In Den Abgrund Werf Ich Meine Seele Die Liebesgeschichte Von Ricarda Und Richard Huch
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Anne Gabrisch In den Abgrund werf ich meine Seele Die Liebesgeschichte von Ricarda und Richard Huch ISBN-10: 3-312-00264-8 ISBN-13: 978-3-312-00264-1 Weitere Informationen oder Bestellungen unter http://www.nagel-kimche.ch/978-3-312-00264-1 sowie im Buchhandel In den Abgrund werf ich meine Seele | Anne Gabrisch Braunschweig und der Skandal Als die zweiundzwanzigjährige Ricarda Huch am Silvestertag 1886 Braunschweig verließ, um in Zürich zu studieren, war sie bereits seit einigen Jahren die Geliebte von Richard Huch, dem Ehemann ihrer Schwester Lilly. Und es mögen weniger die Verführungskünste des um vierzehn Jahre älteren gutaussehenden Rechtsanwaltes gewesen sein, welche sie in dieses Verhältnis gebracht hatten, als vielmehr ihr Temperament und die Langeweile ihres Daseins als höhere Tochter. Der Braunschweiger Klatsch wertete die überraschende Abreise als Flucht aus dem einen in den anderen Skandal: die Bezeichnung "Studentin in Zürich" deutete ebenfalls auf Anstößiges. Die Familie Huch galt dem Braunschweiger Bürgertum von jeher als zumindest exzentrisch. Daß sie "außerhalb der sogenannten besseren Gesellschaft" standen, erzählt Ricarda Huch in den ‹Jugendbildern› und macht für die Mißbilligung, gar Ablehnung, die man ihnen entgegenbrachte, den "Gegensatz von Freiheit und Spießbürgerlichkeit" verantwortlich. Den "Abenteurer" nennt sie ihren Großvater Heinrich Huch mit deutlicher Sympathie. Heinrich Huch war, nach unsteten Wanderjahren, aber immerhin mit einer Hamburger Patriziertochter als Ehefrau, um 1818 in der Stadt aufgetaucht, hatte die Hagenschänke gekauft und eine Zeitlang unter regem Zuspruch betrieben. Er erfand das "Huchsche Pulver", mit dem er die Bauern der Umgebung kurierte (auch umsonst, wenn es not tat), und begründete in Braunschweig das "Feuerlöschwesen". Doch bereits ihm erging es wie vielen seiner Nachkommen: auf den anfänglichen Erfolg seiner Unternehmungen folgte nach kurzer Zeit der Niedergang, schließlich der finanzielle Ruin. Er starb verarmt und in geistiger Verwirrung bei seinen Kindern, die im brasilianischen Porto Alegre vorübergehend ihr Glück gemacht hatten. Studieren lassen konnte er nur den ältesten seiner vier Söhne. William Huch wurde ein bekannter Anwalt in Braunschweig. Seine erste Frau Agnes, geborene Schwerin, war Jüdin. Sie hatten fünf Kinder, drei Töchter und zwei Söhne, einer davon ist Richard, der "Held" unserer Geschichte. Nach dem Tode von Agnes heiratete der fünfzigjährige William Huch die sechzehnjährige Marie, eine Tochter des Schriftstellers Friedrich Gerstäcker. Mit ihr hatte er noch einmal sechs Kinder: darunter die Schriftsteller Friedrich und Felix Huch. Der Advokat William Huch, gerngesehener Gast bei den literarisch Leseprobe Seite 1 In den Abgrund werf ich meine Seele | Anne Gabrisch angeflogenen Stammtischen der Residenz- und Kaufmannsstadt und Anwalt des Braunschweiger Hoftheaters, galt als Bonvivant, als witziger und brillanter Gesellschafter, aber dahinter verbargen sich Depressionen. Auch er erwarb, unter anderem durch Teilhabe an wirtschaftlichen Unternehmungen der Gegend, ein Vermögen, das sich im Besitz eines alten Palais - des verwunschenen Schauplatzes von Friedrich Huchs Roman ‹Mao› - am Braunschweiger Hagenmarkt zeigte, und verlor es noch zu Lebzeiten wieder. 1888 erschoß er sich. Die drei anderen Söhne des Hagenschänkenwirts - Eduard, Ferdinand und Richard - wurden in die Kaufmannslehre getan, ob ihnen das nun lag oder nicht - und das Kaufmännische lag ihnen wohl eher nicht. Eduard Huch übernahm 1846 gemeinsam mit einem Franzosen eine Firma im brasilianischen Porto Alegre, die mit Tuchen handelte und für eine Weile zu einer wahren Goldgrube wurde. Er holte seine beiden kaufmännisch ausgebildeten Brüder nach und beteiligte sie am Geschäft. Bereits 1852 kehrte Eduard Huch als "Particulier" nach Braunschweig zurück; mit dreizehn Kindern und zahlreicher, zum Teil exotischer Dienerschaft residierte er auf einem pompösen Anwesen, dem "Zuckerberg", nahe der Stadt. Sein aufwendiger Lebensstil hinderte ihn nicht daran, für die Sozialdemokraten einzutreten, die damals vom Bürgertum noch ungefähr wie Verbrecher betrachtet wurden; einen seiner Söhne taufte er auf den Namen Garibaldi. Er hatte nicht nur den "Hang zur Menschenbeglückung", sondern auch die Entdeckerfreude seines Vaters geerbt und vertat sein beträchtliches Vermögen und zum Teil auch das seiner Brüder mit allerlei Spekulationen und dubiosen "Erfindungen". Möglicherweise war auch sein Tod (1875) ein von den Angehörigen kaschierter Selbstmord. Alleiniger Geschäftsführer der Firma Huch & Co., mit Niederlassungen in Hamburg und Porto Alegre, war seit etwa 1878 Richard Huch, der Vater von Ricarda Huch. Von den Kaufleuten Huch scheint er der am wenigsten unternehmungslustige gewesen zu sein, ein Bücherwurm, der sein Leben wohl lieber als stiller Gelehrter verbracht hätte. Als er 1887 überraschend starb, vermuteten manche Selbstmord, denn sein melancholisches Temperament hatte sich in den Jahren vor dem Ruin der Firma mehr und mehr verdüstert. - Anzumerken ist, daß der dritte Teilhaber der Firma Huch & Co., Leseprobe Seite 2 In den Abgrund werf ich meine Seele | Anne Gabrisch Ferdinand Huch, sich 1899 das Leben nahm, weil er, arm geworden, nicht von seinen Kindern abhängig sein wollte wie ehedem der Hagenschänkenwirt. Und auch dessen Tochter Bertha, eine verheiratete Sommermeyer, litt an Depressionen und versuchte zweimal den Selbstmord. Man sieht, das erhaben düstere Panorama von ruinösen Phantasien und Leidenschaften, Bankrott und freiwilligem Tod, als das Ricarda Huch in ihrem Erstlingsroman ‹Erinnerungen von Ludolf Ursleu dem Jüngeren› die eigene Familiengeschichte entwarf, ein Buch, mit dem sie in Braunschweig zum dritten Mal Skandal machte, hat durchaus Erfahrungshintergrund. Der Kaufmann Richard Huch heiratete 1858 Emilie Hähn aus Braunschweig, sie war damals sechzehn Jahre alt. Die beiden Geschwister von Ricarda Huch kamen in Porto Alegre zur Welt, 1859 Lilly und 1862 Rudolf. Nach Ricardas Geburt, 1864 in Braunschweig, blieb Emilie Huch kränklich und ging nicht mehr mit ihrem Mann nach Brasilien zurück. Richard Huch erwarb ein Haus an der Hohethorpromenade in Braunschweig, wo sie und die drei Kinder von nun an lebten, mit ihnen die Eltern seiner Frau. Die Leitung des Haushalts, auch die Fürsorge für die Enkelkinder, übernahm Emilie Hähn, die Großmutter, eine so kluge wie herrschsüchtige, so fromme wie zugleich wißbegierige und belesene, in mancher Hinsicht sogar unkonventionell denkende Frau, eine beeindruckende und drückende Persönlichkeit. Emilie Hähn, nach dem Urteil der Enkelin "in Liebesdingen eher kalt", führte das eigentliche Regiment im Hause Huch, ihr Einfluß auf Ricarda Huch war nachhaltig. Die bekennt in ihren ‹Jugendbildern›: "Das Gefühl, das man zu einer Mutter hat, gehörte, wenigstens was mich betrifft, meiner Großmutter." Die Mutter, ruhe- und pflegebedürftig, war selbst wieder zum verhätschelten Kind geworden, "unsere jüngste Schwester". Und die Großmutter scheint nur allzu zufrieden damit gewesen zu sein, ihre Tochter zurückbekommen zu haben: "In gewisser Weise hatte meine Großmutter gesiegt", heißt es in den ‹Jugendbildern›. In diesen Erinnerungen wird die Mutter als schön, klug, musisch begabt geschildert, als heiter und ausgeglichen, eine "harmonische Natur", die der lastenden Melancholie und dem politischen Konservatismus ihres Mannes mit ironischer Opposition begegnete. Die Erinnerungen an die Mutter verraten aber auch überlegene Nachsicht mit der stets Leseprobe Seite 3 In den Abgrund werf ich meine Seele | Anne Gabrisch Müßigen, vornehmlich mit sich selbst Beschäftigten; eine Nachsicht, die bereits Ricarda Huchs Kinderbriefe an den häufig abwesenden Vater spüren lassen. Die Erinnerungen verraten sogar Groll auf die Mutter, von der sich die Jüngste nicht genug geliebt fühlte, von der sie ganz offen und verletzend als häßlich bezeichnet wurde, als linkisch und langweilig im Vergleich mit der lebhaften, älteren Schwester. Die Gefühle, die Emilie Huch ihrer jüngsten Tochter entgegenbrachte, mögen tatsächlich zwiespältig gewesen sein: diese Tochter hatte sie nicht nur ihre Gesundheit gekostet, sie war ihr auch - anders als Lilly - so ganz und gar nicht ähnlich. Eine Fotografie von Emilie Huch mit ihren drei Kindern zeigt das: Lilly ist ganz das Abbild der Mutter, nur selbstsicherer, der Betrachter vermag sie sich als gesellschaftlich gewandt vorzustellen; die im Hintergrund stehende Ricarda sieht dagegen trotzig und verschlossen aus, der Bruder Rudolf neben ihr mürrisch. Marie Huch hat in ihren Lebenserinnerungen Emilie Huch nicht so heiter, gar kindlich verträumt gesehen, wie die Erinnerungen der Tochter sie uns darstellen möchten; als "hervorragend klug aber kühl", charakterisierte sie die Schwägerin. Das klingt, als sei sie ihr ungemütlich gewesen. Es ist auch nicht sonderlich freundlich, was Marie Huch als mütterliches Urteil über die schüchterne Ricarda zitiert: "Dem Kind fällt nie etwas ein!" Der Verzug der Mutter und lange Zeit auch der Großmutter war der Sohn. Der junge Rudolf Huch galt als das "Genie" der Familie. Er war musikalisch begabt, aber ein schwieriger Schüler. Während seines Studiums der Jurisprudenz in Göttingen und Heidelberg tat er sich vor allem auf dem Mensurboden und in Kneipereien mit seinen Corpsbrüdern hervor, leistete sich wohl auch einige skandalöse Amouren. Er machte Schulden und wurde vom Vater noch zu dessen Lebzeiten enterbt. Während seiner Referendarsjahre in Braunschweig entwickelte er literarische Ambitionen, wenn auch vorerst nur im Stammtischverkehr