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1 Leitbild

Das Museum von berichtet vom Aufstand eines weitgehend von Arbeitern bewohnten Stadtviertels nach jahrelanger Unterdrückung. Das Museum ist zu einem integralen Bestandteil von Irlands Geschichte radikaler Bürgerrechtsbewegung geworden.

Das Museum berichtet auch vom , dem Tag, an dem die britische Armee auf den Straßen der einen Massenmord beging. Es erzählt die Geschichte, wie die Menschen von Derry, von den Familien der Opfer angeführt, die Ungerechtigkeit überwanden und ein neues Kapitel in der Geschichte der Bürgerrechte schrieben, das international zu einem Impulsgeber geworden ist.

Das Museum ist ein öffentlicher Raum, in dem das Konzept von Free Derry sowohl im historischen als auch in zeitgenössischen Kontext erkundet werden kann.Free Derry hat ebenso viel mit unserer gemeinsamen Zukunft zu tun wie mit der Vergangenheit. Der Kampf um Free Derry ist Teil eines weitergehenden Strebens - in Irland und international - für Freiheit und Gleichheit für alle Menschen.

2 Einleitung

Die irische Bürgerrechtsbewegung hat in Derry ihre tiefsten Wurzeln. Das Thema Bürgerrechte in Nordirland geriet erstmals in den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit, als die Polizei hier am 5. Oktober 1968 gegen eine friedliche Demonstration in der Duke Street vorging. Hier wurde im Januar der erste "No-go-Area" bekanntgegeben, als der herausfordernde Spruch "You Are Now Entering Free Derry" (Sie betreten jetzt Free Derry) auf einer Giebelwand in der Bogside erschien.

Hier wurden am 30. Januar 1972, dem Bloody Sunday, 14 unbewaffnete Demonstranten von der britischen Armee getötet. 17 weitere wurden in den Straßen um dieses Gebäude verwundet.

Indem sie sich kühn der Staatsgewalt entgegenstellten, forderten die unterdrückten Einwohner eine andere Welt, in der jeder Mensch einen Anspruch auf Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit haben sollte. In diesem Museum und Archiv ruht ein Teil ihres Vermächtnisses. Die Grabinschrift ist der andauernde Kampf für Demokratie. Dieses Museum ist all denen gewidmet, die auf dieser Welt um die Bürgerrechte gekämpft und dafür gelitten haben und dies auch in Zukunft tun wollen.

3 Eine Gemeinde außerhalb

Die Geschichte der Bogside ist durch die Geschichte zweier Gemeinden geprägt: Die eine liegt sicher, geschützt und mächtig innerhalb der Stadtmauern - die andere liegt machtlos, enteignet und unterdrückt außerhalb.

Der Zustrom von Migranten während des gesamten 18. Jahrhunderts - der während und nach der großen Hungersnot der 1840er Jahre zunahm - führte in Derry zu einer katholischen Mehrheit. Da es den Katholiken untersagt war, innerhalb der Stadtmauern zu leben, ließen sich die meisten in der Bogside nieder.

Ende des 19. Jahrhunderts hatten die Katholiken in Derry eine deutliche Stimmenmehrheit, aber keine entsprechende politische Macht.

Während des Unabhängigkeitskrieges von 1919 bis 1921 kam es in ganz Irland zu Spannungen. Im Frühling und Sommer 1920 wurden in der Stadt bei Zusammenstößen zwischen Republikanern und einer Allianz aus Loyalisten und britischen Streitkräften 40 Menschen getötet.

Als 1920 der Government of Act verabschiedet wurde und die Teilung 1921 Wirklichkeit wurde, fühlte sich das nationalistische Derry als sehr widerwilliger Teil Nordirlands alleingelassen.

4 Die Bogside

Das heute Bogside genannte Gebiet war usprünglich von Wasser bedeckt. Die früher vom umflossene Insel Derry wurde erstmals besiedelt, als der Fluss seinen Lauf veränderte. Sie trocknete zu einem Sumpfgebiet aus - daher der Name Bogside, wobei "Bog" das englische Wort für Sumpf oder Moor ist. Die erste namentliche Erwähnung findet sich in einem Bericht von Sir Henry Docwra, dem Kommandanten einer englischen Truppe, die 1600 nach Derry kam.

Die ersten dokumentierten Siedler auf der Bogside waren 61 "britische Familien", die in einer Erhebung von 1622 aufgeführt werden. Irische Einwohner werden in dieser Erhebung nicht berücksichtigt worden sein. Sie zählten im wahrsten Sinne des Wortes nicht.

Die Beziehung zwischen der Bogside und der Siedlung innerhalb der Stadtmauern war von Anfang an gespannt. Als die englische Siedlung 1608 von Cahir O'Doherty - dem Stammesführer von - angegriffen und zerstört wurde, kamen die Angreifer durch das Sumpfgelände. Während der Besatzung von 1688-89 hatten viele der Angreifer ihr Lager in der heutigen Bogside, in Brandywell und Creggan - im Gebiet also, das zu Free Derry werden sollte.

5 Demographische Veränderungen und (Wahlkreisschiebung)

Durch den Zufluss von Migranten während des 18. Jahrhunderts bildete sich in Derry ein beträchtlicher katholischer Bevölkerungsanteil. Weil es den Katholiken untersagt war, innerhalb der Stadtmauern zu leben, ließen sich die meisten in der Bogside nieder. Die stetige Zunahme des katholischen Bevölkerungsanteils spiegelte sich im Bau der ersten katholischen Kirche der Stadt wider: dem Long Tower (1784) sowie von St Eugene’s Cathedral (1851).

Im 19. Jahrhundert war die Bogside stark übervölkert und vorwiegend katholisch. Kleine Häuser und große Familien waren an der Tagesordnung. Im Jahr 1832 fanden sich in der Abbey Street 42 Häuser, die 63 Familien beherbergten. Fahan Street bot mit 164 Häusern 244 Familien ein Zuhause.

Durch den weiteren Zustrom von Migranten während der Großen Hungersnot in Irland in den 1840ern wurden die Katholiken in Derry eindeutig zur Mehrheitsbevölkerung. Während des gesamten Jahrhunderts schwelten konfessionelle Spannungen. Bei Gewaltausbrüchen zwischen den Gemeinschaften wurden 1869 drei Personen durch Schüsse getötet. Zum Schutz der Bogside wurde im selben Jahr die Catholic Workingmen's Defence Association, die katholische Arbeitervereinigung, gegründet.

Ende des 19. Jahrhunderts hatten die Katholiken in Derry eine deutliche Stimmenmehrheit, aber keine politische Macht. Die Londonderry Improvement Bill von 1895 - die erste Wahlkreisschiebung (Gerrymandering) der Stadt - sorgte dafür, dass Katholiken nur 16 von insgesamt 40 Mitgliedern der Stadtregierung von Londonderry wählen konnten.

6 Gerrymandering: Unter Gerrymandering versteht man eine bewusste Manipulation der Grenzen von Wahlbezirken, wodurch gewährleistet werden soll, dass eine bestimmte Gruppe - insbesondere eine Minderheitsgruppe - die politische Macht behält. Der Begriff wurde Anfang des 19. Jahrhunderts geschaffen, indem man den Namen von Elbridge Gerry mit dem Wort Salamander kombinierte. Denn Gerry, der GouverneurMassachusetts, hatte die Wahlbezirke dieses US-Bundesstaats so aufgeteilt, dass sie einem Salamander ähnelten.

7 Politische Spannungen und Teilung.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war im katholischen Derry der parlamentarische irische Nationalismus vorherrschend. Nationalistische Führer und der katholische Klerus widersetzten sich jeglicher republikanischen Beeinflussung und wandten sich sogar gegen die Gaelic Athletic Association, den Gälischen Sportverband, als einen "republikanischen Einfluss".

Obwohl nach dem Osteraufstand von 1916 neun Männer verhaftet wurden, dauerte es bis 1917, bis der erste "Club" von Sinn Féin in der Stadt gegründet wurde. Nach einem Wahlabkommen mit Nationalisten gewann Sinn Féin 1918 den Sitz der City of Derry Westminster. Diese Allianz sorgte 1920 für eine Mehrheit bei den Wahlen zur Stadtregierung, und der Nationalist Hugh C O'Doherty wurde der erste katholische Bürgermeister der Stadt seit 1688. Das Gerrymandering von 1922 stellte die Minderheitsherrschaft der Unionisten wieder her. Als Gegenreaktion boykottierten nationalistische Ratsmitglieder in den folgenden 10 Jahren die Stadtregierung.

Im Frühling und Sommer 1920, während des Irischen Unabhängigkeitskriegs, wurden in der Stadt bei Zusammenstößen zwischen Republikanern und einer Allianz aus Loyalisten und britischen Streitkräften 40 Menschen getötet.

Als 1920 der Act verabschiedet wurde, blieb Derry weiterhin ein Teil Nordirlands. Die unionistische Regierung hielt insbesondere deshalb an Derry fest, weil es für die unionistische Symbolik der Besatzung und der Stadtmauer steht.

8 Nach der Teilung

Nach der Teilung machte sich die unionistische Partei daran, ein “protestantisches Parlament und einen protestantischen Staat zu schaffen.” Er gründete auf einem "Fundament aus religiös motivierter Diskriminierung, einer parteiischen Verwaltung und einer großen Anzahl totalitärer Rechtsvorschriften, die zum einen den Unionismus schützten und zum anderen ein Gefühl tiefgehender sozialer Ungerechtigkeit in der nicht-unionistischen Bevölkerung hervorriefen". ( Civil Rights Association, 1978.)

Die unionistischen Führer regierten Nordirland in der Überzeugung, dass man den Katholiken keine Zugeständnisse machen durfte, weil dies bedeuten würde, den Protestanten etwas wegzunehmen. Zur Arbeiterklasse gehörende Protestanten wurden aufgefordert, Gleichheit für Katholiken als Bedrohung ihrer eigenen Position anzusehen. Katholiken wurden praktisch von allen Regierungsposten ausgeschlossen, während private Arbeitgeber aufgefordert wurden, nur "loyale Frauen und Männer zu beschäftigen".

Und es war keinerlei effektive Opposition gegen die unionistische Regierung gestattet. Ein Special Powers Act genanntes Sonderermächtigungsgesetz und die Polizei sowie die Special Constabularies - im Wesentlichen eine aus protestantischen Unionisten zusammengesetzte paramilitärische Hilfstruppe der nordirischen Polizei - wurden sämtlich als religiös motiviertes politisches Werkzeug genutzt. Zu einem bestimmten Zeitpunkt kam in Nordirland ein Polizist auf zwei katholische Familien.

Während der 50 Jahre währenden Stormont-Herrschaft (Stormont ist das nordirische Parlament) verfolgten mehrere aufeinanderfolgende britische Regierungen - die in Nordirland auch die Oberherrschaft über Stormont behielten - eine Politik des "Aus dem Auge, aus dem Sinn".1

1 Der 1922 verabschiedete Special Powers Act enthielt eine große Bandbreite an Zwangsgesetzen, die es der unionistischen Regierung gestatteten, die reguläre

9 Arbeitsplätze, Wahlen und Wohnungen

Derry war das krasseste Beispiel für die antikatholische Diskriminierung im nördlichen Staat.

Ein drittes Gerrymandering sorgte 1936 dafür, dass die nationalistische Mehrheit nur acht von 20 Mitgliedern der Stadtregierung wählen konnte. Nationalistische Wähler wurden in einen von drei Wahlbezirken eingepfercht: den übervölkerten Süden, der die Bogside und Brandywell umfasst. Eine geringere Anzahl unionistischer Wähler in den Wahlbezirken North und Waterside konnte 12 Mitglieder der Stadtregierung wählen.

Jemandem eine Wohnung zu geben, bedeutete, dieser Person eine Stimme bei den Kommunalwahlen zu geben. Der Erhalt der konfessionell bedingten Arithmetik, der für das Andauern der unionistischen Herrschaft sorgte, war der Schlüsselfaktor dafür, wer an welchem Ort eine Wohnung bekam. Die Zuteilung von Wohnungen lag in den Händen einer einzigen Person: des unionistischen Bürgermeisters. Als der Wohnraum in der Bogside knapp wurde, begann man 1947 mit dem Erbau des Wohngebiets Creggan. Es liegt auf einem hohen, windigen Hügel, der in jeglicher Hinsicht ungeeignet ist - ausgenommen seine Lage innerhalb des südlichen Wahlbezirks. Weder die katholische Kirche noch die Nationalist Party stellten sich dem entschieden entgegen: Diese Regelung bewirkte, dass sich Katholiken um ihre "eigenen" Schulen und Kirchen scharten. Zwischen 1945 und 1960 befanden sich 92 Prozent aller Wohnungen, die Katholiken zugewiesen wurden, innerhalb des südlichen Wahlbezirks.

Zugleich litt Derry unter einer massiven Diskriminierung bei den Beschäftigungsverhältnissen. Unionistische Politiker sorgten dafür, dass sich Industriebetriebe in unionistischen Gegenden niederließen. Die durchschnittliche Arbeitslosenrate in Nordirland belief sich auf acht Prozent. In nationalistischen Gebieten war sie wesentlich höher. In Derry betrug sie deutlich mehr als 20 Prozent.

10 Politischer Stillstand

Das nationalistische Derry ergab sich einer resignierten politischen Routine, die bis in die 1960er Jahre andauern sollte. Fast alle nicht-unionistischen Räte und Abgeordnete kamen von der Nationalist Party. Da sie die volle Unterstützung der katholischen Kirche hatten, hieß es, die Nationalisten würden eigentlich nicht gewählt, sondern vielmehr "gesalbt".

Gesetzlichkeit aufzuheben, wann immer sie den Eindruck hatte, der Staat sei bedroht. Die südafrikanische Apartheid-Regierung zeigte sich später in Anbetracht der unter diesem Gesetz gewährten Sonderbefugnisse neidisch. Nach der Teilung ging Derrys Republikanismus in den Untergrund und war auf kleine Veteranengruppen aus den Kämpfen vergangener Tage zusammengeschrumpft. Die größte, wiewohl nicht erfolgreiche Herausforderung, vor die sich die Nationalist Party gestellt sah, kam von den Arbeiter- und Gewerkschaftsgruppen.

1951 besuchte der irische Politiker Éamon de Valera die Stadt, wodurch der nationalistische Gedanke neu entzündet wurde. Als Demonstranten am St Patrick's Day 1951 den Versuch unternahmen, eine Trikolore in den ummauerten Stadtbereich zu tragen, wurden sie von der Polizei von der Straße geprügelt. Das Gleiche ereignete sich im folgenden Jahr.

In den 1940ern und dann wieder in den 1950ern fing man an, Republikaner ohne Gerichtsverfahren zu inhaftieren. Gleichwohl kam es in der Stadt nur zu sehr wenigen Aktivitäten der IRA. Dies gilt auch für die "border campaign" (die Grenzkampagne) zwischen 1956 und 1962. Zwar führte die Verhaftung einer kleinen Anzahl einheimischer Männer zu großem Unmut, aber es kam zu keinen Massenprotesten.Nach vier Jahrzehnten der Unterdrückung traten Derrys Nationalisten ohne eine effektive Führung in die 1960er Jahre ein.

11 Swinging Sixties?

An der Schwelle zu den 1960er Jahren brüstete sich der britische Premier Macmillan mit den Worten: "Noch nie ging es uns so gut!" Aber den Menschen in Derry ging es genau so schlecht wie vorher.

Nur der jeweilige Hausvorstand konnte sich an den Kommunalwahlen beteiligen. Geschäftsinhaber hatten mehrere Stimmen. Das System mit dem Gerrymandering wurde nach wie vor praktiziert. Somit hatten in einer Stadt mit einer nationalistischen Mehrheit von 67 Prozent noch immer die Unionisten das Sagen.

Dies ging mit erheblichen menschlichen Kosten einher. Mehr als 20 Prozent der Einwohner im südlichen Wahlbezirk lebten in Wohnungen, die offiziell als überfüllt galten. - Dies im Vergleich zu weniger als sechs Prozent im nördlichen Wahlbezirk und acht Prozent im Wahlbezirk Waterside. Ein dort niedergelassener Arzt berichtete von 26 Personen, die in zwei Zimmern eines abbruchreifen Hauses auf demWalker's Square lebten. Als die Stadtregierung im South Ward über immer weniger Raum verfügte, in den sie weitere Menschen hätte hineinstopfen können, erbaute sie die Rossville- Hochhauswohnungen, die in die Höhe gingen, als man nicht weiter in die Breite bauen konnte.

Nach wie vor grassierte Massenarbeitslosigkeit. Nur sechs bezugsfertige Produktionsstätten waren in Derry gebaut worden, wo sich die Arbeitslosigkeit auf rund 20 Prozent belief. In Lurgan, wo sich die Arbeitslosigkeit auf durchschnittlich sechs Prozent belief, waren sechs solche Produktionsstätten gebaut worden und zehn in Bangor, bei vier Prozent Arbeitslosigkeit. Die Perspektiven für die Arbeiterklasse von Derry waren schlechter als je zuvor. Einige Frauen fanden in den Hemdenfabriken Beschäftigung. Aber in der männlichen arbeitenden Bevölkerung lag die Arbeitslosigkeit bei nahezu 30 Prozent.

Die Zeit war reif für Veränderungen.

12 Bürgerrechte

Seit den 1950ern verlangten unterdrückte Völker auf der ganzen Welt nach Bürgerrechten und Veränderung.

Im Zuge einer gesteigerten Aufmerksamkeit für das Weltgeschehen registrierte man in Derry den in den USA, in Südafrika und anderswo stattfindenden Kampf für Gerechtigkeit. Und Mitte der 1960er gingen unter anderem in Derry kleine Gruppen auf die Straße, um nach Wohnraum, Arbeitsplätzen und Wahlbeteiligung zu verlangen.

Einige unionistische Politiker versprachen Änderungen. Aber Widerstand aus den eigenen Reihen machte dies zunichte und ziviler Ungehorsam verbreitete sich. Zur Koordinierung der Aktivitäten wurde die Northern Ireland Civil Rights Association (NICRA) gegründet.

13 1955 weigerte sich die US-amerikanische Bürgerrechtlerin Rosa Parks in Montgomery/Alabama ihren Sitzplatz im Bus für einen weißen Fahrgast zu räumen. 1957 musste die Nationalgarde in Little Rock/Arkansas neun schwarze Schulkinder an rassistischen Demonstranten vorbeigeleiten. Im März 1960 wurden im südafrikanischen Sharpeville 60 schwarze Anti-Apartheid-Demonstranten erschossen.

Im August 1963 versammelten sich in Washington 200.000 Menschen, um ein Ende der Rassendiskriminierung zu verlangen und um Martin Luther Kings berühmte Rede "I have a dream" sowie Bob Dylans "Only a pawn in their game" zu hören, worin die Manipulation armer Weißer durch rassistische Politiker angeprangert wurde.

Und in der nordirischen Stadt im versammelten sich 1963 mehr Wohnraum fordernde Demonstranten vor einer Ratsversammlung und zeigten Plakate mit der Aufschrift: "Bringt uns nach Little Rock, wenn Euch unsere Religion nicht gefällt!" Die Demonstration führte zur Gründung derCampaign for Social Justice, der ersten Bürgerrechtsorganisation Nordirlands.

"We Shall Overcome" wurde in Irland zur Hymne der Bürgerrechtsbewegung.

14 Nordirland

1963 war von einer neuen Ära und von Gerechtigkeit für alle die Rede.

Der "liberale" Terence O'Neill wurde als nordirischer Premierminister der Unionist Party Nachfolger des traditionalistischen Lord Brookeborough. de Valeras Nachfolger, der pragmatische Sean Lemass, wurde der erste irische Premierminister, der Stormont besuchen sollte.

Neue multinationale Industrieunternehmen ohne persönliches Interesse am Unionismus schienen für faire Beschäftigungsverhältnisse zu stehen, doch ging die "Modernisierung" unter Premierminister O'Neill nicht so weit, dass sie Derry erreicht hätte.

15 Geographische, soziale und politische Isolation

1962 bestimmte der Matthew Plan (der darauf abzielte, als urbanes Zentrum zu dezentralisieren) /Lurgan - und nicht Derry - zu einem wichtigen Zentrum für die Entwicklung in Nordirland: Auch eine neue Stadt, Craigavon, war Teil des Matthew Plans.

Als Antwort auf den Benson Report wurde 1964 eine der beiden letzten Bahnverbindungen der Stadt eingestellt: die Great Northern line nach .

Bezeichnenderweise wurde die zweite Universität Nordirlands im Lockwood Report von 1965 nicht der zweitgrößten Stadt (also Derry) zugeteilt, sondern dem unionistischen . Aus Protest führten Geschäftsleute und Gewerbetreibende eine Autokolonne nach Belfast, der es jedoch nicht gelang, die Entscheidung rückgängig zu machen.

16 Arbeitslosigkeit

Die Arbeitslosenrate der Stadt, die im März 1966 auf ein Nachkriegstief von 10,1 Prozent gefallen war, stieg wieder auf 20,1 Prozent an. 1967 schloss der einzige große Arbeitgeber des südlichen Wahlbezirks - die 1951 in Bligh's Lane gegründeten Sound Reproducers (BSR) - seine Tore, was den Verlust von 1000 Arbeitsplätzen nach sich zog. Die Betriebsstillegung führte zur Gründung des Derry Unemployed Action Committee (DUAC) durch örtliche Gewerkschafter. Man organisierte Streikposten, Kundgebungen und Protestveranstaltungen.

Durch den aufkeimenden politischen Radikalismus alarmiert, warnte Derrys katholischer Bischof, Dr. , junge Katholiken in einem Hirtenbrief zu Ostern 1968 davor, "sich vom Pöbel mitreißen zu lassen".

17 Northern Ireland Civil Rights Association

Die Northern Ireland Civil Rights Association (NICRA) wurde im Januar 1967 in Belfast auf einer öffentlichen Versammlung gegründet. Zum 13-köpfigen Komitee gehörten Vertreter des in Dungannon ansässigen Committee for Social Justice, der Republican Clubs, der NI (NILP), der Ulster Liberal Party, der Communist Party of Ireland und der Irish Congress of Trade Unions. Da sie in der Northern Ireland Civil Rights Association einen Rivalen sah, verweigerte die Nationalist Party ihren Beitritt.

In der Bildung von Northern Ireland Civil Rights Association spiegelte sich die allgemeine Bedeutung der Themen wider, von denen Derrys Aktivisten bereits bewegt waren. Weite Teile des Terrains, die zur neuen Assoziation gehörten, waren bereits vom Derry Unemployed Action Committee (DUAC) und dem Derry Housing Action Committee (DHAC) besetzt.

18 Erste Protestmärsche für Bürgerrechte in Nordirland

Im August 1968 organisierte NICRA Nordirlands ersten Protestmarsch für Bürgerrechte, der von Coalisland nach Dungannon ging. Die Polizei riegelte das Stadtzentrum von Dungannon ab. Es kam zu einem gewalttätigen Aufeinanderprall - gemessen an späteren Standards verlief er jedoch glimpflich -, der im Norden und Süden für Schlagzeilen sorgte.

Mitglieder des Derry Housing Action Committee kontaktierten die Northern Ireland Civil Rights Association und baten um Unterstützung für einen Bürgerrechtsmarsch in Derry. Daraufhin trat ein Ad-hoc-Organisationsausschuss zusammen. Er war zusammengesetzt aus Vertretern des Derry Housing Action Committee, der Derry- Gruppe der NI Labour Party, der NILP Young Socialists, der Republican Clubs sowie der James Connolly Society. Geplant war, dass der Marsch am 5. Oktober an der Duke Street in der Waterside beginnt.

19 Duke Street

Im Oktober 1968 sollte es in Derry einen Protestmarsch geben. Obwohl der Marsch von der unionistischen Regierung untersagt worden war, ließen sich die Demonstranten nicht beirren. Am 5. Oktober stellte sich die Polizei den Demonstranten in der Duke Street gegenüber und prügelte sie von den Straßen. Durch Zufall wurde der Vorfall von einem einzelnen Kameramann gefilmt, wodurch das Ausmaß des unionistischen Machtmissbrauchs auf den Fernsehschirmen in der ganzen Welt zu sehen war.

Die Bürgerrechtsproteste gewannen immer mehr Zulauf und nach einer Serie von Protestmärschen im Oktober und November kam es zu einigen wenigen Reformen von Seiten der unionistischen Regierung. Aber sie waren unzureichend und kamen zu spät. Die Stimmung in der nordirischen Zivilgesellschaft hatte sich unumkehrbar geändert.

20 50 Tage Revolution

Am 3. Oktober verbot die Regierung den Marsch unter Berufung auf Gesetze zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit.

Am 4. Oktober widersetzte sich der Ausschuss für den Protestmarsch der Führung von NICRA-Belfast und anderen, indem er dafür stimmte, dem Verbot zu trotzen.

Am 5. Oktober wurde mit etwa 500 Teilnehmern der Versuch unternommen, den Protestmarsch zu beginnen. Aber die Demonstranten gerieten zwischen die Polizeilinien wurden verprügelt und schließlich mit Wasserwerfern von der Duke Street vertrieben. Das Filmmaterial des irischen Sender RTE von der Polizeiattacke verbreitete die Wahrheit über die unionistische Missregierung auf den Fernsehschirmen der ganzen Welt.

Nur eine kleine Minderheit von Anti-Unionisten aus Derry hatte sich hinter den Protestmarsch gestellt. Aber die öffentliche Empörung in Anbetracht der Polizeigewalt führte nun dazu, dass ihn die Mehrheit im Nachhinein billigte.

9. Oktober Bildung des 15-köpfigen Derry Citizens’ Action Committee (DCAC), das sich aus katholischen und protestantischen Geschäftsleuten sowie den meisten Organisatoren des 5. Oktober zusammensetzte.

Frauen aus Derry protestierten dagegen, dass sich das DCAC ausschließlich aus Männern zusammensetzt. Infolgedessen wurde Sheila Mc Guinness hinzugewählt, worin sich die ersten Regungen der Frauenbefreiungsbewegung in Irland widerspiegelten. Studenten der Queens University gründeten People's Democracy, um den Kampf für die Bürgerrechte mit direkten Aktionen voranzutreiben.

17. November Ein aus 15000 Teilnehmern bestehender Marsch des Derry Citizens’ Action Committee entlang der Route vom 5. Oktober verläuft friedlich. Anderswo gab es große Demonstrationen der Northern Ireland Civil Rights Association.

Am 22. November reagierte die Regierung unter O'Neill, indem sie begrenzte Reformen vorschlug. Dazu gehörten eine Überprüfung des Special Powers Act mit seinen Sonderbefugnissen, die Abschaffung der Stadtregierung von Londonderry sowie ein allgemeines Kommunalwahlrecht. Gegen Reformen gerichtete Unionisten in O'Neills Partei gelobten Widerstand. Dr. Ian Paisley führte Straßenproteste an und sagte Blutvergießen voraus.

Das Derry Citizens’ Action Committee rief zu einer Einstellung der Märsche auf, um O'Neills Vorschlägen eine Chance zu geben. Doch am Neujahrstag machte sich die People's Democracy auf einen Marsch von Belfast nach Derry. Wiederholt wurden die Demonstranten von Loyalisten angegriffen. Bei Burntollet, außerhalb von Derry, schloss sich die Polizei den Angreifern an.

5. Januar Die Bogside war empört. Jugendliche verbarrikadierten das Gebiet. In den frühen Morgenstunden stieß eine Invasion der Polizei auf massiven Widerstand.

21 Free Derry

Als die Polizei Anfang Januar 1969 die Bogside angriff, wurde erstmals der Slogan "You Are Now Entering Free Derry" auf die Giebelwand geschrieben. Er war von den Sitzstreiks an der Berkeley University in Kalifornien inspiriert worden, wo der Slogan "You are Now Entering Free Berkeley" verwendet worden war.

Barrikaden wurden errichtet und die Polizei wurde größtenteils abgewehrt. Der Radiosender Free Derry begann aus den Rossville Street Flats zu senden. Das Konzept von Free Derry war geboren.

Im April 1969 wurde Sammy Devenny zu Hause vom Royal Ulster Constabulary, einer Einheit der nordirischen Polizei, attackiert. Im Juli erlag er seinen Verletzungen und wurde in diesem Stadium des Konflikts das erste Opfer in der Stadt. Sein Tod brachte die Bogside an den Abgrund.

22 1969 - das Abgleiten in den Konflikt

Die Barrikaden um Free Derry wurden binnen einer Woche abgerissen, aber die Entschlossenheit der Menschen blieb bestehen.

Parallel zu einem Ruf nach Reformen wuchs der Widerstand gegen Reformen.

Bei den Februar-Wahlen zum nordirischen Parlament, Stormont, besiegte der Vizevorsitzende den Nationalisten Eddie McAteer im Wahlbezirk Foyle. Die Bürgerrechtskandidaten erzielten überall gute Ergebnisse.

Innerhalb des Unionismus gingen die Anti-Reform-Kandidaten gestärkt aus den Wahlen hervor. Der kompromisslosere Bürgermeister James -Clarke ersetzte Terence O'Neill als Premierminister.

In vielen Städten kam es jetzt zu Zusammenstößen zwischen Bürgerrechtsprotestlern und Unionisten. In der Regel intervenierte die Polizei auf Seiten der Unionisten.

Am 19. April drang die Polizei in ein Haus in der William Street ein und verprügelte Sammy Devenny (42 Jahre alt) sowie seine Familie und Nachbarn. In Brandywell zog ein Polizist seine Waffe und feuerte zwei Schüsse ab - die ersten Schüsse im Konflikt der Stadt.

Das Derry Citizens’ Action Committee, das sich dem verfassungsmäßigen Kampf zum Erreichen moderater Ziele verschrieben hatte, hörte allmählich auf zu existieren.

Aufmärsche des Oranier-Ordens, bei denen der gefeiert wurde, führten am 12. Juli zu gewalttätigen Ausschreitungen. Bei den Unity Flats in Belfast kam es zu Schusswechseln. In Derry wurde die Britische Armee in Bereitschaft versetzt.

Am 17. Juli erlag Sammy Devenny seinen Verletzungen. Seine Beerdigung wurde zu der größten, die es in der Bogside jemals gegeben hatte.

Ende Juli verkündete der Republican Club, die Gründung der Derry Citizens’ Defence Association (DCDA), die das Derry Citizens’ Action Committee ablöste. Ihre Aufgabe war die "Verteidigung des Gebiets". Die meisten in der Bogside aktiven Gruppen stimmten dem zu.

23

Ein zweiter Angriff von Polizei und Loyalisten auf die Unity Flats am 2. August verstärkte die Besorgnis in Derry.

Als am 12. August die jährliche Prozession einer protestantischen Brüderschaft namens Apprentice Boys zum Gedenken an die Besetzung von 1688-89 bevorstand, bereiteten sich die Bewohner der Bogside darauf vor, jegliche Übergriffe abzuwehren.

Die Prozession der Apprentice Boys wurde von Derrys Unionisten als entschiedenes Auftreten im Sinne ihrer Vorfahren gegen Despotismus und das Heilige Recht der Könige angesehen. Von den Bewohnern der Bogside wurde es mit gleichem Recht als alljährliche Erinnerung an ihreUnterdrückung erlebt. Die jüngsten Ereignisse hatten dazu beigetragen, dass dieser Zustand nicht länger hingenommen wurde. Im Vorgriff auf kommende Ereignisse wurden am späten Abend des 11. August Barrikaden errichtet. In der Nähe der Eingänge zu dem Bezirk wurden Molotowcocktails, Steine und Material zum Errichten von Barrikaden deponiert.

Sean Keenan, der Vorsitzende von Derry Citizens’ Defence Association, sagte auf einer Kundgebung im der Gaelic Athletic Association: "Wenn wir kämpfen müssen, dann lasst uns als friedliebende Menschen um Gottes Willen kämpfen!"

Für den Fall, dass es der Polizei am 12. August nicht gelingen sollte, die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten, wurden britische Truppen in Bereitschaft versetzt.

24

Am 12. August machen sich Tausende Apprentice Boys auf, um durch ein vor Angst und Unzufriedenheit brodelndes Derry zu marschieren.

Als der Marsch die Bogside passierte, wurden die Teilnehmer mit Gejohle und Steinwürfen empfangen. Die von Loyalisten unterstützte Polizei versuchte die Demonstranten zurückzudrängen.

Doch anders als bei früheren Übergriffen waren die Bewohner der Bogside diesmal vorbereitet. Vorhandene Barrikaden wurden verstärkt und neue errichtet. Die vorrätigen Molotowcocktails und Steine wurden hervorgeholt.

Über drei Tage und zwei Nächte voller Kämpfe verteidigte die Bogside die Barrikaden. Das Gebiet hatte sich effektiv von der britischen Herrschaft losgesagt.

Am 14. August drängten die Bewohner der Bogside die erschöpften Polizeikräfte ins Stadtzentrum zurück. Gleichzeitig konnte man die Mobilisierung von B- Specials, einer paramilitärischen Hilfstruppe der nordirischen Polizei, hinter den Polizeilinien mitverfolgen.

Um 16 Uhr des 14. August, als sich Derry auf eine Konfrontation zwischen der Bogside und den paramilitärischen B-Specials vorbereitete, ließ man Soldaten des Prince-of--Regiments rund um den Bereich aufmarschieren. Ihr zunächst zurückhaltender Empfang sollte nicht lange andauern.

25 12.-14. August

Mit aktiver Unterstützung der gesamten Gemeinschaft sicherten Hunderte von jungen Verteidigern die Grenze des Gebiets und die Kommandohöhen der Rossville Flats. Mit Ziegelsteinen und Molotowcocktails wurde gegen die Schlagstöcke, Schusswaffen und gepanzerten Fahrzeuge gekämpft. Die Polizei feuerte mehr als 1000 Kanister mit CS- Reizgas in das Gebiet ab.

Als der Kampf tobte, rief die Derry Citizens’ Defence Association zur Unterstützung auf. Am Abend des 13. August bat sie "jeden Mann (sic!) in Irland, der körperlich dazu in der Lage ist", zur Verteidigung der Bogside nach Derry zu kommen - "We need you, we'll feed you" - und rief in ganz Nordirland zu Protesten auf "um den Druck von Derry zu nehmen".

Am Abend desselben Tages sendete der irische Premierminister ein Plädoyer für die Stationierung einer UN-Friedenstruppe in Nordirland aus; er kündigte die Einrichtung irischer Feldlazarette an der Grenze an und verkündete, dass Dublin "nicht länger außen vor" bleiben könne.

Als Reaktion auf den Aufruf der Derry Citizens’ Defence Association wurden Proteste in , , Belfast und anderen Städten organisiert. Viele von ihnen endeten in gewalttätigen Auseinandersetzungen. Dadurch wurden die Polizeiressourcen bis an die Grenzen der Belastbarkeit strapaziert, weshalb keine Verstärkung nach Derry kam. Zu den schlimmsten Ausschreitungen kam es in Belfast, wo schwelende konfessionelle Ressentiments ausgebrochen waren.

In sieben Tagen wurden in Belfast sieben Menschen getötet, tausende wurden obdachlos, und in katholischen Vierteln - darunter Bombay Street, Hooker Street - wurden ganze Straßenzüge vom Mob niedergebrannt. Vier Katholiken, unter ihnen ein 9-jähriger Junge, wurden von der Polizei getötet. Zwei Protestanten wurden von der IRA getötet. Ein Republikaner wurde von Loyalisten getötet. Die britische Armee schritt in Belfast erst 24 Stunden später ein.

26 Freedom Fleadh

Das Auftauchen britischer Truppen in Derry am 14. August wurde als Sieg über Polizei und Unionismus angesehen. Free Derry feierte gemeinsam mit den Dubliners, Freedom Fleadh, Tommy Makem und anderen, die auf behelfsmäßigen Bühnen in der Bogside auftraten.

Einige warnten, die britische Armee sei gekommen, um Stormont zu retten. Doch die meisten von denen, die auf den Barrikaden gestanden hatten, verhieß dies das Ende der Kämpfe und eine Pufferzone zwischen ihnen und der Polizei, den paramilitärischen B-Specials und Loyalisten.

Die ersten britischen Soldaten wurden bei ihrer Ankunft in Derry mit Tee und Lächeln empfangen. Doch innerhalb weniger Tage brachte die britische Armee den verhassten Special Powers Act (ein Sonderermächtigungsgesetz) zur Anwendung, um in katholischen Behausungen Razzien durchzuführen. Mangels einer politischen Lösung wurde sie in zunehmendem Maße mit der unionistischen Herrschaft in Verbindung gebracht.

Selbst über die im Anschluss an die Ereignisse von Duke Street vorgeschlagene Polizeireform hieß es jetzt, sie sei nicht ausreichend und komme zu spät. Free Derry ließ sich mit Stormont nicht mehr versöhnen.

In den Augen vieler junger Menschen ersetzte die Armee die Polizei als den bewaffneten Flügel des Unionismus, und Zusammenstöße wurden immer häufiger.

Nachdem William King - ein Protestant mittleren Alters -im Anschluss an einen konfessionell bedingten Zusammenstoß auf dem Diamond-Platz am 23. September 1969 gestorben war, errichtete die britische Armee Kontrollposten um Free Derry. Die britischen Kontrollposten sollten die Mobilität der Einwohner der Bogside einschränken; die Barrikaden blieben bis Ende Oktober bestehen, um Armee und Polizei fernzuhalten.

27 In Richtung Krieg

Meinungsverschiedenheiten darüber, wie man sich angesichts einer dramatisch veränderten Situation verhalten sollte, hatten im Dezember 1969 zur Spaltungdes Republican Movement in die sogenannten "Officials (OIRA) und die "Provisionals" (PIRA) geführt.Beide Gruppen bereiteten sich auf eine bewaffnete Auseinandersetzung vor.

Als die Republikaner im April 1970 des Osteraufstands gedachten, waren Zusammenstöße zwischen jungen Leuten und der britischen Armee zu einem alltäglichen Vorkommnis geworden.

Bis Ende Juli 1971 waren dabei in Free Derry neun Menschen umgekommen, unter ihnen der erste in der Stadt getötete britische Soldat und die ersten von der Polizei erschossenen unbewaffneten Zivilisten.

Unter den Katholiken Nordirlands war die Unterstützung für den Republikanismus im Allgemeinen größer als in den zurückliegenden Jahrzehnten. Neue Rekruten waren in den Reihen jugendlicher Randalierer leicht zu finden.

28 1970

Im Juni 1970 wurden drei IRA-Mitglieder - Thomas McCool (40), Joseph Coyle (40) und Thomas Carlin (55) - zusammen mit zwei von McCools Töchtern, Bernadette (9) und Carol (4) - bei einer vorzeitigen Bombenexplosion in Creggan getötet. Nach der Verhaftung der Parlamentarierin Bernadette Devlin wegen ihrer Beteiligung am Battle of the Bogside hatten die Männer Bomben präpariert. Bernadette war zu vier Monaten Gefängnis verurteilt worden.

Im Oktober 1970 kam es zu weiteren Ausbrüchen schwerer Krawalle. Etwa zur gleichen Zeit gab es erste Anzeichen für einen bewaffneten Kampf der IRA, mit sieben Bombenexplosionen zwischen dem 15. September und Jahresende allein in Derry.

29 1971

Über das Jahr 1971 kam es in ganz Nordirland zu einer stetigen Eskalation der Gewalt. Der erste in Derry getötete britische Soldat, William Joliffe, kam bei einer Molotow- Cocktail-Attacke an der Westland Street am 1. März ums Leben.

Im Juli wurden Seamus Cusack (28) und Desmond Beattie (19) von Soldaten getötet. Zwischen der britischen Armee und der Gemeinde tat sich ein Abgrund auf, der niemals überbrückt wurde.

Am 8. Juli wurde Cusack in der William Street angeschossen. Aus Angst vor einer Verhaftung war er nicht ins örtliche Krankenhaus gebracht worden, sondern verblutete auf dem Weg nach , 30 km westlich von Derry im irischen gelegen. Er war unbewaffnet als er angeschossen wurde, aber die britische Armee behauptete, er sei bewaffnet gewesen, ein "Gunman". Die Opfer der britischen Armee entweder als "Gunmen" oder "Bomber" zu bezeichnen, wurde zu einem wiederkehrenden Muster in der offiziellen Berichterstattung. Bei den sich anschließenden Ausschreitungen wurde Beattie in der Bogside erschossen. Die Armee nannte ihn einen Bomber. Forensische Tests zeigten später, dass er nicht mit Sprengstoffen hantiert hatte.

Als Reaktion auf Beatties Tod kam es zu heftigen Ausschreitungen und zu einer Belagerung des britischen Stützpunkts an Bligh's Lane sowie zu einer Reihe von IRA- Attacken. Nachdem die von der neugegründeten Social Democratic and Labour Party (SDLP) aufgestellte Forderung nach einer öffentlichen Untersuchung abgelehnt worden war, zog sich die Partei aus Protest aus dem nordirischen Parlament zurück. Eine später unter Vorsitz von Tony (Lord) Gifford durchgeführte "Untersuchungskommission des Volkes" erwies die Unschuld von Cusack und Beattie.

Am 24. Juli wurde Damien Harkin (9) in der Bogside von einem Lastwagen der britischen Armee getötet. Sein Tod wurde offiziell als Verkehrsunfall registriert, und Damien wird nicht als Opfer des Nordirland-Konflikts aufgeführt.

30 Internierungen

Während die Gewalt ausuferte, begann die von unionistischen Führern im nordirischen Parlament bedrängte britische Regierung im mit Internierungen (das heißt: Verhaftungen ohne Gerichtsverhandlung). Diese Maßnahme war seit der Gründung des Staates in jedem Jahrzehnt gegen Republikaner in Anwendung gebracht worden.

Die Internierungen brachten das nationalistische Derry auf. Erneut wurden Barrikaden errichtet und Free Derry erlebte seine Auferstehung. Bewaffnete IRA- Patrouillen zeigten sich in der Öffentlichkeit. Innerhalb von Stunden wurden sechs britische Soldaten verwundet. In ganz Nordirland wurden innerhalb der ersten 48 Stunden nach den Internierungen 17 Personen getötet, unter ihnen der erste in Derry von der IRA erschossene britische Soldat. Rund 7000 Menschen flohen aus ihren Wohnungen.

Durch die Internierungen kam es in Derry zu einer Vereinheitlichung der öffentlichen Meinung, wie es sie seit 1969 nicht gegeben hatte. Wütende Proteste waren an der Tagesordnung. Es gab Aufrufe zu zivilem Ungehorsam. Mehr als 130 nicht-unionistische Vertreter zogen sich aus den Bezirksräten zurück. Ein Miet- und Immobiliensteuerstreik wurde ins Leben gerufen.

31 Unter der Bezeichnung "" (die Bezeichnung der britischen Armee für die Internierungsaktion) drangen Soldaten und Polizisten in den frühen Morgenstunden des 9. August in Wohnungen ein und verhafteten überall in Nordirland 342 Männer. Allerdings erwiesen sich die Geheimdienstinformationen als fehlerhaft. Die Operation fügte der IRA keinen signifikanten Schaden zu. In Derry wurden 16 Männer festgenommen. Nicht alle waren Republikaner.

In Free Derry kam es zu Ausschreitungen, und erneut wurden um das Gebiet Barrikaden errichtet. Ein britischer Soldat wurde beim Wacheschieben am Stützpunkt der britischen Armee in Bligh's Lane erschossen, und Hugh Herron (31) wurden von einem Soldaten in der Henrietta Street erschossen.

Die Wut steigerte sich, als Nachrichten aufkamen, wonach eine Anzahl der Verhafteten gefoltert worden war, indem man ihnen unter anderem tagelang den Kopf mit einer Kapuze verhüllte.

Am 18. August erfolgte die Antwort der britischen Armee auf das wiedergeborene Free Derry. Mehr als 1300 Soldaten mit Hubschraubern und gepanzerten Fahrzeugen machten sich daran, die Barrikaden zu räumen. Bei einem Schusswechsel während dieser Operation wurde der PIRA-Freiwillige Eamonn Lafferty (19) getötet. Die Barrikaden wurden ebenso schnell ersetzt wie sie geräumt worden waren.

Während eines Protests gegen den britischen Einfall wurden John Hume und zwei weitere Führer der Social Democratic and Labour Party (SLDP) erschossen. Am 6. September, dem Tag, an dem die drei SDLP-Führer vor Gericht erschienen, wurde Annette McGavigan von der britischen Armee erschossen.

Anfang September begann die britische Armee im großen Maßstab mit Einfällen in Free Derry. Gary Gormley (3) wurde am 9. September von einem gepanzerten Wagen in seinem Kinderwagen totgefahren. Sein Tod wurde offiziell als Verkehrsunfall registriert. Am 14. September wurde William McGreanery (41) von britischen Soldaten erschossen, die im Beobachtungsposten der Armee in Bligh's Lane stationiert waren. Am 6. November wurde Kathleen Thompson (47), eine Mutter von sechs Kindern, von einem britischen Soldaten in ihrem eigenen Garten in Rathlin Drive, in Creggan, erschossen.

Bis Ende 1971 waren sieben britische Soldaten in Free Derry getötet worden. Ein IRA- Freiwilliger war im Kampf getötet worden. Britische Soldaten hatten acht Zivilisten getötet.

32 Auf dem Weg zum Bloody Sunday

Am Ersten Weihnachtstag 1971 hoben People's Democracy und Sinn Féin das Verbot von Protestmärschen auf. Am 2. Januar verkündete die Northern Ireland Civil Rights Association, sich dem anschließen zu wollen. Die "illegalen" Märsche heizten die Wut des Establishments an.

Am 22. Januar nahmen Hunderte an einem NICRA-Protestmarsch zum - Internierungslager teil. Ein Film, der zeigt, wie britische Fallschirmjäger Teilnehmer des Protestmarsches auf dem Strand von Magilligan angreifen, sorgte für weitere Erbitterung. NICRA kündigte einen Derry-Protestmarsch für den 30. Januar an.

Die mittlerweile von geführte unionistische Regierung forderte die Briten auf, Free Derry zu zerschlagen. Zwei unionistische Abgeordnete traten aus Protest gegen einen "Immer-mit-der-Ruhe"-Ansatz im Hinblick auf No-go-Areas zurück. Der britische Kommandeur der Landstreitkräfte, General Robert Ford, schrieb zu einer möglichen Notwendigkeit, "bestimmte Rädelsführer der Bogside zu erschießen".

Am 27. Januar tötete die IRA zwei Polizisten in einem Hinterhalt in Creggan Road.

Am 28. Januar genehmigte ein britischer Kabinettsausschuss Sicherheitspläne für den Derry-Marsch.

Am 29. Januar wurde in einer Stellungnahme von Seiten der Armee und Polizei die Warnung ausgegeben, dass man jegliche Vorkommnisse von Gewalt am nächsten Tag den Organisatoren des Protestmarsches anlasten würde. Die Ausschreitungen in der William Street endeten damit, dass die Teenager Peter McLaughlin und Peter Robson durch Schüsse verletzt wurden.

Am nächsten Morgen gab es Berichte über die Ankunft von Fallschirmjägern in Derry.

33 Bloody Sunday

Britische und unionistische Politiker schäumten wegen der Existenz von Free Derry. Aber die Internierungen hatten die Entschlossenheit der Gemeinschaft nur noch gefestigt. Für den 30. Januar 1972 war ein Protestmarsch gegen die Internierungen geplant.

An jenem strahlendklaren Wintertag versammelten sich 15000 Menschen in Creggan. Gerüchten zufolge gehörten auch Fallschirmjäger zur massiven Armeepräsenz in der der Stadt. Doch die Stimmung war aufgeräumt. Gemessen an den für Derry geltenden Standards wurde ein friedlicher Tag erwartet.

Der Marsch begann kurz nach drei Uhr nachmittags. Knapp eine Stunde später waren 13 Männer und Jungen tot - unschuldige und unbewaffnete Demonstranten, die von Mitgliedern des Fallschirmjägerregiments der britischen Armee erschossen worden waren; ein 14. Mann erlag später seinen Verletzungen. 17 andere Personen, darunter zwei Frauen, waren verwundet worden. Einigen war in den Rücken geschossen worden, als sie zu fliehen versuchten. Auf ein bereits am Boden liegendes angeschossenes Opfer wurde ein zweites Mal geschossen: Der Mann starb. Auf andere wurde geschossen, als sie versuchten, den Verwundeten und Sterbenden zu helfen.

34 Der Protestmarsch

Am 30. Januar 1972 versammelten sich 15000 Menschen in Creggan, um gegen die Internierungen zu demonstrieren. Das Wetter war strahlend und klar. Berichte waren in Umlauf, wonach alle Ausgänge der Bogside versperrt waren und Fallschirmjäger hinter den Sperren postiert seien. Maßgeblich für die Stimmung war jedoch die beeindruckende Anzahl der Teilnehmer. Die Route sollte den Southway hinterführen, durch Brandywell und die Bogside, dann aus Free Derry hinaus ins Stadtzentrum. Der Marsch begann um kurz nach drei Uhr nachmittags.

Die Nachricht, dass beide IRA-Gruppen versprochen hatten, sich fernzuhalten, verhieß einen friedlichen Tag. Zahlreiche aus Familien bestehende Gruppen schlossen sich dem Marsch an.

Im Vorbeigehen richtete die johlende Menge freundlichen Spott an die postierten Soldaten. An der William Street leiteten NICRA-Ordner Demonstranten von der geplanten Route weg in die Rossville Street und in Richtung Free Derry Wall. Einige jüngere Demonstranten gingen weiter auf der William Street in Richtung auf die Barrier 14, eine Sperre der britischen Armee, die den Zugang ins Stadtzentrum blockierte. Es begannen die für Derry typischen Ausschreitungen: Tränengas, Wasserwerfer und Gummigeschosse standen jeglichen zum Werfen geeigneten Gegenständen gegenüber. Noch schien es sich um einen ganz normalen Tag in Free Derry zu handeln.

Von seiner Position hinter Barrier 14 aus verfolgte General Ford die Entwicklung der Ereignisse.

Am Free Derry Wall wartete die Mehrheit der Demontranten auf das Erscheinen von Rednern, darunter die Abgeordnete Bernadette Devlin und Lord Fenner Brockway. Dann hörte man das Krachen von Geschossen aus Richtung William Street.

35 Die Erschießungen

Um 15Uhr55, fernab von den Ausschreitungen in William Street, eröffnete die britische Armee das Feuer. John Johnston (59) und Damian Donaghy (15) wurden getroffen. John Johnston erlag seinen Verletzungen fünf Monate späterim Juni.

Um 16Uhr07 zogen die Briten nach Rossville Street und eröffneten erneut das Feuer mit scharfer Munition.

Jackie Duddy (17), der neben dem örtlichen Priester hergelaufen war, wurde in den Rücken geschossen. Er brach sterbend auf dem Vorplatz der Rossville Flats zusammen.

Alana Burke (18) wurde von einem gepanzerten Fahrzeug gegen eine Mauer gedrückt. Thomas Harkin (32) wurde von dem selben Fahrzeug erfasst.

Peggy Deery (31) wurde in Chamberlain Street ins Bein geschossen. Patrick McDaid (25) wurde verwundet, nachdem er geholfen hatte, sie in Sicherheit zu tragen.

Patrick Campbell (51) wurde verwundet, als er in Richtung Rossville Flats lief.

Michael Bradley (22) und Mickey (25) wurden verwundet, als sie sich der britischen Armee entgegenstellten, nachdem sie Zeugen der Erschießung von Jackie Duddy geworden waren.

Pius McCarron (30) wurde bei einem Gewehrbeschuss durch herumfliegende Trümmerteile verletzt und Patrick Brolly (40) wurde durch Schüsse verletzt, als er in den Rossville Flats Schutz suchte.

Daniel McGowan (38) wurde verwundet, als er Patrick Campbell in Sicherheit brachte.

Hugh Gilmour (17) wurde erschossen, als er auf seine Wohnung in den Rossville Flats zulief.

Michael Kelly (17), Michael McDaid (20), John Young (17) und William Nash (19) wurden an der aus Trümmern errichteten Barrikade in Rossville Street getötet. Williams Vater Alex (51) wurde verwundet, als er seinem Sohn zu Hilfe eilte.

Kevin McElhinney (17) wurde erschossen, als er in Richtung Eingang der Rossville Flats kroch.

36 Im Glenfada Park:

Joseph Friel (22) wurde verwundet;

Daniel Gillespie (32) wurde von einer Kugel am Kopf getroffen und verlor das Bewusstsein;

Michael Quinn (17) wurde von einer Kugel in die Schulter getroffen, die durch sein Gesicht hindurchging;

Joseph Mahon (16) wurde ins Bein geschossen und stellte sich tot, als britische Soldaten näher kamen.

William McKinney (27) wurde in den Rücken geschossen und getötet, als er versuchte, den Verwundeten zu helfen;

Patrick O’Donnell (41) wurde verwundet, als er sich vor eine Frau warf, um sie vor dem Gewehrfeuer zu schützen;

Jim Wray (22) lag durch eine erste Salve verwundet und gelähmt auf dem Boden, als ihm ein Fallschirmjäger aus kürzester Entfernung in den Rücken schoss.

Gerald Donaghey (17) und Gerard McKinney (35) wurden im Abbey Park mit den gleichen großkalibrigen Waffen erschossen.

Patrick Doherty (31) wurde auf dem Joseph Place erschossen, als er versuchte, in Sicherheit zu kriechen.

Bernard McGuigan (41) schlug Warnungen betreffend seine eigene Sicherheit aus, schwenkte ein weißes Taschentuch und versuchte, zu dem sterbenden Patrick Doherty zu gelangen.Er wurde in den Kopf geschossen und starb sofort.

Während des zehnminütigen konzentrierten Beschusses durch die Briten gab die Offizielle Irisch-Republikanische Armee als Reaktion darauf drei unwirksame Schüsse ab.

37 Die Nachwirkungen

Die britische Armee bezeichnete die Opfer als Bewaffnete und Bombenleger. Sie behauptete, ihre Soldaten seien auf eine "Gewehrfeuersalve" gestoßen, obwohl kein Soldat und kein Fahrzeug getroffen worden waren. Um ihre Behauptungen zu stärken, legten sie Nagelbomben auf Gerald Donaghey, eines ihrer Opfer. In den Stunden nach dem Ende der Erschießungen verbreitete der British Information Service diese Darstellung in der gesamten Welt. Die Menschen in Derry wussten, dass dies eine Lüge war, doch hatten sie keine Stimme, die laut genug war, um vernommen zu werden.

Anschließend richtete die britische Regierung eine öffentliche Untersuchungskommission unter Lord Chief Justice Widgery ein, der den ranghöchsten juristischen Posten des Landes innehatte und dessen bewusst voreingenommener Bericht sich an die Darstellung der Ereignisse durch die Soldaten hielt. Dies wurde zur Sichtweise der britischen Regierung, die sie in den kommenden 38 Jahren offiziell nicht in Frage stellen sollte.

Der Bloody Sunday trug dazu bei, Nordirland in einen Jahrzehnte währenden Konflikt zu stürzen. Der Bericht der zweiten Untersuchungskommission von 2010 befindet über den Bloody Sunday: Er "verstärkte das nationalistische Ressentiment und die Feindseligkeit gegen die Armee und verschärfte den gewalttätigen Konflikt in den folgenden Jahren... und er ist eine Tragödie für die Hinterbliebenen und Verwundeten sowie eine Katastrophe für die Menschen in Nordirland."

38 Die Begräbnisse im Anschluss an den Bloody Sunday waren Großereignisse, an denen Vertreter aus Politik, Gesellschaft und Religion aus der ganzen Welt teilnahmen. Am Tag der Beerdigungen wurde die britische Botschaft in Dublin bis auf den Erdboden niedergebrannt. Aus Solidarität mit den betroffenen Familien blieben Schulen und Arbeitsstätten im ganzen Süden sowie in nationalistischen Gebieten Nordirlands geschlossen. Die Regierung im Süden bezeichnete den allgemeinen Stillstand als einen "nationalen Tag der Trauer."

Derrys Untersuchungsrichter Hubert O'Neill bezeichnete die Erschießungen später als "absolut zügelloses Morden". Hunderte von Augenzeugen der Zivilgesellschaft stimmten dem zu.

39 Das Widgery Tribunal

Am 1. Februar verkündete der britische Premierminister Ted Heath eine öffentliche Untersuchungskommission unter Vorsitz von Lordoberrichter Widgery. In einem geheimen Memorandum teilte er Widgery mit, man "...befinde sich nicht nur in einem militärischen Krieg, sondern auch in einem Propagandafeldzug".

Widgery lehnte es ab, Zeugenaussagen der großen Mehrheit ziviler Augenzeugen als Beweismittel aufzunehmen. Er saß im 48 km entfernten Coleraine und nicht hier in Derry. Soldaten machten ihre Zeugenaussagen anonym oder maskiert. Später stellte sich heraus, dass ihre Aussagen abgeändert wurden, um zur britischen Darstellung der Ereignisse zu passen.

Widgery entlastete die Armee, indem er erklärte: "Zwar gibt es keine Beweise dafür, dass auf einen der Toten oder Verwundeten geschossen worden war, während er mit einer Schusswaffe oder einer Bombe hantierte..., doch es liegen starke Verdachtsmomente dafür vor, dass einige von ihnen... Schüsse abgegeben haben oder mit Bomben hantierten... und weitere Personen sie dabei direkt unterstützten." Für Free Derry bestätigte sich, dass das gesamte britische Establishment hinter den Mördern des Bloody Sunday stand.

Der Kommandant der britischen Armee, Colonel Wilford, wurde zum Officer of the Order of the geadelt. Sein Adjutant, Mike Jackson, wurde später zum Stabschef ernannt und damit der ranghöchste britische Soldat.

40 Motorman

Der Bloody Sunday scheiterte mit seinem Ziel, den No-go-Area einzuschüchtern. Im März wurde das nordirische Parlament aufgehoben und Nordirland wurde wieder einer Direktherrschaft aus London unterstellt. Free Derry blieb bestehen. Die Unterstützung für den Republikanismus nahm zu. Der Konflikt eskalierte weiterhin. In den ersten sechs Monaten nach dem 30. Januar wurden im Gebiet von Free Derry 15 Personen getötet.

Im Juli begann die britische Armee mit der "", um Free Derry und andere No-go-Areas in Nordirland zu zerschmettern: Von Panzern und Bulldozern unterstützt, drangen 21000 Soldaten in nationalistische Arbeitergebiete ein.

Die IRA war im Voraus gewarnt worden, dass sie einer überwältigenden militärischen Macht gegenüberstehen würde und hatte die No-go-Areas still und widerstandslos verlassen. In den frühen Morgenstunden des 31. Juli stand Free Derry unter militärischer Besatzung durch die britische Armee. Die britische Armee baute um das Gebiet Lager auf, und in den folgenden 22 Jahren gehörte Free Derry zu den am stärksten militarisierten Gebieten Westeuropas.

41 Januar–Juli 1972

Manus Deery (15) wurde im Mai von britischen Soldaten erschossen, James Casey (57) im Juli. Der IRA-Freiwillige Gerald Doherty (16) starb bei einem Schusswechsel im Februar, und die Freiwilligen Colm Keenan (19), Eugene McGillan (18) und John Starrs (19) wurden von der britischen Armee im März und Mai getötet. Sieben britische Soldaten wurden von Republikanern getötet, unter ihnen William Best (19), der sich auf Heimaturlaub in Creggan befand: Sein Tod führte zu einer kurzlebigen Friedensbewegung in Derry und war einer der Faktoren für den Waffenstillstand der Offiziellen Irisch-Republikanischen Armee.

Obwohl es keinen bewaffneten Widerstand gab, erschossen britische Soldaten während der Operation Motorman zwei Jugendliche.

Daniel Hegarty (15) ging nach draußen, um sich das Ausmaß der Operation anzusehen, als Centurion-Panzer mit Planierschilden auf die Barrikaden zurollten, denen Truppen der Royal Marines und Sturmpioniere folgten. Er wurde zweimal aus kürzester Entfernung in den Kopf geschossen. Ein Cousin von ihm wurde ohne medizinische Versorgung verwundet liegengelassen. Seamus Bradley (19), ein unbewaffneter IRA-Freiwilliger, wurde in der Nähe der St. John's School erschossen. Eine Obduktion zeigte, dass er fünfmal getroffen worden war. Ohne medizinische Versorgung war er an seinen Verletzungen gestorben. Die beiden wurden entsprechend als "Bewaffneter" und "Brandbombenwerfer" bezeichnet.

42 Der lange Krieg

Mit der Operation Motorman hörte Free Derry auf als materielles Gebilde zu existieren. Und in den folgenden Jahrzehnten litt das Gebiet über alle Maßen unter dem sich anschließenden Konflikt. In den 1970er, 1980er und bis in die 1990er Jahre war die Todes- und Verwundungsrate in der Gegend hoch, da die Provisorische irisch-republikanische Armee und die britische Armee einen langen Zermürbungskrieg führten.

Doch im unbeirrbaren Unabhängigkeitsstreben der Einwohner lebte der Geist von Free Derry fort. Was man in den Jahren der Unterdrückung des nordirischen Parlaments an Eigenständigkeit erworben hatte und was erstmals mit dem Auftauchen der frühen Bürgerrechtsgruppen hervorgetreten war, blieb hier weiterhin in der Stärke des Gemeindelebens wirksam und zeigte sich darin, wie die Menschen dieser Gegend fortfuhren, sich um sich selbst zu kümmern und ihre eigenen Interessen zu verfolgen. Dies war und ist von besonderer Bedeutung, da wir es hier nach wie vor mit einer der ökonomisch und sozial benachteiligsten Gegenden Nordirlands zu tun haben.

Wie Derry für die Entstehung des Konflikts von zentraler Bedeutung war, so war es auch für den politischen Prozess maßgeblich, der zu seiner Beendigung führte: mit frühzeitigen Gesprächen, die hier in den späten 1980ern und frühen 1990ern zwischen wichtigen Entscheidungsträgern stattfanden.

43 Operation Motorman war darauf ausgerichtet, Free Derry und andere republikanische No-go-Areas in Nordirland zu zerstören und den Republikanern die Unterstützungsbasis zu entziehen, aber dieser Versuch scheiterte. Der Krieg dauerte noch mehr als zwei Jahrzehnte, bis zur Verkündung des ersten Waffenstillstands durch die Provisorische irisch-republikanische Armee 1994.

Bis zum Waffenstillstand von 1994 waren hier 122 Menschen ums Leben gekommen, darunter 73 Zivilisten und republikanische Freiwillige sowie 49 Mitglieder der Sicherheitskräfte. Diese Zahlen beinhalten 33 Zivilisten, die durch britische Regierungskräfte getötet wurden. Zwei der Personen, die 1981 im Hungerstreik starben - Patsy O'Hara und Mickey Devine - stammten aus Free Derry.

Die meisten von den Regierungskräften getöteten Zivilisten wurden damals als Bewaffnete und Bombenleger bezeichnet. In den letzten Jahren jedoch haben sich die Familien dafür engagiert, dass die Wahrheit eingestanden wird. Letztlich erhielt die Familie von William McGreanery eine Entschuldigung des britischen Verteidigungsministeriums und das Eingeständnis, dass er unbewaffnet erschossen worden war. Eine neue gerichtliche Untersuchung hob die ursprünglichen Untersuchungsergebnisse im Fall Hegarty auf und der Untersuchungsrichter ordnete eine neue polizeiliche Untersuchung an. Allerdings entschied die Staatsanwaltschaft, den Soldaten, der ihn getötet hatte, strafrechtlich nicht zu verfolgen. Neue gerichtliche Untersuchungen wurden in den Fällen von Kathleen Thompson, Manus Deery und Seamus Bradley angeordnet. Doch wurden sie wieder verschoben und blieben im verworrenen Netz ungelöster Fragen aus jener Zeit hängen.

Bislang wurde kein einziger britischer Soldat und kein Offizier des Royal Ulster Constabulary wegen der Tötung einer Person im Gebiet von Free Derry angeklagt, wohingegen es in etwa 25 Prozent der Fälle zu Anklagen kam, in denen die Opfer Mitglieder der Sicherheitskräfte waren.

In den späten 1980ern und frühen 1990ern wurde in der Bogside eine Reihe von Gesprächen abgehalten - die Hume-Adams-Gespräche. Sie erwiesen sich als entscheidend in dem Prozess, der zum Waffenstillstand von 1994 und zum allmählichen Ende des Konflikts führte. Personen, die in den Zeiten von Free Derry eine wichtige Rolle gespielt hatten, wie John Hume und Martin McGuinness, fiel in diesen Gesprächen eine wichtige Funktion zu.

Und in all diesen Jahren blieb das politische und emotionale Epizentrum dieses Gebiets, ein Symbol für die Jahre des Kampfes um Bürgerrechte und den sich daran anschließenden jahrelangen bewaffneten Konflikt. Und dafür steht es bis heute als Symbol sowie als Zeichen für den Kampf um Bürger- und Menschenrechte auf der ganzen Welt. Es ist nach wie vor das Symbol für den Geist von Free Derry.

44 Bloody Sunday 1973–2010

Der Kampf um Gerechtigkeit für die Opfer des Bloody Sunday wurde in den Jahren des Konflikts und darüber hinaus fortgesetzt. Seit 1973 findet jährlich ein Gedenkmarsch statt, der sich auf den Spuren der ursprünglichen Demonstranten bewegt.

1998 wurde eine neue Untersuchung zum Bloody Sunday angekündigt. Der entsprechende Bericht wurde 12 Jahre später am 15. Juni 2010 veröffentlicht und kam zu dem Schluss, dass alle Toten und Verwundeten unschuldig waren. Obwohl der Bericht mit größter Erleichterung und Beifall aufgenommen wurde, war man zugleich darüber entsetzt, dass alle Schuld einem einzelnen britischen Polizisten, Derek Wilford, und einer Anzahl rangniedriger Soldaten zugeschrieben wurde. Das Tribunal folgte einer langgehegten Tradition, indem man das Augenmerk nicht auf eine mögliche Beteiligung der militärischen und politischen Elite richtete.

Auch stellte der Bericht fest, dass ein Opfer des Bloody Sunday, der 17-jährige Gerald Donaghey, "wahrscheinlich" Nagelbomben mit sich herumtrug, als er erschossen wurde. Dieses Ergebnis steht allem verfügbaren Beweismaterial entgegen.

Dennoch war das britische Eingeständnis der Unschuld - allen Widrigkeiten zum Trotz - ein ungeheurer Erfolg für die Gemeinschaft und die Familien der Opfer. Ein Gefühl der Erleichterung verbreitete sich und ein dunkler Schatten, der über der Stadt Derry gelegen hatte, löste sich auf.

Bloody Sunday hatte Derry im Innersten verletzt. Es besteht die Hoffnung, dass die Stadt jetzt mit der Wundheilung begonnen hat.

45 Der Kampf um Gerechtigkeit

Die von NICRA organisierten alljährlichen Gedenkmärsche begannen 1973. 1974 enthüllte Brigid Bond das Denkmal in Rossville Street. Von 1974 an organisierte Sinn Féin die Gedenkveranstaltungen.

1989 wurde die Bloody Sunday Initiative (BSI) gegründet, die sich für eine ordnungsgemäße Untersuchung einsetzen soll.

Die Bloody Sunday Justice Campaign (BSJC) wurde 1992 gegründet und stellt drei klare Forderungen auf: die Zurückweisung des Berichts von Lord Chief Justice Widgery; die formelle Anerkennung der Unschuld der Opfer sowie die strafrechtliche Verfolgung der Verantwortlichen. Aus der Bloody Sunday Initiative wurde das Pat Finucane Centre, das sich für weiterreichende Menschenrechtsthemen einsetzt, während das Bloody Sunday Weekend Committee die Verantwortung für die Gedenkveranstaltung übernahm.

Am 25. Jahrestag 1997 gingen 40000 Menschen auf die Straße, um den fortdauernden Kampf für Wahrheit und Gerechtigkeit zu unterstützen.

Im Januar 1998 wurde eine neue Untersuchung zu den Vorkommnissen des Bloody Sunday angekündigt.

Um den Druck für ein gerechtes Ergebnis aufrechtzuerhalten, wurde die Kampagnenarbeit während der gesamten Untersuchung fortgesetzt. Die Kampagnenarbeit wurde auch in den Jahren nach dem Ende der Untersuchung 2004 bis zur Veröffentlichung des Berichts 2010 aufrechterhalten, als Familien während des Wartens auf das Ergebnis endlose Verzögerungen und Frustrationen hinzunehmen hatten.

46 Die zweite Untersuchung zum Bloody Sunday

Die zweite Untersuchung zu den Vorfällen am Bloody Sunday - allgemein als Saville- Untersuchung bezeichnet - wurde zum längsten Gerichtsverfahren der britischen oder irischen Geschichte. Lord Saville und seine Richterkollegen, der Kanadier William Hoyt und der Australier John Toohey (der ursprünglich vorgesehene Richter Edward Somers, aus Neuseeland, trat aus Krankheitsgründen zurück), vernahmen 921 Zeugen und berücksichtigen 1500 weitere Aussagen. Der Bericht umfasste mehr als 5000 Seiten.

Die Untersuchung zum Bloody Sunday veröffentlichte ihren Bericht am 15. Juni 2010. Sein wesentliches Ergebnis, dass alle Toten und Verwundeten unschuldig waren, wurde von Tausenden auf dem Guildhall Square versammelten Menschen lautstark begrüßt.

In einer Erklärung im Namen der Familien hieß es: "Die Opfer wurden rehabilitiert. Das Fallschirmjäger-Regiment ist entehrt. Endlich wurde die Wahrheit vor aller Augen geführt. Widgerys große Lüge wurde aufgedeckt."

Der britische Premierminister David Cameron war genötigt, sich zu entschuldigen und zu erklären, dass das, was am Bloody Sunday geschehen war, "ungerechtfertigt war und nicht zu rechtfertigen ist".

Doch war der Bericht nicht ganz unproblematisch. Viele waren empört, weil sich die Vorwürfe auf einen einzigen Offizier konzentrierten, auf Derek Wilford, sowie auf eine Anzahl einfacher Soldaten. Der Bericht wies der militärischen und politischen Elite keinerlei Schuld zu. General Sir Michael Jackson, der am Bloody Sunday als Adjutant wirkte und als Architekt der anschließenden Vertuschungen gilt und später zum ranghöchsten Offizier der britischen Armee aufstieg, wurde nicht kritisiert. Und dies, obwohl er der einzige Zeuge war, der während der Untersuchung in den Zeugenstand zurückgerufen werden musste.

Auch das Ergebnis zu Gerald Donaghey - dass er "wahrscheinlich" Nagelbomben bei sich trug, als er erschossen wurde, dass dies jedoch seine Erschießung nicht rechtfertigte - wurde mit einiger Bestürzung aufgenommen. Alle Befunde wiesen auf das hin, was die meisten Menschen glaubten: dass die Nagelbomben von Mitgliedern der britischen Armee oder der Polizei auf seinen Körper gestellt worden waren. Durch diesen Befund zu seiner Unschuld blieb seiner Familie die von anderen empfundene Genugtuung vorenthalten.

Und doch hatten die Familien des Bloody Sunday 38 Jahre nach den Vorfällen ihr Ziel erreicht: Sie hatten die Namen ihrer Angehörigen von jeglicher Schuld befreit und sie hatten erzwungen, dass die Wahrheit über Bloody Sunday vor der Weltöffentlichkeit eingestanden wurde. Ihr langer Kampf war gerechtfertigt.

47 Epilog

Auf den weitgehend von der Arbeiterklasse geführten Kampf für Bürgerrechte und für ein Ende der Unterdrückung hatte die britische politische und militärische Führung mit Mord auf den Straßen der Bogside reagiert.

Bloody Sunday war der Preis, den die Bogside für Free Derry zu entrichten hatte.

Bloody Sunday war weder der erste noch der letzte Versuch repressiver Staaten, die eigene Bevölkerung zu unterdrücken.

Bloody Sunday ruft unter anderem Wounded Knee, Amritsar, Sharpeville, Grosny, Gaza, Falludscha... in Erinnerung.

Die Bloody Sunday Justice Campaign war ein Kampf für die Wahrheit von epischen Ausmaßen. Wir glauben, dass dieser Kampf allen Menschen, die für die Gerechtigkeit kämpfen, als Zeichen der Hoffnung gelten kann.

Rise like Lions after slumber In unvanquishable number - Shake your chains to earth like dew Which in sleep had fallen on you - Ye are many - they are few.*

*Percy Bysshe Shelley schrieb dieses Gedicht im Anschluss an das Peterloo-Massaker 1822 in . Demonstranten hatten eine Reform des parlamentarischen Systems verlangt. Dabei waren 15 Personen getötet und mehrere hundert verletzt worden. Das Gedicht ruft unterdrückte Menschen dazu auf, sich zu vereinen und nimmt Forderungen der Einwohner von Free Derry vorweg.

Free Derry steht für das Streben nach einer besseren Welt ohne Unterdrückung und Gewalt, in der allein das gemeinsame Streben der Menschen zählt und in der Gerechtigkeit und Gesetz ununterscheidbar sind.

Niemand, der für die Gerechtigkeit kämpft, ist hier ein Fremder. Und alle Menschen, die im Kampf für die Gerechtigkeit ihr Leben lassen, werden in Derry stets geehrt werden.