Jahrbuch Stiftung Preußische Schlösser Und Gärten Berlin-Brandenburg
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Jahrbuch Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg Band 7 2005 Copyright Das Digitalisat wird Ihnen von perspectivia.net, der Online-Publi- kationsplattform der Stiftung Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland (DGIA), zur Verfügung gestellt. Bitte beachten Sie, dass das Digitalisat urheberrechtlich geschützt ist. Erlaubt ist aber das Lesen, das Ausdrucken des Textes, das Herunterladen, das Speichern der Daten auf einem eigenen Datenträger soweit die vorgenannten Handlungen ausschließlich zu privaten und nicht- kommerziellen Zwecken erfolgen. Eine darüber hinausgehende unerlaubte Verwendung, Reproduktion oder Weitergabe einzelner Inhalte oder Bilder können sowohl zivil- als auch strafrechtlich ver- folgt werden. Katharina Steudtner Der Wiederaufbau des Schlosses Charlottenburg in Berlin unter Margarete Kühn – ein gestalterisches Gesamtkunstwerk?1 Abb. 1 Margarete Kühn, Aufnahme aus dem Jahr 1953 (links); Schloss Charlottenburg, Hofansicht, 1974 (Mitte); Porträt der Königin Sophie Charlotte, F. W. Weidemann, Öl auf Leinwand, um 1702/05 (rechts) Innerhalb der kunstgeschichtlichen und denkmalpflegerischen Debatte im Nachkriegsdeutschland gehört Margarete Kühn2 (1904–1995) (Abb. 1 li.) zu den konser- vativen Vertretern. Im Sinne Hermann Hesses, der die Unersetzlichkeit historischer Stätten postulierte, „ohne die der Mensch zwar zur Not leben, aber nur ein hundertfach beschnit- tenes, verkümmertes Leben führen kann“3, übernahm sie nach Kriegsende die Leitung der Berliner Schlösserdirektion und die Verantwortung für Sicherung und Wiederaufbau des Schlosses Charlottenburg. Um Kühns Herangehensweise an den Wiederaufbau des in den Jahren 1943 und 1945 zu großen Teilen zerstörten Schlosses zu erläutern, soll zuvor ihre Sicht auf die einzelnen Bauphasen der Anlage verdeutlicht werden. 211 Katharina Steudtner In einem Text aus dem Jahr 1960 beschrieb Kühn das Schloss Charlottenburg in seiner Mehrschichtigkeit und seinem geschichtlichen Wandel.4 Sie unterteilte den Baukörper des Schlosses in drei voneinander abgegrenzte, einer gemeinsamen Bauidee untergeordnete Hauptabschnitte, die die drei von ihr favorisierten Epochen bezeichnen. Der Ursprungsbau, heute als Altes Schloss bezeichnet, wurde in den Jahren 1695–1699 in einer „derbkräftige[n], in manchem retrospektive[n], oft noch mit Formen der Renais- sance arbeitende[n] Haltung“5 durch Johann Arnold Nering errichtet. Neben den baulichen Aspekten nannte Kühn Facetten des damaligen höfischen Lebens als Charakteristika eines barocken „Gesamtkunstwerkes“, welches sie im wiederhergestellten Schloss Charlotten- burg des 20. Jahrhunderts, nun innerhalb einer demokratischen Gesellschaft, zu neuem Leben erwecken wollte. Den Baumeister Johann Friedrich Eosander, 1701–1712 am Schloss tätig und für den Bau der westlichen und östlichen Erweiterungsbauten, der beiden Hofflügel und der Großen Orangerie verantwortlich, beschrieb Kühn als „an der französischen Baukunst geschult. [Er] erfüllte seinen grossräumigen Erweiterungsbau mit ‚modernem’ Geiste. Schloß und Park wurden weltläufig und residenzstädtisch.“6 Erst 30 Jahre später vollendeten „Knobelsdorff und Nahl […] diese Entwicklung im Neuen Flügel durch einen Bau, in dem sich in inniger Verschmelzung von Architektur und Dekoration die Schöpfung des preußischen Rokoko vollzog, das – verspätet einsetzend – sogleich mit dem Höhepunkt begann. Als künstlerische Leistung steht es der Qualität nach ebenbürtig neben den höchsten Leistungen der Zeit (etwa neben Cuvilliés Münchner und Nymphenburger Arbeiten). Die geistvolle Eleganz seiner Formensprache gibt ihm unter den Sonderformen der europäischen Kulturlandschaften eine einzigartige Bedeutung.“7 Außerdem hob Kühn die Bedeutung Friedrichs des Großen (1712–1786) als Kunstsammler hervor, die sich besonders in der Ausstattung der Zweiten Wohnung Friedrichs des Großen im Obergeschoss des Neuen Flügels zeigt. Frühklassizistische und klassizistische Baumeister wie Carl Gotthard Langhans, Karl Friedrich Schinkel und Heinrich Gentz schätzte Kühn als Schöpfer von Theater, Mausoleum, Neuem Pavillon und dem Belvedere. Im Angesicht der Kriegszerstörungen stufte Kühn nur die früheren Bauphasen des Charlottenburger Schlosses als erhaltens- oder wiederherstellenswert ein: den Barock des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts, das Rokoko um 1740 und den Klassizismus, begin- nend in den 1790er Jahren. Wo es ihr im Wiederaufbau möglich erschien, und dabei sah sie die Kriegszerstörungen letztlich als Chance, stellte Kühn zugunsten des einheitlichen äußeren Erscheinungsbildes und der musealen Zusammenhänge im Inneren bestimmte „alte“ Zustände her. Bauliche Veränderungen des 19. Jahrhunderts Wenn Kühn schrieb, dass Friedrich Wilhelm IV. (1795–1861) als letzter Bewohner „in einem teils echten historischen, teils historisierenden Ambiente ein bieder- meierlich behagliches Leben“8 entfaltete, klingt dabei an, dass sie dessen Veränderungen von Bau und Ausstattung reserviert gegenüber stand. 212 Der Wiederaufbau des Schlosses Charlottenburg in Berlin unter Margarete Kühn Aus urheberrechtlichen Gründen ist diese Abbildung unkenntlich gemacht. Abb. 2 Schloss Charlottenburg, Terrassenüberdachung, Messbild, um 1910 Die Bau- beziehungsweise Umbauphasen ab etwa 1840 sind im letzten Inventar des Schlosses Charlottenburg, von Kühn im Jahr 1970 veröffentlicht, nur andeutungsweise auf- geführt.9 Die Veränderungen, die in der Vorkriegszeit größtenteils auf Messbildern fotogra- fisch dokumentiert wurden und den Kriegszerstörungen zum Opfer fielen, wurden von Kühn als nicht wiederherstellenswert erachtet. Sie sah die baulichen Veränderungen als „[…] stö- rende Hinzufügungen des 19. Jahrhunderts, [die] wie das Attikageschoss des Neuen Flügels, […] beseitigt werden, so dass die Architektur ungemindert in Erscheinung tritt.“10 Kühn stellte nicht die Frage nach dem Sinn und Zweck bestimmter Veränderungen des 19. Jahrhunderts. Diese waren teilweise technisch begründet, beispielsweise sind stati- sche Probleme der Decke über dem Foyer im Neuen Flügel oder die mangelnde Dichtigkeit der Terrasse über dem gartenseitigen Mittelrisalit des Alten Schlosses anzuführen. (Abb.2) Aus funktionalen Gründen wurde der Kapelle eine Sakristei vorgebaut. Gewissermaßen aus ästhetischen Gründen, dem Geschmack der damaligen Bewohner entsprechend, wurden Raumdekorationen verändert und Ausstattungsgegenstände ausgetauscht. So wurde der Ovale Saal (Raum 116) im Erdgeschoss unter Friedrich Wilhelm III. im „Renaissance-Stil“ umgestaltet, in dem die Wände „mit Pilastern versehen, die Rücklagen malachitartig gestri- chen“11 wurden, um unter Friedrich Wilhelm IV. durch „Einbau eines Säulenkranzes aus car- rarischem Marmor“12 nochmals verändert zu werden. Über den Runden Saal (Raum 210) im ersten Obergeschoss schrieb Kühn, er habe zur Zeit Friedrich Wilhelms IV. als Speisezimmer 213 Katharina Steudtner Aus urheberrechtlichen Gründen ist diese Abbildung unkenntlich gemacht. Abb. 3 Schloss Charlottenburg, Ovaler Saal, Raum 211, vor der Zerstörung, Messbild, um 1910 „Dekorationen im maurischen Stil [besessen]. Die Säulen waren mit Sofas umbaut (Bezüge gelber Damast).“13 Der angrenzende Ovale Saal (Raum 211) wurde im Jahr 1842, also eben- falls unter Friedrich Wilhelm IV., „mit Stuckmarmor verkleidet, die Decke von Rosendahl bemalt. Die Lünetten der inneren fünf Arkaden erhielten eine Arabeskendekoration aus Stuck, die Archivolten stukkiertes Blattwerk. In den Arkaden zu beiden Seiten des Eingangs wurden Kamine eingebaut. 1880 erhielt die Decke [schließlich] eine neobarocke Ausma- lung.“14 Eine Fotografie der Vorkriegszeit zeigt den Zustand des Ovalen Saales im ersten Obergeschoss mit den genannten Veränderungen aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhun- derts. (Abb.3) Der Rückbau von im 19. Jahrhundert veränderten Bauteilen und Räumen und die Wie- derherstellung früherer Zustände durch Kühn fanden unter verschiedenen Voraussetzungen 214 Der Wiederaufbau des Schlosses Charlottenburg in Berlin unter Margarete Kühn statt: Trotz Kriegsbeschädigung war die Sakristei noch vorhanden, dagegen waren im Alten Schloss kaum noch Reste der Dachterrasse über dem gartenseitigen Mittelrisalit vorhan- den. In den Ovalen Sälen blieben Teile der Wanddekoration, Säulenfragmente und Kamin- reste von den Zerstörungen verschont. Man entfernte sie erst im Verlauf des Wiederaufbaus. Die Stützen im Foyer des Neuen Flügels wurden nach erfolgter Wiederherstellung erst bei einem späteren Umbau in den Jahren 1953/54 entfernt. Die Jahre 1918–1945 Mit der Museumsgründung in den Jahren nach 1926 entstand eine neue „Schicht Museum“. Zu Forschungen, Freilegungen15 und Baumaßnahmen sowie Verände- rungen in der Ausstattung sind für die Jahre vor dem Zweiten Weltkrieg nur wenige Doku- mente und Fotografien überliefert, eine Bewertung ist daher schwierig. Margarete Kühn war als Mitarbeiterin des damaligen Schlösserdirektors Ernst Gall an dem Wandlungsprozess beteiligt und hätte dies als Zeitzeugin später ausführlicher festhalten können. Als in den 1940er Jahren befürchtet wurde, dass Königsschlösser und andere Kultur- denkmäler Ziele der Bombardierungen durch die Alliierten werden würden, erfolgte die allmähliche Auslagerung von Teilen der mobilen Ausstattung – im Falle des Schlosses Charlottenburg in das Jagdschloss Grunewald, in den Keller des Berliner Stadtschlosses, in die Schlösser Paretz und Molsdorf sowie in die Bergwerksstollen von Benterode im Harz.16 „Am 9. April 1943 erging der Führerbefehl, künstlerisch und historisch wichtige Wand- und Deckenmalereien mit der damals noch