Klimaänderung Und Gletscherskitourismus
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Geographica Helvetica 1994 - Nr 3 Bruno Abegg. Urs Konig. Max Maisch Klimaänderung und Gletscherskitourismus 1. Einleitung werden in einer Gletscherdatenbank abgelegt, wo die Pa¬ rameter je nach Fragestellung differenziert aufbereitet Im vorliegenden Artikel kommt die thematische Schnitt¬ werden können (z. B. Gletscherflächen sowie Volumen¬ stelle zweier Forschungsprojekte zur Sprache, die im werte und deren Veränderung nach Kantonen, hydrologi¬ Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms (NFP) schen Einzugsgebieten, Höhenstufen, Gebirgsgruppen, Die und im 31 «Klimaänderungen und Naturkatastrophen» am Geo¬ Gletschertypen usw.). praktische Konzept graphischen Institut der Universität Zürich bearbeitet bewußt «zukunftsgerichtete» Nutzungsanvvendung die¬ werden. Beim ersten handelt es sich um das Projekt «Aus¬ ser Erhebungen zielt letztlich aufdie Erstellung. Quanti¬ wirkungen einer Klimaänderung auf den Tourismus im fizierung und Visualisierung möglichst präziser und re¬ Alpenraum» (Projektleiter: Hans Elsasser. Projektmitar¬ gional unterscheidbarer Gletscherschwundszenarien für das 21. beiter: Bruno Abegg). In diesem Projekt stellt sich zu¬ und deren naturräumlicher Auswirkungen nächst einmal die Frage, wie Klima und Tourismus mit¬ Jahrhundert ab. einander verknüpft sind. Das hat nichts mit «Klimadeter¬ minismus» zu tun, sondern es geht darum, Wetter und Klima angemessen in die Tourismusdiskussion einzube¬ in ziehen. In den letzten Jahren wurde uns bekanntlich 2. Der Gletscherskitourismus der Schweiz ziemlich klar vor Augen geführt, daß wir a) den klimati¬ schen Voraussetzungen für den Tourismus wieder ver¬ In den 60er und 70er Jahren rückten die schweizerischen ins der Touris¬ mehrt Beachtung schenken sollten und b) Wetter und Gletscherregionen zusehends Blickfeld Klima weder konstant noch «gottgegeben» sind. In die¬ musplaner. Von der Gletschererschließung versprach des sem Zusammenhang steht natürlich die Klima- und Wet¬ man sich eine Attraktivitätssteigerung Alpenraumes Ver¬ tersensibilität des Tourismus im Vordergrund. Hierzu für den damals rückläufigen Sommertourismus. und erschlos¬ nur ein Stichwort: die schneearmen Winter Ende der schiedene Orte verfolgten diese Strategie für Zwecke. Das Som- 80er Jahre. Und schließlich geht es um mögliche Szena¬ sen ihre Gletscher touristische rien, also darum, wie der Tourismus im schweizerischen merskifahren kam langsam in Mode, erlebte einen Auf¬ Alpenraum unter veränderten klimatischen Bedingun¬ schwung, und mit der Zeit wurden die Gletscher auch in den Heute hat sich das Blatt gen in Zukunft aussehen könnte. Mit dieser Frage hat Winterskibetrieb integriert. sich auch Urs König in seiner Diplomarbeit auseinan¬ gewendet: Während der Sommerskibetrieb laufend an als Garanten dergesetzt, wobei ersieh allerdings auf Aspekte rund um Bedeutung verliert, werden die Gletscher den Gletscherskitourismus beschränkte (König 1994). für Schneesicherheit im Winter immer wichtiger. Damit ist die Verbindung zum zweiten NFP-31-Teilpro¬ Sieht man vom kleinen Skilift aufdem Jungfraujoch ab, jekt hergestellt, welches unter dem Titel «Die Auswirkun¬ gibt es in der Schweiz zurzeit neun Gletscherskigebiete Saas Fee. Diavolezza, Laax, Engel¬ gen von Klimaänderungen aufdie Gletscher und deren (Zermatt. Corvatsch, Les Diablerets und Ur¬ Vorfelder» ganz speziell den Gletschern der Schweizer berg, Crans-Montana, Verbier). Alpen, ihren Veränderungen und Zukunftsperspektiven sprüngliche Motivation für die ErschließungdieserGlet- gewidmet ist (Projektleiter: Max Maisch, Projektmitar¬ scherskigebiete war in sieben der neun Fälle die Mög¬ beiter: Bernhard Denneler, Andreas Wipf). Dazu werden lichkeit, Sommerskifahren anzubieten. Vom Sommerski¬ sich für den im Anschluß an eine bereits abgeschlossene Studie im betrieb erhoffte man einen Imagegewinn Gebiet des Bündnerlandes sämtliche verbleibenden Tourismusort und das Skigebiet sowie die bereits er¬ Gletscher der Walliser, Berner Oberländer und Waadt- wähnte Belebung der Sommersaison. In Crans-Montana die eines Saisonstarts im länder Alpen nach einheitlichen Richtlinien neu bearbei¬ und Laax war Sicherung frühen tet und inventarisiert. Arbeitsziel und Grundlage bilden die vollständige Rekonstruktion sämtlicher Eisflächen zur Zeit der sogenannten «Hochstandsausdehnung von 1850» sowie die glaziologische Auswertung der Verände¬ rungen bis zur heutigen Ausdehnung (bzw. Basisjahr Bruno Abegg. dipl Geogr, Urs Konig, dipl. Geogr. Max 1973 des offiziellen Schweizerischen Gletscherinventars, Maisch. PD Dr. Geographisches Institut der Universität vgl. Müller et al. 1976). Die neu gesammelten Rohdaten Zürich Irchel. Winterthurerstraße 190. 8057 Zürich. 103 900'000 800'000 700'000 ""¦ Zermatt ü c o -c Laax I 500'000 Cu o ~~' Engelberg | 400'000 Corvatsch (g 300'000 "Q Diavolezza 200'000 lOO'OOO ^ M 1 oo CC 0861 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1989 0661 1991 CN Abb. 1 Sommerskifrequenzen in ausgewählten Gletscherskigebieten (Mai/Juni bis Sept./Okt). Daten: Geschäftsberichte und interne Transportstatistiken der entsprechenden Bergbahnunternehmen. Winter der Hauptgrund für die Erschließung des Glet¬ Es scheint, daß die Gruppe der prestigebewußten Skifah¬ schers; der Sommerski- bzw. Ganzjahresskibetrieb wur¬ rerinnen, welche in früheren Jahren einen großen Teil der de erst später eingeführt. Gäste ausmachte, immer mehr verschwindet und sich an¬ Die Erwartungen, welche ins Sommerskifahren gesetzt deren «trendigen» Sommersportarten zuwendet. Die worden sind, erfüllen sich heute nur mehr in Saas Fee und auch im Sommer stetig wachsende Zahl der Snowboar- Zermatt. Die beiden größten und attraktivsten Glet¬ derlnnen kann den Rückgang der Frequenzen nicht ab¬ scherskigebiete der Schweiz weisen anhaltend hohe wenden. Hinzu kommt, daß die Abwanderung der regio¬ Sommerfrequenzen auf und haben durch günstige Ge¬ nalen und nationalen Skikader aus den kleinen Glet¬ lände- und Klimavoraussetzungen kaum Probleme mit scherskigebieten in die großen Sommerskigebiete von der Ausaperung ihrer Gletscher. In den restlichen Som¬ Saas Fee und Zermatt ebenfalls zur Konzentration auf merskigebieten der Schweiz führte die immer stärker dem Sommerskimarkt beiträgt. werdende Ausaperung der Gletscher zur Reduktion (Crans-Montana, Verbier, Les Diablerets, Diavolezza) Während das Sommerskifahren in den kleineren Glet¬ oder gar Aufgabe (Corvatsch, Laax, Engelberg) des Som¬ scherskigebieten an Stellenwert einbüßt, gewinnt die Sai¬ merskiangebotes. Obwohl der Sommerskibetrieb mit sonverlängerung und das Wintergletscherskifahren in al¬ Ausnahme von Zermatt und Saas Fee in allen Gebieten len Gletscherskigebieten an Bedeutung. Die Gletscher mehrheitlich Verluste einbrachte und noch immer ein¬ garantieren auch in schneearmen Frühwintern einen Sai¬ bringt, wird er aus Imagegründen so lange wie möglich sonstart im Oktober oder spätestens im November. In aufrechterhalten. Es wird davon ausgegangen, daß die den schneearmen Wintern Ende der 80er Jahre verzeich¬ Gäste die Existenz eines Sommerskigebietes mit Schnee¬ neten die Gletscherskigebiete (insbesondere Engelberg. sicherheit im Winter assoziieren. In diesem Sinne ist das Crans-Montana. Les Diablerets, Laax und Verbier) mar¬ Sommerskifahren Wegbereiter für die kommende Win¬ kante Frequenzsteigerungen, die auf Schneearmut im terskisaison. Rest des Skigebietes und/oder auf Schneemangel in be¬ Die abnehmenden Sommerfrequenzen sind aber nicht nachbarten Skigebieten ohne Gletscher zurückgeführt alleine mit den naturräumlichen Problemen zu erklären. werden können. Die Gletscherlifte können somit als ei- [04 3. Die Auswirkungen von Klimaänderungen aufdie Gletscher Gebirgsgletscher werden oft als «Klimazeiger mit Lang¬ zeitgedächtnis» bezeichnet (vgl. haeberli 1994). Ihre große Sensibilität gegenüber Klimaschwankungen macht die Gletscher mit Hilfe glazialmorphologischer (z. B. Moränendatierung) und paläoglaziologischer Me¬ thoden (z.B. Schneegrenzberechnungen. Klima-Glet¬ scher-Studien) zu geeigneten Untersuchungsobjekten im Hinblick aufdie Entschlüsselung früherer Klimaverhält¬ 1984 1985 1986 1987 19K8 1989 1990 1991 nisse. Die mittel- bis langfristigen Dimensionsänderun¬ Tnjbsee Sessclbahn ' Tillis Glctschcrlifl gen (Zeitraum Jahrzehnte bis Jahrhunderte) können im komplizierten Gefüge zwischen Klimasystem und Glet¬ scherreaktion als Signale für Veränderungen der klimati¬ Abb 2 Frequenzvergleich: Trubseesesselbahn - Titlis- schen Umwelt interpretiert werden. In Umkehrung der Gletscherlift. Daten: Geschäftsberichte Luftseilbahnen Trub- bisherigen glazialhistorisch orientierten Betrachtungs¬ see-Stand-Klemtiths AG 1991 und Bergbahnen Engel- weise ist es mit geeigneter Methodik aber auch möglich. berg-Gerschnialp-Trübsee AG 1991. Gletscher als einfache Berechnungmodelle zur Abschät¬ zung und Quantifizierung künftiger Klimaverschiebun¬ gen zu verwenden (vgl. kühn 1990. haeberli 1991. maisch I992.HOLZLE 1994). Gletscherströme und deren Vorfelder eignen sich zudem hervorragend zur »glazial¬ didaktischen" Veranschaulichung der Klimaerwärmung gentliche «Retter» der Skisaison in schneearmen Win¬ seit 1850 und der künftig zu erwartenden «Treibhausfol¬ tern bezeichnet werden. Zeitweise waren sie die einzigen gen» (vgl. maisch et al. 1993). Die Erforschung der seit Anlagen, welche in Betrieb waren. Mitte des letzten Jahrhunderts stark geschv, undenen Al¬ Ein eindrückliches Beispiel für diese Rettungsankerfunk¬ pengletscher trägt dabei wesentlich zu einer besseren tion liefert der Frequenzvergleich zweier Transportanla¬ Wahrnehmungdergegenwärtigen und zu einer angemes¬ gen in Engelberg