Magdalena Saryusz-Wolska, Carolin Piorun• Verpasste Debatte
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Magdalena Saryusz-Wolska, Carolin Piorun Verpasste Debatte Unsere Mütter, unsere Väter in Deutschland und Polen Der TV-Film Unsere Mütter, unsere Väter wurde als großes Mediener- eignis aufwendig inszeniert. Er erzählte die Geschichte einer Gruppe junger Deutscher im Zweiten Weltkrieg und erhob den Anspruch, Tabus zu brechen und das Gespräch über die Vergangenheit in Gang zu brin- gen. Die gezielte Vermischung von Dokument und Fiktion sowohl im Film als auch in begleitenden Dokumentationen suggerierten Authentizität und Wirklichkeitstreue. Inhaltlich perpetuierte der Film aber weitgehend den deutschen Opfermythos, den schon das Nachkriegskino gepflegt hatte. Antisemitismus stellte er als Problem vor allem der polnischen Heimatarmee dar. Entsprechend heftig fiel die Kritik in Polen aus. So- wohl in Deutschland als auch in Polen blieb die Rezeption selbstbezogen, ein Dialog kam nicht zustande. Der Dreiteiler Unsere Mütter, unsere Väter, den das ZDF zum 50. Jubiläum des Senders ausstrahlte, gehörte zu den Fernseh-Großereignissen des Jahres 2013. Die Produktion trat explizit mit dem Anspruch an, eine völlig neue Perspektive auf den Zweiten Weltkrieg und die persönlichen Geschichten der Beteiligten zu präsentieren und damit das Gespräch zwischen den Generationen in Gang zu bringen.1 Darüber hinaus sollte sie offenbar auch länderübergreifend Wirkung entfalten – dafür spricht zumindest die Tatsache, dass sie drei Monate nach der Erstausstrahlung in Deutschland auch im ersten Programm des polnischen Fernsehens (TVP1) gezeigt wurde; danach lief sie auch in anderen Ländern, u.a. in Schweden und (unter dem Titel Generation War) in den USA, wo sie auf starke Kritik stieß.2 Dass die Serie gerade diesem „dialogischen“ ——— Carolin Piorun (1990), Studentin der Kultur- und Literaturwissenschaften an der Europa- Universität Viadrina, Frankfurt/Oder Magdalena Saryusz-Wolska (1980), Dr. phil., Kultur- und Filmwissenschaftlerin, wissen- schaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Historische Forschung Berlin der Polnischen Aka- demie der Wissenschaften sowie am Institut für Gegenwartskultur der Universität Łódź Von Magdalena Saryusz-Wolska erschien in OSTEUROPA: Der erste Holocaust-Spielfilm. Wanda Jakubowskas „Die letzte Etappe“, in: OE, 10/2012, S. 71–83. 1 Vereiste Vergangenheit. Nico Hofmann und Götz Aly im Gespräch mit Alexander Cammann und Adam Soboczynski. Die Zeit, 14.3.2013, <www.zeit.de/2013/12/Unsere-Muetter-unsere-Vaeter-ZDF-Hofmann-Aly>. 2 Siehe z.B.: A History Lesson, Airbrushed. „Generation War“ Adds a Glow to a German Era, in: New York Times, 14.1.2014. – Ein gutes Jahr nach der Premiere sollen die Rechte bereits an 82 Länder verkauft gewesen sein; Christoph Classen: Opa und Oma im Krieg. Zur Dramati- sierung des Zweiten Weltkrieges im Fernsehmehrteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“, in: Mit- telweg 36, 1/2014, S. 1–17, hier S. 2, <www.eurozine.com/articles/ 2014-02-26-classen-de.html>. – Nirgends waren das Medienecho und die Empörung so groß wie in Polen. OSTEUROPA, 64. Jg., 11–12/2014, S. 115–132 116 Magdalena Saryusz-Wolska, Carolin Piorun Anspruch in eklatanter Weise nicht gerecht wurde, schlug sich auch in den zahllosen Medienreaktionen nieder. Aleida Assmann bezeichnet Unsere Mütter, unsere Väter in ihrem jüngsten Buch vielmehr gerade als Beispiel für eine „monologische Erinne- rung“, die sich auf eigene Erfahrungen konzentriert und andere Perspektiven ignoriert.3 Die Serie Unsere Mütter, unsere Väter (Produktion: teamWorx / Nico Hofmann, Regie: Philipp Kadelbach, Buch: Stefan Kolditz) kostete insgesamt ca. 14 Millionen Euro.4 Wer so viel Geld in eine TV-Produktion investiert, will selbstverständlich kein Risiko einge- hen. Der Film baut deshalb auf bewährte Narrationsschemata. Einer aus Hollywood importierten Grundregel entsprechend konzentriert sich die Handlung auf wenige Protagonisten, mit denen der Zuschauer sich identifizieren kann.5 Diese dürfen zwar gewisse Charakterschwächen aufweisen, ihr Handeln muss aber im Großen und Ganzen moralisch nachvollziehbar sein. Der Dreiteiler erzählt die Kriegserlebnisse von fünf jungen Menschen: der beiden Brüder Friedhelm und Wilhelm sowie ihrer Freunde Charlotte, Greta und Viktor. Die Handlung beginnt 1941, und die Protagonisten werden vom Krieg „mitgerissen“: Friedhelm und Wilhelm kämpfen zunächst als Wehrmachtsoldaten an der Ostfront, doch dann desertiert Wilhelm und wird in eine Strafkompanie versetzt. Charlotte wird Sanitäterin; Greta, die davon träumt, ein Star zu werden, tritt als Sängerin an der Front auf. Der Jude Viktor flieht aus einem Transport nach Auschwitz und schließt sich der polnischen Heimatarmee an, wobei er seine jüdische Identität geheim hält. Nur Viktor, Charlotte und Wilhelm überleben den Krieg; Wilhelm erzählt die Geschichte der fünf Freunde aus seiner Perspektive aus dem Off. Mit dieser Geschichte wollten die Macher von Unsere Mütter, unsere Väter laut eigener Aussage etwas grundlegend Neues versuchen: Bis dahin, so Produzent Nico Hofmann, dominierte der didaktische Blick auf diese Zeit. Wir haben jahrzehntelang mit einer unglaublichen Schuld-Sühne-Pädagogik gearbeitet. Die unmittel- bar persönlichen Erinnerungen und Emotionen der Deutschen aber wurden ausgeblendet.6 Dies behaupteten auch enthusiastische Vorankündigungen des Films in der Presse. Frank Schirrmacher etwa, einer der größten Befürworter dieser Produktion, rief zwei Tage vor der Ausstrahlung die Familien der Republik vor den Fernsehgeräten zu- sammen: „Wo immer möglich, sollten Eltern den ZDF-Dreiteiler Unsere Mütter, unsere Väter zusammen mit ihren Kinder ansehen [. .]. Und dort, wo es die Familiendemo- graphie erlaubt, mit den Kindern der Kinder.“7 ——— 3 Aleida Assmann: Das neue Unbehagen an der Erinnerungskultur. Eine Intervention. München 2013. 4 Zum Vergleich: Der Zweiteiler „Dresden“, ebenfalls von Nico Hofmann produziert, war 2006 mit 10 Mio. Euro Produktionskosten noch der teuerste deutsche Fernsehfilm gewesen. 5 Vgl. David Bordwell, Kristin Thompson: Film Art. An Introduction. New York 2004, S. 90. 6 Vereiste Vergangenheit [Fn. 1]. 7 Frank Schirrmacher: Die Geschichte deutscher Albträume, in: FAZ, 15.3.2013. – Der Film habe die noch lebenden Zeitzeugen zum Reden bringen und eine „Transferleistung zwischen den Generationen“ bewirken sollen, befand auch Roman Leick: Die Wunde der Vergangenheit, in: Der Spiegel, 13/2013, 25.3.2013, <www.spiegel.de /spiegel/ print/d-91675532.html>. Verpasste Debatte 117 Unschuldige Liebe. Plakate deutscher Spielfilme aus den 1940er und 1950er Jahren 118 Magdalena Saryusz-Wolska, Carolin Piorun Inhaltlich brachte Unsere Mütter, unsere Väter aber bei näherer Betrachtung wenig Neues: Unpolitische junge Menschen, die nichts mit dem Nationalsozialismus zu tun haben wollen und dennoch in den schrecklichen Krieg hineingezogen werden, waren bereits in den ersten deutschen Spielfilmen nach 1945 zu sehen. Beispiele sind etwa Wolfgang Staudtes Die Mörder sind unter uns (1946), Helmut Käutners In jenen Tagen (1947) oder Wolfgang Liebeneiners Liebe 47 (1949, nach Wolfgang Borcherts Stück Draußen vor der Tür). In der Bundesrepublik führten mehrere Drehbuchautoren und Regisseure diese Tendenz fort: Helmut Käutner in Des Teufels General (1955), Falk Harnack in Unruhige Nacht (1958) oder Bernhard Wicki in Die Brücke (1959). Im Fernsehen tauchte dasselbe Narrativ bereits 1960 in der Mini-Serie Am Grünen Strand der Spree (1960, R.: Fritz Umgelter) auf und wird vom ZDF seit dessen Grün- dung drei Jahre später immer wieder aufgegriffen.8 Auch in jüngeren Filmen über den Zweiten Weltkrieg stehen oft mehr oder weniger unschuldige Männer und Frauen als Leidtragende des Krieges im Mittelpunkt. Beispiele für diese neue Welle sind etwa die TV-Filme Dresden (2006, R.: Roland Suso Richter), Die Flucht (2007, R.: Kai Wessel) oder Die Gustloff (2007, R.: Josef Vilsmaier) – die beiden erstgenannten ebenfalls von teamWorx produziert. Die jüngste Rückkehr zur Kriegsthematik und der bereits in Filmen der Nachkriegs- zeit vorherrschenden Opferperspektive erklärt Christoph Classen mit den politischen Veränderungen in der Bundesrepublik seit der Wiedervereinigung.9 Die politisch durch den links-rechts-Gegensatz strukturierte Auseinanderset- zung über das nötige Maß an Abgrenzung vom Kommunismus einerseits und vom Nationalismus andererseits verlor durch den Zusammenbruch des Kom- munismus an Bedeutung. [. .] Geschichtspolitisch betrachtet, könnte man den neuen Opferdiskurs als die Rückseite einer Medaille verstehen, deren Vorder- seite die vollständige Anerkenntnis der Verantwortung für die NS-Verbrechen als negativen Bezugspunkt der bundesdeutschen Identität abbildet.10 Die meisten der großen Film- und Fernsehproduktionen, die das Schicksal der deut- schen Zivilbevölkerung im Krieg thematisieren (wie etwa die Bombardierungen in Dresden oder die Vertreibung in Die Flucht und Die Gustloff) entstanden gut 15 Jahre nach der Wende. Vor allem die jüngsten dieser Filme sind als aufwendig hergestellte, kommerzielle Produkte weniger darauf ausgerichtet, eine kritische Diskussion auszu- lösen, als ein möglichst großes Publikum zu erreichen. Helden, die vom Nationalsozia- lismus und vom Krieg bis zu seinem Ende begeistert gewesen wären, kämen als Iden- tifikationsfiguren kaum in Frage, sie würden den Erfolg solcher Filme gefährden. Die Protagonisten von Unsere Mütter, unsere Väter sind folgerichtig als sympathische Mittzwanziger dargestellt, die mit der nationalsozialistischen Ideologie, dem Antise- mitismus (einer von ihnen ist schließlich Jude) und den Grausamkeiten des Krieges nichts zu tun haben