« der Schwester, gegen die er opponierte, sondern vor allem ihre Ten• denz, Nietzsche >>sensationell« bekannt zu machen für ein Massen-Pu• blikum. Anstatt sein Werk in seinen Problemstellungen ernstzunehmen, ohne Apologetik, Entschärfung oder Überhöhung, standen nun frag• würdige biographistische Festlegungen, vor allem aber der Eclat des Zusammenbruchs und des Wahnsinns im Vordergrund der Rezeption. Für diese frühe Rezeption lassen sich aus Overbecks Anmerkungen und kritischen Kommentaren interessante Perspektiven gewinnen. Overbeck selbst betont und hält dies auch in einem Brief an Köselitz fest, er habe die >> huflattichartig wuchernde Nietzsche-Litteratur« 137 nicht systematisch verfolgt, ja eher versucht, ihr aus dem Weg zu gehen. Was in seinen Gesichtskreis getreten sei, das verdanke er der selektiven Lektüre auf der Basler Lesegesellschaft. Bis zu seinem Tod war diese Nietzsche-Literatur in der Tat bereits nahezu unübersehbar angewachsen. Das kommentierte Verzeichnis von Richard Frank Krummel138 bietet bis Ende 1904 mehr als 1700 Titel. Overbeck hat sich auf seinen Nietzsche-Blättern, aber auch auch an anderen Orten seines Kirchenlexikons, etwa ein Zehntel davon ange• merkt, z.T. nur als Titel notiert, zum Teil mit Bemerkungen versehen. 139 Neben der biographischen und der Memoirenliteratur hat er sich, verstärkt in der zweiten Serie, mit der psychiatrischen Literatur über Nietzsche auseinandergesetzt, z.B. mit den Veröffentlichungen von Paul J. Möbius, Friedrich Kretzschmar u. a. Er tat dies zum einen im Wi• derspruch gegen die Versuche, Nietzsches Denken und Schreiben aus seiner Krankheit, resp. seinem Zusammenbruch zu interpretieren, zum anderen aus der Irritation seiner eigenen Erschütterung heraus, in der ihm die eigene Wahrnehmung des Freundes fragwürdig geworden war. >> N's Wahnsinn«, schreibt er im betreffenden Artikel der ersten Serie, >>dessen Ausbruch Niemand aus gleicher Nähe wie ich erlebt hat, ist, meiner Ueberzeugung nach, eine ihn blitzartig treffende Katastrophe gewesen. Sie ist zwischen dem Brief N.s, den ich am Weihnachtsabend 1888 und dem anderen, den Jak. Burckhardt am Epiphaniastage 1889

137 Overbeck an Köselitz, 18. Sept. 1893, OKB, S. 380. 138 R.F. KRUMMEL, Nietzsche und der deutsche Geist. 3 Bde, 2., verb. Aufl. Ber• lin, New York 1998. 139 Auszuwerten wären ausserdem die Briefwechsel, vor allem mit Rohde, Kö• selitz und Bernoulli, und, soweit erhalten, seine Handexemplare. XL Einleitung erhielt, eingetreten. Vorher kann N., sein Zustand mag em noch so exaltirter gewesen sein, nicht wahnsinnig gewesen sein.« ... >>Ganz anders urtheilte man aus der Ferne der ölfentl. Meinung über die Sache ... Auf diesem Standpunkt mag es sogar ein Hauptproblem innerhalb des allgem. Problems >Nietzsche< überh. sein, den Zeitpkt seines Wahnsinnigwerdens zu bestimmen. ... So wie man sich überh. zur Zeit mit N. öffentl. zu beschäftigen begonnen, würde es mich überh. gar nicht wundern, wenn einmal an einer deutschen Universität die >Da• tirung von N's Wahnsinn< als Preisaufgabe auftauchte. Die Buntschek• kigkeit der Resultate würde dann vollends Goethe's >Lumpenhunde< illustriren.<< 140 Durch P. J. Möbius, der ihn im April 1902 im Zusammenhang mit seinem Nietzsche-Buch auch persönlich aufgesucht hatte, wurde ihm eben diese Überzeugung von der >>blitzartig« eintretenden Katastrophe fraglich. Moebius hatte ihn auf Zustände ungewöhnlicher Euphorie als mögliche psychiatrische Indizien hingewiesen und Overbeck sah nun mit verändertem Blick auf die Briefe Nietzsches aus der letzten Turiner Zeit, in denen er ein >>ungefähr classisches Paradigma« für diesen >>psychiatrischen Begriff der Euphorie« zu erkennen meinte. 141 Die >>Lection«, die er nun so nachträglich zu verstehen habe, zeige ihm Nietzsches Briefe der letzten drei Monate aus Turin geradezu als >>einen Cursus in der Psychiatrie«. Diese >>Lection« dürfte für ihn, eben auf• grund ihrer Nachträglichkeit, nicht leicht geworden sein. Wie ein• schneidend die Erschütterung durch die Begegnung mit dem kranken Freund am Morgen des 8. Januar in Turin für Overbeck gewesen ist, tritt hinter dem sorgsam distanzierenden Duktus seiner Notate sehr zurück. Und doch ist es wohl kaum als Zufall zu betrachten, dass die zweite Serie der Nietzsche-Aufzeichnungen mit eben diesem Thema beginnt. Am 28. Oktober 1901 schrieb Overbeck den Artikel >>Nietzsche (Litteratur)«, in dem er sich unter Nr. 2 eine Veröffentlichung von Fr. Kretzschmar über >>Nietzsche's psychiatrische Ader« sowie den ersten Hinweis auf die Arbeiten von P.J. Möbius notiert;142 am gleichen Tag schreibt er den Artikel >>Nietzsche (Wahnsinn)«, Nr. 1 und den Artikel >>Nietzsche (Archiv) Vermischtes« Nr. 1, der wiederum auf Möbius Be-

140 Vgl. unten S. 207. 141 Vgl. den Artikel >>Euphorie bei Wahnsinigen.«, unten S. 240f. Overbeck kommt darauf auch in den >>Vorbemerkungen« zu seiner Nietzsche-Kassette mehrfach zurück, etwa A 321a, Konvolut 3, p. 2f. 142 Vgl. unten S. 118. Einleitung XLI

zug nimmt: von dessen Projekt einer »Schrift über Nietzsches Wahnsinn« sei man in Weimar bereits unterrichtet. In der Vielzahl schwer zu gruppierender Titel der Nietzsche-Litera• tur, die Overbeck notiert hat, fällt schliesslich auch sein Interesse an der Interpretation von Nietzsches Moralphilosophie und Erkenntnistheorie auf. Er notiert Ferdinand Tönnies' »Nietzsche-Cultus«, Georg Simmels frühe Arbeit »Friedrich Nietzsche. Eine moralphilosophische Silhouet• te«, Eduard v. Hartmanns »Ethische Studien«, Raoul Richters Vorle• sungen, natürlich auch Lou Andreas-Salomes Nietzscheinterpretation. Einschränkend ist dabei festzuhalten, dass die problem- oder sachbe• zogene Diskussion im Hintergrund bleibt. Overbeck bezieht sich kaum auf die philosophischen Implikationen des Wiederkunftsgedankens, des Willensbegriffs oder anderer, Nietzsches Philosophieren bestimmender Begriffskonstellationen, die in der damaligen Literatur im Zentrum standen. Er kommentiert vielmehr auch hier stark persönlich bezogen. Allerdings ist dabei in Rechnung zu stellen, dass zahlreiche Artikel des »Kirchenlexicon« eine solche Sachdiskussion führen oder doch ihren sachlichen Ausgangspunkt von Problemstellungen Nietzsches nehmen. Ein Hauptaugenmerk Overbecks lag natürlich auf der theologischen oder theologisierenden Vereinnahmung Nietzsches - wobei sein Blick vor allem auf deren (kultur-)protestantische Linie gerichtet war.143 In der Literaturliste, die er sich zum Stichwort »Nietzsche (Friedrich) Theologen über ihn« anlegte, notiert er etwa zu Julius Kaftans Bro• schüre >>Das Christenthum und Nietzsches Herrenmoral«: »Von Kaftan höre ich, er sei jetzt so weit mit N., dass er ihn für einen der besten Erzieher zur Theologie erklärt. Ein Beweis jedenf. dafür, was für ein Erztheologe K. ist. Denn für das Parasitenwesen der Theologie ist sein Urtheil allerdings characteristisch. So hat es die Theologie stets ge• macht und sich weiter geholfen, indem sie sich an das ihr Fremdartige heranwarf und davon lebte, so insbesondere an die Wissenschaft. An der hat sie überh. ihre Parasitentalente entwickelt und immer bewiesen, dass sie auch mit dem decidirtest Irreligiösen auskommt.« Und in ei• nem weiteren Eintrag heisst es: >>>Herrschen - und nicht mehr Knecht eines Gottes sein: - diess Mittel blieb zurück, die Menschen zu veredeln< - dieses Wort N ietzsche's ... sollte billigerweise allen Theologen den Geschmack an N. verderben, zumal den >modernen<, welche Religion u.

143 Zur katholischen Nietzsche-Rezeption vgl. jetzt PETER KösTER, Der verbo• tene Philosoph. Studien zu den AnHingen der katholischen Nietzsche-Rezep• tion, Berlin/New York 1998 (= Supplementa Nietzscheana 5). XLII Einleitung

Xsthm mit Vorliebe unter dem Gesichtspkt des Machtmittels, des Mit• tels zur Weltherrschaft betrachten und schätzen.« Das ist eine bösartige Spitze gegen die Uminterpretation der lutherischen Rechtfertigungsleh• re in die Vorstellung einer weltzugewandten und weltbeherrschenden Rolle des christlichen Glaubens, wie sie in der Theologie Albrecht Ritschls und seiner Schule entwickelt und im wilhelminischen Prote• stantismus des späten 19. Jahrhunderts tragend geworden war. Auch auf die Veröffentlichungen des neureligiösen Theologen Arthur Bonus hatte Overbeck ein scharfes Augenmerk, aus dessen Schriftstellerei bekomme man einen »guten Begriff« >>vom Geschick der Theologen, Nietzsche es nachzumachen, seine Denkweise und Stil zu gebrauchen«. Interessant ist nicht zuletzt auch sein Hinweis auf die eigentümliche Verwandt• schaft zwischen Nietzsches historischem Zugriff aufs Christentum und demjenigen Adolf von Harnacks, den Overbeck im >>Kirchenlexicon« näher ausgeführt hat.144 Wie in Overbecks Wahrnehmung der Nietzsche-Literatur die theo• logisierenden Tendenzen und Strömungen seine Hauptaufmerksamkeit auf sich zogen, so liegt in seinen Nietzsche unmittelbar beschreibenden Notaten ein entsprechender Schwerpunkt auf der Frage nach dessen Verhältnis zu Religion, Christentum und Kultur. Hier sind zu nennen insbesondere die Artikel »Nietzsche (Atheismus)«, »Nietzsche u. Chri• stenthum<<, Nietzsche u. Religion<<, >>Nietzsche u. Cultur<<. Das Zeugnis der Schwester, Nietzsche sei in seiner Jugend >>tiefgläubiger Christ<< gewesen, zieht Overbeck in Zweifel. <>in Hin• sicht auf den passionirten Charakter des Denkens, den Drang nach Wahrheit, den Scepticismus, den Widerwillen gegen >Autoritäten< ....<< Den grössten Unterschied indessen nehme man »beim Pkte ihrer Re• ligiosität<< wahr. >>Das Christenthum war der Boden auf dem Pascals Passion im Denken hervorgewachsen war. Nietzsche war vielmehr pas• sionirt irreligiös. Das Gewächs das so verschieden aufsass, war aber bei Beiden dennoch aufallend ähnlich.<< 146 Weitergeführt ist diese Überle• gung im Artikel »Nietzsche u. Cultur<<: >>N. hat<<, so Overbeck, >>darum mit der Religion nichts zu thun, weil er mit der Cultur so viel zu thun

144 Vgl. unten, S. 198 und OWN 4, 579. 145 Unten S. 48. 146 Unten S. 145. Einleitung XLIII hat, welche der viel weitere, die Religion als eine der menschli. Cultur• mächte in sich schliessende Begriff ist.... Gerade weil N., wie er schon oft genannt worden ist, Culturreformator ist (wie etwa Rousseau) ist er nur in so uneigentli. Sinne Religionsreformator. ... Nur ein Geschlecht, das sich geg. die Religion indifferent verhält, - wie zB. das jetzige Cultivirte Menschengeschlecht, das die Religion ebenso gut brauchen als ganz entbehren kann, kann N. als Religionsreformator acceptiren. Denn in seiner Hand ist Religion nur ein Spielwerk. So hat er es denn auch insbesondere mit dem Christenthum gehalten. Und da unsere Gegenwart selbst es überh. hier nicht anders hält konnte auch seine Bdtg als Cuhurreformator sich so weit in die Kreise der Theologen erstrecken.« Im Artikel >>Nietzsche u. Religion« reagiert Overbeck auf den Aufsatz seines Kollegen Karl Joel, in dem dieser Nietzsche einen >>religiösen Schwärmer, ja einen urreligiösen Enthusiasten genannt hat• te. >>Gut«, schreibt Overbeck, >>ein Schwärmer warN., und wie zu allen Dingen so hat er sich auch zur Religion schwärmerisch verhalten. Aber eben darum ist er nicht urreligiös gewesen und seine Religion kann nichts anderes gewesen sein als das Spiel, das er mit ihr wie mit an• deren Dingen getrieben hat.« Das sind interessante Pointierungen, scheint mir, auch wenn zu fra• gen wäre, wieviel von der Apodiktik der Formulierungen sich von Overbecks selbst wiederum stark apodiktischer Festschreibung dessen, was Christentum sei und wie sich das Verhältnis von Religion und Kultur in der Moderne bestimme, herschreibt. 147 Zu untersuchen wäre auch, worin sich Overbecks Christentumskritik mit derjenigen Nietz• sches berührt und wo ihre Differenzen liegen.148 Ausdrücklich aner• kannt hat er Nietzsche's historische Ableitung des Christentums aus seinen jüdischen Wurzeln, 149 wobei er mit kritischem Scharfblick den >>Hyperprotestantismus« in Nietzsches Rekonstruktion hervorhebt. 150

147 Vgl. hierzu: H. CANCIK u. H. CANCIK-LINDEMAIER, Das Thema >Religion und Kultur< bei Friedrich Nietzsche und Franz Overbeck, in: DIESS., Philolog und Kultfigur: Friedrich Nietzsche und seine Antike, Stuttgart 1999, S. 51- 68. 118 Vgl. hierzu auch H. CANCIK u. H. CANCIK-LINDEMAIER, Der >psychologische Typus des Erlösers< und die Möglichkeit seiner Darstellung bei Franz Over• beck und Friedrich Nietzsche. In: DIESS., Philolog und Kultfigur, a.a.o. (vorige Anm); A.U. SOMMER, Der Geist der Historie und das Ende des Christentums. Zur »Waffengenossenschaft<< von "Friedrich Nietzsche und Franz Overbeck, Berlin 1997. 149 Vgl. z.B. unten S. 50. 150 Vgl. >>Christenthum (Asketischer Character) Allgemeines<< Nr. 11, OWN 4, 166. XLIV Einleitung

Darüberhinaus aber weist er Nietzsches Ausnutzung des antisemitischen Ressentiments als die giftige Spitze seiner Christentumskritik auf: »N. ist ein herzlicher Gegner des Antisemitism., wie er ihn erlebt hat, ge• wesen. Was nicht hindert, dass wo er ehrlich spricht, seine Urtheile über die Juden allen Antisemitism. an Schärfe weit hinter sich lassen. . . . Sein Antichristenthum 151 ist eben vornehml. antisemitisch begrün• det.«152 Wie auch immer man das »begründet« hier interpretiert, ob als >motiviert< oder als >argumentierend< - es dürfte klar sein, dass Over• beck einen Blick für die strategische Qualität von Nietzsches Denken gehabt hat. Er hat gesehen, dass Nietzsche jenseits allen Anti-Antise• mitentums das antisemitische Ressentiment gezielt einsetzte, um das Christentum durch die Ableitung aus dem Judentum vernichtend zu treffen. Ideologiekritiker der er war, wusste er die Ideologien zu be• nutzen. Dementsprechend hat Overbeck auch darauf hingewiesen, wel• chen Erkenntnisgewinn die Veröffentlichung des Nachlasses für die Nietzscheinterpretation haben könnte. Unter dem Stichwort »Nietzsche Widersprüche« notierte er: Von Nietzsche könne »man fast mit besse• rem Recht als Voltaire von Augustin« sagen, »dass er sein Leben damit zugebracht habe sich zu widersprechen« und »dabei daneben die Aus• posaunung dieser Widersprüche bisweilen >sportweise<, so zu sagen, be• trieben<< habe. Dennoch könne gerade der jetzt veröffentlichte Nachlass zeigen, dass seine Produktionsweise »in Wirklichkeit gar nicht unbe• dacht gewesen ist, wie sie sich öffentlich >producirt< hat.<< Mit seinem Sinn fürs Paradoxe nimmt Overbeck auch das Eigentüm • liche in Nietzsches Verhältnis zu Büchern und Menschen wahr: »Über• aus characterist. für Nietzsche's Art Menschen und Bücher zu kennen, insbesond. ungefahr nichts davon zu wissen und doch ihren Werth rich• tig zu empfinden« notiert er zu Nietzsches Brief an Carl Fuchs, der im Kunstwart 1900 veröffentlicht worden war. Denn Nietzsche gab selbst zu - so Overbeck - , Fuchsens »Zukunft des musikalischen Vortrags« nicht gelesen zu haben: nicht nur weil es ihm seine Augen v erboten, sondern weil er sich sofort an seine eigenen rhythmischen Studien er• innert fühlte. »Mit der Erinnerg daran ist er auch sofort geg. Fuchsens Gedanken verschlossen, so dass er diese, obwohl er sie begeistert be-

151 Es ist in diesem Zusammenhang daran zu erinnern, dass Overbeck der erste Leser (und Abschreiber) des »Antichrist« gewesen ist, dessen Manuskript er aus Turin mitgenommen hatte, vgl. hierzu auch: H. CANCIK, Nietzsches An• tike. Vorlesung, Stuttgart 1995, S. 144. 152 »Nietzsche Judenthum« Nr. 1, unten S. 101. Einleitung XLV

grüsst, geradezu ablehnt. Wie konnte er nun begeistert begrüssen und ablehnen jedes für sich und beides zugleich ... ? Er konnte es eben.« Das aber kann nur verstehen, wer zwischen den Zeilen zu lesen versteht, »wie N. selbst las, mit der ihm so eigenthümlichen Menschenkenntniss las.« Zur Plagiats- resp. Quellenforschung merkt Overbeck im Artikel »Nietzsche und Proudhon« als Aufgabe der Forschung an: >>die Züge grösster Verwandtschaft sind ... unverkennbar, -und die Vergleichung würde überh. lohnen. Und zwar aus allgemeinem psychologischen oder auch litteraturhistor. Interesse, nicht in dem der Kritiker, die darauf aus sind N.s Schriften ungefahr auf Reminiscenzen seiner Leetüre zurück• zuführen. So ausgebreitet diese bei ihm war, doch für seine Kritik eine vorzüglich unsinnige Methode.« >>Kritik« bezeichnete für Overbeck eben kein Werturteil, sondern zielte als Verfahren vorurteilsloser Analyse auf eine Hermeneutik der Distanzierung, wie er sie auch seiner Arbeit als Historiker zugrun• delegte. Er selbst hat diesen kritischen Blick auch Nietzsche gegenüber nicht preisgegeben und sich gegen die Schlagworte, die Überhöhungen und den Nimbus des Genialischen, der sich im frühen Nietzschecultus entspann, immun zu halten versucht. Zu einer in diesem Sinne >objek• tivierenden< >>Kritik« Nietzsches finden sich dementsprechend zahlrei• che Anmerkungen, etwa über Nietzsches Rhetorizität, den leerlaufen• den Überschuss seiner Aphorismenproduktion, die Spannung seiner kri• tischen Schärfe mit seinem artistischen Ehrgeiz und manches mehr. Direkt und scharf aber hat Overbeck Nietzsches Konzeption des Über• menschen und des >>Willens zur Macht« kritisiert. Im Artikel >>Nietzsche (Uebermensch)« schreibt er: >>Nur die mühsamste Geschichtsconstruc• tion hat Nietzsche selbst gestattet die Menschheit im Ernste in die zwei einander vermeintlich fremden Hälften der Herren und der Knechte zu spalten .. . Es ist nicht schwer in der Wirklichkeit der Welt die Men• schen in Starke und Schwache, H errscher und Unterdrückte, H erren u. Sklaven zerfallen zu lassen. Diese Spaltung als übergeschichtliches Ideal zu behaupten läuft auf eines der leersten Phantasmen hinaus, die der sonst von Nietzsche selbst darob so unversöhnlich geschmähte >>Idealis• mus« je unter uns Menschen erzeugt hat. Niemand mehr als der De• mocratenhasser oder der radicale Gegner Democrat. Weltbetrachtg hat sich davor zu hüten, die Schlacht seinem Gegner auf dem Boden des Idealismus anzubieten. Denn auf diesem ist seine Niederlage sicher. So viel wird unserem democrati. Zeitalter nur vergebens bestritten, so viel muss ihm vielmehr vorgegeben werden, wenn nicht überh. Menschen- XLVI Einleitung geschichte m Verwirrung und chaotische Zerstörung auslaufen soll. Meiner Ansicht nach hat Nietzsche's Person am Allerwenigsten vom Gegentheil überzeugen können. Die Neucultivirg der Menschheit, die er unternommen, ist nur unter dem Zeichen der Desperation zu unter• nehmen.... Desperate Ziele sind mit desperaten Mitteln am Ende zu erreichen. Mehr hat N. mit seinem >Willen zur Macht< auch nicht be• wiesen, wenn überhaupt etwas.« Aus Overbecks Aufzeichnungen insgesamt, vielleicht gerade auch aus seinen vorbehaltvollsten Bemerkungen, dürfte deutlich werden, mit wieviel Recht er im Artikel »Nietzsche und Ich« schreiben konnte, er sei der »Adept« Nietzsches nie gewesen, wohl aber »sein aufrichtiger und leidenschaftlicher Freund«.153

Zu dieser Ausgabe

Wir haben uns in der Wiedergabe der Aufzeichnungen über Treitschke, Nietzsche und Rohde nach Overbecks Notat im Arbeitsprogramm von 1897 gerichtet und damit zugleich nach der zeitlichen Reihenfolge, in der diese Freunde zu Overbeck in Beziehung getreten sind. Im Fall der Nietzsche-Aufzeichnungen haben wir die jetzige forlaufende alphabe• tische Anordnung, wie im Nachlass vorzufinden, beibehalten und erste und zweite Serie nur durch einen Zusatz zum Lemma gekennzeichnet. Einiger Erläuterung bedarf noch der Anhang, den wir den Texten beigegeben haben. Er versammelt ergänzendes Material zu den Nietz• sche-Aufzeichnungen, und zwar: I) Artikel aus dem »Kirchenlexicon«, die inhaltlich wesentlich oder ausschliesslich auf Nietzsche bezogen sind; II) Drei Aufzeichnungen Overbecks zum Verhältnis zwischen Jacob Burckhardt und Nietzsche. Dabei handelt es sich 1. Um die Presseerklärung, die Overbeck als Reaktion auf die Dar• stellung des Verhältnisses durch Elisabeth Förster in der Einleitung zu ihrer Ausgabe des Briefwechsels vorbereitet, aber nicht veröffentlicht hat. Sie enthält in ihrem erläuternden Anhang noch einmal Overbecks Beweggründe für seine Fernhaltung vom Nietzsche-Archiv; 2. um zwei, jeweils unvollendete Erklärungen Overbecks zum letzten Brief Nietzsches an Jacob Burckhardt vom 4. Ja nuar 1889: die erste vom 6. Februar, die zweite vom 21. April 1905. Dieser Brief, der den ersten

153 Vgl. unten S. 90. Einleitung XLVII

Anstoss zur Reise nach Turin gegeben hat, war ihm von Jacob hardt überlassen worden und sollte ursprünglich Teil der an die versitätsbibliothek zu vermachenden Nietzsche-Kassette sein. Bei den Texten handelt es sich um Entwürfe für die der Kassette beizugebenden Erläuterungen 154. III) Die Abschrift, die lda Overbeck von Notizen ihres Mannes zum Schlussband von Elisabeth Försters >>Leben Friedrich Nietzsches« an• gefertigt hat. Diese Notizen sind im Original nicht erhalten. Es scheint sich jedoch um eine wörtliche Abschrift zu handeln, wie die mehrfa• chen Anmerkungen lda Overbecks zu Entzifferungsproblemen nahele• gen. Diese Aufzeichnungen versammeln den Extrakt von Overbecks Lektüre, die er im Frühjahr 1905, wie er an Bernoulli schrieb, >>mit der Feder in der Hand« vorgenommen hat. Sie sind teils als eine oder ausformulierende Zwischenstufe zwischen den Annotationen im Buch selbst und den Bezugnahmen in den Artikeln der >>Nietzsche-Aufzeich• nungen« zu lesen, teils stehen sie als Lektürekommentar für sich - und dokument ieren so und so eine charakteristische Ausdrucksform der kri• tischen Rationalität Overbecks. 155

Unser Dank gilt allen, die uns bei der Arbeit an diesem Band unter• stützt haben, an erster Stelle dem Leiter der Handschriftenabteilung in derUniversitätsbibliothek Basel, H errn Prof. Dr. Martin Steinmann. Er und seine Mitarbeiter habe uns in entgegenkommendster Weise die Benutzung der Handschriften erleichtert. Für mannigfache Hinweise, für Rat, Kritik und Aufmunterung haben wir vor allen anderen Niklaus Peter zu danken, sodann aber auch David Mare Hoffmann, Wolfram Groddeck und Frank Bestebreurtje. Herr Prof. Dr. Martin Tetz (Bo• chum) hat unsere Arbeit von Beginn an mit Rat und Teilnahme be• gleitet. Ebenso sind wir allen Mitgliedern der Editionskommission für ihre Diskussionsbereitschaft zu Dank verpflichtet. Der Schweizerische Nationalfonds sowie der Fonds zur Förderung von Lehre und Forschung haben uns von 1990 bis 1994, sowie noch einmal 1998 durch die Finanzierung einer Arbeitsstelle unterstützt. Die Drucklegung wurde ebenfalls durch Beiträge des Schweizeri• schen Nationalfonds sowie durch die Geschwister-Boehringer-Stiftung für Geisteswissenschaften (Ingelheim) gefördert.

154 Vgl. oben S. XXXIII. 155 Vgl. hierzu die reichen Bemerkungen von MARTIN ThTZ, Franz Overbecks Bibliothek als Quelle?, in: Basler Zeitschrift für Geschichte und kunde, Bd. 94, 1994, S. 241-279. XLVIII Einleitung

Dem Verlag, an erster Stelle Herrn Dr. Oliver Schütze, sei für seine kompetente Lektorierung und für ein hohes Mass an Flexibilität bei der Organisation der Drucklegung gedankt.

Besonders aber möchte ich an dieser Stelle Marianne Schaub für die langjährige, ausserordentlich gute Zusammenarbeit ken.

Basel, im August 1999 Barbara von Reibnitz Editorische Notiz XLIX

Editorische Notiz

Die in diesem Band zur Anwendung gebrachten Editionsprinzipien entsprechen denjenigen der Bände 4 und 5.1 Im folgenden werden hier nur die wesentlichen Gesichtspunkte wiederholt. Zum Druck gebracht wurden die Aufzeichnungen in der lassenen« oder Korrekturstufe >>letzter Hand«. Der fund dieser letzten Stufe wurde nicht bereinigt, sondern buchstaben• und zeichengerrau wiedergegeben. 2 Die Ergänzungs- resp. Tilgungs• vorschläge verstehen sich als Lesehilfen und beziehen sich nur auf ständnishindernde Befunde wie Verschreibungen, grammatikalische Fehler und unvollständige Satzkonstruktionen. Sie wurden nach Mög• lichkeit mit den entsprechenden editorischen Zeichen im Text selbst vorgenommen und nur im Falle von Ersetzungen oder komplexeren Emendationen, wie etwa Umstellungen, im textkritischen Apparat nachgewiesen ( vgl. etwa S.38, zu Z.18). Streichungen, Einfügungen, Ersetzungen etc., die zu dieser Stufe ge• führt haben, wurden, mit Ausnahme der Fälle, in denen dies zur gründung einer Emendation notwendig war, nicht festgehalten. Hinweise auf die Chronologie der Notate, wie sie sich aus dem hand• schriftlichen Befund ergaben, wurden gesondert festgehalten, vgl. dazu unten die Bemerkungen >>Zur Apparatgestaltung« (Apparat 1).

Im Einzelnen: lrregularitäten m Orthographie und Interpunktion ebenso w1e die zahlreichen von Overbeck gebrauchten Abkürzungen wurden in der Regel unverändert beibehalten. Stillschweigend korrigiert resp. verein• heitlicht wurde jedoch die Interpunktion nach vgl., zB., dgl. sowie nach den vor allem in den Literatur- und Stellenangaben häufig gebrauchten Abkürzungen f./ff., sq./sqq., S./Ss., p./pp., Anm., Bd., T., Ep., Opp., c./cap., Jahrg., Auf!., Ausg. Die in der Handschrift bei bestimmten Buchstabenformen fehlende Differenzierung zwischen Gross- und Kleinschreibung (f/F, s/S, a/A,

1 Vgl. die ausführliche editorische Notiz in OWN 4. 2 Nicht berücksichtigt wurden die Bearbeitungsspuren, die von fremder Hand an den Manuskripten hinterlassen wurden. Sie sind vermutlich sämtlich auf die redaktionelle Tätigkeit von Ida Overbeck und Carl Albrecht Bernoulli zurückzuführen L Einleitung g/G, v/V) wurde für Substantiva, Titel und Namen zugunsten der Grassschreibung vereindeutigt, in allen übrigen Fällen wurde nach Le• sung entschieden. Der Gebrauch von runden und eckigen Klammern, vor allem in Literaturangaben, wurde durchgängig durch Setzung von runden Klammern vereinheitlicht. Das titelgebende Stichwort resp. Lemma eines Artikels, das Overbeck auf Vorder- und Rückseite aller beschriebenen oder zum Beschreiben vorbereiteten Blätter wiederholt, wurde nach der Schreibweise der er• sten Seite ohne Angabe abweichender Schreibungen angegeben. Un• vollständig gesetzte Klammern und Anführungszeichen wurden hier, ebenso wie in den Querverweisen, stillschweigend ergänzt. Von Overbeck dem Text nicht zugeordnete Anmerkungen werden in spitzen Klammern an die zu vermutende Bezugsstelle gesetzt; wo diese nicht zu erschliessen war, werden sie dem titelgebenden Stichwort zu• geordnet. Zitate wurden nur korrigiert, wo es das Textverständnis erforderte.

Zur Textgestaltung: Autoranmerkungen wurden in gleicher Schriftgrösse seitenweise am Fuss des Textes, über dem Trennstrich für die Apparate gesetzt. Sie wurden in den Zeilenzähler einbezogen und seitenweise numeriert, un• abhängig davon, ob sie sich auf verschiedene Artikel beziehen (vgl. z.B. S. 150, 151). Unterstreichungen des Autors erscheinen im Druck kursiv. Wo ein Artikel ganz oder teilweise in der Kompilation »Christentum und Kultur« verwendet worden ist, ist dies beim Titel in spitzen Klam• mern vermerkt ( (CuK), vgl. z.B. S. 11).

Zur Apparatgestaltung: Der Apparat gliedert sich, jeweils zeilenbezogen, in drei Teile, die untereinander und gegenüber dem Haupttext durch Trennungslinien abgesetzt sind: 1. Titelanmerkung mit Hinweisen zur Datierung 2. Textkritischer Apparat 3. Sachapparat.

Apparat 1: Die in den Bänden 4 und 5 vorgenommene U nterscheidung verschiedener Zeitstufen entfällt, da es sich in diesem Band durchgän • gig um Stufe III (späte Hand, nach der Emeritierung) handelt. Editorische Notiz LI

Festgehalten wurde, wo aufgrund erkennbarer Neueinsätze in Schrift und Tinte die fortlaufende Notierung unterbrochen wurde, und zwar sowohl innerhalb einzelner numerierter Eintragungen als auch in der Abfolge dieser Numerierungen. Diese Beobachtungen am handschriftlichen Material werden in einer jeweils dem Titel eines Artikels beigegebenen Anmerkung gesammelt und gegebenenfalls ergänzt durch Autordatierungen, wie sie Overbeck vor allem nach 1897 häufiger vornahm, sowie durch die Erscheinungs• daten der von von ihm zitierten Literatur, die als terminus post quem für die Niederschrift dienen können (abgekürzt »dat. 0.« resp. »L«, vgl. z.B. S. 17, Anmerkung zu Z. 12 u. 19). Apparat 2: Angaben darüber, ob eine Eintragung nachträglich durch Verweise oder Zusätze ergänzt oder eine Anmerkung erkennbar später angefügt wurde, finden sich jeweils stellenbezogen im textkritischen Apparat (vgl. z.B. S. 11, zu Z. 3); ebenso die Hinweise auf nachträgliche Korrekturen des titelgebenden Stichworts und die Nachweise der im Text vorgenommenen, nicht als solche kenntlichen Ersetzungen (Ge• kennzeichnet mit ", vgl. S. 3, Z. 23, S. 149, Z. 1). Apparat }: Im Sachapparat werden knappe Erläuterungen, bandin• terne Querverweise sowie Nachweise der von Overbeck zitierten Li• teratur gegeben. Der vollständige Nachweis sämtlicher Literaturhin• weise findet sich in der Gesamtbibliographie am Schluss des Bandes.

Im Text und im textkritischen Apparat verwendete editorische Zeichen: (text) Ergänzungsvorschlag der Herausgeberirr [ text] Tilgungsvorschlag der Herausgeberirr {text} Autorstreichung 'text' Autoreinfügung [x} Überschreibung einzelner oder mehrerer Buchstaben nicht sicher entzifferter Text

Sonstige in Text und Apparat verwendete Zeichen und Abkürzungen: I Seitenwechsel im Manuskript editorischer Eingriff mit Nachweis im Apparat 0 in OWN 4 u. 5 gedruckter Artikel (CuK) der Artikel wurde ganz oder teilweise in der Kompilation »Christentum und Kultur« verwendet dat. 0 .: Datierung Overbecks L: Erscheinungsdatum der von Overbeck zitierten Literatur als terminus post quem LII Einleitung

A utorabkürzungen: Die von Overbeck verwendeten Abkürzungen lassen sich weitgehend systematisieren nach: a) Endabkürzungen (Wegfall der Endsilbe) - histor. historisch - freil. freilich -ebendas. ebendaselbst - besond. besonders - unt. unter b) Binnenabkürzungen (Wegfall emes oder mehrerer Binnenvokale, z.Tl. mit anschliessendem Konsonanten), etwa: - ht/kt heit/keit; z.B. Krankht = Krankheit, Christlichkt Christlichkeit - g ung/üng/ang; z.B. Behandlg = Behandlung - d und/and/ end; z.B. Bewdtniss = Bewandtniss - k unk, ank; z.B. pkt = punkt - Wegfall von ie, eu, au etc. z.B.: Brf/Bf = Brief, behptet = behauptet

Diese Abkürzungen treten häufig kombiniert auf: - ursprgli. ursprünglich - wahrschl. wahrscheinlich - Bdtg Bedeutung - Behdlg Behandlung

Daneben benutzt Overbeck häufig die folgenden Abkürzungen: - Xus Christus (X = griech. chi) - Xsten Christen - Xsthm Christenthum - K Kirche - Kg./KG. Kirchengeschichte -KVV. Kirchenväter -ww. Werke, Worte - BB. Bücher - Ss. Seiten LIII

Artikelverzeichnis

Aufzeichnungen über Treitschke 5 Treitschke (Characteristik) Christenthum. 11 Treitschke (Characteristik) Kritik: Kunst. 11 Treitschke (Characteristik) Selbstlosigkeit. 12 Treitschke (Characteristik) Weltlichkeit 13 Treitschke (H. von) u. Fichte 15 Treitschke (Freundschaft mit ihm) Vermischtes 16 Treitschke (H von) Litteratur. 17 Treitschke (Socialismus) 17 Treitschke u. die Theologen 17 Treitschke (Vermischtes) 20

Aufzeichnungen über Nietzsche 23

1Nietzsche (Friedr.) Allgemeines. 25 IINietzsche Antichrist. Vermischtes 32 IINietzsche (Antisemitismus) 32 I!Nietzsche (Aphorismus) Allgemeines. 34 1Nietzsche (Archiv) 35 IINietzsche Archiv Mein Verkehr mit ihm seit dem Art der Frankf. Zeitung vom 10 Dec. 1904. 36 IINietzsche (Archiv) Vermischtes 37 1Nietzsche (Atheismus) 39 IINietzsche (Atheismus) 39 IINietzsche u. Basel. 40 1Nietzsche Biographie der Frau Foerster 41 1Nietzsche u. Bismarck 42 IINietzsche u. Blum (Hans) 42 IINietzsche und Brandes 43 IINietzsche (Briefe) Allgemeines. 43 IINietzsche (Fr.) Briefe Vermischtes. 43 1Nietzsche und Burckhardt 44 IINietzsche und Burckhardt (Jak.) 44 1Nietzsche u. Carlyle 45 IINietzsche u. Carlyle 45 IINietzsche u. Carmen. 45 1Nietzsche (Characteristik) Genialität. 46 LIV Aufzeichnungen über Treitschke

1Nietzsche (Characteristik) Individualismus. 46 1Nietzsche (Characteristik) Vermischtes. 47 1Nietzsche u. Christenthum. 47 IINietzsche (Christenthum) Eigenes• Verhältn. dazu 49 I!Nietzsche Christenthum) Kritik 51 1Nietzsche Chronologie unserer Begegnungen nach 1879. 52 IINietzsche u Credner 53 IINietzsche u. Cultur. 54 IINietzsche (Deutschthum) 54 IINietzsche (Einsamkeit) 55 I!Nietzsche (Erkenntnisstheorie) 56 I!Nietzsche Ewige Wiederkehr. 57 IINietzsche (Excentricität) 57 IINietzsche u. Familie 57 IINietzsche (Freunde) 59 I!Nietzsche (Freundschaft) 64 IINietzsche und Friedrich 2 von Hohenstaufen. 67 1Nietzsche u. Fuchs 67 IINietzsche u. Gast (Peter) 68 1Nietzsche und Gegenwart 69 1Nietzsche (Genialität) 70 (II)Nietzsche u. Geschlechtliches. 70 I!Nietzsche (Gesundheit) 72 1Nietzsche u. von Hartmann 72 1Nietzsche u. Herder 72 1Nietzsche (Humor) 72 1Nietzsche (Idealismus) 73 1Nietzsche und Ich 74 IINietzsche und Ich. 91 IINietzsche Ideal 99 I!Nietzsche Individualismus 100 IINietzsche Inspiration 101 IINietzsche Judenthum 101 IINietzsche Karrt) 103 1Nietzsche (Kögel) 103 IINietzsche u. (Fr.) Kögel 106 IINietzsche und Köselitz 106 1Nietzsche (Krankheit) 106 IINietzsche (Krankheit) 107 Artikelverzeichnis LV

1Nietzsche u. Lagarde 109 1Nietzsche Lehre Selbstmord 110 1Nietzsche (Lehre) Uebermensch. 111 1Nietzsche (Lehre) Wiederkunft des Gleichen 112 1Nietzsche (Litteratur) 114 IINietzsche (Litteratur) 118 IINietzsche (Lou-Affäre) 122 1Nietzsche u. Mainländer 123 IINietzsche Menschliches Allzumenschliches. Umarbeitung. 125 1Nietzsche u. Metaphysik. 127 IINietzsche (Metaphysik) 127 IINietzsche u. die Meysenbug 127 IINietzsche u. Moebius. 130 IINietzsche u. Moral 130 IINietzsche u. Nationen der Gegenwart. 132 IINietzsche (Nihilismus) Allgemeines. 132 IINietzsche u. Paneth 132 1Nietzsche u. Pascal. 144 IINietzsche u. die Philologie 146 IINietzsche Philosoph. 146 1Nietzsche (Philosophie) Urtheil über sie 147 IINietzsche u. Plato 149 11Nietzsche[n] (Polenthum) 149 1Nietzsche Polonismus. 149 IINietzsche Polonismus. 151 1Nietzsche (Positivismus) 151 IINietzsche u. Protestantismus. 151 1Nietzsche und Proudhon 152 11 Nietzsche (Radicalismus) 153 1Nietzsche und Ree 153 IINietzsche und Ree. 154 IINietzsche u. Religion 154 IINietzsche u. R. Richter. 156 1Nietzsche u. Rohde 157 TINietzsche u. Rohde 160 11 Nietzsche u. Romantik 161 1Nietzsche (Romundt) 161 11Nietzsche u. Romundt. 163 1Nietzsche und Rousseau 164 LVI Aufzeichnungen über Treitschke

1Nietzsche und Schiller 164 IINietzsche und Schopenhauer. 165 IINietzsche Schopenhauer Werke Hauptstellen. 165 1Nietzsche (Schriftstellerei) Aphorismen. 166 1Nietzsche u. Schwester. 166 IINietzsche (Schwester) 173 IINietzsche und v. Seidlitz 184 1Nietzsche und Seiling. 184 1Nietzsche u. der Selbstmord 184 IINietzsche u. Simmel 184 IINietzsche u. Slavismus 184 IINietzsche und Socialdemocratie. 185 IINietzsche u. Spitteler. 185 II(a)Nietzsche u. H. von Stein 186 II(b)Nietzsche u. Stein 187 1Nietzsche und Steiner 189 1Nietzsche Stil. Vermischtes 191 1Nietzsche u. Stirner. 191 1Nietzsche (Friedrich) Theologen über ihn. 194 IINietzsche und Theologen. 198 IINietzsche u. Treitschke 199 IINietzsche in Turin 199 1Nietzsche (U ebermensch) 199 IINietzsche (Uebermensch) 200 IINietzsche (Ungern-Sternberg) 202 IINietzsche (Unglück) 202 IINietzsche (Unsterblichkt) 203 1Nietzsche (Vermischtes) 204 IINietzsche (Vornehmheit) 204 IINietzsche (Wagner) Bruch 205 IINietzsche u. Wagner Vermischtes. 206 1Nietzsche (Wahnsinn) 206 IINietzsche (Wahnsinn) 209 1Nietzsche Widersprüche 212 1Nietzsche (Wiederkunft des Gleichen) 213 IINietzsche (Wiederkunftsgedanke) 213 IINietzsche Zarathustra Commentar. 215 IINietzsche Zarathustra Erster Theil. Zeit. 215 IINietzsche Zarathustra Zweiter Theil. Zeit. 215 Artikelverzeichnis LVII

IINietzsche Zarathustra Dritter Theil. Zeit. 216 IINietzsche Zarathustra Vierter Theil. Zeit. 216 liNietzsche Zarathustra Vermischtes. 218 1Nietzsche und Ziegler 219 IINietzsche u (Th) Ziegler. 221

Aufzeichnungen über Rohde 223

Rohde u. Bismarck 225 Rohde und Goethe 225 Rohde und Ich 226 Rohde u. Nietzsche 227 Rohde (Erw.) u. Politik. 231 Rohde (Erw.) u Professorenthum 232 Rohde (Erwin) Religion. Allgemeines. 233 Rohde (Stil) 233

Aus dem Kirchenlexicon 237 Blum (Hans) 237 Chamberlain und Nietzsche 237 Crusius (0.) 238 Deussen (Paul) Erinnerungen an Indien. 239 Euphorie bei Wahnsinnigen. 240 Moebius (P. J.) u. Nietzsche 241 Moebius (P. J.) Vermischtes. 245 Ree u. Nietzsche 247 Romundt (H.) Characteristik. 249 Seidl (Arth). 249 Seidlitz (Freih. R. von) und Nietzsche 251 Theologie (moderne) Nietzsche. 251 Uebermensch (Allgemeines) 255