Schuh Als Kulturgut Und Wirtschaftsfaktor
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Der Schuh als Kulturgut und Wirtschaftsfaktor Zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg war der schwei- z erische Schuhmarkt fest in die Gesellschaft eingebettet. Soziale und wirtschaft liche Entwicklungen beeinflussten ihn mass- geblich. Der Historiker Roman Wild nimmt die marktspezifischen Roman Wild Herausforderungen für die Angehörigen der schweizerischen Schuhwirtschaft unter die Lupe. Er beschreibt lebhaft, wie sie den Alltag aller Bevölkerungsschichten direkt tangierten — und wie sie nicht zuletzt auch die Schuhmode prägten. Das Spiel von Angebot und Nachfrage beim Alltags gegenstand Schuh in den Jahren 1918 — 1948 und die damit ver bundenen Kontro– und Tritt Auf Schritt Auf versen und Kon flikte sind symptomatisch. Der reich bebild erte historische Rückblick zeigt exemplarisch, dass man Märkte Roman Wild Roman nur als komplexe, historisch gewachsene und sich dynamisch verändernde Mechanismen beschreiben und verstehen kann. Auf Schritt und Tritt Der schweizerische Schuhmarkt 1918 — 1948 ISBNISBN 978-3-03810-406-3 978-3-03810-406-3 9 7 8 3 0 3 8 1 0 4 0 6 3 www.nzz-libro.ch NZZ Libro Den namenlosen Störschuhmachern gewidmet Roman Wild Auf Schritt und Tritt Der schweizerische Schuhmarkt 1918 —1948 NZZ Libro Die Druckvorstufe dieser Publikation wurde vom Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung unterstützt. Autor und Verlag danken den folgenden Institutionen für die grosszügige Unterstützung : Hochschule Luzern — Design & Kunst Däster-Schild Stiftung Fritz Mangold-Stiftung Die vorliegende Arbeit wurde von der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich im Herbstsemester 2017 auf Antrag der Promotionskommission bestehend aus Prof. em. Dr. Jakob Tanner ( hauptverantwortliche Betreuungsperson ) und Prof. Dr. Monika Dommann als Dissertation angenommen. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http ://dnb.d-nb.de abrufbar. Eschienen 2019 im Verlag NZZ Libro, Schwabe Verlagsgruppe AG Lektorat : Katharina Wehrli, Zürich Umschlag, Gestaltung, Satz : icona basel Lithografie : Fred Braune, FDB – Für das Bild, Bern Druck, Einband : Kösel GmbH, Altusried-Krugzell Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivatives 4.0 International ( CC BY-NCND 4.0 ) ISBN Printausgabe 978-3-03810-406-3 ISBN E-Book ( PDF ) 978-3-03810-460-5 ( seitenidentisch mit der gedruckten Ausgabe ). www.nzz-libro.ch NZZ Libro ist ein Imprint der Schwabe Verlagsgruppe AG. « I have an odd idea that most general questions can be expressed in terms of footwear — which is perhaps why cobblers are often such philosophical men. Accident it may be, gave me this persuasion. A very considerable part of my childhood was spent in an under ground kitchen ; the window opened upon a brickedin space, surmounted by a grating before my father’s shop window. So that, when I looked out of the window, instead of seeing — as children of a higher upbringing would do — the heads and bodies of people, I saw their under side. I got acquainted indeed with all sorts of social types as boots simply, indeed, as the soles of boots ; and only subsequently, and with care, have I fitted heads, bodies, and legs to these pediments. » Wells, H. G., This Misery of Boots, 1907 6 Inhalt Einblick 9 1 Marktverlierer 33 2 Das Schuhgewerbe sinkt vom Massen- zum Randphänomen herab 34 Vielgestaltiges Schuhgewerbe 39 Gewerbliche Einheitsfront 68 Statistische Erfassung 81 Zusammenfassung 97 Marktmacht 99 3 Eine exportorientierte Schuhfabrik fasst am Binnenmarkt Fuss 100 Branchenprimus Bally 106 Vertikale Organisation 120 Eindringen in den Handel 139 Zusammenfassung 159 Marktverantwortung 163 4 Organisierte Hausfrauen gehen die « irrationale » Fussbekleidung an 164 « Hausfrauisierung des Einkaufens » 169 Konsumpolitische Ohnmacht 206 Zivilisierung des Markts 221 Zusammenfassung 234 Inhalt 7 Marktregulierung 237 5 Verbandssekretäre beschliessen die Aufhebung des Wettbewerbs 238 Bata rückt vor 243 Kommunikative Abwehr 256 ( Selbst- )Regulierung 273 Transnationale Verständigung 288 Zusammenfassung 295 Markterfahrung 299 6 Die Wissenschaft erkundet die Totalität des ( Schuh- ) Markts 300 GfM und GREM als Schrittmacher 305 Vorläufer, Vorbilder, Vorleistungen 309 Begriffsarbeit 321 Schuhwirtschaftlicher Erfahrungsschatz 335 Zusammenfassung 353 Rundblick 357 7 Anhang 377 Unpublizierte Quellen 378 Publizierte Quellen 381 Forschungsstand 393 Forschungsliteratur 398 Kurzbelege 420 Bildnachweis 470 Dank 473 Der Autor 475 1Einblick 10 Der schweizerische Schuhmarkt gab im Sommer 1917 Rätsel auf. Zwar blieb die Schweiz als politisch neutraler Kleinstaat im Ersten Weltkrieg von direkten militärischen Konfrontationen mit den Alliierten und den Zentralmächten ver- schont, gleichwohl wurde die handelspolitisch eng verflochtene schweizeri- sche Volkswirtschaft von den Blockadesystemen in Mitleidenschaft gezogen. Die Schweiz stellte auf Kriegsnachfrage um, war gleichzeitig aber von Ange- botsverknappungen und Lieferengpässen betroffen. Zusehends verkamen die global zirkulierenden Rohstoff-, Lebensmittel- und Warenströme zu einer « commodity lottery ».1 Kriegswirtschaftliche Komplikationen machten sich auch in der Wertschöpfungskette des Schuhs bemerkbar. Für die Schuhpro- duktion wurde in der Schweiz vor allem Leder benötigt. Da Frankreich und Deutschland nach Kriegsausbruch alle Exporte gestoppt hatten, verblieben von den traditionellen Bezugsländern nur die USA, die ihre Lieferungen um 40 Prozent reduzierten.2 Indem die Armee Grossbestellungen an Militärschu- hen für ihre ( teil- ) mobilisierten Truppen aufgab, stieg der Rohstoffbedarf hier- zulande an. Die Schuhfabriken, die Leder benötigten, behalfen sich mit der Herabsetzung von Qualitätsstandards und kostspieligen Notkäufen, deren Mehrkosten sie eins zu eins an die KonsumentInnen weitergaben. Gemessen am Vorkriegsniveau im Jahr 1914 schnellte der Durchschnittspreis — einerlei ob für militärische oder zivile Fussbekleidung — um gut 100 Indexpunkte in die Höhe, und ein Ende der Preisspirale war nicht absehbar. Die Schuhhändler begannen daran zu zweifeln, ob es ihnen unter diesen Bedingungen gelingen würde, AbnehmerInnen für die kostspieligen Produkte zu finden und mit den Einnahmen die Warenkredite abzulösen. Gefallen an der Preishausse fanden dagegen die kleingewerblichen Schuhmacher. Da die Menschen ihre Schuhe über Gebühr austrugen und preiswerte Reparaturen den unerschwinglichen Neukäufen vorzogen, quollen ihre Auftragsbücher über. Die Nominallohnentwicklung konnte mit den Teuerungsraten, die nicht nur die Schuhe, sondern zahlreiche Lebensmittel und Waren des täglichen Bedarfs verzeichneten, nicht Schritt halten. Namentlich die ArbeiterInnen, Abbildung 1 Barfussgänger traten 1917 in vielen Ländern Europas in Erscheinung. Auf Schuhe verzichteten Men- schen aus verschiedenen Motiven : aus Not, auf staatliche Anweisung, aus Protest gegen die Unterversorgung. Im Berlin der Nachkriegsjahre gehörten unbeschuhte Jugend- liche zum alltäglichen Strassenbild. Angestellten und Beamten in Städten und Industriebezirken büssten an Kauf- kraft ein ; viele litten Hunger und materielle Entbehrungen.3 Erste Zeitungen berichteten von SchülerInnen, die mangels verfüg- oder bezahlbarer Schuhe barfuss gehen mussten.4 Befürchtet wurde ein Absinken auf das Versorgungs- niveau der kriegsführenden Länder, in deren Metropolen Kinder und Jugendli- che während der Sommermonate zur Schonung des Leders gänzlich auf Schuhe verzichteten.5 Bisweilen erhielt das Tragen von Fussbekleidung sogar eine politische Funktion : In Würzburg, Wien, Köln, Strassburg, Breslau und Warschau demons- trierten barfuss gehende junge Erwachsene. Durch die augenfällige Weglas- sung wandelten sie die schützende Umhüllung des Fusses in ein Symbol des Protests um. Ihr Unmut richtete sich gegen die kriegswirtschaftlichen Härten im Allgemeinen und die gerüchteweise kolportierten Vorratskäufe und Wucher- geschäfte im Besonderen. Von den politischen und wirtschaftlichen Verant- wortungsträgern forderten sie ultimativ eine wirksame Versorgungspolitik.6 12 Unter dem Eindruck, dass auch der Schweiz eine Zerreissprobe drohen könnte, wurde das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement aktiv und bestellte die wichtigsten Repräsentanten des Schuhmarkts ein.7 Ab dem Spätherbst 1917 berieten Vertreter der Bundesbehörden, Delegierte von Gross unternehmen, Sekretäre der schuhwirtschaftlichen Branchenverbände und Abgesandte der KonsumentInnen die Malaise des schweizerischen Schuhmarkts. Auf der Su- che nach einer praxistauglichen Lösung wurden die wissenschaftlichen Exper- ten von Handelshochschulen oder Universitäten über gangen. Einig waren sich die geladenen Repräsentanten darin, dass das marktförmige Spiel von Angebot und Nachfrage irreguläre Züge aufweise ; welche Umstände und Ak- teure hierfür verantwortlich waren, darüber gingen die Mutmassungen freilich auseinander. Das Volkswirtschaftsdepartement erhoffte sich von der Lancie- rung der sogenannten Volksschuh-Aktion eine Stabilisierung des Schuh- markts.8 Wie bei allen mit dem Wort « Volk » geschmückten Konsumgütern han- delte es sich um ein gemeinwirtschaftlich erzeugtes Produkt, das sich durch einen niedrigen Preis, hohe Qualität und einen Zusatznutzen auszeichnete.9 Letzterer lag in der marktimmanenten Wirkung des Volksschuhs : Er sei, so ist in dem nach Kriegsende veröffentlichten Rechenschaftsbericht nachzulesen,