Dieter Kremer (Hg.)

Namen und Berufe Protokoll der gleichnamigen Tagung im Herbst 2003 in Leipzig

Herausgegeben von Rosemarie Gläser Onomastica Lipsiensia Leipziger Untersuchungen zur Namenforschung Band 13

Herausgegeben von Karlheinz Hengst, Dietlind Kremer und Dieter Kremer Kathrin Marterior, Norbert Nübler (Hg.)

Namen und Berufe Das Problem der slavisch-deutschen Mischtoponyme

Akten der Tagung der Deutschen Gesellschaft für Namenforschung und des Namenkundlichen Zentrums der Universität Leipzig

Leipzig, 21. und 22. Oktober 2017

Herausgegeben von Dieter Kremer

LEIPZIGER UNIVERSITÄTSVERLAG GMBH 2018 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

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.© Leipziger Universitätsverlag GmbH 2018 Redaktion: Dieter Kremer, Leipzig Satz: Gerhild Scholzen-Wiedmann, Trier Umschlag: Volker Hopfner, Radebeul, unter Einbeziehung einer Collage von Dietlind Kremer, Leipzig Druck: docupoint GmbH, Barleben ISSN 1614-7464 ISBN 978-3-96023-175-2 Inhalt

Dieter KREMER (Trier/Leipzig) Namen und Berufe – Berufe und Namen ...... 7-62

Rosa KOHLHEIM (Bayreuth) Beinamen nach dem Beruf als Quelle des mittelhochdeutschen Wortschatzes ...... 63-72

Dietlind KREMER (Leipzig) Regionale Namenüberlieferung als Spiegelbild beruflicher Tätigkeiten ...... 73-109

Monika CHOROŚ (Opole) Familiennamen nach dem Beruf in oberschlesischen Urbaren des 16. Jahrhunderts ...... 111-135

Henryk DUSZYŃSKI-KARABASZ (Bydgoszcz) Berufs-, Amts- und Standesbezeichnungen in den Familiennamen slawischer Herkunft anhand der Kirchenbücher der orthodoxen Gemeinden von Ostkujawien und Dobriner Land an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert ..... 137-149

Karlheinz HENGST (Leipzig/Chemnitz) Personen mit slawischen Namen und ihre Tätigkeiten im weltlichen sowie kirchlichen Bereich vom 10. bis 13. Jahrhundert östlich der Saale ...... 151-190

Walter WENZEL (Leipzig) Zunamen aus Bezeichnungen von Vertretern der altsorbischen Führungsschicht in ihrer Bedeutung für die historische Lexikologie und die slawische Frühgeschichte Sachsens ...... 191-205

Lennart RYMAN (Uppsala) Occupational designations in late medieval Stockholm ...... 207-219

Martina HEER (Bern) Historische Beinamen nach Berufs-, Amts- und Standesbezeichnungen im Kanton Bern (Schweiz) ...... 221-233

Karl HOHENSINNER (Grein) Familiennamen aus Berufen in Österreich ...... 235-270 6

Evgeny SHOKHENMAYER (Denzlingen) Preliminary Study of the Most Frequent Russian, French and German Occupational ...... 271-290

Marja KALSKE (University of Lapland, Rovaniemi) Occupational place names in Rymättylä: A medieval parish of farmers, craftsmen and sailors ...... 291-300

Renāte SILIŅA-PIŅĶE (Riga) Mit Eisenverarbeitung verbundene Berufe in den Siedlungsnamen Livlands im 17. Jahrhundert ...... 301-314

Natalija VASIL’EVA (Moskau) Die Widerspiegelung der maritimen Berufe Bootsmann und Lotse in russischen Zunamen: eine onomastisch-lexikologische Studie ...... 315-326

Masahiko MUTSUKAWA (Nanzan) Names and Professions in Japan ...... 327-340

Albrecht GREULE / Christopher KOLBECK (Regensburg) Diachrone Untersuchungen zu Namen in Rechnungsbüchern ...... 341-352

Angelika BERGIEN (Magdeburg) Berufsbezeichnungen als Komponenten von Familien- und Firmennamen ...... 353-358

Volker KOHLHEIM (Bayreuth) Beruf und Name in der Literatur des deutschen Realismus ...... 359-391

Autoren dieses Bandes ...... 393-394

Dieter Kremer Namen und Berufe – Berufe und Namen

Ohne Vergangenheit keine Gegenwart 0. Man kann es drehen und wenden, wie man will: Namen und Berufe bilden in gewisser Weise eine Einheit, die Reihenfolge ist letztlich von sekundärem Inte- resse. Wenn ich hier die Reihenfolge des Tagungsthemas „Namen und Berufe“ in „Berufe und Namen“ umdrehe, so möchte ich letztlich nur betonen, dass die Teilnehmer an dieser Tagung wohl überwiegend von den konkreten Eigenna- men ausgehen, ich selbst aber eher von der historischen Wortforschung her komme, nämlich dem Projekt „Altromanisches Berufsnamenglossar“, kurz GlossProf1. Doch ist das so einfach nicht. Abgesehen von der sachlichen Be- schreibung von Berufstätigkeiten, verbindet die Benennung von Berufen Wort- forschung und Namenforschung in sehr enger Weise. Vielleicht deutlicher als im sonstigen Allgemeinwortschatz steht am Anfang eben die Beschreibung der (individuellen) Tätigkeit, der Name, die sich dann zur Allgemeinbezeichnung der entsprechenden beruflichen Tätigkeit entwickeln konnte. Umgekehrt wer- den erstarrte Bezeichnungen beruflicher Tätigkeiten im Alltagsleben oft durch eine „sprechende“ Bezeichnung ersetzt, also durch einen Übernamen individua- lisiert, der sich zuerst auf eine bestimmte Person bezieht, aber durchaus wiede- rum zur Allgemeinbezeichnung werden kann. Dieses Wechselspiel ist der Na- menforschung bekannt, in der Wortforschung wird diese namenkundliche Komponente vielleicht nicht gebührend zur Kenntnis genommen. Das gleiche gilt natürlich auch für die zahllosen in erstarrten Beinamen, den Familienna- men, tradierten direkten und indirekten Berufsbezeichnungen (und deren regi- onale und graphische Varianten). Ursprünglich hatte ich die Absicht, Ihnen – ausgehend vom GlossProf und anhand konkreter Redaktionsbeispiele – einen ausführlichen Abriss dieser The- matik zu bieten. Doch ist die Konzentration auf sprachwissenschaftliche oder auch berufshistorische Aspekte (wie etwa die Aufsplitterung von Grundberufen in Spezialisierungen oder von der Organisation der Berufsausübenden bis zu den heutigen offiziellen Klassifikationen)2 und auf die romanischen Sprachen in unserem Kontext vielleicht weniger angebracht. Zwar möchte ich Wiederho- lungen und Ausschweifungen nach Möglichkeit vermeiden, doch gilt auch für –––––––— 1 Dazu auch KREMER 1976/1982 und Hinweise in KREMER 2014. 2 Vgl. KREMER (1990) usw.

Onomastica Lipsiensia/OL 13 (2018), S. 7-62. 8 Dieter Kremer diesen Gesamtthemenbereich: Fast alles ist gesagt und bekannt, man müsste sich an die konkrete Aufarbeitung der in komplexer Überlieferung vorhan- denen, kaum überschaubaren Dokumentation machen. Im Folgenden versuche ich, wenige der zahlreichen Aspekte oder Themenbereiche in knapper Form zu- sammenzufassen, ohne auf Details einzugehen. Dabei greife ich einige der in der Einladung zu dieser Tagung genannten Arbeitsbereiche kurz auf. Einige dieser Themen werden ja auch, im konkreten Kontext, von den Referenten behandelt, umso mehr freue ich mich auf eine lebhafte Schlussdiskussion, zu der diese Aus- führungen natürlich beitragen möchten. Nicht eingehen werde ich auf Themen wie „Berufsbezeichnungen als Personennamen“ (Typ Asinarius, Ferrarius u.a.)3, auf die Latinisierung volkssprachlicher Berufsbezeichnungen bzw. Berufsnamen (wie Habermann → Avenarius4 oder ein Problem wie Kreuziger ↔ Cruciger usw.)5, auf die Namenüberlieferung (hier vor allem Namenlisten und deren Zu- standekommen) und letztlich auch nicht auf die Frage, ab wann eine Berufsbe- zeichnung zum Namen wird, oder wie indirekte Berufsnamen zu behandeln sind. Banalitäten lassen sich nicht vermeiden. Die entsprechende namenkundliche Literatur, Wörter- und Namenbücher, vor allem aber auch berufskundliche Ar- beiten und Inventare (einschließlich historischer Berufsstatuten) sind kaum überschaubar.6 Hauptsächliches Ziel ist es, eine Diskussion anzuregen. Neben Beispielen aus der Romania werde ich vor allem auch Beispiele aus dem deut- schen Sprachraum anführen; wenn ich hier als fachlich Außenstehender allzu Bekanntes anspreche, so bitte ich um Nachsicht. Es ist eigentlich überflüssig zu betonen, dass unsere Thematik eine europäische (oder abendländische) ist, der Blick über den eigenen engen Sprach- und Kulturraum hinaus durchaus von In- teresse sein kann. Die oft gemeinsame sprachhistorische Tradition ausgehend vom Lateinischen – wie etwa vom Metzger zum Koch, vom zum Win- zer, vom Münzer zum , vom Küfer zum Kaufmann usw. – ebenso wie die Herausbildung der verschiedenen Berufszweige und deren Organisation ist europäisches Kulturgut.

–––––––— 3 Vgl. KREMER 2014: 425-428. 4 Johann Habermann, auch Avenarius (1516-1590); auf dem Grabstein wird nur Habermann genannt (vgl. wikipedia: johann_habermann). 5 Nützlich die (leider kommentarlose) Übersicht in EBNER 2015: 925-933. Zu den mittellateinischen Berufsbezeichnungen vgl. insbesondere ERB 1978 und 1986, zu den lateinischen PETRIKOVITS 1981. 6 Zu unserem konkreten Thema zuletzt KREMER 2014 und DFA 5. Namen und Berufe – Berufe und Namen 9

1. Sprachwissenschaftlich (etwa „historisch“) oder linguistisch (etwa „syste- matisch; strukturell“) sind die Berufsbezeichnungen von allergrößtem Interesse. Hier lassen sich Wortbildungsmuster in ihrer historischen Dimension ebenso erkennen wie dialektale Varianten oder regionale Besonderheiten. Diese wiede- rum stehen in einem spezifischen sozial- und fachhistorischen Kontext. Es steht außer Frage, dass die Namenforschung hier eine außerordentliche Hilfestellung leisten kann. Oder anders formuliert: Das durch die Namenforschung bereit- gestellte Sprachmaterial ist von allergrößtem Interesse für die (historische) Sprachforschung. Diese wiederum ist Grundlage für die sprachliche Interpre- tation der „delexikalischen“ (so sagen wir in der Romanistik) Eigennamen. Hier fällt es schwer, in zwei getrennte Disziplinen zu unterscheiden. Das Dilemma ist für beide Forschungsrichtungen deutlich: Im Bereich der sprachlichen Wort- oder Namenerklärung handelt es sich letztlich um dieselbe Aufgabe, die Unter- scheidung liegt auf einer anderen Ebene, der unterschiedlichen „Funktion“ von Gattungsbezeichnung und Eigenname. Man könnte für beide Disziplinen auch von gemeinsamer „Grundlagenforschung“ sprechen. Diese ist derzeit nicht be- sonders angesagt. Das „Historisierende“ (oder auch „Positivistische“) in der Sprachwissenschaft (und auch Namenforschung) stagniert derzeit, mit einem gewissen Übereifer wird das Systematische betont, das konkret Angewandte e- her vernachlässigt. Man glaubt, das Wesentliche zu wissen, dabei ist das Ge- samtkorpus der Namen und Namenüberlieferung ein wirkliches „Fass ohne Bo- den“.7 Ein kurzer Blick in die Beschäftigungsfelder etwa der Genealogen, von denen sich Namenforscher gerne distanzieren, zeigt die Bandbreite der auch wissenschaftlichen Fragestellungen. Ich möchte das nicht als Kritik verstanden wissen, doch sollte man den ei- gentlichen Forschungsgegenstand, über den man theoretisiert, nicht ganz aus den Augen verlieren. Der Stand der etymologischen (und in diesem Zusam- menhang auch onomasiologischen) Forschung ist nach derzeitigem For- –––––––— 7 Durch aktuelle technische Möglichkeiten sind vor allem systematische, strukturelle und statistische Untersuchungen und Interpretationen naheliegend. Was immer bleibt ist die konkrete Beschäftigung mit konkreten Namen, d.h. die „altmodische“ sprach- liche und sprachhistorische Interpretation des individuellen Namens. Die je nach Dis- ziplin heute eher geringschätzend betrachteten Methoden der „linguistischen“ Namen- forschung können dabei auf immer imposantere, oft leicht manipulierbare „Corpora“ zurückgreifen. In der Masse liegt allerdings auch die Gefahr, den Blick auf das Detail zu verlieren und damit den konkreten Stellenwert eines individuellen Namens. Jeder ernsthafte Namenforscher, der sich mit „historischen“ Namen beschäftigt, sollte diese in ihrem konkreten Umfeld, der urkundlichen Überlieferung, praktisch „erlebt“ haben. 10 Dieter Kremer schungsverständnis veraltet. Man greift auf alte oder ältere Standardwerke zu- rück, die Maßstäbe gesetzt haben, aber keinesfalls auf alle Fragestellungen eine befriedigende Antwort geben können. In unserem Zusammenhang der Berufs- bezeichnungen und Berufsnamen bzw. der Namen, die auf eine ausgeübte Tä- tigkeit Bezug nehmen, sind – neben der eigentlichen Etymologie, Wortbildung und Namenmotivation – die Sachkunde und der sozialhistorische Hintergrund für die Erklärung von größter Bedeutung. Es gibt kaum einen anderen lexika- lischen Bereich, der derart komplex und entsprechend aufwendig zu bearbeiten ist. In diesem Zusammenhang ist das Projekt des Altromanischen Berufsnamen- glossars (GlossProf) zu sehen, auf das ich allerdings wie angedeutet im Folgen- den nicht weiter eingehen werde. 2. Die traditionelle linguistische Namenforschung tut sich schwer in ihrer Ab- grenzung zur Wortforschung. Eine grundsätzliche Frage ist die nach der sprach- lichen Nameninterpretation, d.h. der Etymologie und Bedeutung, nicht der Funktion eines Namens. Gerne zitiere ich noch einmal Adolf Bach: Wo im Namenschatz Wörter, die im appellativischen Wortschatz ohnehin schon vorhanden waren, zu FN wurden, gehört deren Bildung nicht zu den Erörterungen im Bereich der dt. Namenkunde, sondern in die allgemeine Wortbildungslehre. Auch die Bildung der als FN verwandten ON haben wir an dieser Stelle nicht zu erörtern. Nicht zu besprechen sind hier demnach etwa die Bildung von Berufsnamen wie Schlosser, Kaufmann, Blechschmied, Hofmeister, Schwertfeger – Fingerhut, Knieriemen usw., von Übernamen wie Dickkopf, Langbehn, Rotrock usw., von Herkunftsnamen wie Neuendorf, Steinhausen, Breitenbacher, Fläming, Vogtländer, von Wohnstättennamen wie Kirchgass, Mittelstraß, Butendijk, Achternbusch usw.8 Diese deutliche Aussage steht in einem gewissen Widerspruch zur namen- kundlichen Praxis, in der diese konkrete Thematik selten aufgegriffen wird.9 Auch gibt es hier den Widerstreit zwischen „traditioneller“ und „systema- tischer“ Ausrichtung der Namenforschung bzw. der bewussten Abgrenzung der Namenforschung von der Wortforschung oder auch die Frage (bei der Namen- erklärung) nach der unmittelbaren Herkunft und der Fernetymologie. Jedes Namenbuch sieht sich vor die Frage gestellt: Reicht es z.B. bei einem Familiennamen wie Trier oder Leipzig zu sagen, dieser Name ist eine Herkunfts- bezeichnung, geht auf diesen Ort (oder Ortsnamen…) zurück? Für die Perso- –––––––— 8 BACH 1978: 138-139. Fettdruck von mir, im Original gesperrt. 9 Vgl. Namenetymologie im Kapitel „Namenanalyse“ in DEBUS 2912: 62-64. NÜBLING (2012) geht ebenfalls nicht direkt auf diese Thematik ein, doch stehen die Aus- führungen in Kapitel 3.3 „Zwischen Appellativ und Name“ in diesem Zusammenhang. Namen und Berufe – Berufe und Namen 11 nennamenerklärung ist diese Identifizierung ausreichend. Oder muss auch die Etymologie des betreffenden Ortsnamen angegeben werden? Dies ist letztlich eine völlig andere Fragestellung, die im konkreten Fall mit einem Ortsnamentyp (Trier), der im größeren Kontext der Benennung nach Stammesnamen gesehen werden müsste, zu tun hat oder, im Falle von Leipzig, mit einer langen, viel- leicht nicht abgeschlossenen Diskussion. Ist das für die Erklärung eines Fami- liennamens von Bedeutung? Man könnte diskutieren, da es sich letztlich ja nur um einen Funktionswandel desselben Namens handelt, der im Prinzip von der Ortsnamenforschung zu behandeln ist. Doch wird aus der Sicht des Frage- stellers „was bedeutet und woher kommt mein Name“ die unmittelbare Her- kunft eine ausreichende Antwort sein. Möchte oder muss er wissen, wie es sprachlich von MONETARIUS zu Münzer gekommen ist oder wie die durch- sichtigen Wortbestandteile Käse und Bäcker im Familiennamen Käsebäcker etymologisch zu erklären sind? In beiden Fällen wäre eine komplizierte sprach- historische Darstellung notwendig, die den Interessenten möglicherweise über- fordert. Vielleicht ist die Sachgeschichte des Berufes von größerem Interesse als die Fernetymologie. Für die Erklärung eines ungewöhnlichen katholischen Rufnamens wie Chan- tal ist eher der Werdegang vom Ortsnamen über den Familiennamen zum Ruf- namen (und dessen Mode) von Interesse, kaum die Etymologie des Ortsnamens Chantal. Gleiches gilt etwa für (Franz) Xaver oder (María del) Carmen. Namen- bücher verfahren hier meist eklektisch, ohne diese Thematik ausdrücklich zu diskutieren. Das Problem wiederholt sich bei jeder Personennamenerklärung: ein Beiname wie Groß oder Klein geht auf die entsprechenden Gattungswörter zurück, müssen diese etymologisch erklärt werden? In einem allgemeinen Sprachwörterbuch ist das keineswegs immer der Fall, diese Frage gehört im Prinzip in ein etymologisches Fachwörterbuch. Warum soll eine Namenerklä- rung weitergehen als bis zum Ausgangswort (oder Ausgangsnamen): Verweis auf den allgemeinen, meist populären, Wortschatz und zusätzlich auf die Ety- mologie des Wortes, nicht Namens? Lediglich bei Eigennamen wie Maria und Josef, die erst einmal nur als solche fungieren, ist natürlich die Frage nach ihrer historischen und – zusätzlich – etymologischen Herkunft zu stellen. Umgekehrt wird die Wortforschung bei den zahlreichen deonymischen Bezeichnungen ge- wiss nur den Ausgangsnamen nennen und nicht dessen Etymologie, etwa Diesel 12 Dieter Kremer oder Sandwich. Die Thematik ist komplex und doch ganz einfach. Es lohnte sich, wichtige Namenbücher unter diesem Aspekt miteinander zu vergleichen.10 Mit den Berufs-, Amts- und Standesbezeichnungen verhält es sich ebenso. Sie sind eine zusätzliche „soziale“ Kennzeichnung oder Individualisierung. Es reicht zu sagen: diese Person übt einen bestimmten Beruf aus, die inhaltliche und sprachliche Interpretation dieser Berufsbezeichnung selbst ist ohne jegliche Bedeutung für die Funktion des Namens, sie gehört in einen anderen Wissen- schaftsbereich. Heißt jemand Metzger, so steht nicht die Frage nach der Etymo- logie dieses „Namens“ im Vordergrund, sondern die berufliche Tätigkeit und individuelle Kennzeichnung der Person, der man diesen „Bei“namen gegeben hat. Gerade die Vererbung eines solchen festen Beinamens an Nachkommen, die möglicherweise einen ganz anderen Beruf ausüben, zeigt letztlich die In- haltsleere; allerdings ist die Funktion als Name Gegenstand der Namenfor- schung. Auch die Frage nach den möglichen, insbesondere regionalen Varian- ten einer solchen Bezeichnung, die am leichtesten über die Familiennamen greifbar wird, also etwa die Verteilung im Raum von Fleischer, Metzger, Schlach- ter, Beinhauer usw. gehört eigentlich nicht in die Namenforschung: diese ist hier Hilfswissenschaft für die Sprach- und Wortforschung. Aber gerade an diesem Beispiel zeigt sich, wie sich Wort- und Namenforschung ergänzen, denn mit Einschluss der historischen Komponente stimmt die Verbreitung nicht immer durchgehend überein.11 In eine völlig andere Situation führen uns die „indirekten“ oder mittelbaren Berufsnamen (hier nicht mehr Berufsbezeichnungen). Wir bewegen uns hier im Kern der Namengebung, und fast folgerichtig werden derartige Namenbil- dungen im allgemeinen Wortschatz und vor allem historisch-etymologischen Wörterbüchern nur selten zur Kenntnis genommen. Dabei sind sie oft älteste Zeugen des volkstümlichen Wortschatzes. Hier steht also der Widerspruch: Die –––––––— 10 Einschließlich dem wichtigen DFD, das sich ausdrücklich „Familiennamenwörter- buch“ nennt. 11 Man vergleiche etwa die Karten zu „Fleischer“ in KÖNIG 1991: 197 und in Geogen (6.680 Nennungen) und DFD (6.568). Zu diesem Komplex auch Alfred SCHÖNFELDT (1965): Räumliche und historische Bezeichnungsschichten in der deutschen Synonymik des Schlächters und Fleischers, Marburg. Hier wäre auch zu hinterfragen, warum das ostdeutsche Fleischer zur offiziellen Berufsbezeichnung wurde. Interessant sind entsprechende Abstrakta als (zumindest nach Geogen) Familiennamen: Fleischerei (40) und Metzgerei (18). Es dürfte sich allerdings um Telefoneinträge von Betrieben (wie z.B. auch Sparkasse [229], Sparkassenversicherung [36]) handeln, die jeweilige Streuung ist interessant. Im DFD gibt es (derzeit) keine Bildungen auf -erei. Namen und Berufe – Berufe und Namen 13

Sprachforschung ignoriert sehr häufig die Personennamen (auch deshalb weil sie sehr oft nicht eindeutig zu interpretieren sind), der Namenforscher bewegt sich nicht selten auf einem schwierigen, „fachfremden“ Gebiet... Ein zufälliges Beispiel mag die Problematik Allgemeinwortschatz, Regional- wortschatz, Namenschatz illustrieren. Im „Kluge“ heißt es s.v. Schlosser: „Für den Handwerker, der (unter anderem) Schlösser herstellt. Auffällig ist das Feh- len des Umlauts“. Schaut man auf die heutigen Familiennamen, so gibt es 38212 Schlosser (vor allem im Südosten) gegenüber 2.685 Schlösser (ausstrahlend von der Eifel).13 Wer ist für die Interpretation zuständig? Und interessant ist es, in den Namenbüchern nachzuschlagen. Im DudenNF wird auf diese Thematik nicht eingegangen, Brechenmacher ist sehr ausführlich, und im DAFN wird zwischen den FN Schlosser „Schlosser" und, das ist interessant, Schlösser unter- schieden, dieses wird auf Schloss, Burg bezogen.14

3. In der üblichen Grobgliederung der Beinamen- bzw. Familiennamen- oder Zunamentypen in Patronyme, delexikalische Übernamen und Herkunftsnamen

–––––––— 12 Wenn nicht anders vermerkt, beziehen sich die Frequenzangaben für Deutschland auf Geogen. Da Geogen sich auf ein etwas älteres Telefonverzeichnis bezieht, sind die Frequenzen meist geringfügig höher als im DFD. [Dieses nennt auch Frequenzen im Ausland, hierbei wird offensichtlich unterschiedlich verfahren. Die französischen Daten beziehen sich auf geopatronyme.com, hier aber im Gegensatz zum DFA auf den Zeitraum 1966-1990 (Geburten). So ist der FN Michel für 23.856 Personen belegt (1891-1916 = 15.673, 1891-1990 = 85.489). Für Italien wird auf alfemminile.com zurückgegriffen (Telefonanschlüsse), doch gibt es Widersprüche. So ist der FN Michele laut DCI „poco frequente“, nach PatRom-Quelle (Finanzministerium) ist er für 418 Personen nachgewiesen, nach DFD aber für 1.057; normalerweise entspricht das Verhältnis DFD (alfemminile.com) / PatRom (Finanzministerium) etwa dem von FN (9.364 zu 38.901.] 13 Schlosser 270 (SO), Schloßer 112 – Schlösser 2.361 (Eifel), Schlößer 324. Hierzu noch Schlößers 2 (Krefeld), Schlossner 1, Schlössner 4 (Höxter), Schlößner 14 (Düren). 14 DUDENNF s.v. „Schlosser, Schlösser: Berufsnamen zu mhd. slozzer ›schloẓẓer‹“, BRECHENMACHER s.v. „Schlosser, Schlösser… zu Ende des 13. Jh. erscheinender, aus der Spezialisierung des eisenverarbeitenden Handwerks hervorgegangener BN (…) Wie bei Hafner/Häfner, Forster/Förster, Kohler/Köhler, Ofner/Öfner ist ein langes Schwanken zwischen der umlautlosen u. umgelauteten Form. Die Schriftsprache hat sich erstere entschieden; das Mitteld. u. Nd. Hat noch massenhaft Schlösser (…)“ und DAFN s.v. Schlosser: «1. (…) occupational name from German Schlosser ‘locksmith’. 2. German (also Schlösser): topographic or occupational name for someone who worked at a castle, from SCHLOSS with the addition of the agent or habitational suffix -er“. 14 Dieter Kremer werden die auf Berufsbezeichnungen zurückgehenden Personennamen oft ge- trennt ausgewiesen. Offensichtlich gesteht man ihnen eine besondere Funktion zu: Neben der individuellen Übernamengebung wird hier letztlich auf das sozia- le Umfeld verwiesen. Dem allgemeinen Wortschatz entnommen sind beide, doch ist die Funktion unterschiedlich. Bei den Herkunftsnamen müsste dann al- lerdings auch nicht nur zwischen Ortsnamen und Wohnstättennamen unter- schieden (beide gehen auf Eigennamen zurück), sondern den ethnischen Bil- dungen eine besondere Rolle zugewiesen werden, da es sich hier um lexikalische (deonymische) Elemente handelt. Es ist allerdings bemerkenswert, dass in zahl- reichen Wörterbüchern die Ethnika nicht berücksichtigt werden. Terminologisch muss zwischen Berufsbezeichnung und Berufsname unter- schieden werden. Wenn man sich darauf einigen könnte, Berufsname mit dem DFD als „auf den Beruf oder ein Amt des ersten Namenträgers zurückgehender Familienname (z.B. Müller, Fiedler, Richter)“ zu definieren15, wäre schon etwas gewonnen. Korrekter ist natürlich die Formel „Familiennamen aus Berufs- bezeichnungen“16 oder „Familiennamen nach Beruf“. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass auch eine Berufsbezeichnung im übertragenen Sinn als Übername gebraucht werden kann. Und das nicht nur bei bildhaften Berufs- bezeichnungen wie Schlächter u.ä., sondern auch nach einem Muster wie Bäcker für „jemand der gerne bäckt (ohne von Beruf Bäcker zu sein)“. Man könnte fortfahren: Es gibt zwei Arten von Übernamen. Die klassische (wieder nach dem DFD-Glossar) „auf ein äußerliches (Lange, Krummbein, Rot- ärmel), charakterliches (Lustig, Wohlgemut) oder biographisches (Zwilling, Os- tertag) Merkmal des ersten Namenträgers zurückgehender Familienname“. Dem stehen die auf einen ausgeübten Beruf bezogenen Übernamen gegenüber, wieder nach dem DFD indirekter Berufsname „Benennung nach dem Beruf, wo- bei nicht die Berufsbezeichnung selbst (), sondern z.B. das Produkt (Harnisch, Hufnagel), das verarbeitete Material (Stahl, Kupfer), eine Auffällig- keit beim Arbeitsvorgang (Pinkepank nach dem Geräusch des Hammers) usw. namengebend ist.“ Die Unterscheidung kann problematisch sein. Ein Familien- name wie Harnisch muss nicht ausschließlich eine Spezialität des Waffen- schmiedes sein oder einen Harnischträger bezeichnen, also indirekter Berufs- namen sein. Er könnte sich (im Einzelfall) auch auf eine bildhafte Wendung wie in Harnisch geraten beziehen und somit als „normaler“ Übername fungieren.

–––––––— 15 Im DFD wurde im September ein (sehr knappes) terminologisches Glossar eingefügt. 16 So z.B. CASEMIR (2009). Namen und Berufe – Berufe und Namen 15

In diesem komplexen Zusammenhang ist die knappe Aussage des den Berufsnamen und Übernamen gewidmeten 5. Bandes des Deutschen Familien- namenatlas (DFA) wohltuend. Er beruht „ausschließlich auf nicht-onymischem Material (…)“, und bei den Berufen ist der Motivationsbereich entscheidend: Berufsbezeichnung und indirekte Benennung werden zusammengeführt, wenn die Motivation wahrscheinlich dominant ist. Nicht überhören sollte man den wichtigen Hinweis auf „nicht-onymisches Material“ (im Gegensatz zu den Pa- tronymen und den Herkunftsbezeichnungen, mit Ausnahme der Ethnika). Hier begegnen und befruchten sich Wort- und Namenforschung gegenseitig, ganz im Sinne der eingangs zitierten Feststellung von Adolf Bach. 4. Eine interessante, auch auf dieser Tagung diskutierte Thematik ist die von Na- mentypen-Frequenzen, wobei uns natürlich die aus Berufsbezeichnungen hervor- gegangenen Familiennamen besonders interessieren. Ein Projekt wie das auf dem jüngsten ICOS-Kongress in Debrecen vorgestellte European Typology Project versucht, den internationalen Vergleich auf eine statistisch gesicherte Basis zu stellen. Ganz grob betrachtet ist unser Namentyp (die Berufsnamen) z.B. in Deutschland vorherrschend, während für Spanien die patronymischen Bildungen charakteristisch sind. Doch kann und muss man differenzieren. Einerseits gibt es innerhalb eines Sprach- oder Kulturraums durchaus unterschiedliche schichten- spezifische oder regionale Gewichtungen, die natürlich kulturgeschichtlich und soziologisch von nicht geringem Interesse sein können. Auch ist zwischen histori- schen Phasen und der Gegenwart zu unterscheiden. Für die deutschen (oder deutschsprachigen) Familiennamen gilt dies insbesondere für historische Wan- derbewegungen. Bei der inhaltlichen und statistischen Betrachtung der deutschen Namen sollte man alte Siedlungsräume im Zusammenhang mit der Ostsiedlung oder „hochmittelalterlichem Landesausbau“ (in diesem Zusammenhang auch z.B. Siebenbürgen), Auswanderung im 18. Jahrhundert in den Südosten, im 19. Jahr- hundert in die USA usw. und natürlich auch so wichtige Regionen wie das Elsass im Auge behalten. Die Namen sind keineswegs immer an die jeweilige sprachliche Umgebung angepasst (was natürlich eine schwierige Herausforderung ist17). So fällt, hier nur als zufälliges Beispiel, für die ungarndeutschen Familiennamen des

–––––––— 17 Vgl. zur Problematik etwa Patrick HANKS, The Dictionary of American Family Names: German family names in North America, in: KREMER, Dieter (Hg.) (2016): „Fremde“ Namen (= OL 12), Leipzig, 319-323, oder Marc PICARD (2015): On the Origins of the ‘Unexplained’ English Surnames in North America, in: Onomastica Canadiana 94, 44- 96, DERS. (2016): La francisation des patronymes d’origine étrangère au Québec et en Acadie, in: Onomastica Canadiana 95, 51-73. 16 Dieter Kremer

18. Jahrhunderts auf, dass im Gegensatz zu den „binnendeutschen“ Namen relativ wenige Berufsnamen nachgewiesen sind;18 hier spielt natürlich die regionale Her- kunft der Siedler eine Rolle, die Heimatsituation spiegelt sich in den Namen wi- der. Die rein numerische Zählung von einzelnen Namenvarianten und deren Fre- quenzen, wie sie im genannten Projekt erfolgt und bei Statistiken meist üblich ist (hinzu kommt das Problem nicht direkt vergleichbarer Quellen), kann den Gesamteindruck durchaus verfälschen. Das ist bekannt, zumindest müssten die (meist graphischen) Varianten desselben Lexems bzw. Namens zusammen- geführt werden, um ein präziseres Bild zu erhalten. Also in Frankreich etwa Fèv- re, Lefèvre, usw. Doch ist auch das eigentlich eher formale Zahlen- spielerei als inhaltliche Konsequenz. Fèvre geht auf lat. zurück, dieses liegt aber auch den Familiennamen und (genauer: Fáure) zugrunde. Daneben gibt es andere regionale Bezeichnungen für „Schmied", die als FN fun- gieren, insbesondere bretonisch goff oder eben deutsch Schmied. In allen Fällen handelt es sich um regionale bzw. untergangene Lexeme. Die heutige Bezeich- nung ist forgeron, eine denominale Ableitung von forge (lat. FABRICA) „Schmie- de“, die ebenfalls in FN begegnet, mit Schwerpunkt in Südwestfrankreich. Alle Formen, mit und ohne den für Nordfrankreich charakteristischen Artikel, be- deuten „Schmied“, wären daher aus meiner Sicht in einer typologischen Statistik unter einem Archetyp zusammenzufassen und nicht als Einzeltypen zu zählen; die komplexe regionale Verteilung der jeweiligen Varianten gehört zu einer an- deren Fragestellung. Daher mein mehrfach wiederholtes Plädoyer für eine onomasiologische Betrachtungsweise in inhaltlich motivierten Namenstatisti- ken, d.h. „wie sage ich für?“, in diesem Fall für „Schmied“. Kremer, Krämer, Kramer, Kromer, Kremers usw. aber auch Maria, Marie, Mia sind zumindest für mich erst einmal formale Varianten eines inhaltlich identischen Namens. Die verschiedenen Bezeichnungen für den „Fleischer“ (so die offizielle Nomenklatur für „Metzger“), vom Fleisch-, Knochen- oder Beinhauer oder Fleischhacker bis zum Schlachter19 kann man zwar als Einzelnamen betrachten und statistisch er- fassen, das Konzept ist allerdings identisch,20 es handelt sich um Heteronyme:

–––––––— 18 SZILÁGY-KÓSA 2011: 180. 19 Im Gegensatz zu Schlosser/Schlösser ist die Frequenz 59 Schlächter gegenüber 931 Schlachter (spielt hier die übertragene Bedeutung eine Rolle?), allerdings ist die Variante Schlechter (614) zu beachten. 20 Gut der ausführliche Kommentar in DUDENNF s.v. Fleischer. Namen und Berufe – Berufe und Namen 17

Varianten desselben Konzepts aber unterschiedliche Lexeme.21 So sind in Frankreich nicht Patronyme wie Martin oder Bernard (allerdings müssten hier die Varianten und Ableitungen hinzu gezählt werden22) die häufigsten Famili- ennamen sondern die Bezeichnungen für die Begriffe „Schmied“ und „rot“, in Übereinstimmung mit der Situation in Italien.23 In unserem Zusammenhang könnte man eine Art Axiom formulieren: Heute nicht mehr verstandene Berufsbezeichnungen sind Namen, durchsichtige Bildun- gen sind Lexeme in onymischer Funktion. Auf die französischen Fèvre bzw. Lefèbvre, Fabre, Faure bezogen hieße das: diese sind ausschließlich Namen, der durchsichtige FN Forgeron hat die Doppelfunktion als Gattungswort bzw. Berufs- bezeichnung und Familienname. Überspitzt formuliert wäre also Schmied ein mo- tivierter Name, hingegen spontan undurchsichtig. Ebenso überspitzt könnte man formulieren: Schmied und Forgeron gehören in ein Wörterbuch (im Idealfall mit Verweis auf ihre Rolle als FN und die entsprechenden Namen- varianten), die FN Schmitz usw. oder Fèvre usw. wären in einem Familien- namenbuch abzuhandeln bzw. in einem historisch-etymologischen Spezial- wörterbuch. Um noch einmal kurz auf das Problem von Frequenzlisten zurückzukom- men, hier die Verteilung der Bezeichnungen für den Begriff „Schmied“ in Frankreich. Nach dem genannten Projekt bietet sich folgendes Bild:

–––––––— 21 „Als Heteronyme werden in den einzelnen Dialekten divergierende Wörter mit gleicher Bedeutung bezeichnet (z.B. Metzger, Fleischer, Schlachter für den Fleisch- warenhersteller/-ver[k]äufer“ (DFD s.v. Heteronymie). 22 Vor allem in Frankreich und Italien können sich außerordentlich komplexe Namen- familien ergeben. Erschwert wird die korrekte Interpretation durch zahlreiche deonymische Ableitungen, Typ martinet (mehrere Bedeutungen). 23 Vgl. KREMER 1996 passim (die Zahlenangaben müssen nach INSEE aktualisiert werden) und KREMER 2014: 461-470. 18 Dieter Kremer

1. Martin (41.233 / 228.857) 13. Lefebvre (12.944 / 85.522) 23. Faure (Fauré24) (12.149 / 58.097) 33. Lefèvre (9.923 / 58.158)

Rangfolge von „Schmied“ (lat. FABER) nach dem European Surname Typology Project (Zahlenangaben nach INSEE: 1891/1915 vs. 1891/199025).

Berücksichtigt man die wichtigsten Varianten (auf den Zeitraum von 1896 bis 1990 bezogen) der Nachfolgeformen von lat. FABER, so ergibt sich folgendes Bild: Fèvre 5.803 Faivre 13.389 13.302 Faure (Fauré) 58.097 Lefèvre 58.158 Lefebvre 85.522 Lefebure 1.318 Total: 272.538

Lat. FABER „Schmied“ in französischen Familiennamen.

Hier handelt es sich jedoch nur um die historische französische Bezeichnung für den Schmied mit entsprechenden regionalen und namentypischen Varianten. Dem Begriff „Schmied“ sind noch die folgenden Hauptlexeme zuzuordnen:

–––––––— 24 Akzentschreibung in der Quelle nicht ausgewiesen. 25 In genannten Beitrag fehlen Jahresangaben, doch bezieht sich die jeweilige Rangfolge auf die (historische) Periode 1896-1915 (Geburten) [vermutlich irrtümlich für korrekt 1891-1915]. Meine Zahlenangaben nach derselben Quelle umfassen den gesamten erfassten Zeitraum (Geburten 1891-1990), sind daher ebenfalls kaum vergleichbar. Völlig unverständlich ist die Rangfolge bei den deutschen FN, hier rangieren Baden auf dem 10. und Wölfle auf dem 17. Platz. Überhaupt ist die Vergleichbarkeit der Quellen nicht gewährleistet: Erfasst werden, neben diesem historischen Schnitt in Frankreich, die Staaten Deutschland, Spanien, Italien, Belgien, die Niederlande, Luxemburg und Ungarn. Für Belgien (2008), die Niederlande (Geburten 1950-1969) und Luxemburg wird die Gesamtbevölkerung berücksichtigt, für die übrigen Staaten Telefonverzeichnisse. Das ist besonders für Spanien bedauerlich, wo die Gesamtbevöl- kerung (Stand 1.1.2016) nach verschiedenen Kriterien für jedermann abrufbar ist. Namen und Berufe – Berufe und Namen 19

Forgeron 521 Dt. Schmied 19.495 38.608 Schmit 3.432 1.477 Schmied 124 Total: 54.146

Bretonisch goff Goff 163 Goffic 131 Govic 30 Goic 151 Gouic 52 Le Goff 23.381 Le Gof 26 Legoff 1.646 Legof 37 Total 25.617

„Schmied“ in französischen FN. Insgesamt: 352.301 [FN Martin (ohne Ableitungen): 228.857]

Das ist durchaus vergleichbar mit der Situation in Deutschland, hier dürfte die Berufsbezeichnung Schmied an erster Stelle der Familiennamen stehen. Wie in Frankreich, Italien oder anderen Ländern wäre allerdings auf die regionale Ver- breitung der jeweiligen Varianten zu achten.

5. Ein sachliches und namenkundliches Problem ist die Frage, wann eine in einer Namennennung enthaltene Berufsbezeichnung die effektiv ausgeübte Tätigkeit benennt bzw. sie als fester Beinamen ohne Bedeutungsinhalt fungiert. Diese Frage nach der Funktion des Namens ist genuin namenkundlich und zu unterscheiden von der sachlich-sprachlichen Interpretation des Lexems. Bei dieser Interpre- tation treffen sich Wort- und Namengeschichte. Die Funktion steht im Zusam- menhang mit der Herausbildung von Familiennamen, also der Erstarrung von individualisierenden Beinamen, die ihre konkrete Wortbedeutung verlieren. An einem absolut zufällig herausgegriffenen Originalbeispiel lässt sich die Thematik umreißen. Dabei ist zu unterstreichen, dass die Problematik im Deut- 20 Dieter Kremer schen, wo Substantive groß geschrieben werden, etwas anders gelagert ist als in den romanischen Sprachen, in denen Eigennamen groß, Lexeme aber klein ge- schrieben werden. Die Nennung eines Michael carnicer tecedor (aus dem Jahre 1495, in einer Bewohnerliste von Aragón, Spanien) ist auf den ersten Blick verwir- rend: Es scheint wenig wahrscheinlich, dass dieser Miguel sowohl carnicer, d.h. Fleischer, als auch tecedor, d.h. Weber gewesen sein sollte, also einen Doppelberuf ausgeübt hätte. Schreibt man Carnicer groß, so wird es zum Eigennamen. Setzt man danach noch ein Komma, so ist die Trennung eindeutig: tecedor ist eine zu- sätzliche Information zur beruflichen Tätigkeit dieses Michael Carnicer (also kein Name). Dessen ererbter Zweitname hat als Funktion den Hinweis auf den Beruf des Vorfahren, als sprachliches Merkmal aber ist der Name inhaltsleer. Weniger wahrscheinlich wäre vermutlich eine Interpretation Michael, von Beruf Fleischer, mit Beinamen Weber. Die Originalüberlieferung lässt uns hier meist im Stich, es wird wahllos groß und klein geschrieben, Interpunktion fehlt normalerweise. Der Herausgeber einer solchen historischen Quelle kann hier interpretierend eingrei- fen (das geschieht meistens stillschweigend, der Leser erfährt also nicht die origi- nale Zitierweise), oder aber er überlässt die genauere Deutung dem Leser, der sich dann leicht überfordert fühlen kann, insbesondere wenn in einer solchen Quelle viele Tausend derartiger Namen zusammen kommen und unterschiedlich wie- dergegeben werden. Die wichtigsten Muster in dieser Ausgabe26 sind: Michael carnicer tecedor 1,165 [= *Michael Carnicer, tecedor] (a) Artikel und Zeichensetzung: Anthon, el barbero, Francisco, el pelayre u.a. [= Name + Berufsangabe?] Lope el Mayoral, Johan el Balenciano, Jayme el Royo usw. [= Name + nähere Qualifizierung?] Yuce , Audalla Exquerro u.a. (alle 1,63) [= Name + Übername?] (b) Nur Beiname + Beruf: Palacio, el carcelero [Palast (= Ort der Tätigkeit?), der Kerkermeister] 1,113 (c) Indirekte Benennung El panicero del forno del portal [der Bäcker vom Ofen an der Pforte] 1,113

–––––––— 26 Das Beispiel ist entnommen aus Antonio SERRANO MONTALVO, La población de Ara- gón según el Fogaje de 1495, 2 Bände, Zaragoza 1996/1997. Eine konkrete namen- kundliche (inhaltliche, sprachliche und statistische) Auswertung derartiger außer- ordentlich umfangreicher Bewohnerverzeichnisse, die besonders für Katalonien in größerer Zahl vorliegen, ist von allergrößtem Interesse; vgl. Dieter KREMER, «Mittel- alterliche Bürgerlisten der Romania», in: Dietlind KREMER / Dieter KREMER (Hg.), Die Stadt und ihre Namen, 1. Teilband, Leipzig 2012 (= Onomastica Lipsiensia 8), 297-332. Namen und Berufe – Berufe und Namen 21

La viuda del fillo de Farlet [die Witwe des Sohnes von Farlet (= Übername)] 1,3 (d) anonyme Nennung La casa del Burdel donde esta el ostalero e dos mundarias [das Bordellhaus, in dem der Wirt und zwei Prostituierte wohnen] 2,262 (beide Barbastro) (e) Feminisierung des Beinamens des Mannes Monsserrada Daguilar [= Frau/Witwe des (N.N. de) Montserrat aus Aguilar 2,260; fungiert auch als Vorname: Monsserrat de Buara 2,262 u.a.]

Beispiele für Editionskriterien und Namentypen (Fogaje a.1495, Aragón)

6. Ein für die Sozialgeschichte (und vielleicht Sozialpsychologie) nicht ganz unin- teressantes Thema sind für bestimmte Landsmannschaften und ethnische Grup- pen charakteristische Berufe, nach dem Motto „an ihren Berufen kann man sie erkennen“. Sie können auch für die Namenforschung von großem Interesse sein. Nach dem Muster Kannenbäckerland oder der übertragenen Bezeichnung Zu- ckerbäckerland gibt es zahlreiche Kollektivnamen für Landsmannschaften, soziale Gruppen oder nach der Konzentration bestimmter Berufe in Örtlichkeiten.27 Kei- neswegs selten sind offizielle Ortsnamen des Typs, hier etwa in Portugal, Alfaiates „[Ort der] “, Oleiros „Töpfer“, Ferreiros „Schmiede“ usw. und insbeson- dere die zahllosen Straßennamen in historischen Stadtkernen wie Knochenhauer- straße (z.B. in Tribsees, Bremen, Hannover, Goslar, Einbeck, Barsinghausen)28 oder Fleischhauerstraße (von Wolfhagen über Aschersleben bis Stuttgart)29 neben Fleischerstraße, Metzgerstraße, Schlachterstraße30 u.a. oder Straßenzüge mit dem entsprechenden Abstraktum wie z.B. die Tesserrenderie „Weberei oder Weber- viertel“, Buffeterie „Essighändlerviertel“ oder Çavaterie „Schusterviertel“ usw. im –––––––— 27 Vgl. zur Thematik „Kollektivnamen“ etwa Thomas KRUSE (2011): Volkstümliche Orts- namen in Börde, Harz und Holzland (= NI, Beiheft 26), Leipzig (insbesondere die Liste 286-316), oder Alexandre de CARVALHO COSTA (1973): Gentílicos e apodos tópicos de Portugal Continental. Recolha e compliações, Portalegre, u.a.m. 28 Auch Knochenhauerufer (Magdeburg), Belege nach „Straßen in Deutschland“ (http:/ /www.strassen-in-deutschland.de/knoblaucher-strasse-in-deutschland-44498660.html). Diese Zusammenstellung scheint undurchsichtig, unter den 200 häufigsten Straßenbezeichnungen gibt es bis auf den Sonderfall Schützenstraße keine Berufsbe- zeichnung. 29 Aber vielleicht keine *Beinhauerstraße. 30 „Soweit aus mittelalterlichen Quellen erkennbar ist, bezeichnete Schlachter ursprüng- lich den Berufszweig auf dem Lande (wo es mehr Hausschlachtungen gab)… Das erklärt auch, dass Schlachter nur ganz selten Bestandteil eines Straßennamens ist“, Dtv- Atlas Deutsche Sprache 2004: 197. 22 Dieter Kremer mittelalterlichen Paris oder die bekannte Boquería „Metzgerviertel“ in Barcelona. Zu hinterfragen ist, wie diese Namen entstanden sind bzw. wer diese gegeben hat. Selbstbenennung dürfte nicht vorliegen, es könnte sich um offizielle Verwal- tungsnamengebung handeln, ebenso denkbar sind spontane Gebrauchsnamen, die sich verfestigt haben. Begleitet werden diese Benennungen nach dem ausgeüb- ten Beruf durch pars-pro-toto-Namen des Typs Rua do Ouro „Goldschmiede- straße“ (wörtlich Goldstraße) in Lissabon, rue des Chapeaux „Hut(macher)straße“ in Paris, eine Kupfergasse in Leipzig oder Fleischstraße, Brotstraße31 und Nagel- straße in Trier. In einem historischen Beispiel wiederum aus Paris heißt die rue aus Oes „Gänsestraße“ an anderer Stelle explizit rue ou l’en cuist les oes, also „Gän- sebraterei“ usw. Etwas anders gelagert sind Ortsbezeichnungen, die mittelbar aber pauschal auf ein Berufsfeld verweisen wie Naschmarkt oder Viktualienmarkt und überhaupt Markt-Bezeichnungen. Ein übrigens nicht uninteressantes Thema. Es handelt sich hier typologisch um Ortsnamen, die auf bestimmte berufliche Tätig- keiten ihrer ursprünglichen Bewohner Bezug nehmen, oder anders gesagt: Parallel zu den indirekten Berufspersonennamen findet sich auch in der Ortsnamenge- bung (hier Odonymie) dieser Prozess der mittelbaren Benennung. Dem heutigen Betrachter sind diese Namen spontan „durchsichtig“, weniger die meist dahinter stehende „Sachgeschichte“, nämlich die Zuteilung bestimmter Straßen und Vier- tel an bestimmte Berufsgruppen, das wiederum hängt mit den alten Zunftord- nungen zusammen. Hier treffen sich Berufsgeschichte und Namenforschung. Diese mittelbaren Straßennamen nach dort (ehemals) ausgeübten Berufen sind zu unterscheiden von Namen des Typs rue au Chauderon32 etwa „Straße zum kleinen Kessel“, wieder in Paris. Man könnte hier die Kesselschmiede vermuten, doch in dieser kleinen Straße ist dieser Beruf in den Bewohnerverzeichnissen des Mittelalters nicht vertreten. Offenbar gehört dieser Straßenname in die Reihe der rue au Cerf „Straße zum Hirschen“, der rue au Lion „Straße zum Löwen oder Lö- wenstraße“, der rue aux Deux Moutons, der rue au Cine [cygne „Schwan“] usw. Natürlich leben hier nicht diese Tiere, sondern es handelt sich um Straßen, in de- nen es Wirtshäuser mit einem entsprechenden Wirtshausschild gab (und oft auch noch gibt). –––––––— 31 Insgesamt 8 Fälle, die sich auffälligerweise alle im Raum Saar/Trier/Mosel befinden. Auch Fleischstraße ist im Mosel-/Hunsrückraum konzentriert (nur 4 Fälle), während Nagelstraße deutschlandweit zu finden ist. 32 Chauderon (FN Chauderon, Chaudron, die Berufsbezeichnung ist chaudronnier) ist Im Französischen Deminutivbildung zu chaudière (< lat. CALDĀRIA „Kochkessel"), im Spanischen (Calderón), Portugiesischen (Caldeirão) und Italienischen (caldaione, FN Caldarone u.ä.) aber Augmentativ und in einigen Fällen detoponymisch.. Namen und Berufe – Berufe und Namen 23

7. Für Landsmannschaften charakteristische Berufe oder auch Wanderbewe- gungen bestimmter Berufsausübender sind kulturhistorisch von Interesse und haben oft Spuren im Lexikon und der Namengebung hinterlassen.33 Dieses inte- ressante Thema wäre im europäischen Kontext zu behandeln (Italiener in Sach- sen34, Polen im Ruhrgebiet usw.), hier kann ich nicht näher darauf eingehen. Cha- rakteristische Beispiele für derartige Reflexe sind etwa, im mittelalterlichen Frank- reich, lombard35 oder cahorsin36 für den mittelalterlichen „Geldwechsler, Wu- cherer“ oder hénouard für den „Salzträger“. In diesen Fällen sind ethnische Be- zeichnungen zum Gattungswort geworden und werden z.B. im Berufsnamen- glossar behandelt.37 Während cahorcin und hénouard untergegangen sind,38 ist in der heutigen Bankterminologie noch Lombard, Lombardsatz u.a. greifbar. Nie- mand käme spontan auf die Idee, diese Lexeme mit der Lombardei und damit den germanischen Langobarden in Verbindung zu bringen. Und eine korrekte Inter- pretation in den entsprechenden Familiennamen kann problematisch sein.39 Als klassisches Beispiel aus Italien diene der norcino „Wurstler“, die Bezeichnung geht zurück auf die Stadt Norcia (in der Provinz Perugia), die für ihre Wurstwaren be- rühmt war.40

–––––––— 33 Vgl. z.B. KREMER (1985). 34 „Wieso zuerst Italiener, umherziehend wie auch die Scherenschleifer, in Sachsen als Schlotfeger, Feuermäurerkehrer, Kaminfeger oder Rauchfangkehrer auftraten, weiß man heute nicht mehr“, DUCLAUD 1990: 213. 35 Ausgehend von Formulierungen wie Hobbechin le lombard k’il nous presta pour le besoinge de le vile a.1300/1301 DocCalais 150,152. Dazu Marguerite ZWEIFEL (1921): Untersuchungen über die Bedeutungsentwicklung von Langobardus-Lombardus mit besonderer Berücksichtigung französischer Verhältnisse (Diss. Zürich), Halle/Saale. 36 Nicht mehr verstanden im Straßennamen Rue des Cors Saints = rue des Caorsins (Genf). Diese mittelalterliche Bezeichnung scheint in heutigen Familiennamen nicht zu überleben, im Gegensatz zum ON Cahors (Caors, Cahours, Cahoux). 37 Cahorsin ist vor allem im 13. Jahrhundert in Nordfrankreich (Picardie, Champagne) als Lexem „Geldwechsler“ gut belegt (auch weiblicher Beiname Cahoursine). Als südfranzösisches Ethnikon „aus Cahors“ steht okzitanisch caorcenc oder auch etwa Hugo Chaorcensis (a.1126). 38 Beide Lexeme scheinen auch in heutigen Familiennamen nicht mehr vorzukommen, im Gegensatz zu Hennuyer „aus dem Hennegau“ (547, mit deutlichem Schwerpunkt im Pas-de-Calais). 39 In Frankreich FN Lombard 15.845 (mit deutlicher Südost-Nord-Richtung). 40 Als FN Norcino 15 (11 Campania → 4 Piemonte). 24 Dieter Kremer

8. Von Wanderarbeitern oder charakteristischen Berufen von Landsmannschaf- ten zu trennen sind ethnische oder religiöse Minderheiten eines Kulturraums. Meist unterliegen sie strengen Reglementierungen, die Berufsausübung ist auf bestimmte Tätigkeiten beschränkt, dadurch sind sie gelegentlich an ihren Beru- fen zu erkennen. Diese Minderheiten sind ebenfalls zu unterscheiden von der Gesellschaftsgliederung in Stände. Es handelt sich hier um ein weites sozialhis- torisches Arbeitsfeld, dessen systematische Untersuchung auch für die Namen- forschung durchaus von Interesse sein kann. Eine zentrale Rolle spielt in diesem Zusammenhang die jüdische (auch kryptojüdische) Bevölkerung in ganz Euro- pa. Ich kann in diesem Zusammenhang nicht näher auf diese interessante The- matik eingehen, hier nur einige Notizen zur Situation in Portugal, dabei über- springe ich die historische Situation (Vertreibung oder Zwangstaufe) vor allem im 15. und 16. Jahrhundert oder die Unterscheidung in cristāos velhos und cristāos novos, den Alt- und Neuchristen, im deutschen Kontext auch als Mar- ranen bekannt. In der Medizin und im Finanzwesen waren Neuchristen füh- rend. Aber auch in bestimmten Handwerksberufen, hier insbesondere der Gold- schmiedekunst, war die Präsenz von Neuchristen nicht wegzudenken. So wählt etwa die Gilde der Goldschmiede 12 Vertrauensmänner: «seis christãos velhos e seis da nação dos christãos nouos»41; diese Verteilung blickt auf eine lange Tra- dition zurück Aufgrund der Materialien des Glossars der altromanischen Berufs- und Standesbezeichnungen aber auch des PatRom-Projekts42 sind verschiedene sta- tistische, sachliche und sprachliche Erkenntnisse möglich. Abgesehen vom be- reits erwähnten Finanz- und Kreditwesen im weitesten Sinne gehen Juden und Mauren den gleichen bürgerlichen Tätigkeiten nach wie die christliche Bevöl- kerung. Doch gibt es deutliche Differenzierungen zwischen besonders beliebten Berufen der beiden Minderheiten. Im Handwerk ist die Zahl der jüdischen Schneider, Schuster und Schmiede besonders hoch, andere Berufe wie Töpfer oder Teppichwirker werden eher vermieden. Diese sind wiederum bei den Mau- ren beliebt, für die allerdings das Eisen- (Schmied) und das Bauhandwerk

–––––––— 41 Statuten der Goldschmiede (ourivezes de ouro), in: CORREIA, Vergílio (ed.) (1926): Livro dos Regimẽtos dos Officiaes mecanicos da mui nobre e sẽpre leal Cidade de Lixboa (1572), Coimbra, 2. Die Bezeichnung „Nation“ (nação) ist ebenso wie casta (→ Indien „Kaste“; vermutlich westgotischen Ursprungs) begrifflich komplex. In diesem Zusam- menhang bedeutet homem de (oder da) nação „Jude“. 42 In diesem Projekt werden, als Abgrenzung zum GlossProf, Berufsbezeichnun- gen/Berufsnamen nur im Ausnahmefall aufgenommen.. Namen und Berufe – Berufe und Namen 25

(Maurer und Zimmermann) offenbar die wichtigsten Tätigkeitsbereiche sind. Bereits in hochmittelalterlicher Zeit finden sich Bestimmungen wie faber aut çapatarius aut pilitarius qui in Silue casam habuerit et in ea laborauerit non det de ea ullum forum. Et qui maurum fabrum aut çapatarium habuerit et in domo sua laborauerit non det pro eo forum. Qui autem ministeriales ferrarii uel çapatarii fuerint et per officium suum uixerint et casas non habuerint ueniant ad tendas meas, et faciant mihi meum forum (a.1266, Silves).

Lederarbeiter (Schuster, Sattler, Kürschner) oder Korbflechter werden oft ge- nannt, so dass eine anonyme Namennennung wie o Mouro da Ferraria [der Maure aus dem Schmiedeviertel] (a.1325, Lissabon) zur Identifikation ausreicht. Auf diese Minderheit (in diesem Fall der Morisken) weisen auch eindeutig Na- mennennungen wie Antonio Pirez oleyro morador a Mourarya (a.1565) oder Domingos Fernandez esparteiro morador na Mouraria (a.1589) usw. Die „christlichen“ Namen verwirren sollten nicht verwirren: An den Na- men kann man, zumindest im Prinzip, einen getauften Juden oder Mauren nicht erkennen, gerade die ausgeübten Berufe können zur Identifizierung bei- tragen. Im Exkurs I findet sich eine provisorische statistische Übersicht über die Berufe portugiesischer Juden aus der Zeit vor der Vertreibung. Diese charakteristischen Tätigkeiten spiegeln sich gelegentlich in den ent- sprechenden Berufsbezeichnungen. In der Tat gibt es im Spanischen und Por- tugiesischen eine ganze Reihe arabischer Berufsnamen wie etwa portugiesisch adel „Altkleiderhändler; Trödler“, açacal „Wasserträger“, alfageme „Waffen- schmied“, alfaqueque „Gefangenenfreikäufer“, alferes „Fähnrich“, aljabebe „Alt- kleiderhändler“, almocreve „Lasttiertreiber“, alvéitar „Tierarzt“ usw. oder Mischformen, d.h. romanische Ableitungen von einem arabischen Grundwort wie adargueiro „Schildmacher“, albardeiro „Sattler“, atafoneiro „Rossmüller“, azeiteiro „Ölpresser“, enxerqueiro „Fleischkonservierer“ usw. Bekannte Beispiele ─ auch für die unterschiedliche Herausbildung des kastilischen und portu- giesischen Wortschatzes ─ sind die weiter unten erwähnten Bezeichnungen für den „Maurer“ (abañil bzw. pedreiro) oder den „Schneider“ ( bzw. alfa- yate). An diesem letzten Beispiel erkennt man unschwer die Bedeutung unserer Familiennamen als Museum für oft untergegangene Berufsbezeichnungen. Sart- re ist im Französischen nur noch als Familienname erhalten (dem im Deutschen übrigens die humanistische pseudolateinische Form für Schneider ent- spricht). 26 Dieter Kremer

9. Doch gibt es zahlreiche andere, mehr oder weniger bekannte Bevölkerungs- gruppen, die sich durch bestimmte Gemeinsamkeiten von der Allgemeinbevöl- kerung abheben. Auf der Iberischen Halbinsel ist dies an erster Stelle die musli- mische (oder „arabische“) Bevölkerung, die Mauren, und deren christianisierte Nachfahren, die Morisken. Von diesen gibt es sehr umfangreiche Namenlisten der Inquisition aus dem ausgehenden 16. Jahrhundert, eine systematische Un- tersuchung zu den ausgeübten Berufen wäre von großem Interesse. Zwar ist die Mehrzahl dieser Inventare unveröffentlicht, doch werden sie in zahlreichen Un- tersuchungen ausgewertet. In diesen allgemeinen Zusammenhang sind Bestimmungen wie (…) gentes principales y honradas, christianos viejos, sin raza de moros, judios,

agotes ni luteranos (a.1608 DocAgotes 156, Pamplona) [ehrbare und hohe Personen, Altchristen, ohne rassische Vermischung mit Mauren, Juden, „Agotes“ oder Lutheranern] einzuordnen. Am Beispiel der hier genannten agotes, einer kleinen, im Allge- meinen weniger bekannten regionalen, in den Pyrenäen beheimateten und ge- ächteten Bevölkerungsgruppe möchte ich das knapp illustrieren. Über die Her- kunft dieser Gruppe ist viel spekuliert worden43, ihnen werden bestimmte nied- rige Berufe zugewiesen wie etwa que los agotes que residen en dicha villa y en los contornos y valles de Baygorri, no gozan de vecindad como los otros vecinos ni auitantes, pero se allan con los oficios viles y baxos de molineros44, tamborines, y quando se ofrece, atabaleros, pifanos y carpinteria, sin que se les aya dado en todo mi tiempo, que es de quarenta anos a esta parte cargo onorifico de republica (a.1675 DocAgotes 229). [die „Agotes“ im genannten Ort und in der Umgebung und in den Tälern von Bai- gorri genießen kein Bürgerrecht wie die anderen Bürger und Bewohner, sondern sollen gemeine und niedere Berufe ausüben wie Müller, Trommler und, wenn nötig, Paukenschläger, Pfeifer und Zimmerei. In meiner ganzen Regierungszeit hat man ihnen seit 40 Jahren kein ehrenvolles Amt dieser Republik gegeben.]

–––––––— 43 Dazu GlossProf. 44 Es gibt Widersprüche wie „los señores gentilhombres y otros señores de los molinos que son en dicha tierra, tienen por sus molineros, personas que son cagotes y las quales son de raza que no deben ser en tal oficio“ [die Edelleute und andere Mühlenbesitzer, die in der genannten Gegend leben, beschäftigen als Müller Personen, die „Agotes“ sind, diese gehören einer Rasse an, die diesen Beruf nicht ausüben sollen] a.1604 DocAgotes 151. Namen und Berufe – Berufe und Namen 27

In einer Regelung wie dixieron que para la quietud, obiar gastos y quitar otros incombientes de que esperan a esta villa y sus vezinos, y conseruacion de la limpieza, naturaleza y principalidad que entre los vezinos della a auido y ay, conviene que desde dia en adelante, en la dicha villa no sea admitido por ningun vezino ni morador della, casero ninguno ni criado, asi para casa como guarda de ganado ni otra casa, ni criada, vaquero, molinero, juglar, costiero, ni de otra ninguna suerte, modo ni manera, a ninguno que sea ni tenga nombre ni fama de agote (a.1620 DocAgotes 186, Beinza-Labayen) [sie sagten, zur allgemeinen Ruhe und um Kosten und andere Nachteile und Unannehmlichkeiten zu vermeiden, wie es diese Stadt und ihre Bürger erwarten, und zur Aufrechterhaltung der Reinigung, Natur und wichtigsten Aufgaben, die es zwischen ihren Bürgern gegeben hat und gibt, soll von nun an in dieser Stadt kein Bürger oder Bewohner weder Hausverwalter noch Knecht (sowohl im Haus wie als auch Viehhirt oder für einen anderen Haushalt), keine Dienstmagd, Kuhhirt, Müller, Spielmann, Berghüter noch sonst jemanden beschäftigen, der „Agote“ ist oder im Ruf steht, einer zu sein…] sind ihnen bestimmte, wenn auch letztlich einfache Tätigkeiten untersagt. Eine Reminiszenz an diese Bevölkerungsgruppe findet sich noch in den heutigen Familiennamen, in Frankreich sicher Agote 4 (Pyrénées Atlantiques), vielleicht auch Agot 37, auf spanischer Seite im Pyrenäenraum, Agote 735 (Gipuzkoa 446, Bizkaia 92).45 Einer solchen ethnischen, regional begrenzten historischen Minderheit stehen im Nordosten Deutschlands etwa die Slaven oder Wenden gegenüber, die auch in ihrer Berufsausübung ursprünglich deutlich von den „Deutschen“ unterschieden und unterschiedlich behandelt wurden. Lange Zeit waren vor allem in den großen Städten wie Rostock und Stralsund z.B. die Wendschlächter (Wendschlechter, Wendschlachter) von den zunftmäßigen Fleischern abgegrenzt. Sie verkauften ihre Ware auf einem eigenen Markt, wurden später in die Zunft aufgenommen, durf- ten aber keine Meisterprüfung ablegen.46 Wird hier in der Bezeichnung die ethni-

–––––––— 45 Zu den Frequenzangaben siehe Exkurs II. 46 Suche unter https://ariadne.uni-greifswald.de. Zum konkreten Beruf etwa Otto FOCK (1866): Rügensch-Pommersche Geschichten aus sieben Jahrhunderten, IV. Innerer Zwist und blutige Fehden, Leipzig, 12. Dazu der Wendemarkt in Stralsund. 28 Dieter Kremer sche Zuordnung ausgedrückt, so ist das bei anderen charakteristischen Berufen wie vielleicht Hechtreißer47 oder Grobbäcker48 nicht zu erkennen. Eine besondere Gruppe bilden bereits im Altertum durchgehend die Unfreien. Seit dem 16. Jahrhundert werden sie von den in beeindruckender Zahl aus den Kolonien importierten Sklaven abgelöst; hier gibt es in Berufsstatuten (insbeson- dere dem Lebensmittelwesen) gelegentliche Hinweise auf untersagte berufliche Tätigkeiten der horros oder forros (freigelassene Sklaven).49 Der weitere „Export“ in die Neue Welt wäre auch unter diesem Aspekt gewiss der Überprüfung wert. 10. Aus meiner Perspektive liegt das Hauptinteresse des Themas Berufe und Namen in den verschiedenen Wort- und Namensbildungsmustern; alle berüh- ren sich natürlich direkt mit der Sachgeschichte. Neben Ableitung und Kompo- sition und dem Sonderfall Syntagmen sind die pars-pro-toto-Bildungen oder metonymische und metaphorische Verkürzungen zentrale Mechanismen der Namengebung. Eine systematisch-vergleichende Untersuchung (auch für die europäischen Sprachen im Vergleich) halte ich für ein Desideratum, das aller- dings nur mit einem gewissen Aufwand durchführbar ist. Ich beschränke mich auf wenige Punkte, das Material liegt sozusagen auf der Straße. Zur Bildungsweise von Tätigkeitsbezeichnungen sind im europäischen Kon- text bestimmte Grundmuster zu beachten. Während im Deutschen im Auslaut- element -er denominale und deverbale Ableitungen zusammenfallen (nach dem Muster Fleisch > Fleischer50, singen > Sänger) ist in den romanischen Sprachen51 normalerweise eine strikte Trennung zu beobachten. Das Suffix -ĀRIUS wird ausschließlich denominal gebraucht, -or bzw. -tor bezieht sich ausschließlich auf Tätigkeitsverben, nach dem Muster CANTOR bzw. CANTATOR zu CANTĀRE ge- genüber BUCCARIUS (frz. boucher < *bucc „Bock“), MACELLARIUS (it. macellaio < MACELLUM „Fleischmarkt“) usw. Ein *boucheur „Fleischer“ ist nicht möglich, ein doreur „Vergolder“ kann nur von einem Verb abgeleitet sein (DEAURĀRE > –––––––— 47 Nach EBNER 2015: 295 „bes. in Brandenburg, zunftmäßig organisiert“. Offenbar nicht in Familiennamen, Hecht (5.315) aber mit einem Schwerpunkt in Brandenburg (Müritz), Hechtfischer (67) ist auf den Hofer Raum konzentriert. 48 „Roggenbrotbäcker“ (EBNER 2015 s.v.). Als FN Grobecker (183, Eichsfeld). 49 Nach einem Muster wie „que de nenhum modo consintam nas suas cozinhas, nem ainda por moços delas, a negros, mulatos, cabras, ou qualquer cozinheiro, que de sua criação ou inclinação for vil ou proceder com torpes e depravados costumes a.1680[1732] ArteCozinha 207. 50 Falls nicht aus Fleischhauer gekürzt („Klammerform“, KLUGE19) gegenüber „Täter- bezeichnung: Fleischer“ (KLUGE23). 51 Zu dieser Thematik auch BAGOLA (1988). Namen und Berufe – Berufe und Namen 29

DEAURĀTOR), ein *dorier wäre nur als adjektivische Bildung mit einem Grund- wort (z.B. ouvrier dorier „Arbeiter, der vergoldet“) denkbar. Bekannt ist die lateinische Bildungsweise nach dem Muster FABER FERRARIUS, etwa „Eisenhandwerker“, in dem in diesem Fall das bearbeitete Produkt FERRUM „Eisen“ adjektivisch mit der allgemeinen Tätigkeitsbezeichnung FABER „Hand- werker“ (eine Ableitung von FACERE „machen, bearbeiten, herstellen“) kombi- niert wird. Die weitere Entwicklung dieses Musters in den romanischen Sprachen ist bemerkenswert. Im Galloromanischen ist FABER zur alleinigen, im Italieni- schen zu einer Hauptbezeichnung des offenbar zentralen Berufs des Schmieds geworden (fèvre, fabre und fabbro), während sich in den anderen Sprachen das bestimmende Adjektiv verselbständigt hat (ferraro, , ) und als Mus- ter für zahllose weitere Handwerksberufe, die sich auf das bearbeitete Material oder das herzustellende Produkt beziehen, gedient hat. Das Suffix frz. -(i)er, ital. -aro bzw. -aio, span. -ero, port. -eiro dient, als Substantiv, als sofort erkennba- re Berufsbezeichnung, doch geht der adjektivische Bezug im allgemeinen Wort- schatz keineswegs verloren.52 Diese denominalen Bezeichnungen unterscheiden sich deutlich von den deverbalen auf -OR bzw. -TOR. Hierbei ist insbesondere im Französischen das historische „Zweikasussystem“ zu unterscheiden. Während in allen übrigen romanischen Sprachen früh der Akkusativ als Generalkasus die syn- thetische Deklination abgelöst hat, überleben im Altfranzösischen Nominativ und Akkusativ. Das ist im Wortschatz (SENIOR > sire bzw. sieur [vgl. monsieur], nonne bzw. nonnain), in der Namengebung (Charles gegenüber Charlon, Marguerite bzw. Margueritain, hier hat sich normalerweise die Vokativform durchgesetzt) zu beachten, aber auch bei deverbalen lateinischen Substantiven wie CANTOR zu chantre neben chanteur, PASTOR zu pâtre bzw. pasteur, SŪTOR „Schneider, Schus- ter“ zu sudre gegenüber sueur usw. Das nach französischem Muster gebildete deutsche Frisör muss deverbal sein, korrekter wäre, da es sich um eine eher deut- sche Bildung nach französischem Muster handelt, Frisierer.53 Diese „synthetischen“ Ableitungen auf -TOR bzw. -ARIUS sind in der Regel äl- ter als die durchsichtigen „analytischen“ Bildungen, so wie das auch etwa für –––––––— 52 Oder aber auch als Werkzeug- oder Gefäßbezeichnung „das zu etwas dient“ oder Eigenschaften kennzeichnend, nach einem Muster wie spanisch calle s.f. „Straße (innerorts)“ > calleja s.f. „Gasse“ > callejero (1) adj. „die Gasse betreffend“, (2) s.m. „Straßenverzeichnis“, (3) „Herumtreiber“ usw. 53 Vgl. im Rumänischen frizer bzw. frizerie „(Herren-)Frisör, -Geschäft“ vs. coafor (frz. coiffeur) „Damenfrisör(geschäft)“. Hierher möglicherweise die italienischen FN Frisiero (115, Veneto) und Frisieri (63, Lazio), die im DCI fehlen; genannt werden Frisario, Frisari (hier zum ON Frisa gestellt). 30 Dieter Kremer das Deutsche gilt. Bereits im Lateinischen ist die Zusammensetzung mit -FEX „-macher“ als Bildungselement verbreitet. In mittelalterlicher Zeit ist ein Syn- tagma QUI FACIT „der [eine Sache] herstellt“ sehr häufig und wird auch in der Neuzeit zur spontanen Personenkennzeichnung gebräuchlich (qui fait, que faz usw.) und schließlich durch romanische Substantive wie frz. faiseur de „Her- steller von“, mercador de „Händler mit“ usw. abgelöst. Eine derartige verbale Bildung als Grundwort ist besonders bei austauschbaren Objekten sehr häufig, etwa frz. vendre, port. vender „verkaufen“, nach dem Muster Pero Françez que vende agoa ardente, in freier Übersetzung „Peter der Franzose, der Branntwein verkauft“. Im Gegensatz zu der deutschen Entsprechung Schnapsverkäufer eig- nen sich diese spontanen, umgangssprachlichen Relativsätze als Tätigkeits- bezeichnungen weder zur Lexikalisierung noch zur Namengebung. Im Deutschen scheinen, gerade in der Nameninterpretation, Wortbildungs- muster unterschiedlich gebraucht zu werden (zumindest ist mir eine gewisse Heterogenität aufgefallen). Simplizia, deverbale und denominale Ableitungen und Komposita sowie Satznamen, sind neben Lehnwort die Hauptkategorien, doch ergeben sich komplizierte Überschneidungen. In unserem Zusammenhang ist die Endung -er wichtig, die mit lat. -ĀRIUS in Verbindung gebracht wird und in verschiedenen erweiterten Formen -ler, -ner, -ker) begegnet, da sie im Gegensatz zum Romanischen zur Bildung deno- minaler, aber auch deverbaler Ableitungen dient; hinzu kommen weitere ony- mische Funktionen. Die eindeutige Funktion zur Bildung von Berufsbezeich- nungen zeigt sich in sekundären motivierenden Berufsbezeichnungen wie Schmied/Schmieder, Schulz/Schulzer oder Pfister/Pfisterer, vergleichbar mit dem Element -mann, etwa in Schustermann oder Vo(i)gtmann oder -macher, etwa in Schreinermacher. Diese sekundäre Motivation findet sich gelegentlich auch in den romanischen Sprachen, nach dem Muster französisch orfèvre (lat. AU- RIFABER) → rumänisch orfevrier „Goldschmied“. Zwei weitere Elemente sind von besonderem Interesse. Während Zusammen- setzungen mit dem Verbalsubstantiv -macher eine eindeutige Tätigkeitsbezeich- nung mit leicht austauschbarem Bestimmungswort ergeben, wird -mann (oder entsprechendes -frau) überwiegend als Suffix angesehen54 und dem Suffix -er –––––––— 54 „Charakter einer Ableitungssilbe“, BACH 1,162-164, GOTTSCHALD 109, DEBUS 2012: 35 („erlangten wohl auch schon früh Suffixcharakter bei Einbüßung ihrer vollen Wortbedeutung“, hierzu zählt er auch -kind, -heim, -dorf). Ähnliches ist, nur zum Beispiel, bei bestimmten Personennamenelementen wie z.B. wgot. -ildi/-illi u.ä. zu beobachten; einige besonders häufige Namengrundwörter wurden zu Suffixen (frz. -ard, -baud, -bert u.ä.). Namen und Berufe – Berufe und Namen 31 gleichgestellt. Doch wird hier unterschiedlich verfahren, und an einem häufigen Beispiel wie Schuhmacher vs Schumann (Schuster und Schubert oder Schuchardt sind andere Muster) zeigt sich die Problematik. Mit den deutschen Berufsbezeichnungen, die auf den Stamm des Tätig- keitswortes zurückgehen (Simplizia) sind in den romanischen Sprachen vielleicht am ehesten die aus dem Lateinischen direkt als solche übernommenen Berufs- bezeichnungen zu vergleichen, auch wenn diese erkennbare Wortbildungs- elemente enthalten (cantor, aurifex55 usw.). Doch ist eine solche Klassifizierung problematisch, da entsprechende Bezeichnungen „zu jeder Zeit“ gebildet werden konnten. Ist port. pedreiro „Maurer“ direkte „lautgesetzliche“ Nachfolgeform von lateinisch PETRĀRIUS oder liegt eine spontane Ableitung von portugiesisch pedra „Stein“ vor, die sich gegenüber dem Arabismus alvanel (heute noch spanisch al- bañil) durchsetzt hat? Gerade bei Entlehnungen ergeben sich häufig interessante Doppelformen. So ist lat. SARTOR „Schneider“ über das galloromanische bzw. das Katalanische sastre ins Kastilische gelangt und hat dort die arabische Be- zeichnung alfayate abgelöst (die wiederum lat. SARTOR ersetzt hat) und die heute im Portugiesischen noch die Normalbezeichnung für den Schneider ist. Ganz grob zusammenfassend könnte man lat. FABER und Ableitungen mit -FEX im Deutschen mit -macher wiedergeben (so wie das umgekehrt ja meist bei Latinisierung deutscher Berufsbezeichnungen geschieht), substantivierte Bil- dungen auf -ARIUS haben die gleiche Funktion, allerdings wird hier vom Produkt und nicht der Tätigkeit ausgegangen, während im Zweifelsfall ein jüngeres Syn- tagma QUI FACIT + Produktbezeichnung als Ausweichmöglichkeit dienen kann. Den zahlreichen, oft nicht als solche unmittelbar erkennbaren Fremd- und Lehnwörtern im Deutschen wie z.B. PISTOR (Pfister, Pfisterer) oder SŪTOR (hy- bride Bildung in Schuster) entsprechen in den romanischen Sprachen seit den frühesten Kontakten zahlreiche Entlehnungen nicht nur aus germanischen Sprachen, deren Zusammenstellung aus kulturhistorischer Sicht durchaus von Interesse wäre: Hier käme der eingangs betonte Aspekt Europa oder Abendland besonders deutlich zur Geltung. Zu unterscheiden ist etwa zwischen franzö- sischer Mode56 und Sprachkontakten seit römischer Zeit und der Völkerwan- derung bis zu Sprachkontakten bei Migrationsbewegungen der Neuzeit, etwa rumänisch chelner „Kellner“ oder brutar „Broter (Bäcker)“.

–––––––— 55 Überlebt in weitgehend „undurchsichtigen“ Formen: port. ourives, kast. orebce, it. órafo, oréfice, neben den Folgeformen von AURIFĀBER (frz. orfèvre). 56 Einen erster Eindruck vermittelt das rückläufige Verzeichnis unter -ier in EBNER 2015: 971-972, unter -ist 1025-1026 werden „gelehrte“ Bildungen leicht greifbar. 32 Dieter Kremer

Was nun die eigentlichen Berufsbezeichnungen betrifft, so gibt es wie ange- deutet unterschiedliche formale Mechanismen. Ein charretier „Kärrner“, çavetier und cordonnier „Schuster“, bufetier „Essighersteller“, tuilier „Ziegler“, regratier „Kleinhändler“, tesserrant „Weber“, ferpier „Trödler“ usw. sind direkte, eindeutige Berufsbezeichnungen. In anderen Fällen stehen keine derartigen Lexeme zur Ver- fügung, an ihre Stelle treten spontane bildhafte, beschreibende Syntagmen des Typs Adam qui fet boucliers „Schildmacher“, Aliaume de Fontenay qui fet oeuvres sarrazinois etwa „Orientteppichwirkerin“, Guillaume l’Apostre qui fet cages „Kä- figmacher“ und viele andere, die sich allerdings weniger zur festen Beinamen- bildung eignen; hier funktioniert dann meist der pars-pro-toto-Mechanismus: Bouclier, Cage usw. 11. Ein außerordentlich wichtiger und interessanter Typ der Beinamengebung sind die viel behandelten syntaktischen Bildungen mit einer Verbalform und di- rektem Objekt des Typs Spalteholz (113), Brühschwein (34)57, aber auch Würze- besser (29).58 Grundsätzlich kann eine Bildung Imperativ + Objekt vorliegen (so wie in der Sprachwissenschaft überwiegend angenommen wird). Unmittelbar befriedigender ist eine beschreibende Funktion „der eine Sache tut oder her- stellt“, umso mehr als derartige Beinamen gewiss von Dritten gegeben werden und keine Selbstbenennungen (oder Echonamen) vorliegen. Im deutschen Kon- text werden derartige Bildungen des Öfteren mit „(ich) tue etwas“ „übersetzt“, den Beweggrund dafür kenne ich nicht.59 Es überwiegt deutlich die Namen- –––––––— 57 Brühschwein kann natürlich auch „abgebrühtes Schwein“ bedeuten. Diese Pro- blematik der korrekten inhaltlichen und sprachlichen Interpretation ist sehr häufig anzutreffen, vgl. etwa Sparschwein vs Sparwasser, Sparbrod, Sparschuh, Sparmann (oder auch Sparkasse) usw. 58 Häufig auch Personen.-, Geräte- und Gegenstandsbezeichnungen des Typs Garderobe „Schrank zur Aufbewahrung von Kleidung“ (aus dem Französischen übernommen). Dieser Namentyp steht auch für eine Amtsbezeichnung („die Person, die über die ‘Garderobe’ wacht“): it. guardaroba (auch guardarobiere, wie frz. garderobier) und port. guarda-roupa, spanisch guardarropa. Die spätere Bedeutungserweiterung auf Garderobe „Kleidung“ ist in unserem Zusammenhang ohne Bedeutung. 59 Nach dem Muster „Hassenpflug: Übername in Satzform (»[ich] hasse den Pflug«) als Schelte für einen faulen Bauern“ (DUDENFN), ähnlich für Scheuenpflug, wozu BRECHENMACHER: „Die Bezeichnung geht ursprüngl. auf das Zugtier, das den Pflug oder das Joch scheut. Dann wird damit auch der träge, lässige Bauer getroffen“ (s.v. Scheuenpflug). Durchsichtige Bildungen wie Taugenichts oder Tunichtgut sind nach Kluge „ironischer Imperativ“ (KLUGE19 (1963) s.vv., Einträge in der aktuellen Ausgabe nicht mehr enthalten), nach Duden ist Tunichtgut „eigtl. = (ich) tu nicht gut“ (DUDEN. Namen und Berufe – Berufe und Namen 33 funktion gegenüber einer Berufsbezeichnung und entsprechend häufig finden sich derartige Bildungen in der allgemeinen Übernamengebung, der Charak- teristik einer Person. Es ist zu betonen, dass dieser Bildungstyp Verb+Objekt die Brücke zwischen Berufsbezeichnungen und Berufsnamen schlägt. Er entspricht letztlich den zahl- losen deutschen Bildungen auf -macher oder auch -mann, die ja im Grunde kei- ne Berufsbezeichnungen im strengen Sinn sind sondern spontane Benennungen einer Person, die eine bestimmte Tätigkeit ausübt oder genauer ein bestimmtes Produkt herstellt, für die es (noch) keine feste Bezeichnung gibt. Dieser Bildungstyp ist gerade in unserem Kontext sehr häufig anzutreffen, es lohnte daher eine systematische Erfassung (falls nicht bereits geschehen) der- artiger Familiennamen und historischer Beinamen. Die Systematisierung der ent- sprechenden Verben, aber auch der Produkte, ist gewiss von Interesse. Die jewei- lige Einzelinterpretation kann allerdings oft nur annähernd sein. Ein Beispiel wie das bekannte Syntagma Trínkwasser (ich betone einmal spontan, die Akzentverla- gerung zwischen Wort und Name ist zu beachten), das als Familienname im Deutschen erstaunlicherweise kaum nachgewiesen scheint60 und dem im Engli- schen Drinkwater, im Französischen Boileau und im Italienischen der auffällige Typ Bevilacqua sowie Parallelbildungen mit -wein, -bier oder -milch entsprechen, ist mit Sicherheit eine zu diskutierende Verbalbildung. Beinamen wie Bratfisch (190) oder Brathuhn (35) dürften im selben Zusammenhang wie etwa auch Fege- bank (53)61 stehen und nicht eine Lieblingsspeise meinen. Interessant scheint mir, diese eher beschreibenden, bildhaften Übernamen mit konkreten Berufsbezeichnungen z.B. auf -er zu vergleichen. Oft stehen der- artige Bildungen nebeneinander, was man eventuell als spontane oder feste Be- rufsbezeichnung deuten könnte. Eher häufiger sind derartige bildhafte Benen- nungen allerdings als isolierte Namen anzutreffen, sie sind also als individuelle Übernamen, die sich auf eine bestimmte charakteristische Tätigkeit beziehen, zu interpretieren. Doch kann das natürlich auch für eine Ableitung auf -er gelten: Jeder Einzelfall ist zu prüfen.

–––––––— Deutsches Universalwörterbuch 1989 s.v.). Sie haben als Entsprechung Nichtsnutz (da- zu auch nichtsnutzig), dieses könnte eine Lehnbildung nach frz. vaurien oder propre à rien sein, doch sind derartige Bildungen in jeder Sprache parallel möglich. In Familien- namen ist nur Taugenichts belegt (geb. 1845, FamilySearch); Taugnitz (29, Geogen) dürfte Tauchnitz (254) entsprechen (dazu BRECHENMACHER s.v. Tauchnitz < ON). 60 Keine Belege in Geogen oder FamilySearch, dazu jedoch BRECHENMACHER (a.1720). 61 Kein *Bankfeger, allerdings nicht weniger als 38 Bezeichnunger auf -feger (EBNER). 34 Dieter Kremer

Hier nur wenige, zufällige Beispiele62 zur Übereinstimmung Verbalsyntagma und Berufsbezeichnung auf -er: FN Spalteholz (133) ↔ Holzspalter, Holzspälter63 FN Flickschuh (15) ↔ Schuhflicker (Flickschuster)64 FN Hauschild (2.287), Hauschildt (693) ↔ Schildhauer (FN Schildhauer 427) FN Haustein (1.233) ↔ Steinhauer u.ä. (FN Steinhauer 1.945) FN Schneidewein (FamilySearch) ↔ FN Weinschneider (FamilySearch)65 FN Findeisen66 (1.308) ↔ FN Eisenfinder (FamilySearch)67 usw.usf. Keine Entsprechung Syntagma68 und Berufsbezeichnung auf -er gilt etwa für: –––––––— 62 Alle Zahlenangaben beziehen sich auf die Frequenz nach Geogen. Die Mehrzahl dieser Bildungen ist orts- oder regionaltypisch, auf die Verbreitung (und mögliche dialektale Allgemeinbenennungen) kann aber in diesem Zusammenhang nicht näher eingegan- gen werden. 63 Dazu vielleicht auch FN Spaltmann und Spaltner. Holzspalter bei EBNER und im DWB, aber kein entsprechender FN. 64 Keine FN *Schuhflicker (nur Schuhflicker, Schuflicker in FamilySearch < Dänemark) oder *Flickschuster. 65 Als Berufsbezeichnung nicht registriert. 66 An diesem Namen lässt sich beispielhaft die Problematik der korrekten Interpretation zeigen. Berufsbezeichnungen auf -finder sind äußerst selten (in EBNER nur Abfinder); die Wahl ist zwischen Werkzeugbezeichnung und Satzname. Sehr ausführlich geht BRECHENMACHER s.v. auf diesen Namen (mit zahlreichen Varianten) ein, den er als „Aderlasser, Bader“ interpretiert: „Die gewaltige Verbreitung dieses SN läßt sich mit den üblichen Erklärungen (aus dem Werkzeugnamen Finneisen, oder als ‘Glückspilz’ wie Findeklee) nicht begreifen (…)“; ihm folgt LINNARTZ [1957]: 68 und führt die Be- zeichnung letztlich auf frz. ventouse zurück. GOTTSCHALD 1971: 249 stellt Findeisen zu den Werkzeugnamen „[oder doch Satzn.? Vgl. Fundisen…]“. HELLFRITZSCH 2007: 67 stellt den Namen in die Gruppe der Bildungen mit suchen-/finden- und -eisen („be- zeichnet vorrangig einen Schmiedegesellen, gelegentlich evtl. auch einen Glückspilz (…) Die Versuche, zur Erklärung div. Werkzeuge heranzuziehen… vermögen nicht zu überzeugen“). KOHLHEIM (DUDENFN 245) kommentieren s.v. Findeis(en): „im Mit- telalter allgemein verbreitete Berufsübernamen für Schmiedegesellen, denen entweder ein Satzname (»finde [das] Eisen« [hier also imperativische Bildung] oder die Be- zeichnung eines Werkzeugs, das ›Fin(d)eisen‹, ein ›Hammer mit zugespitztem Eisen‹ (< mhd. phinne, vinne ›Nagel, Finne‹)‹ zugrunde liegt. Da dieses Werkzeug auch von Gerbern benutzt wurde, können auch Berufsübernamen für dieses Handwerk vor- liegen.“ 67 Als Berufsbezeichnung nicht registriert, aber als FN belegt (3). Namen und Berufe – Berufe und Namen 35

FN Brenneisen (359), kein *Eisenbrenner69 FN Setzkorn (121), Setzekorn (41), kein *Kornsetzer70 FN Setzepfand (93), Setzepfandt (79), kein *Pfandsetzer FN Gießwein (49), Giesswein (24), kein *Weingießer71 FN Brühschwein (34), kein *Schweinebrüher, *Saubrüher FN Klopfleisch (172), Klopffleisch (15), kein *Fleischklopfer72 FN Bindbeutel (64), kein *Beutelbinder73 FN Wendschuh (83), kein *Schuhwender74 usw.usf. In manchen Fällen bringt auch die umgekehrte Suche Ergebnisse, nach dem Muster Fleischhauer (1.329), dem der FN Hautfleisch (FamilySearch) entspre- chen dürfte. Einem FN Mehltreter (26), Mehltretter (124), der als Berufsbe- zeichnung nicht registriert scheint,75 steht aber kein ÜN *Tretemehl, *Trittmehl gegenüber. Usw. Ein besonderes Problem bei diesem Bildungsmuster ist die nicht immer mög- liche Unterscheidung von Tätigkeitsbezeichnung (nomen agentis) und Werk- zeugbezeichnung (und auch Tierbezeichnung). Nach dem Muster frz. taste-vin „Trinkschale zum Weinverkosten (Stechheber)“, port. abre-latas „Dosenöffner“ wie dt. Türöffner (gegenüber Türsteher) usw. gibt es zahlreiche deutsche Fami- liennamen, deren Interpretation problematisch sein kann. Dazu gehören Namen wie Stechemesser (61, mit der Variante Stechmesser 6), vielleicht auch *Stellpflug (63) u.v.a. aber auch Bildungen wie Schichtholz (11) oder Stopfkuchen (48)76. Für diese Art Bildungen gilt, dass es keine entsprechenden Ableitungen auf -er, also *Messerstecher, *Pflugsteller, *Holzschichter, *Kuchenstopfer usw. gibt.

–––––––— 68 So wie bei einem ÜN des Typs FN Maurenbrecher (19), Mauerbrecher (FamilySearch) keine Berufsbezeichnung entsprechen muss. 69 EBNER nennt nicht weniger als 50 Berufsbezeichnungen auf -brenner. 70 EBNER nennt 37 Berufsbezeichnungen auf –setzer. 71 EBNER nennt 73 Berufsbezeichnungen auf -gießer (-giesser). 72 EBNER nennt nur Steinklopfer und Kattunklopfer. 73 EBNER nennt 70 Berufsbezeichnungen auf -. 74 Dazu noch Wendschuch (7), möglicherweise auch Wenschuh (29). Die auffällige Kon- zentration auf die Oberlausitz könnte auch eine Interpretation im Zusammenhang mit den Wenden nahelegen, vgl. oben Wendschlächter. 75 ØDWB, Ebner, Linnartz. 76 Passive Bildung „Teig in den etwas hinein gestopft wird“. EBNER nennt als Beruf nur den Stopfer. 36 Dieter Kremer

12. Von allergrößtem namenkundlichem aber auch kulturhistorischem und lexi- kographischem Interesse ist in diesem Gesamtzusammenhang die systematische Suche nach Wortelementen, die auf eine berufliche Tätigkeit (oder aber auch be- stimmte Gewohnheiten) hindeuten. Das Ergebnis sind wichtige „Wortfelder“, die sowohl für die Wortgeschichte (nach Bach „Wortbildungslehre“) als auch für die volkstümliche Übernamengebung und deren Verquickung mit den Berufs- bezeichnungen von oft ungeahntem Reichtum sind. Dazu gehören in unserem Zusammenhang lexikalische Elemente wie Eisen, Fleisch, Brot77, Wein, Bier usw. usf. oder eben Grundwörter wie -macher, -mann u.ä. Dieser Wortschatz steht im direkten Zusammenhang mit den Berufsstatuten, in denen, meist im Zusam- menhang mit der Meisterprüfung, die wesentlichen Rohstoffe und Produkte ebenso wie die Arbeitsprozesse minutiös festgehalten werden. In einem Projekt wie dem Berufsnamenglossar wird besonderer Wert auf diesen „sekundären“ Wortschatz gelegt, auch weil dadurch zahlreiche indirekte, als Übernamen er- starrte Berufsbenennungen fassbar werden können. Wenn die Interpretation der- artiger Übernamen meist zwei Deutungen zulässt – den Bezug auf ein cha- rakteristisches Element der beruflichen Tätigkeit oder aber eine wie immer gearte- te Gewohnheit oder Liebhaberei – so lässt sich sehr pauschal vielleicht vermuten, dass die große Mehrzahl im direkten Zusammenhang mit einer beruflichen Tä- tigkeit steht. Zur Illustration hier nur einige wenige, absolut zufällige, Beispiele aus den deutschen Familiennamen: Brotkorb (23), Brodkorb (365) Bestfleisch (14)78 Gutbier (231)79 Brandwein (52)80 –––––––— 77 Dazu CASEMIR (2009). 78 Unter den Lebensmitteln besonders ergiebig, etwa FN (in Auswahl): Gut-, Böse-, Schön-, Jung-, Roh-, Mager-, Rauch-, Kalb-, Rind-, Schweinefleisch oder auch etwa Fleischfresser (78). 79 Eine besonders ergiebiges Wortfeld (in Auswahl): FN Bitter-, Dünn-, Fein-, Frei-, Frisch-, Gut-, Hafer-, Löffel-, Sauer-, Süss-, Scharf-, Warm-, Weiss-, Schön-, Schwarz-, Tisch-, Zuber-, Freibier u.a.m. neben Satznamen wie Beiss-, Füll-, Gies-, Pack-, Schenk-, Schmeck(e)-, Schlucke-, Schwenk-, Spa(h)r-, Streich(s)bier u.a.m. 80 Brandwein (48), Brantwein (4), dazu auch Brandweiner (9),. Eine Zusammenstellung der Übernamen mit -wein- ist wegen des Zusammenfalls insbesondere mit dem Namenelement -wein (wîn) nicht unproblematisch. Eine kleine Auswahl: Alt-, Früh-, Gäns-, Gut-, Jänner-, Kern-, Klar-, Land-, Lauter-, Nacht-, Oel-, Rhein-, Roth-, Sauer-, Süßen-, Töpferwein neben Giess-, Kühl(e)-, Lobe-, Menge-, Seng( e)-, Setzwein u.a. Namen und Berufe – Berufe und Namen 37

Bohnsack (712) Holznagel (187) Fuchsschwanz (34) Backofen (199) Blasebalg (†, FamilySearch) Rosenkranz (2.770), Rosenkrantz (2)81 usw. usf. Eine systematische Durchsicht der zahllosen Berufstatuten (Meisterprüfungen) wäre auch namenkundlich von größtem Interesse, denn Namengleichungen des Typs Johannes Müller genannt Mehl können eine Piste zur Erklärung sehr zahlrei- cher Familiennamen zeigen. Ein zufälliges Beispiel aus Frankreich möge das il- lustrieren: (…) 11. Pourront lesdits maistres travailler à tout ce qui dependra de la taillanderie en euvre blanche, grosserie, vrillerie, tailleurs de limes et ouvriers en fer blanc et noir, quoique par un temps ils se feussent oprdennez à travailler à un desdits ouvrages () / (463) 27. Nul maistre taillandier travaillant en euvres blanches ne fasse grandes coi- gnées, besigues, esbauchoirs, cizeaux, terriers, emouchoirs, essettes, tarrots, gouges quarrées et rondes, planes, marteaux, cizeaux à planches, fermoirs, varloppes, rabots, becdannes, outils de moulins, bachoirs, doloires, fers de coulombres, brochoirs, bondonnières, arrondissoires, grandes scies, grands couteaux à labourer les allées, faucilles à palissades, serpes, serpettes, besches, ratissoires, echenilloires, ebau- choirs, couperets, sindoirs, couteaux d’estal, fusils, grosses haches, couteaux à couper ardoises, tricoises, enclumes, tenailles, etaux, faulx, faucilles, pelles et rapes, cou- teaux à renaire et à pied tranché, coupepaste, houes et hoyaux à laboureur, haches a couper le bois et forces pour tondeurs, lesquels / (464) outils servent à charpentiers, charrons, menuisiers, tourneurs, tonneliers, jardiniers, bouchers, patissiers, maçons, bor- reliers, selliers, couvreurs, que le tout ne soit bien et deuement corroyé et aceré sans paillure ny cassure par l’assemblement, ny rebroussant au taillant () 32. Feront pa- reillement les grossiers et taillandiers toutes sortes de ferrures de maisons, edifices et bastiments, comme ancres, tirans, liens, corbeaux, harpons, sembliers, barres de tremies, soupentes, chevilles, potences à goutières de plomb, ceintures de cuvettes, grosses barres pour les contrecoeurs des cheminées et potences à porter fardeaux, grilles et barreaux pour les fenestres, soupiraux, entrevues, entretoises, gros fers servant aux ponts, fers d’essieux, tourillons, sommiers, chenets et fers à pieux, barres de manteaux de cheminées, ferrures de puits, engins, manivelles, chevreaux, fleaux de toutes sortes de balances et gardes feux et de toute autre grosserie, le tout de bon –––––––— 81 Anders als DUDENFN wohl hauptsächlich Berufsname, dazu auch FN Rosenkränzer 49 (Saarburg). 38 Dieter Kremer

fer et manufacture () 33. Comme aussy ne sera fait esquerre de fer, ferrures de mou- lins, masses, pinces à paveurs, coins à carrières, coins à bois, valets, sergens de menu- isiers, crocs à fumiers, crocs à puits. Fers de poulies, boisseaux, testu à creste, testu à battre, marteaux à tailler de la pierre, rifflards, fers à retordre, repoussoires, ferrures de pieux, pics à hoyau, marteaux, epinoires et couperets à paveurs que le- / (465) tout soit bien asseré sans cassure, paillissure ni fisture, et marqué à chaud, sur les peines que dessus (a.1663 MétiersParis 2,462-465) Produkte der taillandiers (Kleinschmiede) in Paris.

Die große Mehrzahl der hier fett gesetzten Produkte dürfte sich in den Fami- liennamen wiederfinden.82 13. Wann Lexem, wann Name? Grundsätzlich ist festzuhalten, dass jeder Name (nicht nur Über- oder Berufsname) etymologisch ein Lexem ist (er also in der historischen Wortforschung Berücksichtigung finden müsste). Erst die Funk- tion, d.h. die Benennung einer Person, macht dieses Lexem zum Eigennamen. Man könnte hier differenzieren in ausschließlich als Eigenname gebrauchte Wörter wie Maria, Elvira oder Josef, Gonzalo usw. und Bei- und Übernamen, die aus dem allgemeinen Wortschatz gebildet sind. Zu festen Beinamen bzw. Familiennamen werden überwiegend „synthetische“ Berufsbezeichnungen des Typs Schmied oder Färber. Durchsichtige, komplexe (oder analytische) Bildungen wie etwa die mit -macher oder -mann, bei denen das –––––––— 82 Dieser eindrucksvolle Fachwortschatz zeigt das Interesse dieser Art von „Wortfel- dern“, aber auch den Aufwand für eine systematische Untersuchung. Einige Lexeme sind hier erstmals zu datieren oder bisher gar nicht erfasst. Eine sehr rasche, nicht ver- tiefende Kontrolle ergibt folgende Familiennamen (ohne Varianten und Ableitungen), wobei einige durchaus mehrdeutig sein können: Lime (303), Coignée (25), Ciseau (18), Essette (4), Tarrot (17), Gouge (827), Marteau (7.646), Rabot (2.218), Bédane (63), Outil (209), Brochoir (15), Faucille (46), Palissade (3), Serpe (173), Serpette( 286), Bèche (1.119), Couperet (19), Estal (14), Fusil (508), Hache (2.289), Ardoise (128), Tenaille (141), Étal (2), Faux (2.141), Faucille (46), Pelle (4.865), *Râpe (23), Houe (490), Hoyau (504), Hache (2.289), *Force (745); Ancre (30), Tirant (324), *Lien (86) / Liens (146), *Corbeau (2.296), Harpon (318, Martinique), *Barre (23.006), Cheville (189), Gouttière (95), *Ceinture (1), *Cheminée (16), Fardel (1.021), Grille (476), *Barreau (10.275), *Fenêtre (224), *Soupireau (9); Essieu (3), Tourillon (523), Sommier (1.558), *Chenet (2.106), Pieu (33), Engin (22), Manivelle (8), *Chevreau (2.470), Fléau (210), Balance (81), Grosserie (17), Esquerre (1.083), *Masse (17.476), Pince (555), *Coin (1.957), Croc (399), *Fumier (5), Poulie (97), Boisseau (7.593), *Testu (1.790), Rif(f)lard (360), *Pic (2.927), Couperet (19)… Namen und Berufe – Berufe und Namen 39 bedeutungstragende Element nur ausgetauscht werden muss, um eine neue Be- rufsbezeichnung zu erhalten, werden in der Namengebung eher vermieden. Das stimmt mit der (auf den Fleischer bezogenen) Feststellung überein „Das ganze Synonymenfeld überblickend, lässt sich sagen, dass hier i.d.R. die zusammenge- setzten Bildungen von einfachen verdrängt wurden: Trend zur Ökonomie“83. An ihre Stelle tritt dann in der Beinamengebung eine andere, oft bildhafte Benen- nung, das alleinige Bestimmungswort oder eine pars-pro-toto-Bildung, also die indirekte oder mittelbare Berufsbezeichnung. So steht der FN Holzschuh (480) dem Holzschuher (48) gegenüber und es scheint, zumindest im deutschen Tele- fonverzeichnis, kein Holzschu(h)macher zu geben, kein Kannemacher, jedoch Kannegießer (1.197), Kannemann (93) oder Kanne (386), nur Teppich (52), aber kein Teppichmacher, auch kein Teppichwirker, allerdings die Grundform Wirker, die aber für verschiedene Berufe stehen kann. Die Seltenheit oder Besonderheit des Berufs kann hier eine Rolle spielen. Vgl. etwa den FN Paternoster (ist auch Be- rufsbezeichnung!) (106), eventuell auch Noster (129), dem, zumindest in den Fa- miliennamen, keine Berufsbezeichnung Paternostermacher oder Paternosterer (nur ein Beleg aus den USA) gegenübersteht. Allgemein werden eher die Grundberufe genannt, nicht die Spezialisierung, etwa Uhr (433) und Uhrmacher (172), nicht aber Sonnen-, Sand-, Wasser- Klein- oder Großuhrmacher. Hier kommen die indirekten Berufsnamen zur Geltung. Am Beispiel „Kupfer“84 lässt sich die Situation illustrieren. Die Material- bzw. die Produktbezeichnung Kupfer ist als Familienname in nicht weniger als 2.035 Telefonanschlüssen belegt, als abgeleiteter Berufsname nur Kupferer mit 72 Anschlüssen. Als Bestimmungswort ist Kupfer in einer Reihe von Bildungen auch als Familienname nachgewiesen. Es handelt sich um Kupfer - 2.035 Kupferer - 72 Kupfernagel 123 123 Kupferschläger 34 41 Kupferschlaeger 5 2 Kupferschmied 26 23 Kupferschmiedt 3 3 Kupferschmid 210 229 Kupferschmidt 275 283

–––––––— 83 Dtv-Atlas Deutsche Sprache 2004: 197. 84 Nur diese Hauptform. Phonetische Varianten oder die bildhaften Bezeichnungen mit Rot- werden hier nicht berücksichtigt. 40 Dieter Kremer

Kupferschmit 1 1 Kupferschmittt 15 15 insgesamt 792 Kupfer in heutigen deutschen Familiennamen

Das ist selbstverständlich eine sehr pauschalisierende Verallgemeinerung, der zahlreiche Sonderfälle gegenüberstehen. Als weiteres gegensätzliches, komplexes Muster diene der Schuster, das ich aber hier nicht weiter kommentieren möchte (zu den romanischen Bezeichnungen siehe Exkurs II). Nimmt man als Grund- lage die durchsichtige „motivierte“ Schreibung mit -h-, so ergibt sich folgendes Bild, gefolgt von den Hauptvarianten85 der Berufsbezeichnung: Schuh 3.349 Schu 637 Schoh 6 Schoch 1.913 Schuch 1.629 Schühlein 71 [insgesamt 7.605] Schuhmacher 2.981 13.632 Schomacher 101 Schuhmann 2.502 Schumann 21.229 (+ 15 Schuman) Schohmann 7 Schuchmann 581 Schuhknecht 285 Schoknecht 267 Schuster 22.377 Schustermann 14

Schuhbert (USA) Schubert 27.558 Schuchard 128 usw. Schuchardt 1.679 Schuchert 313 Schuhart 20 Schuricht 480 Schuhwerker (USA) Schuhwerk 121 Schuwerk 70 Schuhwirth 134 Schuwirth 43 usw. insgesamt ca. 30.546 –––––––— 85 Ohne Varianten wie Schooster, Schoster, Schuester, Schusther, Schüsterl. Namen und Berufe – Berufe und Namen 41

Schuhflicker (USA < (Dänemark) Schuflicker (USA < Dänemark) Schubletzer (USA < Basel) Schubletzer (USA < Basel) Schollapper (USA < Norwegen) Scholapper (USA < Norwegen)

Graphien mit Schuh- und Schu(h)macher sind durchsichtige Bildungen ebenso wie die Berufsbezeichnung Schuster (die man vielleicht aber nicht spontan mit Schuh verbindet). Auch der Familienname Schu(h)mann wird spontan vielleicht nicht mit dem Schuster assoziiert. Selten begegnen Spezialisierungen als Famili- ennamen (hier -knecht, -flicker oder -lapper). Gleichzeitig wird hier der Weg von der lexikalischen Berufsbezeichnung zum spontan nicht mehr mit dem konkreten Beruf in Verbindung gebrachten Berufsnamen wie etwa auch bei Bä- cker > Becker, Schmied > Schmidt deutlich. Diese Formen werden begleitet vom älteren Typ Schubert und nach und nach verdrängt von der „undurchsichtigen“ Allgemeinbezeichnung Schuster, einer Mischbildung aus dt. Schuh und dem aus der Galloromania entlehnten lat. SŪTOR (dessen Verbreitung durchaus mit der von Pfister < PISTOR vergleichbar ist). 14. Eine namenkundliche Frage, da mit einer Funktion verbunden, ist der Ge- brauch des Artikels. Dieser ist im Lateinischen, auch noch Mittellateinischen unbekannt,86 wurde in der Volkssprache und den romanischen Sprachen mit einem hinweisenden Fürwort (IPSE, ILLE) eingeführt. Eine systematische Unter- suchung der entsprechenden Beinamengebung unter sprachgeographischem Gesichtspunkt der Verhältnisse in den romanischen und angrenzenden ger- manischen Sprachen wäre von Interesse. Während in mündlicher Kommuni- kation der Artikelgebrauch selbstverständlich ist, ist davon in den erstarrten Familiennamen hauptsächlich nur im Französischen (Le-, La-), Italienischen (Il, La, Lo)87 und Rumänischen (-u) etwas zu spüren. Dabei konzentrieren sich diese Bildungen in Frankreich im äußersten, an Flandern angrenzenden Norden.

–––––––— 86 Man vermutet sogar, dass der im Dt. ursprünglich übliche Artikel durch die mittel- lateinischen Übersetzungen weitgehend verschwunden ist; vgl. BACH 1978: 58. 87 Wichtig: Im Italienischen agglutinieren der Artikel oder Präposition mit dem Namen, sie werden daher immer groß geschrieben und entsprechend alphabetisiert, also etwa La Gamba, Lo Duca, Lo Russo, Da San Biagio, Dal Zio, De (s), Del Fabbro, Del Ferraro, Della Fiore, Di Febbraio, Dim alogero, Di Fiore, , Di Veronica, Della Rosa, Della Volpe, Dell’Oglio, Dell’Omodarme usw. im Gegensatz etwa zum Spanischen oder Portugiesischen (da Costa usw.). Im Französischen wird der Artikel angebunden (Lefèvre usw.) ebenso wie im Rumänischen (Cizmaru usw.). Bei statistischen Untersuchungen sind diese unterschiedlichen Formalia zu beachten. 42 Dieter Kremer

Genitivische oder pluralische Markierungen in patronymischer Funktion können in der Familiennamengebung eine Rolle spielen, doch kennen die ro- manischen Sprachen im Prinzip keine Deklination: alle Fälle des Lateinischen sind in einem Generalkasus (normalerweise dem lat. Akkusativ) zusammenge- fallen, der syntaktische Bezug wird durch Präpositionen hergestellt: einem dt. Schmitz entspricht im Italienischen Del Ferraro88 (lat. FERRARIU[M]), im Fran- zösischen wird der Name überhaupt nicht markiert, Fèvre (lat. FABRU[M]) kann auch Genitiv sein. Der Plural ist eine Spezialdiskussion um das charakteristische -i in italienischen Familiennamen89 und allgemein die Frage, wie man den Plural eines Familiennamens bildet (die Schneiders, die Schmitzens, spanisch Los Sast- re, Los Herrero usw.). Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal zum Deu- tschen ist die bereits genannte Kleinschreibung von Lexemen in den romani- schen Sprachen, Wort und Name sind also graphisch unterschieden (sastre „Schneider“ gegenüber Sastre FN Schneider). 15. Nur eine kurze Schlussbemerkung. Namenüberlieferung und hier insbeso- ndere „Texte“ wie Steuerrollen oder Bewohnerverzeichnisse kann man in vielerlei Hinsicht interpretieren und auswerten. Bedauerlicherweise wird so etwas, vor al- lem von sprachwissenschaftlicher Seite, nur selten systematisch durchgeführt, was im Übrigen allerdings auch für die mittelalterlichen Berufsstatuten gilt, auf die ich hier nicht näher eingegangen bin. Die uns in großem Umfang überlieferte histori- sche Dokumentation enthält ein sehr bedeutsames Sprachmaterial, insbesondere Wortschatz, und das heißt nicht nur Berufsbezeichnungen sondern in noch weit größerem Umfang den Fachwortschatz der jeweiligen Berufe wie vorgeschriebene Rohstoffe, Materialien, Bearbeitung und Produkte. Allzu selten wird diese reiche Überlieferung in historischen und etymologischen Wörterbüchern berücksichtigt. Gleichzeitig bildet aber dieser Wortschatz ─ die eigentlichen Berufsbezeichnun- gen und die typischen Gegenstände ─ eine der wichtigsten Grundlagen für die In- terpretation der heutigen, erstarrten Familiennamen. Eigennamen sind in diesem

–––––––— 88 457 Namen, fast ausschließlich im Lazio. Dieser Bildungstyp in Verbindung mit einer Berufsbezeichnung ist nicht häufig, mit Ausnahme vor allem von, anders zu inter- pretierendem Del Prete „vom Priester“ mit 11.608 Personen (Campania 8.228) bzw. Delprete (239, Apulien 88, Emilia Romagna 65, Piemont 47), aber charakteristisch für italienische FN mit Bezug auf etwas (Name, Sache, Ort). 89 Vgl. z.B. Dieter KREMER (2006): Autor de la formation historique des noms de famille italiens, in: Da Torino a Pisa. (Atti delle giornate di studio di Onomastica, Torino, 7-9 aprile 2005, Atti delle giornati di studio di Onomastica, Pisa, 24-25 febbraio 2006), a cura di Alda ROSSEBASTIANO (= Onomastica 1), Alessandria, 3-29. Namen und Berufe – Berufe und Namen 43

Kontext „delexikalisch“ oder „nicht-onymisch“, d.h. dem Alltagswortschatz ent- nommen, doch ist ihre Funktion eine andere als die eines Lexems oder Wortes: Wenn jemand Becker heißt, so ist das nicht dasselbe wie jemand, der Bäcker von Beruf ist, obwohl es sich um dasselbe Wort handelt. Letztlich bietet die Namen- forschung hier eine grundlegende Dienstleistung für die Wortforschung. Es ist be- dauerlich, dass sich beide Disziplinen gegenseitig letztlich nur wenig zur Kenntnis nehmen.

Genannte Literatur und wichtige Nachschlagewerke (kleine Auswahl)

BAMBECK, Manfred (1968): Boden und Werkwelt: Untersuchungen zum Vokabular der Galloromania aufgrund von nichtliterarischen Texten; Mit besonderer Berücksichtigung mittellateinischer Urkunden (= Zeitschrift für romanische Philologie, Beihefte 115), Tü- bingen, Niemeyer. BACH, Adolf. 31978: Die deutschen Personennamen, 2 Bde., 3., unveränderte Auflage. Hei- delberg. BAGOLA, Holger (1988): Zur Bildung romanischer Berufsbezeichnungen im Mittelalter (= Romanistik in Geschichte und Gegenwart (= RomGG) 23), Hamburg. BRECHENMACHER, Josef Karlmann (1957/1963): Etymologisches Wörterbuch der Deutschen Familiennamen, zweite, von Grund auf neugearbeitete Auflage der „Deutschen Sip- pennamen“ (Bände 5-9 der Sippenbücherei), 2 Bände, Limburg a.d. Lahn. CARACAUSI, Girolamo (1993): Dizionario onomastico della Sicilia, 2 Bde. (= Lessici siciliani 7-8), Palermo. CASEMIR, Kirstin (2009): Familiennamen aus Berufsbezeichnungen. Namengebung und Namenmotivation am Beispiel des Bäckergewerbes, in: HENGST, Karlheinz / KRÜGER, Dietlind (Hg.): Familiennamen im Deutschen. Erforschung und Nachschlagewerke, 1. Halbband: Deutsche Familiennamen im deutschen Sprachraum, Leipzig, 165-191. DAFN = HANKS, Patrick (ed.) (2003): Dictionary of American Family Names, 3 vols., Oxford [stark erweiterte Neubearbeitung in Vorbereitung] DCI = CAFFARELLI, Enzo / MARCATO, Carla (2008): I cognomi d’Italia. Dizionario storico ed etimologico, 2 vol., Torino. DEBUS, Friedhelm (2012): Namenkunde und Namengeschichte (= Grundlagen der Ger- manistik 51), Berlin. DENF = MORLET, Marie-Thérèse (1991): Dictionnaire étymologique des noms de famille, Paris. DFA = Deutscher Familiennamenatlas, hg. von Konrad KUNZE, Damaris NÜBLING, Band 3: Morphologie der Familiennamen, von Fabian FAHLBUSCH, Rita HEUSER, Jessica NO- WAK, Mirjam SCHMUCK, Berlin/Boston 2012 [= DFA 3]; Band 5: Familiennamen nach Beruf und persönlichen Merkmalen, von Fabian FAHLBUSCH, Simone PESCHKE, Ber- lin/Boston [= DFA 5]. 44 Dieter Kremer

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Exkurs I: Berufe portugiesischer Juden im 15. Jahrhundert

Provisorische Auswertung nach TAVARES 1984, 395ff. Die in diesem Werk do- kumentierte Bevölkerung umfasst 6.449 Personen. Die Personenliste ist sprach- lich modernisiert und für sprachhistorische Untersuchungen unbrauchbar. Die Berufsbezeichnungen1 werden hier ─ einschließlich oftalmologista2 ─ nach Tava-

–––––––— 1 Nicht berücksichtigt sind die in dieser Publikation an zweiter Stelle als Familiennamen geführten Namen wie Alcaide, Curador, Merchom, Romeiro u.a.m. 2 Diese Bezeichnung (cirurgião e oftalmologista) ist auffallend, im Portugiesischen erst seit 1899 belegt. Denkbar wäre im Original eventuell die Fom oculista (a.1720 Bluteau), die allerdings auch für „Brillenmacher“ stehen kann. Dazu Andre Bom sargento ocu- Namen und Berufe – Berufe und Namen 47 res zitiert, in der historischen Originalüberlieferung gibt es zahlreiche sprach- liche Varianten. Die deutsche Entsprechung ist als Annäherung zu verstehen, im Einzelnen müsste sie präzisiert werden. Das Inventar, hauptsächlich auf der Grundlage von Kanzleiurkunden, gibt Trends an, doch ist natürlich nicht die jü- dische Gesamtbevölkerung erfasst. Insbesondere die einfache Bevölkerung (handwerkliche Berufe) ist gewiss unterrepräsentiert. Die Jahresangaben bezie- hen sich auf den Zeitraum der erfassten Dokumentation.

Bereich (Bezeichnung, Zeitraum) Personen

Textil Schneider (alfaiates a.1385-1496) 500 Wamsschneider (gibiteiros a.1412-1496) 174 Weber (tecelões a.1436-1496: 168; tecedeiras a.1442: 3) 171 Färber (tintureiros a.1390-1496) 51 Wollscherer (tosadores a.1436-1494) 26 Flickschneider u.ä. (algibebes a.1441-1482) 17 Altkleiderhändler u.ä. (adelos und adelas a.1442): 6 Seidenwirker (sirgueiros a.1443-1496) 5 Matratzenmacher (colchoeiro a.1442-1488) 4 Tuchrauher (tintureiro e frisador a.1454) 1 Schneider (costureiro a.1459) 1 Seidenspinnerinnen (fiadeiras de seda a.1442) 1 Stickerin (lavradeira a.1482) 1 Deckenmacher (manteeiros a.1442) 1 Filzhersteller (feltreiros a.1441) 1 Sticker (brosladores a.1434/1442) 1 Stopfer (cerzidores a.1442) 1 Knopfmacher (botoador a.1435) 1

Leder Schuster (sapateiros (a.1395-1494) 426 (borzeguieiro a.1486) 1 Gerber (curtidores a.1417-1455) 13 Absatzmacher(?) (taqueiros a.1455-1496) 10 Pergamenthersteller (pergaminheiros a.14051475) 8 Zaumzeugmacher (freeiros a.1436-1455) 4 Buchbinder (encadernadores (a.1442-1472) 3 –––––––— lista da Madanela a.1589 RegSéLisboa 1,437, Jullião de Torres oculista da Misericordia a.1601 RegSéLisboa 2,160. 48 Dieter Kremer

Kürschner (peliteiros a.1442) 2 Weinschlauchmacher (odreiros a.1442) 1 Riemenschneider (correeiros a.1476) 1 Sattler (albardeiros a.1402) 1

Eisen Schmiede (ferreiros a.1380-1496) 241 Blechschmiede (latoeiros a.1394-1496) 17 Waffenschmiede (armeiros a.1442-1492) 10 Hufschmiede und Tierärzte (ferradores e alvéitares a.1442-1482) 6 Büchsenmacher (espingardeiros a.1475-1492) 4 Schlosser (serralheiros a.1442-1496) 4 Waffenschmied (armeiros a.1442-1492) 4 (mestre de fazer armas a.1458-1470) 2 (mestre de fazer espingardas a.1475) 1 Panzerhemdmacher (malheiros a.1483) 1 Tierglockenmacher (chocalheiros a.1472-1474) 2

Edelmetall, Münzen u.ä. Goldschmiede (ourives a,1382-1496) 131 (ourives e afinador do ouro a.1482) 1 Goldschläger (bate-folha a.1456) 1 Vergolder (douradores a.1496) 1 Silberschmiede (prateiro a.14693) 1 Münzer (fundidores und moedeiros a.1442-1493) 5 Emaillierer (esmaltadores a.1455) 1

Verschiedene Handwerksberufe Handwerker (mesteiral a.1403-1448) 7 Drechsler (torneiros a.1441-1442) 2 Jäger (monteiros a.1442) 2 Seiler (cordoeiros a.1442) 2 Köhler (carvoeiros a.1442) 1 Kerzendreher (cirieiros a.1442) 1 Kammacher (penteeiros a.1442) 1 Maurer (alvanéis a.1442) 1 Schiffer (barqueiros a.1442) 1

–––––––— 3 Als Beiname: „José Prateiro mercador; ourives da imperatriz“. Namen und Berufe – Berufe und Namen 49

Lebensmittel Fleischer (carniceiros a.1437-1487) 27 Winzer (vinhateiros a.1442) 12 Kuchenbäcker (torteiros a.1442) 1 Fischer (peixeiros a.1435) 1 Ölpresser (azeiteiros a.1442) 1

Gesundheitswesen Ärzte (físicos a.1386-1497) 226 Chirurgen (cirurgiões a.1439-1496) 146 Ärzte und Chirurgen (físicos e cirurgiões a.1434-1491) 33 Augenärzte (oftalmologista a.1434-1463) 3 Drogisten (boticários a.1440-1462) 2

Handel Händler (mercadores a.1407-1496) 358 Ladenhändler (tendeiras (a.1435-1496) 25 Gewürzhändler (especieiros a.1396-1497) 24 Kleinhändler (marceiros a.1441-1482) 20 Tuchhändler (trapeiros a.1442) 1 Lasttiertreiber (almocreve a.1441) 1

Pachtwesen (Handel, Verwaltung) Pächter (rendeiros a.1395-1500)4 280 Händler (tratador das moradias a.1462-1495 5 (tratador do trato das 200 mil coroas a.1476) 1

Rechtswesen und Verwaltung (oft mit Präzisierung) Notar (tabelião s.15) 130 Schreiber (escrivão a.1438-1496) 55 Bevollmächtigter (procurador a.1386-1480) 37 Stadtrat (vereador (a.1456-1490) 21 Burgvogt (alcaide a.1439-14915) 17 Kerkermeister (carcereiro a.1442-1495) 16 Rechnungsprüfer (contador a.a.1435-1491) 14 Pförtner (porteiro a.1386-1495) 11

–––––––— 4 Häufig in mehreren Bereichen, oft Gemeinschaftsunternehmen (parceria), auch mit Italienern (hauptsächlich Marco Lomelim, auch Leonardo Lomelim). 5 In einigen Fällen offenbar Familienname. 50 Dieter Kremer

Inquisitor (inquiridor a.1439-1496) 10 Beisitzer (ouvidor a.1450-1490) 8 Steuereinzieher (siseiro a.1406-1493) 8 Generalbevollmächtigter (distribuidor a.1442-1492) 6 Vorsteher (provedor do hospital a.1464-1476) 5 Henker (degolador a.1434-1496) 4 Eichmeister (almotacé a.1437-1496) 4 Einzieher (sacador a.1462-1464) 3 Ausrufer (pregoeiro a.1435-1495) 3 Rechtsgelehrter (doutor da lei a.1442-1472) 2 ( letrado a.1445-1491) 2 Inspektor (vedor a.1492) 2 Vertreter (requeredor a.1453-1471) 2 Staatsanwalt (corregedor na corte a.1450) 1 Rechtsberater (solicitador a.1494) 1 Almosenier (esmoler a.1461) 1 Zöllner (portageiro do duque a.1470) 1 Wächter (guarda a.1482) 1

Religion Rabbi (rabi s.15) 186 (rabi capelão a.1442) 1 Kaplan (capelão a.1442-1487)6 7 (capelão das judias a.1446-1496) 2

Exkurs II Haupttypen der romanischen Bezeichnungen für „Schuster“ in Familiennamen Familiennamen als Museum für (oft untergegangene) Berufe ist ein unendliches Thema, das mit zahllosen Beispielen illustriert werden kann. Die folgende knappe Übersicht über die Hauptbezeichnungen für „Schuster“ in den aktuellen Fami- liennamen der „Romania“ dient als Illustration dieser Thematik, gleichzeitig auch für die Ausstrahlung lateinischer Berufsbezeichnungen in die „Germania“ (hier nur Deutschland). Diese Übersicht dient ausschließlich der Illustration der ge- genwärtigen Situation, auf die komplexe historische sprachliche und berufs- technische Entwicklung, die sich auf eine sehr reiche Überlieferung stützen kann, kann hier nicht eingegangen werden. Den Haupttypen lat. SŪTOR bzw. Ablei- tungen zu CALCEA-, CALIGA-, Corduba-, *zapat-,*skarp- und csizma- stehen na- –––––––— 6 Dazu auch, als weiblicher PN: Caploa a.1418. Namen und Berufe – Berufe und Namen 51 türlich zahlreiche Bildungen nach unterschiedlichen Schuharten (Spezialisie- rungen7), die entsprechenden Ortsnamen und zahlreiche mittelbare Berufs- nennungen gegenüber; auch auf Doppelberufe wie etwa Gerber/Schuster oder entsprechende Amtsbezeichnungen (Kloster, Hof) oder übertragene Bedeutungen wird nicht eingegangen. Die Frequenzen beschränken sich auf die romanisch- sprachigen Haupträume Frankreich, Spanien, Italien und Rumänien; regionale Schwerpunkte werden lediglich angedeutet, nicht im Detail präzisiert. Auf eine (naheliegende) kartographische Gesamtdarstellung wird hier verzichtet, in den genannten Quellen finden sich aber meist Verbreitungskarten.8

I. Lat. SŪTOR, SŪTŌRE „Schneider“ (Ableitung von SŪĔRE „nähen, zusammen- fügen“), vor allem in der Galloromania mit der Spezialisierung „Schuhmacher“ und von hier aus Ausstrahlung in die Germania (FEW 12,480b). Die Abgren- zung zu Gerber (häufig wurden beide Berufe gleichzeitig ausgeübt) und anderen

–––––––— 7 Entweder als eigene Berufsbezeichnung oder Ergänzung zu Schuster. Vgl., nur zur Illustration, im Portugiesischen etwa zapateiro (a.1122), çapateiro ceruilheiro (a.1596) gegenüber sapateiro de cervilhas (a.1600) oder cervilheiro (a.1565), sapateiro remendão (a.1587) gegenüber remendāo (a.1565), sapateiro de chapins dourados (a.1620) ge- genüber chapineiro (a.1487), çapateiro (a.1592) = chiquiteiro (a.1590), sapateiro de cor- reia (a.1325), sapateiro de linha (a.1326), sapateiro de obra grossa (a.1611), çapateyro de obra miuda (a.1588), sapateiro de obra de meninos (a.1565), sapateiro de obra nova, sapateiro de calçado novo (a.1620), sapateiro de calçado velho (a.1552) usw.usf. 8 Frequenzangaben für Frankreich nach I.N.S.E.E. = geopatronyme.com (Geburten 1891-1990, mit Kartographie (Départements). Zu beachten: Für Geburten vor 1946 und Todesfälle vor 1970/1972 sowie durch Eingabefehler können Personen fehlen); für Spanien nach dem Instituto Nacional de Estadística (Gesamtbevölkerung, Stand 1.1.2016, mit Kartographie. Besonderheit: Die Namen werden nach erster und zweiter Position getrennt gezählt, in unserem Zusammenhang addiert. Die Namen können nach Geburts- oder Wohnort abgerufen werden); für Italien nach PatRom-Materialien (Ministero delle Finanze, Steuerpflichtige (rund das Dreifache der Telefonanschlüsse), ca. 1997; Kartographie über www.gens.info); für Rumänien Telefonverzeichnisse; für Deutschland nach Geogen (35 Mio. Telefonanschlüsse zum 31.12.2002, mit Kartogra- phie; oft leicht höhere Frequenzen als im DFA (spätere Telefondaten)). Diese Inventare sind heterogen und nicht unmittelbar miteinander vergleichbar. Belgien, Luxemburg und die Schweiz werden hier nicht berücksichtigt, ebenso fehlt Portugal (keine statistische Auswertung möglich). Kleinräumigere Übersichten für Katalonien und Galicien werden nicht berücksichtigt (weitestgehend aufgefangen durch INE). Vor allem in historischer Perspektive sind die USA (DAFN und FamilySearch), aber auch England (FaNBI) von großem Interesse. 52 Dieter Kremer

Schneider-Tätigkeiten (etwa Handschuhmacher) ist oft fließend. Auf die genaue regionale Verbreitung, die historische Dokumentation und berufsspezifische Geschichte wird hier nicht eingegangen. Die praktisch ausschließlich galloro- manische (altfranzösisch sudre/surre, sueur und altokzitanisch sudor) Bezeich- nung ist untergegangen und wird durch die heutigen Familiennamen dokumen- tiert, im allgemeinen Wortschatz ist die Bezeichnung durch cordonnier (→ Cordŭba-) abgelöst worden. Zu den deutschen Entsprechungen (Typ und mit Ableitungen) siehe DFA 5,374-375 und 401 sowie EBNER 747. Sudre 2.763 (Tarn) Sudret 203 (Dordogne) Sudrot 122 (Haute Vienne) Sudrat 131 (Haute Vienne) Sudreau 239 (Dordogne) Sudraud 95 (Dordogne, Haute Vienne)

Suire 2.848 (Charente Maritime, Deux Sèvres) Suyre 34 (Vendée) Lesuire 19

Sure 261 (Lot et Garonne, Puy de Dôme) Lesure 397 (Marne) *Surre 468 (Ariège) Sur 365 (Elsass) Lesur 3.122 (Nord)

Sueur 4.908 (Somme, Pas de Calais) Lesueur 9.056 (Seine Maritime) 164 (Calvados) Seur 24 Leseur 1.237 (Haute Marne) Leseure 210

Sudour 314 (Corrèze) Sudor 3

Insgesamt: 26.983 Dazu die Wohnstättennamen („Schusterei“) Sudrie (639, Dordogne) und Surie (14, Pas- de-Calais).9

–––––––— 9 Zu hinterfragen sind Surrier (79, Nièvre) und Surier (197, Yonne). Es könnte sich um durch sekundäre Motivation erweiterte Berufsbezeichnungen handeln, weniger um nfrz. surrier (< lat. SŪBER, FEW 12,332) „Korkeiche“. Namen und Berufe – Berufe und Namen 53

Als Ergänzung zu den auf lat. (bzw. galloromanisch) SŪTOR zurückgehenden (ober)deutschen Bezeichnungen für den Schuster und deren Niederschlag in den Fami- liennamen (hier mit der für Lothringen charakteristischen Aussprachewiedergabe mit frz. -ou- für /u/) die Angaben für Frankreich10: Suter 399 (Elsass) Sutter 3.530 (Elsass) 34 (Lothringen) Soutter 84 (Lothringen Zoutter 13 (Meurthe et Moselle)

Sauter 565 (Elsass) Sautter 123 (Elsass)

Insgesamt: 4.748

Dazu noch:11 Schuster 2.025 (Elsass, Lothringen)12 Schouster 12

Schumacher 1.940 (Lothringen, Elsass) Schuhmacher 470 (Elsass, Lothringen) Schoumacher 626 (Lothringen) Schoumaker 24913 Choumaker 34 (Meuse) Schumann 314 (Elsass, Lothringen)14 Schuman 66 Schuhmann 63 (Lothringen, Elsass) Schoumann 102 (Lothringen) Choumann 9 (Meuse)

–––––––— 10 In Italien gehören vermutlich (6, davon 5 in Treviso), Sutter (54), Suter (46) und Sutteri (12, davon 9 in Gorizia) in diesen Zusammenhang. 11 Im DFA 1,401 insgesamt deutlich weniger Belege (und nicht die wichtigen Varianten Schuh- und Schou-), da lediglich auf den Zeitraum 1891-1915 bezogen (als Quelle irrtümlich die „Pages jaunes“): Schuster 435, Schumacher 445, Schumann 94, Schubert 110. Nicht erfasst habe ich hier seltene Namen wie Schustermann (1, a.1891-1915, Paris), Geogen 114 (DFA 12) oder Kleinschuster (DFA 14, nicht in Geogen). Es ist befremdlich, dass im DFD die deutschen Belege aus Frankreich keine Berück- sichtigung finden. 12 Die geläufige Form in Italien/Südtirol ist Schuster 413 (Bozen 382). 13 Offensichtlich die dt. Form mit der frz. Aussprache von -ch- (Ach-laut). 14 In Italien Schumann 10 (Triest 7). 54 Dieter Kremer

Schubert 475 (Elsass, Lothringen)15 Schoubert 43 (Lothringen) Schuber 84 Schouber 74 Choubert 16 Schubart 49 (Loiret)

Schuchard 50 (Aube) Schuchardt 19 (Elsass, Lothringen)

Schuchmann 15 (Lothringen)

Sutorius 26 (Seine-Maritime)

Insgesamt: 6.787

II. Aus der Wortfamilie von lat. CALCEUS „Schuhwerk, Beinkleid“ stammt CAL- CEOLĀRIUS, Grundlage für die hochitalienische Bezeichnung des Schusters calzolaro (calzolaio) (LEI 9,1080-1086)16. Sie strahlt vom Mittelitalienischen aus und verdrängt Typ III caligaro und Typ IV scarparo im Norden. Calzolaio 611 (Puglia, Campania) Calzolai 316 (Toscana) Calzolaro 399 (Puglia) Calzolari 6.102 (Emilia-Romagna)17 Calzolaretti 5 (Lazio) Calsolaro 239 (Puglia) Calciolari 631 (Lombardia)

insgesamt: 8.303

III. Lat. CALIGĀRIUS, Ableitung von CALIGA „Halbstiefel“ und im älteren Italie- nischen als caligaro (in der Toscana galigaio) überlebt hauptsächlich in den heutigen Familiennamen.

Caligari 42218 Caligaris 1.103 (Piemonte) Caligara 207

Calegaro 102

–––––––— 15 In Italien Schubert 55 (Triest, Mailand). 16 Ein früher Beleg auch dem GlossProf ist z.B. Rustico caltiolario a.1087(or.) Florenz). 17 7 Belege in Deutschland (Geogen). 18 6 Belege in Deutschland (Geogen). Namen und Berufe – Berufe und Namen 55

Calegari 1.334 (Lombardia) Calegaris 5 Calegher 11

Calligaro 1.288 (Friuli)19 Calligari 331 Galligari 28 Calligaris 1.606 (Friuli) Calligher 202 Calligara 6 Calligarich 24

Callegaro 4.180 (Veneto) Callegari 8.028 (Veneto, Emilia-Romagna, Lombardia)20 Callegher 896

Calgaro 1.462 (Veneto) Calgarini 25 Calgarotto 70

insgesamt: 21.331

IV. Eine komplexe Wortfamilie rankt sich um it. scarpa. In den meisten Fällen dürfte es sich um scarpa „Schuh“, das vermutlich auf ein germ. *skarpa in ähn- licher Bedeutung zurückgeht, handeln. Neben scarparo steht möglicherweise auch scarpellino als Bezeichnung für den „Schuster“. Scarpa mit Ableitungen ist in den italienischen Familiennamen sehr häufig vertreten. Scarparo 1.340 (Veneto 924, Lombardia) Dello Scarparo 21 (Abruzzo) Scarpari 565 (Lombardia, Veneto) Scarparolo 77 (Veneto) Scarpariolo 49 (Veneto) Scarpieri 34 (Veneto)

*Scarpellino 652 (Lazio, Campania) *Scarpellini 4.158 (Lombardia, Emilia-Romagna, Toscana)

insgesamt: 6.896

V. Nicht definitiv geklärt ist die etymologische Herkunft des wohl über das Arabi- sche vermittelten Wortelements [ṣabbat-], das vor allem für die Westromania –––––––— 19 26 Belege in Deutschland (Geogen). 20 25 Belege in Deutschland (Geogen). 56 Dieter Kremer charakteristisch ist (FEW 21,535-538 usw.). Die Ableitung spanisch zapatero, por- tugiesisch sapateiro steht wertneutral für „Schuster“ (zu zapato, sapato „Schuh“), im Galloromanischen und Italienischen eher für „Flickschuster“ (savate, ciabatta „gebrauchter Schuh, Latschen; Pantoffel“), dazu auch FRANKLIN 631-632. Im Ita- lienischen ist neben der Ableitung auf -ARIUS bei einigen Berufsbezeichnungen die Ableitung auf -ĪNUS charakteristisch, doch ist die Abgrenzung gegenüber einer Deminutivform von ciabatta nicht eindeutig. Portugal: Sapateiro Spanien:21 Zapatero 5.075 (Palencia, Valladolid) Zapater 3.746 (Barcelona, Valencia, Teruel) Sabater 12.782 (Catalunya) Sabaté 9.382 (Tarragona)

Insgesamt: 30.985

Frankreich:22 Savetier 113 (Marne) Savatier 711 (Vienne) Morlet = lyonnaisSavetier 113 (Marne)

Sabatier 12.293 (Gard, Haute Garonne) Sabathier 1.431 (Avwyron, Gers) Sabattier 443 (Loire) Sabatié 1.106 (Tarn-et-Garonne) Sabater 522 (wohl Import) Sabaté 673 (PyrOr = cat.) Sabatey 32 (Gironde)

Chavatier 9 (Var)

Insgesamt: 17.333

–––––––— 21 Auffallend ist die vergleichsweise geringe Zahl entsprechender FN in Spanien, auch in Galicien kein einheimischer FN Sapateiro. Zapater ist offensichtlich eine Anpassung des katalanischen Sabater. 22 In Frankreich gab es die savetonniers, sie standen zwischen den sueurs und den savetiers. Sie haben offensichtlich keine Spuren in den Familiennamen hinterlassen, vielleicht sind aber Savaton 269 (Vienne) und Sabaton 265 (Ardèche) in diesem Zusammenhang zu interpretieren. Auch als Wohnstättename: Sabaterie 32 (Loire). Namen und Berufe – Berufe und Namen 57

Italien:

Zusätzlich zur -ARIUS-Ableitung steht im Italienischen ciabattino für „Schuster“. Auch ciabattone scheint in diesen Zusammenhang zu gehören, es überwiegt vielleicht die Bedeutung „schlechter Schuster“. Die zahlreichen Konnotationen und Ableitungen von ciabatta erlauben keine sichere Zuordnung. Ganz ausgeklammert werden hier die sehr zahlreichen Familiennamen mit dem PN Sabbatino.

Ciabattari 304 (Toscana) Zavattaro 831 (Piemonte) Zavattari 50 (Lombardia)

Savattero 20 (Piemonte) Savatteri 431 (Sicilia)23 Zavattiero 412 (Veneto) Savattiere 7 (Toscana, Sicilia) Savattieri 48 (Sicilia) Zavattieri 103 (Sicilia)

Savettiere 37 (Sicilia) Savettieri 23 (Sicilia)

Savatarelli 7 (Lombardia, Puglia) Zavattarelli 68 (Lombardia, Emilia-Rioagna) Ciabattini 655 (Toscana) Zabattin 227 (Veneto, Friuli) Zabattini 23 (Lombardia)

Ciabattoni 1.131 (Marche, Abruzzo) Ciabbattoni 5 (Centro)

Savattone 12 (Piemonte) Savatoni 12 (Lazio)

Insgesamt: 4.406

Rumänien: Im Rumänischen ist ciubotar (mit der Variante cebotar) veraltet und eine regionale Ent- sprechung (Moldavia) zu cizmar und opincar (→ VII). Die Bezeichnung gilt hauptsäch- lich für den Hersteller (nicht Verkäufer) und ist abgeleitet von rum. ciubotă (ciobotă,

–––––––— 23 5 Belege in Deutschland (Geogen). 58 Dieter Kremer cioboată) n.f. „stiefelartige Schuhart“. Daneben hat ciubotă die gleiche abwertende Be- deutung wie frz. savate „alter Schuh, Latschen“. In den rumänischen Familiennamen stehen meist die Grundformen und die „artikulierten“ Formen mit dem nachgestellten bestimmten Artikel -u nebeneinander; hinzu kommen weitere charakteristische Ablei- tungen mit -escu (patronymisch) oder -aş (diminutiv).24

Ciubotar 17 Cebotari 10

Ciubotaru 60 Ciubotariu 50 Cebotaru 11

Ciubotărescu 5 Ciubotăraşu 10

Insgesamt: 163

VI. Von ganz außergewöhnlicher Bedeutung muss im Mittelalter (Ziegen-)Leder aus Córdoba (Spanien) gewesen sein. In ganz Europa wurde Leder nach dieser Methode gegerbt und weiter verarbeitet, entsprechend häufig und vielfältig sind die nach dieser Stadt gebildeten Bezeichnungen auch im Deutschen (EBNER 402, mit Familiennamen; ERB 1986: 261, FRANKLIN 203-204; ØDFA). In den romani- schen Sprachen stehen die beiden Ableitungen CORDUBĒNSIS (altfrz. corvois) und CORDUBĀNUS (cordouan) nebeneinander, «ob die beiden benennungen seman- tisch identisch waren, ist heute schwer mehr festzustellen» (FEW 2,1182-1183).25 Daneben begegnet gelegentlich auch das substantivierte Adjektiv corduanus als Berufsbezeichnung, falls nicht als mittelbare Benennung zu interpretieren.26 Diese Form ist insbesondere für Italien charakteristisch, hier wird sie von der weibli- chen Variante (wohl auf pelle s.f. „Fell, Leder“ bezogen) begleitet. Früh wurde cordubanarius in cordonnarius, eigentlich „Seiler“, umgedeutet. Die Familienna- men sind für den Norden Frankreichs charakteristisch,27 sie finden ihre Fortset- –––––––— 24 IordanDNFR 129 nennt noch die Diminutivform Ciubotărică. 25 Offensichtlich lassen sich aus der historischen Überlieferung Differenzierungen erken- nen. So hatte in Metz z.B. der corvisier nicht das Recht, Corduan-Leder zu verarbeiten. Die cordouaniers stellten insbesondere Schuhsohlen her. Usw. 26 Ticbaldus Cordoanus (a.1164), Frogerius Cordoen = Frogerius le Cordenner (a.1208), Cordoans Jakemes (a.1269).u.ä. 27 In der historischen Überlieferung des äußersten Nordens (Picardie, Lorraine) stehen im 12. und 13. Jahrhundert hauptsächlich folgende Formen nebeneinander: cordubanarius, cordubennarius, cordouanier, corduaniers, cordoueniers, cordouennier, Namen und Berufe – Berufe und Namen 59 zung mit zahlreichen Varianten im germanischsprachigen Raum, einschließlich England.28 (a) cordŭbēnsis

Frankreich:

Courvoisier 1.772 (Jura, Doubs) Lecourvoisier 18 (Orne) Crouvoisier 90 (Moselle) Crouvizier 270 (Vosges) Crouvezier 263 (Vosges)

Le Corvoisier 67 (Côtes d’Armor) Lecorvoisier 8 Corvaisier 1.614 (Ille-et-Vilaine) Le Corvaisier 328 (Côtes d’Armor) Corvisier 811 (Marne, Meuse, Ardenne) Crovisier 322 (Bas-Rhin, Vosges)

Corbisier 316 (Nord) Corbesier 13 (Nord) Corbusier 9 (Nord) Corbusié 20 (Nord) Corvisy 179 (Ardennes)

Insgesamt: 6.100

Italien:

Corvisiero 19 (Ligzuria, Piemonte) Corbisiero 1.202 (Campania)29 Corbisieri 84 (Süden) Corbisier 7 Corvisiero 19 Corvisieri 63 (Lazio, Sicilia) Corviseri 24

–––––––— cordoenier, cordoennier, cordenier, cordonnier, cordewaniers, cordewannier, cordouanier, corduanier, cordowenier, cordewenier, cordouuenier, corduenier, cordewanner, cardewanner, cordewinier, cordueneir… 28 Gut belegt ist cordewaner und cordwainer als Hauptform bereits im 11. und 12. Jahr- hundert. Vgl. auch FaNBI s.v. Cordiner. 29 5 Belege in Deutschland (Geogen). 60 Dieter Kremer

Courvisier 5

Carbosiero 63 (Puglia) Carbisiero 69 (Campania) Corbisiero 1.202 (Campania)30 Corbosiero 123 (Puglia)

Insgesamt: 1.678

Frankreich

Cordonnier 5.161 (Nord, Pas de Calais) Cordonnié 16 (Pyrénées Atlantiques) Cordonier 24 (Rhône) Cordonié 13 (Pyrénées Atlantiques) Cordonner 50 (Bretagne) Cordenier 135 (Nord) Cordenner 36 (Bretagne) Cordonnaire 4 (Normandie)

*Cordouan 116 (Côte d’Armor, Nord) *Corduan 338 (Bretagne) *Corduant 209 (Nord) *Courdouan 174 (Var)

Insgesamt: 6.102

Italien

*Cordovano 9 (Sicilia) *Cordovani 458 (Toscana, Lazi) *Cordovana 202 (Sicilia)

*Corduano 26 (Calabria) *Cordoano 143 (Calabria) *Corduana 63 (Sicilia) *Cordoana 15 (Sicilia)

Insgesamt: 916

VII. Die heutige Hauptbezeichnung im Rumänischen31 cizmar „Schuster“ ist ei- ne Bildung mit cizmă s.f. (aus ungarisch csizma) „Schuh (Militär, gehobene Ge-

–––––––— 30 Nach DCI s.v. irrtümlich zu einem (unbelegten) frz. corbisier „Korbmacher“. Alle Namen dieser Gruppe fehlen in MINERVINI 2005. Namen und Berufe – Berufe und Namen 61 sellschaft)“ und dem romanisch-rumänischen Suffix -ar (vergleichbar mit rum. brutar „Broter (Bäcker)“, zu brut „Schwarzbrot“< dt. Brot). In den rumänischen Familiennamen stehen meist die Grundformen und die „artikulierten“ Formen mit dem nachgestellten bestimmten Artikel -u nebeneinander; hinzu kommen weitere charakteristische Ableitungen mit -escu (patronymisch) oder -oiu (aug- mentativ, pejorativ).32 Die traditionelle Bezeichnung der einfachen Bevölkerung ist opincar, zu opincă (aus slavisch (bulgarisch) opinka). Cizmar 3 Cismar 2

Cizmaru 10 Cismaru 50

Cismărescu 20 Cismăroiu 2 (Banat)

Insgesamt: 87

Opincar 19 Opincaru 68 Opincariu 54

Insgesamt: 141

Zusammenfassung (Familiennamen mit „Schuster“ in den romanischen Hauptsprachen)

Frankreich

Typ Sueur 26.983 Typ Savetier 17.333 Typ Corvisier 6.100 Typ Cordonnier 6.102

Insgesamt: 56.518

–––––––— 31 Ich danke Frau Prof. Dr. Domniţa TOMESCU (Bukarest) für die detaillierte Übersicht über die Situation in Rumänien. Die Frequenzangaben nach dem aktuellen Telefon- verzeichnis. 32 IordanDNFR 133 nennt noch Cizmaşu, Cismaşu (mit dem Diminutivsuffix -aş) und Cizmăriţă (mit weiblicher Ableitung von cizmar oder direkt von cizmăriţă „Frau des Schusters“). 62 Dieter Kremer

dt. Typ Sutor 4.748 dt. Typ Schuster (usw.) 6.787

Insgesamt: 68.053

Italien

Typ Calzolaro 8.303 Typ Caligaro 21.331 Typ Scarparo 6.896 Typ Ciabatt- 4.406 Typ Corbisiero 1.678 Typ *Cordovano 916

Insgesamt: 43.530

Spanien

Typ Zapatero 30.985

Rumänien

Typ Ciubotar 163 Typ Cizmar 87 Typ Opincar 141

Insgesamt: 391

Rosa Kohlheim Beinamen nach dem Beruf als Quelle des mittelhochdeutschen Wortschatzes

Die weite Verbreitung der Beinamenführung fällt zeitlich zusammen mit der Entfaltung und Spezialisierung des Handwerks in den mittelalterlichen Städten. Es ist „eine Zeit reichster Wortschöpfung, in der für die einzelnen Tätig- keitsgebiete oft drei bis vier verschiedene Benennungen auftreten, sozusagen tastende Versuche für eine neue Erscheinung den entsprechenden Ausdruck zu finden“ (BÜCHER 1914: 10; vgl. auch NÖLLE-HORNKAMP 1992: 51). Auch wenn Beinamen „sehr häufig Erstbelege für entsprechende Appellative des All- gemeinwortschatzes“ darstellen (KREMER 2012: 300), ignorieren die großen Wörterbücher sie aus verschiedenen Gründen, u.a., „weil Namen in aller Regel isoliert, nicht in einem lexikalischen Kontext stehen“, das namenkundliche Ma- terial „allzu regelmäßig“ (KREMER 1992: 254). In der vorliegenden Arbeit befasse ich mich mit Beispielen aus dem mittel- alterlichen Regensburg. Bei meiner Untersuchung der Beinamen nach Be- ruf, Amt und Stand (KOHLHEIM 1990) auf der Grundlage der beiden Bände des Regensburger Urkundenbuchs bis zum Jahr 1378 stellte ich fest, dass nicht alle den Beinamen zugrunde liegenden Bezeichnungen im Mittelhochdeutschen Handwörterbuch und in dem Taschenwörterbuch (einschließlich der Nachträge) von Matthias LEXER verzeichnet waren. Solche Beinamen müssen aber in die- sem frühen Stadium der Beinamenentwicklung gängige Appellative gewesen sein, sodass sie eine wichtige Quelle für die Erschließung des mittelhoch- deutschen Wortschatzes darstellen.1 Ein Teil der auch in meinem Material vorkommenden Berufsbezeichnungen2 sind bereits von Klaus MATZEL und Gerhard ZIPP in dem Artikel Nachträge (IV) zum Mittelhochdeutschen Handwörterbuch von Matthias Lexer (1986) und von Klaus MATZEL, Jörg RIECKE und Gerhard ZIPP in dem Band Spätmittelalterlicher

–––––––— 1 Entsprechende Ergänzungen, auch unter Einbeziehung der Übernamen, haben u.a. NEUMANN 1981: 249-251 und HELLFRITZSCH 2007: 590-593 vorgelegt. Bei ca. 28% der im Regensburger Urkundenbuch belegten Übernamen handelte es sich um Erst- bzw. Frühbelege der zugrunde liegenden Appellative (KOHLHEIM/KOHLHEIM 2014: 110- 128). 2 Amts- und Standesbezeichnungen werden im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht berücksichtigt.

Onomastica Lipsiensia/OL 13 (2018), S. 63-72. 64 Rosa Kohlheim deutscher Wortschatz aus Regensburger und mittelbairischen Quellen (= MRZ, 1989) berücksichtigt worden. Die von diesen Autoren herangezogenen Belege stammen aus dem im ersten Band des Regensburger Urkundenbuchs enthaltenen Wundenbuch, das die zwischen 1325-1349 verhängten Strafen wegen Tot- schlags, Körperverletzung und Hausfriedensbruchs registriert. Die Wahl dieser Quelle hängt wohl damit zusammen, dass bei vielen Personennennungen durchaus noch mit einer Identität zwischen dem Beinamen und dem ausgeüb- ten Beruf zu rechnen ist. Aus dem Bereich des Flachsanbaus ist von MATZEL/RIECKE/ZIPP die Berufs- bezeichnung flægslær ʻFlachsbearbeiter, -verkäuferʼ ergänzt worden (MRZ: 335), aus dem Bäckergewerbe Hornoffer ʻBäcker von Hornaffenʼ, einem Gebäck in Form eines doppelten Horns (MRZ: 135-136), und lebzelter ʻLebkuchen-, Honig- kuchenbäckerʼ (MRZ: 188), aus der Bierbrauerei moltzmocher für den für die Malzzubereitung zuständigen Brauknecht (MRZ: 198). Nicht verzeichnet bei LEXER sind folgende Bezeichnungen für Metallhandwerker: helmsmit ʻVer- fertiger von (Metall-)Helmenʼ (MRZ: 128), plattensmit ʻHersteller von eisernen Brustplatten und von Plattenharnischenʼ (MRZ: 49-50) und zingiesser ʻZinn- gießer, Hersteller von Zinngerätenʼ (MRZ: 375-376). Mehrdeutig ist die Be- rufsbezeichnung chanler / chonler, die sich sowohl auf einen Kannengießer als auch auf einen Dachrinnen-, Dachtraufenmacher beziehen kann (MRZ: 152- 153). Der tůchberaiter war im Textilgewerbe als Tuchappretierer, Tuchwalker tätig (MRZ: 312). Für Händler sind mehrere Bezeichnungen erschlossen wor- den: hauchuffel ʻHeuhändler, Heuverkäuferʼ (MRZ: 138), geschirrer ʻHändler mit (hölzernem) Geschirrʼ (MRZ: 105), aircheuffel ʻEierhändlerʼ (MRZ: 87), protverchauffer ʻBrothändler, Brotverkäuferʼ (MRZ: 63), smerber ʻVerkäufer von Schmer (Fettwaren, Speck, Schmalz)ʼ (MRZ: 285). Weitere Ergänzungen betreffen die Berufsbezeichnungen abzieher ʻAbdecker, Schinderʼ (MRZ: 3-4), chotschepfe ʻUnratbeseitiger, Kanalräumerʼ (MRZ: 324-325) und padloter. MATZEL/RIE- CKE/ZIPP gehen bei padloter von mhd. badelat ʻEinladung zum Badeʼ aus und fassen seine Tätigkeit vorsichtig, d.h. mit Fragezeichen, als „ʻAusrufer (der zum Besuch des Bades einlädt)ʼ?“ auf (MRZ: 20-21). In Anlehnung an Ernst SCHWARZ (1953/1954: 34) gehe ich von mhd. loter ʻGaukler, Possenreißerʼ aus und verstehe padloter als ʻGaukler, der zur Unterhaltung der Gäste in der Bad- stube tätig warʼ (KOHLHEIM 1990: 94). Anhand des von mir untersuchten Regensburger Beinamenmaterials lassen sich noch weitere Bezeichnungen aus verschiedenen Berufsbereichen erschlie- ßen, die in LEXER nicht aufgeführt sind. Aus dem landwirtschaftlichen Bereich Beinamen nach dem Beruf als Quelle des mittelhochdeutschen Wortschatzes 65 stammen Arbaisser3 (Ableitung von mhd. areweiʒ ʻErbseʼ) und Rbner / Rubner4 (Ableitung von mhd. ruobe, rüebe ʻRübeʼ). Beide Berufsbezeichnungen sind we- der im Deutschen Wörterbuch (= DWB) noch im Bayerischen Wörterbuch von Johann Andreas SCHMELLER (= SCHMELLER) enthalten. Sie müssen aber geläufig gewesen sein, da sie nicht nur in Regensburg als Beinamen überliefert sind: Un- ter den sudetendeutschen Beinamen findet sich a.1351 ein Beleg für Arbeysserin (SCHWARZ 1957: 85), Erbysser ist a.1521 in Tübingen dokumentiert (BRECHEN- MACHER 1957/1960: 412), Belege für Rubner / Rübner sind im 14. Jahrhundert mehrmals in Nürnberg nachweisbar (-ERHARD 1959: 261), die Vari- anten Ruober / Růberin begegnen bereits in oberrheinischen Quellen des ausge- henden 13. Jahrhunderts (SOCIN 1903: 528). Die Berufsbezeichnungen Arbaisser (ʻErbsenbauer, -händlerʼ) bzw. Rbner / Rubner (ʻRübenbauer, -händlerʼ) kön- nen zwar Ausdruck einer beruflichen Spezialisierung sein, doch dürften sie sich eher auf einen Teilaspekt der Tätigkeit eines Bauern und / oder Händlers bezo- gen haben. Bei Chienr5 (Ableitung von mhd. kien ʻKien, Kienspan, Fackelʼ) handelt es sich um eine Berufsbezeichnung aus dem Bereich der Waldwirtschaft für je- manden, der Kienholz spänt und verkauft. Ein Kienmarkt ist a.1297 in Wien dokumentiert (DWB 11, 684). Für Frankfurt a.M. ist im Jahr 1367 der Beruf des kynemengers ʻder Kienspäne feil hältʼ überliefert (BÜCHER 1914: 69). In Nürn- berg kommt kiner / Kyener / Kiener mehrmals im 14. Jahrhundert als Beiname vor (SCHEFFLER-ERHARD 1959: 182), in Chemnitz ist Khyner / Kyner im 15. Jahrhundert bezeugt (HELLFRITZSCH 2007: 131). Bei der Berufsbezeichnung Cynhekel (zu mhd. kien + mhd. heckel ʻHacker, Hauerʼ), die einmal im Jahr 1333 in Nürnberg nachweisbar ist (SCHEFFLER-ERHARD 1959: 183), dürfte es sich um ein Synonym handeln. Die im Deutschen Wörterbuch (11, Sp. 683) vor- gelegte Erklärung der Berufsbezeichnung Kiener („im bergbau, z.b. in Tirol, ein kohlenbrenner oder holzknecht, der kien in die schmelzhütten liefert“), die von EBNER (2015: 373) in sein Wörterbuch historischer Berufsbezeichnungen über- nommen wurde, kann für die aufgeführten Belege aus dem städtischen Milieu nicht zutreffen. Drei aus Regensburger Beinamen erschlossene Berufsbezeichnungen stehen in Verbindung mit der Jagd: Sparbergevass / Sparbervass, wahchttelvaher und

–––––––— 3 Purch. Arbaisser (1342; RUB I, 982), vgl. auch KOHLHEIM 1990: 36. 4 Heinrich den Rbner (1369; RUB II, 841, Reg.), Heinrich Rubner, mezzer (1374; RUB II, 1063a, Reg.), vgl. auch KOHLHEIM 1990: 107. 5 Chienr vischr (1370; RUB II, 906), vgl. auch KOHLHEIM 1990: 41. 66 Rosa Kohlheim

Zeissler. Sparbergevass bzw. Sparbervass6 (zu mhd. sperwære, sparwære ʻSperberʼ + mhd. gevaʒʒen ʻfassen, erfassenʼ bzw. vaʒʒen ʻfassen, ergreifenʼ)7 bezeich- neten jemanden, der diesen für die Jagd wichtigen Vogel fing. Doch hat sich diese spezielle Berufsbezeichnung ebenso wenig durchgesetzt wie wachttelvaher8 (zu mhd. wahtel ʻWachtelʼ + mhd. vāhen ʻfassen, fangenʼ) für den Wachtel- fänger. Da die Wachtel ein beliebtes Vogelwild war, ist es nicht verwunderlich, dass das Synonym Wächteler (fnhd. wechteler) als Appellativ (DWB 27, 178; vgl. auch BÜCHER 1914, 131: wechteler = wechtelnfenger) und Familienname (vgl. HELLFRITZSCH 2007: 287-288 mit zahlreichen Literaturhinweisen) begegnet. Zeissler9 (Ableitung von mhd. zīsel, zeisel, zeyssel ʻZeisigʼ) kann als Zeisigfänger aufgefasst werden und dürfte einen Teilaspekt der Tätigkeit eines Vogelstellers bezeichnet haben. Das Aufkommen einer solchen Berufsbezeichnung ist darauf zurückzuführen, dass der Zeisig ein beliebter Stubenvogel war (LINNARTZ 1958: 270). Das spätmittelalterliche Bäckergewerbe zeichnete sich vor allem in den grö- ßeren Städten durch eine ausgeprägte Spezialisierung aus (vgl. CASEMIR 2009). In Frankfurt am Main weist der Bäckerberuf „nicht weniger als 12 Spezialitäten“ auf (BÜCHER 1914: 17). In dieser Hinsicht ist Regensburg keine Ausnahme,10 und so fördern die Beinamenbelege mehrere Berufsbezeichnungen zutage, die in LEXER nicht verzeichnet sind. Abgesehen von Hornoffer und lebzelter, die Teil der Ergänzungen von MATZEL/RIECKE /ZIPP sind (siehe oben), lassen sich noch drei weitere Bezeichnungen anführen: Pritznær, Oblater und Pfadlatr. Bei Pritznær11 (Ableitung von mhd. prēze ʻBrezelʼ) liegt eine Berufsbezeichnung für den Bäcker vor, der auf das Backen von Brezeln spezialisiert war. In Nürnberg ist Pretz(z)ner im 14. Jahrhundert mehrmals belegt (SCHEFFLER-ERHARD 1959: 74), die movierte Form Precznerin a. 1356 in Eger (SCHWARZ 1957: 68). Die Variante Brezzeler begegnet mehrmals in Baseler Quellen gegen Ende des 13. Jahrhunderts (SOCIN 1903: 511), ebenso Bretzeller im Jahr 1341 (BRECHEN- MACHER 1957-1960: 215). Eine weitere Variante, Pretzger, ist a.1484 im bayri- –––––––— 6 dez Sparbergevass sun (1340; RUB I, S. 749), dez Sparbervass sun (1344; RUB I, S. 753), vgl. auch KOHLHEIM 1990: 123-124. 7 Ableitungen auf mhd. -e (< ahd. -o) erscheinen oft apokopiert und sind im unter- suchten Korpus nur noch selten nachzuweisen. 8 Wernher wachttelvaher (1373; RUB II, 1022, Reg.); vgl. auch KOHLHEIM 1990: 137-138. 9 Chunr. Zeissler (1338; RUB I, 806); vgl. KOHLHEIM 1990: 147 mit weiteren Belegen. 10 Vgl. die Zusammenstellung der Bezeichnungen aus dem Bäckergewerbe bei KOHL- HEIM 1990: 155. 11 Otlein dem Pritznær (1326; RUB I, S. 734); vgl. auch KOHLHEIM 1990: 101. Beinamen nach dem Beruf als Quelle des mittelhochdeutschen Wortschatzes 67 schen Schwaben belegt (BRECHENMACHER 1957/1960: 215). Pretzner, Brezzeler, Pretzger fehlen im Wörterbuch historischer Berufsbezeichnungen von Jakob EBNER, das nur Bre(t)zelbäcker verzeichnet (EBNER 2015: 118). Unter Oblater12 ist der Hersteller eines feinen, dünnen Gebäcks zu verstehen. Dieser Berufszweig ist im Wien des 15. Jahrhunderts dokumentiert (POTTHOFF 1938: 119). LINNARTZ (1958: 163) verzeichnet zwar den Familiennamen Oblater, doch hat diese Berufs- bezeichnung weder im Deutschen Wörterbuch noch in EBNERS Wörterbuch histo- rischer Berufsbezeichnungen Aufnahme gefunden. Pfadlatr13 ist eine Ableitung von dem selten belegten mittelhochdeutschen Appellativ pfadelāt ʻeine Art Back- werkʼ und bezeichnet dessen Hersteller. Offensichtlich hat sich diese Berufs- bezeichnung weder als Appellativ noch als Familienname durchsetzen können. Mhd. gīselitze bzw. gīsliz galt einer seit dem 12. Jahrhundert bekannten, brei- artigen Speise, „eine[r] entlehnung aus slav. Kochkunst“, die auch im Meier Helmbrecht (v. 473) erwähnt wird (DWB 5, Sp. 2622-2623; vgl. auch SCHMELLER I, Sp. 952). Die Bezeichnung Geislitzer für den Hersteller ist im 14. Jahrhundert in Regensburg14 und Brünn15 als Beiname dokumentiert, fehlt aber in den ein- schlägigen Wörterbüchern. Für den Hersteller von Handschuhen, die aus Leder, Seide, Wolle und als Teil der Rüstung aus Eisen gemacht wurden (vgl. DWB 10, Sp. 416), ist aus den Regensburger Beinamen die Bezeichnung hantschuhr,16 die auch in Nürnberg vorkommt,17 zu ergänzen. Als Synonyme waren auch Handschuster18 und Hand- schuhmacher19 geläufig. Mit Handschuhstricker (vgl. SCHWARZ 1957: 128) konn- te nur der Hersteller von wollenen Handschuhen gemeint sein. Das Regensburger Beinamenmaterial führt uns das Nebeneinander mehrerer Bezeichnungen für den Verfertiger des Plattenpanzers deutlich vor Augen: plattner / plottner,20 plattensloher21 und plattensmit22 (vgl. KOHLHEIM 1990: 99). –––––––— 12 Ott der Oblater (1362; RUB II, 498, Reg.); vgl. auch KOHLHEIM 1990: 92. 13 Hainr. Pfadlatr (1370; RUB II, 906). 14 lbel Geyslitzzer (1339; RUB I, S. 744), umb Ælblein den Geislitzzer (1346; RUB I, S. 758), vgl. auch KOHLHEIM 1990: 61. 15 SCHWARZ 1957: 106 führt den Beleg Nic. Geisliczer (a.1343) an. 16 Ulreich dem hantschuhr (1372; RUB II, 974, Reg.); vgl. auch KOHLHEIM 1990: 67. 17 SCHEFFLER-ERHARD 1959: 149, vgl. auch EBNER 2015: 284 s.v. Handschuher. 18 Vgl. SCHWARZ 1957: 128; LINNARTZ 1958: 88; SCHEFFLER-ERHARD 1959: 149; KOHL- HEIM 1990: 67. Ein Lemma Handschuster fehlt in EBNER 2015: 284. 19 Vgl. BÜCHER 1914: 57; HELLFRITZSCH 2007: 97; EBNER 2015: 284. Diese Berufs- bezeichnung hat sich im Allgemeinwortschatz durchgesetzt (DWB 10, Sp. 418). 20 Hain[reich] plattner (1376; RUB II, 1120), Hans plotner (1346; RUB I, S. 758). 68 Rosa Kohlheim

Deren Aufkommen „spiegelt den Wechsel in der ritterlichen Bewaffnung wi- der, der in dem Vordringen des Plattenharnisches im Gegensatz zum alten Ket- tenpanzer besteht“ (HEIMPEL 1926: 267, vgl. auch PALLA 1997: 250-253). Wäh- rend plattner / plottner als Varianten von mhd. blatenære/blatner anzusehen sind, fehlen plattensloher und plattensmit in LEXERS Mittelhochdeutschem Handwörterbuch. MATZEL/RIECKE/ZIPP verzeichnen, wie bereits erwähnt, plat- tensmit, nicht jedoch plattensloher, und umgekehrt vermisst man ein Lemma Plattenschmied im Wörterbuch historischer Berufsbezeichnungen (vgl. EBNER 2015: 549). Aus dem Bereich der Metallverarbeitung können noch weitere Berufs- bezeichnungen erschlossen werden. Bei Hakchensmit23 (zu mhd. hacke ʻAxt, Hackeʼ + mhd. ʻSchmiedʼ), auch in Nürnberg (SCHEFFLER-ERHARD 1959: 147) und Eger (SCHWARZ 1957: 124) als Beiname bezeugt, handelte es sich um einen Schmied, der Äxte und eiserne Hackwerkzeuge herstellte. Diese Handwerkerbezeichnung, die auch im Wörterbuch historischer Berufsbezeich- nungen verzeichnet ist (EBNER 2015: 274), lebt heute noch als Familienname fort (vgl. LINNARTZ 1958: 85, KOHLHEIM/KOHLHEIM 2005: 301). Syber,24 u.a. auch in Nürnberg (SCHEFFLER-ERHARD 1959: 285) und Chemnitz (HELLFRITZSCH 2007: 250) als Beiname belegt, galt dem Handwerker, der Siebe verfertigte, dem Siebmacher (vgl. PALLA 1997: 310). Als schaidreisser25 (zu mhd. scheide ʻdie Scheide des Schwertesʼ + mhd. rīʒen ʻeinritzenʼ) wird ein Metallhandwerker be- zeichnet, der die Schwert- und Messerscheiden mit Ornamenten verzierte (vgl. BRECHENMACHER 1960/1963: 619, BAHLOW 1980: 450). Diese Bezeichnung fehlt in einschlägigen Wörterbüchern, die aber den Hersteller, den Scheidenmacher, bzw. den Ausbesserer, den Scheidenbüßer, aufführen (vgl. DWB 14, Sp. 2411- 2412, EBNER 2015: 635). Goldnr26 (zu mhd. golt, -des ʻGoldʼ bzw. mhd. Vergul- den, -gülden ʻvergolden, übergoldenʼ) ist ein im Spätmittelalter weit verbreiteter Beiname,27 dem die Tätigkeit des Vergolders, der Altäre, Heiligenschreine, Reli- quiare, Getäfel, Rahmen u.a. mit Goldplatten oder Blattgold überzog, zugrunde –––––––— 21 Martein der plattensloher (1342; RUB I, 988). 22 umb Heinr. den plattensmit an sand Chassans hof (1339; RUB I, S. 741). 23 Chunrat des Hakchensmitz hausfrau (1377; RUB II, 1167, Reg.); vgl. auch KOHLHEIM 1990: 65. 24 umb Ulr. den Syber (1326; RUB I, S. 736); vgl. auch KOHLHEIM 1990: 129-130. 25 Chuntzel der schaidreisser (1326; RUB I, S. 736); Chunr. Schaidreizzer (1371; RUB II, 939); vgl. auch KOHLHEIM 1990: 112. 26 her Nyclas der Goldnr (1346; RUB I, 1158, Reg.); vgl. auch KOHLHEIM 1990: 62. 27 Vgl. HELLFRITZSCH 2007: 85 mit zahlreichen Literaturhinweisen. Beinamen nach dem Beruf als Quelle des mittelhochdeutschen Wortschatzes 69 lag. Im 14. Jahrhundert begegnet Chetnr28 in Regensburg, Eger (SCHWARZ 1957: 114) und Straßburg (BRECHENMACHER 1960/1963: 35) als Beiname, die Be- rufsbezeichnung ist aber erst im Frühneuhochdeutschen als kettener ʻKettenschmied, Verfertiger von Schmuckkettenʼ verzeichnet (GÖTZE 1967: 134). Die Regensburger Beinamen liefern auch ergänzende Bezeichnungen für Holzhandwerker, z.B. Almereyrer, Sydlr, Schefwricher. Unter Almereyrer29 (Ableitung von mhd. almerīe) ist der Hersteller von Schränken und kasten- artigen Behältern zu verstehen (vgl. MRZ, 7-8 s.v. almarein), doch hat diese Be- rufsbezeichnung weder als Appellativ noch als Familienname Verbreitung ge- funden. Die Berufsbezeichnung Sydlr30 (Ableitung von mhd. sidel, sidele ʻSitz, Sessel, Bank mit Polsternʼ) für den Hersteller solcher Möbelstücke muss im Spätmittelalter geläufig gewesen sein, denn sie begegnet außer in Regensburg auch in Basel (SOCIN 1903: 531) und Chemnitz (HELLFRITZSCH 2007: 250-251) als Beiname und hat sich als Familienname bis heute erhalten (KOHL- HEIM/KOHLHEIM 2005: 621-622); als Appellativ ist sie jedoch untergegangen. Bei Schefwricher31 (zu mhd. schif, schëf ʻSchiffʼ + wirker, wurker ʻder etwas hervor- bringt, schafft, arbeitet, bearbeitet, bewirktʼ) liegt eine Berufsbezeichnung für den Schiffbauer vor. Sie ist als Scheffwürcher im Wörterbuch historischer Berufs- bezeichnungen (EBNER 2015: 644 s.v. Schiffwerker) verzeichnet, doch fehlt sie im Deutschen Wörterbuch. Dieses enthält jedoch die in Frankfurt a.M. im 14. Jahr- hundert dokumentierten Synonyme schiffmecher und schiffzymmerman (BÜ- CHER 1914: 105; vgl. DWB 15, Sp. 88, 107). Manche aus dem Regensburger Beinamenmaterial erschlossenen Berufs- bezeichnungen beziehen sich auf Händler. Zu nennen ist beispielsweise Prot- man32 (mhd. brōt ʻBrotʼ + mhd. man ʻMannʼ) für jemanden, der Brot verkaufte. Diese Berufsbezeichnung ist zwar als Familienname bezeugt (BRECHENMACHER 1957/1960: 226), hat sich aber nicht als Appellativ durchgesetzt (vgl. DWB 2, Sp. 405). Das Synonym protverchauffer ʻBrothändler, Brotverkäuferʼ wurde bereits bei den Ergänzungen von MATZEL/RIECKE/ZIPP (siehe oben) erfasst. Der Beiname

–––––––— 28 her Chunrat Chetnr (1348; RUB I, 1209); vgl. auch KOHLHEIM 1990: 41. 29 umb den Almereyrer den schreiner = Der Almereyr (1342; RUB I, S. 550); dez Altmareyr (1356; RUB II, 211, Reg.); vgl. auch KOHLHEIM 1990: 35. 30 H. Sydlr (1370; RUB II, 906); vgl. auch KOHLHEIM 1990: 130. 31 Wolchn der Schefwricher (1325; RUB I, 496, Reg.), Gotz Schefburcher (1358; RUB II, 316), Gotz schefwurcher (1360; RUB II, 397); vgl. auch KOHLHEIM 1990: 112-113. 32 Hrtel des Protman (1368; RUB II, 773b, Reg.); vgl. auch KOHLHEIM 1990: 103. 70 Rosa Kohlheim

Lorbirer33 (Ableitung von mhd. lōrber ʻLorbeerʼ) begegnet auch a. 1345 in Brünn (SCHWARZ 1957: 196). Die im 15. Jahrhundert in Frankfurt belegte Bezeichnung lorberer wird als ʻLorbeerhändlerʼ gedeutet (BÜCHER 1914: 79), es ist aber anzu- nehmen, dass der betreffende Händler neben Lorbeer auch andere Gewürze und Kräuter verkaufte (vgl. EBNER 2015: 457 s.v. Lorbeerer ʻGewürzhändlerʼ). Dem Regensburger Beinamen gerbentragr34 (mhd. gërwe, gërwen ʻHefeʼ und mhd. trager im Sinne von ʻHändlerʼ) liegt die Tätigkeit des (hausierenden) Händlers mit Backhefe zugrunde (vgl. SCHMELLER I, 934 s.v. Gerben (Gerbm, Germ), EB- NER 2015: 242 s.v. Germträger, 763 s.v. Träger), bei Půchspamer/Puchspaumer35 (Ableitung von mhd. buhsboum ʻBuchsbaumʼ) die des Händlers mit Buchs- baumholz. Das Aufkommen dieser Berufsbezeichnung dürfte mit dem Bedarf an Buchsbaumholz zusammenhängen, da Sättel mit Vorliebe aus solchem Holz hergestellt und mit Leder überzogen wurden (HEIMPEL 1926: 182, Anm. 64). Aus den angeführten Beispielen geht deutlich hervor, dass Beinamen nach dem Beruf eine ertragreiche Quelle für die Ergänzung des mittelhochdeutschen Wortschatzes darstellen. Es konnten nicht nur synonymische Bezeichnungen für manche Berufe, etwa hantschuhr neben mhd. hantschuoster, plattensloher und plattensmit neben mhd. blatenære/blatner, ermittelt, sondern auch viele Zeugnisse für die spätmittelalterliche Spezialisierung des Handwerks, etwa Hak- chensmit, Syber, schaidreisser, Goldnr, Chetnr beigebracht werden. Bei Lorbi- rer, Rbner / Rubner, Zeissler u.a. erhebt sich die Frage, ob sie als Bezeichnungen eigenständiger Berufe oder als Berufsübernamen aufgekommen sind.36

Quellen und Literatur

BAHLOW, Hans (1980): Deutsches Namenlexikon. Familien- und Vornamen nach Ur- sprung und Sinn erklärt (= suhrkamp taschenbuch 65), 5. Auflage. Frankfurt a.M.

–––––––— 33 Lorbirer (1358; RUB II, 316), Lorberr (1361; RUB II, 448), Di Lorbirerinne (1370; RUB II, 888); vgl. auch KOHLHEIM 1990: 83. 34 Heinrich der gerbentragr (1358; RUB II, 298); vgl. auch KOHLHEIM 1990: 60. 35 Reichfrit der Půchspamer (1326; RUB I, 517; in den Fassungen B und D dieser Urkunde lautet der Beiname Puchspaumer), der Reychfrit Puchspamer (1333; RUB I, 701), der Reichfrit Puchspmer (1334; RUB I, 737); vgl. auch KOHLHEIM 1990: 103-104. 36 Vgl. KOHLHEIM 1990: 152. MOREU-REY 1981: 128 erwähnt den katalanischen Spitz- namen Pansero (ʻRosinenhändlerʼ), der einem Verkäufer von Rosinen und Trocken- obst beigelegt wurde. Beinamen nach dem Beruf als Quelle des mittelhochdeutschen Wortschatzes 71

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Dietlind Kremer Regionale Namenüberlieferung als Spiegelbild beruflicher Tätigkeiten

0. Vorüberlegung Für den Moment könnte man denken, dass zu Berufsnamen allgemein aber auch zu solchen im sächsischen Gebiet bereits alles bearbeitet und beschrieben wurde, beginnend mit der Dissertation von HELLFRITZSCH (1964) zu ober- sächsischen Familiennamen an der hiesigen Universität (veröffentlicht 1969, erweitert 1992), fortgesetzt durch die Namenbücher von NEUMANN, NAUMANN, aber auch durch Einzeluntersuchungen wie z.B. von SOLLUNTSCH, FLEISCHER, KRÜGER, HELLFRITZSCH (1984) u.a.

Mit dem Erscheinen des 5. Bandes des Deutschen Familiennamenatlas (DFA) im Jahr 2016 zu den „Familiennamen nach Beruf und persönlichen Merkmalen“ ist dieser Gruppe von Familiennamen umfassende Aufmerksamkeit zuteil ge- worden, ebenso natürlich durch die einschlägigen überregionalen Familien- namenbücher (NAUMANN, KOHLHEIM u.a., den DTV Atlas Namenkunde von Konrad KUNZE und andere Veröffentlichungen). Auswahlkriterium des DFA und des DUDEN FAMILIENNAMEN (2005) war die Namenfrequenz. Berück- sichtigt wurden die 10 000 häufigsten Namen und ihre weniger frequenten Va- rianten. Zudem erschien im Jahr 2015 das „Wörterbuch historischer Berufs- bezeichnungen“ von Jakob EBNER, das auch Familiennamen berücksichtigt und als wichtiges Nachschlagewerk in diesem Kontext nicht vergessen werden darf. Welche Desiderata bzw. offene Fragen gibt es noch, die im Rahmen der Leip- ziger Tagung thematisiert werden müssen? Ganz bestimmt ist es richtig und sinnvoll, 2017 den Blick erneut auf regionale Berufsbezeichnungen bzw. die Familiennamenüberlieferung in Sachsen zu lenken und zu prüfen, ob durch neue Editionen auch noch unbekannte Berufsbezeichnungen bzw. Berufsnamen ermittelt werden können. Außerdem sind, abgesehen von HELLFRITZSCH (2007) die sächsischen Arbeiten in einer Zeit entstanden, als effektive Kartierungs- programme noch nicht zur Verfügung standen und regionale Präferenzen der Namengebung wesentlich schwieriger zu ermitteln waren. Die von Wolfgang Fleischer erarbeitete Karte „Laut- und Wortgeographie in deutschen Familien- namen (vgl. Abb. 1) greift diese geographische Staffelung der Familiennamen auf. Es heißt dort:

Onomastica Lipsiensia/OL 13 (2018), S. 73-109. 74 Dietlind Kremer

Auch die appellativische Wortgeographie beeinflußt den Namenschatz. Die Berufs- bezeichnung Töpfer ist bodenständig nur im Ostmitteldeutschen- also auch der ent- sprechende Berufsname. In Bayern und Schwaben heißt er dagegen Hafner, teilweise auch im Rheinland, an der Küste Pötter und Pöttner. Dort finden wir dann diese Wörter auch als Familiennamen. Den Stellmacher kennt man im Ostmitteldeutschen und im Nordosten, in Bayern und Schwaben und im gesamten Westen heißt er Wagner, daneben noch Rader, Esser, Speicher. Niederdeutsche Bezeichnungen für den sind Dreger, Draeger, Träger, Dreier; hierzu gehören Namen wie Holz- träger, Bornträger, Stuhldreier. Auf ein slawisches Lehnwort für ʻDorfschenkeʼ geht Kretschmar, Kretzschmer zurück. Es bezeichnet den Wirt, vor allem im Ostmittel- deutschen; vorwiegend oberdeutsch ist Leitgeb (…). niederdeutsch Krüger. (AGRICOLA/FLEISCHER/PROTZE 1970: 680).

Abb. 1: Laut- und Wortgeographie in deutschen Familiennamen, aus AGRICOLA/FLEISCHER/PROTZE 1970: 681. Hier ergibt sich siebenundvierzig Jahre später die Möglichkeit, diese beschrie- benen bzw. in der Karte aufgezeigten geographischen Präferenzen bei Berufsna- men zu prüfen bzw. auch zu präzisieren (vgl. die Häufung des Namens Töpfer im Landkreis Elbe-Elster, die von Krüger im gesamten Nordosten Deutschlands und die von Stellmacher im Landkreis Annaberg, Abb. 2-4). Regionale Namenüberlieferung als Spiegelbild beruflicher Tätigkeiten 75

Abb.: 2: Die regionale Verteilung des FN Töpfer (Quelle: geogen 3.2.).

Abb. 3: Die regionale Verteilung des FN Krüger (Quelle: geogen 3.2.). 76 Dietlind Kremer

Abb. 4: Die regionale Verteilung des FN Stellmacher (Quelle: geogen 3.2.). Es ist schon vielfach und an unterschiedlichen Stellen darauf hingewiesen wor- den, dass Familiennamen in den letzten Jahrhunderten nach und nach verloren gegangen sind und weitere verloren gehen. Fast die Hälfte des heutigen Famili- ennamenschatzes ist zumindest laut Telefondaten nur noch einmal vorhanden. Und genau deshalb ist m.E. ein Blick einerseits auf neue Editionen historischer Quellenwerke und damit auf regionale Namenüberlieferungen und andererseits auf die aktuellen Familiennamen sinnvoll. Immer wieder werden wir in der Namenberatungsstelle der Universität Leip- zig durch Anfragen zu Familiennamen auch vor die Frage gestellt, was ein so und so Benannter eigentlich machte, also zu „Motivik und Aussagekraft“ (KOHLHEIM 1997) der Namen. Eine Frage, die im Abstand von ca. 700 Jahren gar nicht ohne weiteres beantwortet werden kann und oftmals interdisziplinär untersucht werden muss. Es sind also die seltenen und regionalen Berufs- namen(formen), die als Sprach-und Sachzeugen noch näherer Untersuchung bedürfen. Dies möchte ich an einigen Leipziger Namen illustrieren. Während es für den transparenten Familiennamen Goldschläger leicht fällt, sich die dazugehö- rige Tätigkeit vorzustellen: „ein Handwerker, der in Handarbeit Blattgold her- stellt“ (EBNER 2015: 254), zumal uns entsprechende zeitgenössische Holz- schnitte, wie z.B. von Jost AMMAN (1568) auch helfen können, ist es für andere Regionale Namenüberlieferung als Spiegelbild beruflicher Tätigkeiten 77 wesentlich schwieriger. Es gibt eine ganze Reihe von Berufsbezeichnungen, die auf -schläger enden.1 Beispiele aus dem Leipziger Adressbuch von 19372, der mutmaßlich umfangreichsten Zusammenstellung regionaler Namen des 20. Jahrhunderts, sind elf Einträge mit dem Endelement -schläger, darunter un- mittelbar verständliche Namen wie Lautenschläger, Oelschläger/Oehlschläger, Waldschläger, aber auch Wollschläger bzw. Wullschläger („Handwerker, der Wolle reinigt, die Fasern lockert und gleichmäßig verteilt, indem er sie mit ei- nem Bogen (Wollbogen) schlägt und mit einer Kardätsche streicht“, EBNER 2015: 839), ein Schellschläger („Musikant, der das Glockenspiel schlägt und mit Trommlern, Pfeifern usw. zusammenspielt“, EBNER 2015: 636) und ein Koppen- schläger (d.h. Kupferschläger). Was aber machte ein Frauenschläger? Nur aus der Kenntnis der Klammerformen bzw. durch kontextuelle Informationen können wir eine ältere Form z.B. „Frauen-holz-schläger“ rekonstruieren, also einer „der im Nonnenkloster rodete“ o.ä. Zu der Schwierigkeit, „spätmittelalterliche Be- deutungsfelder und Benennungsanlässe präzise zu formulieren und die lokal bzw. regional geltende Bedeutung der Wörter exakt zu ermitteln“, schreibt HELLFRITZSCH (2016: 499ff.) in seinem Rezensionsaufsatz zu Band 5 des Deut- schen Familiennamenatlas. Eindrucksvoll verweist er gerade mit Blick auf die Regionalität von Familiennamen nach dem Beruf auf die Aussagekraft der Kar- tierung historischer Quellen und deren Vergleich mit der aktuellen Verbreitung.

1. „Sächsische“ Familiennamen aus Berufsbezeichnungen

Mit der Veröffentlichung des jüngsten sächsischen Familiennamenbuchs von Volkmar HELLFRITZSCH (2007), der die Personennamen der Städte Zwickau und Chemnitz bis zum Jahr 1500 bearbeitet hat, sind diese beiden westsächsi- schen Städte gut bearbeitet. Für Dresden hat Wolfgang FLEISCHER (1961) die Namen der Ratsmitglieder bearbeitet und ICKERT (1980) die slawischen Famili- ennamen im 19. Jahrhundert. Es fehlt also eine Gesamtdarstellung des Dresdner Namengutes. Für Leipzig sind die (leider nicht gedruckte) Dissertation von SOLLUNTSCH (1991) und einzelne Aufsätze von KRÜGER bzw. KREMER (2002, 2006, 2013) oder auch von EICHLER (1970 und 2011) zu slavischen Familienna- men in Leipzig zu nennen. Im Namenkundlichen Zentrum stehen noch weitere Materialsammlungen von Qualifizierungsarbeiten zur Verfügung. –––––––— 1 EBNER (2015: 956-957) führt 165 unterschiedliche Bildungen auf -schlager, -schläger bzw. -slager an. 2 Die Familiennamen dieses Adressbuches wurden von uns digitalisiert und können somit nach Namenbestandteilen durchsucht werden. 78 Dietlind Kremer

HELLFRITZSCH (2007) hat Bei- und Familiennamen nach Amt, Stand und Be- ruf Südwestsachsens erfasst und hinsichtlich der Bildung und Bedeutung be- schrieben. Bei den zugrunde liegenden Berufsbezeichnungen dominieren mit 173 Namen Ableitungen, wobei denominale (100) gegenüber deverbativen (59) überwiegen. Als Komposita sind 97 Berufsbezeichnungen als Berufsnamen überliefert. Die Berufsnamen „im eigentlichen Sinne“ ordnet er zwölf Bedeu- tungsgruppen zu, wobei in Zwickau und Chemnitz Namen der Gruppe 6: Berg- bau, Metallgewinnung und -verarbeitung am häufigsten sind. Ausgewählte sächsische Namen werden kartiert, so z.B. Schettler, Schubert, Schürer, Wächtler u.a. Solluntsch hat unter 1.792 Leipziger Familiennamen des Zeitraumes 1200 bis 1500 284 der Gruppe der Berufsnamen zugeordnet. Diese historischen Na- men(formen) sind im Anhang dieses Beitrages angefügt, da diese Dissertation ungedruckt blieb. Die historische Überlieferung zeigt als die fünf häufigsten Familiennamen der Stadt Leipzig von ca. 1200 bis 1500 ausschließlich Namen aus Berufsbezeichnungen: „Dabei steht der Familienname Müller mit 103 Bele- gen unangefochten an der Spitze. Es folgen die Namen Schmidt (56), Schulze (54), Koch (31) und Schneider (30) in ihren verschiedenen Varianten“ (SOLLUNTSCH 1991: 117). Auch deutschlandweit sind Familiennamen aus Be- rufsbezeichnungen die häufigsten (Abb. 5).

Abb. 5: Die häufigsten Familiennamen Deutschlands (nach KOHLHEIM/KOHLHEIM 2005: 51). Graphik: Anna Müller.

Mit Hilfe des Programms Geogen können im sogenannten Betalabor regionale Namenlisten für Landkreise bzw. kreisfreie Städte abgerufen werden, zumindest die nach Telefonanschlüssen häufigsten sechzig. Dabei bedeutet „regional“ hier zunächst nur, dass diese Namen in der Region vorkommen, nicht aber, dass sie regionalspezifisch sind. Nach den Telefonanschlüssen des Jahres 2002 sind die Regionale Namenüberlieferung als Spiegelbild beruflicher Tätigkeiten 79 häufigsten elf Familiennamen nach dem Beruf unter den insgesamt 494.795 Nameneinträgen in Leipzig: 1. Müller (1.955), 2. Schmidt (1.419), 3. Richter (1.000), 4. Schneider (644), 5. Fischer (639), 6. Schulze (575), 7. Hoffmann (525), 8. Lehmann (479), 9. Köhler (432), 10. Wagner (431), 11. Weber (419)3.

Unter den sechzig häufigsten Namen folgen dann an den in Klammern genann- ten Positionen noch: Schubert (14.), Hofmann (17.), Voigt (22.), Becker (26.), Scholz (27.), Koch (29.), Schumann (32.), Zimmermann (33.), Krüger (34.), Meyer (35.), (46.), Bauer (51.), Fiedler (54.), Förster (56.). (Quelle: geogen 3.0 ).

Auch für Dresden haben wir die häufigsten Berufsnamen unter den 480.228 Familiennameneinträgen aus der o.g. Quelle ermittelt: 1. Müller (1.897), 2. Richter (1.524), 3. Schmidt (1.368), 4. Fischer (773), 5. Schneider (754), 6. Lehmann (682), 7. Schulze (585), 9. Schubert (557), 10. Wagner (551), 11. Hofmann (503), 12. Hoffmann (493), 15. Köhler (464), 18. Zimmermann (424), 20. Winkler (404), 21. Weber (403), 22. Scholz (398), 26. Schulz (344), 27. Schumann (319), 30. Förster (304), 35. Voigt (270), 38. Schäfer (258), 39. Koch (253), 40. Meyer (252), 47. Krüger (234), 48. Schröder (232), 50. Fiedler (222), 59. Kretzschmar (207).

Der FN Richter4 belegt in der Gesamtstatistik in Deutschland den 14. Platz (61.810 Nennungen nach geogen 3.2.) und zeigt eine Häufung in Sachsen und sich nördlich anschließenden Gebieten (2. Position in Dresden und Chemnitz, 3. Position in Leipzig, vgl. Abb. 6).

–––––––— 3 Für andere Fragestellungen müssten die Namen Schulze und Scholz; Hoffmann und Hofmann, Schubert und Schumann zusammengefasst werden, 4 Nach KOHLHEIM/KOHLHEIM (2005: 543): „Amtsname zu mhd. rihtære ‹Lenker, Ordner, Oberherr, Richter‹. Die Häufigkeit dieses Familiennamens – er nimmt in Deutschland die 14. Stelle ein – hängt damit zusammen, dass Richter in manchen Gegenden (Schlesien, Böhmen, Mähren, Oberlausitz, Sachsen) den Orts-, Gemeindevorsteher bezeichnete.“ In Regensburg z.B. befindet sich Richter nicht unter den 60 häufigsten Namen. 80 Dietlind Kremer

Abb. 6: Die regionale Verteilung des FN Richter (Quelle: geogen 3.2.).

Eine in Sachsen sichtbar häufige Berufsnamenform ist Schubert5 (in Leipzig an 14. Stelle, in Dresden an 9. und in Chemnitz an 8., in Deutschland insgesamt 27.558 Nennungen, vgl. Abb. 7). Der Name Förster6 konzentriert sich auf den Landkreis Riesa-Großenhain (30. in Dresden, 56. in Leipzig, in Chemnitz nicht unter den sechzig häufigsten Namen). Mit Blick auf die gesamtdeutsche Häufigkeit der bei- den Namen Richter und Schubert meint HELLFRITZSCH (2007: 595) „Diese Na- men tragen wesentlich dazu bei, das von quantitativen Parametern geprägte an- throponomastische Erscheinungsbild, sozusagen das Profil, des Zwickau-Chem- nitzer Raumes mitzubestimmen. Auf Grund ihrer starken Verbreitung in ganz Deutschland sind sie dennoch nicht als regionaltypisch zu werten.“ Als solche Namen mit enger regionaler Begrenzung, die typisch südwestsächsische Namen sind, nennt er Berufsnamen wie Schürer7, Wächtler, Päßler und Pester (ebd.). Die –––––––— 5 NAUMANN (1996: 251) stellt Schubert mit den Varianten Schubar(d)t, Schubarth, Schubbert und Schuhberth zu „mhd. schuo(ch)würhte, -worhte, -würke, mnd. schowerchte, -werte, wart, ʻSchuhmacherʼ.“ 6 Bei EBNER (2015: 209) wird Förster trotz verschiedener Bezeichnungen mit Forst- nicht genannt. 7 Nach HELLFRITZSCH (2007: 243): „Angesichts der charakteristischen Verteilung wohl eher BerN zu mhd. schürn ʻbrennen machen, entzünden, das Feuer unterhalten, schürenʼ für einen Feuerschürer, Heizer, Schmelzer in einer Glashütte.“ Regionale Namenüberlieferung als Spiegelbild beruflicher Tätigkeiten 81

Karten Abb. 8 und 9 zeigen, was Hellfritzsch mit „regionaler bzw. landschaftlicher Verankerung bestimmter Namen“ meint: Es sind Namen, die nicht nur häufiger als anderenorts in einer Region vorkommen, sondern die es anderswo so gut wie gar nicht gibt. Letzteres kann ganz unterschiedliche Gründe haben, sprachliche und sachliche (vgl. 4. Fazit).

Abb. 7: Die regionale Verteilung des FN Schubert (Quelle: geogen 3.2.).

82 Dietlind Kremer

Abb. 8: Die regionale Verteilung des FN Schürer (Quelle: geogen 3.2.).

Abb. 9: Die regionale Verteilung des FN Pester8 (Quelle: geogen 3.2.). –––––––— 8 KOHLHEIM/KOHLHEIM (2005: 503) stellen den Namen zu mhd. besten ʻbinden, schnü- renʼ. Regionale Namenüberlieferung als Spiegelbild beruflicher Tätigkeiten 83

Ein interessantes Thema bleibt die Frage, warum bzw. wodurch eine regional begrenzte Berufsbezeichnung zur allgemein gebräuchlichen „offiziellen“ Berufs- bezeichnung wurde,9 so z.B. der Familienname Fleischer (an 164. Stelle der Fa- miliennamen Leipzigs im Jahr 1937). Er kommt im sächsischen Weißeritzkreis am häufigsten vor, am seltensten im Landkreis Trier-Saarburg. „Fleischer ist das Wort des mittel- und norddt. Ostens, heute das offizielle Wort des Metzger- handwerks. Das ganze Synonymfeld überblickend läßt sich sagen, daß hier i.d.R. die zusammengesetzten Bildungen von einfachen verdrängt wurden: Trend zur Ökonomie. (KÖNIG 2004: 197).

Abb. 10: Die regionale Verteilung des FN Fleischer (Quelle geogen 3.2.).

Älteste Namenüberlieferungen z.B. für Dresden sind 1410 Hanns Fleishouwer und 1416 Ticze Fleischer (KÜBLER/OBERSTE 2007: 11, 131). Zeitgleich begegnen in Leipzig 1427 Albrecht Fleischhauwer und als Berufsbezeichnung 1435 fleischawer 1437 fleischauwer, 1441 fleischhawer (KUNZE 2012: 34, 68, 100), aber kein Flei- scher. Der FN Fleischer kommt in den Leipziger Ratsbüchern erstmals 1492 als Pe- ter Fleischer (11 Nennungen) vor, variiert aber in derselben Urkunde mit Peter

–––––––— 9 Diese interessante Thematik verdiente eine genauere Untersuchung. Als Beispiel dient auch etwa die Wortfamilie um Klempner (Klemptner, Klemperer u.a.) gegenüber Spengler u.ä. und ihre jeweilige Verbreitung als FN, wozu die entsprechende Vertei- lung in geogen 3.2.). 84 Dietlind Kremer

Fleischawer (3) (STEINFÜHRER 2003: 114f.), was eine offizielle und eine gebräuch- liche Form nahelegen könnte.10 Mit diesem „sächsischen“ Berufsnamen kon- kurrieren deutschlandweit viele andere Bezeichnungen, so Schlachter, Metzger (Metzler), Fleischhacker, Fleischmann u.a., vgl. dazu KOHLHEIM/KOHLHEIM 2006: 248ff).

2. Leipziger Familiennamen aus Berufen in Vergangenheit und Gegenwart

Im Sommersemester 2017 haben Studierende des Moduls „Personennamen- forschung“ zu diesem Thema gearbeitet und im aktuellen Leipziger Telefonbuch (2017) nach regionalspezifischen Berufsnamen gesucht. Der Hintergedanke war, auch seltene Namen zu erfassen, die in den großen (bereits genannten) Projek- ten, Namenbüchern usw. keine Berücksichtigung finden. Hier kann nur ein Bei- spiel vorgestellt werden: der FN Rohrwacher. Von 27 Telefonanschlüssen insge- samt findet man die meisten (13) in Leipzig (Abb. 11). Diesen Namen behandelt kein Namenbuch. Nicht völlig auszuschließen sind Verschreibungen für Rohr- bacher11 oder Rohrmacher12. LINNARTZ (1958: 187) nennt Familiennamen wie Röhrer, Rohrer, Röhrmann und erklärt sie als Röhren- oder Brunnenmacher. Im Leipziger Eidbuch von 1590 wird auf die seit 1496 bestehende städtische Rohr- wasserleitung hingewiesen (vgl. Anm. 14).

–––––––— 10 Dazu zuletzt HELLFRITZSCH 2016: 509. 11 Der FN Rohrbach ist im Leipziger Adressbuch von 1937 mit 13 Nennungen vertreten und ist wohl als Herkunftsname zu Rohrbach, Ortsteil von Belgershain im Landkreis Leipzig, zu deuten. 12 Vgl. EBNER (2015: 592) Rohrmacher, Röhrmeister, Rormacher, dort auch für einen Brunnenbauer. Regionale Namenüberlieferung als Spiegelbild beruflicher Tätigkeiten 85

Abb. 11: Die regionale Verteilung des FN Rohrwacher (Quelle: geogen 3.2.).

Abb. 12: Notröhrenwächter im kalten Winter. Kolorierter Kupferstich von Johann Salomo Richter 1791 (Quelle: SCHNEIDER 1990: 294). 86 Dietlind Kremer

Was machte ein Rohrwacher? Bei der Recherche dazu fanden wir diese Dar- stellung eines ʻNotröhrenwächtersʼ von 1791 (Abb. 12), dazu eine Instruktion für den Stundenrufer von 1824: „6tens. Zur Winterszeit liegt ihm ob, die Brun- nen vor dem Frost mit Stroh zu verbinden, das Eis bei selbigen aufzuhauen, und zwar bei harter Kälte wöchentlich zweimal, bei mäßiger Kälte aber nur einmal, und den Abfluß der Gasse zu beobachten, das aufgehauene Eis auf einen Haufen abwärts zusammenwerfen.“ (zitiert nach SCHNEIDER 1990: 295). Wenn der Fa- milienname Rohrwacher in diesem Sinne zu erklären ist, d.h. dass er das (städti- sche) Rohr- bzw. Röhrensystem bewachte, dann ist er ein Beispiel für das im Ti- tel meines Beitrages genannte Thema: Regionale Namenüberlieferung als Spie- gelbild beruflicher Tätigkeiten. Einen ähnlichen Ansatz verfolgte auch eine Hausarbeit von Peter SCHUBERT aus dem Jahr 1992. Er ermittelte 650 mit F- beginnende Leipziger Familien- namen aus dem Telefonbuch des Jahres 1991, darunter befinden sich 233 Na- men, die in dem von ihm herangezogenen Leipziger Adressbuch von 1934 noch nicht begegnen. Das Adressbuch von 1937 enthält allerdings noch 1.133 Famili- ennamen, die mit F- beginnen. Unter dem Buchstaben F- hat Schubert die fol- genden 78 (direkten und indirekten) Berufsnamen ermittelt: Faber, Fabry, Fachmann, Fahnert, Fährmann, Fahrmeyer, Falkner, Falz (?), Famula, Färber, Faßbender, Faßhauer, Fauth, Fechter, Feder, Federmann, Fehlbier, Fehr, Fehrmann, Feifer, Feiler, Feilhauer, Felchner, Feldmann, Felgenhauer, Felgner, Feller, Fellmann, Felnagel, Fenchel, Fendler, Fengler, Fenner, Ferstner (?), Feser, Fesser, Fickenwirth, Fiedler, Fiegert, Filter, Filtzer, Filzner, Findeisen, Fischer, Fischmann, Flachs, Flachsel, Flade, Flathe, Flechtner, Fleckeisen, Flegel, Fleischer, Fleischhauer, Fleischmann, Fleißner (?), Fleutmann, Flick, Flock, Floegel, Fluhrer, Forke (?), Forkel, Forker, Forkert, Förster, Forstreuter, Foth, Freibroth (?), Frischleder, Frohmeyer, Frohn, Fröhner, Fröhnert, Fuhrmann.

Allerdings bildet keiner dieser Namen ein auffälliges regionales Namennest in bzw. um Leipzig. Auf der weiteren Suche nach regionaltypischen Leipziger Familiennamen habe ich alle bei Solluntsch bis 1500 bezeugten Berufsnamen kartiert und sozusagen als Nebeneffekt auch Namen gefunden, die nicht mehr in Telefonverzeichnissen er- scheinen, was aber nicht unbedingt heißt, dass sie nicht mehr existieren, dies aber wahrscheinlich macht. Außerdem habe ich die Namen mit zeitgleichen Quellen (z.B. die Leipziger Ratsbücher 1466-1500, vgl. STEINFÜHRER 2003) verglichen und festgestellt, dass die Namen dort nicht erscheinen, was den Verdacht nährt, dass es möglicherweise gar keine Familiennamen, sondern Berufsbezeichnungen bzw. (ad hoc?) Tätigkeitsbezeichnungen sind. Dazu zählen Boltzenmacher (1481), Regionale Namenüberlieferung als Spiegelbild beruflicher Tätigkeiten 87

Buchsteiger (Puchsteiger 1483), Futterhecker (Futerhecker 1456), Krappenbäcker (Krappenbecker), Rotgießer (Rotgißer 1466) u.a. Es ist naheliegend, die Recherche auch auf die historischen regionalen Be- rufsbezeichnungen allgemein auszudehnen, da sie möglicherweise Aufschluss über den örtlichen Sprachgebrauch geben können. So bietet das Leipziger Eid- buch von 1590, das älteste von drei überlieferten und im Stadtarchiv bewahrten Schwurbüchern des Rates, einen breiten, jedoch keinen vollständigen Einblick in die Gesamtheit der in Leipzig zu jener Zeit ausgeübten Berufe und Tätig- keiten. Diese Ämter und Berufe sollen hier genannt werden: Abläder (Lädermeister), Apotheker, Aufseher (über die Ratsleute), Aufträger und Zech- abnehmer, Ausreiter, Bäcker, Barbier, Bauer in den Kohlgärten, Bierführer, Bierkäufer, Bierprüfer, Bierschröter, Bote, Brauer, Brotwäger, Brückner, Buchdrucker, Bürger, Eichmeister, Einnehmer der Zeichen aus der Waage, Feldmesser, Fischer, Fischführer, Fleischer13, Förster14, Garkoch, Geleitsgegenschreiber, Geleitsmann, Gerichtsschreiber, Geschworene Werkleute, Getreidemesser, Hafermesser, Hausmann, Hebamme, Heuwä- ger, Hirte, Hofmeister, Kärrner, Kalkmesser, Kellerknecht, Kellerschreiber, Kohlenmes- ser, Kornschreiber, Kornwender, Kuhtürmer, Lädermeister, Landknecht, Landschreiber, Ledersetzer, Leichenschreiber, Leineweber, Mäkler, Mälzer, Malzmüller, Marktvogt, Marstaller, Maurer, Müller, Nachtreiter, Neubürger, Oberknecht, Oberstadtschreiber, Pestilenzbarbier, Posamentenmacher, Probierer, Ratsherr, Röhrmeister15, Schäfer, Schirrmeister, Schuldschreiber, Schwarzfärber, Schweinebeschauer, Stadtpfeiffer, Stadtschreiber, Steinmetz, Steinsetzer, Stellmacher, Stockmeister, Stubenheizer, Stunden- rufer, Torschließer, Torschlüsselverwahrer, Totengräber, Tuchmacher, Tuchstreicher, Tuchwalker, Unterstadtschreiber, Vogt, Waagemeister, Wach(t)meister, Wagenmeister, Weindiener, Weinprüfer, Weinrufer, Weinschenk, Ziegelstreicher, Zimmermann, Zirkler, Zunft -und Schaumeister (THIEME/GERLACH 1986: 148ff).

–––––––— 13 „Die Fleischer, 1335 erstmals in Leipzig erwähnt, gehören nach einer Urkunde von 1349 zunächst mit zu der Gerichtsbarkeit der Gerber und Schuhmacher. Seit 1442 ist eine selbstständige Fleischerinnung nachgewiesen.“ (THIEME/GERLACH 1986: 151) 14 „Schon im 14. und 15. Jahrhundert beschäftigte der Rat der Stadt Leipzig, dem ein um- fangreicher Holzbesitz gehörte, zu seiner Verwaltung und Betreuung mehrere Förster. Ein Holzförster wird erstmals 1459 genannt“ (ebd. 152) 15 „Zur Versorgung der Leipziger Bürger mit Wasser diente die seit 1496 bestehende städtische Rohrwasserleitung. Für ihre Beaufsichtigung und Erhaltung beschäftigte der Rat den seit 1498 bekannten Röhrmeister. Seit 1548 gab es zwei und um 1590 drei Röhrmeister. Einer von ihnen war für die Betreuung der Wasserkunst zuständig, die beiden anderen bohrten und verlegten die hölzernen Wasserrohre.“ (THIE- ME/GERLACH 1986: 158). 88 Dietlind Kremer

Als sekundäre Quelle kann weiterhin auf das „Register der Berufe“ von Ernst MÜLLER (1982: 76ff) nützlich. Die Berufsbezeichnungen wurden aus den „Jah- reshauptrechnungen 1471-1556“ und dem „Bürgerbuch 1501-1556“ extrahiert. Sie sind für unsere Studie nur bedingt hilfreich, da es sich um zugewanderte Personen handelt (Neubürger) und sie außerdem „des Verständnisses halber fast immer in Übersetzungen“ (ebd.) wiedergegeben werden Übersetzung meint hier die Anpassung an den modernen Sprachgebrauch. Ein Register der in Lei- chenpredigten genannten Berufe beginnend im Jahr 1570, finden wir bei LENZ/BOSCH/HUPE/PETZOLDT 2003: 604-650. Schließlich haben unsere Studenten mit vereinten Kräften das Leipziger Ad- ressbuch aus dem Jahr 1937 digitalisiert: 33.795 unterschiedliche Namen für 715.668 Einwohner Leipzigs. Auch hier sind die häufigsten Namen ursprüngliche Berufsbezeichnungen, in der Folge 1. Müller, 2. Schmidt, 3. Richter, 4. Schulze, 5. Schneider, 6. Fischer, 7. Lehmann, 8. Köhler, 9. Weber, 10. Hofmann. Die Hälfte der Namen, genau 15.884, kommt nur einmal vor, und im aktuellen Stadt- adressbuch 2007/2008 fehlen schon viele dieser Namen. Im Sinne unseres Mottos „Rettet die Namen als immaterielles Kulturerbe“ haben wir dieses Namengut kon- serviert und können es somit als Sprachzeugnis auswerten, darunter finden sich unzählige Namen, die in die Gruppe der aus Berufen heraus motivierten Gruppe gehören können, darunter auch Namen, die weder bei Linnartz, noch bei Ebner usw. genannt werden. Diese regionale Namenüberlieferung ermöglicht viele Fra- gestellungen, die über die Frage nach Familiennamen nach dem Beruf hinausge- hen. Wir können z.B. problemlos ermitteln, welche Lexeme in welchen Namen (als Simplicia oder Komposita) vorkommen und welche besonders häufig sind. So wurden etwa dreiundzwanzig verschiedene Familiennamen mit dem Lexem Knecht erfasst: Schuhknecht (26), Wagenknecht (14), Schellknecht (6), Knechtel und Reinknecht (4), Hausknecht und Haußknecht (3), Bauknecht, Klemknecht, Lehrknecht, Ueberknecht, Schucknecht, Schuknecht, Stahlknecht, Windeknecht (jeweils 2), Ackerknecht, Gut- knecht, Holzknecht, Knecht, Schmiedeknecht, Schöllknecht, Schönknecht, Stallknecht (jeweils einmal).16

Der in dieser Gruppe häufigste Name Schuhkecht (für den Schustergesellen) hat lt. Geogen deutschlandweit 285 Einträge und mit 43 Einträgen einen Schwer-

–––––––— 16 Die Berufsbezeichnungen Schellknecht, Klemknecht, Überknecht, Schöllknecht (sowie Stahlknecht, Gutknecht, Schönknecht) werden von EBNER 2015 nicht erwähnt. Regionale Namenüberlieferung als Spiegelbild beruflicher Tätigkeiten 89 punkt im Landkreis Altenburger Land (jetzt Thüringen) (Abb. 13), doch auch die Variante Schuknecht findet sich in den heutigen FN (11).

Abb. 13: Die regionale Verteilung des FN Schuhknecht. (Quelle: geogen 3.2.).

Die Berufsbezeichnung Schneider findet sich im Leipziger Adressbuch von 1937 am häufigsten als Simplex Schneider (1.135) und in den folgenden Komposita: Bretschneider (133), Brettschneider (16), Baderschneider (4), Bernschneider, Baben- schneider, Strohschneider (jeweils 3), Riemschneider und Schneidermann (2), Bogen- schneider, Dienstschneider, Ulmschneider (jeweils einmal).17

–––––––— 17 Nicht in EBNER 2015: Baderschneider, Babenschneider, Bogenschneider, Dienstschnei- der, Ulmschneider. 90 Dietlind Kremer

Abb. 14: Die regionale Verteilung des FN Bretschneider (Quelle: geogen 3.2.).

Für das häufigste Kompositum Bretschneider18 wurden deutschlandweit 2.376 Einträge gefunden und in 339 verschiedenen Landkreisen lokalisiert. Der Name belegt den 1292. Platz der häufigsten Namen. Sein regionaler Schwerpunkt ist der Landkreis Aue-Schwarzenberg mit 137 Einträgen.19 Der mit insgesamt 2.709 Vorkommen nach Müller (4.204) zweithäufigste Berufsname ʻSchmiedʼ (Schmidt 2.577, Schmid 53, Schmitt 35, Schmitz 30, Schmiedt 9, Schmied 4, v. Schmiedt 1) findet sich als Namensbestandteil auch in den folgenden Namen des Leipziger Adressbuches von 1937:20

–––––––— 18 NAUMANN (1996: 83) bringt den Beleg 1387 Peters bretsnyder hat die bretmöle gemyet eyn jar und erklärt: „BN zu mhd. bret ʻBrettʼ + snidære, -er ʻSchneiderʼ, nd. bretsnider, für den Sägemüller, Pächter der Brettmühle.“ 19 Nach geogen (Abb. 14). Zu beachten sind allerdings die Varianten Brettschneider (1.364) und Bredschneider (42). 20 In EBNER 2015 sind die folgenden Bildungen nicht erfasst, allerdings haben einige offensichtlich reine Namenfunktion: Blauschmidt, Braunschmidt, Dürrschmidt, Ball- schmied, Koschmieder, Schirrschmidt, *Wurfschmidt, *Bauerschmidt, *Beringschmidt, Dauberschmidt, Heiligenschmidt, *Hermerschmidt, Kopperschmidt, Krummschmidt, *Lohschmidt, *Lutterschmidt, Rehschmied, Schallschmidt, Warmschmidt, Wellschmied, Regionale Namenüberlieferung als Spiegelbild beruflicher Tätigkeiten 91

34 Goldschmidt (33, Goldschmid 1), 32 Blechschmitt, 21 Eisenschmitt, 20 Klein- schmidt (18, Kleinschmitt 2), 17 Pfannenschmitt (13, Pfannschmidt 4), 12 Ham- merschmitt, jeweils 8: Kaltschmidt, *Sonnenschmitt, 7 Blauschmidt, jeweils 6: Hackenschmidt (3, Hackeschmidt 1, Hackerschmied 1, Hachenschmidt 1), Kupfer- schmid, jeweils 5: Braunschmidt (3, Brunschmid 2), Dürrschmidt, Scharschmidt (4, Schärschmidt 1), 4 Ballschmiedter (3, Ballschmidt 1), jeweils 3: Beilschmidt, *Kohl- schmidt, Nagelschmidt, *Waldschmidt, jeweils 2: Koschmieder, Pfeilschmidt, Schirr- schmidt, *Wurfschmidt, jeweils einmal: *Bauerschmidt, *Beringschmidt, Dauber- schmidt, Heiligenschmidt, *Hermerschmidt, Klingenschmidt, Kopperschmidt, Krumm- schmidt, *Lohschmidt, *Lutterschmidt, Rehschmied, Schallschmidt, Schellschmid, Sensenschmidt, Stahlschmidt, Warmschmidt, Wellschmied, Würschmidt.

In diesen Zusammenhang gehören noch die FN (1937): Schmieder (33), Schmit- zer (2), Schmider, Schmitter, Schmittner, Schmiedeknecht, Schmittmann (alle je- weils einmal) und Schmieding (5). Besonders häufig und vielfältig sind die Ver- kleinerungsform des Typs Schmiedgen (13), Schmidtgen (10), Schmidtchen (9), Schmiedchen (2), Schmiedichen und Schmidgen (1) bzw. Schmiedicke und Schmidtke (4), Schmiedecke, Schmiedeke, Schmidicke, Schmidke (jeweils einmal). Für die Variante mit -l-Suffix (vgl. Abb. 15) nennt geogen 1.952 Telefon- einträge, damit belegt der Name den 1619. Platz der häufigsten Namen. Regio- nal am häufigsten ist der Name mit 181 Anschlüssen im Landkreis Annaberg in Sachsen (Abb. 15).21 In Leipzig wohnten 1937 insgesamt 68 Schmiedel (68) und jeweils eine Person namens Schmiedl, Schmidl oder Schmittel.

–––––––— Würschmidt. Dazu noch die FN (1937): Schmiedeberg/Schmidberger, Schmidtsdorf, Schmidthaus, Schmidmaier, Schmidtpott. 21 Der Name ist vermutlich zu trennen vom FN Schmiedler, mit 17 Telefoneinträgen und dem Schwerpunkt im Hochsauerlandkreis. 92 Dietlind Kremer

Abb. 15: Die regionale Verteilung des FN Schmiedel (Quelle: geogen 3.2.).

Die Bezeichnung Meister (1937 in 61 FN) findet sich im Leipziger Adressbuch von 1937 als Grundwort in folgenden Familiennamen: Neumeister (54), Schirrmeister (42), Küchenmeister (18), Bauermeister (17), Theuer- meister (10), Hoffmeister und Werkmeister (9), Hofmeister (8), Burmeister, Hameis- ter, Schützenmeister (6), Hachmeister und Hagenmeister (5), Priesemeister (4), Bau- meister, Burmester, Hammermeister, Leßmeister, Reichmeister, Rittmeister, Staut- meister, Stottmeister, Weinmeister (3), Schirmeister, Stadtmeister, Weimeister (2), Bormeister, Fuhrmeister, Gildemeister, Hegemeister, Jungmeister, Leimeister, Mauer- meister, Rodemeister, Stodtmeister, Stotmeister, Wachtmeister (jeweils einmal).22

3. Neue Editionen mit historischen Berufsbezeichnungen bzw. Berufsnamen in Leipzig

Aus dem in der Vorüberlegung genannten Grund lenke ich mein Interesse schließlich noch auf eine neue Edition, die bisher noch nicht namenkundlich ausgewertet wurde. Für den Zeitraum bis 1500 kann nun das von Jens Kunze –––––––— 22 Davon Hegemeister, Leimeister, Leßmeister, Priesemeister, Reichmeister, Schrotmeister, Stadtmeister, Stautmeister, Sto(d)tmeister, Theuermeister nicht in EBNER 2015. Regionale Namenüberlieferung als Spiegelbild beruflicher Tätigkeiten 93 bearbeitete Leipziger Schöffenbuch von 1420 bis 1478 ausgewertet werden, das 2012 in der Reihe „Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Leipzig“ erschienen ist. Es gehört zu den ältesten überlieferten Gerichtsbüchern Sach- sens. Bei den 519 Einträgen handelt es sich um Handlungen der freiwilligen Ge- richtsbarkeit (Eheverträge, Grundbesitzwechsel, Aufnahme von Hypotheken u.a.). Da das Schöffenbuch personenbezogene Themen enthält ist es für unseren Zweck, der Suche nach Personennamen, von besonderer Nützlichkeit. Bereits die Einträge der ersten dreißig Jahre enthalten 2.500 Personennamen: Es ist eine unverzichtbare Quelle für orts-, siedlungs-, sozialgeschichtliche sowie genealogische Forschungen. Die Genealogie braucht Gerichtsbücher als ergänzende personengeschichtliche Quelle zu Kirchenbüchern oder als Hauptquelle bei fehlen- der Kirchenbuchüberlieferung. Insbesondere der Stadtgeschichtsforschung können Bücher der Freiwilligen Gerichtsbarkeit nützliche Hinweise zur Rekonstruktion der Ortsentwicklung oder zum sächsischen Alltagsleben geben (…) Das reiche Namen- material macht die Gerichtsbücher auch für die wissenschaftliche Onomastik inte- ressant. (KUNZE 2012: XVIIf.)

Da die Kirchenbücher für die Stadt Leipzig erst 1553 (St. Thomas) bzw. 1554 (St. Nikolai) einsetzen (vgl. KREMER 2013) und das älteste uns überlieferte Rats- buch, das von SOLLUNTSCH (1991) bereits namenkundlich ausgewertet wurde, erst 1466 beginnt, kommt dem Schöffenbuch auch aus namenkundlicher Sicht eine besondere Bedeutung zu. Das Schöffenbuch erlaubt nicht nur für das Thema dieses Beitrages interes- sante Aussagen sondern auch zum Handwerk und zu den Handwerkern der Stadt Leipzig. Bis zum Jahr 1450 werden 32 verschiedene Berufe insgesamt über 80mal genannt: „Die Liste beginnt mit A wie Apotheker und endet bei Z wie Zimmermann. Am häufigsten sind Bäcker, Schuster und Kürschner verzeichnet. Sicher findet man reichlich Material, um die Geschichte einzelner Handwerke, aber auch des Handwerks der Stadt zu ergänzen“ (KUNZE 2012: XXI). Folgende Leipziger Berufe werden im Index (365ff.) genannt: Apotheker, Bäcker, Bader, Barbier, Baumeister (Ø = in dieser Quelle nicht als FN), Böttcher, Büchsenmeister, Fischer, Fischfuhrer (Ø), Fleischhauer, Fron, Fronbote (Ø), Fuhrmann, Garkoch (Ø), Gerber (Ø), Gerichtsfron (Ø), Gewandscherer (Ø), Gewand- schneider (Ø), Goldschmied (Goldschläger), Gürtler (Ø), Holzschuhmacher (Ø), Hüter (Ø), Hufschmied, Kannegießer, Kleinschmied, Koch, Kräppelbäcker (Ø), Kräppeler (Ø), Kucheler, Kürschner (Ø), Kupferschmied, Lautenschlager (Ø), Lederer, Ledermeister (Ø), Leinweber, Maler, Maurer (Ø), Messerschmied, Methsieder, Müller, Münzer, Ölschläger, Panzermacher, Pulvermacher, Riemenschneider, Riemer, Salz- fuhrer (Ø), Sattler (Ø), Schalunenmacher (Ø), Scherer, Schernschleifer, Schmied, 94 Dietlind Kremer

Schneider, Schnitzer, Schuster, Schwertfeger, Seidenhefter, Seidensticker, Seifensieder (Ø), Seigermacher (Ø), Seiler, Steinmetz (Ø), Steinsetzer, Täschner, Tischler, Töpfer, Trompeter (Ø), Tuchmacher (Ø), Wagner, Weißgerber, Wollmacher (Ø), Wollweber (Ø), Zeteler (Ø), Ziegelstreicher, Zimmerer/Zimmermann.23

Die Frage liegt nun nahe, ob bzw. welche dieser Berufsbezeichnungen auch zu Familiennamen wurden. In der hier genutzten Quelle treten als Familiennamen (in der aus dem Schöffenbuch übernommenen Schreibung) die folgenden auf:24 Johan Apoteker, Michel Becker, Heinrich Bader, Hans Barbier, Augustin Botcher, Jancke Buchsmeister, Bastian Fischer, Albrecht Fleischhauwer, Dorothea Fron, Anna Furman, Peter Goltsmid, Otte Huffsmid, Lena Kannengissir, Borchart Cleynsmid, Mattis Koch, Dorothea Kuchelerynne, Jacuff Kuppersmid, Lederer (nur Jacoff Ledir), Marcus Lyneweber, Hans Maler, Hans Messirsmed, Lorecz Metesieder, Anna Moller, Peter Munczer, Martin Olsleiger, Mertin Panczermecher, Hartung Pulvermacher, Michel Rymsnyder, Heinrich Rymer, Eyfard Scherer, Nickel Schernschlyffer, Lucas Smyd, Mittis , Nickil Snytczer, Glorius Schuster, Symon Swertfeger, Hans Sidenheffter, Ludicke Sydensticker, Peter Seiler, Benedictus Steynsetczer, Matteß Teschner, Nickel Tischler, Michel Topper, Johan Wagener, Caspar Weißgerber, Lenhard Zcygelstricher, Jacuff Zcymmermann.

Manche in dieser Quelle nicht als Familiennamen bezeugte Berufe sind aber später und anderenorts als solche gut bekannt. Die Namensammlung dieser Quelle bietet viele interessante Einblicke. Exemplarisch kann hier die regionalen Überlieferung der Namen Krüger25 und Kretzschmar, aus der im DFA unter 9.3. Wirte, Getränkehändler genannten Gruppe, und Kremer26 (vgl. DFA Gruppe 9.2. Händler27) gezeigt werden. –––––––— 23 Nicht in EBNER 2015 finden sich Gewandscherer, Kräppeler, Schalunenmacher, Seidenhefter. 24 Von EBNER 2015 nicht erwähnt: Blauschmidt, Braunschmidt (3, Brunschmid, Dürr- schmidt, Ballschmied, Koschmieder, Schirrschmidt, *Wurfschmidt, *Bauerschmidt, *Beringschmidt, Dauberschmidt, Heiligenschmidt, *Hermerschmidt, Kopperschmidt, Krummschmidt, *Lohschmidt, *Lutterschmidt, Rehschmied, Schallschmidt, Warm- schmidt, Wellschmied, Würschmidt. 25 Nach NAUMANN (1996: 173) ist Krüger „BN zu mhd. kruoc: obd. für den Geschirr- händler, nd. für den Gastwirt“. 26 Bei NAUMANN (1996: 169) unter den Varianten Kra(h)mer, Cra(h)mer, Krä(h)mer, Cremer, Kromer mit dem frühen Beleg 1175 Chramar erklärt als: „BN zu mhd. kramære, kræmer, mnd. kramer, kremer, kromer ʻHandelsmann, Krämerʼ, Klein- händler im Gegensatz zu Großhändler, Kaufmann.“ Regionale Namenüberlieferung als Spiegelbild beruflicher Tätigkeiten 95

1429: Claus Kruger28 had gegebin Annen, siner elichen wertinnen (KUNZE 2012: 40) 1428: das Jurgen Kretczmars was, glegen vor vor dem Grymmischen Tore (KUNZE 2012: 37) 1474: Andres Kremer hat daz ufgenommen unnd hat forder… (KUNZE 2012: 327)

Im Schöffenbuch (1420-1478) gibt es von diesen drei Namen am seltensten den Namen Kruger (nur 10 Personen), siebzehn Personen tragen den Namen Kretz- schmar (in den Schreibvarianten Kreczhmar, Kreczmar, Kreczmer und Krecz- schmar) und dreiundzwanzig Personen sind mit dem Namen Kramer (nur einmal Kremer, sonst Kramer bzw. moviert Kramerin) verzeichnet. Später, so z.B. im ge- nannten Adressbuch der Stadt Leipzig aus dem Jahr 1937, finden wir von diesen drei Namen am häufigsten Kretzschmar (468), Kretschmar (42), Kretschmer (32), Kretzschmer (5), Krätschmar (13); Krüger/Krueger (361) und Kramer (177), Krä- mer/Kraemer (87) Kremer (19). Der FN Kretzschmar, der achtzehn Varianten hat, die im DFA durch die Suchmaske (K/C)r(e/ä/ae?)(t?z/t?z?sch)m(e/ä/ae?)r?n?n?s? (FAHLBUSCH/PESCHKE 2016: 52) abgefragt wurden, ist ein ostsächsischer Name slavischer Herkunft. Nach WENZEl (1999: 144) ein „dt. BerN zum aus dem Altt- schech. ins Ostmitteldt. entlehnten Kretschmer, tschech. Krčmář ʻSchenkwirt, Gastwirtʼ.“ Die regionale Namenüberlieferung von Kretschmar zeigt hier (vgl. Abb. 16), dass ein früher Entlehnungsprozess aus dem Tschechischen statt- gefunden haben muss. Schon in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts ist das Wort Kretscham landschaftlich bezeugt (vgl. MÜLLER 1995: 37). Als eine ver- deutlichende Variante dazu kann der FN Kretzschmann angesehen werden (Abb. 17).

–––––––— 27 In SCHNEIDER (1990: 68) werden urkundlich ersterwähnt: 1218 KAUFMANN und 1278 KREMER. 28 Bei SOLLUNTSCH (1991: 92) ist der Erstbeleg für Krüger in Leipzig von 1466. 1493 wird ein B. Kruger aus Ammelsheim, der Kramer ist, erwähnt. 96 Dietlind Kremer

Abb. 16: Die regionale Verteilung des FN Kretschmar (Quelle geogen 3.2.).

Abb. 17: Die regionale Verteilung des FN Kretzschmann (Quelle: geogen 3.2.). Regionale Namenüberlieferung als Spiegelbild beruflicher Tätigkeiten 97

Mit der Edition des Leipziger Schöffenbuches kann der frühe Namenbestand Leipzigs erstmalig vollständiger erfasst werden. Im noch älteren Stadtbuch wer- den die insgesamt 1359 genannten Personen noch überwiegend nach dem Mo- dell Rufname und Herkunftsangabe (z.B. Johannes von tammenhayn, vgl. KRÜ- GER 1999: 197) gekennzeichnet, nur carnifex und knobelouch (ebd.) finden sich als berufsbezogene Namenzusätze.

4. Andere regionale Quellen

Neben den genannten gibt es natürlich noch weitere regionale Quellen für Be- rufsbezeichnungen und Berufsnamen. Zum einen können alte Straßennamen den Alltagswortschatz einer Region widerspiegeln. Frühe Erstnennungen von Straßen und Plätzen finden wir im schon genannten Leipziger Schöffenbuch, so z.B. Kramen 1423, Salzgäßchen 1424, Ritterstraße 1426, Fleischergasse 1439, Eselmarkt 1439 (vgl. KUNZE 2012: XXI). J.J. VOGEL (1714) nennt für Leipzig die Ritterstraße (1696), Fleischer-Gasse (1439), Sporgäßlein (um 1510, heute Sporer- gäßchen), Schustergäßgen (Anfang 16. Jahrhundert, heute Schuhmachergäß- chen), Böttichergäßgen (Böttchergäßchen) oder Stadtpfeiffer-Gäßgen (jetzt Ma- gazingasse, früher auch im Volksmund Häschergäßchen und Wehmüttergäß- chen, „weil hier in kleinen, vom Rat erbauten Beamtenwohnungen überwiegend Stadtpfeifer (Musiker), Polizeibeamte und Hebammen ansässig waren“ (SNBL S. 142). Das Restaurant „Stadtpfeifer“, passenderweise im Neuen Gewandhaus, bewahrt im Namen den Beruf der Stadtpfeifer, die am 10. Juli 1479 durch Be- schluss des Stadtrates eingestellt wurden. Außerhalb der Stadt Leipzig, an der Parthe gelegen, befindet sich die Gerberstraße (älter Gerbergasse, benannt nach dem Sitz des Gerberhandwerks, was seit 1510 dort nachweisbar ist). Zum Fami- liennamen geworden ist der Beruf des Stadtpfeifers nicht. Früh bezeugt ist dage- gen in Leipzig der überregional bekannte Name Fideler bzw. Fiedler: 1432 Nickil Fideler (KUNZE 2012: 55). Straßennamen, die über Jahrhunderte am Ort haften, sind somit noch siche- rere regionale Sprachzeugen als Familiennamen, die ja durchaus schon früh durch Zuwanderung „erweitert“ wurden. Schon seit fünf Jahren bestücken wir im Namenkundlichen Zentrum eine Familiennamen-Datenbank, in der wir auch aus „öffentlichen Textsorten“ ganz unterschiedlicher Art Leipziger Namen bewahren: Todesanzeigen in der Zeitung, Geburtstagsjubiläen, Verzeichnis von Taufen und Konfirmationen in Kirchennachrichten, Klingelschilder und schließlich auch Namen auf Grabsteinen. Wir tun dies aus dem Wissen heraus, dass die Telefonverzeichnisse nur einen Teil der Bevölkerung erfassen und im- mer weniger Menschen sich dort registrieren lassen und ein Gesamtverzeichnis 98 Dietlind Kremer aller Familiennamen in Deutschland (im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern) noch in weiter Ferne liegt; das Statistische Bundesamt antwortet nicht einmal auf entsprechende Anfragen.

Abb. 18: Alte Straßennamen in Leipzig.

5. Fazit

Die Untersuchung der regionalen Namenüberlieferung in Sachsen bzw. Leipzig hat gezeigt, dass sich historische und landschaftliche Besonderheiten durch die digitalen Kartierungsprogramme viel konkreter aufzeigen lassen als es bisher möglich war, vgl. dazu etwa Abb. 1 („Laut-und Wortgeographie in deutschen Familienname“). Mit der Auswertung von 35 Millionen Telefonanschlüssen (geo- gen, Stand 31.12.2002) sind statistisch aussagekräftige und namenkundlich brauchbare Karten verfügbar, die Namenräume und Namennester abbilden kön- nen, die eben auch mit Blick auf berufsbezogene Familiennamen aufschlussreich sind.

Am bekannten (etymologisch wohl nicht definitiv geklärten) Beispiel des Bött- chers (oder Fassbinders) lässt sich die Bedeutung der Namengeographie für die Sprachgeographie leicht illustrieren, hier als Ergänzung/Illustration der Karte in KÖNIG 2004: 193 (und darauf fußend Konrad KUNZE 2004: 122 und KOHL- HEIM/KOHLHEIM 2005: 150), FAHLBUSCH/PESCHKE 2016: 314-315(-331). Im Leip- Regionale Namenüberlieferung als Spiegelbild beruflicher Tätigkeiten 99 ziger Adressbuch von 1937 ist diese Berufsbezeichnung am häufigsten mit dem Namen Böttcher29 (351 Personen, 59. Stelle) vertreten, dazu die Varianten Böttger (166 Personen, 165. Stelle), Böttiger (22 Personen, 1627. Stelle) und Bötticher (nur 4 Personen).30 Mit der Karte zum FN Böttcher (Abb. 19) kann man die historische Verbreitung der Berufsbezeichnung Böttcher nachzeichnen, er ist offensichtlich (je nach Definition) nicht nur mitteldeutsch31, Nach geogen gab es im Jahr 2002 deutschlandweit insgesamt 12.540 Telefonanschlüsse unter Böttcher (150. Posi- tion der häufigsten Familiennamen). Die Variante Böttger, mit 3.406 Einträgen, ist offensichtlich regionaltypischer (Abb. 20).32 Als niederdeutsche Varianten dazu gelten Bödecker, Boedecker, Bödiker. Nach allgemeiner Auffassung ist Büttner, mit den Varianten Bittner und Böttner, Synonym zu Böttcher33, auch hier kann die Namenverbreitung (Abb. 21-23) Hilfestellung leisten.34 Denselben Beruf führten auch Fassbinder aus. In unserem Leipziger Namenmaterial von 1937 ist der Name Faßbinder nur in drei Fällen nachgewiesen. Allerdings ist diese Bezeichnung als FN heute eher selten anzutreffen (Fassbinder 75, /Faßbender 3.261), in den Kurzformen Binder (9.335) und (10.784) sind sie jedoch deutlich regi- onal vertreten (Abb. 24-25). Die Bedeutungsgruppe ließe sich insbesondere mit Küfer/Kiefer und Kübler, Küpper(s) ergänzen.35 Die Berufsbezeichnung z.B. des Försters, zu mhd. forstære, forster, mit den Varianten Forster, Foerster und den historischen Formen Vorster, Farster (vgl. HELLFRITZSCH 2007: 70), hat wiederum einen Namenschwerpunkt in Ostsach- sen, ist aber die allgemeine Berufsbezeichnung bis heute (Abb. 26).36

–––––––— 29 SOLLUNTSCH (1991) nennt folgende historische Formen für Leipzig: 1454 Botchir, 1481 Botcherinne, 1494 Botticher (17), HELLFRITZSCH (2007: 41) zusätzlich noch 1336 Botscher und 1496 Potticher. 30 Gefolgt von Büttner (188 Personen, 139. Stelle), Böttner (28 Personen, 1278. Stelle) 31 „nach der räumlichen Verbreitung ist der Familienname Böttcher – wie die Berufs- bezeichnung auch – vor allem im Mitteldeutschen heimisch.“ (NAUMANN (1996: 42). 32 „der -ich-Laut oftmals mundartlich für -g- steht“ (so NAUMANN 1996: 42). 33 KÖNIG 2004: 193 (und danach KUNZE 2004: 122 und KOHLHEIM/KOHLHEIM 2005: 150) fassen sogar beide Formen kartographisch zusammen. Nach geogen gibt es 11.107 Telefoneinträge auf Büttner, 5.994 Bittner und 1.038 Böttner. 34 Nach NAUMANN (1996: 42) „ostdeutsch“. 35 KÜFER 82, KIEFER 8.109; KÜPPER 3.277, KÜPPERS 2.984; KÜBLER 3.290 36 Es verwundert, dass EBNER (2015: 209f.) eine Reihe von Bildungen mit Forst-, aber nicht die Bezeichnung Förster erwähnt. 100 Dietlind Kremer

Abb. 19: Die regionale Verteilung des FN Böttcher (Quelle: geogen 3.2.).

Abb. 20: Die regionale Verbreitung des FN Böttger (Quelle: geogen 3.2.). Regionale Namenüberlieferung als Spiegelbild beruflicher Tätigkeiten 101

Abb. 21: Die regionale Verteilung des FN Büttner (Quelle: geogen 3.2.).

Abb. 22: Die regionale Verteilung des FN Bittner (Quelle: geogen 3.2.). 102 Dietlind Kremer

Abb. 23: Die regionale Verteilung des FN Böttner (Quelle: geogen 3.2.).

Abb. 24: Die regionale Verbreitung des FN Binder (Quelle: geogen 3.2.). Regionale Namenüberlieferung als Spiegelbild beruflicher Tätigkeiten 103

Abb. 25: Die regionale Verbreitung des FN Bender (Quelle: geogen 3.2.).

Abb: 26: Die regionale Verteilung des FN Förster (Quelle: geogen 3.2.). 104 Dietlind Kremer

Mit Blick auf das Thema „Name und Beruf“ kann man zusammenfassend fest- stellen, dass es im Großen und Ganzen überall dieselben Berufe bzw. Tätigkei- ten gab, mit Unterschieden in städtischem bzw. ländlichen Gebiet bzw. bei na- turräumlich geprägten Berufen (z.B. Bergbau), so dass lediglich die sprachliche Erfassung dieser Tätigkeiten „regional“ variiert. Die Familiennamengeographie kann diese landschaftlichen Unterschiede nachzeichnen. Dabei handelt es sich um lautgeographische, d.h. mundartliche Varianten (z.B. Schulte: Schulze, Pie- per: Pfeifer) oder um wortgeographische Varianten (z.B. Töpfer, Pötter, Hafner). Dass diese Unterschiede sich auch auf die Bildungsweise von Familiennamen beziehen, hat SCHÜTZEICHEL (1982: 65) unter dem Stichwort „regional gebun- dene Bildungsweisen“ beschrieben. Schließlich kann über die „Regionalität von Familiennamen“ auch etwas über den Zuzug aus andern Regionen abgelesen werden, und dass nicht nur durch Herkunftsnamen, sondern durchaus auch durch Berufsnamen, wie durch die Kartierung von Namen aus den historischen Quellen, z.B. dem obengenannten Schöffenbuch, bereits für das Jahr 1500 in Leipzig festgestellt werden kann. Aber das wäre Thema einer eigenständigen Untersuchung.

Literatur

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Anhang

Leipziger Familiennamen nach dem Beruf von den Anfängen bis zum Jahr 1500 nach Marit SOLLUNTSCH (1991), in der Gruppierung der Autorin. Land- und Forstwirtschaft, Jagd und Fischerei Ackermann, Ußreither, Bauer, Burle, Gartener, Gebuwer, Haußmann, Lantmann, Pawer- cke, Pewrlin, Rewter, Roder Eichelmann, Futerhecker Gerstmann, Hafermann, Kolman Ochsener, Roßeler, Schefer, Czeideler, Ziger Schirmeister Rurecke, Schweitzer, Stoppler Weintzorlein, Wintzer, Erelhawer, Forster, Hawer, Hecker, Hoyer, Swendener Becherer, Kyner, Koler, Peckman Vogeler, Jheger, Wachteler, Weideman, Weidener Fischer, Piscatoris Nahrungsgewerbe Backmeister, Becke, Becker, Hartpeck, Crappenbecker, Kuchener, Kulebecke, Metczener, Pfister, Pistoris, Semeler, Warmbecke Geumollir, Holtmuller, Molitoris, Muller, Swestermoller Fleischer, Fleischhouwer, Metzler Jarkoch, Koch, Cocquinarius, Kuchener Brawer, Meltzer, Methsyder, Preil, Weinborners Kruger, Kretzschmar, Schencke, Wirt Olsleger Metallgewinnung und -verarbeitung, Hüttenwesen Faber, Hammerschmidt, Huffsmeth, Cleynsmeth, Clinger, Clingener, Koppersmeth, Cuprifabri, Messerer, Messerschmydt, Messingslaher, Scheider, Smidt, Swertfeger, Sensenschmydt, Goldener, Goltsleger, Goltsmidt Boltzenmacher, Kannengißer, Kesseler, Leuschner, Naldener, Rotgießer Schernsleyfer Spenglerin, Spornn Bergmann Holzverarbeitung Binder, Bodendar, Bottcher, Böttener, Escherer Carpentarius, Radecker, Stellmacher, Wagner Bretsnyder 108 Dietlind Kremer

Drocker Kystener, Stuler, Tafeler, Tischer Korber, Kötzler Snitzer Schindler Seber/Sieberin Hofeler Lederherstellung und -verarbeitung Buteler, Ficker, Geißler, Gorteler, Rentzler, Rymer, Satleryn, Tesschener, Cingulator, Czoymer, Czugeler Korsener, Pellifex Lederer, Loheman, Lohrn, Roßeler, Weißgerber Busser, Reseler, Schuman, Schuster, Suter Textil- und Bekleidungsgewerbe Bettmacherin, Betziche, Zciche, Ziger Blecker, Bleicher, Ferber, Slichtechens, Welcker Leyneweber, Weber Tuchscheerer Neterin, Sneyder, Schroter, Sutor Huter, Huterman Seidenhefter, Seidensticker, Senckeler Kneuffeler Seiler Baugewerbe Vester, Steger, Steinsetzer Clebir, Mewrer, Weller Maler, Meler Sparren, Zigeldecker, Zymmermann Steynmetz Glaßer Gesundheits- und Schönheitspflege Bader, Barbirer, Kopper, Scherer, Stobener, die Wasserzieheryn Apotecarius Handel und Verkehr Kauffman Hacke, Ketzler, Kremerin, Menger, Schammer, Trewtler, Winkeler Hafermann, Hoppener, Meler, Saltzman Regionale Namenüberlieferung als Spiegelbild beruflicher Tätigkeiten 109

Fehre, Ferge, Ferig, Fuhrmann, Reseler, Roßeler, Swepperman, Wagmeister Schroter, Spenneryn Amt und Dienst Burggraffe, Voit, Grefe, Landgreue, Probst, Rathman, Richter, Schoppe, Schultze, Schult- heiss, Undervoith Heyscher, Kemmerer, Kammermeister, Kestner, Keller, Kelreman, Kelner, Cellerarius, Kochemeister, Kretzener, Mutner, Steyrer, Weynmeister, Zehentner Monetarius, Muntzer, Schroter, Wagmeister, Weger Kurensehe, Seyger, Seigersteller, Streicher, Wassermann Bothe, Rynner, Schrier, Webel Ewener, Scheider, Slichtechens Fackeler, Cantzeler, Scheppenschreiber, Schriber, Stadtschreiber, Stulschreiber der alde gwardian, Haußmann, Huter, Hueter, Huterman, Schutter, Schutz, Thormann, Thorwarter, Wechter W. der frone, Schrenck, Marschalck, Marsteller Carnifex, Stockart Abt, Episcopus, Glockener, Cantrifusoris, Kircher, Kirchner, Organista, Orgelmeisterin, Prister Rechts- und Besitzverhältnisse Bachmeyer, Barmann, Bulmeyer, Distelmeyer, Geyhufe, Gerstmayer, Hofer, Hofeler, Hufe, Hufener, Huber, Lehman, Lehener, Meyer, Sehelender, Smidthofer Hewseler Musikanten, Gaukler, Spielleute Fideler, Lutensleger, Singer, Spilman, Trumpeler Prage, Schermer, Schirmeister, Wick Kriegswesen Panzirmacher, Platener Ußreither, Heubtmann, Kempfe, Reißiger, Rewter, Schermer, Schirmeister, Schutz, Schutzmeister, Schweitzer, Soldan, Soldner, Spetener Allgemeine Tätigkeiten Ußgeber, Borer, Borner, Hebner, Helffer, Kerer, Prenner, Stenger, Weger Sonstige Berufe Becherer, Kruger, Topfer Fackeler Santwerfer Seyffensyder

Monika Choroś Familiennamen nach dem Beruf in oberschlesischen Urbaren des 16. Jahrhunderts*

Gegenstand dieses Beitrags sind historische, von Berufsbezeichnungen abgelei- tete Personennamen der Einwohner im Gebiet Oppeln-Ratibor im 16. Jahrhun- dert und deren Einfluss auf die Entwicklung der Zweinamigkeit in Oberschle- sien. Untersucht werden Personennamen sowohl in ländlichen Gebieten wie auch in den beiden, zu jener Zeit größten oberschlesischen Städten Oppeln und Ratibor.1 Das untersuchte Quellenmaterial wurde dem Urbar der Stadt Oppeln von 15322, den Urbaren der Kammergüter Oppeln-Ratibor aus den Jahren 1566-15673 und dem Kaufbuch4 der Stadt Oppeln entnommen. Oberschlesien war im 16. Jahrhundert ein Land der Böhmischen Krone und gehörte zum Herrschaftsbereich der Habsburger. Kompliziert waren in diesem Teil Schlesiens nicht nur die politischen Verhältnisse, sondern auch nationale und sprachliche Gegebenheiten. Oberschlesien war zu jener Zeit dreisprachig mit vorwiegend polnischen Bevölkerungsanteilen und nicht allzu häufigen tschechischen Sprachinseln, hauptsächlich im südlichen Teil der Region. Die ethnisch deutsche Bevölkerung Oberschlesiens ging im 16. Jahrhundert langsam in ihrer polnischen Umgebung auf.5 In Ratibor und Oppeln lebten zahlenmäßig –––––––— * Übersetzung von Antoni Niemczura. 1 In seiner Monographie Górny Śląsk: zarys dziejów do połowy XX wieku [Oberschlesien. Ein Abriss der Geschichte der Region bis Mitte des 20. Jahrhunderts], Opole 2001, 44 gibt M. LIS die Einwohnerzahlen von Oppeln im 16. Jahrhundert mit 2100, Ratibor mit 1800 und Beuthen mit 1350 an. 2 Außzug auss den Alten Marggräfischenn Urbari der Stadt Oppelnn 1532-1533, Archiv- bestand: Akta miasta Opola, Aktenzeichen 22, Signatur 134, 1-24. 3 Urbarze dóbr zamkowych opolsko-raciborskich z lat 1566 i 1567 [Urbare der Schloßgü- ter Oppeln-Ratibor aus den Jahren 1566 und 1567], hg. von R. HECK und J. LESZ- CZYŃSKI, Wrocław 1956. 4 Księga Kupna miasta Opola 1558-1589, Kaufbuch der Stadt Oppeln 1558-1589, Staatsarchiv Opole, Archivbestand: Zespół miasta Opola, Aktenzeichen 22, Signatur 135, 1-418. 5 K. LAMBRECHT, Die kulturellen Beziehungen zwischen den oberschlesischen Städten und den Metropolen Ostmitteleuropas im Zeitalter von Humanismus und Renaissance, in: Stadtgeschichte Oberschlesiens, hg. von T. WÜNSCH, Berlin 1995, 195-216, hierzu 197; N. MORCINIEC, Wieloetniczność w historii Śląska na przykładzie polsko-niemieckich

Onomastica Lipsiensia/OL 13 (2018), S. 111-135. 112 Monika Choroś weniger deutsch- als polnischsprachige Einwohner, und in ländlichen Gebieten war deutsche Bevölkerung deutlich in Unterzahl. In der herzoglichen Kanzlei bediente man sich vorwiegend der tschechischen Sprache, städtische Behörden verfassten ihre Urkunden auf Deutsch, Tschechisch oder Polnisch6 und kirch- liche Stellen nutzten Latein als Amtssprache.

Entwicklung der Familiennamen in Polen

Die Zweinamigkeit7 entwickelte sich in Polen im 13. Jahrhundert und war zuerst auf den Adel beschränkt. Ende des 15. Jahrhunderts erfasste die Entwicklung langsam auch das Bürgertum.8 Erste Belege für vererbte Adelsnamen tauchen in Polen Mitte des 13. Jahrhunderts, erste Erwähnungen der Weitergabe von Famili- ennamen durch Bürger im frühen und unter Bauern im späten 14. Jahrhundert auf. Ein wichtiger Umstand in der Entwicklung von Familiennamen ist auch die Tatsache, dass sich Namen auf die ganze Familie, die gesamte Sippe bezogen und von der Ehefrau übernommen wurden. Die Familiennamen waren zu jener Zeit jedoch immer noch veränderbar und nicht verbindlich, ihre Verwendung und Weitergabe an Nachkommen wurde aber bei vielen Stadtbürgern immer belieb-

–––––––— stosunków językowych [Multiethnische Gesellschaft in der Geschichte Schlesiens am Beispiel deutsch-polnischer Sprachbeziehungen], in: Silesia Philologica, Red. M. HAŁUBA, Wrocław 2002, 27-35. 6 A. KOWALSKA, Dzieje języka polskiego na Górnym Śląsku w okresie habsburskim (1526- 1742) [Geschichte der polnischen Sprache in Oberschlesien zur Zeit der Habsburger (1526-1742)], Wrocław 1986; W. DZIEWULSKI, Rola języka czeskiego na polskich obszarach Górnego Śląska w XV-XVII wieku i proces zastępowania go językiem polskim [Stellenwert der tschechischen Sprache in polnischen Teilen Oberschlesiens vom 15. bis zum 17. Jahrhundert und Prozesse ihrer Verdrängung durch Polnisch], in: Kwartalnik Opolski 20, 1974, 59-77. 7 Z. -KALETA, Historia nazwisk polskich na tle społecznym i obyczajowym (XII - XV wiek) [Geschichte polnischer Familiennamen und ihr sozialer und gesell- schaftlicher Kontext] , Bd. I , Warszawa 2007, 392-397. 8 E. NOWAK-PASTERSKA, Z problematyki kształtowania się polskich nazwisk. Model odmiejscowy na -ski w antroponimii poznańskiej XVII i XVIII wieku [Zur Frage der Entwicklung von polnischen Familiennamen. Model der Herkunftsnamen mit dem Suffix -ski in Poznań im 17. und 18. Jh.], in: Kwartalnik Językoznawczy 3 (1974), 14. Familiennamen nach dem Beruf in oberschlesischen Urbaren 113 ter. Der Gebrauch bürgerlicher und bäuerlicher Familiennamen verfestigte sich erst im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts.9 Anthroponyme mit Bezügen auf Berufsbezeichnungen, Ehrentitel oder Ämter werden in polnischer Fachliteratur schon länger behandelt. Witold Taszycki10 fasste die von Berufsbezeichnungen abgeleiteten Familiennamen zu einer eigenen Gruppe zusammen, Józef Bubak11 behandelte ihre besonderen Merkmale in Ver- bindung mit den von Appellativen abgeleiteten Personennamen und Aleksandra Cieślikowa12 beschrieb den Prozess der Entwicklung der Berufe bezeichnenden Appellative zu Familiennamen. Elżbieta Rudnicka-Fira13 untersucht diese Grup- pe von Familiennamen aus kultureller Sicht, und Andrzej Sieradzki bespricht die Wortbildungsmodelle, Funktionen und Verteilung einzelner Affixe bei Ab- leitung von Personennamen aus Berufsbezeichnungen. Diese Gruppe von Fami- liennamen wird unter verschiedenen Gesichtspunkten auch in Arbeiten zur schlesischen Anthroponymie behandelt. Es sind hier vor allem die Veröf- fentlichungen von Danuta Lech14, Henryk Borek15, Władysław Milerski16 und Małgorzata Magda-Czekaj17 zu nennen. –––––––— 9 Z. KALETA, Kierunki i metodologia badań. Terminologia, [Richtungen und Methoden der Forschung. Begrifflichkeiten] in: Encyklopedia nazw własnych [Lexikon der Eigennamen], Red. E. RZETELSKA-FELESZKO, Kraków 2005, 62-67. 10 W. TASZYCKI, Polskie nazwy osobowe [Polnische Personennamen], Krakow 1924. 11 J. BUBAK, Proces kształtowania się nazwiska mieszczańskiego i chłopskiego [Entwick- lung bürgerlicher und bäuerlicher Familiennamen], Kraków 1986, 156-182. 12 A. CIESLIKOWA, Staropolskie odapelatywne nazwy osobowe. Proces onimizacji [Ab- leitung altpolnischer Personennamen von Appellativen. Prozesse der Onymisierung.], Wroclaw 1990, 202-203. 13 E. RUDNICKA-FIRA, Nazwiska odzawodowe krakowian w średniopolszczyźnie (perspe- ktywa kulturowa) [Ableitung von Personennamen aus Berufsbezeichnungen in Krakau im mittelalterlichen Polnisch (eine kulturhistorische Sicht)], in: Metodologia badań onomastycznych [Forschungsmethoden der Onomastik], Red. M. BIOLIK, Olsztyn 2003, 205-216. 14 D. LECH, Nazwy osobowe dziewiętnastowiecznych mieszkańców Opola (ze słownikiem etymologicznym nazwisk) [Personennamen der Einwohner von Opole im 19. Jahr- hundert (mit etymologischem Lexikon der Personennamen)], Opole 2004, 33-34; Nazwiska odapelatywne a kultura regionu [Ableitung von Personennamen aus Appellativen und ihre Bedeutung für die Kultur der Region], in: Metodologia badań onomastycznych [Forschungsmethoden der Onomastik], Red. M. BIOLIK, Olsztyn 2003, 217-230. 15 H. BOREK / U. SZUMSKA, Nazwiska mieszkańców Bytomia od końca XVI wieku do roku 1740. Studium nazewnicze i społeczno-narodowościowe [Familiennamen der Einwoh- 114 Monika Choroś

Familiennamen aus Berufsbezeichnungen

Die Zunamen, die hier als historische Familiennamen betrachtet werden, lassen sich in allen Urbarbüchern und dem Kaufbuch vor allem auf Appellativa, auch solche mit emotionaler Komponente und einem Spitznamencharakter, sowie Ableitungen aus anderen Eigennamen zurückführen. Die Namen hatten nicht nur eine identifizierende und personenbeschreibende Funktion, sondern be- zeichneten zugleich die gesellschaftliche Stellung des jeweiligen Namensträgers. Diese Funktion erfüllten vor allem Familiennamen aus Berufsbezeichnungen, in unserem Fall war das der zweite neben dem Vornamen auftretende Namens- zusatz. Sie gaben ursprünglich Auskunft über den Beruf des Namensträgers. Mit der Zeit verschwand immer häufiger der direkte Bezug zum Beruf, ein Schneider war kein Schneider mehr, sondern ein Küster. Damit verfestigte sich die Na- mensfunktion der aus Berufsbezeichnungen abgeleiteten Appellative. Aleksandra Cieślikowa18 geht detailliert auf den Prozess der Entstehung und Neubildung von Anthroponymen aus Berufsbezeichnungen in der polnischen Sprache ein. Sie be- tont, dass mit der Nennung des Berufes, des Amtes und des Titels die jeweilige Person eindeutig und nachweisbar identifiziert wird und der Name wirkliche Informationen über den Benannten liefert, die mit dem Satz „Er ist ein Schnei- der, ein Zimmermann“ übermittelt werden. Später wird die Berufsbezeichnung Schneider, Zimmermann langsam in Verbindung mit dem Vornamen zur Be- zeichnung der jeweiligen Person, erfüllt die Identifizierungsfunktion und entwi- ckelt sich letztendlich zu einem Anthroponym. Doch davor erfüllten Berufsbe- zeichnungen eine doppelte Funktion. Sie lieferten Informationen über die Wirklichkeit und unterschieden die einzelnen Individuen voneinander.19

–––––––— ner von Beuthen vom späten 16. Jahrhundert bis 1742. Eine onomastische und sozial- ethnische Studie], Warszawa 1976. 16 W. MILERSKI, Nazwiska cieszyńskie, [Familiennamen in Cieszyn/Teschen], Warszawa 1996. 17 M. MAGDA-CZEKAJ, Historyczne nazwiska ludności Olesna na Śląsku Opolskim [Histo- rische Familiennamen der Einwohner von Rosenberg in Oberschlesien], Kraków 2003. 18 A. CIEŚLIKOWA, Staropolskie odapelatywne nazwy osobowe. Proces onimizacji [Ablei- tung altpolnischer Personennamen von Appellativen. Prozesse der Onymisierung], Wrocław 1990, 202-203. 19 K. RYMUT, Granica ili pierechodnaja oblast, mieždu nomen appelativum i nomen proprium, in: Proceeding of the Thirteenth International Congress of Onomastic Sciences, Cracov 1978, Bd. I-II, Warszawa 1982, 335-339. Familiennamen nach dem Beruf in oberschlesischen Urbaren 115

Quellenbeschreibung

Urbarbücher, d.h. Verzeichnisse feudaler Abgaben und Leistungen der Unter- tanen und Bürger an die Gutsherren entstanden in Oberschlesien im 16. Jahr- hundert.20 Ein Urbar war die Auflistung aller Einkünfte und diente zur Stei- gerung der Einnahmen. In Urbaren wurden Leistungen der Bevölkerung erfasst und teilweise auch die Lasten und Dienste der Bauern geregelt. Grund für die Erstellung eines Urbars war oft auch der Verkauf oder Verpachtung von Grundherrschaften. Sie sind deshalb eine wichtige Quelle von historischen, ge- sellschaftlichen und wirtschaftlichen Daten, liefern aber zugleich reichhaltiges Material für die oberschlesische Anthroponymie und Toponomastik. Urbare enthalten Personennamen, die sich aus Vornamen und oft auch aus Namenszu- sätzen (den heutigen Familiennamen) zusammensetzen, die aus Beruf-, Amts- und Standesbezeichnungen abgeleitet sind. In Listen und Beschreibungen der Abgaben und Leistungen der Einwohner einzelner Ortschaften und Vorwerke tauchen deren Namen und in Städten auch die jeweiligen Straßennamen auf. Im Stadtregister werden nur diejenigen Einwohner genannt, die Bürger einer Stadt sind und Steuern an die Stadt bezahlen. Die Register enthalten damit keine Angaben über die Unterschicht, Gesellen und Tagelöhner. In der Übersicht der Einkünfte aus den einzelnen Dörfern werden vorwiegend Vollbauern und Gärt- ner, aber kaum Häusler, Mieter und Kötner21 aufgelistet, die keine Abgaben an den Gutsherren zu leisten hatten. Zur Ergänzung der Listen Oppelner Stadtbürger des 16. Jahrhunderts und zur Bestätigung der Namen durch Mehrfachnennung wurde auch das Kaufbuch22 der Stadt untersucht. Als Vergleichsquellen zur Un- tersuchung der Entwicklung der Zweinamigkeit im frühen 16. Jahrhundert diente das Urbar der Herrschaft Pless von 153623. Alle diese Urbarbücher sind in deut- scher Sprache abgefasst, im Stadtbuch mit Kaufurkunden sind jedoch 252 Einträ- ge in tschechischer und 58 Einträge in deutscher Sprache enthalten. In Urbaren aus den 1530er Jahren, aber auch aus dem späten 16. Jahrhundert überwiegt bei Personenbezeichnungen die Zweinamigkeit, wobei die Personennamen aus einem –––––––— 20 Eine Auflistung der erhaltenen und veröffentlichten Urbare finden Sie in den Arbeiten von W. KUHN, Vier oberschlesische Urbare des 16. Jahrhunderts, Würzburg 1973, 15- 17, und Urbarze dóbr zamkowych opolsko-raciborskich (vgl. Anm. 3), X-XIII. 21 Ebenda, XV-XX. 22 Księga Kupna miasta Opola 1558-1589, [Kaufbuch der Stadt Oppeln 1558-1589], Staatsarchiv Opole, Archivbestand: Akta miasta Opola, Aktenzeichen 22, Signatur 135, 1-418. 23 W. KUHN (Anm. 20), 3-55. 116 Monika Choroś

Vornamen und einem Namenszusatz bestehen. Die Bezeichnung von Personen allein mit Vor- oder Spitznamen ist in den Kammergütern Oppeln, Ratibor so- wohl in Städten wie auch in ländlichen Gebieten verhältnismäßig selten. Das Ur- barbuch der Herrschaft Pless von 1536 zeigt ein anderes Bild. Nach wie vor über- wiegt hier die Zweinamigkeit, doch oft wird vorwiegend in der Beschreibung klei- ner Ortschaften in ländlichen Gebieten als Personenbezeichnung auch nur der Vorname verwendet. In einigen Fällen, wie z.B. bei den Dörfern Urbanowitz und Zabrzeg24, herrscht völlige Einnamigkeit.

Historische Familiennamen nach dem Beruf in Kammergütern Oppeln - Ratibor

Die Entscheidung, ob die zusammen mit dem Vornamen erscheinende Berufs- bezeichnung ein anthroponymischer Namenszusatz, ein Zuname oder aber die tatsächliche Bezeichnung für den Beruf oder Stellung der jeweiligen Person dar- stellt, war sehr schwierig, weil die untersuchten oberschlesischen Urkunden als historisches Quellenmaterial oft ohne jeden weiteren kontextuellen Bezug zur Verfügung stehen. In Urbaren kommen nur selten Einträge vor, die außer dem Personennamen auch den Beruf, Amt oder Standeszugehörigkeit der jeweiligen Person nennen, wie z.B. Niclas Lessota canczler 1566 Uo 11; Herr Adam Tscha- mer forstmeyster Uo 12; Matusch Jäger ein kretschmer 1567 Ur 216, Johann Ski- ba stadtschreyber Uo 12; Lorencz Siraczki ein stadtdiener Uo 15; einem fleyschern Adamo Wlockh 1566 Uo 22; Martin Pinkas fleischer Uo 22: Mruz Mudry scholtis Uo 40, oder Caspar (Janek Kasperkuw) des alten vogts sohn ist jecziger zeit vogt 1566 Ur 215. Die Mehrheit der Einträge beinhaltet zweinamige Personenbe- zeichnungen und benennt die Höhe der Abgabe wie z.B.: Viczencz Schüller, ge- schoss vom haus 2 gr. Uo 12; Cordula Scholtissin wittib, geschoss vom hause 9 gr, vom handwerch 12 gr. Uo 15; Valeckh Scholtis helt 2 huben frey Uo 25; Jan Stroz helt ½ hube Uo 37; Jacob Hutter gibt zins auf Georgi Ur 137; Pancratius Schwerdtfeger hat zwei gepreu Ur 131. Eine reichere Informationsquelle ist das Kaufbuch der Stadt Oppeln, wo ziemlich oft neben dem Vor- und Familienna- men die Bezeichnung des ausgeübten Handwerks oder der jeweiligen Stellung angegeben wird wie z.B. Donatth Schmiedt huttmacher, Krÿsstoffowi Örtelowi stolarzowi, Bartel Scholtz ein Riemer, Gregor Schreiber ein , Jan Cranz vogt oppolskÿ. In Urbareinträgen überwog, wie bereits erwähnt, die Zweinamigkeit, wobei Anthroponyme wie auch die Namen von Schutzheiligen der Steuertage, Namen der Orte, Teiche, Flüsse und Straßen großgeschrieben wurden. Andere Gat- –––––––— 24 W. KUHN, (Anm. 20), 16, 53. Familiennamen nach dem Beruf in oberschlesischen Urbaren 117 tungsnamen wie: wachgeldt, zins, krom, handwerc, teychlen, garten, hube, mal- der, darunter auch Berufsbezeichnungen: fischer, fleischer, kromer schrieb man dagegen klein. Neben dem Personennamen stand in den meisten Fällen klein- geschrieben der Name des Berufes, dem oft auch ein Komma oder ein Artikel vorangestellt wurde, wie z.B. in: Bartek, fleischer 1532 Uo 9, Kunttara, fleischha- ker 1532 Uo 16, Thomas Czyczekh fleischer 1566 Ur 159, Walekh der mülner 1566 Ur 205, Thumek der krätschmer 1566 Ur 205, unter dem scholczen Mudry Uo 40. Roman Heck und Józef Leszczyński, Herausgeber der Urbare der Oppeln- Ratiborer Schlossgüter, meinen, dass man in Einträgen wie „Bartel Fleischer oder Niclas Kangiesser“ nicht den Familiennamen, sondern eine Berufsbezeichnung aufschrieb25 und der deutsche Schreiber allem Anschein nach manche im Urbar erscheinenden Zunamen eindeutschte.26 Berechtigt erscheint in diesem Zusam- menhang die Frage, warum andere Anthroponyme wie z.B. Karczmareckh, Stawi- noga, Wludarz, Cibulka nicht ebenfalls eingedeutscht, d.h. nicht ins Deutsche übersetzt wurden. Eine andere Meinung vertritt Walter Kuhn, der die Urbarbücher der Herr- schaft Pless des 16. Jahrhunderts bearbeitete und veröffentlichte. Er meint: „In einem Gebiet, in dem sich das Polnische als Sprache der Bevölkerung, das Tschechische als Amtssprache und das Deutsche in beiden Funktionen begeg- nen, sind die Personennamen der Urbare von erheblichem Erkenntniswert, ebenso wie die Namen der Örtlichkeiten, der Dörfer, Flüsse, Teiche usw. Vor- erst ist dabei die Frage zu klären, ob die deutsche Sprache der Urbare auf die Schreibung der Eigennamen eingewirkt hat. Dass das kaum der Fall ist, geht schon daraus hervor, dass in den meisten Dörfern die Vornamen […] in polni- scher Form, meist als Koseform auftreten”.27 Die Erkenntnisse von Walter Kuhn lassen sich ohne weiteres auf Urbare der Kammergüter Oppeln-Ratibor übertragen. Auch hier treten polnische Vorna- men überwiegend als Kosenamen auf: Janek, Kuba, Walek, Jędrzej, Bartek Woj- tek, Klimek, Tomek, Maciek. Neben Vornamen in deutscher Form, wie: Jacob, Johannes, Hans, Paul, Lorencz, Greger, Andres, Simon, Wenzel stehen ihre polni- schen Äquivalente: Jakub, Jan, Hanus, Paweł, Wawrzin, Grzegorz, Gendrzey, Szymon Waczlaw. Sehr selten sind dagegen tschechische Formen der Vornamen wie Mikulasz, Marketa, Hawel.

–––––––— 25 Urbarze dóbr zamkowych opolsko-raciborskich (vgl. Anm. 3), XXVII. 26 Ebd. XXVI. 27 W. KUHN (Anm. 20), 73*. 118 Monika Choroś

Kaum gerechtfertigt erscheint in diesem Zusammenhang die These der Ver- fasser von Urbarze dóbr zamkowych opolsko-raciborskich [Urbare der Kammer- güter Oppeln-Ratibor], dass in den Urbaren keine Familiennamen, sondern nur Berufsbezeichnungen auftreten. Gegen ihre These spricht zudem die Tatsache, dass Besitzer der Kramläden in Oppeln und Ratibor als Krämer bezeichnet und einzeln namentlich genannt werden: Hedwigis Schwinkowa wittib, Hanus Penczke, Barthel Scholcz Uo 17; Lenhart Tschech, Symon Kromer, Caspar Kirschner Ur 163. Im Untersuchungsmaterial treten zahlreiche Anthroponyme aus Berufs- bezeichnungen auf, die an zweiter Stelle, gleich nach dem Vornamen stehen und eine identifizierende Funktion (wie die heutigen Familiennamen) haben. Zu Namenszusätzen aus Berufsbezeichnungen werden nur Anthroponyme mit ei- nen Beruf oder eine gesellschaftliche Stellung bezeichnenden Ableitungsbasis gezählt. Ausgenommen davon sind damit Namen, die von Tätigkeiten, Arbeits- erzeugnissen oder Werkzeugen stammen, wie z.B. Skazirod ‘jemand, der seine Sippe entehrte’, Skopekh = skopek ‘ein Daubeneimer für Milch oder Sahne’, Stieffel ‘hoher Schuh’, Hawenzweig ‘Haferstroh’, Geyda = gajda ‘Sackpfeife, Du- delsack’, Dratwa = dratwa ‘Pechfaden’. In den Urbaren der Kammergüter Oppeln-Ratibor treten insgesamt 517 Zu- namen auf, die aus 189 (in den drei in Oberschlesien benutzten Sprachen) zu jener Zeit in Oberschlesien üblichen Handwerksberufen, Ämtern und Standes- bezeichnungen abgeleitet wurden. In den Urbarbüchern und im Kaufbuch der Stadt Oppeln machen sie damit knapp 20% aller Familiennamen aus. Viele dieser Formen erscheinen ziemlich häufig (Schneider, Sołtys ‘Schultheiß’, Karczmarz ‘Gastwirt’) und motivieren ihrerseits weitere anthroponyme Ableitun- gen wie: Sołtysek, Kaczmarzyk. Die Häufigkeit dieser Anthroponyme zeigt auch die Bedeutung und Verbreitung bestimmter Berufe und Ämter unter Einwohnern der Kammergüter Oppeln-Ratibor. Die hier bereits erwähnte Mehrsprachigkeit der oberschlesischen Bevölkerung spiegelt sich in den aus Berufen abgeleiteten polnischen, deutschen und tschechischen Familiennamen. Bei Familiennamen von Frauen treten besonders häufig hybride Formen auf. Selten sind dagegen anthroponyme Namenszusätze in lateinischer oder latinisierter Form, die an der zweiten Stelle, gleich nach dem Vornamen stehen, wie z.B.: Faber ‘Schmidt’, Kan- tor ‘Vorsänger, Leiter des Chorgesangs’, Molenda ‘Müller’, Pister ‘Bäcker’. Ein Teil der polnischen Anthroponyme aus Berufen geht auf frühere Ent- lehnungen aus der deutschen Sprache zurück. Sie kamen ins Polnische mit der Einführung des deutschen Stadtrechts und den zahlreichen deutschen Hand- werkern und Kaufleuten, die in die polnischen Städte strömten. Viele Bezeich- nungen von Handwerksberufen, städtischen Ämtern und Einrichtungen sind damit im 13. Jahrhundert ins Polnische entlehnte deutsche Lexeme, wie: bur- Familiennamen nach dem Beruf in oberschlesischen Urbaren 119 mistrz < Bürgermeister, wójt < Voigt/Vogt, sołtys < Schultheiß, kuśnierz < Kürschner, śrutarz < Schrötter, tragarz < Träger, cechmistrz < Zechmeister. Sie werden zu den polnischen Familiennamen gezählt, weil ihr Wechsel in die Ka- tegorie nomen proprium schon innerhalb der polnischen Sprache erfolgte. Im gesamten Quellenmaterial überwiegen deutsche Familiennamen, obwohl in einem erhaltenen Fragment des Urbarbuches von 1532 15 polnische und 13 deutsche Namen auftreten. 1566 werden in Oppeln 34 polnische und 53 deutsche Formen der Personennamen verzeichnet. Die Häufigkeit der Namen war natür- lich viel höher. In Dörfern des Fürstentums Oppeln kamen 15 deutsche Perso- nennamen vor, wobei jedoch die Namen Scholcz und Kretschmer in verschiede- nen Orten mehrfach auftraten. Die Zahl der polnischen Personennamen betrug 26, mit mehrfacher Wiederholung der Zunamen Krawiec, Włodarz und Młynarz. Ein ähnliches Bild zeichnet sich auch in Urbaren des Fürstentums Ratibor ab, ob- wohl hier die Schwerpunkte ein wenig anders verteilt sind. In Ratibor selbst treten 78 deutsche und nur 18 polnische anthroponymischee Namenszusätze aus Beru- fen auf. In den umliegenden Dörfern werden dafür 14 deutsche und 29 polnische Personennamen verzeichnet. Im Kaufbuch der Stadt Oppeln begegnen viel mehr polnische als deutsche Formen. Die Häufigkeit deutscher anthroponymischer Namenzusätze aus Berufen stellt sich wie folgt dar: Schneider – 20, Schmidt, Müller (und Variante), Scholtz – je 18, Kürschner – 16, Bütt- ner – 10, Kretschmer – 9, Weidner – 8, Tuchmacher, Fleischer, Leinweber, Vogt, Schlo- ßer – je 7, Zimmermann, Zechner – 6, Gärtner, Koch, Schwerdtfeger – 5, Schuster, Weber, Geisler, Wagner, Schmoltzer, Riemer, Schrotter, Schwarzfärber, Sattler, Stell- macher, Stellmach, Töpfer, Weissgerber – je 4, Bäcker, Schreiber, Krämer, Neugebauer, Glaser – 3, Küchler, Goldschmidt, Hutmacher, Hutter, Kannengießer, Biner, Klein- binder, Steinmetz, Kupferschmidt – 2. Alle übrigen (53) Zunamen traten einmalig auf.

Interessant ist hier die Betrachtung von speziellen Bereichen innerhalb einzelner Berufe. Die Bezeichnung Schmidt begegnet häufig, wenn man aber auch die Zu- sammensetzungen Goldschmidt, Hartschmidt, Kupferschmidt, Messerschmidt und andere Berufsbezeichnungen im Zusammenhang mit der Metallverar- beitung wie Kannengiesser, Schwerdtfeger, Schlosser, Ketner berücksichtigt, wird deutlich, welch große Rolle diese Berufe zu jener Zeit spielten. Eine große Fülle von unterschiedlichen anthroponymischen Bezeichnungen ist auch bei Weber- berufen wie Leinweber, Tuchmacher, Weber, Walcher, Schneider, Schwarzfärber festzustellen. Mit der Nutzung und Verarbeitung von Fellen befassen sich die Weißgerber, Rotgerber, Sattler, Schuster, Schuhmann, Riemer, Riemenschneider, Kürschner, Geisler. 120 Monika Choroś

Die Häufigkeit polnischer Anthroponyme ist ein wenig niedriger. Am häu- figsten sind folgende Bezeichnungen vertreten: Sołtys – 18, Młynarz – 8, Włodarz – 7, Tkacz, Kopacz, Krawiec – 5, Piernikarz, , Krajczy, Pastuszka, Starostek, Stawinoga, Kołodziej, Kościelny, Kolarz – 4, Kuśnierz, Rataj, Sołtysek, Rybarz, Mydlarz, Kowacz – 3, , Dworak, Piekarz, Kobylarz, Kotlarz, Piwowar, Siodlarz, Słodownik, Szewc, , Kupiec, Kuczera, Leśny, Marszałek, Kucharz, Organista, Olejownik, Szafarz, Szpitalny – 2. Alle übrigen Namenszusätze aus Berufen (52) traten einmalig auf. Tschechische Zunamen sind: Kowarz ‘Schmied’‚ Kreiczy ‘Schneider’‚ Krmaschny, Krtschmarzuw ‘Kretschmer’, Zahradnik ‘Gärtner’. Kennzeichnend für die untersuchten Namenzusätze aus Berufsbezeichnun- gen ist, dass ihre häufigsten Formen in allen in Oberschlesien gesprochenen Sprachen belegt sind, wie die folgenden Beispiele (deutsch, polnisch und tsche- chisch) zeigen: Kretschmer – Karczmarz – Krtschmarz; Gärtner - Zagrodnik – Zahradnik; Schneider – Krawiec – Kreiczy; Schmidt – Kowal – Kowarz. Weit verbreitet sind polnische und deutsche Formen des gleichen Namens wie bei: Bäcker – Piekarz; Büttner – Bednarz; Weber – Tkacz; Pfeferküchler – Piernikarz; Meltzer – Słodownik; Bierbreuer – Piwo- war; Koch – Kucharz; Scholtz – Sołtys; Schwerdtfeger – Mieczerz. Selten sind dagegen ausschließlich deutsche oder polnische Personennamen: Bader, Fiedler, Helfer, Kar- tenmacher, Goldschmidt, Krämer, Kästner, Schoff, Weissgerber, Borowy, Chmielarz, Gajowy, Górnik, Olejarz, Olejownik, Postrzygacz, Sitarz, Włodarz. Beide Sprachen weisen zudem sprachliche Mehrschichtigkeit von Berufsbezeichnungen als Ablei- tungsbasis für Familiennamen auf: Stellmacher – Wagner – Kolarz – Kołodziej – Stelmach; Schmidt – Kowal – Kowacz – Kuźnik; Bierträger – Schrotter – Śrutarz – Tragarz; Müller – Möller – Möllner – Müllner – Młynarz; Krüger – Töppfer – Garncarz, Garcorz; Fischer – Rybacz – Rybarz; Weidner – Weidemann – Pastuszka, Wajda; Greupner – Grissner – Krupnik. Die untersuchten Anthroponyme zeigen ein sehr breites Spektrum sowohl von spezifisch städtischen (diese überwiegen) wie auch ländlichen Handwerksberufen. Darin spiegelt sich auch die Wanderung ländlicher Bevölkerung in die Städte und die Ansiedlung von Städtern auf dem Lande. So treten in Städten Personennamen auf, die für ländliche Bevölkerung üblich sind oder eine ländliche Herkunft der Einwohner bezeichnen, wie Bauer, Neugebauer, Sedlarz ‘Landmann, eingesessener Bauer’‚ Brenner ‘der durch Brennen den Wald rodet’‚ Weideman, Weydner, Weidner, Waidnerin, Pastuszka ‘Jäger, Hirt, Fischer’‚ Scholcz. Scholtiss/Soltys, Sołtysek Bÿner, Zeidler, Pasieczny ‘Imker, berechtigte zur Nutzung der Waldbie- nen’. Unter Dorfbewohnern tauchen dagegen Berufsbezeichnungen auf, die auf Familiennamen nach dem Beruf in oberschlesischen Urbaren 121 die Funktion der Stadt nicht nur als Zentrum des Handels und des Handwerks, sondern auch als Amts- und Regierungssitz hinweisen. Dazu gehören unter ande- rem: Probst (Stenczel Probst gärtner Uo 46), Schreiber, Weiman ‘Weinhändler, Ratskellermeister’, Burgmistrz ‘Burgmeister’, Kupecz ‘Kaufmann’‚ Schaffarz ‘Schaffer, Anordner, Verwalter am Hofe, im Kloster’, Mieschczienin ‘Stadtbewoh- ner’, Stadtschreiber, Vogt ‘Rechtsbeistand, Gerichtsbeamter’. Vielleicht sollten hierzu aber auch solche Zunamen wie Kürschner – Kuśnierz, Dworak und Mars- załek gezählt werden. Der Kürschner widmete sich vor allem der Aufbereitung und Verarbeitung wertvoller Felle. In den Städten gehörte er zu den reichsten Handwerkern und auf dem Lande fehlten ihm wahrscheinlich die Kunden. Unter den Handwerkern der Städte Oppeln und Ratibor tauchen aber die Berufsbe- zeichnungen Pelzer oder Kożusznik nicht auf, die Kleidung aus weniger wertvol- len Fellen von Schaffen und Wölfen herstellten. Jedoch im Kaufbuch wird „dom kożuszny“ also ein Pelzhaus außerhalb der Stadt erwähnt. Die Bezeichnung Mar- szałek ‘ein höfischer und städtischer Beamter oder aber ein Pferdeknecht’ konnte sich durchaus auf einen einfachen Pferdeknecht beziehen, und Dworak ‘Hof- mann, Diener am Hofe, Höfling’ auch einen Landarbeiter bezeichnen, der in ei- nem Herrschaftsgut für den fürstlichen Hof arbeitete. Trotz der überaus starken lexikalischen Einflüsse der deutschen Sprache im Bereich der städtischen Einrichtungen und der Verwaltung zeigt sich, dass unter deutschen Anthroponymen Namen von Handwerksberufen und nicht Bezeich- nungen für Ämter und gesellschaftliche Stellung wie: Scholtz, Vogt, Zechner, Kastner, Schaffer, Schoff, Hoffmann überwiegen. In den Urkunden sind folgende polnische Zunamen nach Amts- und Standesbezeichnungen ihrer Inhaber zu finden: Sołtys, Sołtysek, Starostek, Włodarz, Burgmistrz, Marszałek, Grodzki, Szpitalny, Szkolny, Wojewodka. Eine besondere Gruppe unter Anthroponymen aus Berufsbezeichnungen bilden figurative oder ironisierende Zunamen, deren lexikalische Felder nicht mit den Bedeutungsfeldern der Appellative übereinstimmen.28 Diese Personen- namen lassen sich von Titeln und Bezeichnungen weltlicher oder kirchlicher Ämter ableiten. Sie sind eindeutig den Spitznamen zuzuordnen und werden deshalb in diesem Beitrag nicht näher behandelt. Die Ableitungsbasis dieser Zunamen war in den meisten Fällen das Appellativum król. Der Familienname Krul/Kruol und seine tschechische Form Kral sind in 15 Beispielen belegt, doch die deutsche Äquivalente König ist nicht nachgewiesen. Weitere Beispiele wie:

–––––––— 28 A. CIESLIKOWA (Anm. 12), 203. 122 Monika Choroś

Klecha ‘Pfaffe’, Biskup ‘Bischof’, Mnissek (zu mnich) ‘Mönch’, Ksioncko ← ksiądz ‘Pfarrer’‚ Probst ‘Vorgesetzter eines Domkapitels’ treten sehr selten auf. Die in den Urbaren zusammen mit dem Vornamen zur Identifizierung von Personen nachgewiesenen Namenzusätze haben in der untersuchten Zeitperiode noch nicht die Funktion von Familiennamen im heutigen Sinne, denn sie waren noch nicht verbindlich. Dennoch ist ihre Verwendung innerhalb einer Familie und ihre Vererbung festzustellen, was eine stärkere Verbindlichkeit der Namen- zusätze zur Identifizierung der jeweiligen Person und ihre Funktion als Familien- namen belegt. Die Verwendung der Zunamen innerhalb der Familie wird unter anderem durch Auftreten ihrer weiblichen Formen wie Margaretha Melzerin 1532, Uo 4, Magdalena Krebissin Uo 10, Zusanna Scholtiskin Uo 11, Katarzina Mydlarzka 1577 K 215, Anna Kolodziejka 1590 K 416 und Bezeichnungen der Verwandtschaftsverhältnisse wie Thomas und Urban Schwarczer gebrüder 1566 Uo 117, Matus und Viczek Pakusch Uo 118, Matheusz a Ficzek bratrzÿ Wronowie 1563 K 16, Lorencz Waidner Caspar Waidner syn techos 1586 K 299 bestätigt. Die Verwendung innerhalb der Familie und Vererbung der Zunamen wird zudem von Patronymen wie z.B. Paul Karczmareckh ← Karczmarz Melcher Kolodeyow ← Kołodziej, Adam Pilarczikh ← Pilarz, Woӱtiech Ssoltysek ← Sołtys, Girzik Piwowa- rzky ← Piwowar belegt. Viele Beispiele von Patronymen enthält das Kaufbuch der Stadt Oppeln, in dem ganze Familien aufgelistet werden: Dorotha Chodurzina wdowa Thomassowi Chodurze a Janem Chodura 1568 K 131, Dorotha Czechnerowa wdowa po Simm- kowi Czechnerowi i syna Petra Czechnera 1570 K 147. Der Vergleich der Personenamen der Oppelner Bürger im Urbar von 1532, dem Urbar von 1566 und dem Kaufbuch zeigt, wie viele nach dem Vornamen ste- hende Namenszusätze in diesen Urkunden wiederholt genannt werden. Die meisten Personennamen im Urbar von 1566 tauchen auch im Kaufbuch der Stadt Oppeln für die Jahre 1558-1589 auf. Außer den Namen werden dort oft auch Berufe der an dem Geschäftsabschluss Beteiligten und der Zeugen aufge- schrieben. Diese Angaben belegen, dass sich viele Anthroponyme aus Berufsbe- zeichnungen auf Personen beziehen, die einen ganz anderen Beruf ausüben: Jakub Schneider, schlosser K 27, Gregor Schreiber zimmermann K 17, Donath Schmiedt Huttmacher 1563 K 44, Cordula Scholczowa 1565 K 92, Jan Rataj klo- bucznik ‘Hutmacher’ K 342. Dies ist ein weiterer Beweis für die Verwendung von Berufsbezeichnungen als Personenamen. Das Bewusstsein für die gesellschaftliche Rolle der anthroponymischen Na- menszusätze in jener Zeit belegen folgende Einträge: einem fleyschern mit na- men Clement Kochaneckh Uo 22; ein gärtner mit namen Jan Slaby Uo 80; ein fi- Familiennamen nach dem Beruf in oberschlesischen Urbaren 123 scher zu Oppeln mit namen Gyleckh Uo 33; einem müllner mit namen Staneckh Wrsba Uo 58; ein fischer zu Oppeln mit namen Klimeckh Uo 60; müllner mit namben Paull Themer Ur 177. Ein ähnliches Bild zeigt sich nach Analyse des Urbars der Herrschaft Pless von 1536. Wie in den Urbaren der Kammergüter Oppeln-Ratibor überwiegt auch hier die Zweinamigkeit, die Anzahl der Anthroponyme aus Berufsbezeichnungen ist jedoch mit gerade 5% der Personennamen deutlich niedriger. Der Gastwirt und der Müller, und manchmal auch der Vogt werden in den jeweiligen Dörfern meist ohne Nennung ihrer Vor- und Zunamen erwähnt. In manchen Fällen steht neben dem Vornamen ein kleingeschriebener Name des Berufes, wie Rzehorz gertner, Andris schmidt, Greger schneider. Bei Personennamen nach Berufen kommen überwiegend polnische und tschechische Formen vor: Krawiec, Owczarz, Kowal, Tkacz, Włodarz, Folwarczny, Smolnik. Deutsche Berufsnamen sind: Krauthaker, Viehweider, Schoff, Scholtze. Personennamen nach Beruf-, Amts- oder Standesbezeichnungen werden von den Appellativen, oft ohne jegliche Änderung der Form abgeleitet, z.B.: Kowal = kowal’, Rybarz = rybarz, Woźnica = woźnica ‘Fuhrman’. In der polnischen wie auch in der deutschen Sprache sind sie meist wortgleich mit dem Nomen, wobei vereinzelt auch Derivate mit Suffixen auftreten: -czyk (Pilarczyk < Pilarz) -ów (Kołodziejów < Kołodziej) -ek (Starostek < Starosta, Pastuszek < Pastuch, Sołtysek < Sołtys, Kaczmarek < Karczmarz) -ka (Grzebaczka < Grzebacz ‘Totengräber’, Pastuszka < Pastuch ‘Viehhirt’, Wojewódka < Wojewoda, Starostka < Starosta) -ko (Książko < Książę).

Eine besondere Gruppe bilden weibliche Namenszusätze, die aus entsprechenden maskulinen Zunamen mit Hilfe von Suffixen -ka -owa und -in abgeleitet werden: -ka (Bednarzka < Bednarz, Kołodziejka < Kołodziej, Kowarzka < Kowarz, Mydlarzka < Mydlarz, Stelmaszka < Stelmach); -owa (Malerzowa < Malerz, Pastuszkowa < Pastuszek, Pastuszka, Sołtyskowa < Sołtysek, Starostkowa < Starostek). Das Suffix -owa diente auch zur Bildung von weiblichen Namenszusätzen aus deutschen Personennamen Scholczowa < Scholcz, und das Suffix -in Ableitun- gen aus polnischen Namen wie Starostkin < Starostka. 124 Monika Choroś

Zusammenfassung

Die Analyse des historischen Quellenmaterials zeigt, dass personenidentifizie- rende Bezeichnungen von Berufen, gesellschaftlicher Stellung und Ämtern die Entwicklung der Familiennamen in den Kammergütern Oppeln und Ratibor we- sentlich beeinflussten. Namenszusätze aus Berufen machen 20% aller zu jener Zeit auftretenden Anthroponyme aus und bilden ein weites Spektrum unterschied- lichster bis heute gültiger Berufe, Amts- und Standesbezeichnungen, wie: pie- karz/Bäcker, cieśla/Zimmermann, szewc/Schuster oder längst vergessener und heute unbekannter Bezeichnungen, wie z.B. sukiennik/Tuchmacher, mie- czarz/Schwerdtfeger, krupnik/Graupner ab. Personennamen nach Berufen spiegeln die zivilisatorische Entwicklung, die wirtschaftliche Leistung und den Stand der gesellschaftlichen und nationalen Verhältnisse jener Zeitperiode. Sie bestätigen zugleich die These, dass bei Personenmanen im 16. Jahrhundert in Oberschlesien, sowohl in der Stadt als auch auf dem Lande die Zweinamigkeit überwog und die Zunamen im Wesentlichen verbindlich waren, was durch Wiederholungen, Ver- wendung innerhalb der Familie und Vererbung belegt wird.

Zusammenstellung von historischen Familiennamen In der folgenden Zusammenstellung von Anthroponymen wird der Perso- nenname als Schlagwort in literarischer Form (Nominativ Singular) dargestellt. Die Einträge umfassen außerdem die Quellenzitate mit Datum des Eintrags und Quellenkürzel sowie eine kurze etymologische Beschreibung. Die Personen- namen sind alphabetisch in folgende Gruppen geordnet: polnische, deutsche, tschechische und latinisierte Familiennamen. Polnische Familiennamen Aptekarz (Josef Apotekarz 1564 K 51): aptekarz ‘Apoteker’. Barwanecz (Woӱtec Barwanecz 1564 K 55, Mandalena Barwanecz 1588 K 325): barwić + -ec ‘färben’. Barwicz (Girzik Barwicz 1573 K 179): barwić + -icz ‘färben’. Batorz (Nicl Bathorz 1567 Ur 236): batorz ‘Hersteller von Geiseln, Peitschen’. Bednarzka (Jurkowa Bednarzka 1567 Ur 180, 200): Bednarz < bednarz ‘Böttcher’ weib- liche Form des Familiennamens gebildet mit dem Suffix -ka. Borowy (Urban Borowy 1567 Uo 35): apol. borowy ‘Heger, Waldaufseher, auch jemand der in einem Wald wohnt’. Burgmistrz (Viczek Burgmistrz 1566 Uo 53): burmistrz ‘Vorsteher einer Stadt, Dorfge- meinde’, vgl. dt. Burgmeister. Chmielarz (Walek Chmelarz 1567 Ur 234): chmielarz ‘Hopfenanbauer, Hopfenhändler’. Familiennamen nach dem Beruf in oberschlesischen Urbaren 125

Cieśla (Blaschek Tiesla 1566 Uo 71): cieśla ‘Zimmermeister’. Czechner (Martin Czechner 1569 K 142, Peter Czechner, Ssimek Czechner, Dorota Czechnerowa 1570 K 147, Jan Czechner, Wawrzin, Martin Czechner, Katarzina Czech- nerowa, Tobiass Czechner 1582 K 336, Lorencz Tschechner 1589 K 462, 463): czechner ‘Mitglied des Zunft- Stadtrates oder Einheber des Zehnts’; im Kaufbuch der Stadt Oppeln kommt die Berufsbezeichnung czechner, czychner mehrmals vor. Dworak (Kaspar Dworak 1567 Uo 57, 58): dworak ‘Hofmann, der zu einem Hofe gehö- rige’. Farbiarz (Griger Farbirar 1574 K 194): farbiarz ‘Färber’. Furman (Martin Furman 1532 U 16): furman ‘Fuhrmann’. Gajny (Jan Gayny 1567 Ur 180): gajny ‘Heger, Waldaufseher’. Garncarz (Walentin Garczarz 1577 K 226): dial. garczarz ‘Töpfer’. Górnik (Climekh Gurnikh 1567 Ur 192): górnik ‘Bergmann, Arbeiter in einem Bergwerk oder Steinbruch’. Grodzki (Mates Grodzky 1566 Uo 13): (starosta) grodzki ‘Burgmann’. Grzebaczka (Grzegorz Grzebatschka 1567 Uo 66): apol. grzebacz + -ka ‘Totengräber’. Karczmarek (Paul Karzmareckh 1532 U 12): Karczmarz ←karczmarz + -ek ‘Gastwirt’. Klecha (Barthoss Klecha 1566 K 94): klecha ‘Pfaffe’, eher ein Spitzname. Kobylarz (Kuba Kobilarz 1567 Uo 61, Wytek Kobylarz 1567 Ur 198): kobylarz ‘Pferdehirt’. Kolarz (Gregor Kolarz 1567 Ur 152, 200, Jan Kolarss, Merten Kolarz 1567 Ur 153, Bartek Kolarz 1588 K 1): apol. kolarz ‘Rademacher, Stellmacher’. Kołodziej (Kristek Kolodiey 1566 Uo 77, Thomeck Kolozi 1566 Uo 92, Mruss Kolody 1566 Uo 123): kołodziej ‘Rademacher, Stellmacher’. Kołodziejka (Anna Kolodzeyka 1590 K 416): kołodziej ‘Rademacher, Stellmacher’; weibliche Form gebildet mit dem Suffix -ka. Kołodziejów (Melcher Kolodeyow 1567 Uo 122): Kołodziej + -ów. Kopacz (Mruss Kopacz, Jurek Kopacz, Jacoben Kopacz 1566 Uo 54, Mruss Kopacz 1566 Uo 56, Woytek Kopacz 1566 Uo 126)): kopacz ‘Totengräber’. Kościelny (Bartekh Kostelny 1567 Ur 185, Hansel Kostelny 1567 Ur 192, Krzystek Kostelny 1567 Ur 204): kościelny ‘Küster, Kirchendiener’. Kotlarz (Gannuss Kotlarz 1558 K 3, Peter Kotlarz 1579 K 216,): kotlarz ‘Kesselschmied’. Kowal (Scziazny Kowal 1566 Uo 61, Grzegorz Kowal 1566 Uo 64, Wawrzin Kowal 1567 Uo 85, Kristof Kowal 1574 K 188, Witek Kowal 1583 K 291): kowal ‘Schmied’. Krawiec (Kuba Krawiecz 1566 Uo 30, Bartek Krawiecz 1567 Uo 77, Thomeck Krawecz 1567 Uo 85, Simon Krawecz 1567 Uo 120, Simon Krawiez 1567 Uo 125): krawiec ‘Schnei- der’. Krupnik (Pawel Krupnikh 1567 Ur 199): krupnik ‘Graupner’. Książko (Mruss Ksionscko 1566 Uo 54): apol. książę + -ko ‘Priester’. Kucharz (Girzik Kucharz 1558 K 3, Schimek Kucharz, Viczekh Kucharz 1567 Ur 197, 198): kucharz ‘Koch’. 126 Monika Choroś

Kupiec (Urban Kupecz 1566 Uo 76): kupiec ‘Kaufmann’. Kurznik (Martin Kurznik 1574 K 188): dial. kurznik ‘Kohlenbrenner, auch jemand, der mit Feuer rodet’. Kurzniczka (Anna Kurzniczka 1576 K 207): Kurznik, weibliche Form des Familien- namens gebildet mit dem Suffix -ka. Kusznik (Jan Kuschnick 1566 Uo 62): kusznik ‘Armbrustschütze, Armbrustmacher’. Kuśnierz ( Baltasar Kusnertz 1532 U 20, Kuba Kussnirz 1573 K 167, Krystof Kussnirz 1577 K 226): kuśnierz ‘Kürschner’. Laskarz (Lorencz Laskosch 1567 Ur 237): laskarz ‘Hersteller von Stäben’. Leśny (Viteck Lessny 1566 Uo 118, Waczlaw Lessny 1566 Ur 196): apol. leśny ‘Heger, Waldaufseher, auch jemand der in einem Wald wohnt’. Malerz (Sebastian Maless 1565 K 82, Wawrzin Malirz 1566 Uo 99): dial. malerz ‘Maler’. Malerzowa (Marketa Malessowa 1565 K 91 und 1566 K 114): dial. Malerz ‘Maler’; weibliche Form des Familiennamens gebildet mit dem Suffix -ka. Marszałek (Simon Marschaleckh 1566 Uo 66, Peter Marschaleckh 1566 U 109): marszałek ‘Marschall, Hofbeamter, auch Pferdeknecht’. Mieczerz (Michael Meczerz 1563 K 37): apol. mieczerz ‘Schwerdtfeger’. Mieszczanin (Andres Mieschczenin 1567 Ur 235): mieszczanin ‘Stadtbewohner’. Młynarz (Hans Mlinarz 1566 Uo 39, Maczeckh Mlinarz 1566 Uo 57, Greger Mlinarz 1566 Uo 110, Bieniek Mlinarz 1566 Uo 122, Woytek Mlinarz 1566 Uo 126, Bartosch Mlynarz 1567 Ur 199, Matiey Mlynarz 1567 Ur 223): młynarz ‘Müller’. Młynek (Kuba Mlineckh 1566 Uo 35, Wiczekh Mlineckh 1566 Uo 36): apol. młynek ‘Müllershelfer, auch kleine Mühle’. Mnich (Stanislaw Mnich 1565 K 138, 1569 K 138): mnich ‘Müller, auch Mönch’. Mnissek (Girzik Mnissek 1565 K 78): Mnich + -ek ‘Müller oder Mönch’. Mydlarzka (Katarzina Mydlarzka 1577 K 215): mydlarz ‘Seifensieder’ weibliche Form gebildet mit dem Suffix -ka. Olejarz (Mathes Oleyarz 1567 Ur 150): olejarz ‘Ölpresser, Ölmüller’. Olejownik (Jacob Oleyownikh 1567 Ur 208, Peter Oleyownikh 1567 Ur 190): apol. olejownik ‘Ölpresser, Ölmüller’. Organista (Bartelmus Organista 1567 Ur 132): organista ‘Orgelspieler’. Pasieczny (Martin Pasieczny 1532 U 15): pasieczny ‘Bienenzüchter, Zeidler’. Pastuszka (Pastusska 1532 U 21, Georg Pastuschka, Jacob Pastuschka 1567 Ur 150): pastuszka ‘Hirtenjunge, auch Hirtin, Hirtenmädchen’. Pastuszkowa (Helzbÿta Pastusskowa 1562 K, 14, 24): Pastuszek ‘Hirtenjunge’; weibliche Form des Familiennamens gebildet mit dem Suffix -owa. Piekarz (Hanus Pekarz 1565 K 59, Ssimek Pekarz 1589 K 348): piekarz ‘Bäcker’. Piernikarz (Jakub Pernikarz 1562 K 24, 1568 K 131, 1578 K 242, 1582 K 336): piernikarz ‘Pfefferküchler’. Pilarz (Matuss Pylarss 1567 Ur 139): pilarz ‘Brettsäger’. Familiennamen nach dem Beruf in oberschlesischen Urbaren 127

Pilarczyk (Adam Pilarczikh 1566 Uo 60): pilarczyk ‘Lehrjunge bei Brettsäger’, Piwowar (Stanek Piwowar 1576 K 207, Jeronim Piwowar 1589 K 351): piwowar ‘Bierbrauer’. Piwowarski (Girzik Piwowarzky 1562 K 28): Piwowar + -ski ‘Bierbrauer’. Poganiacz (Klimek Poganiacz 1566 Uo 118): poganiacz ‘Viehtreiber’. Rataj (Woitek Radey 1566 Uo 86, Winczeckh Ratey 1566 Uo 87, Jacob Radey 1566 Uo 113, Jan Rataj 1586 K 342): rataj ‘Pflüger, Ackersmann’. Rybacz (Ssymek Rybacze 1583 K 289): dial. rybacz ‘Fischer’. Rybarz (Adam Rybarz, Jan Rybarz 1567 Ur 197, Valeck Rybars 1567 Ur 130, 198): rybarz ‘Fischer auch Fischesser’. Rybitwa (Ssimon Rÿbitwa 1586 K 486): apol. rybitw ‘Fischer’. Rzemieniarz (Moiz Remieniarz 1573 K 165): rzemieniarz ‘Riemenschneider’ Siedlarz (Jan Sedlarz 1567 Ur 130, Matys Sedlarz 1573 K 159, Mathes Sedlarz 1579 K 265, Matis Sedlarz 1582 K 336): apol. siedlarz ‘Sattler’. Sitarz (Mikulay Sitarz 1566 Uo 64): sitarz ‘Siebmacher’. Smolarz (Martin Schmolarss 1567 Ur 148): smolarz ‘Teerbrenner’. Sladownik (Jan Sladownik 1574 K 195, Jakub Sladownik 1577 K 226): słodownik ‘Mälzer’. Sołtys (Lehnart Scholttiss 1532 U 1, Augustin Scholtis 1567 Uo 106, Gendrzey Scholtis 1566 Uo 83, 111, Grzegorz Scholtis 1566 Uo 37, Jacub Scholtis 1566 Uo 114, Janeckh Scholtis 1566 Uo 35, Maczekh Scholtis 1567 Uo 87, Martin Scholtis 1566 Uo 107, Martin Soltys 1573 K 168, Mrus Scholtis, Stanieckh Scholtis 1566 Uo 43, Steffan Scholtis 1566 Uo 33, Urban Scholtis 1566 Uo 123, Waczlaw Scholtis 1566 Uo 85, Valeckh Scholtis 1566 Uo 25, 41, Woyteckh Scholtis 1566 Uo 27, 100, Georg Scholtess 1567 Ur 147, Cristof Scholtes 1567 Ur 140): sołtys ‘Scholtz, Schultheiβ’. Sołtysek (Woӱtiech Ssoltysek 1563 K 7, Tomas Ssoltysek 1574 191, 1575 K 204): sołtys ‘Scholtz, Schultheiβ’. Sołtyskowa (Zusanna Soltyskowa 1564 K 67, Zusanna Scholtiskin wittib 1566 Uo 11): Sołtysek; weibliche Form gebildet mit dem Suffix -owa. Starostka (Georg Starostka 1567 Ur 206): starosta ‘Landrat, Obmann, Zeremonien- meister’. Starostkowa (Anna Starostkowa 1568 K 133): Starostka; weibliche Form gebildet mit dem Suffix -owa. Stawinoga (Jan Stawinoga 1532, U 6, Abraham Stawinoha 1561 K 14, Adrian Stawinoha 1566 Uo 13, 12, Schimeck Stawinoga 1567 Ur 188, Janek Stawinoga 1567 Ur 232, Abraham Stawinoga 1574, K 178, 191): (na)stawiać + noga ‘der die ausgerenkte Gliedmaßen einrichtet, Heilkundige’. Stelmach (Martin Stelmach 1586 K 362): stelmach < dt. Stellmacher ‘Wagner, der das Wagengestell verfertigte’. Stelmaszka (Justina Stellmasska 1567 Uo 36): Stelmach; weibliche Form gebildet mit dem Suffix -ka. 128 Monika Choroś

Stolarz (Peter Stolarz 1566 Uo 39, Kasspar Stolarz 1574 K 30): stolarz ‘Tischler’. Stróż (Jan Stroz 1566 Uo 37): stróż ‘Wächter’. Sukiennik (Urban Sukiennik 1574 K 182): sukiennik ‘Tuchmacher, Wollenweber’. Szafarz (Jan Schaffarz 1566 Uo 99, Jurzyk Ssaffarz 1567 Ur 210): szafarz ‘Schaffer, Guts- verwalter’. Szewc (Wassek Ssewcz 1561 K 3, Massek Ssewcz 1574 K 30): szewc ‘Schuster’. Szklarz (Absalom Sklarz 1574 K 30): szklarz ‘Glaser’. Szkolny (Urban Schkolny 1567 Uo 71): szkolny ‘Lehrer’. Szpitalny (Jan Szpitalny 1570 K 147, Jan Spitalny 1574 K, 178, 181, 191): szpitalny ‘Spittelpfleger, Vorsteher eines Spittels’. Śrutarz (Mathes Srutarz 1564 K 63): apol. śrotarz ‘Schröter, der Fässer auf- oder ablädt’. Tkacz (Jacob Tkhatz 1532 U 15, Wawrzin Tkacz 1566 Uo 96, Matiey Tkacz 1566 Uo 106, Pawel Tkocz 1567 K 17, Girzik Tkocz 1589 K 44): tkacz ‘Weber’. Tragarz (Blazegk Tragars 1532 U 20): tragarz ‘Träger’. Uliczny (Jacob Uliczny 1567 Uo 123): uliczny ‘Straßenverkäufer, Gassenjunge’. Wajda (Matusch Wayda 1567 Ur 190): wajda ‘Vorgesetzter von wallachischen Dörfer, auch Hirt’. Włodarz (Lucas Wludarz 1566 Uo 56, Waleckh Wludarz 1566 Uo 69, Martin Wludarz 1566 Uo 74, Climeckh Wludarz 1566 Uo 77, Jacob Wludarz 1566 Uo 91, 93, Kuba Wludarz 1566 Uo 105): włodarz ‘Verwalter, Beamter’. Wojewodka (Matusch Wojewodka 1567 Ur 198): wojewoda ‘Sohn eines Woiwode, Statthalters, auch kleiner Woiwode’; gebildet mit dem Suffix -ka. Woźnica (Kuba Woznicza 1567 Ur 193): woźnica ‘Fuhrmann’. Zamecznik (Jakub Zamecznik 1574 K 181): apol. zamecznik ‘Schlosser’. Zarychta (Lukass Zarychta 1561 K 16): apol.und dial. zarychtować ‘aufstellen, ausmes- sen’.

Deutsche Familiennamen Apoteker (Joseff Apoteker 1566 Uo 17): Apotheker ‘Heilmittelbereiter, -verkäufer’. Bader (Hans Bader 1567 Ur 183): Bader ‘jemand, der eine Badestube betreibt’. Balbier ((Niclas Balbier 1532 U 1, 6): Balbier ‘Barbier’. Barbier (Georg Barbier 1566 Uo 10): Barbier ‘Bartscherer’. Bauer (Hans Pauer 1567 Ur 152): Bauer ‘Landmann, der vom Lande zugezogene Stadt- bewohner’. Beke, Becker (Kilian Beckher 1567 Ur 180, Wenczel Bekin 1567 Ur 149, Wenczel Bekerin 1567 Ur 190): mhd. becke ‘Bäcker’. Benker (Valten Benkers 1579 K 37: Ableitung auf -er von Bank ‘Hersteller von Bänken, Tischler’. Bierbrauer ( Sicha Bierbreuer, Tobias Bierbreuer 1567 Ur 132): Bierbrauer ‘Hersteller von Bier’. Familiennamen nach dem Beruf in oberschlesischen Urbaren 129

Bierträger (Wenczel Piertrager 1567 Ur 132): Bier + tragen ‘Bierverlader’. Binder (Hawel Binder, Stenczel Binder 1567 Ur 144, Jacob Pinder 1567 Ur 146): Binder ‘Fassbinder’. Biner (Marthen Biner 1568 K 30, Cristoff Buner 1586 K 333, Krӱstoff Bӱner 1588 K 322, 329): Biener ‘Imker, Zeidler’. Brenner (Hans Brener 1567 Ur 147): Brenner ‘Schnapsbrenner auch der durch brennen den Wald rodet’. Büttner (Cristof Büttner 1532 U 18, Georg Büttner1532 U 19, Simon Büttner 1532 U 21, Urban Büttner 1532 U 13, Balczer Byttner, Caspar Büttner, Matusch Bytner 1567 Ur 155, Lucas Bitner 1567 Ur 158, Staneckh Püttner 1567 Ur 147 Adam Bitner 1577 K 225, Adam Butner 1578 K 36): Büttner ‘Böttcher, Küfer’. Drescher (Hans Drescher 1566 Uo 69): Drescher ‘für denjenigen, der das Getreide ausdrischt’. Fiedler (Paul Fidler 1567 Ur 150, Stenczel Fidler 1567 Ur 161): Fiedler ‘Geiger’. Fischer (Steffan Fischer 1567 Ur 164, Michal Fisser 1586 K 333): Fischer ‘wer Fischfang als Gewerbe treibt’. Förster (Martin Ferster 1562 K 27 und 1566 Uo 14, Greger Förster 1567 Uo 123): Förster ‘Forstmann’. Fleischer (Voiteck Fleischer 1532 U 17, Bartel Fleischer 1567 Ur 189, Barthel Fleischer, Jan Fleischer 1567 Ur 160, Pelka Fleischer, N. Fleischer 1567 Ur 158): Fleischer ‘Metzger’. Fleischhaker (Waczlaw Fleischhacker 1566 Uo 13): Fleischhaker ‘Fleischer’. Gartmann (Jakub Garttman 1565 K 86): Gartmann ‘Gärtner’. Gärtner ( Matusch Gärtner 1567 Ur 229, Melchar Gärtner 1567 Ur 209, Vinczencz Gärt- ner, Barthel Gärtner 1567 Ur 225, Wenczel Gärtner 1567 Ur 206): Gärtner ‘Kleinland- wirt’. Geisler (Melcher Geisler 1561 K 5 und 1562 K 27, Malcher Geisler 1566 Uo 15, Paul Geysler 1567 Uo 45 Christoph Geisler 1568 K 232): Geisler ‘Hersteller von Geiseln, Peitschen’. Glaser (Andres Glaser, Hans Glaser 1567 Ur 146, Mathes Glaser 1567 Ur 155): Glaser ‘Glasmacher, Glasbläser, der mit Glas arbeitet’. Goldschmied (Lorencz Goldschmidt 1532 U 18, Francz Goldtschmidt 1567 Ur 164): Goldschmied ‘Hersteller von Edelmetallwaren’. Graupner (Mats Greupner 1567 Ur 153): Graupe ‘Hersteller oder Händler mit Graupen, Grütze und Hülsefrüchten’. Grissner (Stenczel Grissner koch 1566 Uo 24, Stenczeln Grischner 1566 Uo 72): Grützner ‘Grützmüller und Hersteller von Grütze’. Guttfleischer (Lorencz Guttfleisch 1566 Uo 12, Lorencz Guttfleischer 1578 K 35): gut + Fleischer ‘Metzger’. Hafemann (Griger Hafeman 1579 K 37): Havemann ‘zu einem Hofe gehörige Bauer’. Hartschmied (Gall Hartschmid 1567 Ur 164): hart + Schmied ‘Schmied der harte Metal- le verarbeitet’. 130 Monika Choroś

Helfer (Gregor Helfer 1567 Ur 133): Helfer ‘Gehilfe’. Hoffman (Jan Hoffman 1573 K 182, 1589 K 373): Hofmann ‘zu einem Hof gehörige Bauer, auch Diener am Hofe’. Hutter (Jacob Hutter 1567 Ur 137): Hut + -er ‘Hutmacher‚ oder Hüter ‚Wächter’. Hutmacher (Bohuslaus Hutmacher 1567 Ur 132, Valten Hutmacher 1567 Ur 199): Hutmacher ‘Hersteller von Hüten’. Jäger (Matusch Jäger 1567 Ur 216): Jäger ‘Weidmann’. Kannegießer (Andres Kannegiesser 1567 Ur 132, Niclas Kanigisser 1567 Ur 161): Kannen- gießer ‘Hersteller von Kannen’. Kartenmacher (Adam Kartenmacher 1567 Ur 141): Karte + Macher ‘Kartenhersteller’. Kastner (Johannis Kestner 1567 Ur 134, Johan Kastner 1567 Ur 142): Kastner ‘Verwalter des Kornkastens, Rentmeister’. Kegler (Merten Kegler 1577 K 266): Kegler ‘Kegelspieler, auch Gaukler’. Kettner (Mathes Ketner 1586 K 40, Katarzina Ketnerowa 1586 K 333): Kettner ‘Ketten- schmied, Kettenmacher’. Kichler (Jacob Kichler 1566 Uo 11, Jakub Küchler 1567 K 17): Küchler ‘Kuchenbäcker’. Kirchenvater ( Hansel Kirchenvater 1567 Ur 183): Kirchenvater ‘Kirchmann, Küster’. Kirchner (Nickel Kirchner 1567 Ur 139): Kirchner ‘Küster, Mesner’. Kleinbinder (Benesch Klainbinder, Nickel Klainbinder 1567 Ur 164): Kleinbinder ‘Bött- cher, der nur kleine mit Reifen gebundene Holzgefäße herstellt’. Koch (Georg Koch 1567 Ur 130, Gregor Koch, Stenzel Koch 1567 Ur 135, Jacob Koch 1589 K 348): Koch ‘Speisebereiter’. Kramer (Simon Kromer 1567 Ur 163, Krӱstof Kremer 1589 K 380): Krämer ‘Kleinhänd- ler, Besitzer eines Krams’. Kretschmer (Woyteckh Kretschmer 1566 Uo 109, Cristoff Kretschmer, Urban Kretschmer 1566 Uo 47, Andres Kretschmer 1567 Uo 42, 44, Jantusch Kretschmer 1566 Uo 89, Woyteckh Kretschmer 1566 Uo 109, Georg Kretschmer 1566 Uo 121, Jan Kratschmer 1567 Ur 199, Sebastian Kretzchmer 1567 Ur 160): Kretschmar ‘Schenkwirt’. Krüger (Caspar Krüger 1567 Ur 140): Krüger ‘Krug-, Schenkwirt, auch Töpfer’. Küchler (Jacob Küchler 1567 K 101, Hans Küchler 1567 Ur 146): Küchler ‘Kuchenbäcker’. Kupferschmied (Bernhardt Kupperschmidt, Jacob Kupperschmidt 1567 Ur 153, N. Kopfer- schmidt 1567 Ur 151): Kupferschmied ‘Metallhandwerker, der ohne Feuer arbeitete’. Kürschner (Jan Kürschner 1532 U 1, Mates Kürschner 1532 U 8, Melchior Kürschner 1532 U 18, Caspar Kirschner, Jan Kirschner 1567 Ur 162, Jacob Kirschner 1567 Ur 134, Mathes Kirschner 1567 Ur 143, 179, Matyass Kirschner, Melcher Kirschner 1567 Ur 142, Moyses Kirschner 1567 Ur 199, Paul Kirschner, Thomas Kirschner, Valeck Kirschner 1567 Ur 155, Victorin Kirschner 1567 Ur 137): Kürschner ‘Pelzbearbeiter’. Leinweber (Sebastian Leinweber 1566 Uo 14, Apolene Leinweberin 1567 Ur 139, Benesch Leinweber 1567 Ur 136, Lorencz Leinweber 1567 Ur 138, Matiey Leinweber 1567 Ur 233, Familiennamen nach dem Beruf in oberschlesischen Urbaren 131

Pawel Leinweber 1567 Ur 233, Vincenti Leinweber 1567 Ur 135): Leinweber ‘Weber von Leinwand’. Lichtmann (Macz Lichtman 1566 Uo 122): Licht + mann ‘Lichtzieher und -gießer, Her- steller von Kerzen’. Maler ( Sebastian Maler 1567 Ur 139): Maler ‘Anstreicher, Kunstmaler’. Maurer (Paul Maurer 1589 K 397): Maurer ‘Bauhandwerker für Bauarbeiten’. Melzer (Margaretha Melzerin 1532 U 1, Jacob Melczer 1567 Ur 134): Mälzer ‘der Malz bereitet’. Messerschmied (Michel Messerschmidt 1567 Ur 132, Tomas Messerschmidt 1567 Ur 130): Messerschmied ‘der Messer schmiedet’. Messer (Merten Misser 1561 K 14): Messer ‘Messbeamter’. Möller (Hans Möller 1566 Ur 120, Urban Möller 1588 K 336 und 1589 K 377): mnd. moller ‘Müller’; Variante des Familiennamens Müller. Mölner (Hanns Mölner 1566 Uo 14, Hanus Mö1ner 1567 K 119{tuchmacher}): mnd. molner ‘Müller’; Variante des Familiennamens Müller. Müller (Andres Müller 1567 Ur 150, Dorota Mühlerin 1567 Ur 166, Georg Müller 1567 Ur 222, Paul Miller 1567 Ur 150, Paul Mueller, Valten Müller 1567 Ur 154, Paul Mühler 1567 Ur 161, Urban Mueller 1578 K 313): Müller ‘jemand, der eine Mühle betreibt’. Müllner (Anna Mülnerin 1567 Ur 202, Barbara Mülnerin 1567 Ur 219, Georg Mülner 1567 Ur 189, Mrusek Mülner 1567 Ur 222, Paul Mülner 1567 Ur 200, Walekh Mülner 1567 Ur 204): mhd. mülner ‘Müller’. Neugebauer (Simon Neugebauer 1562 K 12, 44, Simon Neugebawer 1566 Uo 17, Cristeck Nogbawer 1566 Uo 122): Neubauer ‘neu angesiedelte Bauer, neu zugezogener Mitbürger’. Pfefferküchler (Jacob Pfefferküchler 1589 K 347, 348): Pfefferküchler ‘Honigkuchen Bä- cker’. Probst (Hans Probst, Sigmund Probst, Stenczel Probst 1566 Uo 45): Probst ‘Aufseher, auch Vorgesetzter einer Kirche’. Riemer (Barbara Riemerin 1567 Ur 159, Lorencz Rymer, Melchior Riemer 1567 Ur 131, Kaspar Riemers 1576 K 208): Riemer ‘Riemenschneider’. Rothgerber (Bartusch Rottgerber 1567 Ur 164): rot + Gerber ‘Handwerker der mit Hilfe der Eichenlohe rotes Leder bereitet’. Sälzer (Kuba Selczer 1567 Ur 120): Sälzer ‘Salzsieder, -händler’. Sattler (Caspar Satler 1567 Ur 139, Casper Satler 1567 Ur 140, 161, 162, Melcher Satler 1567 Ur 159 Macz Satler 1579 K 266): Sattler ‘Lederverarbeiter’. Schaffer (Andra Schaffer 1567 Ur 166): Schaffer ‘Anordner, Verwalter’. Schlosser (Mathes Schlosser 1532 u 19, Hans Schlosser 1566 Uo 16, Hanusch Schlosser 1567 Ur 165, Jacob Schlosser 1567 Ur 138, 165, Jakub Slosser 1589 K 343): Schlosser ‘Kleinschmied’. Schmied (Jacob Schmidt 1532 U 15, Mokhrus Schmidt 1532 U 14, Valentin Schmidt, Ur- banek Schmidt 1532, U 22, Donath Schmidt 1563 K 44, Albricht Schmidt 1566 Uo 67, 132 Monika Choroś

Augustin Schmidt 1566 Uo 76, Gallus Schmidt 1567 Ur 165, Jan Philip Schmidt 1567 Ur 153, Jacob Schmidt 1567 Ur 131, 152, Jocheimb Schmidt 1567 Ur 141, Mathes Schmidt 1567 Ur 154, Niclas Schmidt 1567 Ur 165, Sebastian Schmidt, Waczlaw Schmidt 1567 Ur 156, Stenczel Schmidin 1567 Ur 166, Daniel Smidt 1578 K 35, Jakob Schmid 1579 K 266): Schmied ‘Mettalarbeiter, Eisen, Kupfer formender Handwerker’. Schmoltzer (Doctor Martinus Schmoltzer 1567 Ur 133, Mathes Schmolczer 1567 Ur 145, Hedwig Schmaltzerin 1567 Ur 150, Bartoss Smolcze 1577 K 224): schmelzen ‘jemand, der Metall oder Fett schmelzt’. Schneider (Bernhard Schneider 1532 U 14, Johannes Schneider 1532 U 18, Gregor Schneider, Jakub Schneider 1562 K 27 und Jacob Schneider 1566 Uo 15, Martin Schneider 1562 K 4 und 1566 Uo 17 {schnitter}, Ambrosy Schneider 1567 Ur 199, Jacob Schneider 1567 K 122, Andres Schneider, Bartel Schneider, Paul Schneider 1567 Ur 155, Balczer Schneider 1567 Ur 200, Caspar Schneider 1567 Ur 198, Georg Schneider 1567 Ur 238, Martin Schneider {reichkremer} 1567 K 17, Martin Schneider 1567 Ur 163, Mates Schneider 1567 Ur 162, Matthes Schneider 1567 Ur 179, Matusch Schneider 1567 Ur 192, Merten Schneider 1567 Ur 155, Nicel Schneider 1567 Ur 146, 147, Nicl Schneider 1567 Ur 193, Paul Schneider 1567 Ur 148, Sebastian Schneider 1566 Uo 9, 12, Sobek Schneider 1567 Ur 158, Hans Schneider 1573 K 184, Simmon Schneider 1578 K 239, Jacob Schnei- der 1580 K 271): Schneider ‘Schneider, Schnitter’. Schoff (Michael Schoff 1567 Ur 148): dial. Schoff ‘Schöffe, Laienrichter’. Scholtz (Bartel Scholtz {riemenschneider} 1560 K 2, 12 und 1564 K 10, Barthel Scholcz 1566 Uo 17, Hans Scholcz 1561 K 14, Cordula Scholczowa 1565 K 92, Stenczel Scholcz 1566 Uo 39, Lorencz Scholcz 1566 Uo 16, Lorencz Scholcz {klobucznik = Hutmacher} 1570 K 150, Markus Scholcz, Cristoff Scholcz 1566 Uo 45, Cristof Scholtz 1567 Ur 155, Greger Scholcz 1566 Uo 47, Andres Scholcz 1566 Uo 108, Climeckh Scholcz 1566 Uo 124, Peter Scholcz 1566 Uo 76, Sebastian Scholtz 1567 Ur 144, Waczlaw Scholcz 1567 Ur 210, Girzik Ssolcz 1573 K 216, Blasien Schulcz 1578 K 35, Michel Szulcz 1579 K 268): Scholtz(e), Scholz(e) ‘Schultheiβ, Ortsvorsteher’. Schreiber (Greger Schreiber 1562 K 17, Petter Schreiber 1566 Uo 45, Paul Schreiber 1567 Ur 165): Schreiber ‚‘Abfasser eines Schriftstücks’. Schrotter (Mrozeck Schrotter 1532 U 20, Kuba Schröter, Macs Schrotter, Staneckh Schrö- ter 1567 Ur 149): Schrötter ‘Wein- und Bierverlader’. Schüller (Vinczencz Schüller 1566 Uo 12, Benisch Schüller 1567 Ur 137): Schüler ‘Stu- dent, auch junger Geistlicher’. Schumann (Cristoff Schoman 1567 Ur 145): Schuh + Mann ‘Schuster’. Schuster (Georg Schuster 1567 Ur 154, Jacob Schuster 1567 Ur 199, Lorenz Schuster, Salmon Schuster 1567 Ur 164): Schuster ‘Schuhmacher’. Schütze (Melchior Schuczen 1566 Uo 24): Schütze ‘Wächter, Flur-, Waldschütze, Jäger’. Schwarzfärber (Ludwig Schwarczferber 1567 Ur 138, 152, Michael Schwarczferber 1567 Ur 151): Schwarzfärber ‘Handwerker, der schwarz, dunkel färbt’. Familiennamen nach dem Beruf in oberschlesischen Urbaren 133

Schwertfeger (Michal Schwertfeger 1566 Uo 17, Nikel Schwertfeger 1567 Ur 130, Pan- cratius Schwerdtfeger 1567 Ur 131, Thomas Schwerdtfeger 1567 Ur 155): Schwertfeger ‘Waffen-, Schwertschmied’. Seiffensieder (Andres Seiffensieder 1566 Uo 9, Friedrich Seifensieder 1567 Ur 164): Sei- fensieder ‘Hersteller von Seife, Waschmitteln’. Seiler (Hanus Seyler 1567 Ur 165, Jakhel Seiler 1567 Ur 166, Anna Seilerin 1571 K 155 {seilerin}): Seiler ‘Verfertiger von Seilen’. Spielmann (Michel Schpilman 1567 Ur 151): Spielmann ‘fahrender Sänger, Musikant’. Spittler (Hans Spittler 1566 Uo 18): Spittler ‘Spittelpfleger, Vorsteher eines Spittels’. Stadtschreiber (Johannes Stadtschreiber 1567 Ur 193, 200): Stadt + Schreiber ‘Schreiber im Dienste der Stadt’. Steinmetz (Peter Steinmetz 1564 K 61 und Peter Steinmecz 1566 Uo 16): Steinmetz ‘Ver- arbeiter von Steinen’. Stellmacher (Pawel Stelmacher 1567 Ur 153 Paull Stellemacher 1567 Ur 166): Stellma- cher ‘Wagner’. Stöber ( Christof Stöber 1567 Ur 138): Stöver ‘jemand, der eine Badestube betreibt’. Störer (Hans Störer 1567 Ur 166): Störer ‘der unbefugt ein Gewerbe treibt’. Teichknecht (Gregor Teichknecht 1567 Ur 192): Teich + Knecht ‘Teichmann, der den Teich in Ordnung helt’. Teichmann (Merten Teichman 1566 Uo 121): Teich. Berufsname auf -mann ‘für jeman- den, der Fischteiche in Ordnung hielt’. Teubers (Hanns Teubers 1561 K 3): Täuber ‘ein blasender Musikant, Taubenhändler, auch Taubenzüchter’. Teufer (Andras Teufer 1576 K 209, Andrys Teuffer 1589 K 386): Täufer ‘der Taufende’. Tischler (Hans Tyschler 1567 Ur 143): Tischler ‘Schreiner’. Töpfer (Balczern des Töppers 1561 K 3, Anna Töpferin, Hans Töpfer 1566 Uo 68, Jacob Töpfer 1566 Uo 67, Georg Topffer, Stenczel Topfer, Wenczel Töpfer 1567 Ur 164, Wenczel Topfer 1567 Ur 197): Töpfer ‘Tongeschirrverfertiger’. Träger (Sepherin Treger 1566 Uo 118): Träger ‘ein Lastenträger’. Tuchmacher (Ambrosy Tuchmacher, Bartel Tuchmacher, Jan Tuchmacher 1567 Ur 146, 147, Hans Tuchmacher 1567 Ur 135, Martin Tuchmacher 1567 Ur 140, Niclas Tuchmacher 1567 Ur 150, Wenczel Tuchmacher 1567 Ur 159): Tuchmacher ‘Wollstoffweber’. Vogt (Andres Vogt 1567 Ur 221, Georg Vogt 1567 Ur 227, Hansel Vogt 1567 Ur 198, Mer- ten Voigtt 1567 Ur 131, Paul Vogt 1567 Ur 206, Valten Vogt 1567 Ur 212, Wenczel Vogt 1567 Ur 218): Vogt ‘Verwalter, Rechtsbeistand’. Vorman (Andrys Forman 1566 Uo 119, Gendrzey Forman 1577 K 214, Kuba Forman 1577, K 220): Vormann ‘Fuhrman ‘jemand der den Wagen beförderte’. Wagner (Bastyan Wagner 1568 K 135, Georg Wagner 1567 Ur 141, 150, 160): Wagner ‘Wagenmacher auch Fuhrknecht’. Wächter (Georg Wechter 1567 Ur 138): Wächter ‘der, die Wache hält’ 134 Monika Choroś

Walcher (Georg Walcher 1561 K 14, Martin Walcher 1564 K 66): Walker ‘der Tuche, Felle walkt, Walkmüller’. Weber (Lorencz Weber 1566 Uo 72, Simon Weber 1565 K 84, Simon Weber {rademacher} 1566 K 100 und Uo 16, Ssimon Weber 1568 K 130): Weber ‘Hersteller von Geweben’. Weidemann (Urban Weideman 1578 K 35): Weidmann ‘Jäger, Fischer’. Weidner (Lorencz Weӱdner 1565 K 4, 61, 123, Lorencz Weydner 1566 Uo 11, Greger Waidnerin 1567 Ur 143, Lorencz Weӱdner 1568 K 133 und 1570 K 147, Caspar Weidner 1577 K 227, Wawrzinecz Weydner 1578 K 234, Lorencz Weydner 1579 K 261, Lorencz Weidner 1580 K 276, Kassper Weydner 1583 K 287): Weidner ‘Jäger’. Weimann (Georg Weiman 1566 Uo 46): Weinmann ‘Kellermeister, Weinhändler’. Weiβgerber (Adam Weissgerber1567 Ur 142, Adam Weisgärberin 1567 Ur 165, Malcher Weisgerber, Cristoff Weisgerber 1579 K 37): Weiβgerber ‘Alaungerber’. Zeidler (Hans Zeidler 1577 K 230): Zeidler ‘Imker, der zur Nutzung Waldbienen berechtigte’. Ziegler (Merten Ziegler 1567 Ur 133): Ziegler ‘Ziegelmacher, -brenner’. Zimmermach (Elias Zimmermach, Jacob Zimmermache 1579 K 269): Zimmermacher ‘Zimmerer, Bautischler’. Zimmermann (Francz Zimmerman 1566 Uo 45, Lenhartt Zimmerman 1566 Uo 12, Vicens Zimmerman 1566 Uo 47, Lorentz Zimerman 1567 Ur 136, Paul Zimerman, Ssczasny Zimerman 1567 Ur 149, Elias Zimmermahn 1579 K 266): Zimmermann ‘Bautischler’.

Tschechische Familiennamen Kowarz (Jindraczek Kowarz 1532 U 17): tschech. kowář ‘Schmied’. Kowarzka (Jankowa Kowarzka 1567 Ur 200): Kowarz < kowarz ‘Schmied’; weibliche Form des Familiennamens gebildet mit dem Suffix -ka. Kotsch (Kuba Kotsch 1567 Uo 82, Martin Kotsch 1567 Uo 74): tschech. koč ‘Fuhrmann’. Krejczy (Sebastian Kreiczy 1563 K 38, Mrazek Kreytschy 1567 Ur 139, Sebastyan Kreӱczy 1568 K 137, 140): tschech. krejčy ‘Schneider’. Krmaczny (Urban Krmaschny 1567 Ur 208): krčmař ‘Gastwirt’. Krczmarzów (Bartek Krtschmarzuw 1567 Ur 206): krčmař ‘Gastwirt’. Postrzihacz (Jan Postrzichacz 1574 K 28): tschech. postřihač ‘Tuchscherer’. Sladek (Wawrzin Sladek 1565 K 85): tschech. Sládek ‘Mälzer, Bierbrauer. Zahradnik (Vinczencz Zahradnikh 1567 Ur 219): zahradnik ‘Gärtner’.

Latinisierte Familiennamen Faber (Staneck Faber 1532 U 20): lat. faber ‘Schmidt’. Cantor (Bartek Kantor, Anna Kantorin 1567 Ur 192, Climon Cantor 1567 Ur 202): lat. cantor ‘Vorsänger, Leiter des Chorgesangs’. Molenda ( Andres Molenda 1558 K 4, 1560 K 8): łac. molendinator ‘Müller’. Familiennamen nach dem Beruf in oberschlesischen Urbaren 135

Abkürzungverzeichnis apol. = altpolnisch dial. = dialektal dt. = deutsch lat. = lateinisch mhd. = mittelhochdeutsch mnd. = mittelniederdeutsch tschech. = tschechisch

Quellenverzeichnis

K = Księga Kupna miasta Opola 1558-1589, Kaufbuch der Stadt Oppeln 1558-1589, Staatsarchiv Opole, Archivbestand: Zespół miasta Opola, Aktenzeichen 22, Signatur 135, S. 1-418. U = Außzug auss den Alten Marggräfischenn Urbari der Stadt Oppelnn 1532-1533, Ar- chivbestand: Akta miasta Opola, Aktenzeichen 22, Signatur 134, S. 1-24. Uo = Urbarz opolski z roku 1566, in: Urbarze dóbr zamkowych opolsko-raciborskich z lat 1566 i 1567, Hrsg. R. Heck und J. Leszczyński, Wrocław 1956, S. 1-126. Ur = Urbarz raciborski z r. 1567, in: Urbarze dóbr zamkowych opolsko-raciborskich z lat 1566 i 1567, Hrsg. R. Heck und J. Leszczyński, Wrocław 1956, S. 127-244.

Henryk Duszyński-Karabasz Berufs-, Amts- und Standesbezeichnungen in den Familiennamen slawischer Herkunft anhand der Kirchenbücher der orthodoxen Gemeinden von Ostkujawien und Dobriner Land an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert

Ostkujawien und Dobriner Land war an der Wende vom 19. zum 20. Jahr- hundert ein Teil Kongresspolens, wo außer den Polen auch Vertreter anderer Nationalitäten gelebt haben – Russen, Deutsche und Juden. In vielen Städten der Region funktionierten die Gotteshäuser verschiedener Konfessionen. Es gab katholische, evangelisch-lutherische, orthodoxe Kirchen und auch Synagogen (DZIKI 2014: 56-66). In diesem Vortrag werden die Familiennamen slawischer Herkunft präsen- tiert, die sich von Berufs- oder Standesbezeichnungen ableiten. Einen Großteil dieser Namen bilden ostslawische Anthroponyme, in denen alte, ausgestorbene Berufe zu finden sind. In den Kirchenbüchern gibt es auch polnische oder deut- sche Familiennamen aus Berufsbezeichnungen. In diesem Artikel werden nur die slawischen (polnischen und ostslawischen) Namen analysiert, also die Ony- me slawischer Herkunft oder verzeinzelte slawisierte Formen. Das gesammelte Material stammt aus den Kirchenbüchern von Aleksandrów Kujawski und Włocławek (Ostkujawien) und von Lipno und Rypin (Dobriner Land) aus der Wende vom 19. zum 20. Jahhundert. Die Kirchenbücher werden im Staatsar- chiv in Włocławek aufbewahrt (s. Quellenverzeichnis). Konrad Kunze teilt die Berufsnamen in zwei Gruppen: indirekte und direkte Berufsnamen (KUNZE 1998: 107). Indirekte Berufsnamen sind ihren Entste- hungsgründen nach Übernamen. Sie bezeichnen einen Beruf nicht direkt, son- dern metaphorisch oder metonimisch – „ein Werkzeug, Material, eine Auf- fälligkeit bei der Tätigkeit, in der Werkstatt usw. [wird] zur Kennzeichnung ge- wählt“ (KUNZE 1998: 107). Solche Familiennamen interessieren uns hier nicht. Das Thema des Beitrags sind direkte Berufsnamen, also Berufs-, Amts- und Stan- desbezeichnungen wie z.B. Fischer, Wagner, Mayer usw. Natürlich werden solche Namen nicht nur im Prozess der Onymisation gebildet (z.B. Fleischer, Jäger), son- dern auch mit Hilfe der Wortzusammensetzung, z.B. mit -macher, -führer, - schläger, -mann usw. Die Bildungsweisen der Berufsnamen können also verschie- den sein (vgl. KUNZE 1998: 109). Auch in den slawischen Sprachen können Berufsnamen auf verschiedene Art und Weise entstehen, z.B. mit Hilfe von Suffi- xen, wie poln. -ik, -ek, ostslaw. -ow, -ew, -enko, -uk usw.

Onomastica Lipsiensia/OL 13 (2018), S. 137-149. 138 Henryk Duszyński-Karabasz

Den Familiennamen aus den Berufsbezeichnungen sind viele Bücher und Ar- tikel gewidmet. Hier ist vor allem der fünfte Band des Deutschen Familien- namenatlas nennen – Familiennamen nach Beruf, körperlichen und charak- terlichen Merkmalen (FAHLBUSCH/PESCHKE 2016) zu nennen. Zu weiteren wis- senschaftlichen Arbeiten, die sich mit den Berufsbezeichnungen in den Fa- miliennamen beschäftigen, gehören die Beiträge der polnischen Onomasten, wie z.B. Teresa PLUSKOTA (2016), Irena MYTNIK (2007), Małgorzata KUCIŃSKA (2015), Andrzej SIERADZKI (2014), Elżbieta RUDNICKA-FIRA (2003), Maria MALEC (2010). Außerdem werden die Familiennamen aus den Amts- und Berufs- bezeichnungen in vielen anthroponomastischen Monographien besprochen. Friedhelm Debus schreibt: „Die große Vielfalt der Berufe spiegelt sich in den Fa- miliennamen wider. Diese stellen aufschlussreiche wort- und kulturgeschichtliche sowie sozioökonomisch relevante Zeugnisse dar“ (DEBUS 2010: 112). So sind auch in der slawischen Anthroponymie der orthodoxen Gemeinden von Ostkujawien und Dobriner Land um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert alte Berufe zu finden. Die von mir gesammelten Familiennamen aus den Berufs-, Standes- und Amtsbezeichnungen werden verschiedenen Gruppen zugeordnet:

(1) Die erste Gruppe bilden die Familiennamen aus landwirtschaftlichen Berufs- bezeichnungen: Obstbauern und Hirten:

Овчаренко (R1) – aus russisch oвчар ‛Schäfer, Schafhirte’ (RYMUT 2001: 191, УНБЕГАУН 1995: 214), Suffix -enko; Огородниковъ (L) – aus russisch oгородник ‛Gärtner’, Suffix -ov; Пастушикъ (L) – aus russisch und ukrainisch пастушка ‛(kleiner) Hirte’ (ДАЛЬ III 1998: 23, ГРИНЧЕНКО III 1909: 101), vgl. den weißrussischen Familiennamen Пастушык (БІРЫЛА 1969: 317), Suffix -ik; vgl. auch den polnischen Familiennamen Pastuszyk (RYMUT 2001: 213); Садовниковъ (R) – aus russisch, ukrainisch cадовник ‛Obstgärtner’, Suffix -ov; Садовничiй (A), Садовничая (W) – aus russisch cадовничiй ‛Obstgärtner betreffend’ (ДАЛЬ IV 1998: 129), Onymisierung; Чабанъ (A) – aus russisch dialektal чабан ‛Schafhirte’ (ДАЛЬ IV 1998: 579); der Name rumänischer Herkunft, von cioban ‛Hirte’ (УНБЕГАУН 1995:273), Onymi- sierung.

–––––––— 1 Die Buchstaben weisen auf die Pfarreien hin: L – Lipno, R – Rypin, A – Aleksandrów Kujawski, W – Włocławek. Berufs-, Amts- und Standesbezeichnungen in slawischen Familiennamen 139

(2) Zur zweiten Gruppe gehören die Familiennamen, die mit dem Nahrungs- mittelgewerbe verbunden sind: Бойнякъ (R) – aus russisch бойный ‛mit dem Schlachten verbunden’, dial. бойникъ ‛Mensch, der sich mit dem Schlachten von Fischen beschäftigt’, бойня ‛Schlachthof’ (ДАЛЬ I 1998: 108-109), Suf. -ak; Быкодоровъ (L) – aus russisch быкодор ‛Fleischer’: бык ‛Stier’+ драть ‛abziehen, abreißen’, vgl. den Familiennamen Быкадоровъ (УНБЕГАУН 1995: 102), Suffix -ov; Мельникъ (L, W, A) – aus russisch ros. мельник ‛Müller’ (УНБЕГАУН 1995: 212), Onymisierung; Мельниковъ (L) – aus russisch ros. мельник ‛Müller’ (УНБЕГАУН 1995: 212), Suf- fix -ov; Мельниченко (R) – aus russisch ros. мельник ‛Müller’ (УНБЕГАУН 1995: 212), möglich auch aus einem Vornamen, russisch ugs. Мельник ← Емельник ← Емельян (СУПЕРАНСКАЯ 2009: 200), Suffix -enko; Олейникъ (A) – aus russisch олейник ‛Butterverkäufer’ (ДАЛЬ II 1998: 670), ukrainisch oлейникъ ‛jd., der Öl anfertigt’ (ГРИНЧЕНКО III 1909: 51), vgl. den Familiennamen Олейник (УНБЕГАУН 1995: 213), Onymisierung; Олейниковъ (W), Олейникова (W) – aus russisch, ukrainisch олейник, siehe oben, Suffix -ov; Оленикъ (R) – aus russisch, ukrainisch oлейник, s. oben, oder von einem Vor- namen, russisch ugs. Оленик ← Елен, Елент, Олег (СУПЕРАНСКАЯ 2009: 228); Onymisierung; Рибаковъ, Рыбаковъ (L) – aus russisch рыбак ‛Fischer’ (ДАЛЬ IV 1998: 116, УНБЕГАУН 1995: 98), ukrainisch рибак (ГРИНЧЕНКО IV 1909: 14), vgl. polnisch rybak; Suffix -ov, -ova; Рыбакъ (W) – s. oben, vgl. den russischen Familiennamen Рыбак (УНБЕГАУН 1995: 212); Onymisierung; Хлѣбникова (A) – aus russisch хлѣбникъ ‛Bäcker’ (ДАЛЬ IV 1998: 553), Suf- fix -ova; Мильчарская (A) – aus altpolnisch mielcarz ‛Brauer’, vgl. den Familiennamen Milczarski (RYMUT 2001: 92), Suffix -sk-.

(3) Mit den tonverarbeitenden Berufen sind nur zwei Familiennamen verbun- den, nämlich: Гарцарукъ (R) – aus polnisch garncarz ‛Töpfer’, vgl. die polnischen Familiennamen Garcarz, Garcarzyk, Garczarek (RYMUT 1999: 220), Suffix -uk; Гарчарукъ (R) – siehe oben, Suffix -uk. 140 Henryk Duszyński-Karabasz

(4) Metallverarbeitende Berufe sind in den folgenden Namen erkennbar:

Клепачъ (L, R) – aus russisch клепачъ ‛Schmied’, auch ‛Hammer’ (ДАЛЬ II 1998: 117), ukrainisch клепач ‛Hammer’ (ГРИНЧЕНКО II 1908: 250), Onymisierung; Ковалевъ (L) – aus ukrainisch und russisch dialektal коваль ‛Schmied’ (ДАЛЬ II 1998: 128, ГРИНЧЕНКО II 1908: 260, УНБЕГАУН 1995: 214), Suffix -ev; Ковалевичъ (W, А) – siehe oben Ковалевъ, vgl. den weißrussischen Familien- namen Кавалевіч (БІРЫЛА 1969: 166), Suffix -evič; Ковалевская (R), Ковалевскiй (L) – siehe oben Ковалевъ, möglich auch ist eine andere Interpretation – von einem Ortsnamen Kowalewo, Kowalów, Kowalowice, vgl. den Familiennamen (RYMUT 1999: 452), Suffix -sk-; Коваленко (L, R, A ) – siehe oben Ковалевъ, Suffix -enko; Коваль (W) – siehe oben Ковалевъ, Onymisierung; Ковальковская (A) – siehe oben Ковалевъ, vgl. polnisch Kowal ‛Schmied’ und den Familiennamen Kowałkowski, vielleicht aber von einem Ortsnamen Kowalkowice, vgl. den Familiennamen Kowalkowski (RYMUT 1999: 452), Suffix -sk-; Ковальницкiй (L) – siehe oben Ковалевъ, vgl. auch ukrainisch ковальний ‛zum Schmieden’ (ГРИНЧЕНКО II 1908: 260), russisch ковальный ‛zum Schmieden’ (ДАЛЬ II 1998: 128), vgl. den Familiennamen Kowalnik (RYMUT 1999: 452), Suffix -sk-; Ковальскiй (L, А), Ковальская (L, A) – siehe oben Ковалевъ, oder von einem Ortsnamen Kowale (RYMUT 1999: 452), Suffix -sk-; Ковальчикъ (A) – nach Unbegaun ist der Familienname weißrussischer Herkunft, ковальчик ‛der Sohn eines Schmiedes’, ‛der Schüler eines Schmiedes’ (УНБЕГАУН 1995: 237), Onymisierung; Слесарчикъ (A) – aus russisch cлесарь ‛Schlosser’ (ДАЛЬ IV 1998: 219), weißrus- sisch cлесар ‛Schlosser’ (БІРЫЛА 1969: 382), vgl. den weißrussischen Familiennamen Слесарчык (БІРЫЛА 1969: 382), den russischen Familiennamen Слесарчук (УНБЕГАУН 1995: 237), die polnischen Familiennamen Slósarczyk, Ślusarczyk (RYMUT 2001: 579), suf. -ik; Слесарчикъ-Борачевскiй (A), Слесарчикъ-Бурачевскiй (A) – zum ersten Glied siehe oben.

(5) Zu den Familiennamen aus den Berufsbezeichnungen in den holzverarbei- tenden Gewerben gehören: Боднарукъ (A) – aus ukrainisch боднарь ‛Fassbinder, Böttcher’ (Hrin 81), Suffix -uk; Бондаревичъ (R) – aus russisch dialektal und ukrainisch бондарь ‛Fassbinder, Böttcher’ (ДАЛЬ I 1998: 114, ГРИНЧЕНКО I 1907: 86, УНБЕГАУН 236), Suffix -evič; Бондаревъ (A) – siehe oben Бондаревичъ, Suffix -ev; Бондаренкo (L) – siehe oben Бондаревичъ, Suffix -enko; Berufs-, Amts- und Standesbezeichnungen in slawischen Familiennamen 141

Бондарь (R) – siehe oben Бондаревичъ, Onymisierung; Бочеровъ (A) – aus russisch бочаръ ‛Fassbinder’ (ДАЛЬ I 1998: 121), vgl. den Familiennamen Бочкарёв (УНБЕГАУН 1995: 97); Suffix -ov; Колесниковъ (R), Колесникова (R) – aus russisch колесник ‛Stellmacher, Wagner’ (УНБЕГАУН 1995: 212); Suffix -ov; Санниковъ (R) – aus russisch cанникъ ‛Handwerker, der Schlitten macht’ (ДАЛЬ IV 1998: 137) oder von einem Vornamen, russisch ugs. Санник ← Александр, Дисан (СУПЕРАНСКАЯ 2009: 279), Suffix -ov; Стельманская (R) – wahrscheinlich aus polnisch stelmach ‛Stellmacher’, Suffix -sk-; Стельмахъ (R) – aus polnisch stelmach oder ukrainisch стельмах ‛Stellmacher’ (ГРИНЧЕНКО IV 1909: 202); Onymisierung; Стельмашукъ (W, A) – odzaw., pol. stelmach, ukr. стельмах (ГРИНЧЕНКО IV 1909: 202), por. ros. nazw. Стельмах, Стельмашенко (УНБЕГАУН 1995: 213-214); suf. -uk; Токаревскiй (R), Токаревская (R) – aus russisch токарь, polnisch tokarz ‛Drech- sler’, vgl. den polnischen Familiennamen Tokarzewski (RYMUT 2001: 609), Suffix -sk-; Цесельчукъ (A) aus polnisch cieśla ‛Zimmermann’, vgl. die Familiennamen Ciesielczuk, Cisielczuk (RYMUT 1999: 97), Suffix -uk;

(6) Mit dem Textil- und Pelzgewerbe sind folgende Namen verbunden: Козеруба (L) – wahrscheinlich aus russisch *козеруб ‛ein Mann, der Ziegenfell bearbeitet’, vgl. russisch dialektal козелъ ‛bearbeitetes Ziegenfell‛ (ДАЛЬ II 1998: 131) und рубить ‛schneiden, zerstückeln’ (ДАЛЬ II 1998: 107), vgl. russ. козодой, козлодеръ (ДАЛЬ II 1998: 132), ukrainisch козоріз ‛Fleischer’ (ГРИНЧЕНКО II 1908: 266), mit der Genitivendung -a; Кушнирукъ (A) – aus russisch dialektal кушнеръ ‛Kürschner’ (ДАЛЬ II 1998: 229), nach Unbegaun ist der Name jiddischer Herkunft (УНБЕГАУН 1995: 262), Suffix -uk; Мешетичъ (A) – vielleicht aus russisch мѣшечникъ ‛ein Mensch, der Säcke näht oder mit ihnen handelt’ (ДАЛЬ II 1998: 372), aber möglich auch aus einem Vornamen, russisch dialektal Мешта ← Мешка ← Михаил (СУПЕРАНСКАЯ 2009: 202), Suffix -ič; Ткаличъ (W) – aus russisch dialektal ткалья ‛Weberin’ (Dal 408) oder ukrainisch ткаля ‛Weberin; die Frau eines Webers’ (ГРИНЧЕНКО IV 1909: 267), Suf. -ič; Ткаченко (L) – aus russisch, weißrussisch, ukrainisch ткач ‛Weber’ (БІРЫЛА 1969: 411, ДАЛЬ IV 1998:408, ГРИНЧЕНКО IV 1909: 268, УНБЕГАУН 1995: 213), Suffix -enko; Ткачукъ (А) – siehe oben Ткаченко, Suffix -uk; Шаповаловъ (R), Шаповалова (R) – aus russisch, weißrussisch, ukrainisch шаповал ‛Filzmacher’ (ДАЛЬ IV 1998: 621, Hrin 485), Suffix -ov; 142 Henryk Duszyński-Karabasz

Шапоренко (R) – vielleicht aus ukrainisch шапарь ‛Hutmacher’ (ГРИНЧЕНКО IV 1909: 484), Suffix -enko; Шваръ (A) – Name unklarer Herkunft, nach einer Interpretation ist er russisch, aus altrussisch шваль ‛Schneider’, vgl. die Familiennamen Швалёв, Шварёв (УНБЕГАУН 1995: 97, 100); Onymisierung;

(7) Familiennamen, die mit dem Ledergewerbe verbunden sind:

Швецъ (L) – aus russich швецъ ‛Schuhmacher’ (ДАЛЬ IV 1998: 635), ukrainisch швець ‛Schuhmacher’ (Hrin 489), weißrussisch dialektal швец ‛Schuhmacher’ (БІРЫЛА 1969: 473), Onymisierung; Шевченко (R, W) – aus ukrainisch шевчик, einer Diminutivform von швець ‛Schuhmacher’ (УНБЕГАУН 1995: 214), Suffix -enko, oder aus ukrainisch шевченко ‛Sohn eines Schuhmachers’ (ГРИНЧЕНКО IV 1909: 490), Onymisierung;

(8) Dienstleistungsgewerbe: Аршаницынъ (A), Аршеницынъ (А) – aus russisch aршинник, аршинница ‛Kleinhändler, Kleinhändlerin mit Stoff’ (ДАЛЬ I 1998: 26), Suffix -in; Валетко (L) – vielleicht aus altpolnisch walet ‛Diener, Lakai’ (RYMUT 2001: 650), aber möglich auch aus einem Vornamen – aus russisch Валет ← Валентин, Валерий, Валент (СУПЕРАНСКАЯ 1969: 70), oder aus валет ‛Bube (Spielkarte)’ (ДАЛЬ I 1998: 161), vgl. den polnischen Familiennamen Waletko (RYMUT 2001: 650), Suffix -ko; Возничекъ (A) – aus polnisch woźny ‛im alten Polen: Pedell’, vgl. den polnischen Familiennamen Wozniczek (RYMUT 2001: 702), vgl. auch russisch возница, возничiй ‛Fuhrmann, Kutscher’ (ДАЛЬ I 1998: 229), ukrainisch возниця, вiзничий ‛Fuhrmann, Kutscher’ (ГРИНЧЕНКО I 1907: 236, 248) Suffix -ek; Возничикъ (W) – s. oben Возничекъ, Suffix -ik; Вознякъ (A) – aus ukrainisch возняк ‛Fuhrmann, Kutscher’ (УНБЕГАУН 1995: 212); möglich auch polnische Herkunft, vgl. Возничекъ, Suffix -ak; Возняковская (W) – aus polnisch woźny, vgl. den Namen Woźniakowski (RYMUT 2001: 702), Suffix -sk-; Дудникъ (A) – aus ukrainisch дудник ‛Dudelsackspieler, Dudelsackpfeifer’, weißrussisch дуднік ‛Dudelsackspieler, Dudelsackpfeifer’ (БІРЫЛА 1969: 139), möglich aber auch aus russisch дудник ‛eine Art von Pilzen’ (ДАЛЬ I 1998: 500), Onymisierung; Козачекъ (R) – aus russisch казачекъ ‛ein Junge, der in der Kleidung eines Kasaks bei jemandem diente’ (ДАЛЬ II 1998: 73), Onymisierung; Кологривъ (L, R, A) – aus altrussisch кологрив ‛ein Diener, der sich um die Pferdemähne kümmert’ (УНБЕГАУН 1995: 100), Onymisierung; Пѣвцова (L) – aus russisch пѣвецъ ‛Singer’ (ДАЛЬ III 1998: 550), Suffix -ov; Berufs-, Amts- und Standesbezeichnungen in slawischen Familiennamen 143

Пѣуненко (R) – aus russisch dialektal пѣвунъ ‛Singer’, aber auch пѣунъ ‛Hahn’ (ДАЛЬ III 1998: 550), Suffix -enko; Торговцева (A) – aus russisch торговецъ ‛Händler’ (ДАЛЬ IV 1998: 419), Suffix -ev; Чумаковъ (R, A) – aus russisch dialektal чумакъ ‛Händler mit Brot, Fisch und Salz’, ‛Schankwirt’ (ДАЛЬ IV 1998: 614, ГАНЖИНА 2001: 549) oder aus polnisch czumak ‛jemand, der Waren auf Podolien befördert’ (RYMUT 1999: 176), Suffix -ov; Шинкаревъ (L) – aus russisch шинкарь ‛Schankwirt’ (ДАЛЬ IV 1998: 633), vgl. den russischen Familiennamen Шинкарёв (УНБЕГАУН 1995: 214), Suffix -ev;

(9) Verwaltung: Боскаковъ (A) – russischer Familienname türkischer Herkunft, aus Basqaq ‛Steuer- einnehmer’, vgl. den Familiennamen Баскаков (УНБЕГАУН 1995: 292), Suffix -ov; Пищикевичъ (A) – aus russisch пищик anstatt писчик, verbunden mit писарь ‛Schreiber’ (УНБЕГАУН 1995: 30), Suffix -evič; Войтовецкiй (A) – aus polnisch wójt ‛Gemeindevorsteher’, vgl. den polnischen Familiennamen Wojtowiecki (RYMUT 2001: 695-696) oder aus russisch dialektal войтъ ‛Stadtverwalter’ (ДАЛЬ I 1998: 231), vgl. auch weißrussisch войт ‛Gemein- devorsteher in Polen’ (БІРЫЛА 1969: 89), vielleicht aber aus einem slawischen Vornamen Wojciech, Войтех, Suffix -sk-; Вуйцикъ (A), Вуйцыкъ (R) – aus polnisch wójt ‛Gemeindevorsteher’ oder aus einem slawischen Vornamen Wojciech, vgl. die polnischen Familiennamen Wójcik, Wujcik und den weißrussischen Familiennamen Вуйцік (БІРЫЛА 1969: 90, RYMUT 2001: 697), Suffix -ik; Двуржникъ (R), Двужникъ (R) – aus polnisch dwórznik ‛Vorwerksverwalter, Gutsverwalter’, vgl. die polnischen Familiennamen Dwurznik, Dwużnik, Dwóżnik (RYMUT 1999: 160), Onymisierung; Старовойтовъ (R), Старовойтова (R) – Familienname ostslawischer Herkunft, vgl. weißrussisch стары + войт (БІРЫЛА 1969: 89), russisch dialektal cтарый + войтъ (ДАЛЬ IV 1998: 231), ukrainisch старий + війт (ГРИНЧЕНКО I 1907: 236, 287), Suffix -ov; Старостинъ (R) – aus russisch староста ‛Landrat, Starost’ (ДАЛЬ IV 1998: 318), Suffix -in; Цiунчикъ (A) – asus weißrussisch цівун ‛Oberamtmann in Großfürstentum Litauen’ (TСБЛМ 2005: 731), vgl. die weißrussischen Familiennamen Цівун, Ціун (БІРЫЛА 1969 438), Suffix -ik;

(10) Familiennamen, die mit kirchlichen Berufen und Ämtern verbunden sind: Бѣльцева (R) – aus russisch бѣлец ‛ein Mann, der in einem Klosterr wohnt, aber noch kein Mönch ist’ (ДАЛЬ I 1998: 154), Suffix -ev; 144 Henryk Duszyński-Karabasz

Гуменюкъ (А) – aus ukrainisch гуменія ‛Hegumen, der Klostervorsteher im Kloster der Orthodoxen Kirchen’ (ГРИНЧЕНКО I 1907: 340), aus polnischen ihumen, humien, vgl. den polnischen Familiennamen Humieniuk (RYMUT 1999: 315), möglich ist aber auch eine andere Interpretation – aus polnisch gumno ‛Scheune’, vgl. den polnischen Familiennamen Gumieniuk (RYMUT 1999: 283), Suffix -uk; Дiаконовъ (A), Дьяконовъ (L, R, A), Дьяконова (W) – aus russisch дьяконъ ‛Diakon’ (ДАЛЬ I 1998: 439), vgl. den Familiennamen Дьяконов (УНБЕГАУН 1995: 101), Suffix -ov; Паномаревъ (L) – aus russisch пономарь ‛in der Orthodoxen Kirche: Kirchen- diener’ (УНБЕГАУН 1995: 98), vgl. die Familiennamen Panomarow, Ponomarow (RYMUT 2001: 277), die Schreibweise mit Akanje, Suffix -ev; Пономаренко (R) – s. oben Паномаревъ, vgl. den polnischen Familiennamen Ponomarenko (RYMUT 2001: 277), Suffix -enko; Пономарчукъ (W) – s. oben Паномаревъ, vgl. den polnischen Familiennamen Ponomarczuk (RYMUT 2001: 277), Suffix -uk; Попенко (A) – aus ukrainisch попенько ‛der Sohn des Popes’ ←пiп (ГРИНЧЕНКО III 1909: 321), Onymisierung; möglich auch mit dem Suffix -enko, von Поп (УНБЕГАУН 1995: 214), s. unten; Попковъ (A) – aus russisch попокъ, einer Deminutivform von поп ‛Pope’ (КЮРШУНОВА 2010: 432), Suffix -ov; Поповъ (L, R, W, A), Попова (R) – vom russsischen поп ‘Pop’, Suffix -ov; Протопопова (L) – aus russisch протопопъ ‛Amtsname in der orthodoxen Kirche: Priester’ (ДАЛЬ III 1998: 521, УНБЕГАУН 1995: 101), Suffix -ov; Титаренко (R) – aus ukrainisch титарь ‘Starost in der orthodoxen Kirche’ (ГРИНЧЕНКО IV 1909: 263), russischen титарь ‘Starost in der orthodoxen Kirche’ (ДАЛЬ IV 1998: 406, УНБЕГАУН 1995: 214), oder aus ukrainisch титаренко ‘der Sohn eines Starosten in der orthodoxen Kirche’, Onymisierung oder Suffix -enko;

(11) Familiennamen, in denen mit der Armee verbundene Berufe erkennbar sind:

Воиновъ (L) – aus russisch воин, ukrainisch воїн ‘Soldat’ (ДАЛЬ I 1998: 230, ГРИНЧЕНКО I 1907: 249), vielleicht aber auch einem slawischen Vornamen Воин (СУПЕРАНСКАЯ 2009: 80), Suffix -ov; Драгунъ (A) – aus russisch драгунъ ‘Dragoner, Reiter’ (ДАЛЬ I 1998: 489); Onymi- sierung; Казакевичъ (R) – aus weißrussisch казак, russisch казакъ, козакъ ‘Kosak, Mitglied freier Reiterverbände, Krieger’ (ДАЛЬ II 1998: 72), ukrainisch козак ‘Kosak, Krieger’, aber auch ‘Tanz’ (ГРИНЧЕНКО II 1908: 264) vgl. den weißrussischen Familiennamen Казакевіч (БІРЫЛА 1969: 168), Suf. -evič; Berufs-, Amts- und Standesbezeichnungen in slawischen Familiennamen 145

Капитанъ (R) – aus russisch капитанъ ‛Hauptmann’ (ДАЛЬ II 1998: 87) oder polnisch kapitan, vgl. auch den weißrussischen Familiennamen Капітан (БІРЫЛА 1969: 180), Onymisierung; Козакъ (R) – s. oben Казакевичъ, Onymisierung; Козакевичъ (L, R) – s. oben Казакевичъ, Suffix -evič; Лейтарчукъ (А, W) – aus ukrainisch лейтарь ‛Pferdesoldat’ (ГРИНЧЕНКО II 1908: 353), Suf. -uk; Маiоренко (R) – aus russisch маiоръ ‛Major’ (ДАЛЬ II 1998: 290), ukrainisch майор ‛Hauptmann’ (ГРИНЧЕНКО II 1908: 398), nicht ausgeschlossen lateinisch maior ‘groß’, Suffix -enko; Пушкаревъ (А), Пушкарева (R) – aus russisch пушкарь ‘Artillerist’ oder ukrainisch пушкарь ‘Artillerist, Büchsenmacher’(ГРИНЧЕНКО III 1909: 503, УНБЕГАУН 1995: 214) vgl. den Familiennamen Пушкарёв (УНБЕГАУН 1995: 97), Suffix -ev; Пушкаренко (A) – s. oben Пушкаревъ, Suffix -enko; Сердюкъ (А) – nach Unbegaun Familienname ukrainischer Herkunft, aus cердюк ‘Serdjuk, Verteidiger des Hetmans, Söldner in der Ukraine des 17. Jh.’ (УНБЕГАУН 1995: 224), vgl. auch russisch cердюки ‘Kasaken in der Armee’ (ДАЛЬ IV 1998: 175), nicht ausgeschlossen die Herkunft aus einem Vornamen, vgl. den russischen Vornamen Сердей, Сердий ← Сергей (СУПЕРАНСКАЯ 2009: 288), Onymisierung; Сердюченко (R) – s. oben Сердюк, Suffix -enko; Стрѣльцовъ (A), Стрѣльцова (A) – aus russisch cтрелец ‘Schütze’, vgl. den Familiennamen Стрельцов (УНБЕГАУН 1995: 99); Suffix -ov; Трабантовъ (A) – wahrscheinlich Berufsname zu dem im 15. Jahrhundert aus dem Tschechischen entlehnten Wort drabant ‘Fusssoldat, Leibwache’ (KOHLHEIM 2011: 612), Suffix -ov;

(12) Die Familiennamen aus Standesbezeichnungen: Боярчукъ (A) – Standesname, aus russisch боярок ‘veramter Adelige’, боярич ‘Kind eines Adeligen’ (ДАЛЬ I 1998: 121, 121), Suffix -uk; Владычко (R) – aus russisch владычить ‘an der Macht sein’, vgl. владыка ‘Herr; Erzbischof’ (ДАЛЬ I 1998: 213); Suffix -ko; Дидиченко (A) – aus ukrainisch дідич ‘Gutsherr’ (ГРИНЧЕНКО I 1907: 388), aber möglich auch aus einem Vatersnamen, vgl. den russischen Vornamen Дид, Дида ← Кандидий (СУПЕРАНСКАЯ 2009: 99), Suffix -enko; Каролюкъ (L, R) – aus weißrussisch кароль, s. auch russisch король, ukrainisch король ‘König’ (БІРЫЛА 1969: 187, Hrin 286), aber möglich auch ausn einem Vornamen, russisch Корол, Король (СУПЕРАНСКАЯ 2009: 151), Suffix -uk; 146 Henryk Duszyński-Karabasz

(13) Sonstige Familiennamen: Байковъ (L, A) – kann auf polnisch baj ‘Märchenerzähler’ oder russisch байкo ‘Zauberer, Wahrsager’ (КЮРШУНОВА 2010: 25) zurückgehen, doch ist auch ein Vor- name, russisch ugs. Байко ← Баян (СУПЕРАНСКАЯ 2009: 65), oder ein Appellativ bajka ‘Märchenerzähler’, vgl. die polnischen Familiennamen Bajko, Bajkow (RYMUT 1999: 14), Suf. -ov; Дегтяревъ (A), Дегтеровъ (A) – aus russisch дегтяръ ‘der Teer herstellt oder verkauft’ (ДАЛЬ V 1998: 425), Suffix -ev, -ov; Дегтяренко (R) – aus ukrainisch дегтяръ ‘der Teer herstellt oder verkauft’ (ГРИНЧЕНКО I 1907: 365), Suffix -enko; Каперскiй (А) – aus polnisch kaper ‘Freibeuter, Seeräuber’ oder aus dem Vor- namen Kasper, vgl. den polnischen Familiennamen Kaperski (RYMUT 1999: 375), Suffix -sk-; Ляпуновъ (А) – aus russischen ляпунъ u.a. ‘schlechter Maler’, ‘schlechter Meister’ (ДАЛЬ II 1998: 287), Suffix -ov; Осочникъ (L, R) – aus russisch oсочникъ ‘Hauptjäger’ (ДАЛЬ II 1998: 694), Onymisierung; Пестунъ (R), Пѣстунъ (R) aus russisch пѣстунъ ‘Pfleger’ (ДАЛЬ III 1998: 549), ukrainisch пестун ‘Modenarr’ (ГРИНЧЕНКО III 1909: 148), Onymisierung; Рыбалтъ (R) – aus altpolnisch rybałt ‘volkstümlicher Künstler’, vgl. den polnischen Familiennamen Rybałt (RYMUT 2001: 374), Onymisierung; Ситникъ (L, R, W) – aus russisch cитник ‘jemand, der Siebe herstellt’, aber auch ‘Roggenbrot’ (УНБЕГАУН 1995: 153, ДАЛЬ IV 1998: 189), Onymisierung; Факторовскiй (A) – aus russisch фактор ‘Vermittler’ (УНБЕГАУН 1995: 262), Suffix -sk-.

Insgesamt enthält das Material 123 Familiennamen, die aus den Berufs-, Amts- und Standesbezeichnungen gebildet worden sind. Die größten Gruppen2 bilden die Familiennamen, die mit dem Dienstleistungsgewerbe (15 Formen, also 12% aller Namen) und mit der Armee verbunden sind (14, also 11%), weiter mit der Holzverarbeitung (13) und mit dem Nahrungsgewerbe (13). Zu den mit den kirchlichen Berufen und Ämtern verbundenen Onymen und den so genannten sonstigen Familiennamen gehören je 12 Nachnamen. Die weiteren Gruppen sind die Namen aus den metallverarbeitenden Berufen (11), der Verwaltung (10), dem

–––––––— 2 Die Familiennamen mit anderer Schreibweise, z.B. Дiаконовъ und Дьяконовъ oder Пестунъ und Пѣстунъ werden hier als unterschiedlich, die weiblichen Formen als Varianten der männlichen betrachtet, z.B. Пушкаревъ und Пушкарева als Familien- name. Berufs-, Amts- und Standesbezeichnungen in slawischen Familiennamen 147

Textil- und Pelzgewerbe (9) und aus landwirtschaftlichen Berufsbezeichnungen (6). Es gibt nur 4 Familiennamen aus Standesnamen und je zwei Namen, die mit dem Ledergewerbe und mit den tonverarbeitenden Berufen verbunden sind. Wenn es sich um die Struktur der analysierten Familiennamen handelt, über- wiegen die Namen mit dem Suffix -ov/-ev (37 Formen, d.h. 30%). Dieses Suffix ist charakteristisch vor allem für die russische Anthroponymie. Es gibt 26 Namen, die mit Hilfe der Onymisierung entstanden sind (21%), 13 Onyme mit dem für die ukrainische Anthroponymie typischen Suffix -enko (10,5%), 12 Namen mit dem Suffix -uk (fast 10%), 11 mit dem Suffix -sk- (fast 9%) und 8 mit dem Suf- fix -ik (6,5%). Drei Familiennamen können je nach Interpretation als mit Hilfe der Onymisierung oder des Suffixes -enko betrachtet werden: Шевченко, Попенко, Титаренко. Alle anderen Typen sind nicht zahlreich vertreten. In den Familiennamen aus den Berufs-, Standes- und Amtsbezeichnungen sieht man alte Berufe und Ämter, die heute zum großen Teil untergegangen sind. Sie betreffen verschiedene Sphären der Tätigkeit des Menschen. Besonders inte- ressant sind die Familiennamen, die mit dem kirchlichen Dienst verbunden sind. Sie zeugen von der bedeutenden Rolle des orthodoxen Glaubens in der ostsla- wischen Gesellschaft. Auch in den anderen Anthroponymen sind derartige Be- zeichnungen zu erkennen, die das Leben der altrussischen Gesellschaft widerspie- geln, z.B. Войтовецкiй, Цiунчикъ, Казакевичъ, Сердюкъ, Кологривъ usw. Eine nicht große Gruppe bilden auch die Namen polnischer Herkunft, wie z.B. Rybałt. Noch eine Bemerkung ist notwendig. Manche der besprochenen Familien- namen sind mehrdeutig. Das bedeutet, die Motivation ihrer Entstehung kann verschieden interpretiert werden. Einige Anthroponyme könnten beispielsweise aus Berufsbezeichnungen oder aus Vornamen entstanden sein. Die möglichen Interpretationen wurden bei den entsprechenden Onymen genannt. Die Familiennamen aus den Berufs-, Amts- und Standesbezeichnungen bilden eine interessante Gruppe nicht nur für die Sprachwissenschaftler, sondern auch für die Kulturgeschichte, denn solche Onyme sind Zeugnisse früheren Lebens.

Quellenverzeichnis

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Karlheinz Hengst Personen mit slawischen Namen und ihre Tätigkeiten im weltlichen sowie kirchlichen Bereich vom 10. bis 13. Jahrhundert östlich der Saale

1. Vorbemerkungen Slawische Personennamen in Ortsnamen geben uns in vielen Fällen die Orts- gründer als erste Siedler im slawischen Altsiedelgebiet an. Wir erfahren aber da- bei nichts über die jeweils ausgeübten Berufe. In den meisten Fällen ist davon auszugehen, dass es sich um Tätigkeiten in der mittelalterlichen Wirtschaft, vor allem in der bäuerlichen Einzelwirtschaft gehandelt haben wird. Es waren Bau- ern, zugleich wohl auch als Fischer, Jäger und Zeidler sowie Handwerker tätig. Sie übten Tätigkeiten aus zur Sicherung der Existenz ihrer Familien seit der Landnahme bis hin zum Landesausbau. Von einer allmählich sich verbreiten- den Spezialisierung infolge von Arbeitsteilung ist auszugehen. Slawische Personennamen in den sogenannten slawisch-deutschen Misch- namen, also in den Hybridbildungen aus slawischem Personennamen und deut- schem Grundwort, lassen schon weit mehr annehmen. Diese Personennamen verweisen auf Ortsgründer als Lokatoren oder sogar auf Landbesitzer als Lehens- träger. In solchen Fällen sind Angehörige der slawischen Führungsschicht zu vermuten. Sie handelten vom 10. Jahrhundert an im Auftrag der deutschen Zentralgewalt, d.h. im Auftrag von König oder Markgraf bzw. im Auftrag des je- weiligen Bischofs. Eine genauere Differenzierung und Zuordnung ist allerdings bei diesen slawisch-deutschen Mischnamen schwierig bis unmöglich. Nur bei kleinräumigen Untersuchungen sind in Einzelfällen genauere Aussagen erwägbar. Auskunft über von Slawen ausgeübte Berufe gibt allerdings eine Anzahl ap- pellativisch gebildeter slawischer Siedlungsnamen. Es sind die Basiselemente mit Berufsbezug in den Ortsnamen. Einen raschen Ein- und Überblick für Sach- sen kann man sich verschaffen im Registerband zum Historischen Orts- namenbuch von Sachsen.

2. Was ist das Ziel des Beitrags?

Personennamen stehen im Folgenden nun im Blickpunkt als Quellen für von den Namensträgern oder ihren Vorfahren ausgeübte Tätigkeiten. Es geht da- rum, slawische Personennamen in Urkundentexten vom 10. bis 13. Jahrhundert unter zwei Gesichtspunkten zu betrachten:

Onomastica Lipsiensia/OL 13 (2018), S. 151-190. 152 Karlheinz Hengst

Erstens soll eine erste quantitative Ermittlung slawischer Namensträger in Urkunden von Kaisern, Königen, Markgrafen sowie kirchlichen Würden- trägern erfolgen. Dabei sind die Angaben zum Status der einzelnen Slawen von Interesse. Zweitens gilt es, in den Urkunden vorhandene Angaben auch zur Ermittlung der Tätigkeit der jeweils genannten Slawen zu beachten. Es soll versucht werden, aus den Urkundentexten Schlussfolgerungen für die jeweilige Tätig- keit der betreffenden slawischen Person zu ziehen. Wenn vom 10. Jahrhundert an wiederholt Slawen in Urkunden aus dem welt- lichen und kirchlichen Spitzenbereich angeführt werden, darf daraus geschlossen werden, dass es sich dabei jeweils auch um Slawen aus der Oberschicht handelt. Nach der militärischen Eroberung der slawischen Siedlungsgebiete östlich der Saale darf für den damaligen altsorbischen (aso.) Sprachraum von einer weitest- gehend wechselseitigen Akzeptanz zwischen deutscher Herrschaftsschicht und slawischer Führungsschicht ausgegangen werden. Die bisher ableitbaren Schlussfolgerungen zur Kooperation zwischen deut- scher Oberherrschaft und eingesessener slawischer Führungsschicht nach der deutschen Eroberung lassen sich mit Beobachtungen des Mittelalterhistorikers Christian LÜBKE (1993: 74) verbinden. Er hat vorsichtig mit folgenden Worten in diese Richtung gewiesen: „Es ist also zu vermuten, dass auch unter deutscher Herrschaft eine slavische Adelsschicht weiter existierte, die einerseits eine gewisse Affinität zu den neuen Institutionen aufwies, wozu das formale Bekenntnis zum Christentum gehörte, die aber andererseits ihre eigene slavische Identität bewahr- te.“ Einen erfolgreichen und überzeugenden Vorstoß in die „Grauzone“ um die slawische Oberschicht bzw. den slawischen Adel im Mittelalter für das Unter- suchungsgebiet hat die Historikerin Gertraud Eva SCHRAGE im Umfeld des Zis- terzienserklosters Altzelle in der Mark Meißen unternommen (SCHRAGE 2000: 1-18). Sie hat den Nachweis erbracht, dass von den im 12. Jahrhundert in Urkunden belegten slawischen Adelsvertretern sechs den edelfreien Familien zuzuordnen sind und somit in jener Zeit den nobiles zugehörig waren.1

–––––––— 1 SCHRAGE 2000; 5, 6, 9, 10 und 14. Damit ist schon hinreichend die bisherige Meinung vom nur niederen Ministerialadel im Dienst der deutschen Obrigkeit (vgl. ebd. 2) widerlegt worden. Personen mit slawischen Namen und ihre Tätigkeiten 153

3. Was spricht für wechselseitige herrschaftliche Anerkennung und Toleranz?

Für das im Blick stehende Gebiet lassen sich folgende Begründungen zur An- nahme von wechselseitiger Anerkennung und Toleranz nennen:

Erstens ist keine Zerstörung slawischer Siedlungen erfolgt. Der Lebensraum der Slawen war im Gegenteil Anlass, die Namen der slawischen Orte seitens der deutschen Obrigkeit in die deutsche Sprache zu übernehmen und als nützliche sprachliche Zeichen für die Verwaltung beizubehalten.

Zweitens: Die Aufzeichnungen der Eigennamen slawischer Repräsentanten seit dem 10. Jahrhundert bei Rechtsgeschäften und in berichtenden Darstellungen lassen ebenso wie bei den geographischen Namen das Bemühen um beachtliche lautliche Nähe zu den rekonstruierbaren slawischen Ausgangsformen erkennen. Drittens: Noch über zwei Jahrhunderte nach der Eroberung des slawischen Sie- delgebietes haben beim hochmittelalterlichen Landesausbau die deutschen Ad- ligen die slawischen Namen für ihre neu errichteten Herrensitze angenommen. Der Spitzenadel hat dabei keine Ausnahme gemacht, was das Haus Wettin als altes Markgrafengeschlecht mustergültig zeigt.2

4. Die Mitwirkung von Angehörigen der slawischen Oberschicht im Reich Die gesamte Entwicklung nach der militärischen deutschen Eroberung lässt sich nur verstehen und erklären, wenn wir zugleich seit den ersten Jahrzehnten des 10. Jahrhunderts mit einer auf wechselseitiger Achtung beruhenden interethni- schen Kommunikation zwischen den Herrschaftsträgern rechnen. Die deutschen Herrschaftsträger waren auf die Zusammenarbeit mit der sla- wischen Führungsschicht regelrecht angewiesen. Und die slawischen Repräsen- tanten wurden von deutscher Seite (a) geschätzt und (b) daher auch materiell belohnt. Das bezeugen sowohl die tradierten Fakten v.a. in Kaiser- resp. Königs- urkunden als auch die jeweiligen genannten Namen der Slawen und ihrer Zu- ständigkeiten: Ad 965 wird der von Kaiser Otto I. „sehr geachtete“ senior Cuchavicus mit Sitz in Zwenkau genannt (Thietmar II 38).

–––––––— 2 Zum Herkunftsnamen Wettin vgl. SON 4: 72. 154 Karlheinz Hengst

974 erfüllt Otto II. eine ausdrückliche Bitte des Erzbischofs von Magdeburg um den in des Kaisers Dienst stehenden offenbar hochrangigen Slawen Chagan mit Frau und Söhnen zur Unterstützung im Erzbistum. 974 gewährt Otto II. zugleich auch dem Bistum Merseburg Unterstützung und übereignet die Burg Zwenkau mit ihren Bewohnern. Die vorher dem Slawen Nezan gehörige Anlage erhält zugleich ausdrücklich eine Reihe von Privilegien. Ad 982 wird der miles Heinricus, mit slawischem Namen Zolunta, als Kaiser Otto II. „nahestehender Vertrauter“ erwähnt. 1011 überträgt Kaiser Heinrich II. auf Bitten des Erzbischofs den gesamten Burg- ward Driezele (Dretzel südlich Genthin), den bislang der Slawe Sigifridus Zrobonis filius innehatte, dem Erzbistum. 1028 schenkt Kaiser Konrad II. vier Königshufen seinem „Getreuen“ Dirzic in Mutzschen bei Grimma. 1031 nimmt Konrad II. Schenkung von 3 Königshufen in Wedelwitz südlich Eilen- burg an den Slawen Zulis in der Markgrafschaft Dietrichs (von Wettin) vor und 1031 eine Schenkung von zwei Königshufen an seinen „Getreuen“ Szvvizla in ei- nem Ort bei Schkölen südwestlich von Leipzig. 1040 nennt eine Urkunde von Heinrich III. das „Lehen“ eines Slawen Sememizl in den Gauen Wethau und Teuchern, also im heutigen Raum Weißenfels östlich der Saale. 1042 schenkt Heinrich III. Land mit allem Zubehör an den Slawen Moic, der wohl im Burgward Teuchern nw. Zeitz saß. 1045 nimmt Heinrich III. eine Landschenkung von 3 Königshufen an miles Jaro- mir im Burgward Gvozditz zwischen Dresden und Meißen vor. 1097 beurkundet Heinrich IV. eine Schenkung an Wiprechts von Groitzsch miles Vitic.

Wenn wir nach der Tätigkeit der bisher erwähnten Slawen fragen, dürfen wir modern formuliert – feststellen, dass sie als hochrangige Amtsträger im welt- lichen Dienst der deutschen Herrscher durchaus Spitzenämter im Verwaltungs- bereich ausübten. Diese slawischen Amtsträger waren zu ihrer Zeit offensichtlich auch im deutschen Verwaltungsbereich der jeweiligen Markgrafschaft sowie des zustän- digen Bistums gut bekannt. Das wird z.B. deutlich aus einer Urkunde von 1071. Personen mit slawischen Namen und ihre Tätigkeiten 155

Der bekannte Bischof Benno von Meißen schließt mit einem slawischen Edel- freien, dem homo liber Bor … natione Sclauus, und dessen Söhnen ein Rechts- geschäft über Landbesitzungen ab. Als Zeugen werden 16 milites mit slawischen Personennamen neben einigen weiteren milites mit deutschen Namen ange- führt. Diese alle stehen im Dienst des Markgrafen von Meißen. Es war offen- sichtlich nicht nötig, ihre jeweiligen Burgwardorte mit anzugeben.

5. Hinweise auf Sitze verschiedener slawischer Landesherrn

Bei der Einrichtung der Burgwardorganisation konnte Deutscherseits im ost- saalischen Gebiet offensichtlich an dort bestehende Raumstrukturen angeknüpft werden.3 Aus der Überlieferung ist das allein schon aus den wiederholten Lage- angaben des jeweiligen Burgwards mit zusätzlich pagus plus slawischem Namen zu erkennen. Es ist eigentlich zwingend durchaus zu folgern, dass in den slawi- schen Siedelgebieten eine regionale Herrschaftsorganisation bestand, die nach der deutschen Eroberung weiterhin beibehalten wurde und sich nutzbar ma- chen ließ. Der slawische Adel wurde in den Burgwardzentren in den königli- chen Dienst gestellt.4 Die übergeordneten Funktionen der Markgrafen waren hingegen mit deutschstämmigem Adel besetzt. Der Deutsche als Markgraf von Meißen und der Slawe als Burgherr von Meißen sind ein gültiges Muster. Die Burgwardorte dienten dem Einsammeln der Abgaben (Zehntleistung) sowie dem Schutz der Bevölkerung im Umland.5 Vereinzelte Nennungen slawischer Landesherren aus dem westaltsorbischen Sprachgebiet lassen zusätzlich auf Herrschaftszentren und entsprechende Struk- turen schließen. Angaben in der Überlieferung wie dux, rex, senior sind als äu- ßere Zeichen für Zugehörigkeit zum Hochadel zu verstehen: ad 805 Samel / Semil rex Dalemincorum6 ad 806 Miliduoch dux Sclavorum7

–––––––— 3 Vgl. dazu übereinstimmend auch Christian LÜBKE 1993: 70 und in Anm. 50 im Anschluss an die Ergebnisse des sächsischen Frühhistorikers Gerhard BILLIG (Dres- den). 4 Von einer früher erwogenen und auch von namhaften Historikern vertretenen „plan- mäßigen Vernichtung“ oder gezielten „Beseitigung“ der slawischen Burgherren sowie ihrer „Entwurzelung“ bzw. „Ausrottung“ kann keine Rede mehr sein, vgl. Christian LÜBKE 1993: 70f. 5 Vgl. ausführlicher Matthias HARDT 2015a: 42-47, zu den Burgwarden besonders 42/43. 6 Zum Namen des Daleminzierfürsten vgl. Gerhard SCHLIMPERT 1978: 122 und 124. 156 Karlheinz Hengst

ad 839 Cimusclo rex Coledicorum (= voraso. *Čimyslъ8) ad 844 Lotharius imperator venit cum orientalibus Francis in Sclaviam et eorum re- gem Gestimulum occidit9 857 apud Zistiboron Sorabum (= voraso. *Čistiborъ10) 974 quendam iuris nostri servum11 Chagan nominatum12 Auf Zugehörigkeit zum höheren Adel verweisen ebenso Angaben wie seniores, primores, optimi und liberi – diese alle – und zuweilen vereinzelt wohl auch mi- lites – sind am besten mit Edelfreien gleichzusetzen: 826 Tunglo13 nach 955 Cuchavicus senior14

–––––––— 7 Nach EINHARD, Vita Caroli Magni 193, vgl. SCHLIMPERT 1978: 86. Hans WALTHER 1965: 182f. spricht vom rex superbus Miliduch, der als westslawischer Fürst im späteren sorbischen Sprachgebiet einen Versuch staatlicher Konzentration unternahm. Daher nennt er ihn auch Großkönig der Sorben. 8 Zum Namen des Coledizierfürsten vgl. SCHLIMPERT 1978: 31. 9 Thietmar Chronik VII, 13 (Zusatz). Da in dem Zusammenhang Kloster Corvey erwähnt wird, handelt es sich hier vielleicht um einen polabischen Herrscher, dessen Name im 9. Jahrhundert am ehesten Gostimyslь gelautet haben dürfte. 10 Zum Namen des Sorbenherrschers vgl. SCHLIMPERT 1978: 32. 11 Zur Verwendung von servus im Sinne von Lehensträger, nicht aber etwa als Unfreier, vgl. weiter unten. 12 MGH DO II, Nr. 79. Die Urkunde beinhaltet , dass Otto II. auf Wunsch von Erzbischof Adelbert von Magdeburg der Moritzkirche daselbst den wohl bis dahin im Dienst des Königs stehenden Adligen cum coniuge et filiis eius [mitsamt Familie] schenkte. Sicherlich ging es dabei also nicht um einen simplen Hörigen, sondern um eine hochgestellte slawische Persönlichkeit, von der sich der Erzbischof in seinem Wirkungsbereich im slawischen Umland hilfreiche Unterstützung versprach. Die in Merseburg ausgestellte Urkunde kann also möglicherweise einen Vertreter des slawischen Adels aus dem Gebiet um Merseburg bzw. aus dem Bistum Merseburg betroffen haben. 13 Er wird zu den primores gezählt, vgl. WALTHER 1965: 183; zum Namen vgl. SCHLIMPERT 1978: 146. Der PN gehört zu urslaw. *Tǫgъ als wahrscheinlich suffigierte Bildung zu einem Vollnamen wie *Tǫgomĕrъ mit späterer Entnasalierung und Entwicklung zu Tugomer, vgl. SVOBODA 1964: 89. 14 THIETMAR II, 38: a Sclavis in Zuencua sub Cuchavico senior. Vgl. dazu auch Regesten II, Nr. 99. Der Personenname deutet in seiner Schreibung auf eine altsorbische Form mit *Kuk- oder *Kuch- hin und ist vielleicht sogar auf Grund der mündlichen Tradierung Personen mit slawischen Namen und ihre Tätigkeiten 157

ad 992 a venerabili seniore Dobromiro15 ad 1006 e Sclavis … optimos Borisen et Vezemuisclen16 ad 1017 Budizlavus miles17

Es soll nun hier im Folgenden nicht um die Diskussion von Etymologien gehen. Vielmehr steht das Bemühen um Angaben zu den Tätigkeiten der urkundlich genannten slawischen Personen im Mittelpunkt. Es ist beabsichtigt, zum leich- teren Verständnis und zur Wahrung einer gewissen Übersichtlichkeit folgen- dermaßen vorzugehen. Es wird ein Überblick zum Auftreten slaw. PN in der Überlieferung nach einzelnen Gegenden gegeben. Das soll dem Leser dazu die- nen, einen differenzierten Überblick zu gewinnen. Dabei wird das altwest- sorbische Sprachgebiet zwischen Saale und Elbe in einige Regionen unterteilt. Es werden die jeweils urkundlich genannten Angehörigen der slawischen Ober- schicht im Textauszug mit Angabe der Jahreszahl sowie ihrer Tätigkeit(en) er- wähnt.18 Die slawischen Personennamen werden im Druck hervorgehoben. Die in den Urkunden bei den Personen mit slawischen Rufnamen angeführ- ten Angaben entweder zum jeweiligen gesellschaftlichen Status bzw. zur jeweils ausgeübten Tätigkeit finden ihren Ausdruck in den folgenden lateinischen Be- zeichnungen: servus ʻim Dienst des Kaisers/Königs Stehenderʼ nobilis ʻEdelfreier, Angehöriger des hohen Adelsʼ liber ʻder Freieʼ fidelis ʻVertrauter, Gefolgsmann, Vasallʼ feodalus ʻFeudalherr, Lehensinhaber, Lehnsträgerʼ –––––––— bei den deutschen Sprechern bis zur Niederschrift durch THIETMAR im Vergleich zur Ausgangsform etwas verändert bzw. „verformt“ worden. 15 Boleslaw Chrobry von Polen heiratete in dritter Ehe die Tochter des genannten hochrangigen Westslawen, sesshaft im westslawischen Sprachgebiet, nach der Tren- nung von seiner ersten Frau, einer Tochter des Markgrafen von Meißen, und seiner zweiten Frau, einer Ungarin, vgl. THIETMAR IV, 58. Nach Regesten II, 172f. handelt es sich bei Dobromir um einen Fürsten in der Lausitz. 16 THIETMAR VI, 28. Bei dem slawischen Vertreter des Hochadels mit dem Namen Vęcemysł (vgl. SCHLIMPERT 1978: 53) kann es sich aber evtl. auch um einen Heveller handeln, vgl. Regesten III, 252f. 17 THIETMAR VIII, 21 nennt ihn als Gefolgsmann von Markgraf Ekkehard im Gebiet von Rochlitz. 18 Mit Hilfe der Jahreszahlen können die genaueren Angaben einschließlich der jeweiligen PN leicht nachgeschlagen werden bei HENGST 2016: 209-279. 158 Karlheinz Hengst

dominus ʻHerr, Lehnsherrʼ maior ʻvon vornehmer Stellung/Herkunftʼ senior ʻLehnsherrʼ und ʻLehnsmann, Lehnsträgerʼ ministerialis ʻLehnsträger, Ministerialeʼ miles ʻRitter, Lehnsmann, Burgherrʼ castellanus ʻBurgmann, Burgvogtʼ advocatus ʻRechtsbeistand; Vogtʼ matrona ʻDame in hoher gesellschaftlicher Stellungʼ rusticus ʻGutsherrʼ [nicht ʻBauerʼ, sondern Herr von Rittergut o.ä.]

Diese appellativischen Kennzeichnungen der Slawen geben zwei Gruppen zu erkennen: (a) Dem deutschen Adel entsprechende slawische Edelfreie. Sie erscheinen als nobilis, liber, fidelis, senior, maior, dominus, matrona. Mit dem je- weiligen Status sind Landbesitz und vermutlich auch ein hohes Ver- waltungsamt im Land verbunden gewesen. (b) Nachgeordnet erscheinen Funktionsträger, deren Tätigkeit erkennbar ist als feodalis, ministerialis, miles, castellanus, advocatus, rusticus cum curia (also mit ausdrücklich großem Hof bzw. Landbesitz).

Selten sind doppelte Angaben wie 1222 nobilis dominus Moyko de Stulpen mit der Statusangabe als Edelfreier und der zusätzlichen Nennung der Verwaltungs- funktion als Lehns- und Burgherr von Stolpen.

6. Slawische Landbesitzer und Repräsentanten in Regionen östlich der Saale

6.1. Sachsen-Anhalt mit Merseburg und Zeitz bis Eilenburg (974-1223)

Zu den beiden Nennungen ad 974 vgl. bereits weiter oben. 1011 wird erwähnt burgwardium Driezele dictum, quod Sigifridus Zrubonis filius obtinuit in pago Mrozani19 bei Schenkungsakt im Burgward Dretzel südlich Gen- thin an das Erzbistum Magdeburg durch König Heinrich II. auf Bitten von Erz- bischof Tagino.20

–––––––— 19 MGH DH II Nr. 237, S. 274. Zu der Urkunde vgl. Regesten III, Nr. 438 sowie SCHLIMPERT 1978: 161 und 200 mit Erläuterungen zu den Namen aus dem östlich Magdeburg gelegenen Gau Mrozani. 20 Vgl. LÜBKE 1993: 72 und Regesten III, Nr. 438. Personen mit slawischen Namen und ihre Tätigkeiten 159

1012 nennt eine Urkunde Heinrichs II. unter einer größeren Anzahl von Orten süd- lich von Merseburg auch Boian villa ʻDorf eines Bojanʼ sowie auch villa Boliboris – also ein von Bolibor gegründetes Dorf.21 Die offenbar erst um 1000 angelegten Orte verdanken ihre Gründung offensichtlich zwei slawischen Adligen mit den Namen Bojan (Kurzname mit Suffix zu Bojsłav o.ä.) und Bolebor/Bolibor mit den bei Vertre- tern des Adels immer wieder begegnenden Gliedern bor, boj und słav. 1031 Vergabe von drei Königshufen zu Wedelwitz (südlich Eilenburg)22 – von Kai- ser Konrad II. in Goslar beurkundet an einen Adligen *Suliš23: Zuliso tres mansus regales in villa Vetovvizio sita in pago Susali in comitatu Theodorici cum omnibus ad eosdem mansus iure et legaliter pertinentes24. Der Adlige *Suliš muss also seinen Sitz im Gau Siusili zwischen Mulde und Weißer Elster in der Markgrafschaft Diet- richs (von Wettin) gehabt haben. 1040 wird ein beneficium Sememizl in einer Urkunde Heinrichs III.25 angeführt, also das „Lehen“ eines slawischen Adligen namens *Sĕmimysl26. Es geht dabei in Verbindung mit der Nennung des Slawen um Besitzungen im Gau an der Wethau sowie im Gau Teuchern im südlichen Sachsen-Anhalt: in pago, qui dicitur Weita et in pago similiter qui vocatur Tuchorin.27 Der genannte Slawe war wohl ein Edler im direkten Dienst des Königs. Über seinen Sitz sagt die Urkunde nichts. Möglicher- weise war er Herr im Altgau Teuchern, 976 in pago Ducharin.28 104[2] ist eine Schenkung von 3 Königshufen und 60 Joch mit allem Zubehör in dem nordöstlich Teuchern gelegenen Gladitz urkundlich bekannt von König Heinrich III. auf Veranlassung von Markgraf Ekkehard von Meißen 104[2]: ob in- terventum ac petitionem Ekkehardi marchionis nostri dilecti cuidam Moic … in vil- la Gladovsi in burcwardo Thuchorin et in comitatu predicti marchionis.29 Der Markgraf hat sicher guten Grund gehabt, einem in seinem Dienst stehenden slawi- schen Adelsvertreter mit neuem Grundbesitz versehen zu lassen. Die Formu- lierung cuidam Moic darf nicht irritieren, sie entspricht einer üblichen Kanz- leiformel. Der Slawe kann u.U. Herr des Burgwards Teuchern (Ort Teuchern –––––––— 21 Urkundenbuch Merseburg I: 42, Nr. 39. 22 Nicht Wadewitz bei Zeitz, vgl. Regesten IV, Nr. 597; zum Namen 4: 56. 23 Zum Namen als Koseform für einen Sulisłav oder Sulibor vgl. SCHLIMPERT 1978: 135. 24 CDS I, 1: 294, Nr. 77. 25 MG DH III: Nr. 60; UB Naumburg I: 36, Nr. 45. 26 Vgl. zum Namen SCHLIMPERT 1978: 124 und auch WALTHER 1965: 183. 27 UB Naumburg I: Nr. 45. Vgl. auch Regesten IV, Nr. 645. 28 UB Naumburg I: Nr. 7; zum Namen vgl. SON 4: 18f. 29 CDS I, 1: 302, Nr. 91. Vgl. auch Regesten IV, Nr. 658. 160 Karlheinz Hengst

nordwestlich Zeitz) gewesen sein und den Vollnamen Mojmir oder Mojsłav getra- gen haben. Urkundlich wird er mit der Kurzform *Mojk erwähnt, was eine gewisse Vertraulichkeit zwischen Markgraf und Benanntem andeuten kann. 1146 verleiht Bischof Udo von Naumburg dem Kloster Bosau den Zehnten von al- len Neubrüchen im Pleißengau und im Geragau, u. a. auch den Zehnten aus einem Dorf, das ein gewisser Zvemuzl zuerst bewohnte30, gelegen in der Nähe von Ossig (südsüdwestlich Zeitz), das direkt vorher mit Kirche und danach mit Forst bei Os- sig31 genannt wird.32 Die Nennung von *Svemysł in der Urkunde gibt freilich nicht einen einzelnen Bewohner, sondern den früheren slawischen adligen Landbesitzer zu erkennen. 1156 tritt in einer Urkunde von Markgraf Konrad von Meißen bei Schenkungen an das Kloster Petersberg [bei Halle] unter den Zeugen nach Erzbischof Wich- mann von Magdeburg und Bischof Gerung von Meißen unter den Spitzen des Adels auch auf Pribizlau … urbis [Meißen] advocatus, und zwar noch deutlich vor dem ausdrücklichen urkundlichen Vermerk et alii plurimi liberi et ministeria- les.33 1223 sind in einer Urkunde von Bischof Bruno II. von Meißen beim Verkauf von drei Hufen in Corbetha an das Kapitel von Merseburg unter den Zeugen aufgeführt Mirzlaus, Hermannus usw.34 Mirzlaus direkt nach dem Mundschenk genannt reflek- tiert einen Slawen *Mirosłav mit sehr wahrscheinlich adliger Herkunft.

Zusammenfassend lässt sich zu den 11 Vertretern der slawischen Führungs- schicht in Urkunden eine knappe Übersicht bieten. Die Angaben in […] sind auf Grund des Urkundeninhalts erschlossen, so also nicht direkt in der Urkunde angeführt: 2 Vertraute von Kaiser Otto II. nennt schon Thietmar zu 965 und 974 7 [liberi/nobiles] und milites sind in Urkunden von Heinrich II., III. und Bischof von Naumburg genannt 1 fidelis in Urkunde von Konrad II. 1 advocatus in Urkunde des Mgrf. v. Meißen –––––––— 30 UB Naumburg I, Nr. 177: decimam quoque cuiusdam nove ville, quam Zvemuzl quidam primus incoluit. 31 Ebd.: …forestum … ad occidentem terminis villae Ozzek limitatur. 32 Vgl. auch DOBENECKER I, Nr. 1552. 33 CDS I, 2: 178, Nr. 262. 34 UB Merseburg I: 149, Nr. 181. Personen mit slawischen Namen und ihre Tätigkeiten 161

6.2. Thüringen bis Raum Altenburg (1074-1293) 1074 sind als Klostereigentum von St. Peter und Paul in Saalfeld u. a. erwähnt die Lehen derer ohne Erben, darunter Rasco, Grafto, Bowirwiti … Salocho.35 Dahinter dürften die slawischen Adligen *Raš-k (vgl. 1222 Albertus Rasec), mit Schreibfehler *Borvit (verkürzt aus *Borivit) und *Žal-k (Kurzform mit Kosesuffix zu Žalimir36) zu erkennen sein. Es waren nach Hans Walther37 Lehensleute des Erzbischofs An- no von Mainz. 1136 bestätigt Abt Werner vom Peterskloster in Erfurt, dass vier Slawen ihre Flu- ren gegen Häuser in Erfurt getauscht haben: quattuor Slavi … hospites Ludewici comitis provincie, quorum ista sunt nomina Luzicho, Herolt, Odalrih, Cuno.38 Bei den Freunden des Landgrafen Ludwig handelt es sich gewiss um ihrer Herkunft nach slawische Adelsvertreter, die bereits deutsche Rufnamen tragen. 1145 bestätigt Bischof Udo von Naumburg dem von Schmölln nach Schulpforta verlegten Kloster Flurerwerb an der Saale, der von zwei slawischen Grundherren gekauft worden war, und zwar a duobus, quorum nomina sunt Rodest et Roduan.39 Die Namen der beiden slawischen Adligen aus dem Gebiet in der Nähe von Bad Kösen in ihrer altsorbischen Lautung *Radost und *Radvan waren offensichtlich schon länger den Notaren in der Kanzlei des Bischofs geläufig, denn die Formen zeigen bei Niederschrift in der Urkunde bereits mundartliche Einflüsse des deut- schen Sprachgebrauchs, nämlich jeweils Übergang von a > o sowie Reduktion der nachtonigen Silbe bei *Radogost > Rodest40 und von *Radovan > Rodvan. 120[7] nennen Probst und Konvent des Bergerklosters in Altenburg als Zeugen zunächst drei Geistliche mit den Namen Sigismundus et Thimo monachio et frater Pribezlaus de cella sancte Marię sowie unter den weltlichen Zeugen in der Adels- reihe Theodoricus Zlabor cum duobus filiis suis.41 Diese Urkunde erscheint auch nochmals datiert 1208.42 *Slavobor als weltlicher Zeuge in der Adelsreihe nach Heinrich von Kohren (östlich Altenburg) und vor Hartwig von Kakau (südwestlich Altenburg) trägt bereits einen deutschen und dazu weiterhin seinen altsorbischen –––––––— 35 DOBENECKER I, Nr. 912. 36 Vgl. WENZEL 1992: 179. 37 WALTHER 1965: 183. 38 CDS I, 2: 85, Nr. 117., vgl. auch DOBENECKER I, Nr. 1324. 39 UB Naumburg I: 150, Nr. 171. 40 Und in dieser Form noch zusätzlich beobachtbar Verundeutlichung des Vokals in der unbetonten Endsilbe. 41 UB Altenburg: 51, Nr. 64. 42 CDS I,I 19: 53, Nr. 36. . 162 Karlheinz Hengst

Namen, der kein Herkunftsname ist, sondern mit *Słabor eine verkürzte Form von *Słavobor darstellt. [1211-1219] erscheint in einer Urkunde für das Kloster Pforta als Ministeriale des Grafen von Gleichen bei Erfurt unter den Zeugen Szlauke de Glichen vor Albertus de Frankenhusen.43 Der PN *Slavko ist zu einem Vollnamen wie *Słavobor, *Słavomir o.ä. gebildet. 1273 wird Swezlawa als Frau eines thüringischen Adligen von Hans Walther ge- nannt.44 Zum PN ist zu vergleichen der oben genannte 1071 Zuezlaus (miles). 1282 wird ein Slave ohne weitere Namensangabe als Besitzer eines Weinbergs in Closewitz bei Jena genannt.45 1291 bestätigt das Deutschordenshaus Altenburg einem Schibanus den Kauf von zwei Hufen in Jauern bei Altenburg.46 Bei diesem *Šiban dürfte es sich zumindest um einen slawischen Kleinadligen handeln. Gerhard SCHLIMPERT nennt zusätzlich 1288 dominus Schiban de Promnitz (miles), sicherlich zu Promnitz mit altem Rit- tersitz im Raum Riesa gehörig.47 1293 erscheint in einer Verkaufsurkunde Walthers von Gleisberg über Besitz in Zwätzen bei Jena u. a. der Name des Besitzers eines sicher beachtlich großen Ho- fes: curia, de qua quidam dictus Podrel solvit annuatim tres solidos et quatuor pul- los.48 Die Schreibung des zugrunde liegenden altsorbischen PN kann u. U. bereits Abschleifung bzw. Verkürzung infolge von binnendeutschem Sprachgebrauch an- zeigen.49

Unter den 15 Personen mit slawischem Personennamen vom 11. bis 13. Jahr- hundert sind differenzierbar 7 Lehensträger/Grundbesitzer in den Urkunden von Erzbischof v. Mainz, der Bischöfe von Naumburg und Meißen sowie des Probstes v. Kloster Alt- enburg 4 Freunde des Landgrafen v. Thüringen (1136) in der Nähe von Erfurt 1 ministerialis in Urkunde von Kloster Schulpforta –––––––— 43 UB Pforte: 94, Nr. 71. 44 Vgl. WALTHER 1965: 84. 45 DOBENECKER IV, Nr. 2120. 46 UB Altenburg: 285, Nr. 353. 47 Die bei SCHLIMPERT 1978: 140 genannte Quellenangabe muss jedoch fehlerhaft sein. 48 UB Jena I, Nr. 46 (und 47). 49 Zu einem möglichen PN aso. *Pedrel vgl. SCHLIMPERT 1978: 102. Personen mit slawischen Namen und ihre Tätigkeiten 163

1 Weinbergbesitzer bei Jena 1 Grundbesitzer bei Altenburg 1 Grundbesitzer bei Jena

6.3. Sachsen – besonders Raum Leipzig und Rochlitz (965-1277) 965 bezeugt Thietmar von Merseburg einen senior Cuchavicus mit Sitz in Zwen- kau. 974 gewährt Otto II. dem Bistum Merseburg Unterstützung und übereignet die Burg Zwenkau mit ihren Bewohnern. Die vorher dem Slawen servus Nezan gehö- rige Anlage erhält zugleich ausdrücklich eine Reihe von Privilegien. Zu 1017 erwähnt Thietmar proprietatem burgwardorum Rochelinti et Titibutziem50 und nennt damit neben dem Burgward Rochlitz den von der neueren Forschung westlich Borna etwa bei Lobstädt-Eula-Hain lokalisierten Burgward (12. Jahr- hundert Tibuzin, um 1150 pago Butsin).51 Und es heißt dann weiter, dass der Markgraf auf Veranlassung seines Burgherrn Budislav im Burgward Rochlitz Wildfallen anlegen ließ: in burgwardo … Rochelenzi dicto … instinctu Budizlavi militis sui.52 Mit Budisłav ist ein slawischer Adliger im Dienst des Markgrafen von Meißen im Altsiedelgau Rochlitz erwiesen. 1097 nimmt Heinrich IV. eine Schenkung von Königshufen an den miles Vitic als Anerkennung für dessen treues Verhalten zu des Kaisers fidelis Wiperti – also ge- genüber Wiprecht von Groitzsch – vor: cuidam militi nomine Vitic pro amore domni sui, fidelis nostri predicti Wiperti. Der Slawe miles Vitic ist von da an Minis- teriale mit Sitz in Großschkorlopp südlich Markranstädt.53 Er trägt einen Rufna- men zu Vollnamen wie *Vitomer, Vitomir o.ä.54 1182 bestätigt Bischof Martin von Meißen in Halle eine Schenkung des Grafen Dedo von Groitzsch an das Kloster Zschillen. Unter den weltlichen Zeugen erscheint un- mittelbar nach Dedo comes der Slawe Primizlaus vor u.a. Suidegerus de Imeniz usw. et alii Christi fideles.55 Der Slawe *Premysłav erfährt keine weitere Kennzeichnung. Das lässt auf seine Bekanntheit und seinen adligen Stand schließen.

–––––––— 50 THIETMAR VIII, 20. 51 Vgl. EICHLER 1965: 195f. sowie GÖSCHEL 1964: 327f. 52 THIETMAR VIII, 21. Vgl. auch Regesten IV, Nr. 511. 53 BAUDISCH 1999: 85 mit weiteren Quellenangaben. 54 Vgl. SCHLIMPERT 1978: 156. 55 CDS I, 2: 320, Nr. 461. 164 Karlheinz Hengst

1227 wird durch den Bischof von Merseburg Flurerwerb von den Söhnen des Burgherrn von Connewitz (bei Leipzig) bestätigt: in villa et pago Kvnawiz … a filiis Borzlai de Kvnawiz militis.56 Die Söhne werden als feodali bezeichnet, waren also Vasallen und standen somit wohl im Dienst entweder des Bischofs von Merseburg oder des Markgrafen von Meißen. Zugleich signalisiert die Angabe filii Borzlai de Kunewiz militis, dass also ein weiterer Borisłav, diesmal von Connewitz, als slawi- scher Adelsvertreter zeitgleich zu beachten ist. 1277 nennt Bischof Friedrich von Merseburg in einer Urkunde erworbene Besit- zungen u. a. von den Söhnen Boezlai de Kvnawiz militis.57 Wie schon oben in der Urkunde zum Jahr 1227 ist die Schreibweise des slawischen Adligen auch hier viel- leicht als Wiedergabe von aso. *Borisłav zu interpretieren, falls nicht inzwischen infolge der zeitlichen Distanz diesmal aso. *Bojsłav oder *Bojesłav zugrunde liegt. Es handelt sich also nachweislich um einen bedeutenden slawischen Adligen aus dem Raum des heutigen Leipzig.

Die slawischen Altsiedelgebiete um Leipzig und Rochlitz bieten somit insgesamt 9 Personen: 1 senior als Burgherr von Zwenkau bei Thietmar 1 servus als Besitzer der Burg Zwenkau in Urkunde von Otto II. 4 milites bei Thietmar und Heinrich IV. dazu filii militis … feodalis in Leipzig-Connewitz durch Bischof v. Merse- burg 1 [nobilis] als Zeuge zu Altzschillen bei Bischof v. Meißen

6.4. Sachsen mit Raum Meißen/Daleminze Zu 1002 erwähnt Thietmar den Burgkommandanten von Meißen mit der Formu- lierung dominum urbis Ozerum nomine.58 1071 belegt eine Urkunde59 ein Rechtsgeschäft zwischen Bischof Benno von Mei- ßen und dem slawischen Edelfreien namens Bor, einer Kurzform zu Borislav, Bori- voj o.ä.: quidam liber homo Bor vocitatus natione Sclauus. In der umfangreichen Zeugenliste werden auch im Dienst des Markgrafen stehende Ritter genannt. Die –––––––— 56 UB Merseburg I, Nr. 430. Vgl. auch CDS I, 9: 18, Nr. 24 mit Schreibweise Boezlai, was wohl verlesen ist für Borzlai. 57 CDS I, 9, Nr. 24. 58 THIETMAR V, 9. 59 CDS I, 1, Nr. 142. Vgl. auch WALTHER 1965: 183. Personen mit slawischen Namen und ihre Tätigkeiten 165

mit presente ʻin Gegenwartʼ eingeleitete lange und repräsentative Zeugenreihe lau- tet nach Erzbischöfen, Bischöfen sowie weltlichen Herrschern und Markgrafen dann: cum multis militibus marchionis Echeberti, [nämlich] Hugoldo, Friderico, Marichone, Witigone, Chitolone [*Kytil]60, Sputiso [*Spytiš zu *Spytignĕv], Zues- lauo [*Sveslav], Boliboro [*Bolibor], Rotaso [*Vrotaš zu Vrotisłav], Zidezlauvo [*Sdisłav], Minichone [*Minich zu Minisłav], Pribizlauo [*Pribysłav], Zulizlauo [*Sulisłav], Wizlauo [*Visłav zu Vitosłav], Mazelino [*Mazał oder *Masła/*Maslin? – evtl. deutsch], Wirchizlauo [*Virchosłav], Mizboro [*Misbor zu Mistibor] et filio eius Naziwog [*Načevoj], Coso [*Kos], Borizlauo [*Borisłav], Io- hano, Tammone61 – danach folgen noch zehn clerici. Damit sind also 21 milites des Markgrafen zu Meißen angeführt. Zu keinem von ihnen wird der Herrensitz er- wähnt. Das war nicht nötig, man kannte sich untereinander genau. Nur die ersten vier tragen einen deutschen Namen. Die meisten hingegen sind mit slawischen Rufnamen vertreten, insgesamt 15, davon einer mit seinem ebenfalls einen slawi- schen Namen führenden Sohn. Möglicherweise sind die beiden zuletzt genannten milites Johann und Tammo ebenfalls als Slawen zu verstehen, die nur bereits deut- sche Namen besaßen, wie dies auch für die Söhne des Freien Bor in der Urkunde mit den Namen Wichard und Liutger ausgewiesen ist: duobus filiis suis Wichardo et Liutgero. 1081 überträgt Kaiser Heinrich IV. drei Dörfer (Mutzschen, Böhlitz, Mehlis) bei Grimma seinem Getreuen als Eigentum: cuidam fideli Chitele tres villas … dedimus … in comitatu Eggeberti … in proprium dedimus.62 Es dürfte sich hierbei um einen dem Kaiser nahe stehenden Gefolgsmann oder Vasall, wahrscheinlich einen vom Kaiser bedachten Lehensträger, handeln. Der Name kann zu einem altsorb. PN bzw. Kosenamen mit l-Suffix gehören. In Betracht kommen *Chyt-l- oder auch *Kyt-l-.63 1090 nimmt Heinrich IV. eine Schenkung an die Stiftskirche Meißen vor im Bei- sein von Erzbischof und Bischof Benno von Meißen. Genannt wird miles marchio- nis Heinrici nomine Cós mit früherem Lehen im Burgward Mochau an der Jahna.64

–––––––— 60 Die rekonstruierbaren Ausgangsformen werden hier in Klammern jeweils eingefügt. In den meisten Fällen können sie leicht bei SCHLIMPERT 1978 nachgeschlagen werden. 61 Den Regeln der lateinischen Grammatik folgend erscheinen die Namen alle im Ablativ Singular, was die Endungen mit -e bzw. -o bedingt. 62 CDS I, 1, Nr. 151, S. 342. Vgl. Auch BAUDISCH 1999: 67 mit weiterer Literatur. 63 Vgl. SCHLIMPERT 1978: 35f. sowie WENZEL 1992: 2/I, 166. 64 CDS I,I 1: 41, Nr. 37. 166 Karlheinz Hengst

1160 erscheint in einer Urkunde von Bischof Gerung von Meißen als Zeuge wiede- rum unter den nobiles auch Pribizlaus adcocatus maioris domus.65 Und auch in ei- ner weiteren Urkunde aus dem Jahr 1160 tritt dieser Pribysłav auf im Dienste des Bischofs in der Ablativ-Form Pribizlauo advocato.66 1161 übereignet Markgraf Otto von Meißen der Egidienkapelle zu Meißen einen Weinberg. Dies geschieht mit ausdrücklicher Zustimmung seiner Burgherren: … ex … consensu castellanorum nostrorum Růdengeri, Mirzlai, Arnoldi, Ruzini … Unter den Zeugen werden als Laici nobiles genannt: an dritter Stelle Pribislaus advocatus und auch noch nach Gumbertus ein Bronizlaus.67 Damit sind gleich vier slawische Adelsvertreter erwiesen: die castellani Mirsłav (mit Reduktion der unbe- tonten zweiten Silbe zu älter *Mirosłav) sowie Rozin (Kurzname mit Suffix zu *Rozvad o.ä.). Dazu kommen noch als nobiles, also Edelfreie, *Pribysłav und *Bronisłav. Unter den in der Urkunde nachfolgenden milites erscheint kein Vertre- ter mit einem slawischen Namen. 1168 ist in einer von Bischof Udo II. in Naumburg ausgefertigten Urkunde mit Überweisung von Kloster Riesa an das Bistum Meißen unter den Zeugen nach Markgraf Otto von Meißen und verschiedenen Geistlichen in einer Reihe mit Hermannus burchgravius, Henricus de Rottowe auch Pribizlaus genannt, ausdrück- lich noch vor den erst danach folgenden ministeriales.68 Demzufolge ist der Slawe Pribysłav den nobiles zuzurechnen. Er begegnet noch in weiteren Urkunden und ist dem Adelssitz in Bockwen bei Meißen zuzuordnen (vgl. unter 1181). 1180 führt eine Urkunde des Bischofs von Meißen unter den Zeugen in der Reihe der urbani Misnenses Hoierus burgravius auch Pribezlaus advocatus an.69 Jener Pribysłav war also ein gebildeter slawischer Adliger. Er stand mit großer Wahr- scheinlichkeit im Dienst des Bischofs von Meißen. 1181 ordnet Markgraf Otto von Meißen die Vogteirechte des Petersklosters bei Halle. Unter den Nobiles verzeichnet die Urkunde nach Heinricus de Donin und vor Cůnradus de Dewin wiederum Pribislaus de Misna – diesmal ohne den Zusatz advocatus.70 Der Zusatz de Misna bestätigt aber, was Gertraud Eva SCHRAGE71 er- kannt hat: Zusammen mit seinem Bruder Martinus de Bukewen wird er 1185 als –––––––— 65 CDS I,I 1: 54, Nr. 52. 66 CDS I,I 1: 55, Nr. 53. 67 CDS I, 2, Nr. 305. 68 UB Naumburg I : 244., Nr. 260. 69 UB Merseburg: 103, Nr. 121. 70 CDS I, 2: 310, Nr. 446. 71 SCHRAGE 2000: 5. Personen mit slawischen Namen und ihre Tätigkeiten 167

Zeuge benannt und gehört somit seiner Herkunft nach zum slawischen Adelssitz in Bockwen bei Meißen. 1183 bestätigt Bischof Martin von Meißen in einer Urkunde für Kloster Altzelle übertragene Güter in Gegenwart von Markgraf Otto. Dabei wird unter Laici an erster Stelle genannt Primezlaus advocatus ecclesię.72 Und die nächste Urkunde präzisiert diesen Premysłav noch näher. 1185 bestätigt Markgraf Otto von Meißen die Grenzen von Kloster Altzelle. Unter den Zeugen wird nach den castellani (Burgherren) von Döben, Leisnig und Dohna genannt Prinzlaus73 Misnensis ecclesie advocatus.74 Diesmal steht Premysłav vor weit mehr als zwanzig weiteren weltlichen Zeugen in einer Reihe, die dann auch noch Martinus de Bvkewen et frater suus Pribzlaus75, Albertus de Libz et frater suus Bůrzlaus ausweist. Damit bietet diese wichtige Urkunde mindestens fünf slawi- sche Adelsvertreter, davon drei mit den Namen Premysłav, Pribysłav und Borisłav sowie zwei mit deutschen Namen. Zu beachten ist, dass Premysłav und Pribysłav nicht Varianten eines Namens sind, sondern zwei unterschiedliche Personen kennzeichnen. Beide Personennamen sind auch in der altsorbischen Toponymie als Konstituenten von Ortsnamen gut belegt.76 1185 tritt in einer Urkunde Ottos des Reichen für das Kloster Altzelle nochmals unter den laici an erster Stelle Primizlaus advocatus auf.77 1197 erscheint in einer Urkunde von Bischof Dietrich von Meißen zur Beilegung eines Streites zwischen dem Kloster Altzelle und den Herren zu Nossen als dritter

–––––––— 72 CDS I, 2: 331, Nr. 475. 73 Die Schreibweise zeigt die deutsche umgangssprachliche Beeinflussung der Aussprache des altsorbischen PN *Premysłav in der binnendeutschen Kommu- nikation. Der i-Laut der zweiten Silbe wird bereits in der ersten Silbe mit vorweg- genommen. In der nachtonigen zweiten Silbe wird dann auch der Vokal abgeschwächt und erscheint als oder schwindet sogar ganz. Dabei gelangen /m/ und /s/ in Kontaktstellung, wobei nun zur Erleichterung der Aussprache der Nasal /m/ in den Nasal /n/ in Position vor /s/ überführt wird. 74 CDS I, 2: 352, Nr. 510. 75 Es kann sich evtl. um den 1180 genannten slawischen Adligen Pribezlaus advocatus (Misnensis) handeln, der dann also aus Bockwen bei Meißen stammen würde. In der Urkunde des Bischofs Martin von Meißen wird 1180 unter den Zeugen Pribezlaus advocatus angeführt und u. a. als letzter namentlich genannt Martinus de Bukewen (vgl. UB Merseburg Bd. I: 103, Nr. 121. 76 Vgl. BILY 2004: 66. 77 CDS I,I 19: 11, Nr. 6. 168 Karlheinz Hengst

Zeuge und nur zwei Plätze nach dem kaiserlichen Kämmerer ein Boris de Zbor vor zehn weiteren Adligen.78 1198 begegnet in einer den Abschluss eines Güterstreits bestätigenden Urkunde des Markgrafen Dietrich von Meißen in langer adliger Zeugenreihe Boris de Zbor. Diese Zeugenreihe wird beschlossen mit dem ausdrücklichen Vermerk …et multi alii liberi quam ministeriales.79 1200 ist wiederum in einer Urkunde des Markgrafen für das Kloster Altzelle Zeuge Boris de Zbor.80 1203 werden in einer Urkunde des Markgrafen von Meißen für das Kloster Altzel- le unter den weltlichen Zeugen genannt Borezlaus et Hermannus frater eius de Scheniz, … Boris de Zbor et Magnus filius eius, … Bronzlaus de Zhadele et Thi- poldus frater eius.81 Die slawischen Adligen mit den altsorbischen Namenformen Borisłav, der Kurzform Boris sowie *Bronisłav stehen jeweils an erster Stelle, wäh- rend Brüder oder Sohn mit deutschen Namen nachgeordnet angeführt sind. In der Urkunde sind damit die Herren zu Schänitz (bei Nossen oder bei Riesa), Bora (öst- lich Nossen) und Zadel (nordwestlich von Meißen) genannt. 1207 wird in einer Urkunde des Markgrafen von Meißen für das Kloster Altzelle das Eigentum von matrona quedam Zazlaua nomine vidua Suertgeri über sieben Hufen in Raube südwestlich Lommatzsch behandelt.82 Die adlige Witwe *Časłava entstammte offensichtlich einer entsprechenden slawischen Adels-Familie und hatte als Ehemann einen Adelsvertreter mit dem deutschen Namen Schwertger. Zweiter Zeuge in der Urkunde ist frater Primezlaus de Cella sancte Marie. Er dürf- te mit dem 1182, 1183 und 1885 als advocatus von Kloster Altzelle erscheinenden Premysłav identisch sein. 1220 wird der slawische Adlige Borivoj wieder genannt. In einer Urkunde von Markgraf Dietrich von Meißen sind Zeugen Borewei et germanus eius Thimo, … Borezlaus de Dobelin,… Petrus et Brůmezlaus fratres de Breseniz.83 Borivoj er- scheint diesmal mit einem Deutschen Thimo, dazu noch Borisłav von Döbeln so- wie auch der bereits bekannte Bronisłav von Briesnitz. Damit sind vier slawische Adlige Zeugen in der Urkunde des Markgrafen.

–––––––— 78 CDS I, 3: 21, Nr. 22. 79 CDS I, 3: 29/30, Nr. 31. 80 CDS I, 3: 41, Nr. 45. 81 CDS I, 3: 56, Nr. 65. 82 CDS I, 3: 87, Nr. 107. 83 CDS I, 3: 205, Nr. 279. Personen mit slawischen Namen und ihre Tätigkeiten 169

1222 werden in einer Urkunde des Landgrafen Ludwig von Thüringen zur öst- lichen Mark von Markgraf Heinrich unter den Zeugen aus dem Meißnischen aus- drücklich zwei als Slawen genannt: et Zlawy .. Albertus Rasec, Teodoricus Polter- goz et alii quam plures.84 Bei ersterem dürfte es sich um einen Adligen mit dem aso. Namen *Rašek handeln, einem suffigierten Kurznamen zu *Radosłav o.ä. Der zweite slawische Adlige führt neben seinem offensichtlich deutsch geprägten Tauf- namen auch noch einen slawischen Namen. Dieser ist nicht ganz einwandfrei be- stimmbar, dürfte am ehesten auf eine Form aso. *Połtorogos mit dem Erstglied *połtora ʻanderthalbʼ und einem vielleicht etwas veränderten und nicht mehr si- cher bestimmbaren Zweiglied zurückzuführen sein. Es lassen sich vergleichen die altpoln. PN 1447 Półtoranos, Połtoranos, Połtoraoka.85 Es wird sich bei dem slawi- schen Namen um einen Übernamen handeln, der vermutlich auf eine auffällige Ei- genschaft oder besonderen Besitz des Trägers hingewiesen hat. Vgl. auch die Fami- liennamen poln. Poltorak, Poltoraczyk im Ruhrgebiet.86 1227 vollzieht der Bischof von Meißen die Übergabe ihm von Wernherus et Pribi- zlaus fratres de Tanninberch überlassener Zehnteinkünfte an das Kloster St. Afra in Meißen.87 Tanneberg östlich von Nossen bzw. westlich von Wilsdruff war folg- lich noch zu Beginn des 13. Jahrhunderts eindeutig erkennbar slawischer Adels- herrensitz. Einer der beiden ausdrücklich als milites in der Zeugenreihe nochmals genannten Brüder trug auch hier bereits einen deutschen Namen als Zeichen der sich vollziehenden Akkulturation. 1228 ist unter den Zeugen zu Belangen von Kloster Altzelle in weltlicher Reihe nach Rudgerus de Wizenburne usw. auch genannt Hermannus Karaz.88 1231 werden in einer Urkunde für das Kreuzkloster apud Misne nach einem Ver- gleich über strittige Äcker ein Rotzlav, Petrus und Ztoian aufgeführt.89 Noch 1294 erscheint in einer Urkunde von Markgraf Friedrich als Zeuge ein Ratsmann aus Freiberg namens Cunrad Stoian90, wohl ein Nachkomme aus slawischem Ge-

–––––––— 84 CDS I,I 1: 89, Nr. 95. 85 RYMUT 2001: 291. 86 RYMUT/HOFFMANN 2010:167. 87 CDS I,I 4: 109, Nr. 154. 88 CDS I,I 19, Nr. 93. 89 CDS I,I 4: 450, Nr. 398. 90 CDS I,I 12, Nr. 49. 170 Karlheinz Hengst

schlecht, der den PN als Familiennamen weiterführte. Damit sind zwei weitere slawische Adlige mit den aso. PN *Rostisłav und *Stojan erwiesen.91 1264 nennt Burggraf Meinher von Meißen in einer Urkunde seine Eltern und Brüder in folgenden syntaktisch bedingten Formen: patris nostri Meinheri … burchgravii Misnensis, matris nostrae nomine Dobrita sowie Boyzlai et Bernhardi fratrum nostrorum.92 Diese Angabe ist besonders aufschlussreich. Es wird daraus ersichtlich, dass der väterliche Burggraf Meinher mit einer Slawin *Dobrita93 ver- heiratet war und ein Sohn aus dieser Ehe den Namen *Bojsłav erhielt. Die urkund- liche Form ist auf den Nominativ lat. Boyzlaus zurückführbar. Dabei war die Aus- gangsform in jener Zeit aso. *Bojsłav. Die Meinheringer hatten also zu ihrer Zeit keinerlei Vorbehalte gegenüber dem slawischen resp. altsorbischen Adel im Land. Und sie bewiesen das nicht nur mit entsprechender Heirat, sondern auch durch slawische Namengebung im 13. Jahrhundert in der eigenen Familie. Die Brüder Meinher und Boyzlaus wurden Kanoniker im Domstift Meißen, traten also als Ad- lige in den kirchlichen Dienst.94 1265 nennt Burggraf Albero von Leisnig Güter, die früher im Besitz eines Ritters Boyzlaus waren.95 Die lokale Zuordnung dieses *Bojsłav als miles des Markgrafen ist in Verbindung mit Kloster Buch und dem Burggrafen von Leisnig gegeben. Ei- ne Identität mit dem Burggrafengeschlecht der Meinheringer scheidet aus.96 –––––––— 91 Vgl. SCHLIMPERT 1978: 120 und 132 mit weiteren Belegen aus dem 13. bzw. 14. Jahrhundert aus dem Meißnischen Raum. 92 CDS I,I 1, Nr. 196. 93 Möglicherweise zeigt die vereinzelte Form Dobrita in der zweiten Silbe schon eine hyperkorrekte Schreibung für eine deutsche sprechsprachliche Reduktionsform für den sonst gut überlieferten slaw. PN Dobrota, vgl. MOROSCHKIN 1867: 73, auch TASZYCKI 1965: 492. 94 Vgl. dazu WALTHER 1965: 183 mit Verweis auf Traugott MÄRCKER, Das Burggrafthum Meißen, Leipzig 1842, 65ff. , mit spezieller Angabe 67. 95 DOBENECKER III, 517, Nr, 3285. Der Wortlaut der Urkunde bestätigt seitens des Burggrafen von Leisnig den Güterübertrag an das Kloster Buch (bei Leisnig) mit den Worten omnia bona Boyzlai militis, quae habuit in minori Wiscene … Acta .. in Suzeliz – also in Kleinweitzschen nordwestlich Döbeln; vgl. dazu Diplomataria et scriptores historiae Germaniae Medii Aevi, hg. von Ch. SCHOETTGEN und G. Ch. KREYSIG, Bd. II, Altenburg 1755: 191, Nr. 50. Ebd. ist S. 188 unter Nr. 43 in einer Urkunde des Markgrafen von Meißen eindeutig angegeben: …quae bona Boyzlaus de Wischen a bruchgravio Alberto de Liznic jure tenuit feodali. 96 Vgl. SCHLIMPERT 1978: 18. Das Fragezeichen dort ist berechtigt gewesen, da es sich ganz gewiss nicht um den Sohn des Markgrafen handelt (vgl. Anm. 206). Personen mit slawischen Namen und ihre Tätigkeiten 171

1276 verkauft das Kloster Bosau bei Zeitz entfernt liegenden Besitz an das Stift Meißen.97 Unter den Zeugen aus dem Adel erscheint an dritter Stelle … Borasch de Luscherowe bei den milites (Sitz also in Lützschera bei Oschatz). Der suffigierte Kurzname *Boraš gehört zu einem Vollnamen *Borisłav. Außerdem erscheint un- ter den weltlichen Zeugen noch Heinricus Quaz et quidam alii fide digni – wobei der Zuname Quaz < altsorb. *Kvas ebenfalls auf einen Slawen deutet, vielleicht ei- nen Kleinadligen. 1288 wird erwähnt dominus Schiban de Promnitz (miles), sicherlich zu Promnitz mit altem Rittersitz im Raum Riesa gehörig.98

Die von 1002 bis 1288 erwähnten 57 Personen mit slawischen Personennamen bieten folgendes Bild: 1 dominus urbis als Kommandant v. Burg Meißen ist bei Thietmar genannt 1 liber homo natione Sclauus erscheint in Urkunde des Bischofs v. Meißen 16 milites marchionis – also des Mgrf. v. Meißen nennt der Bisch. v. Mei- ßen 1 fidelis im Raum Grimma erscheint bei Heinrich IV. 1 miles marchionis – wieder des Mgrf. v. Meißen nennt Heinrich IV. 1 [nobilis] advocatus maioris domus ist Zeuge des Bischofs v. Meißen 2 castellani in seinem Gebiet nennt der Mgrf. v. Meißen 2 laici nobiles in seinem Gebiet nennt der Mgrf. v. Meißen 1 nobilis mit Sitz in Bockwen bei Meißen nennt der Bischof v. Meißen 1 nobilis in seiner Markgrafschaft nennt der Mgrf. v. Meißen 1 advocatus ecclesiae zum Kloster Altzelle erwähnt der Bischof v. Meißen 1 Misnensis ecclesiae advocatus – als Zeuge unter den nobiles – erscheint bei Mgrf. v. Meißen 4 nobiles im Raum Meißen und Leipzig finden sich in Urkunde v. Mgrf. v. Meißen 1 [nobilis] Boris de Zbor zu Bora bei Nossen nennt der Bisch. v. Meißen 1 [nobilis] Boris de Zbor et multi alii liberi erwähnt nochmals der Mgrf. v. Meißen

–––––––— 97 CDS I, 1: 185, Nr. 241. 98 Die bei SCHLIMPERT 1978: 140 genannte Quellenangabe muss jedoch fehlerhaft sein. 172 Karlheinz Hengst

6 [nobiles] in Schänitz, Bora und Zadel (alle bei Meißen) nennt der Mgrf. v. Meißen 1 matrona als Adelswitwe bei Lommatzsch ebenso 4 [nobiles] erscheinen mit PN + de + ON (Döbeln, Briesnitz) bei Mgrf. v. Meißen 2 [liberi] Zlawy sind Zeugen aus Mgrfsch. Meißen bei Landgrf. v. Thürin- gen 2 [nobiles milites] erwähnt als fratres de Tanninberch (ö. Nossen) Bisch. v. Meißen 2 [domini] im Gebiet Meißen nennt Urk. aus Kloster Meißen 1 [dominus] Bruder v. Burggraf Meinher mit slaw. PN nennt der Mgrf. v. Meißen 1 miles des Mgrf. v. Meißen erscheint in Urk. des Burggrafen von Leisnig 1 miles wird genannt zu Lützschera bei Oschatz durch Kloster Bosau 1 [dominus] ist Zeuge aus Mgrfsch. Meißen im Kloster Bosau 1 dominus Schiban de Promnitz ist miles im Raum Riesa

Damit ergeben sich Erwähnungen für das Gebiet nach den Kennzeichnungen: Edelfreie = nobiles 9 erschließbare [nobiles] 12 und [nobiles] milites 2 Freie = liberi 1 und [liberi] 2 dominus miles 1 und dominus urbis 1 dominus 1 und [domini] 3 milites 19 fidelis ʻVertrauterʼ 1 castellanus ʻBurgvogtʼ 2 advocati 3 (z.T. nobiles) matrona 1

6.5. Sachsen – besonders Raum Dresden und Pirna (1045-1269) 1045 schenkt Heinrich III. Markgraf Ekkehards Vasallen Jaromir drei Königshufen im Burgward Gvozditz (in der Literatur Woz/Niederwartha nordwestlich Dresden bzw. bei Constappel südöstlich Meißen): cuidam militi … Jarmir dicto in villa Personen mit slawischen Namen und ihre Tätigkeiten 173

Scutropei … in burchwardo Guo[z]dezi.99 Markgraf und König erweisen damit wohl dem Herrn des Burgwards Woz besondere Anerkennung. 1206 sind im inhaltlichen Teil einer Urkunde von Markgraf Dietrich von Meißen zur Schlichtung eines Streites genannt Brunzlaus100 et Petrus fratres.101 Dieser adli- ge Bronisłav und sein Bruder Peter erscheinen nochmals 1216 präzis zugeordnet. Der Markgraf von Meißen bestätigt dem Kloster Altzelle u. a. den Erwerb von sie- ben Hufen a Pribiszlao sacerdote de Godowe et fratre eius. Das bezeugen auch Pet- rus et Brunizlaus de Brezeniz.102 Hier handelt es sich um den Burgherrn von Brießnitz westlich Dresden. 1222 nennt Bischof Bruno II. von Meißen in einer Urkunde gleich eingangs dilec- tus et familiaris noster nobilis vir dominus Moyko de Stulpen. Und als erster Zeu- ge tritt unter den laici Moyko vor weiteren weltlichen Adligen auf.103 Damit ist für Stolpen bei Pirna der slawische Edle *Mojko mit einem Kurznamen zu *Mojmir oder *Mojsłav belegt. 1223 in einer Urkunde von Bischof Bruno II. von Meißen für die Afrakirche in Meißen über Getreidezins in dem Dorf Grumbach bei Freital tritt Borivoj auf als ehemaliger Besitzer von fünf Hufen: in villa Grǒmbach in territorio Niseni sita, quos ibidem Borǒwi miles honestus habebat.104 Ausdrücklich wird der Slawe Bori- voj als miles honestus – angesehener Ritter – in der Urkunde gekennzeichnet. Es ist davon auszugehen, dass es sich in den drei Urkunden von 1216, 1220 und 1223 um einen slawischen Adligen mit hohem Ansehen zu seiner Zeit als Burgherr von Tharandt handelt. Hingegen sind davon 1203 Borisłav von Schänitz (nordöstlich Nossen) und 1220 Borisłav von Döbeln klar zu unterscheiden. 1226 beurkundet Markgräfin Jutta von Meißen, dass ihr Sohn dem Kloster in Riesa Güter in Weida geschenkt hat, was auch bezeugt wird von Zisimo filius Wolcgangi de Schozebro.105 Hier trägt der Sohn des Herrn Wolfgang von Kötzschenbroda bei Dresden den slawischen Namen *Čižimo als eine suffigiert Bildung zu mehrfach belegtem Kurznamen *Čiž.

–––––––— 99 CDS I, 1: 308, Nr. 99. 100 Die Schreibweise zeigt die bei den deutschen Sprechern vollzogene Angleichung von Aussprache und Schreibung der altsorbischen Form an die altdeutschen Brun-Namen. 101 CDS II, 1: 71, Nr. 74. 102 CDS I, 3: 162, Nr. 217. 103 CDS I, 1: 87, Nr. 93. 104 CDS I, 4: 108, Nr. 153. 105 CDS I, 3, Nr. 351. 174 Karlheinz Hengst

1263 nennt eine Urkunde des Hochstifts Meißen in Dresden-Cossebaude (in Coz- bude) einen Johannes rusticus, cuius curia sita est apud curiam Baz rustici.106 Baz dürfte die suffigierte Kurzform eines nicht mehr sicher rekonstruierbaren slaw. PN sein.107 Es ist zu vermuten, dass es sich bei der Angabe curia um einen größeren Hof wie ein Rittergut gehandelt hat. 1269 wird ein ursprünglicher Besitzer *Radovan genannt im Zusammenhang mit der Angabe von fälligen Leistungen (in Dresden-Stetzsch) de duobus mansis, quo- rum unum datur Walpurgis, reliquum Martini a quodam rustico nomine Rodewa- no, vel ab iis, qui in ipsis mansis sibi fuerint successari.108 Vermutlich handelt es sich bei diesem rusticus namens Rodewanus um einen slawischen (Klein)Adligen mit dem aso. PN *Radovan.

Die insgesamt 8 Personen verteilen sich damit wie folgt: 1 miles im Burgward Gvozditz nw. Dresden in Urk. von Heinrich III. 2 [domini] als fratres als Burgherren in Briesnitz (w. Dresden) bei Mgrf. v. Meißen 1 nobilis dominus … de als Burgherr v. Stolpen in Urk des Bisch. v. Meißen 1 miles honestus als Burgherr v. Tharandt in Urk. Des Bisch. V. Meißen 1 [dominus] in Kötzschenbroda (Dresden) wird von Mgrfin. v. Meißen ge- nannt 1 curia … rustici mit Gutsherrn zu Cossebaude (Dresden) – Hochstift Meißen 1 rusticus ist Gutsherr in Stetzsch (Dresden)

Damit sind insgesamt 100 Personen aus dem weltlichen Bereich nach ihren PN mit slawischer Herkunft ausgewiesen. Sie alle sind ohne Schwierigkeiten als welt- liche Funktionsträger in herausgehobener gesellschaftlicher Position aus dem Ur- kundentext erkennbar. Alle kommen sie nur in Urkunden der Spitzenvertreter des Reichs vor, also in den Urkunden der Kaiser, Könige, Markgrafen und Bischö- fe. In keinem einzigen Fall handelt es sich um Unfreie oder Hörige. Alle sind sie

–––––––— 106 CDS I, 1: 155, Nr. 193. 107 Vgl. SCHLIMPERT 1978: 13 unter Baš. Zu beachten ist aber auch der altruss. PN Basъ bei MOROSCHKIN 1867: 9. Es könnte sich durchaus um eine Kurzform zu Lehnnamen von Taufnamen wie Basilius oder Bastian < Sebastian handeln. 108 CDS I, 1: 166, Nr. 207. Personen mit slawischen Namen und ihre Tätigkeiten 175

Angehörige der slawischen bzw. altsorbischen Führungsschicht – und damit dem deutschen Adel vergleichbar – in deutschen Diensten tätig geworden.

7. Geistliche mit slawischen Personennamen (1000-1357)

Die historische Tradierung liefert ausreichend Belege dafür, dass der slawische Adel sowohl unter den dem jeweiligen König und den Markgrafen nachgeord- neten weltlichen Repräsentanten als nobiles, fideles, milites, also als bellatores, als auch in den Bistümern als Repräsentanten der christlichen Kirche und somit als oratores nachweisbar ist.109 Die in Verbindung mit den Bistümern und Klöstern in Erscheinung getre- tenen weiblichen Angehörigen des slawischen Adels sollen hier ebenfalls im Überblick vor Augen geführt werden. Enge Bezüge von einzelnen Angehörigen des slawischen Adels zur Kirche erhellen ausgangs 10. Jahrhundert aus Nekrologen in Magdeburg und Merse- burg.110 In beiden Fällen handelt es sich wahrscheinlich um aus dem slawischen Hochadel stammende Frauen mit den Namen Ventizlauua111 und Malaza112: 974 Ventizlauua und Malaza (in Magdeburg und Merseburg). Danach besteht bei den Damen eine große Lücke: 1207 matrona Zazlaua (Kloster Altzelle): Es wird in einer Urkunde des Markgra- fen von Meißen für das Kloster Altzelle das Eigentum von matrona quedam Zaz- laua nomine vidua Suertgeri über sieben Hufen in Raube südwestlich Lommatzsch behandelt.113 Die adlige Witwe *Časłava114 entstammte offensichtlich einer ent- sprechenden slawischen Adels-Familie und hatte als vidua Suertgeri115 als Ehe- mann sicher einen deutschen Adelsvertreter.

Jedenfalls ist damit vom 10. Jahrhundert an ersichtlich, dass die slawische Füh- rungsschicht seit der deutschen Eroberung und damit verbundenen Missio- –––––––— 109 Zu bellatores und orataores neben den die Masse der Bevölkerung ausmachenden laboratores vgl. LÜBKE 1993: 63. 110 Vgl. LUDAT 1971: 64 und Regesten III, Nr. 332a. Aus der sprachlichen Form des slawischen PN lässt sich die Vermutung von Herbert LUDAT zur Herkunft aus der Dynastie der Heveller nicht überzeugend begründen. 111 Vgl. dazu SCHLIMPERT 1978: 154 mit der slawischen Form *Vęceslava. 112 Vgl. ebd., S. 80 mit der rekonstruierten slawischen Form *Malaša. 113 CDS I, 3, Nr. 107, S. 87. 114 Vgl. SCHLIMPERT 1978: 28f. 115 CDS I, 3, Nr. 107. 176 Karlheinz Hengst nierung östlich der Saale den geistlichen Einrichtungen nicht fern stand, son- dern mit diesen verbunden war und in diesen mitwirkte bzw. sie förderte. Die männlichen Vertreter setzen nach dem herangezogenen urkundlichen Material im Untersuchungsgebiet erst später in der Überlieferung ein. Die Sla- wen sind in den Urkunden gekennzeichnet als canonicus ʻDomherr, Geistlicher an Bischofskircheʼ frater ʻKlosterbruder, Mönchʼ frater (g[u]ardianus) ʻAufseherʼ sacerdos ʻPriester, Geistlicherʼ diaconus ʻInhaber der höchsten Weihe vor dem Priesterʼ subdiaconus ʻInhaber der untersten Weihen als Geistlicherʼ Um 1000 findet sich ein frühes Zeugnis aus Magdeburg, wo ein Priester Sztodorius und der Akolyth Prebor genannt werden, vermutlich mit Beziehung zum Fürsten- haus der altpolabischen Heveller.116 1140 betont der Bischof Udo von Naumburg den Wiederaufbau einer zerstörten Kirche diesmal nun in Stein in Altenkirchen bei Altenburg. Die Urkunde hebt her- vor, dass der Neubau erfolgte auf Bitten fratris nostri Witradi.117 Der genannte Slawe Vitrad war Domdechant in Zeitz und Archidiakon im Pleißengau.118 Vitrad war als Slawe im geistlichen Dienst für das Missionswerk im Altsiedelgau Plisni si- cher eine ganz wesentliche Stütze des Bischofs. 1160 erscheint in einer Urkunde von Bischof Gerung von Meißen als Zeuge wiede- rum unter den nobiles auch Pribizlaus advocatus maioris domus.119 Und auch in einer weiteren Urkunde aus dem Jahr 1160 tritt dieser Pribysłav auf im Dienste des Bischofs in der Ablativ-Form Pribizlauo advocato.120 1183 bestätigt Bischof Martin von Meißen in einer Urkunde für Kloster Altzelle übertragene Güter in Gegenwart von Markgraf Otto. Dabei wird unter Laici an erster Stelle genannt Primezlaus advocatus ecclesię.121 Und die nächste Urkunde präzisiert diesen Premysłav noch näher.

–––––––— 116 Vgl. Regesten III, Nr. 332a. 117 UB Altenburg: 6, Nr. 6. 118 Vgl. ebd.: 612. 119 CDS I, 1: 54, Nr. 52. 120 CDS I, 1: 55, Nr. 53. 121 CDS I, 2: 331, Nr. 475. Personen mit slawischen Namen und ihre Tätigkeiten 177

1185 bestätigt Markgraf Otto von Meißen die Grenzen von Kloster Altzelle. Unter den Zeugen wird nach den castellani (Burgherren) von Döben, Leisnig und Dohna genannt Prinzlaus122 Misnensis ecclesie advocatus.123 Diesmal erscheint Premysłav in einer Reihe vor weit mehr als zwanzig weiteren weltlichen Zeugen. Er stand im Dienst des Bischofs an der Meißner Dom-Kirche. 1207 wird gleich als zweiter Zeuge genannt genannt frater Pribezlaus de cella sancte Marię (KlosterAltzelle). Er dürfte mit dem 1182, 1183 und 1885 als advo- catus von Kloster Altzelle erscheinenden Premysłav identisch sein. Nach seiner langjährigen Tätigkeit als advocatus ist Premysłav im Alter vermutlich als Slawe in den Konvent von Kloster Altzelle aufgenommen worden. Gertraud Eva SCHRAGE hat diese Urkundenstelle besonders bewertet: „Hiermit liegt der früheste Nachweis für einen geistlichen Würdenträger slawischer Herkunft im Untersuchungsgebiet überhaupt vor und belegt somit die Anwesenheit von Slawen im Zusammenhang mit einer geistlichen Institution.“124 120[7] nennen Probst und Konvent des Bergerklosters in Altenburg als Zeugen zunächst drei Geistliche mit den Namen Sigismundus et Thimo monachio et frater Pribezlaus de cella sancte Marię.125 Diese Urkunde erscheint auch nochmals da- tiert 1208.126 Ein slawischer Geistlicher, sicher adliger Herkunft, mit Wahrung sei- nes altsorbischen Namens ist damit zu Beginn des 13. Jahrhunderts in dem bedeu- tenden Kloster Altzelle belegt. Es bliebt offen, ob vielleicht der in den 80er Jahren und auch 1207 wiederholt genannte Pribysłav als advocatus (vgl. oben) nur als Zeuge anwesend war oder nach Altenburg ging und dort in den Konvent aufge- nommen wurde.

–––––––— 122 Die Schreibweise zeigt die deutsche umgangssprachliche Beeinflussung der Ausspra- che des altsorbischen PN *Premysłav in der binnendeutschen Kommunikation. Der i- Laut der zweiten Silbe wird bereits in der ersten Silbe mit vorweggenommen. In der nachtonigen zweiten Silbe wird dann auch der Vokal abgeschwächt und erscheint als oder schwindet sogar ganz. Dabei gelangen /m/ und /s/ in Kontaktstellung, wobei nun zur Erleichterung der Aussprache der Nasal /m/ in den Nasal /n/ in Position vor /s/ überführt wird. 123 CDS I, 2: 352, Nr. 510. 124 SCHRAGE 2000: 11. 125 UB Altenburg: 51, Nr. 64. 126 CDS I, 19: 53, Nr. 36. 178 Karlheinz Hengst

1216 bestätigt der Markgraf von Meißen dem Kloster Altzelle u. a. den Erwerb von sieben Hufen a Pribiszlao sacerdote de Godowe et fratre eius.127 Hier handelt es sich um Göda bei Görlitz. 1242 sind Zeugen in einer Urkunde des Bischofs von Merseburg Zlauko et Gerhardus subdiaconi nach den jeweils auch mit Namen genannten decanus, thesau- rius, scholasticus, cellarius, archidiaconus und vor magister Cunradus, presbiteri, canonici Merseburgenses.128 Der an erster Stelle genannte Diakon mit dem PN Slavko in Merseburg im Dienst beim Bischof zeigt sicher adlige Herkunft an. 1242 hat Bischof Conrad von Meißen in einer Urkunde als Zeugen den Chorher- ren mit Namen Johannes Slawus gleich als ersten von vier regulares canonici, de- ren letzter Heinricus de Lomatz ist.129 Der offenbar seiner Herkunft nach aus dem Adel gebürtige Kleriker trägt einen deutschen Rufnamen, wird aber ausdrücklich als Slawe gekennzeichnet. 1264 nennt Burggraf Meinher von Meißen in einer Urkunde seine Eltern, Vater Meinher und Mutter Dobrita, sowie seine Brüder in der folgenden syntaktisch be- dingten Form Boyzlai et Bernhardi fratrum nostrorum.130 Es wird daraus ersicht- lich, dass der väterliche Burggraf Meinher mit einer Slawin *Dobrita131 verheiratet war und ein Sohn aus dieser Ehe den Namen *Bojsłav erhielt. Die urkundliche Form ist auf den Nominativ lat. Boyzlaus zurückführbar. Dabei war die Ausgangs- form in jener Zeit aso. *Bojsłav.132 Es erfolgte noch slawische Namengebung im 13. Jahrhundert in der eigenen Familie. Die Brüder Meinher und Boyzlaus wurden Kanoniker im Domstift Meißen, traten also als Adlige in den kirchlichen Dienst.133 1266 stiftet Bischof Albert von Meißen zum Gedächtnis u. a. auch des verstor- benen Cunradi dicti Mardochei allodium in Warta.134 Es handelte sich dabei sehr

–––––––— 127 CDS I, 3: 162, Nr. 217. 128 CDS I, 15, Nr. 5, S. 7. 129 CDS I, 4, Nr. 156, S. 111. 130 CDS I, 1, Nr. 196. 131 Vgl. zum Personennamen SCHLIMPERT 1978: 41. 132 Vgl. SCHLIMPERT 1978: 18. Möglicherweise zeigt die vereinzelte Form Dobrita in der zweiten Silbe schon eine hyperkorrekte Schreibung für eine deutsche sprechsprach- liche Reduktionsform für den sonst gut überlieferten slaw. PN Dobrota, vgl. MOROSCHKIN 1867: 73, und TASZYCKI 1965: 492. 133 Vgl. dazu WALTHER 1965: 62), S. 183 mit Verweis auf Traugott MÄRCKER, Das Burggrafthum Meißen, Leipzig 1842, 65ff. , mit genauer Angabe 67. 134 CDS I, 1, Nr. 198, 159. Der ON bezieht sich auf Niederwartha bei Dresden. Personen mit slawischen Namen und ihre Tätigkeiten 179

wahrscheinlich um einen Geistlichen wie bei dem direkt vorher genannten Vlricus quondam Bvdessinensis praepositus. In der Urkunde wird sowohl der deutsche als auch der sicher ursprüngliche slawische PN angeführt, womit die Identifizierung bzw. Referenz gesichert wird. Als Ausgangsform ist wahrscheinlich ein aso. PN *Mardoch(v)ěj anzusetzen.135 Für das 14. Jahrhundert lassen sich noch nennen: 1329 ist in einer Urkunde der Äbtissin des Nonnenklosters Seußlitz (zwischen Meißen und Riesa) Zeuge direkt nach dem Burggrafen von Dohna frater Zlauco gardianus in Suselitz.136 Die Zeugenposition und auch die Funktion als Guardian (Aufseher, Wächter) des Nonnenklosters im Bistum Meißen lässt wohl kaum bei *Słavko einen Zweifel an der Herkunft aus dem Adel zu. 1350 begegnet Paxlaus de Nymantz canonicus in einer Urkunde von Bischof Johann von Meißen137 und dann nochmals 1358 Pakslaus de Nymans canonicus ecclesiae Misnensis als dritter Zeuge im Testament von Bischof Johann von Meißen. 1357 tritt in einer Urkunde von Bischof Johann von Meißen als Zeuge auf wiede- rum der canonicus Pakuslaus138 de Nymans – vielleicht ein aus dem heute wüsten Ort Niemehne139 südwestlich Belgern stammender Geistlicher, sehr wahrscheinlich adliger Herkunft auf Grund der Beibehaltung seines slawischen Rufnamens.140

Damit ist die Repräsentanz von Angehörigen des slawischen Adels unter den oratores und zugleich mit unterschiedlichen Funktionen in kirchlichen Ämtern in den Bistümern sowie in der Umgebung der Bischöfe seit 1140 bis in die Mitte des 14. Jahrhunderts klar belegt. Es ist dabei gewiss von Bedeutung gewesen, dass Geistliche slawischer Her- kunft vom 10. Jahrhundert an ganz entscheidend als bilinguale Sprecher die

–––––––— 135 Vgl. SCHLIMPERT 1978: 81. 136 CDS I, 5, Nr. 41, 33. 137 CDS I, 1, Nr. 452, 369. 138 Ein zweigliedriger PN < aso. *Pakosłav, vgl. SCHLIMPERT 1978: 97. 139 †Niemehne, 1378 Nymen, vermutlich aus aso. *Nimań oder *Nĕmań ʻSiedlung eines Niman/Nĕmanʼ. Der ON beruht vielleicht auf einem PN, was evtl. auch das aus- lautende -s in der Namensform von 1357 als deutsche genitivische Form verständlich machen könnte. In Betracht kommt aber auch aso. *Nim´ane als Bewohnername, dann wäre das Endungs-s als deutsches Pluralzeichen zu interpretieren. Zum ON vgl. HONB 2: 115. 140 Zu aso. *Pakosłav vgl. SCHLIMPERT 1978: 97/98. 180 Karlheinz Hengst

Kommunikation mit der slawischen Bevölkerung sichern konnten und ebenso vor allem im Missionswerk sowie bei den Gottesdiensten mit zum Christentum bekehrten Slawen unentbehrlich waren. Diese durch Geburt und anschließende Ausbildung in einer Dom- oder Klosterschule gleichsam natürlich entstandene Bilingualität hinsichtlich Altsorbisch als Muttersprache und Alt- bzw. Mittel- hochdeutsch (resp. Altsächsisch und Mittelniederdeutsch) ist in Verbindung mit der zusätzlichen Lateinausbildung und der damit erzielten Trilingualität auch außerhalb der kirchlichen Aufgaben für die eher weltliche Arbeit in den Kanzleien mit Verhandlungsführung und Urkundenausfertigung letztlich uner- lässlich gewesen. Insgesamt ergeben sich zusätzlich zu den oben genannten Damen slawischer Herkunft noch 11 männliche Personen mit slawischen Personennamen im Dienst der Kirche: 2 [Priester] Sztodorius … Prebor als Kleriker in Magdeburg um 1000 1 frater noster Witrad als Domdechant in Zeitz in Urkunde des Probstes v. Kl. Altenburg 1 frater Pribezlaus de cella sancte Marie im Kloster Altzelle in Urk. v. Kl. Altenburg 1 Pribezlaus sacerdos de Godowe in Göda b. Görlitz in Urk. des Mgrf. v. Meißen 1 Zlauko subdiaconus in Merseburg in Urk. des Bischofs v. Meißen 1 Johannes Slawus – einer von 4 canonici regulares – in Urk. des Bisch. v. Meißen 1 Boyslaus als Kanoniker im Domstift Meißen als Bruder des Burggrf. Meinher v. Meißen 1 [Priester] Mardochei mit Bezug zu Niederwartha (Dresden) nennt der Bi- schof v. Meißen 1 frater Zlauko gardianus ist Zeuge der Äbtissin von Kloster Seußlitz bei Meißen 1 Pakuslaus de Nymans canonicus ist Zeuge in Urk. des Bisch. v. Meißen

Hinzu kommen noch als weltliche Herren im Dienst der Kirche 1 [nobilis] Pribizlaus advocatus maioris domus als Zeuge des Bischofs v. Meißen 1 laicus Primezlaus advocatus ecclesiae als Zeuge des Bischofs v. Meißen Personen mit slawischen Namen und ihre Tätigkeiten 181

1 [nobilis] Prinzlaus Misnensis eclesiae advocatus als Zeuge des Mgrf. v. Meißen Mit laicus wird dabei ein der Kirche verbundener weltlicher Herr gekenn- zeichnet.

8. Ergebnisse für die interethnischen Relationen in den Führungskreisen im Mit- telalter

Nach jahrzehntelanger Forschung in der deutsch-slawischen Kontaktzone lässt sich nun einem bisher bestehenden und kaum erschütterten Bild und den dieses verfälschte Bild stützenden Aussagen widersprechen. Es ist das Bild von den wirtschaftlich rückständigen Slawen und den im 10. Jahrhundert ausgerotteten oder vorher rechtzeitig geflohenen slawischen Herrschaftsträgern. Und es ist die Annahme, dass seitens der Ottonen sofort mit dem Aufbau des Burgward- systems in allen Burgwardorten deutsche Gefolgsleute als Burgherren eingesetzt worden seien. Es kann nicht Anliegen in dieser Zeitschrift sein, das veraltete Geschichtsbild von den Slawen in Deutschland im Mittelalter hier zu präsentieren. Lediglich zum Verständnis sei nur kurz auf einige wenige Aussagen verwiesen. Nur einmal findet sich in der 1937 in Jena im Druck erschienenen Disser- tation zum Thema „Der Stand der deutsch-slawischen Auseinandersetzungen zur Zeit Thietmars von Merseburg“ von Waldemar FÜLLNER eine auch aus heu- tiger Sicht und dem neuen Forschungsstand entsprechende Aussage, die aller- dings nur für die Mark Zeitz getroffen wird: „…der alte slawische Adel lebt … weiter, ja erscheint auch sogar in den Reihen der deutschen milites“ (FÜLLNER 1937: 88). Diese richtige Feststellung wurde aber übernommen aus einer Unter- suchung des Historikers Heinrich LEO vom Ende des 19. Jahrhunderts zur Be- siedlungs- und Wirtschaftsgeschichte in Thüringen. Diese Studie ist aber sonst leider ohne Nachwirkung geblieben und hat auch in der Überblicksdarstellung von Waldemar FÜLLNER keine Folgen gezeitigt. Das zeigen einige seiner Aussa- gen an anderer Stelle. So hat er die Einrichtung des Burgwardsystems im 10. Jahrhundert als Siche- rungs- und Abwehrsystem interpretiert (FÜLLNER 1937: 36-38 und auch 86). Die Funktion als Bindeglied zwischen der slawischen Bevölkerung und der deutschen Oberherrschaft wird nicht gesehen oder aber anders beleuchtet, nämlich als in den Händen von deutschen Dienstmannen befindlich: „…diese milites setzen sich hier fest, und der ganze Bezirk steht unter dem Befehl des deutschen Burgherrn“ (FÜLLNER 1937: 40). Für das 10./11. Jahrhundert wurde konstatiert, dass Dörfer, Weiler, Höfe und Fluren mit allen Nutzungen und Gerechtsamen an deutsche 182 Karlheinz Hengst

Herren gelangten (FÜLLNER 1937: 41). Slawische Grundherren usw. finden keine Erwähnung. Es herrschte eben die Auffassung von den Slawen und speziell auch von den damaligen Sorben von einem „Naturvolk ohne Eigenbedeutung“ (FÜLL- NER 1937: 34) und von dem im kulturellen Sinne „höher stehenden deutschen Volkstum“ (FÜLLNER 1937: 21). Diese offensichtlich verbreitete und immer wie- der tradierte Anschauung hat auch die im Übrigen keineswegs vom faschistischen Geschichtsbild geprägte Arbeit von Waldemar FÜLLNER in ihrer Entstehung wohl ab 1930 noch voll erfasst. Weithin unbeachtet geblieben ist dabei leider, was der Leipziger Landes- historiker Rudolf KÖTZSCHKE bereits 1935 in „Sächsische Geschichte“ geschrie- ben hatte: „An der Spitze der sorbischen Kleinstämme oder ihrer Teilgruppen standen führende Männer … So wird von einem Adel zu sprechen sein.“141 Auch die ausführliche fünfbändige „Geschichte der Sorben“ bietet gleich in Band 1 von 1977 kein anderes Bild. Demnach „war das sorbische Volk der Gnade und Ungnade der neuen Herren ausgeliefert“ (BRANKAČK/MĔTŠK. 1977: 104). Der deutsche Feudaladel hatte nach dieser Darstellung ab dem 10. Jahrhundert den ehedem sorbischen Grund und Boden sowie allen Besitz an sich gebracht. Nur schwach sind a.a.O. auch richtige Beobachtungen ausgewiesen: Sicher ist, daß ein Teil der ehemals herrschenden sorbischen Oberschicht mit den Eroberern zusammenarbeitete, während ein anderer Teil von deutschen Mark- grafen und Rittern fast vollständig entmachtet wurde.“ Von der alten Burg- und Župa-Ordnung erhielten sich lediglich Reste – mit Aus- nahme des Kerngebietes der Mark Meißen, wo sie von Burgwarden überlagert wurde.

Die hier zugestandene teilweise Übernahme der sorbischen Oberschicht in deut- schen Dienst wird verbunden mit der vollständigen Entmachtung sorbischer Herrschaftsträger durch deutsche Markgrafen und Ritter. Genauere Angaben o- der Belege dazu werden nicht angeführt. Die Angaben zu den Burgwarden mit Einschränkung auf das Kerngebiet der Mark Meißen verraten eine viel zu enge Sichtweise. Die eigentlich richtige und zutreffende Feststellung, die gesamte sorbi- sche Bevölkerung „geriet unter die unmittelbare Gewalt der königlichen Ge- treuen, denen die meisten dieser Gebiete bereits im 10. Jahrhundert als Lehen o- der Dienstgut übertragen worden waren“ (BRANKAČK/MĔTŠK. 1977: 104), geht leider zugleich von einer regelrechten Invasion deutscher und damit des Landes –––––––— 141 Hier zitiert nach Rudolf KÖTZSCHKE/Hellmut KRETZSCHMAR, Sächsische Geschichte. Bd. I, [Neudruck] Augsburg 1995, 39. Personen mit slawischen Namen und ihre Tätigkeiten 183 völlig unkundiger neuer Grundherren aus. Lediglich ganz begrenzt und zugleich etwas verschwommen wird eine Abweichung angedeutet: „Die persönliche Frei- heit bewahrte sich im 10. und 11. Jahrhundert ein Teil der bäuerlichen Bevöl- kerung. … Die Schicht der Freien, in den Gauen Chutici und Nisane auch als Burgältetse und Grundherren überliefert, war vermutlich unmittelbar dem König unterstellt, entrichtete verschiedene Abgaben, leistete Dienste und besaß weitge- hende Freizügigkeit.“ (BRANKAČK/MĔTŠK. 1977: 105) Es schließt sich daran die Vermutung an, „offenbar wurde ihnen durch die große Zahl im Land seßhaft ge- wordener deutscher Dienstmannen der Aufstieg in den niederen Adel verwehrt.“ (BRANKAČK/MĔTŠK. 1977: 106) Es ist auffällig, dass keine urkundlichen Belegstellen zu all diesen Aussagen angeführt werden. Der Codex diplomaticus Saxoniae regiae wird dazu nicht zi- tiert. Lediglich die Regesten zur Geschichte Thüringens von Otto DOBENECKER finden zweimal Erwähnung in Anmerkungen. Diese gelten einmal der Hand- lungsweise von Königin Richenza 1057 im Orla-Gau und zum anderen sogen. Botendiensten der Slawen im Orlagau im 11. Jahrhundert (BRANKAČK/MĔTŠK. 1977: 105, Anm. 22 und 23). Auch jüngere Darstellungen folgen noch den eben geschilderten Ansichten. Als Ergebnis von Untersuchungen zum lokalen Adel in Nordwestsachsen wird noch konstatiert: Eine … erkennbare sorbische Oberschicht, die vereinzelt auch in der chronikali- schen Überlieferung des 10. und 11. Jahrhunderts Erwähnung findet, scheint noch während des 11. Jahrhunderts in den unteren Schichten des deutschen grundherrli- chen Adels aufgegangen zu sein. (BAUDISCH 1999: 261)

Hier wird aber wenigstens schon mit einiger Vorsicht formuliert und die Be- obachtung auf Nordwestsachsen beschränkt. Und es ist auch ganz zutreffend gleich anschließend vermerkt worden, dass der mittelsächsische Raum nach 1000 mehr sorbische PN in der Überlieferung bietet (BAUDISCH 1999: 261, Anm. 40). Die erwähnte und richtig beobachtete Vereinzelung von altsorbischer PN in der Überlieferung trifft für Nordwestsachsen durchaus zu, was durch die oben angeführte differenzierende Übersicht der urkundlichen Belege nach Re- gionen bestätigt wird. Dennoch bietet die in diesem vorliegenden Beitrag nun zum westlichen alt- sorbischen Siedelgebiet nach 930 ausgewiesene Anzahl von Vertretern der sla- wischen Führungsschicht in Kooperation mit den deutschen weltlichen und auch kirchlichen Herrschaftsträgern ausreichend Grund, dem zu widerspre- 184 Karlheinz Hengst chen, dass die sorbische Oberschicht noch im 11. Jahrhundert in den unteren Schichten des deutschen grundherrlichen Adels aufgegangen sei. Wesentlich für eine neue Beurteilung der interethnischen Relationen in den Führungskreisen ist daher, dass die in den Urkunden zu den Personen mit sla- wischen Rufnamen jeweils angeführten näheren Kennzeichnungen zum a) je- weiligen gesellschaftlichem Status und/oder b) zur ausgeübten Tätigkeit sowohl hinsichtlich der Quantität der slawischen PN als auch hinsichtlich der Qualität der mehr als zwanzig Standes- und Tätigkeitsbezeichnungen von servus über nobilis, liber, fidelis, dominus, miles, castellanus, advocatus bis rusticus cum curia usw. künftig Beachtung finden.

9. Was ist bei den lateinischen Bezeichnungen als Zusätzen bei den Personenna- men zu beachten?

Zu den Kennzeichnungen der Personen in den Urkunden sind einige wenige Bemerkungen zur Erleichterung des Verständnisses angebracht. Zunächst zu servus: Aus Sicht der obersten Zentralgewalt, also des Kaisers oder Königs, handelt es sich dem Status nach in allen Fällen im juristischen Sin- ne um servi, also ʻUntergebene ʼ des jeweiligen Herrschers. Das wird ganz deut- lich erkennbar bereits aus einer Urkunde, in der Kaiser Otto II. 974 eine Bitte von Erzbischof Adelbert von Magdeburg um Unterstützung erfüllt und formu- liert: iuris nostri servus Chagan nominatus. Otto II. vermittelt bzw. unterstellt somit in einer Urkunde an das Erzbistum den Gebieter über die Burg Zwenkau einschließlich seiner Familie (cum coniuge et filiis eius) mit Gemahlin und Söh- nen sowie allen Bewohnern und Ländereien dem Erzbischof von Magdeburg. Es ist aus der Urkundensprache ersichtlich, dass lateinisch servus nicht auf „Unfreiheit“ hindeutet oder diese gar angibt. Daher ist auch der von Otto II. 974 ausdrücklich erwähnte servus Nezan eher nicht als „unfreier königlicher Dienst- mann“ (BAUDISCH 1999: 70) zu verstehen. Auch bei diesem einstigen Herrn von Burg Zwenkau handelt es sich doch eher um einen nobilis oder dominus im Dienste des Kaisers. Und der Slawe hatte sicher gute Arbeit geleistet, sonst hätte Otto II. die Burg nicht zur Unterstützung des Bistums Merseburg übereignet. Ein Wort zu miles: 1017 Budislav miles mit Sitz in Rochlitz wird aus Histori- kersicht ganz klar als „Gefolgsmann von Markgraf Hermann von Meißen auf der Vorstufe zum Ministerialen“ (BAUDISCH 1999: 70) bezeichnet. Damit wird die Unterstellung unter den Markgrafen deutlich. Aber die fortifikatorisch-mili- tärische und verwaltungsmäßige Position von Budislav miles berechtigt durch- aus zur genaueren Angabe bei miles in den Urkunden als Burgherr. Es ist doch aufschlussreich, dass in einer Schenkungsurkunde von Kaiser Heinrich IV. für Personen mit slawischen Namen und ihre Tätigkeiten 185 den Slawen miles Vitic eben dieser zugleich auch als fidelis nostri predicti Wiper- ti und somit durch fidelis als vertrauter Vasall bzw. Lehnsträger Wiprechts von Groitzsch gekennzeichnet wird. Mit fidelis kann aber auch der direkt dem Herrscher unterstellte Gefolgs- mann überhaupt bezeichnet werden, vgl. z.B. die Urkunde Heinrichs IV. mit dem einleitenden Wortlaut von 1081Notum sit omnibus Christi nostrique fideli- bus.142 In der gleichen Urkunde überträgt Heinrich IV. drei Dörfer und einen Wald cuidam fideli Chitele … in comitatu Eggeberti. Der erwähnte Slawe war demnach fidelis von Markgraf Eckbert von Meißen. Für das Verständnis der lateinischen Zusätze und Angaben ist sehr hilfreich, wenn man beachtet, wie Wiprecht von Groitzsch als der engste Vertraute und damalige „Superminister“ an der Seite von Kaiser Heinrich IV. (also um 1100 n.Chr.) in den Urkunden markiert wurde. Als Angehöriger des deutschen Adels und Schwiegersohn des Königs von Böhmen genügt eigentlich sein Name in den Urkunden. Er ist ja weithin ausreichend bekannt. Susanne BAUDISCH konn- te zeigen, dass Wiprecht bis 1104 nur zweimal zusätzlich zum Rufnamen als dominus ausgewiesen wurde und sonst bis 1108 in den Urkunden eben unter den maiores erscheint (BAUDISCH 1999: 74). Das wirft ein deutliches Licht auf den semantischen Gehalt von dominus und maior sowie auf die hierarchische Positionierung der damit in den Urkunden gekennzeichneten Slawen innerhalb der gesellschaftlichen Strukturen ab dem 10. Jahrhundert östlich der Saale. Mehrfach wird urkundlich auch advocatus verwendet. Hierbei ist zwar in einigen Fällen durchaus ʻder juristisch Gebildete und entsprechend studierte Geistlicheʼ zu beachten. Aber andererseits auch ʻder weltliche Vogtʼ einer kirch- lichen Einrichtung. Nochmals sei unser Kronzeuge Wiprecht bemüht. 1121 ist Wiprecht Zeuge in einer Urkunde des Erzbischofs von Magdeburg. Er erscheint mit den Angaben civitatis nostre … comes et ecclesiae nostre advocatus (zit. nach BAUDISCH 1999: 75). Die Historikerin interpretiert daher hier mit „Burggraf von Magdeburg“ (BAUDISCH 1999: 90), wobei sich die lateinische Angabe auch ver- stehen lässt als ʻVogt des Erzstiftes Magdeburgʼ. In bischöflichen Urkunden finden sich vereinzelt recht wohlwollende Zusät- ze bei den erwähnten slawischen Personen: 1222 dilectus [treu ergebener] et familiaris [vertrauter/zuverlässiger] noster nobilis dominus Moyko de Stulpen; 1223 Borivoj miles honestus [ehrenhaft/reich].

–––––––— 142 CDS I, 1, Nr. 151. 186 Karlheinz Hengst

10. Schlussbemerkungen

Die Ergebnisse zum hier betrachteten Gebiet zwischen Saale und Elbe auf Basis der ausgewerteten Urkunden vom 10. bis 13. Jahrhundert müssen freilich relati- viert werden. Denn es ist doch Folgendes zu beachten:  Es sind sicher nicht alle Urkunden aus dieser Zeit zu Rechtshandlungen mit Slawen als Betroffene erhalten geblieben.  Wenn die tradierten Urkunden als pars pro toto zum Untersuchungsgebiet gelten, muss auch die Zahl der urkundlich genannten Personen mit slawi- schen Rufnamen und Kennzeichnungen als servus (von Kaiser oder König), nobilis, liber (homo), fidelis, dominus, castellanus, miles zwangsläufig als eru- ierbarer Bestand zugleich als nur pars pro toto verstanden werden.  Hinzu kommt, dass mit dem nach 928/929 wirkenden deutschen Herr- schafts- und Verwaltungssystem sowie mit der zuerst die Spitzen der altsor- bischen Gesellschaft erreichenden christlichen Missionsarbeit auch der ge- samte kulturelle Einfluss bei den Slawen zur Verleihung deutscher Rufnamen führte. Damit ist aber der Rufname ohne eine Angabe wie etwa natione Sla- vus ab dem 10. Jahrhundert kaum noch für Rückschlüsse auf die ethnische Zugehörigkeit nutzbar. Mehr als eine diesbezüglich vage Vermutung ist selbst bei Vorkommen der kompletten Formel von „deutscher Rufname + de + slawischer ON“ und dem nachweislichen Vorhandensein einer alten Befes- tigungsanlage nicht möglich.

Es bleibt künftiger Forschung vorbehalten, ob a) mittels slawischer Funde b) in einer archäologisch erwiesenen frühen slawischen Befestigungsanlage vielleicht der eine oder andere Träger eines deutschen Rufnamens aus dem 10./11. Jahr- hundert als früh akkulturierter Slawe gelten darf. Das wäre also z.B. zu prüfen bei den vom Pegauer Annalisten in den letzten Jahrzehnten des 11. Jahrhun- derts an genannten Herrschaftsträgern wie Bethericus de castello Tuchern [Teuchern sw. Hohenmölsen] Fridericus de Cutze [Kitzen sw. Zwenkau oder Keutzschen s. Hohenmölsen] Ficelinus de Probin [Profen sw. Pegau] et frater eius de Tubichin [vielleicht Taucha ö Weißenfels].143

–––––––— 143 Zitiert nach BAUDISCH 1999: 76. Personen mit slawischen Namen und ihre Tätigkeiten 187

Das könnte auch gelten für die in einer Urkunde von Bischof Walram von Naumburg im Jahr 1103 genannten weltlichen Zeugen wie Teto de Crozuc [Krosigk] Boppo de Cullidiz [Colditz].144 Aber wesentlich verschieben wird sich am Ende das gefundene Ergebnis kaum. Vielleicht sind diese Ausführungen nun ein kleiner Anstoß, auch bei deutschen Sprachforschern und vielleicht sogar bei Historikern eine Innovation bei der Be- trachtung des Verhältnisses zwischen den gesellschaftlichen Oberschichten bei den Westslawen und den ostfränkischen bzw. auch deutschen herrschenden Krei- sen anzustreben. Nach sechzig Jahren intensiver deutsch-slawischer Forschung an der Universität Leipzig trifft auch hier das Schlusswort der Präsidentin des 36. Deutschen Evangelischen Kirchentags, Frau Christina aus der Au, in Magdeburg von Ende Mai 2017 zu: „Wir wollen anders – und wir können anders“.

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Walter Wenzel Zunamen aus Bezeichnungen von Vertretern der altsorbischen Führungsschicht in ihrer Bedeutung für die historische Lexikologie und die slawische Frühgeschichte Sachsens

Mit sechs Karten Die Untersuchungen zu sorbischen PersN (= Personennamen) aus dem Raum zwischen Oder/Neiße und Elbe, veröffentlicht in den vierbändigen „Studien zu sorbischen Personennamen“, in dem Buch „Niedersorbische Personennamen aus Kirchenbüchern“ und in der Monographie „Sorbische Personennamen aus der östlichen Oberlausitz“, erfassen auch alle ZuN (= Zunamen) aus Berufs-, Amts- und Standesbezeichnungen (WENZEL 1987/1994: I-III; WENZEL 2004: passim; MENZEL/WENZEL 2017: passim). Die räumliche Verteilung vieler dieser Namen zeigen über 200 Karten, enthalten in zwei Atlanten und zahlreichen Aufsätzen (WENZEL 1987/1994: III; WENZEL 2015b: passim; WENZEL 2014: 89, 127, 130-131, 213-214, 216, 269-278, 287, 300, 302-303, 400-403, 417-421; WENZEL 2015a: 63- 64, 95-98, 135, 156, 161-162). Den Arbeiten zu sorbischen PersN liegt ein Korpus von rund 100.000 Belegen aus vorwiegend archivalischen Quellen des 14. bis 18. Jahrhunderts zu Grunde. Wenn hier von ZuN und nicht von FamN (= Familien- namen) die Rede ist, so sind damit in der Zeit der Zweinamigkeit Namen ge- meint, die zu einem ursprünglichen RufN (= Rufnamen), später VorN (= Vor- namen) hinzutreten, ohne dass sich in der Zeit vom 14. bis zum 18. Jahrhundert genau bestimmen lässt, ob es sich noch um einen BeiN (= Beinamen) oder schon um einen festen, unveränderlichen, amtlichen und erblichen FamN handelt. Die Sorben des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit waren bekanntlich ein Bauernvolk. Sie hatten nur bedingt Zutritt zu den Städten, die überwiegend Deut- sche bewohnten, Vertreter der herrschenden Oberschicht, der Kirche, Kaufleute, Handwerker und Gewerbetreibende. Die Erbuntertänigkeit mit Bindung an den Grundherren hinderte sie am Zuzug in die Städte, der sog. „Wendenparagraph“ an der Aufnahme in die Zünfte (BRANKAČK/MĚTŠK 1977: 229-231; VOGEL 1960: 121ff.). Darüber hinaus war die Arbeitsteilung in der spätmittelalterlichen feudalen Agrargesellschaft nur wenig entwickelt und dementsprechend auch die handwerkliche Produktion auf dem Lande. Viele Gegenstände des täglichen Be- darfs stellten die sorbischen Dorfbewohner im Haus- und Heimwerk her. Aus diesem Grunde ist die Zahl der sorbischen BerufsN (= Berufsnamen) im Ver- gleich zu den vielen deutschen ZuN nach Stand und Beruf, besonders den Hand-

Onomastica Lipsiensia/OL 13 (2018), S. 191-205. 192 Walter Wenzel werkernamen, viel geringer. Sie alle sind in den obengenannten Monographien historisch dokumentiert und erklärt, ausgezählt und die häufigeren unter ihnen kartiert. Als Beispiel sei nur einer der ältesten von ihnen angeführt, der nso. ZuN Kowal, der Name für den Schmied, hervorgegangen aus urslaw. *kovati mit der Wurzel *kou-̭ , urverwandt mit dt. hauen, ahd. houwan. Der Name ist erstmals 1371 als Kobal überliefert, kommt fast 200 Mal in den durchgesehenen Quellen vor und besitzt mehrere Ableitungen, darunter Kowalik, Kowaleńc, die patrony- mischen und movierten Formen Kowalojc, Kowalka sowie weitere. Eine Karte zeigt seine räumliche Verbreitung in der Niederlausitz (WENZEL 2014: 131, K. 3). Kowal bildet im Süden eine Anthropoisolexe mit oso. Kowaŕ (WENZEL 2014: 126- 127, K. 1). Die Slawengaue Chocimi (an der unteren Neiße) und Selpoli (beider- seits der Lubst/Lubsza) kennen den Namen Kowal nicht, Gleiches gilt für den Gau Zliuuini im Schliebener Becken, westlich einer Linie Luckau – Finsterwalde. Frei von Kowaŕ und Kowal bleibt seltsamerweise das einstige Stammesgebiet von Be- sunzane, das beiderseits der Neiße von Görlitz bis Ostritz reicht. Dafür kommt dort aber Klepač vor, aus oso. klepać ʻklopfen, dengeln, hämmernʼ (WENZEL 2015a: 192-211; MENZEL/WENZEL 2017: 65f.). Im Mittelpunkt des Vortrages über sorbische BerufsN steht eine kleine Gruppe von Namen aus Bezeichnungen nach Stand, Stellung und Funktion der betreffenden Personen in der altsorbischen Gesellschaft. Konkret geht es darum, mit Hilfe der untersuchten sorbischen ZuN herauszufinden, welche urslawi- schen und später altsorbischen Bezeichnungen die eingewanderten Slawen für die Vertreter ihrer Führungsschicht verwendeten. Schon aus ihrer ersten Er- wähnung in der Chronik des Fredegar geht hervor, dass sie herrschaftlich orga- nisiert waren und an ihrer Spitze jeweils Führer standen, für die wir aus den chronikalischen und urkundlichen Quellen nur die lateinischen Bezeichnungen kennen. So berichtet das Fredegarii Chronicon zum Jahre 631/632 von Dervanus dux gente Surbiorum, que rex ex genere Sclavinorum erant et ad regnum Franco- rum aspecserant ʻDervanus, der Fürst des Volkes der Sorben, die slavischen Stammes waren und schon seit langer Zeit zum Frankenreich gehörtenʼ (Chro- nicarum quae dicuntur Fredegarii scholastici libri IV cum continuationibus, in: MGH SS rer. Merov. II. Edidit B. Busch, Hannover 1888, IV, 68 (21). In den folgenden Jahrhunderten erfahren wir immer wieder von duces, reges, primores, seniores und milites der Slawen, so 805 von Semil rex Dalemincorum, 806 von Miliduoch dux Sclavorum, 971 von einem senior namens Cuchavicus in Zwen- kau, 1017 von Budizlavus miles in Rochlitz und vielen weiteren. Neben ihnen gab es die mancipia, servi, coloni, ferner die zmurdi, smurdi, aus aso. *smord, urslaw. *smьrdъ, dazu altruss. smьrdъ ʻBauerʼ, russ. smerd ʻgemeiner Mann, Bauer, Leibeigenerʼ, urslaw. *smьrděti ʻstinkenʼ. Die Namen dieser zuletzt ge- Zunamen aus Bezeichnungen von Vertretern der altsorbischen Führungsschicht 193 nannten Gruppe, deren Vertreter nach der deutschen Eroberung zu den unters- ten sozialen Schichten gehörten, tauchen so gut wie niemals in den Quellen auf, auch eine Kontinuante von *smьrdъ war als PersN nirgends zu finden, dagegen im OrtsN (= Ortsnamen) Schmorditz, nö. Grimma, aso. *Smordovici ʻLeute des Smordʼ (SCHLESINGER 1960: 78-84; DEGENKOLB 2010: 150-153; SCHLIMPERT 1978: passim; HENGST 2016: 16f.; VASMER 1953/1958: II 671; SCHUSTER-ŠEWC 1986: 15f.; WENZEL 2017: 59). Die Slawen befanden sich in der Zeit vor der deutschen Eroberung, also zwischen 600 und der Jahrtausendwende, in der Pe- riode des Überganges von der spätgentilen in die frühfeudale Gesellschafts- ordnung mit einer mehr oder weniger deutlich ausgeprägten sozialen Differen- zierung der Bevölkerung, die von der Masse der freien Bauern und ihren An- gehörigen bis zu Stammesfürsten reichte, Unfreie und Sklaven nicht mit gerech- net. Für die Vertreter der Führungsschicht gab es je nach ihrer Stellung bei der Machtausübung und ihrer Rolle in der Gesellschaft entsprechende slawische Be- zeichnungen, die in den deutschen Quellen kaum Spuren hinterließen, dafür aber in der Funktion von PersN der Sorben fassbar werden. Da die Slawen in dem oben genannten Zeitraum noch urslawische Dialekte sprachen, die im 10. Jahrhundert in das Altsorbische übergingen, werden nachfolgend als Lemmata stets urslawische Formen angesetzt, gefolgt von den Lautungen und Bedeutun- gen in den einzelnen slawischen Sprachen, um so eine Grundbedeutung zu er- schließen und Anhaltspunkte für die Einordnung dieser Wörter, sozialökono- mischer und politisch-institutioneller Termini, in das altsorbische Bezeich- nungssystem für machtausübende und höhergestellte Personen im sozialen Ge- füge der altsorbischen Gesellschaft zu gewinnen und mögliche semantische Äquivalente zu den in den schriftlichen Quellen gebrauchten lateinischen Titeln zu finden.

1. Urslaw. *kъnędzь ʻHerrscher, Fürst, princepsʼ, altksl. kъnę(d)zь ʻAnführer, Herrscher, Fürst, Befehlshaber, Obersterʼ, oso. knjez ʻ(Guts)herr, Geistlicherʼ, nso. kněz, dass., älter auch ʻFürst, princepsʼ, polab. ťenądż ʻJunker, Edelmann, Königʼ, russ. knjaz´ ʻFürst; Bräutigamʼ, bulg. knez ʻGemeindevorsteherʼ, skr. kneẑ ʻFürstʼ, alttschech. kněz ʻHerrscher, Fürst, Herr, princeps, dominusʼ, tschech. kněz und slowak. kňaz ʻPriesterʼ, poln. ksiądz ʻchristlicher Geistlicherʼ, altpoln. auch ʻgekrönter Landesfürst, princeps, duxʼ, alttschech. kniežě < *kъnęže, Gen. -ęte ʻSohn des Fürstenʼ, später kníže ʻFürstʼ. Urslaw. *kъnędzь ist eine Entlehnung aus urgerman. *kuningaz, dazu ahd. kuning ʻKönigʼ (SCHUS- TER-ŠEWC 1978/1989: II 571; TRUBAČEV 1974/2001: XIII, 200f.). Das Wort *kъnędzь darf als Entsprechung von den in den mittelalterlichen Quellen ge- brauchten lat. rex und dux als Bezeichnung für die höchsten Anführer der Sla- 194 Walter Wenzel wen, ihre Stammesfürsten gelten (SCHUSTER-ŠEWC 1986: 9f.). Wie aus der Be- deutungsstruktur der Kontinuanten von urslaw. *kъnędzь in einigen älteren und jüngeren slaw. Sprachen hervorgeht, besaßen sie auch das semantische Merkmal ʻPriester, Geistlicherʼ. Das könnte darauf hindeuten, dass manche der altsorb. Anführer die Funktion eines Priesters mit ausübten. Aus der Bezeichnung für eine höhergestellte Person in der spätmittelalterli- chen Gesellschaft, später vor allem eines Pfarrers oder kirchlichen Amtsträgers, gingen in den einzelnen slawischen Sprachen eine Vielzahl von ZuN hervor, so im Sorbischen 1461 in Königsbrück Peter Knesch (Altarist), 1400 in Bautzen Knesig, oso. *Knježik, eine Diminutivform, zu verstehen als ʻSohn des Knjezʼ. Recht häu- fig ist das ebenfalls diminutivische nso. Kněžk, in Guben 1495 Knißk, in Pritzen (Niederlausitz) 1662 von Pfarrern Georgio Kneschken (WENZEL 1987/1994: II/1, 199f.; WENZEL 2004: 213). Diese Namen wurden alle kartiert und unter namenge- ographischen und siedlungsgeschichtlichen Aspekten kommentiert (WENZEL 1987/1994: III, 20, 48, K. 7, 8; WENZEL 2014: 255, 269, K. 1). Zur Verbreitung von Knjez bzw. Kněź in der Oberlausitz siehe unten Karte 1. Die dort mit verzeichne- ten Bogot/Bohot und Wojta sind Lehnnamen aus dem Deutschen, sie entsprechen dt. Voigt. In der Niederlausitz ist Kněz über das gesamte Untersuchungsgebiet verstreut, eine gewisse Häufung ist lediglich um Cottbus westl. der Spree zu be- obachten. Auch in anderen slaw. Sprachen waren entsprechende ZuN in Ge- brauch, so altpoln. Ksiądz, Książek, alttschech. Kněz, altruss. Knjazь, Knjazevъ, serb. Knezь, kroat. Knez mit mehreren Ableitungen, maked. Knjazev (CIEŚLIKO- WA/SZYMOWA/RYMUT 2000: 132; SVOBODA 1964: 192; TUPIKOV 1989: 183, 575; GRKOVIĆ 1986: 104; ŠIMUNOVIĆ 1995: 179; STAMATOSKI 1994: 634). Nicht weiter nachgegangen wird hier den Kontinuanten von *kъnędzь in OrtsN. Derartige Fäl- le scheinen selten zu sein, wahrscheinlich †Knetz, b. Barby, Kneese bei Schwerin, tschech. Kněž, poln. Książ (EICHLER 1985/2009: II, 38).

2. Urslaw. *županъ ʻAnführer oder Ältester einer Siedlergemeinschaft, eines Siedel- oder Burgbezirkes, Oberhaupt eines Gauesʼ, dazu nso. župan ʻVor- sitzender der Bienenzüchter, der Zeidlergenossenschaftʼ, altksl. županъ, altserb. županь, sloven. župan̍ ʻAmtmann, Schultheiß, Gaugrafʼ, tschech. župan ʻGau- vorsteher, -grafʼ, russ. župan ʻVorsteher eines Gauesʼ, vorausgesetzt durch den OrtsN Županovo. Man betrachtet urslaw. *županъ meist als Ableitung von urslaw. *župa ʻGau, kleineres Stammesterritoriumʼ, avarische (turkotatarische) Herkunft sei unwahrscheinlich (VASMER 1953/1958: I, 432f.; SCHUSTER-ŠEWC 1978/1989: IV, 1811; SCHUSTER-ŠEWC 1986: 3-9). Die supani sind in dt. Quellen seit dem 12. Jahrhundert oft bezeugt und entsprechen dort dt. Eldeste oder Aldermänner, lat. seniores, so 1181 seniores villarum, quos lingua sua supanos Zunamen aus Bezeichnungen von Vertretern der altsorbischen Führungsschicht 195 vocant (SCHLESINGER 1960: 90). Sie fungierten im Rahmen der deutschen Lan- desverfassung als Schöffen im Landgericht oder als Dorfvorsteher. In ganz ähn- licher Weise waren im historischen Kroatien die *župani, ehemals hohe Aristo- kraten, unter den Bedingungen der bayerischen Grundherrschaft zu Untertanen geworden, denen man verschiedene Aufgaben übertrug, wofür sie mit bestimm- ten Vergünstigungen entlohnt wurden (HOLZER 2008: 138-144, 237-242, 273- 274). Zu den frühesten Nachweisen im mitteldeutschen Raum gehören 1212 cum tribus supanis, 1225 Merboto supan aus der Kamenzer Gegend, 1248 Hert- wicus supanus in Paditz bei Altenburg, 1287 supanum de Techiwicz in Techwitz ö. Zeitz und weitere (EICHLER 1965: 113f.). Die *župani sind übrigens auch im baiernslawischen Raum, in der „Bavaria Slavica“, nachweisbar, so 1259 Henricus de Berensteine Suppanus, 1272 Heinricus de Bibrach, Suppanus u. a. (mitgeteilt von Wolfgang JANKA, Regensburg). Die Bezeichnung, die im Mhd. zum Lehn- wort sūpān, sōpān ʻslaw. Edelmann, Fürst; Verwalter eines Gutes, Schafferʼ wurde, gebrauchte man oft als PersN, so hieß schon 1274 ein Ratmann in Al- tenburg Petrus Supan (FLEISCHER 1964: 184). Aus Supan entwickelte sich Sau- pen, in Zwickau 1499 Mertin Sauppen, später oft Saupe, in Grossenhain 1589 Matthes Saupe, ein relativ häufiger FamN, den in Deutschland heute hoch- gerechnet 2376 Personen tragen, die meisten davon in Westsachsen bis zur Elbe, des Weiteren in Berlin, Letztere sicherlich alles Zuzügler. Für Schuppan er- rechnete man 528 Namenträger, die meisten in der Niederlausitz und wiederum in Berlin (HELLFRITZSCH 2007: 220; NEUMANN 1981: 149; www. Verwandt.de). Župan kommt auch im Alttschechischen sowie im heutigen Tschechischen vor, wo man es mit správce župy ʻVerwalter eines Gaues, eines Komitatsʼ erklärt. Öf- ters ist Župan in der Bedeutung ʻVorsteher, Art Dorfältesterʼ aus den einst sla- wischen Siedlungsgebieten Österreichs überliefert, so erstmals 1217 filii Supan Vlricus et Albertus in Kärnten, 1240 Subanus, 1252 Henricus Suppanus (SVOBO- DA 1964: 192; MOLDANOVÁ 2004: 227; KRONSTEINER 1975: 92; BERGERMAYER 2005: 202-204). Das Altpolnische kennt den Namen nicht, und das spätere Żu- pan wird an erster Stelle auf żupan ʻlanger altpolnischer Rockʼ zurückgeführt, letztendlich aus arab. gubbă über franz. jupe, ital. giuppone (RYMUT 1999/2001: II 765; SCHUSTER-ŠEWC 1978/1989: IV, 1811f.). Für das Russische ist nur 1565 Županъ, krestьjaninъ Chmelьnicki überliefert (TUPIKOV 1989: 153), für das Ukrainische 1470 Župan Peter, dazu die heutigen FamN Župan, Župa- nenko, Županiv (ČUČKA 2005: 227 und schriftliche Mitteilung von V.P. ŠUL´GAČ, Kiev). Im Kroatischen kommt Župan und Župančić vor, im Make- donischen Župan, Župano(v)ski und Župski (ŠIMUNOVIĆ 1995: 12; STAMATOSKI 1994: I 438). 196 Walter Wenzel

Župan liegt mehreren OrtsN zu Grunde, so Seupahn, ssw. Colditz, 1336 Su- pan, aso. *Župań < *Župan+jь ʻSiedlung eines Dorfvorstehersʼ (EICHLER/WAL- THER 2001: II, 417), zutreffender wohl ʻSiedlung des župan oder des Županʼ mit der Bezeichnung oder dem Namen im oben dargelegten Sinn. In frühester Zeit saß vielleicht in dem Ort, in dessen Umfeld sich eine slaw. Siedlungskammer ausmachen lässt, ein župan (WENZEL 2017: 64f., K. 1, 2). Tschech. Županovice wird als ʻDorf der Leute des županʼ oder ʻDorf der Leute des Županʼ erklärt (PROFOUS 1947/1960: IV, 861; HOSÁK/ŠRÁMEK 1970/1980: II, 830). Für die Lausitz wurde die räumliche Verbreitung von Župan mit seinen Ab- leitungen auf mehreren Karten festgehalten. Siehe unten Karte 2 und 4. Es bildet ein Großareal in der Niederlausitz, das von einer Linie Finsterwalde und Rüdingsdorf im Westen bis zu einer Linie von Spremberg die Spree abwärts bis zum Schwielochsee reicht, die nur in einem Punkt östl. Cottbus und in zwei Or- ten nördlich Guben überschritten wird. Sowohl dem Kleingau Zliuuini um Schlieben im Westen als auch dem Gau Selpoli an der Lubst/Lubsza im Osten bleibt der Name unbekannt, dafür breitet er sich aber bis in die westliche Ober- lausitz, in das Flussgebiet der oberen Schwarzen Elster aus (WENZEL 2014: 254, 269, K. 1; WENZEL 1987/1994: III, 18, 62, K. 1). Die übrige obersorbische Na- menlandschaft lässt den Namen vermissen, nach dem bisherigen Erkennt- nisstand wahrscheinlich auch das gesamte altpolabische und polnische, bedingt auch Teile des ostslawischen Sprachgebietes. Im Altwestsorbischen (westlich der Elbe bis zur Saale) ist der Name früh und sicher bezeugt, und es erhebt sich die Frage, wie er zu den Luzici an der mittleren Spree und zu den Milzane an der oberen Schwarzen Elster gelangte. Das erfolgte im Verlauf der großen Wan- derungen sicherlich nicht aus dem Osten, denn dort war er, wie wir oben sahen, wahrscheinlich unbekannt. Wie schon an anderer Stelle dargelegt, dürften ihn Siedler aus dem Slawengau Nizizi, der sich im Elbtal von Belgern bis Wörlitz er- streckte, mitgebracht haben. Sie waren die Schwarze Elster und ihre Zuflüsse aufwärts bis in die westl. Niederlausitz und die nordwestl. Oberlausitz gewan- dert (WENZEL 2019: passim).

3. Urslaw. *starosta ʻÄltester, Vorsteher einer kleineren territorialen oder ad- ministrativen Einheit, meist eines Dorfesʼ, aus urslaw. *starъ ʻaltʼ, abgeleitet mit dem Suffix -osta, ist im Nso. und Oso. als starosta, heute ʻBürgermeister, Vor- stand (einer Gemeinde)ʼ vertreten, allerdings spät bezeugt. Es wurde erst unter dem Einfluss anderer slawischer Sprachen, tschech. starosta ʻVorsteher, Ob- mannʼ, slowak. und poln. starosta ʻGemeindevorsteherʼ, reaktiviert (SCHUSTER- ŠEWC 1978/1989: III, 1355; SCHUSTER-ŠEWC 1986: 14; VASMER 1953/1958: III, 5). Das aso. Appellativum drang in die deutschen Mundarten der Niederlausitz Zunamen aus Bezeichnungen von Vertretern der altsorbischen Führungsschicht 197 als Starosse ʻstarker, unbändiger Kerlʼ ein (EICHLER 1965: 126), recht häufig er- scheint es jedoch als ZuN, erstmals 1359 in Bautzen Starast. Die räumliche Ver- breitung des Namens, zusammen mit seinen patronymischen und movierten Formen, stellen mehrere Karten dar (WENZEL 1987/1994: II/2, 107, III, 18f., 62f., K. 1, 2; WENZEL 2004: 369; WENZEL 2014: 256, 270, K. 2; MENZEL/WENZEL 2017: 110). Auch in anderen slawischen Sprachen kommt Starosta früh und häufig vor: Alttschech., altpoln., altruss. Starosta (MOLDANOVÁ 2004: 174; RY- MUT 1999/2001: II 477; TUPIKOV 1989: 373). 4. Urslaw. *gospodarь ʻHausherr, Familienoberhauptʼ, oso. hospodar ʻHaus- vater, Haushaltungsvorstandʼ, nso. gospodaŕ, dass., auch ʻLandwirtʼ, poln. gospodarz ʻHauswirt, Familienoberhaupt, Verwalter, wohlhabender Bauerʼ, alt- poln. auch ʻHerbergsbesitzerʼ, tschech. hospodář ʻWirtʼ, alt ʻFamilienober- hauptʼ, russ. alt gospodar´ ʻHerrscher, Hausherrʼ, russ. ksl. gospodarь ʻHerrʼ (SCHUSTER-ŠEWC 1978/1989: I, 331). Dieses Wort fand als sozialökonomischer und politisch-institutioneller Terminus bislang keine Beachtung, die ein- schlägigen Arbeiten verzeichnen auch keinen entsprechenden sorbischen ZuN. Eine Ausnahme bilden lediglich einige erst kürzlich in Görlitzer Quellen ent- deckte Belege, darunter 1385 Hospider, 1405 Hospuder, 1410 Hospoder, 1413 Hospeder, insgesamt 13 Nachweise, alle aus Görlitz und Umgebung, hinzu kommt noch 1493 Hospoderßy, 1542 Hospodersi, altoso. *Hospodaŕ bzw. *Hospodaŕski (MENZEL/WENZEL 2017: 54f.). Auf urslaw. *gospodarь zurück- zuführende ZuN sind auch in anderen slaw. Sprachen vertreten, so poln. 1626 Gospodarz, 1338 Gospodarzyk und weitere, tschech. Hospodár, Hospodář und Hospodářský (RYMUT 1999/2001: I, 258; MOLDANOVÁ 2004: 67).

Damit sind die wichtigsten Bezeichnungen für in der altsorbischen Gesellschaft Herrscherfunktion ausübende Personen erfasst, vom Stammesoberhaupt bis zum Familienoberhaupt. Daneben gab es noch weitere Amts- und Würdenträ- ger sowie Personen, die aus der Masse der damals noch freien Bauern heraus- ragten und sich von ihnen in sozialer Hinsicht unterschieden. Zu ihnen gehört sicherlich urslaw. *vitędzь mit seinen einzelsprachlichen Kontinuanten, darun- ter die in den deutschen Quellen öfters genannten withasii, witsessen, weiczhes- sen, erstmals in einer Urkunde des Klosters auf dem Lauterberge bei Halle 1181 in equis servientes id est withasii, danach 1307 witschacz oder zcmurt, 1334 sub rusticis, qui dicuntur witsczen. Man schlussfolgerte aus dem ersten Beleg, dass die altsorb. *viťazi unter deutscher Oberherrschaft neben Verwaltungsaufgaben auch eine Art Spanndienst mit Pferden zu verrichten hatten. Ihre Dienstleis- tungen, darunter Dorfrichter- und Schöffenpflichten, belohnte die deutsche Ob- 198 Walter Wenzel rigkeit durch Überlassung eines Lehngutes, weshalb oso. wićaz ʻFreibauer, Lehnbauer, Besitzer eines Lehngutesʼ, als ZuN Wićaz, dem dt. Appellativ und ZuN Lehmann entspricht (SCHLESINGER 1960: 89; EICHLER 1965: 134f.; SCHUS- TER-ŠEWC 1986: 10-12). Die Etymologie von urslaw. *vitędzь ist umstritten. Während man bisher eine Entlehnung aus german.*víking-, altnord. víkingr an- nahm, wurde zuletzt überzeugender Ableitung von urslaw.*vitь ʻBeuteʼ, altksl. vъzvitь ʻGewinn, Vorteilʼ postuliert, verwandt mit lit. výti ʻtreiben, verfolgen, nachjagenʼ, lett. vajat̂ ʻverfolgen, bedrängenʼ, altind. vēti ʻverfolgtʼ (VASMER 1953/1958: I, 206f.; SCHUSTER-ŠEWC 1978/1989: III, 1594f.). Aus urslaw. *vitędzь ʻbäuerlicher Krieger zu Pferde im Dienste des Stammesfürsten (*kъnędzь)ʼ gingen hervor: serb.-ksl. vitędzь, tschech. vítěz, slowak. viťaz ʻSieger, Ritter, Heldʼ, russ., ukr. vitjaz´ ʻHeld, Reckeʼ, altruss. auch vitezь ʻKrieger aus der Družina des Fürsten, der Bewachung des Königsʼ, serbokroat. vȉtez ʻReiter- knecht; Ritterʼ, slowen. vítez ʻRitter, Streiter, Kriegsknecht, Soldatʼ. Auf der Be- zeichnung beruhen zahlreiche ZuN, so oso. Wićaz mit seinen Ableitungen, die in der Oberlausitz ein Großareal zwischen dem Oberlauf der Schwarzen Elster und dem Schwarzen Schöps bilden. Siehe unten Karte 3. Sowohl die östliche Oberlausitz, der Gau Besunzane, sowie die gesamte Niederlausitz kennen den Namen nicht (WENZEL 1987/1994: III, 19f.; 66, K. 6). Wićaz bildet im Norden eine Anthropoisolexe mit dem bedeutungsgleichen nso. Lenik und überschnei- det sich zwischen Klosterwasser und oberer Schwarzer Elster mit dem aus der Niederlausitz hereinreichenden Županareal, siehe oben. Der PersN Wićaz war westl. der Lausitz bisher nicht nachweisbar, auch nicht in OrtsN. Unter den tschech. ZuN fand sich kein Vítěz, auch eine poln. oder polab. Entsprechung ließ sich nicht beibringen, dafür aber im 17. Jahrhundert russ. Vitjazь und Vitjazevъ und im Kroat. Vitezica und Vitezović, Pavao Ritter (TUPIKOV 1989: 86, 504; ŠIMUNOVIĆ 1995: 13, 300). Zu den sozialökonomischen und politisch-institutionellen Termini gehört auch urslaw. *větьnikъ ʻRatgeberʼ, im Plural *větьnici, aus urslaw. *větъ, dazu alt- russ. větъ ʻRat, Vertragʼ, erstmals überliefert bei Thietmar von Merseburg 1012/18: satellites dicti Sclavonice vethenici im Gau Daleminze. Man nimmt an, dass es sich bei den vethenici um eine gesonderte Gruppe untergeordneter slaw. Dienstleute handelte (SCHLESINGER 1960: 88; EICHLER 1965: 134; SCHUSTER- ŠEWC 1986: 12f.). Die Bezeichnung hat kaum Spuren unter den slawischen PersN hinterlassen, in Frage käme am ehesten poln. 1471 Wietnik (RYMUT 1999/2001: II, 679). Unsicher bleibt die Erklärung von Dürrwicknitz, Kr. Kamenz, oso. Wěteńca, 1225 Witeniz, 1374 Wetenicz, als *Větenica ʻSiedlung der větьniciʼ, der altoso. *Wětanici ʻLeute des Wětanʼ bzw. *Wětanicě ʻSiedlung der Leute des Wětanʼ vor- zuziehen ist (SCHUSTER-ŠEWC 1986: 13; WENZEL 2008: 186f.). Zunamen aus Bezeichnungen von Vertretern der altsorbischen Führungsschicht 199

Aus der Masse der Bevölkerung in der spätgentil-frühfeudalen Gesellschaft ragten wahrscheinlich auch die mit urslaw. *panъ und *kъmetъ/*kъmetь bezeich- neten Personen hervor. Die Etymologie von *panъ ist unsicher, es habe sich aus urslaw. dial. *gъpanъ entwickelt, das mit *županъ, siehe oben, verwandt sei. Oso. pan bedeutet älter ʻHerrʼ, nso. pan ʻ(Guts-, Standes)herr; Edelmannʼ, alttschech. hpán, tschech., slowak pán, poln. pan ʻHerrʼ (SCHUSTER-ŠEWC 1978/1989: II, 1039f.). Das Wort *panъ liegt vielen ZuN zu Grunde, so sorbisch erstmals 1458 Pan mit mehreren Ableitungen, darunter 1400 Panach, polnisch bereits 1393 Pan, alttschech. Pán, 1427 Pánek, russ. 1495 Panъ (WENZEL 1987/1994: II/2, 48f.; MOLDANOVÁ 2004: 134; RYMUT 1999/2001: II, 203f.; TUPIKOV 1989: 296, 685). Im Nso. kommt Pan mit seinen Ableitungen nicht nur in der mittleren Nieder- lausitz vor, sondern auch weiter im Osten und im Schliebener Ländchen, in der Oberlausitz konzentriert sich der Name um Bautzen, zwischen oberer Spree und Löbauer Wasser, ist vereinzelt aber auch anderswo zu finden (WENZEL 1987/1994: III, 21f., 72-73, K. 11, 12; WENZEL 2014: 255f., K. 2). Urslaw. *kъmetъ/*kъmetь ist im Oso. als kmjeć ʻvornehmer Bauer, Häuptlingʼ vertreten, im Tschechischen als kmet ʻHerr, Greisʼ, alttschech. auch ʻAngehöriger des Feudaladels, Richter am Landesgericht, Oberhaupt der Dorfsippeʼ, im Poln. als kmieć ʻ(wohlhabender) Bauerʼ, im Russ. als kmet´ ʻKrieger, Recke, Edelmann, Landmannʼ, altruss. kъmetь ʻKriegerʼ, ähnlich in anderen slawischen Sprachen. Die Etymologie ist umstritten, wahrscheinlich liegt Entlehnung aus lat. comes, -itis ʻBegleiterʼ über vulgärlat. cometia ʻcomitatusʼ, dt. ʻBegleitung; Gefolgschaft etc.ʼ vor (SCHUSTER-ŠEWC 1978/1989: II, 565; TRUBAČEV 1974/2001: XIII, 196-198). Als PersN ist im Obersorbischen erstmals 1466 Kmetz nachgewiesen, das Nieder- sorbische kennt den Namen nicht, dafür aber das Polnische 1413 Kmieć, dazu vie- le Ableitungen, das Tschechische Kmet, Kmeť u. a., enthalten auch in dem OrtsN Kmetiněves, das Kroatische überliefert Kmet, Kmetić, das Makedon. Kmetac u.a. (WENZEL 1987/1994: II/1, 198f.; RYMUT 1999/2001: I, 415; MOLDANOVÁ 2004: 86; PROFOUS 1947/1960: II, 254; ŠIMUNOVIĆ 1995: 10, 111, 324; STAMATOSKI 1994: I 633). Oso. Kmeć bildet ein Mikroareal im Kreis Kamenz (WENZEL 1987/1994: III, 19, 62, K. 1). Siehe unten Karte 2. Bei einigen der oben behandelten ZuN aus Bezeichnungen für gesellschaft- lich höhergestellte Personen dürften ÜberN (= Übernamen) vorliegen, die auf einer metaphorischen oder metonymischen Benennungsweise beruhen und mit solchen deutschen FamN wie König, Kaiser usw. vergleichbar sind. So handelt es sich, wie aus dem nachfolgenden Zitat hervorgeht, bei dem 1495 erwähnten Va- sko Knjazь, krestьjaninъ Gorodenskago pogosta, um einen Bauern und nicht um einen Fürsten (TUPIKOV 1989: 183). Er war wahrscheinlich Leibeigener eines russischen Gutsbesitzers aus einem Fürstengeschlecht. 200 Walter Wenzel

Wie aus den umfangreichen Untersuchungen von Karlheinz Hengst her- vorgeht, wurden nicht wenige Angehörige der slawischen Führungsschicht nach ihrem Übertritt zum Christentum in deutsche Dienste gestellt und mit ver- schiedenen Aufgaben betreut, so dass sie in der sich neu formierenden, anfangs noch ethnisch und sprachlich differenzierten Feudalgesellschaft eine gehobene Stellung im Vergleich zur Masse der Bevölkerung einnahmen (HENGST 2016: passim). Eine wichtige Voraussetzung für die Integration slawischer Eliten in das Gesellschaftssystem der Eroberer bildete die Aufnahme der einstigen „Hei- den“ in die Glaubensgemeinschaft der Christen. Nicht weiter einzugehen ist im Rahmen des hier behandelten Themas auf die Namen für Vertreter der unteren sozialen Schichten der damaligen Gesellschaft, hervorgegangen aus den Bezeichnungen für den Bauern, den Ackersmann, den Pflüger, den Ansiedler, den Büdner, Häusler und Gärtner sowie der frühesten Handwerker, altsorb. Rataj, Rataŕ, Radłak/Radlik, Worak, Sedlak/Sedlik, Chyžnik, Zagrodnik/Zahrodnik, Kowal/Kowaŕ, Smolaŕ, Huglaŕ/Wuglaŕ ʻPech-, Teersieder, Köhlerʼ, Tkalc ʻ(Lein)weberʼ, Twarc ʻZimmermannʼ und weitere, die alle an an- derer Stelle untersucht und kartiert wurden (WENZEL 1987/1994: III, 20f., K. 9; WENZEL 2004: 510-513, K. 4-7; WENZEL 2014: 256-257, 277-278, K. 9-10; 122-135, K. 1-3). Siehe unten die Karten 5 und 6. Auf Letzterer sind auch Wojcaŕ und Šapaŕ, die ZuN für den Schäfer, mit verzeichnet. Nicht einbezogen in die Unter- suchung sind die Unfreien und Sklaven, über deren Umfang wir nichts Genaues wissen. Sie spiegeln sich im Sorbischen in einem einzigen Namen wider, über- liefert aus der Niederlausitz und aus viel späterer Zeit, mit sicherlich schon ge- wandelter Bedeutung, in Parobk, aus nso. parok, älter parobk ʻSklave, Knecht; Diener, Burscheʼ (WENZEL 2014: 257). Die oben vorgestellten „Führungskräfte“ der alten Slawen spielten auf den großen Wanderungen und bei der agrikulturellen Erschließung neuer Territo- rien, bei der Verteidigung gegen innere und äußere Feinde, bei der Organisie- rung und Durchführung von Beute- und Kriegszügen sowie bei der Errichtung von Wehranlagen eine maßgebliche Rolle. Sie stellen ein wesentliches Element in der Gesellschaft der landnehmenden Slawen dar, in der Zeit des Überganges von einer älteren patriarchalisch-demokratischen Stammesverfassung zu einer spätgentil-frühfeudalen Klassengesellschaft (WALTHER 1989: 62f.). Wie aus den Berichten der Chronisten Thietmar von Merseburg, Helmhold von Bosau, Saxo Grammaticus, der Biographie des Bischofs Otto von Bamberg und weiteren schriftlichen Quellen hervorgeht, nahmen einen wichtigen Platz im Macht- gefüge der damaligen Gesellschaft die Priester ein (HERRMANN 1974: 253-256; BIERMANN/RUCHHÖFT 2017: 132-137). Darüber geben unsere Namen so gut wie keine Auskunft. Zunamen aus Bezeichnungen von Vertretern der altsorbischen Führungsschicht 201

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Zunamen aus Bezeichnungen von Vertretern der altsorbischen Führungsschicht 203

Karte 1: Der Zuname Kněź in der Oberlausitz.

Karte 2: Die Zunamen Župan, Starosta, Kmeć, Sedłak, Sedlik und Rataj in der Oberlausitz. 204 Walter Wenzel

Karte 3: Die Zunamen Wićaz, Lenik und Leniš in der Oberlausitz.

Karte 4: Die Zunamen Župan und Župank in der Niederlausitz. Zunamen aus Bezeichnungen von Vertretern der altsorbischen Führungsschicht 205

Karte 5: Die Zunamen Rataj und Worak in der Niederlausitz.

Karte 6: Die Zunamen Radłak und Radlik in der Niederlausitz.

Lennart Ryman Occupational designations in late medieval Stockholm

1. Introduction The subject of this paper is the use of occupational designations in late medieval Stockholm, at this time by far the biggest city in Sweden, even though its popu- lation has been estimated to be no more than between 6,000 and 7,000 inhabit- ants (DAHLBÄCK 1987: 50). The study is based on the medieval council records of Stockholm, published in five printed volumes and covering the time from 1474 to 1520 (STb 1-5). The Swedish term for these records is tänkebok, corre- sponding to Middle Low German (MLG) denkebôk and to Latin liber memoria- lis. Most of the examples in the following are gathered from STb 1 (1474-1483); quantitative statements are based on my studies of STb 2 (1483-1492). The language of the council records is Swedish, which at this time is very much influenced by Low German, as a result of German cultural and economic dominance in northern Europe in general, and for a city such as Stockholm as a direct result of a large and influential German population (see for instance MÄHL 2008). The language of the time is counted as yngre fornsvenska “younger Old Swedish” until 1526 and is covered by the dictionary of K.F. SÖDERWALL with supplement. However, it is far removed from ancient Scandinavian, and the word forms in the court records often differ significantly from the head- words in Söderwall. In the following, Swedish designations are rendered according to SÖDER- WALL and personal names according to SMP and SMPs (the dictionary of per- sonal names in medieval Sweden and its collections). Quotations are rendered after the editions; abbreviations are expanded silently. The letters <ä> and <ö> in the editions and in SÖDERWALL are rendered as <æ> and <ø>. The use of cap- ital letters is normalised.

2. Fire in the brewery house of Hans Westfal

On the 3 of March 1480, there was a hearing in the city court of Stockholm about the causes of a fire in the brewery house of the burgher Hans Westfal. One Thorbiørn Thorstensson bore witness that he had met “one my Lord’s servant (een myns herres tienare) [...] who is called Peder Slatte” (STb 1, 229). Peter Slatte had said to Thorbiørn that the brewery house was on fire: “I have poured

Onomastica Lipsiensia/OL 13 (2018), S. 207-219. 208 Lennart Ryman two buckets of water on the woman, who sat in the brewery house (pa konane, som satt i bryggare hwset) [...] before she woke up”. The same day, a number of trusted men gave testimony that the boiler wall at Hans Westfal was in good condition, and that it had not caused the fire. These witnesses were Jenis Olsson wiidh Sudre portt (I. O. at the south gate), Raguald Camp, Olaff smidh wiidh Norre portt (O. at the north gate), Magnis mwramestare (M. mason), Tord mwramestare and Andres mwramestare. On the 10 of June Klaves Slatte (obviously the same person as Peter Slatte above) gave sworn testimony that he had dragged out the breweress (bryggessane) and poured one bucket of water on her, because she was drunk (STb 1, 250). At the same time, Hanis Skymblepenning swore that the fire had started in the brew- ery house of Hans Westfal. Adding to the oath were Hanis Kraka, vnge Peder skinnare (young P. skinner) and mester Peder baardskiærare (master P. barber surgeon). The result of the proceedings seems to have been that Hans Westfal was freed from responsibility for the fire (cf. STb 1, 338). The breweress does not make any further appearances in the protocolls – but if we are to believe Klaves Slatte, she should have been spared severe injuries; he dragged her out of the fire and poured water on her to wake her up, not because she was burnt by the fire.

3. Analysis and further examples The story in section 2 mentions fourteen persons, thirteen men and one woman. We leave the woman, as well as Klaves Slatte (“my lord’s servant”), aside for the moment and concentrate on the other twelve men. The men are mentioned with a forename plus one, or sometimes two, addi- tional elements. Among the latter, three postpositive types are most im- portant: patronymics (Thorstensson, Olafsson), bynames (Westfal, Kamp, Skim- melpenning, Kraka) and occupational designations. These three types of ele- ments are to a fairly high degree in complementary distribution as appositions to forenames (RYMAN 2016: 31). In addition, bynames sometimes are used without a forename. Less important are some other elements: the title mæstare, which is used about Peter barber surgeon, unge ‘the young’ which probably distinguishes Peter skinner from a namesake and colleague and “at the north gate” which may have the same function. Among the occupational designations, muramæstare ‘mason’ has a special status in this connection. Obviously, the three masons have been summoned to inspect the boiler wall in their capacity as expert craftsmen. In spite of this, their Occupational designations in late medieval Stockholm 209 occupation is not mentioned collectively, but through an apposition to every in- dividual’s forename, in the same manner as the other occupational designations in the text. This is in contrast to designations of office or estate. One example is a witness list to an inheritance accord from the court records of 1478 (STb 1, 179): erlige men (honourable men) her Nic Person, her Benct Smalenninge borgamestara (bur- gomasters), Per Jønsson, Hanis Holmgersson radmen (councilors), Mikel clensmid (M. locksmith), Laurens køtmangare (L. meat dealer), Tielffue Østinsson borgara (burghers). – As appears from this example, designations of office or of estate are used collectively in cases like these. Additionally, they normally do not replace the principal elements of patronymics, bynames and occupational designations.1 In comparison, occupational designations are tied much closer to the individual. Some additional cases may be worth looking into. In the following, a number of masons are summed up collectively as expert witnesses in an enquiry, but the scribe still seems to be obligated to add the occupational designation to every individual’s forename: [...] medh them tesse mwramestare tilnempde Magnis mwramestare, Laurens mwramestare, Jenis mwramestare, Botuid mwramestare, vnge Andres mwramestare (with them these masons called in, M. mason, L. ma- son, I. mason, B. mason, young A. mason, 1480, STb 1, 249). In the following, the royal coiner, who is the only one of his kind in Stock- holm at this time, and the collective of merchants are mentioned, using occupa- tional designations only. The goldsmiths Knut and Otte, who are called in as ex- perts, are mentioned in the same manner as the masons in the first example: [...] myntamestaren skal lata Knwt gulsmid ok Otte gulsmid probera thet silff, som kiøpmennenæ føra hiit i toll, ok ransaka huat thet ær flærdh eller ey (the coiner shall let K. goldsmith and O. goldsmith test the silver, that the merchants bring here as customs duty, and examine wether it is false or not, 1480, STb 1, 272). In the following, the porters Klaves and Magnus are mentioned in the same manner as the masons in the first example. They obviously are testifying about their observations while performing their duties as porters, presumably relying on their expert knowledge about the marks used by merchants such as Hans Wulf and Niklas Dobbin. The third witness, Hans Rytting (SMP s.v. Hans, 1468), is possibly a porter as well; there are some indications that the occupa- tional designations of porters are not used very consistently (RYMAN

–––––––— 1 However, occasionally the designation of estate borghamæstare replaces a patronymic or a byname as in her Erich borgamestares drengh (‘herr Erik [Iønisson] burgomaster’s servant’, STb 2, 517). 210 Lennart Ryman

2015: 179): [...] tha giordo Claus dragare, Magnis dragare, Hanis Ryttingh therres eedh, athe sago eth fath jærn inslaget medh Hanis Wlffs jærn, pa huilket som Nic. Dobbins merke stoodh pa satt (then K. porter, M. porter, H. R. made their oath, that they saw one barrel of iron, put together with H. W.’s iron, on which was placed N. D.’s mark, 1480, STb 1, 272). The following case gives us a glimpse of how members of the same guild were part of the same social circle. In a congregation of bakers, one baker ques- tions another baker’s right to be acknowledged as a member of the guild. The guild in question is identified solely by occupational designations used in appo- sition to forenames: Vitnade och sworo gamble Hanis bagare och Thomas bagare, athe sago och hørdo, thet Mikell bagare slog Pauall Paale bagare wnder øghanen medh een bøgher øøl och kallade honom en tiwff: tw haffuer wnneth æmbetidh som en tiwff (Witnessed and swore old H. baker and T. baker, that they saw and heard, that M. baker hit P. P. baker under the eyes with a tankard of beer and called him a thief: you have won your place in the guild like a thief, 1480, STb 1, 226).

In my opinion, the case for the individualising, name-like function of occupa- tional designations is strong. But they also clearly have a categorising function. A Thordh muramæstare normally really is a mason, and such an apposition sometimes carries an essential informational load, e.g. that Thord is an expert witness. Furthermore, there is some variation in which designation to use for the same man. One Øryan sporasmidh (‘spur smith’, 1482, STb 1, 343) is also known as Øryan clensmid (‘locksmith’, 1484, STb 2, 49) and Ørien smidh (‘smith’, 1488, ib., 304). One painter Albrikt apppearantly also is an embroider- er, and is known both as Albrict maalare and Albrict perlastyckare (SMP s.v. Al- brikt, 1473).2 This variation suggests that the nominal phrases in question are not fully lex- icalised. They could change according to a man’s shifting occupation or as a re- sult of the terminology not being fully standardised.

–––––––— 2 In the known signatures of his work in churches, both Albertus pictor and Albertus Immenhusen (presumably his German family name), and even Swedish pærlostikkare are represented (SVANBERG/ÖBERG 2009: 11f.). Occupational designations in late medieval Stockholm 211

4. Overview of occupational designations for men in the council records of Stock- holm 1483-1492 (STb 2) Men in the council records of Stockholm appear coupled with a fair number of different occupational designations. The biggest group are craftsmen. By my es- timation, there are in STb 2, 1483-1492, a little more than 300 designated craftsmen, about whom are used ca 50 separate occupational designations, the most common being skræddare (, 44), skomakare (shoemaker, 38), gul- smidher (goldsmith, 22), bakare (baker, 16) and smidher (smith 15). A fair number of other, disparate groups are to differing extents designated by occupational designations. By my estimation, there are ca 290 men who are designated with one of about 60 separate occupational designations, the most common being skipare (skipper, 44), skrivare (scribe, 24), fiskiare (fisher, 24), and køpsven (junior merchant, 18). A survey of professions in Stockholm in the tax register of 1460 is made by Göran DAHLBÄCK (1987: 80-98). According to him (ib.: 83 f.) there are between 60 and 70 professions known from late medieval Stockholm. Some of the pro- fessions that are missing in 1460 may not have existed in Stockholm at that date, but most of the discrepancies can probably be explained by the tax register con- stituting a smaller material, covering only residents, only one year, and mostly only heads of housholds. Bearing this in mind, the two materials match each other relatively well. However, there are some surprising results. Two anomalies concern timberman (14 in STb 2; 43 in 1460) and fiskiare (24 in STb 2; 40 in 1460), where the num- bers for the tax register are considerably greater than those for the council rec- ords. The results for these two groups may suggest that carpenters and fisher- men are underrepresented in STb 2. When, on the other hand, the designation skrivare ‘scribe’ has risen from 3 in 1460 to 24 in STb 2, one may suspect that this designation in the 1480’s is used mainly about men who are not profession- al scribes, but simply have some writing skills. The numbers of occupational designations in STb 2 are, in my estimation, not a gross misrepresentation of the real situation in Stockholm; it is reasonable to assume that most men of good standing in the city appear in the court rec- ords as witnesses or in other functions. However, there may be some groups that are considerably underrepresented, and there is certainly room for error in identifying individuals and separating some occupational designations from family names. All in all, there are a little more than 100 occupational designations in the sources studied here, a local lexicon that may have been fairly closed. According 212 Lennart Ryman to Märta ÅSDAHL HOLMBERG (1989: 80), there are about 200 known occupa- tional designations in Sweden up until the middle of the 16th century.

5. Overview of occupational designations for women in the council records of Stockholm 1483-1492 (STb 2)

Women are very seldom mentioned as having a profession, and occupational des- ignations are extremely rare (see RYMAN 2015: 181f.). The following are all the cases in STb 2, 1483-1492: Cristin bryggessa (K. breweress), Cecilia bryggerske (C. breweress); Birgitta dochavaskersken (B. the headwear(?)-laundress); Cecilia laterska (C. bloodletter), Birgitta laterske (B. bloodletter) and finally Lussy skøerske, who probably served as a scrubber of guests in a bathing house. Relatively speaking, there is a high number of women mentioned anony- mously, using an occupational designation: bryggessan (the breweress), Helge andz hws bryggerskan (the breweress of the Hospital of the Holy Spirit); docha waskerskan (the headwear(?)-laundress). Also mentioned are a syltakona (a wom- an preparing dishes from offal) and a barna modersche (midwife). This solely cat- egorising usage indicates unfamiliarity and probably low status. We may remem- ber the breweress in section 2, who was first mentioned as “the woman who sat in the brewery house” and who remained anonymous in the testimonies. DAHLBÄCK (1987: 88, 98) gives the following female professions from the tax records of 1460 (here rendered as designations in the form given by SÖDERWALL and with the number of women in parentheses): bryggirska, bryggissa (4), vævirska ‘weaveress’ (3), sømkona ‘sewing woman’ (2), latirska (1), sylto kona (1). The designations sækpipirska and skræddirska, also given by DAHLBÄCK, are almost certainly to be understood as used about wives of a tailor (skræddare) and a bagpiper (sækpipare) respectively. An interesting case in the tax records of 1464 (SSb 1: 168; 97, 133) which is given by DAHLBÄCK (1987: 99), concerns a bikaramakirska (uxor Birgete begermakerske) who in all probability is the widow of a bikaramæstare ‘tankard maker’ (written Jønis bigermester 1462, uxor Jøns begermesters 1463). He concludes that wife Birgitta has exercised her right to continue the workshop of her husband for the period of one year after his death.

6. Soldiers and merchants

Some additional light to the use of occupational designations may be provided by the usage for groups of professional men who are not often identified by their occupation. Two such groups are soldiers (to use an anachronistic term) and merchants. Occupational designations in late medieval Stockholm 213

A term that sometimes is used for soldiers in late medieval Sweden is hofman (literally “court man”, a word with various meanings, including ‘noble’, but at this time perhaps mainly used about warriors of lower rank). We have already met Klaves Slatte, who by one witness was characterised as “one my lord’s serv- ant”. This is an expression that is sometimes used for soldiers in the sources; the lord in question is probably Sten Sture, the regent. When Klaves Slatte later ap- pears in person before the court he is identified by means of his forename and byname, without any hint of his profession. This is probably typical of this group of men. Probably, they are mostly not identifiable in the material, and in STb 2, 1483-1492, hofman is used only once in apposition to a name (Jøns An- dersson hoffman, STb 2, 567). Another case is the anonymous Cristiern Johanssons suen (K. I.’s man, STb 2, 366), where Kristiarn Iohansson is a squire and a member of the council of the realm. In STb 2, I have found an additional ten men who are likely soldiers and mentioned anonymously as a hofman, a sven and the like. In addition, in a tes- timony about a ruse to get into the castle of Stockholm, there appears a fictive person who is called “one my lord’s servant” (STb 2, 120). In 1479, a number of hofmæn are mentioned anonymously for committing a crime and for not being able to pay their fines (STb 1, 219). We later, indirectly, can identify them as Olaff Bagge, Laurens Mattsson, Inge Laurensson and Peder Knutsson (ib., 220 f.). These men are certainly soldiers of low rank and status, which is underlined by Laurens Mathiasson being unable to muster a guarantor for his fines and ending up executed. According to DAHLBÄCK (1987: 85) there are two horsemen and two gun- men in the tax records of 1460 (Swedish ryttare and skytte). However, these ap- positions are better explained as the German family names Rüter and Schütte, even though another designation in the tax record, (Mattis) bøsskytta (SSB 1, 11), belonging to a crossed out entry for a person not paying any tax, probably belongs to an artillerist (Sdw bysso skyttare from MLG büssenschütte(r)). There may not have been any fitting occupational designation used for pro- fessional military men. Probably the profession did not fit the ideology and mentality of the time. A widely used term for a professional soldier did not enter the Swedish language until around 1520: knekt (from German knecht, ‘[young] man, servant, soldier’ etc.). For merchants, maybe surprisingly, the situation is in one way similar to that of hofmæn. The occupational designation køpman is almost never used, and the text seldom states that a man is a merchant. A merchant would simply be an Olaff Holmgersson (STb 1, 344) or a Hanis Fælztorp (ib., 323). But unlike com- mon soldiers, this is an elite in the city. 214 Lennart Ryman

One likely reason for the absence of occupational designations for merchants could of course be that the profession was too common for the designation to be identifying. I would propose, however, as the main reason, and in accordance with earlier suggestions by historians, that merchants constituted a social in- group – specifically the group from which the city council was recruited. The members of this group would have been seen as as individuals, not as members of a collective. Conditions in contemporary Lübeck seem to have been similar in this respect, with very little use of occupational designations for merchants. (See DAHLBÄCK 1987: 80-83, HAMMEL 1987: 100, LAMBERG 2000: 510f., LAMBERG 2001: 30, RYMAN 2016: 33-35.) The usage for merchants gives us a few glimpses of the principles behind the system studied here: In a few cases, merchants who are identified by means of an occupational designation get an additional explanation to show that the des- ignation is misleading., e.g. Clauus screddere køpman (K. tailor merchant, STb 2, 333). Even clearer is another instance: Klauus sartor ok Mattis sartor, køpmen bade (K. tailor3 and M. tailor, both merchants, STb 2, 259). In another source from Stockholm, we get a full explanation of the circumstances at hand: hustru Cecilia Hanis skrædaras ok nw køpman ær (wife C., H. tailor’s [wife] and now is a merchant, 1454, HLG 1, 61); i.e. Hans tailor is now a merchant and not a tailor any more.

7. German linguistic influence

As noted in the introduction, the language of Stockholm was much influenced by Low German. This is the case for occupational designations as well; they are to a great degree loan words from west Germanic languages, particulary Low German, even though there are also a good number of native formations (see ÅSDAHL HOLMBERG 1989). To give an impression of German linguistic influ- ence, figure 1 is arranged with examples from a high to a low degree of German influence.

Swedish Middle low German 1 skræddare schrder; schrâdere, schrêdere 2 bardhskærare bārtschērer(e) 3 stads thiænare statdêner

–––––––— 3 The use of a latin occupational designations (limited almost exclusively to sartor ‘tailor’ and sutor ‘shoemaker’) seems to have no effect on usage. Occupational designations in late medieval Stockholm 215

4 skomakare schômāker(e) 5 draghare drēger 6 grof smidher grofsmit 7 kanno giutare kannengêter 8 kniva smidher cf. mestsmit 9 gryto giutare cf. grōpengêter 10 køp sven cf. kôpknāpe 11 bya sven cf. statdêner

Fig. 1: Examples of Swedish occupational designations for men and the corresponding MLG designations according to SÖDERWALL, Mittelniederdeutsches Handwörterbuch and MOBERG 1989: 202f. The forms present in the court records can differ significantly from the headwords in SÖDERWALL. In case 1 in figure 1, the word is completely foreign to Swedish, except for the fa- miliar suffix -are.4 In case 2, the first element is wholly foreign to Swedish, where- as in cases 3 and 6 the first elements consist of German loan words and in case 4 of a common Germanic word. In cases 3 and 4, the second elements are borrowed from German. In cases 2 and 6-11 the second elements consist of Swedish or common Germanic words. In cases 7-11, the results appear as fully Swedish. As can be seen, the transfer from one language to another is facilitated by the close- ness between Swedish and Low German and by graphemic/phonological as well as morphological and lexical adaptations to Swedish. Case 5 ‘porter’ could be termed a semantic loan, as the native and primary meaning of the verb dragha in Swedish is ‘draw’, not ‘carry’. Cases 3 and 11 are synonyms for ‘city servant’. In the court records of the town of Arboga 1451-1569, the native Swedish bya sven is the designation used, with an instance as late as 1533 (ATb 3, 402, ATb 4, 264). In the court records of Stockholm the German loan word stads thiænare is the normal designation, even if the native word is not unknown (STb 1, 158, STb 3, 407 f.). For one case of variation between the court records and another source from Stockholm, see SMP under Iørian, 1510 16/10. A special case is Swedish skipare (corresponding to MLG schiphêr(e), schip- per ‘Eigentümer eines Schiffes [...] Kapitän’). As an apposition, the designation seems to be normally written skipper and the like. Interestingly, it is normally prepositioned, and not seldom combined with a byname only, which may be a

–––––––— 4 See MOBERG 1989: 202-204, who also discusses the Swedish form vari- ation: -are, -ere, -er etc. 216 Lennart Ryman

German family name (see MODÉER 1949), e.g. skippar Oldenborg (STb 2, 16). The common usage for other occupational designations is that the designation is postpositioned to the forename, as we have seen above, or, less commonly, postpositioned to a forename plus byname or patronymic, as in Ewerdt Bran- denborgh guldsmit or Nic. Nielsson dragere (STb 2, 426, 515). The special usage for skipare is clearly due to foreign linguistic influence. As we have seen, female occupational designations are few in number. In figure 2, all the instances in STb 2 are presented with their MLG counterparts.

Swedish Middle low German 1 barnamodhirska cf. bademôder, -mômesche 2 bryggirska brûwersche 3 bryggissa — 4 duka vaskirska cf. waschersche 5 latirska cf. lâter 6 skøirska cf. schrer 7 sylto kona —

Fig. 2: Swedish occupational designations for women in STb 2 and the corresponding MLG designations according to SÖDERWALL, Mittelniederdeutsches Handwörterbuch and MOBERG 1989: 205. The forms present in the court records can differ significantly from the headwords in SÖDERWALL.

As can be seen from figure 2, the designations for women depend heavily on the suffix -ska, corresponding to MLG -ersche.5 As we have seen, this suffix can be used for a woman in a certain profession as well as for the wife of a man in a certain profession, even though the former use is more common in the sources. In case 1, the first element is Swedish, while the second element has acquired the German suffix -ska. In case 7, the first element is a loan word, corresponding to MLG sülte, although the second element is Swedish, kona ‘woman’. Regarding German family names in Stockholm which originally are occu- pational designations, they are often hard to distinguish from the corresponding Swedish formations, used as occupational designations. There may have been a common practice to adapt family names to Swedish in much the same manner as designations. However, a few cases where family names are written in a more

–––––––— 5 See MOBERG 1989: 204f. She also dicusses the suffix -issa, corresponding to MLG forms in -se. Occupational designations in late medieval Stockholm 217

German form are these: One skippar Kannegiotare is in another instance written schipper Kannegeter (STb 2, 169, 612). A burgher of Lübeck is written Gert Scrøder aff Lubeka (1488, STb 2, 275), not Swedish Skræddare. At a later date, there is a burgher in Stockholm who is written Diric Potgeter and the like (SMP s.v. Didrik, 1509, ÅSDAHL HOLMBERG 1989: 90; cf. -giotare/-geter for skipper Kannengeter).

8. Conclusion

In this paper, I argue that occupational designations in the investigated texts, which should be representative of late medieval Swedish towns and cities in this regard, function both as designations and names. A number of arguments are presented in favour of this view. It may be too rash, however, to regard them as names. Particularly, they normally are not used in isolation to identify individu- als, in which regard they differ from bynames. Which professions were singled out for identification of its practitioners by means of occupational designations? One part of the answer would be that these professions typically were specialised, acknowledged and formally regulated. The social cohesion and professional pride that must have existed within these professions may have made it natural for these professional men themselves to be identified in this manner. Most of the professional men in question would belong to mid level strata of burghers in the city. From the perspective of the urban merchant elite they may have been seen as respected but inferior groups. This could possibly account for the double nature of the typical occupational designations: both individualising and categorising. Particulary interesting with regard to mentality are professions which do not fit into the system. Women earning their bread without being in service or act- ing on behalf of their husbands are an obvious case (section 5), as well as what was counted as unskilled labour. More perplexing but maybe no less enlighten- ing are the cases of professional soldiers and merchants (section 6). The system of professions and guilds had in large part been imported from Germany. Along with the professions came their designations – often borrowed directly. Thus, both the social structure and the lexicon were in large part a product of geographical and social diffusion (cf. RYMAN 2015: 183f.). This does not preclude that the Swedish system could show original traits compared to that of northern German cities and towns. Additionally, it is possible that the Swedish system of occupational designations conserved some traits that had disappeared earlier in Germany. This could be one factor behind the virtual ab- 218 Lennart Ryman sence of modern Swedish family names that originally are Swedish occupational designations.

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Martina Heer Historische Beinamen nach Berufs-, Amts- und Standes- bezeichnungen im Kanton Bern (Schweiz)

Nicli Achermann, Hans Gerwer, Uelj Kaeser, Hans Spilman oder Jacob Schmid sind ein paar Beispiele von Personennamen, die in Urbaren1 des 15. und 16. Jahrhunderts aus dem Gebiet des heutigen Kantons Bern in der Schweiz ver- zeichnet sind. Dabei handelt es sich um Berufsbezeichnungen wie den Acker- mann, den Gerber, den Käser oder den Spielmann, die sich zur Identifizierung einzelner Personen oder Familienverbände im Familiennamengut verfestigt ha- ben und bis heute als Familiennamen in der Schweiz erhalten geblieben sind (vgl. FNB 1968/1971). So auch die Namen Müller, Meier und Schmid, gegen- wärtig die drei häufigsten Familiennamen in der Schweiz (vgl. NÜBLING et al. 2012: 147).2 Die Tatsache, dass die Berufsnamen im Familiennamen nach wie vor verbreitet sind, weckt das Interesse, einen Blick ins Spätmittelalter bzw. in die Frühe Neuzeit zu werfen, in jene Zeit, in der sich die Familiennamen unter anderem nach Berufen oder amtlichen Tätigkeiten gebildet haben. In diesem Beitrag soll, anhand von Namenbelegen aus den erwähnten Berner Urbaren ein Einblick gegeben werden, welche Berufs-, Amts- oder Standes- bezeichnungen im Gebiet des heutigen Kantons Bern gebräuchlich waren und sich in den Familiennamen verfestigt haben. Des Weiteren soll dargestellt wer- den, inwiefern sie die Personennamenlandschaft der frühen Neuzeit repräsen- tieren bzw. die Stellung und Aufgaben der Menschen in einer Gesellschaft aus hauptsächlich ländlichen, teilweise voralpinen Regionen dokumentieren. Nach einem kurzen Überblick über das Korpus, das Quellenmaterial, das Untersuchungsgebiet sowie die wirtschaftliche Situation im spätmittelalter- lichen und frühneuzeitlichen Kanton Bern wird neben der Bedeutung auch auf

–––––––— 1 Als Urbare werden amtliche Abgaben- und Güterverzeichnisse, auch Grundbücher, bezeichnet. Sie verzeichnen die zu erhebenden Abgaben auf Grundstücken mit dem Namen der abgabepflichtigen Personen sowie der Nennung der Grundstücke (vgl. BENB I/5, LXII). 2 Auf den Namen Müller gehen insgesamt 26.617 von 2.409.921 im Online-Tele- fonverzeichnis search.ch registrierten privaten Telefonanschlüsse zurück (vgl. https://tel.search.ch); vgl. Barnaby SKINNER (2015): Alles Müller, in: Tagesanzeiger vom 5. Januar, unter: https://blog.tagesanzeiger.ch/datenblog/index.php/6859/alles-mueller -oder-was.

Onomastica Lipsiensia/OL 13 (2018), S. 221-233. 222 Martina Heer die Form und die Schreibung der untersuchten historischen Berufsnamen ein- gegangen.

Das Korpus – die Sammlung Bernische Personennamen aus dem frühen 16. Jahr- hundert

Als Korpus dieser Untersuchung dient die Sammlung Bernische Personennamen aus dem frühen 16. Jahrhundert von Rudolf J. RAMSEYER, welche durch Ram- seyers Tätigkeit am Ortsnamenbuch des Kantons Bern bei der Forschungsstelle für Namenkunde an der Universität Bern entstanden ist.3 Das historische Namenmaterial der Sammlung umfasst rund 90.000 Perso- nennamenbelege, die aus 75 Urbaren, drei Ausburgerrodeln/Ausburgerbüchern der Stadt Bern4 und dem älteren Udelbuch der Stadt Bern5 exzerpiert wurden.6 Die Quellen, insbesondere die Urbare, stammen aus dem deutschsprachigen Teil des Kantons Bern und werden auf die Zeit zwischen ca. 1350 und 1660 da- tiert. Die meisten Personennamenbelege gehen auf das 15. und 16. Jahrhundert zurück und machen somit den zeitlichen Schwerpunkt der Sammlung aus.7 Die Personennamensammlung ist noch nicht in einer Datenbank erfasst. Sie besteht aus einer alphabetischen Aufführung der Lemmata nach den exzerpier-

–––––––— 3 In der Zeit zwischen 1972 und 1991 exzerpierte Ramseyer neben historischen Flur- und Siedlungsnamen für das Ortsnamenbuch des Kantons Bern auch Personennamen aus Urbaren des 15. und hauptsächlich des 16. Jahrhunderts aus dem alten deutsch- sprachigen Teil des Kantons Bern. Sein ursprüngliches Ziel der Sammlung war „die inhaltliche Deutung aller Personennamen“ (RAMSEYER 1995: 109). Die Personen- namensammlung wurde von Ramseyer so konzipiert, dass sie jederzeit mit Personen- namenbelegen aus weiteren Quellen ergänzt werden kann (vgl. RAMSEYER 1995: 109). 4 Ausburgerrodel sind Verzeichnisse bzw. Listen von Personen (Ausbürger), die in einer Stadt das Burgrecht besassen, unabhängig davon, ob sie immer in der Stadt wohnten (vgl. BENB I/5, LIX). 5 Zurückgehend auf ahd. uodal, uodil ‘Besitztum’, bezeichnet Udel den Hausbesitz als Bedingung für das Bürgerrecht in der Stadt (Burgrecht). Wer kein Haus besaß, musste an einem Haus in der Stadt Udel nehmen und jährlich Zins, den sogenannten Udelzins, bezahlen (vgl. BENB I/5, LXII). 6 Die Urbare, die Ausburgerrodel/Ausburgerbücher sowie das Udelbuch befinden sich im Berner Staatsarchiv, der Burgerbibliothek Bern und dem Luzerner Staatsarchiv. 7 Tatsächlich stammen die Belege nicht nur aus dem frühen 16. Jahrhundert, wie es im Titel steht, sondern auch aus dem 15. Jahrhundert. Historische Beinamen nach Berufs-, Amts- und Standesbezeichnungen 223 ten Bei- bzw. Familiennamen. Jeder Namenbeleg ist mit der Angabe der Quelle8 sowie des Wohnorts der Person versehen und somit den ehemaligen Amts- bezirken des Kantons Bern, analog zum Ortsnamenbuch des Kantons Bern, den fünf Sektoren, zugeteilt (vgl. RAMSEYER 1995: 109f.; s. Abb. 1). Diese Einteilung und genaue Verortung der Belege dient einerseits der Arbeit am Ortsnamenbuch des Kantons Bern zur Dokumentation und Deutung der Orts- und Flurnamen. Andererseits ist es auch hilfreich für Untersuchungen im Bereich der Familien- namengeografie.

Abb. 1: Ehemalige Amtsbezirke des Kantons Bern und Einteilung in Sektoren (I: Seeland; II: Oberaargau, Emmental; III: Mittelland; IV: Oberland West; V: Oberland Ost).9

–––––––— 8 Die Quellenangaben der Urbare werden jeweils mit einem Quellenkürzel (U) und den jeweiligen Seitenangaben vermerkt. Zur Aufschlüsselung, siehe Quellenverzeichnis (vgl. BENB I/1-I/5). 9 Aus: BENB I/5, XIV. 224 Martina Heer

Urbare als Quellen

Wie oben erwähnt, dienten hauptsächlich Urbare als Quelle für die Personen- namensammlung. Dabei handelt es sich um Güter- und Abgabeverzeichnisse, die „der Wirtschaftsführung, der Verwaltung, der Rechts- und der Besitzstands- sicherung der Grundherrschaft dienten; sie waren Verwaltungsschriftgut (Akten) und Rechtsmittel (Rechtsquellen) zugleich.“ (DUBLER 2013: 654). Durch die genaue Auflistung bzw. Nennung der abgabepflichtigen Personen er- scheinen die Urbare als geeignete Quelle für die Namenforschung, generieren sie doch eine große Anzahl an Namenmaterial.10 RAMSEYER (1995: 114) führt diesen Vorteil der Quelle wie folgt aus: Urbare führen demnach nicht alle Parzellen einer Siedlung auf. Doch erwähnen sie bei der üblichen genauen Umschreibung der Gebäude, Wiesen und Äcker auch die bewirtschafteten Anstösser, so dass am Schluss zwar nicht der gesamte Grund und Boden einer Gemeinde erscheint, wohl aber alle zinspflichtigen wie zinsfreien Bauern und Gewerbetreibenden mehrmals genannt werden.

Die Urbare wurden von vielen verschiedenen Schreibern verfasst, was sich unter anderem in den Schreibvarianten der Namen zeigt. Je nach Schreiber weist die Schriftsprache und damit auch das Belegmaterial mehr Eigenheiten der Berner Kanzleisprache oder jener der Berner Mundart auf (vgl. RAMSEYER 1995: 119ff.). Bisher konnte von rund zwei Dritteln der insgesamt 75 Urbare die Schreiber nachgewiesen werden. Zu den bekanntesten zählen Cosmas Alder, Johannes Bletz, Hans Glaner, Eberhart von Rümlang, Johann Wannenmacher oder Lud- wig Sterner (vgl. RAMSEYER 1995: 120ff.).

Der deutschsprachige Teil des Kantons Bern als Untersuchungsgebiet

Die untersuchten historischen Personennamenbelege stammen, entsprechend ihren Quellen, aus dem deutschsprachigen Teil des heutigen Kantons Bern. Der flächenmäßig zweitgrößte Kanton der Schweiz befindet sich im Westen des Landes und erstreckt sich vom Berner Jura, dem französischsprachigen Kan-

–––––––— 10 Obwohl eine Menge an Namenmaterial aus den Urbaren gewonnen werden kann, muss immer auch beachtet werden, dass in dieser Quellengattung nur ein Teil der Bevölkerung jener Zeit erfasst ist, nämlich jene der „zinspflichtigen und zinsfreien Bauern und Gewerbetreibenden“ (vgl. RAMSEYER 1995: 114). D.h. es finden sich in den Urbaren, im Gegensatz zu Ehe-, Tauf- oder Sterberegister, nur wenige weibliche Personennamen. Historische Beinamen nach Berufs-, Amts- und Standesbezeichnungen 225 tonsteil im Nordwesten, über das Mittelland bis zu den Hochalpen im Süden des Kantonsgebietes. Das historische Namenmaterial umfasst demnach die Ruf- und Bei- bzw. Fa- miliennamen von Personen sowohl aus dem städtischen Umfeld (Stadt Bern, Biel, Burgdorf oder Thun) als auch, und dies hauptsächlich, aus ländlichen Re- gionen wie dem Seeland, dem Oberaargau, dem Emmental, dem Berner Mittel- land und in einigen Fällen aus voralpinen Gebieten wie dem östlichen und dem westlichen Berner Oberland. Es sind dies Namen von Personen, welche „überschneidenden Rechtsver- bänden [...]: einer dörflich-bäuerlichen Gemeinschaft [...], dem Pfarrsprengel, der Gerichtsherrschaft und der Grundherrschaft, einige zudem auch der Leibei- genschaft [angehörten, MH].“ (DUBLER/ZAHND 2003: 270). Die meisten Menschen jener Bevölkerungsschicht, waren in der Landwirt- schaft tätig. Nach PFISTER (2003: 268) machten die Agrarprodukte jener Zeit „den Hauptanteil der Exporte sowie (in Form von Zehnten) der Staatseinnah- men aus und bildeten auch die Rohstoffe für das Gewerbe“. Getreidebau (Drei- zelgenwirtschaft) und Viehwirtschaft (Kleinvieh- und Rindviehwirtschaft) wa- ren vom tieferen Mittelland bis in die Alpregionen verbreitet. Im 16. Jahr- hundert kam die Produktion von Hartkäse (westliches Berner Oberland und Emmental) hinzu. Für den Warenaustausch der unterschiedlichen Regionen spielten die Märkte in den größeren Ortschaften eine wichtige Rolle (vgl. PFIS- TER 2003: 268). Im 13. und 14. Jahrhundert war die Landwirtschaft auch für die Bevölkerung der Stadt Bern durch die Tätigkeit in den Allmenden, städtischen Wäldern oder Rebbergen von Bedeutung und das städtische Gewerbe versorgte vorerst die eigenen Bewohner. Pfister, Metzger, Gerber und Schmiede gingen als Vennergesellschaften hervor.11 Die Gerberei war ein namhaftes Exportgewerbe und so wurden im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit, neben Agrarpro- dukten, Leder und Felle exportiert, Eisen und Salz hingegen, aufgrund der spär- lichen Vorkommnisse, importiert (vgl. ZAHND 2003: 238). Bau- und Brennholz gelangte über den Wasserweg aus dem Berner Oberland in die Stadt Bern (vgl. PFISTER 2003: 269).

–––––––— 11 Diese städtischen Zünfte bzw. Gesellschaften der Stadt Bern hatten keine politische Rolle inne, weshalb sie ihre „im Grundsatz anerkannte Privilegierung des städtischen Gewerbes“ (ZAHND 2003: 238) gegenüber den Landschaften nicht durchsetzen konnten (vgl. ZAHND 2003: 238). 226 Martina Heer

Beinamen oder Familiennamen?

Das historische Namenmaterial der Sammlung ist nicht nur bezüglich des gro- ßen und geografisch vielfältigen Untersuchungsgebietes ergiebig. Die zeitliche Eingrenzung des Belegmaterials auf das 15. und 16. Jahrhundert ist ebenso dien- lich. In diesem Zeitraum nämlich ist der Festigungsprozess vom Bei- zum Fami- liennamen z.T. abgeschlossen. Somit ist die Sammlung für die Familien- namenforschung von großem Interesse. Es ist davon auszugehen, dass es sich bei den meisten Beinamen aus dem un- tersuchten Namenmaterial des Korpus um einen gefestigten Familiennamen handelt wie die folgenden Beispiele aus dem Mittelland aufzeigen: Benedict Mueller der Vischer12, Peter vnnd Bitzius Vischer, gebrueder13 oder Michell Kirsi Peter Kirsis sun14. Demgegenüber finden sich im Korpus auch einige Personennamenbelege, die zeigen, dass die Entwicklung vom Bei- zum festen Familiennamen im 16. Jahrhundert noch nicht beendet ist.15 Häufig steht zur weiteren Identifikation des Namenträgers neben dem Beinamen der Beruf oder ein weiterer Beiname, meistens mit dem Hinweis „genannt“ bzw. frnhd. gnempt. So beispielsweise Hanns Hoffman genant schnider16, Henslj Troeyer gnempt Weltj17 oder Thoman Ruedj genempt Loupscher18. Es ist anzunehmen, dass es sich bei den zusätzlich aufgeführten Beinamen um inoffizielle und somit nur in der jeweiligen (dörflichen) Gesellschaft gängige Namen handelt, die jedoch zur Identifizierung der genannten Person wichtig sind und deshalb in den Urbaren verzeichnet wurden. So kommt es denn auch zu Nennungen oder Verwendungen von unterschiedlichen Beinamen derselben Person innerhalb eines Urbars oder im zweiten Exemplar eines Urbars. Dem- entsprechend erscheint die Person Peter Küng, welche den Beruf des Gerbers

–––––––— 12 U 142, 17; Durch den Berufszusatz Vischer ist anzunehmen, dass es sich bei Mueller bereits um den gefestigten Familiennamen und nicht um den Beruf handelt. 13 U 97, 72v; Durch das Verwandtschaftsverhältnis wird der der Name Vischer als Fami- lienname bestätigt. 14 U 159, 55; Durch das Verwandtschaftsverhältnis wird der der Name Kirsi als Familien- name bestätigt. 15 Auf Grund dessen wird in diesem Beitrag der Terminus Beiname anstatt Fami- lienname verwendet. 16 U 31, 8. 17 U 148, 86. 18 U 8a, 35. Historische Beinamen nach Berufs-, Amts- und Standesbezeichnungen 227 ausübt, in einem Urbar als Peter Küng der gerwer19 und in dessen Parallelurbar als Petter Gerwer genannt Küng20.

Historische Beinamen aus Berufs-, Amts- oder Standesbezeichnungen – Auswertung des Korpus Anzahl der Beinamenbelege Das Korpus weist insgesamt 1.263 Beinamenbelege zu 145 verschiedenen Beina- mentypen nach Berufs-, Amts- oder Standesbezeichnungen aus. Allerdings ist zu beachten, dass aufgrund der Menge der Beinamen Baumgartner, Fischer, Gerber, Holzer, Meier, Müller, Scherer, Schmid, Schneider, Trachsel, Weber und Zimmermann nur eine Auswahl der Belege aus den Urbaren exzerpiert wurde, weshalb die genaue Anzahl leider nicht erfasst und die Anzahl von 1.263 Bele- gen als Richtwert zu betrachten ist. Zur Übersicht lassen sich die Beinamen gemäß DUDEN FN (2000: 31-38) den folgenden Berufsgruppen zuteilen: Landwirtschaft; Forstwirtschaft; Jagd und Fischerei; Nahrungsgewerbe; Tex- tilgewerbe; Leder- und Pelzherstellung und -verarbeitung; Metallverar- beitung; Holzverarbeitung; Tonverarbeitung; Baugewerbe; Gesundheits- und Körperpflege; Handel und Verkehr; Spielleute und Fahrende; Sonstige Be- rufe; weltliche und kirchliche Ämter, Stand, Rechts- und Besitzverhältnisse und Kriegswesen. Die Gruppen Stand, Rechts- und Besitzverhältnisse und Kriegswesen (176 Bele- ge) sowie jene der weltlichen und kirchlichen Ämter (175 Belege), weisen die meisten Belege auf. Einen hohen Anteil an Beinamenbelegen findet sich u.a. auch in der Berufsgruppe der metallverarbeitenden Handwerke (122 Belege), jener des Textilgewerbes (119 Belege) sowie in der Gruppe des Nahrungsgewer- bes (102 Belege).

Anzahl der Beinamentypen

Folgend die Übersicht zur Anzahl der verschiedenen Typen von Beinamen, auch in die entsprechenden Berufsgruppen eingeteilt:

–––––––— 19 U 129, 443 (2. Ex.). 20 U 129, 367 (1. Ex.). 228 Martina Heer

Abb. 2: Anzahl Typen von Beinamen nach Berufs-, Amts- oder Standesbezeichnung.

Die Gruppe der weltlichen und kirchlichen Amtsbezeichnungen macht mit 24 verschiedenen Typen wiederum die größte aus. Dazu zählen Beinamen wie Bannwart ‘Aufseher des Bannwaldes’, Forster, Keller ‘Verwalter und Rechnungs- führer eines Gutes; Vorgesetzter eines Wein- oder Bierkellers’, Pfleger ‘Aufseher, Vormund’, Schaffer ‘Verwalter von Gütern’, Weibel ‘Gerichtsbote, -diener’, Zinsmann oder Zoller. Die Amtsbezeichnungen Ammann und Schultheiss haben sich zu der Zeit noch nicht als Familiennamen verfestigt.21 In den Urbaren finden sich keine entsprechenden Namenbelege. Sie werden jedoch als Zusatz, zur genaueren Be- zeichnung der jeweiligen Person angeführt:

–––––––— 21 Dasselbe gilt auch für den Berufsnamen Spengler: Petter Nagel, der spengler, U 87, 6. Historische Beinamen nach Berufs-, Amts- und Standesbezeichnungen 229

Jacob am Hubell, der amman22; Michel Sager, schultheiss23. Weitere Berufsbezeichnungen, die sowohl als Zusatz zur weiteren Identi- fikation der Person dem Beinamen angeführt sind, als auch als Berufsnamen im Korpus erscheinen, sind Wirt (Hans Mader der wirt24), Müller (z.B. Paulj Loeffel, müller25), Pfister (Hensli Huober der pfister26), (z.B. Hanns Giger, der schnider27), Waeber (z.B. Nicli Schnider, der weber28), Gerber (z.B. Michel Frÿ der gerwer29), Schuomacher (z.B. Toma Pfefferli der schuomacher30), Schmid (z.B. Hanns Künngÿsenn der schmid31), Vogt (z.B. Hanns Meÿer, landtvogt32), Weibel (z.B. Cristan Kirsi, weibel33), oder Venner (z.B. Hanns Haffner, vaenner34). 16 verschiedene Beinamentypen lassen sich der Kategorie Stand, Rechts- und Besitzverhältnisse und Kriegswesen zuordnen. Es sind dies Beinamen wie Hofer, Hoffstetter35, Junker, Leman, Meyer oder Widmer. Die Berufsgruppe der holzverarbeitenden Handwerke zählt 14 verschiedene Typen von Beinamen, u.a. folgende: Kiener ‘Handwerker, der Kienholz spänt und verkauft’, Kistler, Kübler ‘Hersteller von Kübelgeschirr’, Loeffler, Schindler, Treyer ‘Drechsler’, Wagner ‘Wagenbauer’, Wanner ‘Hersteller von Wannen’. Eine ähnliche hohe Anzahl an Beinamen (12) geht auf metallverarbeitende Handwerke zurück: Helmer ‘Helmschmied’, Kessler, Kupferschmid, Pfanner ‘Pfannenschmied’, Schmid, Schlosser, Segisser ‘Sensenschmied’. Diese Zahlen aus den beiden Gruppen sind nicht erstaunlich, werden doch viele alltägliche Gegenstände aus Metall oder Holz hergestellt, was entsprechend viele unterschiedliche Handwerke hervorgebracht hat.

–––––––— 22 U 97, 386v. 23 U 95, 115r. 24 U 159, 319. 25 U 102, 83r. 26 U 39, 5. 27 U 13, 289. 28 U 48, 140r. 29 U 119, 36. 30 U 31, 18. 31 U 95, 71v. 32 U 161, 331N. 33 U 159, 216. 34 U 31, 303. 35 Wobei Hofer und Hofstetter auch Herkunftsbezeichnungen sein können, zu einer Siedlung, einem Hof, oder einer Hofstette. 230 Martina Heer

Zwischen 7 und 11 verschiedenen Beinamentypen weisen die Berufsgruppen Landwirtschaft (z.B. Achermann, Geisser ‘Ziegenhirt’, Maeder ‘Mäher, Landar- beiter’), Nahrungsgewerbe (z.B. Kaeser ‘Käsehersteller’, Metzger, Müller), Textil- gewerbe (z.B. Schneider, Seiler, Waeber), Handel und Verkehr (z.B. Hodler ‘her- umziehender Kleinhändler’, Ferren ‘Fährmann, Schiffer’, Kramer), Spielleute und Fahrende (z.B. Giger ‘Geigenspieler’, Liriman ‘Leierdreher’, Spilman), Leder- und Pelzherstellung und -verarbeitung (z.B. Gerber, Kürsener ‘Handwerker, der Tier- felle bearbeitet und Pelzbekleidung herstellt’, Schuomacher) und sonstige Berufe (z.B. Hurner ‘Hornverarbeiter’, Kammacher, Siber ’Hersteller von Sieben’) aus. Folgenden Berufsgruppen können jeweils nur wenige (zwischen einem und fünf) verschiedenen Beinamen zugeordnet werden: Gesundheit- und Körper- pflege (z.B. Bader, Heiler ‘Tierarzt, Tierkastrierer’, Laesser ‘Bader, der auch zur Ader lässt’), Baugewerbe (z.. Murer, Ziegler, Zimmermann), Jagd und Fischerei (z.B. Amsler ‘Amselfänger, Vogelsteller’, Vischer, Vogler), Forstwirtschaft (z.B. Holzer, Houwer ‘Holzhauer’) und Tonverarbeitung (z.B. Hafner ‘Töpfer’).

Varianten von Beinamen

Die Berufsbezeichnungen in den historischen Beinamen aus dem Kanton Bern zeigen jene für den schweizer- bzw. Süddeutschen Sprachraum typischen Be- zeichnungen auf: Hafner vs. Töpfer, Euler oder Pötter (vgl. DFA 2016: 198); Sigrist vs. Küster, Mesner, Mesmer (vgl. DFA 2016: 653); Metzger vs. Fleischer, Fleischhauer (vgl. DFA 2016: 154); Kübler, Küeffer vs. Böttcher (vgl. DFA 2016: 314ff.); Wagner vs. Rademacher, Stell- macher (vgl. DFA 2016: 303); Pfister vs. Bäcker (vgl. DFA 2016: 126ff.); Treier vs. Drechsler (vgl. DFA 2016: 294ff.).

Varianten von Beinamen, die auf denselben Beruf zurückgehen, finden sich auch im Korpus selbst: Holzer – Houwer (für Holzfäller); Schnider – Schröeter (für Schneider); Schuomacher – Suter (für Schuhmacher); Buetler – Taescher, Teschenmacher (für den Handwerker, der feine Lederwaren wie Beutel oder Taschen herstellt). So auch der Name Schmid und die französische Form Favre, welche hauptsächlich in den ehemaligen Amts- bezirken Ober- und Niedersimmental sowie Saanen, im Grenzgebiet zum franzö- sischsprachigen Kanton Waadt, belegt ist.

Wie bereits bezüglich der verschiedenen Urbarschreiber angedeutet, können dieselben Beinamen z.B. in der Schreibung von Konsonanten variieren: Historische Beinamen nach Berufs-, Amts- und Standesbezeichnungen 231

Arzet – Artzet; Pfanner – Phanner; Bropst – Propst; Pur – Bur; Forster – Vorster; Fischer – Vischer; Geiser – Geisser; Kupfferschmidt – Kuppfersmid; Schmid – Schmidt; Suter – Sutter.

Sowie in der Schreibung von Vokalen: Treier – Traeÿer; Goeuman – Gäuman; Hewer – Hoeüwer; Huober – Hueber; Hürner – Horner; Meier – Meÿer.

Mundartliche Kennzeichen

Die Beinamen in den Berner Urbaren weisen auch Kennzeichen der alemanni- schen Mundart auf. So die mittelhochdeutschen Diphthonge und die mittel- hochdeutschen Monophthonge, welche das Alemannische bewahrt hat: Buman (Baumann), Bütler (Beutler), Pfyffer (Pfeiffer), Tuber (Tauber), Gÿger (Geiger), Huoter (Huter), Ysenschmid (Eisenschmid), Küeffer (Küffer), Liriman (Leiermann), Murer (Maurer), Schnider (Schneider) oder Schuomacher (Schuh- macher) (vgl. KULLY 2009: 371).

Neben den Suffixbildungen auf -er finden sich parallel im Korpus Beinamen mit dem Grundwort -mann oder -macher wie beispielsweise Geisser – Geissmann; Huotter – Huottmacher; Kistler – Kistenmacher; Tescher – Teschenmacher; Wanner – Wannenmacher. Die untersuchten historischen Berufsnamen weisen keine Diminutivbil- dungen auf. Ganz im Gegensatz zu den indirekten Berufsnamen, die sich zahl- reich mit den Diminutivsuffixen -i und -li bilden (z.B. Haemmerli, Schaedeli ‘Holzbecher, aus mhd. schëdel36’, Löffeli, Hurni ‘Horn’), jedoch nicht zur Sparte der Berufs-, sondern zu jener der Übernamen zählen. Movierte feminine Formen tauchen nur vereinzelt im untersuchten Namen- material auf. Zu nennen ist: Kuttlerin ‘Fleischer, der Eingeweide reinigt u. Ver- kauft’.

Zusammenfassung

Anhand der Sammlung Berner Personennamen aus dem frühen 16. Jahrhundert konnte aufgezeigt werden, welche Arten von Berufsnamen sich bereits im Fami- liennamengut verfestigt haben. Die Urbare des 15. und 16. Jahrhunderts aus dem Kanton Bern repräsentieren einen wertvollen und umfassenden Namen-

–––––––— 36 Vgl. EBNER 2016: 621. 232 Martina Heer schatz der Beinamen nach Beruf, Amt- und Standesbezeichnungen jener Zeit. Und sie spiegeln zugleich dialektale Eigenheiten des Alemannischen. Die Namen gehen auf Berufs- und Tätigkeitsbezeichnungen zurück, welche für ein ländliches Gebiet in mittelalterlicher und spätmittelalterlicher Zeit vor- stellbar sind. Sie bieten eine Vielfalt in den verschiedenen Berufsfeldern mit teil- weise ausgestorbenen Berufen und Tätigkeiten, denen es sich in weiteren Unter- suchungen nachzugehen lohnt.

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Karl Hohensinner Familiennamen aus Berufen in Österreich

1. Einleitung Diese Darstellung baut auf den namenkundlichen und dialektologischen For- schungsprojekten am Adalbert-Stifter-Institut des Landes Oberösterreich auf. Die verwendeten Materialien stammen aus den Projekten – Sprachatlas von Oberösterreich (SAO) – Oberösterreichischer Familiennamenatlas (OÖFA) – Ortsnamenbuch des Landes Oberösterreich (OÖONB) Die Kartenbeispiele für Appellative im Bundesland Oberösterreich (weiterhin OÖ., das ist geografisch betrachtet der westliche Teil des österreichischen Do- nauraumes) aus dem Sprachatlas von Oberösterreich (weiterhin SAO) wurden für diesen Beitrag von Stephan Gaisbauer adaptiert. Die Kartenbeispiele aus dem „Familiennamen-Atlas von Oberösterreich. Namen und Berufe“ werden hier erstmals in farbiger Ausführung reproduziert. Die österreichweiten Ver- teilungen von Familiennamen (weiterhin FamN) sind den in den letzten Jahren angelegten, noch weitgehend nicht publizierten Materialien und Auswertungen zu österreichweiten FamN-Verteilungen entnommen. In diesem Beitrag stehen Verteilungskarten von FamN und Appellativen im Zentrum. Diese sollen vergleichend betrachtet werden und dazu Fragestel- lungen entwickelt werden wie: – Können anhand des vorhandenen Datenmaterials gleiche oder ähnliche sprachliche Erscheinungen sowohl auf appellativischer Ebene als auch auf proprialer Ebene dargestellt werden? – Was leisten Sprachatlas-Karten zur Deutung von FamN-Verteilungen? – Können Sprachatlas-Karten zur Entwicklung von Fragestellungen in der FamN-Forschung herangezogen werden? – Können aus bestimmten Verteilungsmustern Rückschlüsse auf die Ent- stehung und Semantik von FamN gezogen werden? – Lassen bestimmte FamN-Verteilungen in Kombination mit Sprachatlas- Karten und urkundlichem Belegmaterial Schussfolgerungen auf diachro- ne Namenschichtung zu? – Welche historischen Appellative werden in FamN tradiert?

Onomastica Lipsiensia/OL 13 (2018), S. 235-270. 236 Karl Hohensinner

Diesen Fragestellungen wird in diesem Beitrag exemplarisch anhand teils über- regional üblicher, teils anhand nur regional verbreiteter FamN, die in Zusam- menhang mit Berufsausübung zu sehen sind, nachgegangen. Geografisch gese- hen wird vom Bundesland Oberösterreich ausgehend der Blick auf das gesamte Bundesgebiet der Republik Österreich gelegt.

2. Die Relation von FamN der Gruppe „Herkunftsnamen“ zur Gruppe „Berufs- namen“

FamN, die auf Berufsausübung hinweisen oder die aus Bezeichnungen für be- stimmte Handwerker in den aktuellen Bestand der FamN übergegangen sind, sind regional von unterschiedlicher Häufigkeit im Vergleich zu anderen Bil- dungstypen von FamN. Als Basis der Familiennamengebung wurden oft Her- kunftsnamen zu sehr kleinen Siedlungseinheiten und Einzelhöfen herangezo- gen. Diese Herkunftsnamen sind häufig -er-Ableitungen, es treten aber auch andere Ableitungen auf, wie z.B. -inger oder -erer. Bestimmte Typen von Hof- namen können auch ohne Ableitungssuffix als FamN in Gebrauch genommen werden. Um die Häufigkeit von bestimmten Berufsbezeichnungen zu anderen Bil- dungsgrundlagen einschätzen zu können, werden hier einige Beispiele von -er- Ableitungen und -inger-Ableitungen zu besonders produktiven Kleinstsied- lungen aufgelistet. Die Beispiele für die Herkunftsnamen sind geografisch ge- streut, die Beispiele für die Berufsnamen sind so gewählt, dass eine Ver- gleichbarkeit zwischen Berufen möglich ist. Als Datenbasis dienen jeweils Ver- zeichnisse der Grundbesitzer und Grundbesitzerinnen in Oberösterreich um 1830. Von allen Grundbesitzern in OÖ. um 1830 heißen z.B. 48 Personen Ra- fetseder und 171 Personen Binder. Von einmaligen Kleinstsiedlungen abgeleitete FamN: Rafetseder 48 Leibetseder 43 Leonhartsberger 42 Zeppezauer 37 FamN zu Kleinstsiedlungen die mehrfach parallel gebildet wurden: Aichinger 264 Haslinger 212 Steininger 215 Wiesinger 301 Familiennamen aus Berufen in Österreich 237

FamN aus Berufsausübung: Binder 171 Dechsler 67 Fischer 202 Fleischhacker 8 Metzger 2 Hafner 7 Löffler 40 Schmied 226 Schneider 33 Schreiner 84 Tischler 37 Wagner 299

Der Vergleich zeigt, dass die Namen Fleischhacker, Metzger, Hafner, Löffler, Schneider und Tischler statistisch nicht häufiger sind als die möglichen Her- kunftsnamen zu sehr produktiven Einzelhöfen. Im Gegensatz zu Ableitungen von Kleinstsiedlungen, welche häufig nur einmal zu bilden waren (eine Ausnah- me sind die -inger-Ableitungen zu nicht auf -ing endenden Toponymen wie die oben gebrachten Beispiele), können Berufsnamen mehrfach parallel gebildet sein. Dies legen jedenfalls die Verteilungskarten nahe, welche unterschiedliche Verteilungsstrukturen aufweisen. Herkunftsnamen tendieren häufig dazu, eine „Verteilungswolke“ (Häufungs- gebiet) zu bilden. Meist ist bei tiefergehender Archivrecherche der Ursprungs- punkt (Herkunftsort) in geografischer Nähe festzustellen und der Ablösungs- vorgang des FamNs vom Toponym anhand von Quellen (Steuerverzeichnisse der Grundherrrschaften und Kirchenbüchern) zu dokumentieren. Berufsbezeichnun- gen zeigen – sofern sie eine bestimmte Häufigkeit aufweisen und nicht auf ein einziges Elternpaar oder einen einzigen Hof zurückgehen – zumeist eine eher lo- ckere Streuung über größere Areale. Berufsnamen haben auch die Tendenz, be- reits in vorindustrieller Zeit auf Verkehrswegen zu wandern. Diese Tendenz ist bei Ableitungen zu Kleinstsiedlungen kaum feststellbar, was in der sozialen und rechtlichen Situation der Namenträger (Handwerker versus Bauern) begründet sein dürfte. Wenn Berufsbezeichnungen im Kartenbild „Verteilungswolken“ zei- gen, so kann dies entweder durch das örtlich häufige Vorkommen eines Berufes oder durch das regional leichter oder schwerer mögliche Eindringen einer Berufs- bezeichnung in den Bereich der Namen begründet sein. Bei der Interpretation ist auch zu berücksichtigen, dass mittelalterliche Be- rufsbezeichnungen zu Hofnamen werden und so in den Bereich der Toponyme 238 Karl Hohensinner geraten können. Die Berufsbezeichnung dient dann zur Bezeichnung einer Wirtschaftseinheit mit dem zugehörigen Grund und Boden. Dies kann ein ein- zeln stehender Hof sein. Wird dieser Hof z.B. geplündert und entvölkert, so kann er auch ohne Bewohner seinen Namen weiterführen. Dieser Hofname kann später von Personen, die von der Grundherrschaft wieder dort angesiedelt werden, angenommen werden und bei der FamN-Bildung herangezogen wer- den. Beispielsweise kann ein Hofname Messerer aus mittelalterlicher Messer- erzeugung entstanden sein. Die Familie dieser noch mit der Berufsausübung in Zusammenhang stehenden Messerer kann bereits lange Zeit erloschen und die Messererzeugung auf Grund veränderter Produktionsbedingung in eine andere geografische Region verlagert worden sein. Trotzdem kann ein Hofname Messe- rer weiterhin existieren und im Rahmen der FamN-Festschreibung auf zufällig dort wohnende Personen übertragen werden (zum FamN Messerer siehe unten). In Zeiten mit Bevölkerungsverlust (z.B. vom 15. bis zum 17. Jahrhundert) pfle- gen die Grundherrschaften bei der Neuanlage von Urbaren auch die nicht be- wohnten oder bewirtschafteten Höfe innerhalb der üblichen Abfolge unter dem herkömmlichen Hofnamen und mit Angabe der üblichen Abgaben in das neue Kanzleibuch aufzunehmen. Der Gesamteintrag enthält anstatt des Eintrags für den Steuerpflichtigen – der bis in die 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts oft nur ein Vorname ist – einen Eintrag, der auf den Leerstand hinweist, wie z.B. „ist ainn Prandtstatt“, „oedt liegendt“ „unbestifft“. Ein Hofname kann etymologisch eindeutig den Toponymen, den Personen- namen, den Berufsbezeichnungen oder sonstigen Gruppen zuzurechnen sein. Sobald die Behörde den Willen hat, bevorzugt Hofnamen zur Bildung von FamN heranzuziehen, so geraten alle etymologischen Grundlagen in dieselbe Funktion. Die Entstehung und Weiterentwicklung eines FamNs verläuft in OÖ. sehr häufig folgendermaßen: – Zuerst besteht ein Hofname, der auch ohne Bewohner bestehen kann. – Der Hofname wird meist mit Ableitungssuffix, seltener ohne Ableitungs- suffix auf die Bewohner des Hofes als FamN übertragen. – Durch Heirat, Kauf und sonstige Mobilität gerät der FamN in die nähere Umgebung, später kann er weiterwandern. – Am Beginn der Mehrzahl der FamN in OÖ. steht eine Art „Präge- vorgang“. Aus vorgefundenem älterem Namenmaterial entsteht um 1600 häufig durch einen Vorgang einer sprachlichen Überformung oder durch Akzeptanz älteren Namen- oder Sprachmaterials ein Spektrum von FamN, das den Vorläufer des heutigen FamN-Bestandes bildet. Familiennamen aus Berufen in Österreich 239

– Der weitere Weg in der FamN-Entwicklung in OÖ. bis Ende des 19. Jhs. ist vor allem durch mehr oder weniger starke Aufspaltung und Zersplit- terung eines älteren FamNs in mehrere oft sehr stark voneinander abwei- chende Formen geprägt.

Für die Erklärung von Kartenbildern, welche die Frage nach der Verbreitung von Berufsbezeichnungen in FamN aufwerfen, ist immer zu beachten: Tritt der Name selten aber gehäuft in einer „Verteilungswolke“ auf, so ist einerseits damit zu rechnen, dass hier ein Hofname oder Ortsname als Ausgangspunkt zugrunde liegt, dessen Herkunft vielfältig sein kann und vor weiterer Bearbeitung erst ge- klärt werden muss, oder es liegt ein regional seltenes Gewerbe vor, dessen mög- liche Existenz erst nachgewiesen oder plausibel begründet werden müsste. Die beiden folgenden Karten zeigen im Vergleich zwei Verteilungsstrukturen: Vom Hofnamen Rafetseder abstammende FamN und der Berufsname Wagner (vgl. auch später folgende weitere Verteilungskarten von Binder und Schmied). Berufsnamen weisen eine Tendenz zu einer großflächigen, mehr oder weniger dicht gestreuten Verteilung auf.

Karte 1: Der FamN Rafetseder/Raffelseder mit Ursprungspunkt in OÖ. und NÖ. um 1830 (Regiograph). 240 Karl Hohensinner

Karte 2: Der FamN Wagner in OÖ. um 1830.

3. Semantik von Berufsnamen

Im österreichischen Donauraum treten Familiennamen auf, deren Motivation in der Ausübung eines Berufes vermutet wird. Es ist bekannt oder es wird ange- nommen, dass verschiedene Berufe am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit in bestimmten Gegenden existierten. Diese Berufe können die Entstehung von Familiennamen motiviert haben, sie müssen das aber auch nicht getan haben. Fälle sind verschieden gelagert: Ein Teil der untersuchten Familiennamen ist klar als Berufsname erkenntlich und für einen weiteren Teil lassen sich Wahr- scheinlichkeiten der Interpretation abwägen. Teils gibt es archivalische Quellen, die über diesen Beruf berichten, teils sind Quellentexte kaum oder nicht auf- Familiennamen aus Berufen in Österreich 241 findbar, weil der Beruf von der staatlichen Verwaltung wenig oder nicht geregelt war, wie z.B. das Flechten von kleinen Körben zum Gebrauch der Bäcker; die Tätigkeit der Krebsfischer, Pilzsammler, Pechsammler, Drechsler und Löffel- schnitzer. Die FamN Dechsler (mit Varianten) und Löffler beispielsweise treten am Nordrand Oberösterreichs auf, hier allerdings gehäuft. In diesem hochgele- gen und waldreichen Gebiet wurde verschiedenes häusliches Nebengewerbe ausgeübt. Über bäuerliche Nebengewerbe ist wenig Archivmaterial vorhanden oder liegt nicht erschlossen vor. Deshalb wird von sprachlicher Seite ausgehend angenommen, dass die im westlichen Bereich vorhandenen Löffler Holzlöffel er- zeugt hätten, die östlicher verteilten Drechsler hingegen gedrechselte Waren. Möglicherweise sind aber Löffler und Drechsler nur zwei unterschiedliche Be- zeichnungen für dasselbe oder ein ähnliches Berufsbild.

Karte 3: Der FamN Löffler in OÖ. um 1830. 242 Karl Hohensinner

Karte 4: Der FamN Drechsler in OÖ. um 1830.

3. Dialektologie und Familiennamenforschung

Sprachatlanten stellen Wörter und Lautmerkmale kartografisch dar. In ähn- licher Weise kann die FamN-Forschung die FamN, bzw. Lautmerkmale, die in diesen enthalten sind darstellen. Es wäre – theoretisch betrachtet – die Möglichkeit gegeben, dass ein mund- artliches Appellativ für ein Handwerk in nahezu identer Lautgestalt in den sel- ben oder ähnlichen Isoglossen im Bereich der FamN auftritt. Ein Vergleich wäre dann von großem wissenschaftlichem Interesse. Damit ein Vergleich möglich ist, muss folgendes gegeben sein: Familiennamen aus Berufen in Österreich 243

– Das Appellativ muss erhoben und kartiert worden sein. – Das Appellativ muss in den Bereich der FamN übergegangen sein und ein ausreichendes Vorkommen zeigen (quantitativ und in ausreichender Streuung). – Die Semantik des FamNs muss durch urkundliche Belege gesichert sein. Beispiel Fleischverarbeitung. Die Karten 5 und 6 zeigen die Verteilung der Ap- pellative Fleischhacker und Metzger in Oberösterreich auf Basis der Kartierung des SAO und auf Basis der Grundbesitzer um 1830: Das Datenmaterial des SAO ist dicht, da ein gängiges Wort des Alltagslebens vorliegt. Im Bereich der FamN sind Fleischhacker und Metzger zu selten als dass von Arealbildung gesprochen werden könnte. Die historischen Sondierungen in örtlichen Gewerbeordnungen des 16. bis 18. Jhs. zeigten ebenfalls diese beiden Bezeichnungen als gängig, so- dass kein anderes Wort, wie z.B. Fleischhauer, Schlachter, Stecher, Metzler, Flei- scher, Fleisch oder Fleischmann an Stelle von Fleischhacker und Metzger fest- stellbar ist. Auch weitere FamN-Abfragen für Oberösterreich (ca. 1830) brach- ten für andere vermutete Bezeichnungen für das Fleischergewerbe keine bzw. nur sehr wenige Nennungen.

Karte 5: Fleischhacker und Metzger im SAO. 244 Karl Hohensinner

Karte 6: Die FamN Fleischhacker und Metzger in OÖ. um 1830.

Beispiel Produktion von Seilen. Für das Appellativ Seiler liegt im SAO keine Ver- teilungskarte vor. Im Bereich der FamN ist das Appellativ fast nur nördlich der Donau in die FamN übergegangen. Die FamN-Form Seier, meist Seyr geschrieben wird auf Grund urkundlicher Hinweise, aber besonders auf Grund der komple- mentären Verteilung in Bezug auf Seiler als eine jüngere Mundartform angesehen. Lässt sich diese Annahme aus dem dialektologischen Befund heraus stützen? Handelt es sich bei Seier um eine durch l-Ausfall entstandene Variante von Seiler? – Stellvertretend für den kleinräumigen intervokalischen -l-Ausfall kann die Karte „Keller“ herangezogen werden. Der Vergleich zeigt eine geografisch überaus ähn- lich gelagerte Verteilung, sodass vor diesem Hintergrund Seier als regionale Vari- ante zu Seiler gedeutet werden kann. Familiennamen aus Berufen in Österreich 245

1830. um OÖ. in in FamN

Seier

und

Seiler

Karte 7:

im SAO. im SAO. r

von Kelle Karte 8: Varianten

246 Karl Hohensinner

Beispiel Produktion von Fässern und Bottichen. In Oberösterreich tritt um 1830 Binder als die alleinige Form auf, der SAO zeigt ein differenzierteres Bild: Fortis bzw. fortisierte Lenis tritt vor allem im oberen Mühlviertel sowie im Südwesten mit dem obersten Innviertel, dem Flachgau, dem Mondseeland und dem inne- ren Salzkammergut auf.

Karte 9: Binder in FamN in OÖ. um 1830.

Betrachten wir nun Binder auf dem gesamten österreichischen Bundesgebiet di- alektologisch und im Bereich der FamN: Der Deutsche Wortatlas (DWA) zeigt ein Verteilungsgebiet für Binder im Donauraum bis über den Alpenhauptkamm reichend. Im Süden, besonders in Kärnten und Tirol ist die Form Binter festg- estellt und in OÖ. in kleinen Zonen Binter bzw. Pinter. Die Verteilungsgrenze ist nur relativ grob dargestellt. Dieser Verteilungskarte werden Verteilungskar- ten von Binder im Bereich der FamN gegenübergestellt. Familiennamen aus Berufen in Österreich 247

Karte10: Binder/Pinter im SAO.

Karte 11: Binder (‘Böttcher’) im DWA (Band 9, Karte 1). 248 Karl Hohensinner

in FamN in Österreich aktuell (Regiograph). (Regiograph). aktuell Österreich in in FamN

r

Binde

Karte 12:

Familiennamen aus Berufen in Österreich 249

in FamN in Österreich aktuell (Regiograph). (Regiograph). aktuell Österreich in FamN

r

Pinte

Karte 13:

250 Karl Hohensinner

in FamN in Österreich aktuell (Regiograph). (Regiograph). aktuell Österreich in FamN r Binte Karte 14: Familiennamen aus Berufen in Österreich 251

Synchrone Betrachtung: Der Familienname Binder, der auf die Berufsbezeich- nung für den Fassbinder zurückgeht, findet sich in ganz Österreich in den FamN in dieser Form. Inlautendes -nd-, das auf ahd. -nt- zurückgeht, wird in einem relativ großen Areal als -nt- realisiert. Dieses umfasst neben dem Südbai- rischen vor allem das südmittelbairische Übergangsgebiet in Salzburg sowie der Steiermark und lässt sich vereinzelt auch im Mittelbairischen beobachten. Au- ßerhalb dieses Gebietes überwiegen jedoch die lenisierten Formen mit -d-. Die Häufung in Mittel- und Unterkärnten und vor allem im nördlichen Burgenland könnte durch den Umstand gestützt sein, dass Binder sowohl ins Slowenische als auch ins Kroatische entlehnt wurde (und dabei im Lehnwort jeweils mit -t- erscheint: pintar, pinter) und in beiden Spracharealen familiennamenbildend gewirkt hat (Pintar, Pinter, zahlreiche Ableitungen wie Pintarič, Pintarić, Pin- terović etc.). Daneben findet es sich als Lehnwort und Familienname auch im Ungarischen, und zwar ebenfalls mit -t- (pintér, Pintér). Im Burgenland sind die entsprechenden Familiennamen möglicherweise nach ungarischem Muster ver- schriftlicht worden, die Häufung der Formen mit -t- in der Steiermark wiede- rum kann eventuell durch Zuzug aus dem slowenischen Landesteil mit gestützt worden sein.

Diachrone Betrachtung: Zu diesem Zweck wurden urkundliche Schreibungen des Wortes sowohl in Appellativen als auch in Namen überblicksmäßig erfasst. Historische Schreibungen können mittelalterlichen und neuzeitlichen Urkun- den entnommen werden. Online zugänglich ist die Urkundenedition „Monas- terium“, die ausgehend vom österreichischen Donauraum nach und nach Ur- kundenbestände verschiedener Archive veröffentlicht. Abfragen in „Monas- terium“ ergeben folgendes Bild: Fast alle Nennungen zeigen im Anlaut p und im Inlaut den dentalen Foritsplosiv. Die Nennungen stammen großteils aus dem österreichischen Donau- und Alpenraum und aus den Nachbarländern (abge- fragter Bearbeitungsstand: Juli 2017): Pinter 275 Urkunden Pintter 50 Urkunden Pinder 12 Urkunden Pindter 10 Urkunden Binter 6 Urkunden

Die Abfrage zu Binder zeigt 125 Urkunden, doch findet sich der größte Teil die- ser „Treffer“ in den Regesten, das sind von Archivaren des 19. und 20 Jhs. An- gefertigte Kurzfassungen von Urkundentexten bzw. betreffen diese Nennungen nicht bairisch-dialektale Gebiete (z.B. Vorarlberg, Schweiz) oder es sind Nen- 252 Karl Hohensinner nungen aus jüngerer Zeit (18. und 19. Jahrhundert). Der Überblick über die Ur- kunden unterstützt die Annahme, dass Binder jene Form ist, welche älteres Pin- ter (mit Nebenformen) in der Neuzeit nach und nach verdrängte. Im Bereich der Appellative ist Pinter bis heute resthaft nachweisbar. Auch urkundliche Beispiele aus dem OÖONB (die Ziffernkombinationen geben Band und Artikel in diesem Werk an) zeigen historisch für OÖ. ein ähnli- ches Bild: 1492 Pintter auf dem Puhl für 7.1.7.2. Pichl. 1544 Pindter In Drattenpach; 1548 Pintter Im dratnpach; 1557 Pinter Im Dratnpach; 1613 Pindter im Trattenpach; 1716 Pinderguett in Tradtenpach für 7.6.7.8. Trattenbach. 1648 Mayr Zu Hainpach; Philip Pindter Zu Hainpach für 7.6.7.14. Hainbach. 1648 Fleischhackher Zu Leidtmanstorff; Pindter Zu Leitmanstorff; Peckh Zu Leitmanstorff für 7.6.7.28. Leihmannsdorf. 1636 Hafnerwerckhstadt Zu Lehenprun; Pinter Hofstadt Zu Lehenprun für 11.2.4.14. Lehenbrunn. 1557 Hanns Pinder zu Windtgföll für 11.6.7.21.Windgföll. 1564 Pinter im Altnschlag für 10.2.6.1. Altenschlag.

In Oberösterreich zeigt sich also historisch sehr häufig und dialektal aktuell in geografischen Randbereichen die Form Pinter. In den FamN ist die offenbar jüngere und druckersprachlich gestützte Form Binder dominant geworden. Be- trachtet man allerdings die Sprachkontaktzone zum Tschechischen, so zeigt sich, dass angrenzend in den Nordwesten von OÖ. in der tschechischen Bevöl- kerung der FamN Pinter eine gewisse Häufigkeit besitzt. Im Gegensatz zu ande- ren Nachbarsprachen wurde Binder nicht ins Tschechische entlehnt, sodass der FamN Pinter dort als deutschsprachiges Fossil in anderssprachiger Umgebung zu sehen ist. Somit konnte Pinter dort nicht mehr durch moderneres Binder er- setzt werden. Dies ist ein weiteres Indiz, dass die Form Binder eine jüngere, wohl kanzleisprachlich motivierte Form von Pinter ist. In dieser Entwicklung kommen wohl Schreibgewohnheiten zum Tragen, die in Wien ihren Ausgang nehmen. Es steht zu vermuten, dass in der frühen Neuzeit von den öster- reichischen Regierungskanzleien unterschiedliche Impulse zur Prägung von FamN ausgingen: Einerseits bestand eine Tendenz, Basisdialektales abzubilden, andererseits gab es eine bestimmte Bereitschaft zu teils auch nur volksetymolo- gischen Anschlüssen an die Druckersprache. Bereits ausgearbeitete und teils in Publikation befindliche Beispiele lassen Einflussgebiete der drei für das heutige Österreich wesentlichen Kanzleien vermuten bzw. erkennen: von der „Nieder- österreichischen Regierung“ in Wien, von der „Innerösterreichischen Regie- Familiennamen aus Berufen in Österreich 253 rung“ in Graz und von der „Oberösterreichischen Regierung“ in Innsbruck. In diesem Zusammenhang wären auch bayerische Üblichkeiten für einen Teil Oberösterreichs und ungarische Üblichkeiten für das Bundesland Burgenland zu berücksichtigen.

4. Direkte und Indirekte Berufsnamen Beispiel Eisenverarbeitung. Anhand der Berufe im Bereich der Eisenverarbeitung soll Einblick gegeben werden, welche FamN in diesem Zusammenhang entstan- den. Die älteste Schicht von FamN in dieser Berufssparte stellen wahrscheinlich die Satznamen (auch „Imperativische Namen“ oder „Schleifnamen“) dar. Im Rahmen der Quellenrecherchen zum Ortsnamenbuch des Landes Oberöster- reich entstand auch eine kleine Sammlung von Belegen zu Imperativischen Namen, welche 2005 publiziert wurde (die im Folgenden zitierten urkundlichen Beispiele sind dort mit Quellenangaben gebracht). Daraus ist ersichtlich, dass sehr viele dieser Namen in Zusammenhang mit wohl schon mittelalterlicher Eisenverarbeitung aufkamen und auch früh erblich wurden. Häufig ist der Bezug zur Eisenverarbeitung anhand des Namen- teils -eisen (später sehr oft -eis) zu erkennen. Weiter sind Verben und Appel- lative zu erkennen, die plausibel mit Eisenverarbeitung in Beziehung zu bringen sind. Diese können als Hinweise auf handwerkstypische Abläufe, Werkstoffe und Werkzeuge gedeutet werden. Mehrfach ist auch das Wort Zain enthalten. Dieses bedeutet meist eine Art Stabeisen, welches als Ausgangsform für ver- schiedene Produkte diente. Im 19. Jahrhundert war das Wort besonders in der Sensenerzeugung verbreitet. Seit alter Zeit wird in Österreich Eisen abgebaut, verarbeitet und in der Welt gehandelt. In der frühen Neuzeit ist der im Bun- desland Steiermark gelegene Ort Innerberg (später Eisenerz) mit dem sehr be- kannten „Steirischen Erzberg“ von großer Bedeutung. Das Eisen gelangt über das Ennstal nach Oberösterreich in den Bereich der Stadt Steyr, wo es von Ham- merschmieden und verschiedenen daran angeschlossenen Gewerben weiter- verarbeitet wird. Die dafür nötige Kohle liefern die wenig besiedelten und stark bewaldeten Gebiete der Kalkalpen, welche nach und nach in Bewirtschaftung genommen werden. Es entstehen Sensenschmiedezünfte im Bereich der Flüsse Enns, Steyr und Krems. Auch nördlich der Donau kommt es zu einer schwer- punkthaften Gründung von Hammerschmieden im Bereich der Stadt Freistadt. Die Gegend der Eisenverarbeitung im südöstlichen Oberösterreich, dem südwestlichen Niederösterreich und der oberen Steiermark wird als „Eisen- wurzen“ bezeichnet. Es handelt sich hier um ein vorindustrielles Eisenabbau- 254 Karl Hohensinner und Eisenverarbeitungsgebiet von europäischer Bedeutung. Anhand von Kar- tierungen ist erkennbar, dass in diesem Gebiet eine Konzentration von Satzna- men auftritt. Ebenfalls ist eine gehäufte Verteilung dieser Namen im Gebiet um Freistadt erkenntlich. Einige dieser Satznamen treten sowohl hier als auch dort auf, was einen wirtschaftlichen oder familiären Bezug der Namenträger und Namenträgerinnen nahelegt. Als Grundlagenwerk zur Thematik der Sensen- schmieden in Oberösterreich gilt das Werk von Franz Schröckenfux (1975), der einer alten Sensenschmied-Dynastie entstammt, welche selbst einen Satznamen als FamN trägt. Wie die Durchsicht dieses Werkes zeigt, tragen die meisten Sen- senschmiede allerdings keine Satznamen. Die Namenträger stehen eher am Be- ginn des neuzeitlichen Hammerschmiedewesens. Vermutlich wurden einige neuzeitliche Hammerschmieden von Personen gegründet, die von spätmittel- alterlichen Schmiede-Dynastien abstammten und deshalb berufstypischen Satz- namen trugen. So konnte dieser Namentyp noch jahrhundertelang regional im Bereich der Eisenverarbeitung weitergegeben werden. In Zusammenhang mit Eisenverarbeitung ist besonders an den FamN Schmied (in verschiedenen Schreibungen) zu denken. Dieser FamN tritt auch in Zusammensetzungen auf, wie z.B. Hammerschmied und Sengstschmied (Sensen- schmied). Extrem selten ist der FamN Hufschmied. Der doch regional häufige FamN Hufnagel und der seltene FamN Hufeisen dürften Übernamen für einen Hufschmied sein. Das genaue Berufsbild von „Schmied“ in OÖ. ist noch unklar. Verteilung und Belege lassen einen Zusammenhang mit Hammerschmieden unwahrscheinlich erscheinen. Am nächstliegenden sind Huf- und Wagen- schmiede. Möglicherweise trifft folgender Text das Berufsbild: 17. Jh. Es sollten auch die schmidten mit gueten huefschmiden versorgt sein, damit, wan landraisige leith und andre an die schmidten kommen, dieselben versechen sein. für Uttendorf (OÖ. WEISTÜMER IV, 111).

Familiennamen aus Berufen in Österreich 255

in OÖ. um 1830. um 1830. in OÖ. d

Schmie Karte15: Der FamN

in OÖ. OÖ. in

Hufeisen

und l

um 1830. um 1830. Hufnage

Karte16: Die FamN 256 Karl Hohensinner in Ö. aktuell (Geogen). in Ö. aktuell l Hufnag(e) Karte17: Der FamN Karte17: Der FamN

Familiennamen aus Berufen in Österreich 257

Karte 18: Die FamN Hammerschmied und Sengstschmied in OÖ. um 1830.

Im 17. Jahrhundert ist die Verbreitung des Namentyps der Satznamen in OÖ. im Bereich der Sensenschmiede auffällig höher als bei anderen Berufen. Die beiden gebräuchlichen Bezeichnungen „Satznamen“ und „Imperativische Na- men“ finden insofern ihre Berechtigung, als die Namen ursprünglich die Krite- rien eines Satzes erfüllen. Jeder weist ein Verb auf (z.B. recken, schwingen, wen- den) und ein Substantiv, das Objekt der Handlung ist (z.B. Eisen, Zain, Kohle, Schlägel), der Artikel ist meist nur in Schrumpfform erhalten (meist als -en oder -s). Die den FamN zugrundeliegenden Sätze sind imperativische Sätze. Sie for- dern jemanden auf etwas zu tun. Insofern könnte man die imperativischen Na- 258 Karl Hohensinner men auch als sehr frühe Zeugen von Mündlichkeit ansehen. Jemand hat im Mit- telalter eine scherzhafte Bemerkung getan. Üblicherweise ist eine derartige sprachliche Äußerung bald verflogen, doch im Fall der Satznamen wurde die scherzhafte Bemerkung konserviert und ist als sprachliches Fossil bis zu uns ge- langt. Die Satznamen sind ein geografisch weit verbreiteter und in der Literatur vielfach beschriebener Namentyp. Ernst Schwarz bringt Beispiele verschiedene Berufsgruppen betreffend. Aus dem Zunftgebrauche der Handwerker sind die sogenannten Schleifnamen hervorgewachsen. In der Gesellentaufe erhielten die Handwerker einen Spitznamen, den sie oft vererbten. Bei den Frankfurter Schlossern treffen wir im 15. Jahrhundert bei den Gesellen Namen wie Fleckeisen (eine Art sprödes Eisen), Hammer, Lilienfein, Schafflützel ‘schaff wenig’ […] Unter den eben genannten Gesellen befand sich einer der Kaufdasbier hieß und einen Satznamen trug. Bezeichnen solche die Berufstätigkeit, so können sie in die Gruppe der mittelbaren Berufsnamen einbezogen werden. Daß sie volkstümlich waren, wird nicht nur durch die Wortwahl, sondern auch durch die mundartliche Form des Artikels bewiesen (SCHWARZ 1949: 128).

Schwarz bringt auch Beispiele aus Bayern und Böhmen und Mähren, die den in OÖ. bekannten Fällen sehr ähnlich sind wie Schwingenköszl, Scheldenhammer, Sengenweycz, Findeisen, Haueisen, Hebeisen, Löscheisen, Hebnagel, Scheiben- schlegel. Das Appellativ Eisen bildet in OÖ. sowie in Österreich allgemein sehr häufig das Nomen von Satznamen: Brenneis: „Brenne das Eisen!“, möglicherweise in der Bedeutung: Bring das Eisen zum Glühen! Schreckseisen: urkundlich 1481 Peter Schregkseysenn; 1600 Jakob Schröckseisen, Sensenschmied, zum Verb schrecken, möglicherweise: in der Bedeutung „Schre- cke das Eisen in kaltem Wasser ab“. Kochseisen: Ende 14. Jh. des erbern manns Wernharcz des Chochseysen di zeit statrichter ze Veclaprukk möglicherweise in der Bedeutung „Koche das Eisen!“. Vielleicht ist darunter zu verstehen: „Bring mit dem Eisen Wasser zum Kochen!“ Bis in die 1950er Jahre war es in OÖ. bei Hammerschmieden üblich, am Abend das Wasser für die Körperreinigung gleich in der Werkstatt in einem hölzernen Gefäß mit einem Stück glühenden Eisen zu erwärmen. Sprengseisen: ca. 1600 Wolf Sprengseysen; Wolf Sprengseisen, „Mach das Eisen sprin- gen!“ zu mhd. sprengen „springen lassen“.

Familiennamen aus Berufen in Österreich 259

Karte 19: Der FamN Brenneis in OÖ. um 1830.

Karte 20: Der FamN Brenneis in Österreich aktuell (Geogen). 260 Karl Hohensinner

Die mittelalterlichen FamN auf -eisen werden unverstanden in verschiedener Weise umgedeutet und volksetymologisch angeschlossen. Eine vermutete ge- meinsame Herkunft von zwei oder mehreren FamN dieses Typs und somit der Nachweis eines FamN-Paares oder FamN-Bündels ist anhand gleicher oder ähnlicher geografischer Verteilung wahrscheinlich und muss durch urkundliche Belege bewiesen werden. Einige aktuelle Beispiele für sehr wahrscheinliche Zusammengehörigkeit von FamN aus Österreich sind hier in der Übersicht von der wahrscheinlich etymo- logisch näheren Form zur späteren Form gereiht: Reckseisen / Röxeisen / Röxeis, urkundlich 1544 Hanns Rechseisen, Schmied; Hanns Reckhseysen, Schmied daselbst; 1590 Christoff Reckhseisen, Huefschmidt zum Verb recken im Sinne von die die Länge oder Breite ziehen „Recke das Eisen!“. Die Schreibung mit -x- für -ks-zeigt, dass der Name bei dieser Verschriftlichung unverstanden war. Die Graphie lässt auch eine bereits falsche Silbentrennung vermuten: Re-ckseis. Unetymologische Silbentrennung ist in der Graphie vieler österreichischer FamN nachweisbar. Reisenzein / Reisenzan / Reisenzaun / Reisenzahn. Dialektal wird das Wort Zain mit geschwundenem n und nasaliertem Diphtong oa ausgesprochen, als dsoa. Umdeutungsmöglichkeiten sind motiviert durch klanglich sehr nahe Verwandt- schaft zu den Wörtern Zaun, dialektal mit geschwundenem n und nasalierten Diphtong ao, als dsao und dem klanglich etwas weiter gelegenen Wort Zahn, die- ses als dsaont mit leicht nasaliertem ao gesprochen. Klingseisen / Klingseis „Lass das Eisen klingen!“ Grundwort -eisen mit dem Bestim- mungswort mhd. klingen im Sinne von „klingen lassen“. Kaltseis / Kalteis, urkundlich 1635 Christoph Kaltseyßen; 1655 Christoph Katltseysen, wohl zu einem Verb wie halten, behalten, dialektal in OÖ. gehalten, mögli- cherweise im Sinne von „Behalte das Eisen!“. Die Umdeutung in Kalteis ist stark volksetymologisch motiviert in Hinblick auf Eis, welches naturgemäß kalt ist.

Familiennamen aus Berufen in Österreich 261

Karte 21: Der FamN Kaltseis in Ö. aktuell (Geogen).

Karte 22: Der FamN Kalteis in Ö. aktuell (Geogen). 262 Karl Hohensinner

Satznamen FamN mit zahlreicherer Verbreitung in den Regionen mit Hammer- werken: Löschenkohl: „Lösch den Kohl (die Kohle)!“ Möglicherweise ein Hinweis darauf, dass nach Feierabend die Kohle in der Esse gelöscht wurde. Scheuchenstuhl: „Scheue den Stuhl!“ Da hier eine signifikante urkundliche Verbrei- tung in Zusammenhang mit der Eisenverarbeitung festzustellen ist, könnte Stuhl hier eine Vorrichtung in diesem Bereich bezeichnen, vgl. historisches Scheu- chenhammer in OÖ., urkundlich 1481 Scheuchenhamer. Schreckenfux: „Bring den Fuchs zum Springen!“, von mhd. schrecken als Faktitivum „aufspringen machen, in Schrecken versetzen“. Was unter Schmieden des Spät- mittelalters als Fuchs zu verstehen ist, bleibt vorerst unklar.

Im Bereich der Verben tritt in Satznamen das Wort schwingen mehrfach auf. Dies ist leicht zu erklären, müssen doch Werkzeuge bei der händischen Eisenbe- arbeitung mit großer Kraft geschwungen werden, um die Bearbeitung durch- führen zu können, so in den FamN Schwingenschuh, Schwing(s)hammer und Schwing(en)schlögel. Das Zeitwort schwingen ist wohl in der heutigen Bedeutung zu sehen. Die in diesem Zusammenhang genannten Werkzeuge Hammer und Schlägel sind ebenfalls geläufig, bei Schuh könnte es sich um einen Hammer in Form eines Schuhs handeln, für dessen Existenz mir allerdings keine weiteren Belege zugänglich sind. In den Katasterakten ist bei den Grundbesitzern auch der Beruf angeführt, sodass festgestellt werden kann, ob um 1830 noch ein Bezug zwischen Trägern von Satznamen und Eisenverarbeitung angegeben werden kann. Auffällig ist der Zusammenhang noch bei den Namenträgern von Löschenkohl: Hier ist beim Großteil der Namenträger die Berufsbezeichnung Messerer oder Messerschmied angegeben. Es gibt zu dieser Zeit in OÖ. aber auch den FamN Messerer. Jene Personen, die um 1830 den FamN Messerer tragen, stehen mit diesem Beruf nicht in Zusammenhang.

Familiennamen aus Berufen in Österreich 263

Löschenkohl/Scheuchenstuhl/

1830. um Schröckenfuchs in OÖ.

Karte 23: Die FamN

um 1830. in OÖ.

Schwingenschuh/Schwing(s)-

hammer/Schwing(en)schlögel hammer/Schwing(en)schlögel

Karte 24: Die FamN

264 Karl Hohensinner

Karte 25: Der FamN Messerer in OÖ. um 1830.

Historische Überlieferungen, den Beruf der Messerer betreffend: In OÖ. ist die Messererzeugung seit dem Mittelalter belegt. Bedingt durch die Eisenpro- duktion und den Export von Eisenprodukten in andere Länder gab es auch viele Messerer. In den gedruckten Weistümern Oberösterreich betreffend sind mehr- fach Messerer genannt, z.B: 1559 Sunderlich haben wir des articl ihres befreiten jarmark halben uns bei den gwandtschneidern, schuestern, messerern, lezelter, pecken, peitlern, cramern, sattlern, sailern, kürsnern, riemern, weisgerber, segnstschmiden, lederern,nadlern und klamp- fern alhie erkundiget … (für Pregarten, WEISTÜMER I, 516). Familiennamen aus Berufen in Österreich 265

1623 Von den messerern. Ein ieder messerer – es sei ain wanderer oder behausster, so in der statt Griesskhirchen wohnund – soll sich seines handwerchsgebrauch nach verhalten bei der straff, so oben vermelt ist (für Grieskirchen, OÖ.WEISTÜMER III, 103).

Eines der umfangreichsten Quellenwerke zur oö. Landesgeschichte sind die „Linzer Regesten“. Diese wurde in den 1960 bis 1970er Jahren angelegt und bringen Abschriften, Auszüge und Zusammenfassungen von spätmittelalter- lichen und frühneuzeitlichen Schriftquellen die Landeshauptstadt Linz und ihre nähere Umgebung betreffend. Hier einige Fundstellen (Die Quellenangabe erfolgt nach der etwas unge- wöhnlichen Nummerierung der Bände und innerhalb dieser nach den jewei- ligen Ordnungsnummern): 58.) 1574 Jänner 29 Bittgesuch des Messerergesellen Claudius Prussy von Linz an den Stadtrat Steyr um Aufnahme in das Bürgerspital und Genehmigung einer Schlafstelle. 75.) 1576 November 25 Hans Wahinger, Messerer zu Linz, übersendet dem Rat der Stadt Steyr sein Anliegen in einer Erbangelegenheit. 96.) 1579 Juni 5 Der Stadtrichter von Steyr berichtet, daß sich ein Messerer aus Linz ohne Bewilligung in Steyr aufhält und hier eine Werkstatt errichtet hat. 114.) 1580 Oktober 21 Der Bürgermeister der Stadt Steyr bewilligt dem Linzer Bürger und Kurzmesserer Hans Gerngroß, Klingen zu verkaufen, doch muß er sie vorher einer Beschau unterziehen lassen. 211.) 1603 April 24 Die Messerer der Stadt Steyr kaufen auf dem Linzer Markt ohne Wissen des Rates „Pux“. 254.) 1610 April 2 Den Steyrer Messerern wird gestattet, auf dem Linzer Markt Geschäfte zu treiben. 554.) 1660 Feber 27 Der Stadtrichter Michael Zorn von Linz ladet den Messerer Geörg Haußer wegen 115 fl Linzer Marktschulden an Matthia Kapeter vor. 663.) 1682 Jänner 21 Die Messerer von Sierninghofen haben Waren im Werte von 1.200 fl mit Umgehung der Steyrer und Ennser Maut über Ebelsberg nach Linz gebracht, um sie von dort nach Prag zu verkaufen. 860.) 1745 November 26 Der Magistrat der Stadt Steyr behandelt den Plan der Messe- rer von Urfahr und Scharlinz, in Enns eine Niederlage begründen zu wollen. (LINZER REGESTEN, Bd. B III)

Eine weitere Fundstelle zeigt großräumige Beziehungen der Messererzünfte: 1287.) 1558 Dezember 7, Enns Richter und Rat der Stadt Enns berichten an König Maximilian II.: Ihre Gesandten, die sie zum Landtag nach Lincz geschickt hätten, hätten eine Bittschrift des Jobst Wintter, Messerergesellen aus 266 Karl Hohensinner

Schmalkalden erhalten, zugleich mit einem königlichen Ratschlag darüber. Sie könnten aber den Wintter nicht als Meister zulassen, da seit zehn Jahren zwischen den Städten Steyr, Waidhofen an der Ybbs, Wels, Enns und St. Pölten eine Abmachung bestehe, keinen Oberländer, der aus Schmalkalden, Nürnberg, Schwabach oder Wendelstein (Markt in Mittelfranken) stamme, als Meister zuzulassen. (LINZER REGESTEN, Bd. C III A 2)

Aus Sicht der FamN-Forschung ist der FamN Messerer durch historische Nach- richten über diesen Beruf ausreichend fundiert und seine mögliche Entstehung begründet. Aus heutiger Perspektive, also vor dem Hintergrund, aktuelle FamN in ihrer Herkunft beschreiben zu wollen, richtet sich das Augenmerk auf den Zeitpunkt der Festwerdung und erblichen Weitergabe eines FamNs. Somit sind Auflistungen von Handwerkern Grundlage für nähere Beobachtungen. Die Stadt Freistadt liegt nördlich von Linz, etwa auf halbem Weg von Budweis, wo- hin ein alter Handelsweg führte, auf dem vor allem Salz und Eisenwaren gehan- delt wurden. Für Messerer in Freistadt hier aus den Linzer Regesten zwei Nen- nungen aus dem 16. Jahrhundert von Aussagekraft: 194.) 1535 (Jänner 25), Freistadt. Im Verzeichnis des anlässlich des Paulimarktes eingenommenen Standgeldes erscheinen u. a.: Jorg, Huter zu Linz, für Hüte; Bonefentura, Huter von Linz, für Hüte; Simon, Messerer von Linz; Hans, Riemer von Linz; Leonhard, Riemer von Linz; Stephan, Messerer von Linz; Veit, Kürschner von Linz; Gürtler von Linz für Gürtel; Zopfmacher von Linz für Zöpfe; Sporer von Linz; Kramer von Linz. (LINZER REGESTEN, Bd. B II C 1)

In dieser Überlieferung sind als Kriterien zur Beschreibung von Personen der Vorname und der Beruf wesentlich. Dies sagt aber nicht aus, dass die jeweiligen Personen nicht in anderen Lebenszusammenhängen Herkunftsnamen oder Va- tersnamen geführt hätten. Ein ähnliches Verzeichnis etwa dreißig Jahre später erinnert bereits stark an heute in OÖ. übliche FamN. Unklar ist, ob z.B. Moriz Schwarzenberger mit dem Ort Schwarzenberg (Bezirk Rohrbach) oder einem anderen Schwarzenberg per- sönlich in Beziehung steht oder ob „Gürtler“ bereits ein erblicher FamN ist oder lediglich eine Berufsbezeichnung. 725.) 1568 (Jänner 25), Freistadt. Cristoff Reisinger und Paul Lehner, beide Bürger von Freistadt, verzeichnen den Empfang des Standgeldes für den Paulimarkt zu Freistadt, wobei u. a. genannt werden: Niclas Ambbtmanitsch, Schuster von Linz; Hanns, Messerer von Linz, Bärtlme Prustman, daselbst (zu Linz); Georg Anperger von Linz, (Klempner); Moriz Schwarzenperger von Linz, (Kupfer- schmied); Michael Aigner, Kumetner von Linz; Rueprecht Lanndawer von Linz; Familiennamen aus Berufen in Österreich 267

Cristoff, Gürtler von Linz Matheus, Gürtler daselbst (zu Linz); Michael Schmizperger von Linz, (Gschmeidler); Sigmund Lueg, Drechsler von Linz; Paull Frosch von Linz, (Handschuhmacher). (LINZER REGESTEN, Bd. B II C 2)

Von wesentlichem Interesse ist bei allen FamN, die aus Handwerksausübung stammen, die Frage: Wann wird eine Bezeichnung für Handwerker in einer Fa- milie erblich? Weiter ist die Frage von größter Bedeutung: Wenn einem Hand- werker nicht die Berufsbezeichnung als FamN festgeschrieben wird, welches Wortmaterial wird dann zur Bildung des FamNs für diese Handwerkerfamilie herangezogen? Am Beispiel eines eher spezifizierten und zugleich gut dokumen- tierten Gewerbes könnte dies dargestellt werden. Die Appellative Messer und Messerer treten schließlich auch in Ortsnamen auf, in OÖ. z.B. in Messerhub, Messerau, Messerer, Messerered, Messererho1z, Messerhaid, Messerlehen, Messermühle. (vgl. SCHIFFMANN 1935, Bd. 2: 173f.) Ohne urkundliche Belege können diese Namen nicht gedeutet werden. Beim FamN Messerer ist wie bei vielen Berufsnamen mitzudenken, dass auch ein To- ponym Ausgangsbasis sein kann. Im österreichischen Donauraum findet sich eine Häufung des FamNs Messerer im Bereich der Stadt Krems (zwischen Linz und Wien gelegen). Hier ist auch an einen Herkunftsnamen zum Ort mit dem Ortsnamen Messern nördlich von Krems zu denken.

5. Zusammenfassung Ein wesentlicher Teil der Beispiele gibt Einblick in das durch mehrere Para- meter bestimmte Verhältnis von Sprachatlaskarten zu FamN-Verteilungskarten. Ein weiterer Teil widmet sich dem Nachleben mittelalterlicher und frühneu- zeitlicher Lexik in aktuellen FamN. Dieses Verhältnis ist einerseits davon anhängig, ob ein Wort oder Merkmal sowohl im appellativischen Bereich als auch im proprialen Bereich aufscheint. Tritt das Merkmal nicht da wie dort auf, so ist es auch nicht vergleichbar. Das je- weilige Auftreten im entsprechenden Materialkorpus (Materialsammlung oder Publikation) ist allerdings historisch bedingt. Auf der Seite der Namen ist das Vorhandensein einerseits durch die Existenz eines Berufes begründet, andrerseits muss die Berufsbezeichnung aber auch in den Bereich der Namen übergegangen sein. Wann, warum und wo dies der Fall war, ist weitgehend noch nicht dokumentiert. Wenn der Beruf des Flei- schers/Metzgers nahezu nicht in FamN aufscheint, urkundlich aber bestens in Appellativen belegt ist, so sagt das Fehlen im Bereich der FamN nicht aus, dass 268 Karl Hohensinner es diesen Beruf nicht gegeben hätte, sondern er fehlt nur nahezu im Bereich der FamN. Auf der Seite der Appellative tritt ein Wort oder Merkmal auch immer in historischer Weise auf: Weiter zurück liegende Sprachschichten sind erreichbar durch urkundlich nachgewiesene Formen, z.B. aus Materialsammlungen mit re- gionaler Streuung. Der Zugriff kann z.B. über Nennungen in Ortsnamen- büchern (Appellative im Kontext) geschehen oder über Sammlungen von au- tomatisch durchsuchbaren Archivalien wie in der internationalen Urkunden- sammlung „Monasterium“. Daraus können Verbreitungen von Formen und Le- xemen in mehreren Zeitschnitten überschaubar werden. Sprachatlanten bieten durch die Kartierung von appellativischen Lexemen und weiteren sprachlichen Merkmalen einen guten geografischen Überblick. Neben dem Deutschen Wortatlas (DWA), der das gesamte deutschsprachige Gebiet der Zwischenkriegszeit abdeckt, existieren für Süddeutschland und – ge- bietsweise auch für – Österreich neuere Kleinraumatlanten, die auf direkten Er- hebungen basieren. Allerdings ist das gebotene Material aufgrund der spezi- fischen dialektologischen Interessen meist auf räumlich variierende Sprach- formen beschränkt, sodass überregional verbreitete Berufsbezeichnungen kaum kartiert sind und, falls überhaupt erfragt, häufig aus den Fragebüchern heraus- gezogen werden müssen. Im Beitrag werden auch Fragen nach der Bildungsmotivation, der Semantik und der zeitlichen Schichtung von Familiennamen gestellt. Für die zukünftige FamN-Forschung in Österreich ergeben sich dabei folgende Probleme: – hinsichtlich der Bildungsmotivation: In welchen Gegenden wird im Rahmen der Festlegung der erblichen Familiennamen im 17. Jahrhundert eher nach Berufsbezeichnungen und Übernamen gegriffen und in wel- chen eher nach einer Art „Wohnadresse“ (Einzelhof, Weiler)? – Welche Gegenden sind also eher oder sehr stark appellativ-affin und welche Ge- genden sind wenig bis nicht appellativ-affin? Gibt es in diesem Zusam- menhang eine Erscheinung, die man sogar als Appellativflucht bezeich- nen kann? – hinsichtlich der Semantik: Wird angenommen, ein FamN stehe in Zu- sammenhang mit Berufsausübung, so stellt sich die Frage der tatsächli- chen Existenz dieses Berufs in der Gegend des ursprünglichen Verbrei- tungsgebietes. Es kann ein Problem entstehen, wenn FamN ohne urkund- liche Belege für diesen FamN und ohne regionalen urkundlichen Belege für das Appellativ gedeutet werden, also eine vorerst zwar plausible aber Familiennamen aus Berufen in Österreich 269

nicht abgesicherte Deutung an der „Wortoberfläche“ durchgeführt wird. Aus dem Mittelalter herkommendes onymisches Material kann auf langen Wegen und vielfältig umgeformt in aktuelle FamN gelangt sein. Ohne Kenntnis von regionalen Dialektentwicklungen – besonders gilt dies für das Mittelbairische – und gegendtypischen Bildungsmustern kann FamN- Deutung bald zu einem „Berufe-Ratespiel“ werden. – hinsichtlich der zeitlichen Schichtung: Meist ist nur mit Hilfe von Beleg- reihen die Erblichkeit eines FamNs nachweisbar. Gelegentlich ist davon auszugehen oder wurde bewiesen, dass bestimmte Namen oder Namen- typen seit dem Mittelalter vererbt worden sind. Liegt dafür kein Belegma- terial vor, so können auch keine sicheren Aussagen gemacht werden.

Literatur, Quellen und Internetzugänge

DWA = MITZKA, Walther / SCHMITT, Ludwig Erich (Hg.) (1951/1980): Deutscher Wort- atlas, Gießen. HOHENSINNER, Karl (2005): Imperativische Familiennamen aus Oberösterreich, in: PABST, Christiane M. (Hg.): Sprache als System und Prozeß. Festschrift für Günter Li- pold zum 60. Geburtstag, Wien, 178-191. HOHENSINNER, Karl (2011): Familiennamen-Atlas von Oberösterreich. Namen und Beru- fe, Linz. JANDAUREK, Herbert (1943). Die oberösterreichischen Familiennamen des Franciscei- schen Katasters, Linz. (Exemplar im Oberösterreichischen Landesarchiv) LINZER REGESTEN (1953-1987), Reihe B. Handschriftliche Quellen zur Geschichte der Stadt Linz in oberösterreichischen Archiven, B II C 1 Freistadt 1336–1565 (Stadtar- chiv im OÖ. Landesarchiv); Bd. B II C 2: Freistadt 1566-1602 (Stadtarchiv im OÖ. Landesarchiv); Bd. III: Steyr 1370-1848 (Stadtarchiv); Bd. C II A 2: Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien 1501-1676. OÖONB = WIESINGER, Peter (Hg.) (1989ff.): Ortsnamenbuch des Landes Oberösterreich, Wien (derzeit 9 Bände). OÖ. WEISTÜMER (1939-1978) = Österreichische Weistümer. Gesammelt von der Akade- mie der Wissenschaften. Vierzehnter Band. Oberösterreichische Weistümer (5 Bän- de). Graz/Köln. SAO = Adalbert-Stifter-Institut des Landes Oberösterreich (Hg.) (1998ff.): Sprachatlas von Oberösterreich (1998ff.), Linz. SCHIFFMANN, Konrad (1935): Historisches Ortsnamen-Lexikon des Landes Oberöster- reich, Linz. SCHRÖCKENFUX, Franz (1975): Geschichte der österreichischen Sensenwerke und deren Besitzer, hg. Franz JOHN, Linz. 270 Karl Hohensinner

SCHWARZ, Ernst (1949): Deutsche Namen-Forschung, Bd. I: Ruf- und Familiennamen, Göttingen.

LINZER REGESTEN: https://www.linz.at/geschichte/de/1048.asp MONASTERIUM (Urkunden im Internet): http://icar-us.eu/cooperation/online-portals/monasterium-net/ OBERÖSTERREICHISCHER FAMILIENNAMENATLAS: http://www.stifter-haus.at/forschung/ooe-sprachforschung http://www.kulturgeschichte.at/Familiennamensatlas.html http://www.icos2014.com/wp-content/uploads/icos2014_vol_3.pdf SPRACHATLAS VON OBERÖSTERREICH: http://www.stifter-haus.at/forschung/ooe-sprachforschung

Evgeny Shokhenmayer Preliminary Study of the Most Frequent Russian, French and German Occupational Surnames

Introduction It has been already proven that through a variety of means, names express the identity of a society (SHOKHENMAYER 2011: 83). Not only from a historical per- spective, but also from statistical aspect, they give evidence of valuable non- linguistic information on cultural, social, economic and other levels. So-called surnames or family names represent an especially interesting group of names, which are to be found throughout Europe. From the number and the dwelling- place of people bearing definite surnames we can speculate over the diffusion of certain traditions, crafts, activities, interests and thus in some degree re-create the structure of medieval societies. A lot of names, regions, occupations and lo- cal crafts fell into oblivion, but the information on their former value is well en- coded in onomastic evidence, mostly in surnames, as well as in their statistics We have admitted that analysis of the most frequent surnames may be lik- ened to the observation of the „tip of iceberg“, but, however, they may be illus- trative and shed light on some specific details. After the establishment of a promising study based on the 100 most frequent Russian, French German and British surnames (SHOKHENMAYER 2016), we turn now to examine the occupa- tional surnames. For our part, we set as a goal to clarify to what extent the pro- fessional occupations, or a professionally name-driven motives, are to be similar in Germany, France and Russia. Therefore, the contrastive analysis of the most frequent Russian, French German occupational surnames is reasoned by the singular situation of their onomasticons: for although they have much in com- mon with the rest of neighbouring communities in the essential linguistic sys- tem due to their genetic relationship and cultural affinity, their surnames subsist in and have originated within very different historical and social circumstances. The intention here is, first, to compare percentages of occupation-based sur- name groups from each country, second, to note similarities and differences be- tween them and, third, to discuss results.

Onomastica Lipsiensia/OL 13 (2018), S. 271-290. 272 Evgeny Shokhenmayer

Previous Statistics and Methods In the master’s thesis, S. LÜDERITZ (2002: 314) has demonstrated by compar- ing the 100 most frequent German and Danish family names that surnames’ share of two Germanic-speaking countries differ considerably (see Fig. 1):

Denmark Germany Motive Rank Surnames % Bearers % Rank Surnames % Bearers % Patronymic 1 65 92 3 22 14 Topographic 2 25 5,3 4 10 5 Nicknames 3 6 1 2 24 20 Occupational 4 4 2 1 44 61

Fig 1: Percentage of motivation name types for the 100 most frequent German and Danish surnames.

We may conclude that, for instance, German occupational surnames within the national onomasticon represent one of the richest and highest Europe-wide per- centage. MARYNISSON/NÜBLING (2010) compared the 200 most frequent surnames in Germany, the Netherlands and Flanders and revealed their naming motives as follows (see Fig. 2):

Rank Flanders The Netherlands Germany 1 Patronymic 40,0% Topographic 41,7% Occupational 34,16% 2 Topographic 32,4% Occupational 25,9% Patronymic 32,33% 3 Occupational 18,1% Patronymic 22,5% Nicknames 22,25% 4 Nicknames 9,5% Nicknames 9,92% Topographic 11,25%

Fig. 2: Percentage of motivation name types for the 200 most frequent German, Dutch and Flemish surnames.

Rosa and Volker KOHLHEIM (2001), after having analysed the 1.000 most fre- quent German surnames according to the phone register of 1996, found out that, besides 15% of ambiguous and 1% of foreign names, occupational sur- names constitute about 20% of the most frequent family names contrastingly to 35% for patronymics, nicknames – 18% and topographic surnames – 11%. The Most Frequent Russian, French and German Occupational Surnames 273

K. FARØ and S. KÜRSCHNER (2007: 106), having criticized the latter research for the unrepresentative method of sampling, examined 1.000 surnames in Ger- many and Denmark respectively. But, to ensure the homogeneous geographical spread, all transparent surnames (those of foreign origin and obscure etymology have been filtered out) assigned to typical street names throughout the countries – Lindenstraße 30 and Kirkevej 5 – have been selected from the phone directories. The results differ from the 100 most frequent surnames considerably: this time occupational names (Berufsnamen) in Germany amounted to 25% instead of 44%, patronymic names (Rufnamen) to 33% instead of 22%, nicknames (Übernamen) to 18% instead of 24% and topographic names (Herkunftsnamen + Wohnstätten- namen) to 29% instead of 10%. In order to relativize these data, we shall plot a percentage “curve” of above- mentioned groups by points according to various numbers of surnames. As we may conclude, these discrepancies confirm the very fact that methodologies of analysis and quantities of surnames do play a significant role for name- landscapes. The percentage of surnames can be summarized in the form of a dia- gram (see Fig. 3) which reflects the share of surnames from top 10 (added by us) and top 20 (BROZOVIĆ-RONČEVIĆ, 2004) through top 100 (LÜDERITZ 2002) and top 200 (MARYNISSON/NÜBLING, 2010) to top 1000a (FARØ/KÜRSCHNER 2007) and top 1000b (KOHLHEIM/KOHLHEIM 2001):

Fig. 3: Percentage of motivation name types for German surnames from top 10 to top 1000. 274 Evgeny Shokhenmayer

The percental proportions vary from one country to another. They depend on local history, culture and name-giving traditions. The summarizing table (SHOKHENMAYER 2016: 231) of Russian, German, French and British surname landscape is presented below (see Fig. 4):

Surnames → Russian German French British Name type ↓ Rank %Rank %Rank %Rank % Patronymic 1 59 3 22 1 46 1 35 Nicknames 2 33 2 24 3 18 2 26 Occupational 3 71442 20 3 24 Toponymic 4 1 4 10 4 11 4 15

Fig. 4: Percentage table of Russian, German, French and British surnames.

As we may observe topographic surnames always “finish in the cellar”. For the latter, aside from Russian names, any natural landscape is of greater importance. Surnames based on given names, on the contrary, rank best for each country ex- cept for Germany where occupational surnames considerably prevail. We sug- gest that such an interesting detail should be explained by the impact of the Hanseatic League created in Germany of the 12th century as “a commercial and defensive confederation of merchant guilds and their market towns that domi- nated trade along the coast of Northern Europe. The Hanseatic cities had their own legal system and furnished their own armies for mutual protection and aid” (DOLLINGER 2000: 15). German occupational surnames surpass twice corresponding amounts in the UK or France and they are six times more than in Russia. However, several unvar- ied elements are to be found in all of them: family names mostly denote the met- alworking (, Kovalev, Lefèvre, Schmied, Smith) bread making (Melnikov, Baker, Fournier, Bäcker), horse serving (Konovalov, Chevalier, Marshall, Roß- mann) and religion (Popov, Ponomarev, Lemoine, Bell, Palmer, Kirchner) as pillars of the medieval society. Almost everywhere, nicknames reflect external character- istics (colour, height) and inner properties (character, livelihood)s. Farther, let us consider the part of occupational surnames from the top 500 in France, Germany and Russia in order to reveal percental deviations between the “highest”-frequency and “high”-frequency surnames. To cover all possible occupations, we shall consider the following surnames groups, which may be re- lated to professions of their bearers:  occupational surnames (Smith);  occupational metonymic surnames () The Most Frequent Russian, French and German Occupational Surnames 275

 status surnames (Vogt, Baron);  and surnames of office (Chevalier, Archer).

French occupational surnames

French surnames were first used in the 11th century to distinguish people who had the same given name, but surnames for all did not become common until centuries later. French surnames developed from four major sources: patro- nymic, occupational, characteristic and geographic surnames. A patronymic surname is the most common category of French last names. M.-O. MERGNAC numbers (2000 : 68) 46% of patronyms (noms de baptême), 20% of occupational surnames (noms de métier), 18% of nicknames (noms de caractéristiques phy- siques ou morales) and 11% of topographic surnames (noms de lieux). The ono- mastic data of births between 1891 and 1915 from the French National Institute for Statistics and Economic Studies are available on the website www.geopatro- nyme.com. We prefer to consider the above-mentioned historical period as it might reflect the more authentic onomastic landscape, which could still be keep- ing family names that become extinct nowadays. After having analysed 500 most frequent surnames, we have defined 128 surnames and 139 occupations (see Figure). For example, Chartier could refer to a carter (via “charretier”) or to a laborer with plow pulled by cattle. For such surnames like Baron or Leduc, it is unlikely to be a status name denoting a per- son of rank. The great baronial and ducal families of Europe had distinctive surnames of their own. Generally, the surname referred to service in a corre- spondent household or was even acquired as a nickname by a peasant who had ideas above his station. Overall, it means that the percentage of occupational surnames from the most frequent 100 (21%) to 500 (26%) surnames increases only slightly by around 5 percent. It does not represent any significant discrepancy. The point to note is that there is relatively high density of German surnames (Müller (26); Meyer (46); Schneider (109), etc). that is due to the distinctive Alsa- tian culture and to the fact that Alsace was part of France. In this regard, we re- mind that the frequency of occupational surnames in Alsace is much higher in comparison to the rest of French surname landscape. As culturally and histori- cally Alsatian names represent the Germanic onomastic system, they have not been analysed in this research so far. Below you will find the list of occupational surnames with ranks from Top 500 (see Fig. 5):

276 Evgeny Shokhenmayer

Lefebvre 15 Leveque 164 Lavigne 351 Fournier 18 Le Goff 170 Pottier 353 Faure 20 Chevallier 171 Faivre 360 Müller 26 Verdier 180 Potier 362 Mercier 29 Marechal 181 Maillot 367 Lefevre 35 Monnier 183 Soulier 377 Boyer 34 Boulanger 187 Granger 378 Chevalier 38 Tessier 189 Forestier 380 Meyer 46 Blanchet 194 Prevot 383 Marchand 47 Coulon 195 Parmentier 385 Masson 49 Pagès 199 Tournier 387 Fabre 55 Cordier 200 Mounier 396 Meunier 56 Masse 206 Bauer 398 Dufour 61 Lagarde 207 Bouvet 404 Lemaire 65 Lemaitre 208 Keller 405 Barbier 68 Pasquier 225 Bayle 409 Schmitt 72 Martel 229 Abadie 410 Bourgeois 91 Carlier 230 Faucher 418 Lemoine 92 Wagner 234 Mouton 419 Berger 93 Clerc 237 Granier 420 Caron 95 Bigot 241 Bordes 423 Leclerc 99 Charrier 242 Brossard 425 Moulin 100 243 Lemonnier 427 Leclercq 108 Leduc 246 Vacher 428 Schneider 109 Morvan 257 Maire 433 Royer 111 Payet 261 Pruvost 434 112 Fischer 263 Cartier 435 Bailly 115 Texier 272 Picot 436 120 Chartier 276 Hoffmann 438 Bouvier 122 Becker 295 Poisson 448 Baron 125 Grenier 302 Grange 455 Millet 127 Maillet 304 Bellanger 458 Maillard 131 Sabatier 306 Tissier 460 Prevost 132 Labbé 312 Bataille 461 Perrier 134 Charbonnier 319 Kieffer 465 Pelletier 141 Favre 329 Saunier 468 Weber 144 Chapuis 330 Labat 471 Mallet 149 Peltier 338 Zimmermann 473 Vasseur 151 Favier 342 Barreau 474 Marchal 159 Schmidt 343 Champion 478 The Most Frequent Russian, French and German Occupational Surnames 277

Monier 480 Letellier 486 Prost 495 Chatelain 483 Prieur 491 Pelissier 499

Fig. 5: list of French occupational surnames with ranks from Top 5001.

Russian Occupational Surnames A.F. Zhuravlev from the V.V. Vinogradov Russian Language Institute of the Russian Academy of Sciences collected 500 of the most frequent Russian sur- names (ZHURAVLEV 2005). The analysis of top 100 revealed the following dispo- sition:  majority of Russian surnames (60%) are produced from personal names (Sergeyev – Sergey's son, Vasilyev – Vasiliy's son, etc.);  among 33 nicknames, 19 originate from names of animals, birds, insects and plants (Lebedev – the possessive adjective from лебедь, “swan”; Korovin – the possessive adjective from корова, “cow”; etc.), which have long ago been used as additional non-Christian personal names;  10 reflect appearances or inherent properties and 4 denote colours;  8 have their origin in people's professions and crafts (Kuznetsov – Smith's son);  and only the surname Polyakov refers to the toponym (Pole, from Poland).

After having analysed 500 most frequent surnames, we have defined 105 sur- names and 136 occupations (see Fig. 6). It shows that the share of occupational surnames from the most frequent 100 (7%) to 500 (21%) surnames rose by 14 percent. It does represent a significant discrepancy. Below you will find the list of occupational surnames with ranks from Top 500:

–––––––— 1 http://www.geopatronyme.com/cgi-bin/carte/hitnom.cgi?periode=1 (Accessed 2018- 01-08). 278 Evgeny Shokhenmayer

Кузнецов 3 Шилов 249 Дьяков 375 Попов 4 Шаповалов 253 Кочетов 376 Новиков 9 Покровский 254 Ситников 382 Ковалев 46 Бочаров 255 Мешков 384 Мельников 69 Никольский 256 Шаров 385 Казаков 73 Масленников 265 Корчагин 390 Коновалов 92 Лаптев 272 Болдырев 391 Пономарев 97 Столяров 278 Олейников 392 Овчинников 104 Ткачев 280 Чумаков 393 Соболев 107 Золотарёв 285 Пирогов 399 Ермаков 108 Кулаков 286 Стариков 403 Колесников 109 Дьяконов 289 Колпаков 406 Гончаров 110 Бондарёв 292 Троицкий 412 Котов 114 Старостин 298 Малинин 415 Белоусов 136 Кравцов 302 Черепанов 416 Князев 141 Винокуров 307 Павловский 422 Горшков 150 Лапин 308 Сотников 427 Майоров 153 Голованов 311 Косарев 429 Рыбаков 156 Крючков 318 Беликов 430 Плотников 158 Кошелев 320 Белкин 432 Калашников 170 Рогов 324 Вешняков 443 Балашов 179 Лопатин 332 Волошин 444 Блинов 182 Серебряков 335 Толкачёв 451 Крюков 186 Дегтярев 337 Лыков 456 Беляков 187 Латышев 346 Постников 460 Богомолов 188 Сальников 350 Свешников 463 Шишкин 203 Кольцов 354 Калугин 465 Чистяков 206 Комиссаров 355 Кочергин 468 Воронцов 211 Булатов 359 Греков 469 Головин 221 Шапошников 362 Швецов 471 Кожевников 230 Дружинин 363 Сомов 480 Овсянников 237 Суслов 367 Чеботарёв 484 Горбачев 244 Шевцов 368 Уваров 486 Копылов 245 Пастухов 369 Калачев 498 Токарев 247 Успенский 374 Грибов 499

Fig. 6: list of Russian occupational surnames with ranks from Top 5002.

–––––––— 2 http://elar.urfu.ru/bitstream/10995/1929/1/VO-2005-02-11.pdf (Accessed 2018-01- 08). The Most Frequent Russian, French and German Occupational Surnames 279

German occupational surnames

With roots in the Germanic Middle Ages, German surnames have been around since the 1100s. Occupational names are the most common among them, but nicknames and location names are also used. Every village had similar trades from which people took their surnames, so people of different German villages who had the same trade and therefore the same surname are not necessarily re- lated to each other. The meanings of German last names are those as originally defined when these names became surnames. For example, the surname Meyer means dairy farmer today, whereas in the Middle Ages, Meyer was designated to people who were stewards of landholders. Taking into account the French onomastic corpus of late nineteenth- and early twentieth-century, we attempt to find a historically balanced corpus of German surnames from the same period. Therefore, we have built the match- able database for the correspondent corpus comprising the most frequent sur- names from the military casualties of the WW1 in 1915.3 To make it clear, we do realise that the family names statistics and lists of war dead do not mirror the full-scale population study. Unfortunately, there are no extensive onomastic surveys of land and population from that span of time. After having analysed 500 most frequent surnames, we have defined 174 surnames and 197 occupations (see Fig. 7). It demonstrates the nearly 11 per- cent drop for occupational surnames: namely from 44% (Top 100) to 35% (Top 500). It does represent a significant decrease. Below you will find the list of occupational surnames with ranks from Top 500:

–––––––— 3 http://wiki-de.genealogy.net/Die_h%C3%A4ufigsten_Familiennamen_um_1915 (Accessed 2018-01-08). 280 Evgeny Shokhenmayer

Müller 1 Schreiber 86 Krauß 213 Schmidt 2 Horn 90 Löffler 217 Meyer 3 Schumacher 91 Wegner 219 Schneider 4 Pfeiffer 93 Hirsch 224 Schulz 5 Schuster 94 Schindler 227 Fischer 6 Hübner 95 Bender 230 Weber 7 Schumann 97 Stahl 231 Hoffmann 8 Graf 105 Schenk 242 Becker 9 Kramer 106 Geißler 243 Wagner 10 Böttcher 109 Blum 246 Richter 11 Hoppe 110 Wegener 247 Koch 12 Förster 115 Münch 248 Schröder 13 Schulte 116 Wirth 249 Schäfer 14 Ziegler 119 Maurer 250 Bauer 15 Nagel 127 Geiger 255 Krüger 16 Kruse 128 Brückner 258 Schulze 17 Kaufmann 135 Pieper 259 Krause 23 Ritter 138 Esser 265 Zimmermann 24 Fiedler 139 266 Meier 28 Meißner 142 Breuer 270 Hofmann 29 Zimmer 147 Köster 274 Schmitz 30 Büttner 148 Scherer 276 Köhler 32 Kern 151 Zander 279 Möller 34 Beckmann 155 Steiner 283 Schmitt 36 Kraus 156 Mann 284 Scholz 37 Reuter 157 Schlegel 285 König 38 Schröter 168 Kröger 287 Kaiser 39 Frey 174 Fuhrmann 290 Maier 42 Schultz 183 Holz 291 Schubert 45 Schütz 184 Keil 298 Mayer 46 Herzog 186 Schiller 299 Winkler 50 Körner 188 Schüler 301 Huber 51 Gärtner 193 Decker 306 Schmid 53 Kirchner 195 Kohl 308 Keller 56 Schlüter 197 Rieger 311 Beck 59 Keßler 199 Bode 312 Baumann 61 Ackermann 201 Metzger 314 Voigt 69 Bischoff 202 Kiefer 317 Vogt 75 Marquardt 204 Renner 321 Stein 77 Bartsch 207 Krug 324 Krämer 81 Krebs 211 Kopp 329 Jäger 84 Hamann 212 Hammer 331 The Most Frequent Russian, French and German Occupational Surnames 281

Busse 334 Krieger 390 Schuhmacher 446 Schütze 336 Meister 400 Burger 454 Haupt 342 Heuer 402 Hecht 455 Funke 345 Rauch 407 Schütte 460 Funk 347 Kremer 409 Dreyer 462 Kolb 349 Scheffler 410 Metz 463 Fleischer 352 Runge 412 Siegel 464 Wittmann 354 Seiler 415 Rößler 465 Stoll 356 Falk 419 Drescher 468 Bader 362 Schütt 422 Hering 469 Binder 363 Schott 428 Pfeifer 481 Kirsch 367 Bär 430 Schreiner 487 Probst 374 Wimmer 431 Geisler 489 Seeger 381 Brauer 432 Schaller 490 Winkelmann 385 Hauser 440 Bürger 492 Stock 387 Gerber 442 Rost 496

Fig. 7: list of German occupational surnames with ranks from Top 500.

Percentage trends depending on occupational surnames’ quantity Let us summarise all statistics in the chart showing the evolution of occupation- al surnames’ share in each of three countries under consideration (see Fig. 8). The percentage is to be applied to two quantities (Top 100 and Top 500) that we measured for France and Russia and to three quantities (Top 100, Top 500 and Top 1000) for Germany, for which the rate of surname was already calculated in previous studies (FARØ/KÜRSCHNER 2007; KOHLHEIM/KOHLHEIM 2001). As can be seen, the number of occupational surnames has changed differently in each country in dependence on analysed corpora. There are both marked upward and downward trends. In Russia, a trend towards increased percentage of occu- pation-based family names can be observed. In Germany, the overall trend is towards a reduction in the amount of the latter. In France, there is no detectable evidence of any such trends, although a slightly positive tendency becomes ap- parent. 282 Evgeny Shokhenmayer

45 44 40

35 35 30 26 25 25 21 21 20 15 7 10 5 0 GERMANY FRANCE RUSSIA

Top 100 Top 500 Top 1000

Fig. 8: Percentages of occupational surnames from Germany, France and Russia. Let us make a preliminary comparative analysis of several most important life spheres and scope of activities.

Metalworking occupations

Metal smiths were very important before industrialisation because they made tools for farming (especially the plough) and weapons for fighting in wars. The prevalence of metalworking in the culture of recent centuries has led Smith and its equivalents in various languages (German Schmidt, French Lefèvre, Spanish Herrero, Italian Fabbri, Ferrari, Ferrero etc.) to be a common occupational sur- name. Below you will find the chart of surnames related to metalworking occu- pations with corresponding rankings from Top 500 (see Fig. 9):

The Most Frequent Russian, French and German Occupational Surnames 283

German French Russian

Schmidt (2) Lefebvre (15) Кузнецов (3) smith Smith smith North Schmitz (30) Faure (20) Smith smith Occit. Schmitt (36) Lefevre (35) Ковалев (46) smith Smith smith South Schmid (53) Fabre (55) Smith Smith Nagel (127) Marchal (159) Nail farrier-smith Keßler (199) Le Goff (170) copper vessels maker smith Breton Stahl (231) Marechal (181) Steel farrier-smith Schlegel (285) Золотарёв (285) Hammer goldsmith Hammer (331) Favre (329) Крючков (318) Hammer Smith hook-maker Funke (345) Favier (342) Серебряков (335) spark ??? Smith silversmith Funk (347) Кольцов (354) spark ??? rings‘ maker Rauch (407) Faivre (360) Булатов (359) smoke ??? smith damask steel Rost (496) Шаров (385) fire grate ??? jingle-bells

Fig. 9: Surnames related to metalworking occupations with ranks from Top 500.

The highest rankings of direct nominations “Smith” in all three countries are the main reasons that crafts are the most significant occupations. They record a highly valued, essential and ancient craft still hammering away today (FIENNES 2015: 89). Including the dialectal nominations adds many numbers thereto. Al- most all spelling variants reveal the geographical and/or cultural peculiarities of the regions in question. All the alternatives show that the activity was important across the cultures making up mediaeval Europe. 284 Evgeny Shokhenmayer

For example, Schmitz is especially frequent in the North Rhine-Westphalia and Rhineland-Palatinate regions of Germany. It is also extremely common throughout the country of Luxembourg, where it is the sixth most common last name. The spellings like Schmidt are spread in the Northern Germany, while Schmi(e)d and Schmitt are to be found in the Southern Germany. The French Lefebvre, Faure and Le Goff show a clear North-South-West divide where the second surname is represented chiefly in Occitan-speaking areas and the last one in Brittany. The Slavonic culture demonstrates the same opposition be- tween the Old Novgorod dialectal Kuznetsov in the North and the Kievan Rus’ Kovalev in the South. One of the points on interest is that according to the presented statistics the Northern spellings are always more frequent than the Southern ones. From this arise the questions whether it depends on the origin of surnames or on the ap- proximate period of history when people developed individual surnames which, over time, became names that were passed down from generation to generation. In our case, the last factor could play a considerable role, as we are aware of dif- ferent naming practices in various parts of the Europe. Otherwise, one can nei- ther ensure that the samples are representative nor safely generalise from three samples to the whole. The surnames ranked from Top 120 to Top 500 reflect characteristic features of each region in terms of language, culture and history. From the onomasiolo- gical viewpoint, these surnames are the object-oriented nominations represent- ing tools (hammer), manufactured objects (nail, bells, rings) or material (steel, gold, silver) the smiths worked with. In Germany, four last surnames should be viewed as secondary nominations, as they refer to associative or figurative name units (sparks, smoke, fire grate). We should be very careful in assuming to what motive-related groups of surnames given examples can belong. The decision to include these occupations surnames into data is conditioned by the overwhelm- ing majority of their interpretations by prominent scholars (BAHLOW 1985; LINNARTZ 1958; MAAS 1964). The Russian surnames Zolotarev (goldsmith) and Serebryakov (silversmith) may point to luxury gilded onion-shaped domes of the Russian Orthodox Churches, while Bulatov (Damascus steel swordsmith) indicates the proximity of the Orient countries or the trade with the Byzantine Empire.

Woodworking occupations Woodwork was regarded as particularly important, too. The period from the 13th- to the 17th-century witnesses a continued refinement of hand tool wood- The Most Frequent Russian, French and German Occupational Surnames 285 working as a craft. The woodworkers were joiners or turners who fashioned woods, hoopers who made or fitted hoops or staves, coopers who produced wooden buckets, wheelers who fabricated wheels and chariots, bowl-, cask-, bar- rel- and basket-makers, charcoal-burners, etc. Skills become more sophisticated, results more efficient. Many of the principles that these tools embody are inher- ited from earlier cultures, including the Egyptians and Romans. During the time period when the workers had acquired their surnames, which they passed to the next generations, most houses had stone foundations, but were mostly made of wood, even in the towns, with a typical house needing about twenty trees (FIENNES 2015: 91). Below you will find the chart of surnames related to woodworking occupa- tions with corresponding rankings from Top 500 (see Fig. 10):

German French Russian Wagner (10) wagonmaker Zimmermann (24) carpenter Böttcher (109) Caron (95) Колесников (109) carter / cartwright wheel-maker Förster (115) Royer (111) forest worker wheel-maker Zimmer (147) Carpentier (112) Carpenter Carpenter Büttner (148) Charpentier (120) cooper /barrel-maker Carpenter Reuter (157) Плотников (158) clearer of woodland Carpenter Löffler (217) spoons maker Wegner (219) Wagonmaker Schindler (227) roof tiles maker Bender (230) Carlier (230) Копылов (245) Cooper carter / cartwright shoe last, boot-tree Wegener (247) Токарев (247) Wagonmaker Woodturner Esser (265) Бочаров (255) wheelwright ? (axle) Cooper Holz (291) Столяров (278) woodworker bench carpenter 286 Evgeny Shokhenmayer

Keil (298) Бондарёв (292) wood chopper ? (peg) hooper/tuber Kiefer (317) Chapuis (330) Cooper carpenter Stoll (356) carpenter ? (frame) Binder (363) Ситников (382) barrel maker sieve maker Scheffler (410) Tubber Schreiner (487) Лыков (456) carpenter lime bast stripper

Fig. 10: Surnames related to woodworking occupations with ranks from Top 500.

All first surnames in three countries are related to a wainwright or cartwright (Wa/eg(e)ner, Esser, Caron, Royer, Carlier, Kolesnikov) that is a trades person skilled in the making and repairing of wagons and carts. In other words, by the Middle Ages, the woodworkers made basic inputs into other crafts essential to transport, building and farming. With faster transport, all industries’ productiv- ity rises. Then, a considerable number of carpenters (Zimmer(mann), Schreiner, C(h)arpentier, Chapuis, , Stolyarov) shows how many workers turned to woodwork when their other duties allowed. It is very probable that lots of workers did the basic carpentry because not everyone was able to invest in spe- cialist skills and equipment. Therefore, their names may record their value and scarcity. A man skilled at making barrels was an important person (Böttcher, Büttner, Bender, Bocharov, , Binder). Many goods were shipped and stored in barrels (also called casks, tuns, kegs or hogsheads depending on the area of the world and the size of the container). All sorts of foods were stored in barrels. Sauerkraut was fermented and stored in them. Fish, meats and some vegetables were dried and salted then stored and transported in them. Most any item that could be stored for a length of time would be stored in a barrel to keep out ver- min. Fragile items such as eggs would be packed in them among layers of straw to keep them cooler as well as to keep them from breaking. The Schindlers reflect a change in roofing as towns discourage flammable thatch roofs. They are an example of a craft in which the major investment is skill, tilers needing only an auger to make the holes to fit the tiles in place. Besides that, in Germany the forest workers and spoons makers are among the high-frequency surnames. As well as for metalwork, the middle-frequency The Most Frequent Russian, French and German Occupational Surnames 287 surnames (from Top 200 and further) represent the object-oriented nomina- tions:  Esser (from Middle Low German asse ‘axle’ + the agent suffix -er);  Holz (from Holz ‘wood(en)’);  Keil (from Middle High German kil ‘wedge’, ‘wooden peg’), hence possibly a metonymic occupational name for a maker of such pegs or for a wood- chopper. Alternatively, it may be nickname for an uncouth or misshapen person or a topographic name for someone who lived on or near a wedge- shaped plot of land;  Kiefer (from an agent derivative of Middle High German kuofe ‘vat’, ‘barrel’ (from Latin cupa);  Stoll (from Middle High/Low German stolle ‘prop’, ‘support’, ‘frame’), hence a metonymic occupational name for a carpenter, or a nickname for a rigid person4.

The French list seems to be relatively constricted. The latter can be explained ei- ther by the fact that the corresponding surnames are to be found at other fre- quencies, by the special dual job system for the wood-related workers or by spe- cific surnames-giving customs. The Russian surnames include some specific woodworking occupations: Kopylov (shoe last or boot-tree maker), Sitnikov (sieve maker) and Lykov (lime bast stripper)5. The first occupation was of great importance because the repre- sentatives of such family names could extend the life of shoes and keep a better shape, what was highly needed in Russia. The Sitnikovs should cut the wooden rims, steam and bend them into perfect circles, then weave wire mesh between them. They contributed to bread made of sifted flour, which was much softer than bread baked out of riddled flour. It was a progress in comparison to the products made of the unbolted meal. By the Middle Ages, only Russian proprietors of farms were engaged with sieve- making as a cottage industry, mainly in the winter. After the sixteenth century, this activity passed on to the hands of cottagers and tenants. This, for the poor- est social class of the rural population meant sieve weaving from horsehair was

–––––––— 4 According to Dictionary of American Family Names, by HANKS P. 5 According to Dictionary of Old Slavic Personal Names, by TUPIKOV N. (Словарь древнерусских личных собственных имён). 288 Evgeny Shokhenmayer the main source of income. Perhaps, that is the reason why the given surname became so popular. As for lime bast, that is often called Russian bast, it mirrors the production of mat bast and bast shoes. These are shoes made primarily from bast – fiber taken from the bark of trees such as linden or birch. Bast shoes are an obsolete tradi- tional footwear of the forest areas of Northern Europe, formerly worn by poorer members of the Finnish peoples, Balts and East Slavs. They were easy to manu- facture, but not durable. Bast shoes were still worn in the Russian countryside at the beginning of the twentieth century (HITTLE 1979: 101).

Conclusion

The occupational surnames represent a rich and promising object of study. The popularity of surnames records which occupations were valued across countries. However, the less common occupational surnames show important activities as well. The size and importance of a medieval town should normally be reflected in the range of its occupations, which may be reflected, in their turn, in the range of the relevant surnames. It can be useful if the tax lists are missing and cannot be examined. To a certain extent, the list of surnames here paraded is illustrative for it re- veals the remarkable degree of specialization in medieval occupations, resulting in a wide terminological spectrum with fine distinctions and nuances. The brief catalogue of surnames derived from nouns depicting objects of manufacture is a case in point. It should be emphasized that the surnames with a high instance of semantic transparency or suggestiveness are often to be rated higher than those, which re- fer to obsolete or obsolescent occupations. Considering that such family names are actually detached from their primary lexical meaning, this phenomenon should not remain understudied. The question arises whether, as a record of medieval life, the surnames with the same rankings from three different cultures carry equal weight. Does it sig- nify that they were of the same importance? From this perspective, the McKin- ley’s statement about the poor connection between the importance of an occu- pation locally and the number of surnames derived from it can be viewed as de- batable (MCKINLEY 1990: 203). It is, therefore, valuable to examine to what de- gree it is reasonable to use occupational names as a measure of the size of any industry or craft at any place. Besides that, in order to deepen the further inves- tigations, it would be useful to introduce the actual quantities of surnames’ bearers, archival numbers extracted from the medieval tax lists concerning the The Most Frequent Russian, French and German Occupational Surnames 289 corresponding occupations and historical information on professional wages that could demonstrate the hierarchy of occupations. Such an approach might enable a high-potential analysis of multiethnic countries, like the United States of America. The surnames, their statistics and distribution, can shed light into the formation of a new society.

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Marja Kalske Occupational place names in Rymättylä: A medieval parish of farmers, craftsmen and sailors

Background

Rymättylä is a medieval parish founded in the early 14th century in the south- western archipelago of Finland. The inhabitants of Rymättylä have been far- mers, tenants, fishers, boatmen, sailors and craftsmen. At the time of the par- ish’s founding, western Finland was firmly part of Sweden, and the coastal population was partly Finnish- and Swedish-speaking. The population of Rymättylä was and is mainly Finnish speaking, but Swedish has exerted a strong influence on the language, even on place names. Before uniting with Sweden, this area of Finland was a no’s man land: an ar- ea of Finnish-speaking groups or tribes and Swedish groups along the coast. Due to international politics, both Sweden and Novgorod (Russia) became in- terested in this area and wanted to control this borderland. These countries be- longed to different cultural and religious worlds: Finland lay between the Ro- man Catholic and the Orthodox Christian churches. Little by little, this area of Finland was connected to Sweden and the western Catholic world over the 12th and 13th centuries. Finland remained ruled by Sweden until 1809. During the Napoleonic wars, Finland became part of the Russian Empire and finally achieved independence during World War I and the Russian Revolution 1917.

Language relations

Relations between the Finnish and Swedish languages in this archipelago are lengthy and friendly (PITKÄNEN 1985: 15, 22-25, 352-253). This situation is not unique (SCOTT 2016: 138-139). Cultural innovations have come to Finland from the west from time to time (GRÖNHOLM 1988). For instance, many occupational terms were originally Swedish or old German loanwords. Even in our days, many inhabitants of Rymättylä realise that they use Swedish loan-words. No conflict is found between the languages as the inhabitants’ own language, Finn- ish, has been strong in local society (see MÜHLHÄUSER/NASH 2016: 65). As Laura KOSTANSKI (2016: 417-418) notes, the place names reflect the history and population of the parish and the values of its inhabitants. This is obvious in Rymättylä, too.

Onomastica Lipsiensia/OL 13 (2018), S. 291-300. 292 Marja Kalske

Earlier research and material

The history of Rymättylä has been researched, particularly in a 3-volume history book for which Eeva Matinolli was the main researcher: vol. I (KOIVUNEN(MA- TINOLLI 1982), vol. II (MATINOLLI/SAARI/KALSKE 2000) and vol. III (MATINOLLI 2001). Koivunen has written on local nature, Saari on animals, and Kalske on the local dialect. Between 1979 and 1980, I documented and researched the local dialect of Rymättylä for the Institute for the Languages of Finland, a national linguistic re- search centre. This work gave me deep knowledge about the dialect and the lin- guistic attitudes in the parish. In addition, I have had a summer cottage in Rymät- tylä since 1954, while I have also made my home in the city of Turku and else- where in Finland, for instance, Lapland. Thus, I approach the parish and its life and dialect from both the inside and the outside. The occupational names I ana- lyse and all the other place names mentioned are collected from the history book by Matinolli et al. These materials can be seen in the old parish documents.

Theory

The relation between names and meaning has been a widely discussed subject. According to traditional opinion, names do not have meanings but references (LYONS 1977: 215-223; KALSKE 2005; NYSTRÖM 2016: 39-42). A name individu- alises one object. However, as often mentioned, proper names can be lexically transparent or opaque ( 2016: 71; NYSTRÖM 2016: 39-44). The giving of a name to a place usually has a motive (KIVINIEMI 1975: 10-11; LEHIKOINEN 1988: 3-4; AINIALA 1997: 20-26; KALSKE 2005: 14, 25-26; NYSTRÖM 2016: 42). Accordingly, if a farm in Rymättylä were called Suutarla, ‘Shoe- maker’s Place’, one may expect that a shoemaker lives or once lived there (MA- TINOLLI 1982: 27). If the place Suutarla later were no longer the home of a shoe- maker, the place would usually still keep its old name. Names thus can have his- torical meaning, and this makes it possible to trace, for instance, the appearance of craftsmen in a medieval parish even if no documents of the owners have been preserved to this day. The content of a name is important. If the referent conflicts with the con- tents of its name, it may evoke surprise (NYSTRÖM 2016: 42). For instance, in Finland, it is not normal to call a brown horse ‘Blackie’ or a white one ‘Brownie’ (KALSKE 2005). Names have connotative or emotional meanings (LYONS 1977: 219-220; KALSKE 2005: 40-41, 45; NYSTRÖM 2016: 41-43, 48). Occupational place names in Rymättylä 293

Place names are the basic concept of this article. But to what does the term place refer? It must be some entity to which the speakers in a region want to give a name. As Claude LÉVI-STRAUSS (1962: 68; KOSTANSKI 2006: 413) proposes, a space is a collection of named places, like people are the landmarks that make up a group. Places are designed by proper names.

Research questions

The Finnish word ammatti ‘occupation’ is an ancient loan-word from ancient German Amleaht ~Ammaht (HÄKKINEN 2004). Throughout the long history of this word, the concept of ‘occupation’ has been vague and flexible. A farmer could also be a fisherman; a hired hand could work on the fields or on a fishing boat. The oldest documents from the 16th century do not mention women if a man lived in the same house. Later, in the 17th century, these documents list the par- ish inhabitants by the farm where they lived. First mentioned is the husband who owned the farm, followed by his wife, children, hired hands and maids. The family members are named in relation to the owner, the husband. Only the maids and hired hands have their own occupations and their own identities. As the hired hands, the maids had several occupations; they worked in the kitchen, cow house, fields and anywhere else when needed. My research questions explore this situation: 1. What did the concept of occupation mean in a country parish between 1300 and 2000? 2. Which occupations can be found in the place names, and which cannot? 3. To what kind of places do the occupational place names refer in dif- ferent times?

Place names in Rymättylä

The place names in Rymättylä reflect the history, nature, culture and population of the area. In general, the place names refer to things important to the name- givers and distinguish one place from another. Most of the old place names refer to natural features (e.g. islands, capes, streams, lakes and hills) or to the use of places (e.g. meadows, fields, fishing places and harbours) (PITKÄNEN 1973: 68- 69). The first inhabitants of Rymättylä were fishermen and sailors, so for them, the streams, bays, capes and uninhabited islands were important. This way of naming places was familiar to the inhabitants of the Finland’s south-west archi- pelago and to both the Swedish- and Finnish-speaking societies (ZILLIACUS 294 Marja Kalske

1973: 7-24.) As KOSTANSKI (2016: 421-422) shows, a place name can refer to the function of a place. Many of the oldest names of farms refer to the owner. Take, for instance, Anttila = Christian name Antti (Andreas) + la, a suffix marking a place. Thus, this name refers to Antti’s place. The peasant name-givers likely were factual; therefore, if a name refers to Antti, he must have lived on the farm. If the name refers to a cape or an island, the place must be situated on an island or a cape. In many cases, the early owner who gave his name to the farm can be verified. For instance, the farm name Röödilä comes from Röd ‘red’, which was the nickname of a medieval owner of that place (MATINOLLI 1982: 488).

The occupational names

(a) The Middle Ages

Place names can be divided into cultural names and nature names (KIVINIEMI 1990: 46-47). Occupational names naturally belong to cultural names as they show that a certain person was connected to the place by his occupation. Few documents about Rymättylä from the Middle Ages exist, but even the place names can tell something about medieval society. Names such as Munkkila ‘Monk’s Place’ and Munkkiniemi ‘Monk’s Cape’ suggest that the area had a me- dieval cloister. The nearest cloister was the Bridgettine convent in the neigh- bouring town of Naantali. This name must be medieval as in the 1540s, during the reign of King Gustaf Vasa, Sweden turned to the Protestant Lutheran reli- gion and closed the Catholic cloisters. Although it might be questioned whether monk is an occupation, to be a monk or a nun, one could not be a farmer or a craftsman in the village. The first church of the parish was built around 1300 AD, and the official home of the priest, named Pappila ‘Vicarage’ and situated near the church, was also a medieval place. It was a rich farm with fields, meadows and forests, and pappila is one of the most usual occupational names (KIVINIEMI 1990: 145). Even in the Middle Ages, there was another priest in the parish: the chaplain. Initially, the chaplain did not have an official home, and when the parish bought one for him, the farm already had a name: Pohjamäki ‘Northern Hill’. That name was familiar to the villagers and was not changed. In everyday speech, people can still refer to ‘The Chaplain’s Place’, even though the place was sold to the municipality in the 20th century and turned into a senior citizens’ home. Evidently, most of the medieval occupational names in Rymättylä refer to craftsmen important to the villagers, such as Seppälä ‘Blacksmith’s Place’ and Occupational place names in Rymättylä 295

Suutarla ‘Shoemaker’s Place’. Seppälä and Suutarla are old farmhouses, known from the Swedish time. Their names are clearly medieval as they are first men- tioned in the first national taxation document from 1540 AD. The names are formed in a customary way in Finnish: the occupation suutari ‘shoemaker’ or seppä ‘blacksmith’, followed by the suffix la/lä ‘place owned or inhabited by someone’. Seppälä is an especially common traditional farm name (KIVINIEMI 1990: 145). As far as the documents reach, these farms, Seppälä and Suutarla, were typical farmhouses, not the special places of craftsmen. In ancient times, the parish had few craftsmen (and few inhabitants), so the names of these two farms tell about their remarkable, ancient inhabitants. A few names refer to upper class persons: Knaapila ‘Armour bearer’s or Squire’s Place’. This medieval name shows that an early owner of this farm was a freeholder and lived in Rymättylä (see SUVANTO 1987: 180-181, 272, 306). Dur- ing the Swedish time, especially the 17th and 18th centuries, the king gave many peasant farms to Swedish noblemen. These owners seldom moved to their farms, so they were run by stewards. Local people did not know the noble own- ers and continued to call farms by their old names. One problematic medieval name is found. It can refer to an occupation, but that is not sure: Kauppila 1. < first name Kauppi ‘Jacob’ + la 2. ger. (foreign) merchant, Hansa merchant (HÄKKINEN 2004; USN; KEPSU 1981: 86, 231; SUVANTO 1987: 48, 64, 287; Vilkuna 2003: 106).

The owners of this place are known since the 1420s, but no ancient Jacob has been found. However, the Christian name Jacob is familiar to the inhabitants of Rymättylä, and the medieval church is dedicated to St Jacob. The oldest docu- ments about the inhabitants and owners of the place show that they were farm- ers, not foreign merchants. The same name element is found in the name of a small island: Kauppisluoto. This small place in the middle of a narrow stream can hardly refer to an ancient merchant and not have belonged to the Kauppila farm either. Likely, some ancient Jacob lived there.

(b) The 16th – 19th centuries

Later, the parish drew many more craftsmen, and not all were rich, prominent vil- lagers; indeed, many were far from that. A place name formed with -la/-lä can re- fer to a smaller place as well, but often, the tenancy names are different: Sepän- niemi ‘Blacksmith’s Cape’ and Kraatarniemi ‘Taylor’s Cape’. A craftsman’s place 296 Marja Kalske often was small and situated at the edge of an undesirable area, such as a cape or stony hill, while the bigger, rich farms occupied the most fertile parts of the island. For a place to receive a name referring to an occupation, its first or a later, im- portant inhabitant had to have a noteworthy occupation. These two names, Sepänniemi and Kraatarniemi, refer to the same place. No blacksmith has been found in the documents, but the name Sepänniemi is older of these. One tailor has been found, and it was in his time that the name was changed. In several cases, a craftsman has lived in a place with another kind of name. Moreover, the villagers knew each other very well, and if one rich farm had the name Seppälä, it was not appropriate to give the same name to another place even if it had also been inhabited by a well-known blacksmith. Sometimes, a name can be misleading if one does not know its history. For instance, there is a place called Krouviniemi ‘Pub’s Cape’, but it belonged to four , one after another. The background of that name, though, is easy to un- derstand: the place provided a suitable harbour for fishermen and sailors during long voyages. In the 19th century, owners of bigger farms began to rent small areas of their land to poorer people who usually paid their taxes by working for the landowner: Redari Ship-owner (< Swedish redare ‘ship-owner’) This place the name refers to is the place of a 17th-century tenant whose background is uncertain. The name possibly refers to a tenant’s nickname (SUVANTO 1987). No element in this place name refers to a place; rather, the word refers to the occupation itself. Such metonymic names are quite common in Finland (KIVINIEMI 1990: 103-105). Occupational names in Rymättylä have been, and are, lexically transparent. Some old loanwords, though, can be opaque to modern Finnish people. Kinni Swe. skinnare ‘skinner’; an 18th-century farm Tiskerintaus tiskeri < germ. Tischer ‘table maker’ = carpenter, + taus ‘behind’. This name refers to a place behind the carpenter’s place. Some new occupational names can be found from the 19th century: Storskeppars ‘Big Skipper’s (< Swedish stor ‘big’ skeppars ‘skipper’s) The owners of this rich farm were skippers and gave the name to the place. An older name of the farm was Ruokorauman Itätalo (Eastern Farm of Ruokorauma), and it also persisted in documents. Lillskeppars ‘Little Skipper’s (< Swedish lill ‘little’ skeppar’s ‘skipper’s) This is another farm in the same village, and its owners belonged to the same family as the owners of Storskeppars. The owners of Lillskeppars were also skippers but poorer Occupational place names in Rymättylä 297

than their neighbours. These names show that even the name of a rich, old farm could change if its new owners were much richer and differed from their neighbours. In the 19th century, the documents become more precise than earlier ones. They, for instance, mention names of fields. Regardless of occupation, all persons had to grow their food themselves until the 20th century: Nihdinpelto solder’s field; nihti [gen. nihdin]

(c) In (post)modern times From the end of the 20th century, few new occupational names can be found. Occupation is no longer an active motive for name-giving. More occupations can be found in the modern Rymättylä than ever, but their names are given to shops and companies: to firms, not farms. During this time, hundreds of summer cottages have been built in Rymättylä, but they have received different kinds of names. These places usually are situate- ed on the seaside, in a cape or on a rock, like the earlier tenants’ places. Most names refer to the natural features of places: Jyrkkäniemi ‘Steep Cape’ Tamminiemi ‘Oak Cape’ Valkoapila ‘White Clover’ 298 Marja Kalske

It is possible that a name can refer to the hopes and fantasies of the name-giver (Kostanski 412, 416). In Rymättylä, some of the newest place names belong to this group, mostly for the summer houses of people who live permanently else- where. To them, the summer cottages symbolise ‘the good old times’ of everlast- ing summer and leisure time: Kesäpesä ‘Summer Nest’ Kesäkoti ‘Summer Home’ Lepola ‘Place of Rest’ Sometimes, the old name of a place is retained in a summer cottage’s name for a sense of history: Munkkila ‘Monk’s Place’ Besides the private summer cottages, several tourist attractions have appeared in the place. They have fantasy names that have nothing to do with everyday life, work or occupations: Paratiisisaari ‘Paradise Island’ Herrankukkaro ‘God’s Back Pocket’ Or, on the contrary, they convey a strong romantic sense of history and historic occupations: Äärlän renkitupa ‘Hired Hand’s Cottage in Äärlä

Summary

The occupational names in Rymättylä reveal the social structure of Finnish country life in different times. The name-givers were common people living permanently at these places, and names identify places, referring to representa- tive qualities that distinguish them from others. The medieval names refer to monks, church and well-off farms owned or inhabited by craftsmen. Seldom do the names refer to nobles, who were not usually at present in Rymättylä, even if they owned estates there. In the 17th and 18th centuries, more documents were written and have been better preserved than the medieval texts. These later doc- uments tell about fields, strands and smaller places referring to many craftsmen. Some names clearly had been used since the Middle Ages but only were written down centuries later. The Russian-dominated 19th century was a period of new economic acti- vities. Consequently, many ship owners are mentioned in the occupational names, but many small places also bear names related to tenants. A tenant could Occupational place names in Rymättylä 299 have been a tailor or a shoemaker, and his place likely was a little cottage on a stony cape or a hill. In modern times, new occupational names are not usually found. Instead, new places are mostly summer houses and tourist attractions whose names refer to leisure time and nature. Summa summarum, all the occupational names found have one feature in common: they refer to men’s occupations. No female occupations are men- tioned, although female farm owners, maids, dressmakers and hat-makers worked in the area for centuries.

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Renāte Siliņa-Piņķe Mit Eisenverarbeitung verbundene Berufe in den Siedlungsnamen Livlands im 17. Jahrhundert

1. Einleitung Dieser Beitrag ist entstanden inspiriert durch die Zusammenarbeit von Histori- kern und Archäologen der Universität Lettlands und der Universität Oslo. Sie hatten in den Jahren 2015 bis 2017 ein Projekt über die Eisengewinnung, Eisen- verarbeitung und Eisenhandel im Mittelalter und in der frühen Neuzeit in Lett- land1 durchgeführt. Das westliche Lettland, das ehemalige Herzogtum Kurland und Semgallen, ist in dieser Hinsicht aus historischer und archäologischer Per- spektive gut erschlossen. Nicht so das nördliche und nordöstliche Lettland, – Vidzeme, das schwedische Livland des 17. Jahrhunderts. Während des Projekts haben die Historiker unter anderem auch das Material über die Eisengewinnung und Eisenverarbeitung in den livländischen Güterurkunden und Revisionen des 17. Jahrhunderts zusammengefasst und systematisch ausgewertet. Das mangeln- de historische und archäologische Material hat ihren Blick auf das linguistische Material, die Siedlungsnamen, als Indiz für die mögliche Eisenverarbeitung auf den livländischen Gütern gelenkt. Es wurde vermutet, dass die berufliche Tätig- keit der Personen, die Existenz bestimmter Gebäude, die handwerkliche oder wirtschaftliche Produktion oder das Vorkommen von Ressourcen durch die Analyse der Siedlungsnamen eventuell erschlossen werden könnten. Das Ziel der linguistischen und onomastischen Auswertung der Siedlungsnamen ist die Überprüfung dieser Hypothese. Der vorliegende Beitrag gibt einen Einblick in die Ergebnisse dieser Auswertung.

2. Der historische und sprachliche Kontext

Am Anfang des 17. Jahrhunderts, nach dem Zerfall Altlivlands und dem pol- nisch-schwedischen Krieg wurde das nordöstliche Lettland und Estland Teil des schwedischen Königreiches (s. Abb. 1). Im Herbst 1638 wurde seitens der

–––––––— 1 „Technology transfer in the processing of mineral resources in earlier times“, mehr dazu unter http://www.lvi.lu.lv/techtrans/en/start.html.

Onomastica Lipsiensia/OL 13 (2018), S. 301-314. 302 Renāte Siliņa-Piņķe schwedischen Regierung die erste große, das ganze eroberte Territorium umfas- sende Güterrevision2, die sogenannte Hakenrevision, durchgeführt.

Abb. 1: Politische Gliederung von Lettland und Estland im 17. Jahrhundert (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:17cenBaltic.jpg).

Ihr Ziel war der Steuerausgleich und die damit verbundene Volkszählung. Die Revision liefert das erste umfangreiche Material sowohl über die wirtschaft- lichen Verhältnisse der Bauern als auch unschätzbares Material zu Güter- und Bauernhofnamen, zu Rufnamen und zum Teil auch zu Gewässernamen, inso- fern sie für die Grenzbeschreibungen zwischen den Gütern oder für deren wirt- schaftliche Tätigkeit von Bedeutung waren. Im lettischen Teil Livlands wurde die Revision von 10 Kommissionen durchgeführt (Abb. 2). Von einigen Kom- missionen (Kommission 1, 3, 7, 8 und 9) sind die Revisionsrouten, von einigen (Kommissionen 2, 5, 6 und 10) nur die revidierten Bezirke bekannt. Die Sprache der Protokolle ist frühneuhochdeutsch.

–––––––— 2 Alle früheren Revisionen (1601-1630) waren unvollständig und erfassten wegen des andauerndem Krieges nur einzelne Teile Livlands. Mehrere dieser Revisionen sind nicht erhalten. Mit Eisenverarbeitung verbundene Berufe in den Siedlungsnamen Livlands 303

Abb. 2: Routen der Revisionskommissionen von 1638 (DUNSDORFS 1938, XXIV-XXV).

Vor der Datenerhebung war es wichtig, die möglichen Ausgangssprachen der Siedlungsnamen festzustellen. Die bisherigen Forschungen in der lettischen To- ponomastik lassen vermuten, dass die meisten Namen lettischer (oder balti- scher) Herkunft sein werden. Man kann auch mit einem gewissen Anteil von Namen livischer (Salis-livischer) und (besonders im nördlichen Lettland) estni- scher, oder generell von Namen ostseefinnischer Herkunft rechnen. Möglich sind auch deutsche und an der östlichen Grenze auch slawische bzw. russische Ortsnamen. Die Abbildung 3 zeigt die ungefähre Bevölkerungs- und Sprachen- verteilung in Lettland und Estland im späten Mittelalter. Jede der erwähnten Sprachen kann unterschiedliche Informationen über die Entstehungszeit der Siedlungen und deren Namen liefern. Die ostseefinnischen Namen sind z.B. in vielen Fällen die ältesten, und ihre lexikalische Bedeutung kann deswegen nur bedingt mit der handwerklichen Tätigkeit der Einwohner im 17. Jahrhundert 304 Renāte Siliņa-Piņķe verbunden werden, wohl aber mit Eisengewin- nung oder Eisenverarbeitung in früheren Jahrhun- derten.

3. Die Datenerhebung und Datenbearbeitung

Für die lettischen Historiker war bei den Bauern- hofnamen der etymologische Zusammenhang mit der Eisengewinnung und Eisenverarbeitung von Interesse. Die Datenerhebung erfolgte unter dieser Prämisse. Aus der Edition der Revision (VAR) wie auch einigen anderen, viel kleineren Quellen3 wur- den die Bauernhofnamen, die entsprechende Wör- ter oder Wortteile in den oben erwähnten Sprachen aufweisen, exzerpiert und tabellarisch zusammen- gefasst.4 Das Resultat sind rund 110 Siedlungsna- Abb.3: Bevölkerung im men, die entweder einen ziemlich sicheren oder nur mittelalterlichen Livland (https://commons.wikimedia. hypothetischen Bezug zur Eisengewinnung oder Ei- org/wiki/File:Livland_gross.jpg) senverarbeitung haben. Es handelt sich um eine sehr geringe Zahl von Oikonymen, da die Gesamtzahl der Bauernhöfe in der Re- vision nach grober Schätzung um 7700 betragen könnte. Die exzerpierten Namen bilden also etwa 1,3% aller in der Revision fixierten Bauernhofnamen. Diese Namen lassen sich einerseits ihrer Semantik nach traditionell in Na- men aus direkten und indirekten Berufsbezeichnungen einteilen. Ebenfalls kann man sie nach ihrer Herkunftssprache analysieren, wie auch nach dem Wahr- scheinlichkeitsgrad ihrer Beziehung zur Eisengewinnung oder –verarbeitung. Alle diese Aspekte sind in der folgenden Analyse integriert worden. Es wurde die Grundeinteilung in direkte und indirekte Berufsbezeichnungen beibehalten.

–––––––— 3 Die ebenfalls von DUNSDORFS edierten und in derselben Edition veröffentlichten Wackenregister der Oxenstiernschen Güter aus dem Jahr 1638 (DUNSDORFS 1940: CCLI-CCCIII), Wackenregister der Güter Alūksne (deutsch: Marienburg), Koberģis (Goldbeck), Laicene (Laizen), Kalnamuiža (Kalnemoise) und Gulbene (Schwanen- burg) aus dem Jahr 1637 (DUNSDORFS 1941: CDIV-CDXVII) und Exzerpte aus den Wackenbüchern der Rigaer Patrimonalgüter (DUNSDORFS 1938: LXX-LXXII). 4 Als Parallelformen sind auch die von der Edition abweichenden Schreibweisen aus dem Original der Revision im Historischen Staatsarchiv Lettlands (LVVA Fonds 7348, Beschreibung 1, Akten 8 und 8b) aufgenommen. Das von Dunsdorfs verwendete Original befindet sich im Archiv in Schweden (DUNSDORFS 1938: IX). Mit Eisenverarbeitung verbundene Berufe in den Siedlungsnamen Livlands 305

Diejenigen Namen, die etymologisch unterschiedlich gedeutet werden können, werden im separaten Kapitel behandelt. Ein, im Hinblick auf die Gesamtheit der erhobenen Daten, marginales Problem bilden die Fälle, wo man nicht genau zwischen der Berufsbezeichnung und einem eventuellen Siedlungsnamen aus der Berufsbezeichnung unterscheiden kann. Auch auf dieses Problem wird ein- gegangen. Frühere Analysen lettischer Rufnamen aus dieser Quelle zeigten schon, dass die Lettischkenntnisse der Revisionsschreiber als ziemlich gering einzuschätzen sind und dass bei der Analyse der Eigennamen mit vielen verstümmelten For- men zu rechnen und die deutsche Schreibung des 17. Jahrhunderts zu berück- sichtigen ist (SILIŅA-PIŅĶE 2014: 180).

4. Siedlungsnamen aus direkten Berufsbezeichnungen

Die meisten exzerpierten Namen sind lexikalisch direkt von der Berufsbe- zeichnung des Schmiedes oder seinem Tätigkeitsort – der Schmiede – abgeleitet. Von allen vier am Anfang dieses Beitrags erwähnten Sprachgruppen sind unter den Siedungsnamen aus den direkten Berufsbezeichnungen nur drei belegt: Let- tisch, Deutsch und Livisch oder Estnisch. Bauernhofnamen slawischer Herkunft mit der Bedeutung ʻder Schmiedʼ oder ʻdie Schmiedeʼ wurden nicht gefunden. Die meisten Namen sind mit dem lettischen Verb kalt ʻschmiedenʼ und des- sen substantivischen Ableitungen kalvis oder kalējs ʻder Schmiedʼ oder kalve ʻdie Schmiedeʼ5 verbunden. Es gibt insgesamt 19 solcher Bauernhöfe und neun unterschiedlich geschriebene Namen: Calwe (2 Bauernhöfe), Calwen, Kalle (3, alle in einem Gut), Kalleis, Kalve, Kalwe (6, zwei davon in einem Gut6), Kalwes –––––––— 5 Obwohl der traditionelle Tätigkeitsort der Schmiede die Schmiede (lett. smēde, kalve) keine direkte Berufsbezeichnung darstellt, sind diese Wörter in der Schreibung des 17. Jahrhunderts schwer von den Berufsbezeichnungen zu unterscheiden, besonders in den lettisierten oder lettischen Namen, und werden deshalb zusammen behandelt. 6 Im Revisionsprotokoll als Kulle geschrieben, laut dem Kommentar von DUNSDORFS (1940: 490) "[m]uß Kalve gelesen werden [..] da auch in der Revision 1688 Kalwe ver- zeichnet ist." Dieser Fall zeigt deutlich wie ungenau die den Revisionsschreibern un- verständlichen Namen niedergeschrieben wurden. Probleme bei der Interpretation der belegten Namen sind unumgänglich. Große Hilfe sind in solchen Fällen die von Dunsdorfs zusammengestellten Entsprechungen der Namen aus dem Revisions- protokoll (mit Hilfe der Lokalisation auf den schwedischen Landvermessungskarten aus dem Ende des 17. Jahrhunderts) und aus den realen Hofnamen am Anfang des 20. Jahrhunderts (nach Landkarten und Publikationen von Jānis Endzelīns). Sie be- treffen natürlich nur die bis zum 20. Jahrhundert erhalten gebliebenen Namen. 306 Renāte Siliņa-Piņķe

Dorff7, Kalwis (2), Kalwitt (2, in einem Gut). Da die lettischen Endungen der Namen in den Revisionsprotokollen nicht konsequent und eher selten wieder- gegeben sind, können die Formen auf -e, wie Calwe, Kalve und Kalwe sowohl mit dem lettischen Wort für Schmied: kalvis, als auch mit dem Wort für die Schmiede: kalve verbunden werden. Die Formen Calwen und Kalwitt sind Ab- leitungen mit den lettischen Suffixen -ēn- und -īt-, die bei der Bildung lettischer Ortsnamen produktiv sind. Der Name Kalle ist dreimal im Gut Vietalva (Feh- teln) belegt (eventuell ein schon früher geteilter Bauernhof). Es kann sich um eine fehlerhafte Schreibung für Kalve handeln, denn im Jahr 1795 ist in diesem Gut der Hofname Kallwanz (LVVA 199.1.105.: 427), am Anfang des 20. Jahr- hunderts Kàļvènci (auch Kaļvanči) (ENDZELĪNS 1922: 33) belegt, und einer der drei Höfe wird im Jahr 1638 von einem Bauern namens Hans8 bewirschaftet: Hans Kalle Ein Erbbawr, wohnet uf 1/4 haken, gehorchett arbeit undt gibtt ge- rechtigkeitt (VAR III 1088). Fast ebenso häufig wie einfache Namen sind in den Siedlungsnamen die diffe- renzierenden Komposita varkalis ʻder Kupferschmiedʼ und dzelzkalis ʻder Eisen- schmiedʼ belegt. Beide sind mit jeweils fünf und zehn Bauernhöfen vertreten: Warkalene, Warkalene Terwan (// Tervan), Warkall genannt Pull, Warrakull9 (// Warakahl), Werckell (// Warckell // Warkell) und Selkalsz, Sellßkall, Selschkal, Selskall (2), Selßkall (3; zwei davon in einem Gut), Selßkalle, Zelßkall. Das Wort varš ʻdas Kupferʼ kommt in Bauernhofnamen nur als Bestim- mungswort in Komposita vor. Das Wort dzelzs ʻdas Eisenʼ ist einmal auch als selbständiger Eigenname belegt: der Bauernhof in Sigulda (Segewold) heißt Selse (VAR I 240). So kann auch der Name Kapur in Lielvārde (Lennewarden) (VAR III 1011) interpretiert werden10, nämlich als das lettische Lehnwort kapars ʻdas Kupferʼ (vgl. KARULIS 1992 I: 378). Die Bedeutung dieser Wörter im 17. Jahrhundert ist auch im ersten deutsch- lettischen Wörterbuch aus dem Jahr 1638 zu finden: Schmid/ Kalleis. ʃchmieden/ kallt. (Manc1638_L: 159A17,18), Eyʃen/ Dʃellʃe (Manc1638_L: 52A13). Das Wort varš – Warrʃch – ist sowohl mit der heutigen Bedeutung ʻdas Kupferʼ belegt als auch –––––––— 7 Mit dem Wort Dorf ist nicht das Dorf gemeint, sondern die Übersetzung des lettischen Wortes ciems oder ciemats (meistens in der Quelle als zeem, zeemat o. ä. geschrieben) mit der Bedeutung ʻder Bauernhofʼ (vgl. auch z. B. Manc1638_L: 86A18). 8 lett. Kaļvanči < kalve ʻdie Schmiedeʼ oder kalvis ʻder Schmiedʼ + Anši, Pl. von Ansis ʻHansʼ. 9 Vgl. Fußnote 6. 10 Dunsdorfs gibt als Entsprechung aus dem 20. Jahrhundert den Namen Kapari in der Gemeinde Rembate an (DUNSDORFS 1941: CDXXXIX, s. auch ENDZELĪNS 1922: 55). Mit Eisenverarbeitung verbundene Berufe in den Siedlungsnamen Livlands 307 generalisierend als ʻdas Metallʼ und ʻdas Erzʼ – Kupffer, Metall, Ertz verwendet worden (Manc1638_L: 109B4, 124A27, 55A12). Das deutsche Wort Kupferschmied wird jedoch als katlu kalējs, nämlich ʻder Kesselschmiedʼ wiedergegeben: Kupf- ferʃchmidt/ Kattlokalleis (Manc1638_L: 109B8,9). Ein derartiges Wort oder Wort- verbindung kommt in den Siedlungsnamen nicht vor. Ein Kompositum ist mit dem Wort kalvis oder kalve als Bestimmungswort belegt: der Hofnamen Kalwehans in Akanstaka (Klingenberg). Dieses Namens- bildungsmodell ist sporadisch in späteren Jahrhunderten belegt (vgl. JANSONE 2016, auch als Familiennamen, s. JANSONE 2013: 73-74). Es ist bei der Teilung der Höfe entstanden, bei der die Namen der damaligen Wirte als Unter- scheidungsmerkmal in die Hofnamen integriert wurden. Oft sind solche Kom- posita nicht stabil, manche überdauern jedoch mehrere Jahrhunderte (siehe das obige Beispiel Kaļvanči). In diesem Fall ist der Name schon stabil, da der Wirt einen anderen Namen trägt: Jahn Kalwehans ein Curl[änder] ist von jugendt auff hier gewesen. (VAR I 286).

Die zweithäufigste Gruppe der Siedlungsnamen aus direkten Berufsbezeich- nungen (15 Belege) bilden die deutschen Wörter Schmied und Kleinschmied in unterschiedlicher Schreibung – Rieß Schmedt (auch Reinsmitt), Schmedene, Schmedt, Schmidt, Schmidtz, Schmiede, Schmit (2), Schmitt, Smiede, Klein- schmedt, Kleinschmidt (2), Kleinschmitt, Kleinssmit. Bei diesen Namen hätte man erwarten können, dass sie – im Unterschied zu den den Revisoren meist unverständlichen lettischen Namen – die reale Situation zum Zeitpunkt der Re- vision darstellen, d.h. in den als Schmidt, Schmiede o.ä. registrierten Bauern- höfen tatsächlich der Beruf des Schmiedes ausgeübt wurde. Die notierte Infor- mation besagt aber das Gegenteil – sie sind wirklich als Bauernhofnamen11 no- tiert und sind klar von der Tätigkeit ihrer Bauern zu trennen. Die Landwirte werden immer nur als Bauern bezeichnet, und entsprechend sind in den Proto- kollen auch ihre Abgaben und ihre Fronarbeit eingetragen, zum Beispiel die Einträge aus Laubere (Laubern): Schmedt. Ein Paur, nahmens Mickell, ein Erb- paur, besitzet 1/4 [Haken]. Gibt volle Zinße und Arbeit.. (VAR III 1348), aus Ungurpils (Pürckeln): Andres Schmitt ein erbpaur, besetze 1 Viertel landes, gehorche 2 Tage uz Rooß, habe 2 kleine söhne nahmentlich Michel und Andreß – 1 pferdt, 1 kuhe. Könne außsäen 2 lof roggen – 1½ lof gersten – 1 lof habern, zahle unvermügenheit halber keine gerechtigkeit (VAR II 441) oder aus Burtnieki (Burtneck): der landtmeßer hat 1. Kleinschmedt 2. Mulmugger von 1 haken –––––––— 11 Familiennamen wurden den Bauern erst in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts amt- lich verliehen. 308 Renāte Siliņa-Piņķe

(VAR II 586). Einige der genannten Bauernhöfe sind unbewohnt und werden als wüst bezeichnet. In nur einem einzigen Beleg aus Zaube (Jürgensburg) kor- reliert der Bauernhofname Schmit mit dem explizit genannten Beruf des Insas- sen: Schmit. Hendrig ist ein schmitt (VAR III 1247). In den übrigen rund 20 Be- legen, die den Beruf des Schmiedes nennen, ist die Korrelation zwischen dem Beruf und dem Hofnamen nicht festgestellt worden. In drei Fällen ist die Inter- pretation des Namens nicht eindeutig: (1) der Eintrag aus Tīnūži (Lindenberg): Hiernach folgen Vier Gärtener, [..] nahmentlich – [..] 4. Matties Schmiedt (VAR I 101); (2) der Eintrag aus Lēdurga (Loddiger): Hans Schmidt Curlend[er] [..] hat nur rein garten stell [..] erhelt sich seines handtwerks (VAR I 166); (3) der Eintrag aus Mazstraupe und Raiskums (Klein-Roop und Raiskum), wo unter unbewohnten Bauernhöfen (wüste Lande) auch Ein Schmit belegt ist (VAR II 427). In den ersten beiden Belegen kann eventuell ein Familienname des ange- stellten Gärtners gemeint sein. Im zweiten Beleg, in dem das Handwerk nicht explizit genannt wird, kann man auch an einen Schmied denken. Im dritten Be- leg kann der Gebrauch des Artikels ein eventuell auf eine im Krieg zerstörte und verlassene Schmiede hinweisen. Man kann also sagen, dass die Zahl der Bauernhofnamen deutscher Her- kunft 15 bis 18 Belege beträgt. Von den Siedlungsnamen ostseefinnischer Herkunft mit der Bedeutung ʻder Schmiedʼ, estnisch und Salis-livisch12 sep, livisch siepā, war nur ein einziger Beleg zu finden: Seppe, ein unbewohnter Bauernhof in Burtnieki (Burtneck), im nördlichen Teil Livlands. Der ebenfalls im nördlichen Teil Livlands, in Limbaži (Lemsal) belegte Hofname Kirstsepp ist mit dem Beruf des Sarg- oder Kis- tenmachers und nicht dem des Schmiedes zu verbinden (vgl. estn. kirst ʻder Sargʼ, Salis-livisch ʻdie Kiste, der Kastenʼ). Diese Aufzählung wäre jedoch nicht vollständig ohne die Nennung dreier Gutsnamen, den Gütern Selsau, lettisch Dzelzava, Sepküll, lettisch Pāle und Erz- bach. Im ersten Fall ist im Deutschen der lettische Name übernommen worden – eine suffixale Ableitung vom Lexem dzelzs ʻdas Eisenʼ, was auf einen alten Siedlungsnamen hinweist. Im zweiten wurden die ostseefinnischen, eventuell li- vischen oder estnischen Namen mit der Bedeutung ʻdas Schmiededorfʼ über- –––––––— 12 Salis-Livisch (auch Livland-Livisch genannt) war der in Livland (s. Abb. 3) gespro- chene, heute ausgestorbene livische Dialekt, der viel mehr Ähnlichkeiten mit dem Estnischen aufweist als das im nördlichen Kurland gesprochene Livisch (WINKLER/ PAJUSALU 2009: 9, 30-31). Mit Eisenverarbeitung verbundene Berufe in den Siedlungsnamen Livlands 309 nommen (vgl. estn. sepp, Salis-livisch sep ʻder Schmiedʼ und estn. küla, Salis- livisch t'ula ʻdas Dorfʼ) ins Deutsche übernommen. Der lettische Name ist eine unabhängige, wahrscheinlich jüngere Bildung, eventuell vom Namen der Guts- besitzer der Familie Pahlen (VAR II 364).

5. Siedlungsnamen aus indirekten Berufsbezeichnungen Die Siedlungsnamen enthalten auch andere Wörter, die mit der Eisen- verarbeitung in Verbindung gebracht werden können. Es wurden insgesamt 23 derartige Namen exzerpiert, die auf drei lettische (oder livische) Wörter zu- rückgehen.13 Eines von ihnen ist tērauds ʻder Stahlʼ, in lettischen Mundarten und in den Texten des 17. Jahrhunderts auch in der Form tērods [uo] – Täh- rohds (Manc1638_L: 173B21) belegt. Da dieses Wort im Lettischen aus dem Livi- schen entlehnt ist (KARULIS 1992 II: 392, KETTUNEN 1938: 426, vgl. auch liv. tierā ʻdie Schneide, scharfe Kante oder Spitzeʼ, Salis-livisch tära ʻscharf, schnei- dendʼ) und fünf von sieben Bauernhöfen mit den Namen Tehraude, Teraud, Terodh, Terraud, Terud (2) und Traud im nördlichen und nordwestlichen Teil Livlands, in den früheren livischen Gebieten (s. Abb. 3), belegt sind, können sie auch livischen Ursprungs sein. Nur ein Bauernhof von sieben – Terud in Sigulda (Segewold) – ist als bewohnt verzeichnet.14 Mit dem Flicken von eisernen Gegenständen, insbesondere von Kesseln, sind zehn Siedlungsnamen zu verbinden: Katlaben Dorff15, Katlap (8) und Katlaps. Sie lassen sich als Kompositum *Katllāpis, d. h., ʻder Kesselflickerʼ rekonstruieren, aus den lettischen Wörtern katls ʻder Topf, der Kesselʼ und lāpīt ʻflickenʼ (vgl. katllãpis ʻder Kesselflickerʼ ME II 171). Auch die am Anfang des 20. Jahrhundert belegten Namen bestätigen diese Annahme, vgl. Katlāpji (ENDZELĪNS 1922: 50, 52, 62) und Katlāpi (ENDZELĪNS 1922: 59). Der letzte auf mögliche Eisenverarbeitung und Schmiedetätigkeit hinwei- sende Bestandteil der Siedlungsnamen könnte das Wort der Nagel, lettisch nag- la, livisch naggõl, sein. Die sechs belegten Bauernhofnamen sind Naggell (3, einmal auch als Naglonge), Naggell Dorff, Naggeln land (auch Naggell) und Nagklems (auch Naglan). Obwohl das lettische Wort als eine alte Entlehnung, –––––––— 13 Im Gutsnamen Erzbach steckt der Familienname des ehemaligen Besitzers, Lehns- mann des Deutschen Ordens, Adrian Ertzbach (VAR III 740). 14 Hier sei auf die Beobachtung von Valda Kļava verwiesen, die bemerkt hat, dass die im Rahmen des Projektes analysierten Bauernhöfe einen überdurchschnittlichen Prozent- wert an Wüstungen aufweisen. 15 Vgl. Fußnote 7. 310 Renāte Siliņa-Piņķe eventuell aus dem Altnordischen gilt, ist der Einfluss des Mittelniederdeutschen unbestreitbar (KARULIS 1992 I: 614). In den belegten Siedlungsnamen kann auch die Protokollsprache und die Muttersprache der Revisoren eine Rolle bei der Niederschrift gespielt haben, d.h. „redende“ Namen, deren lexikalische Be- deutung den deutschen Schreibern bewusst war, konnten ins Deutsche zurück- übersetzt werden.

6. Die unklaren oder problematischen Fälle

Im Weiteren werden einige Problemfälle dargestellt, die von den Historikern als mögliches Indiz für die Eisengewinnung oder Eisenverarbeitung erwogen wur- den, deren Zusammenhang mit diesem Thema aber linguistisch oder onomas- tisch problematisch oder unsicher scheint. Es gibt unter den Belegen eine Reihe von Siedlungsnamen mit der Wurzel Rud- / Rudd-, wie z.B. Rudan, Ruddi, Rud(d)in, Rud(d)ing, Rudhe, Rudhezem u.a. Die Verbindung mit dem lettischen Wort rūda ʻdas Erzʼ scheint allerdings unwahrscheinlich zu sein, da die Schreibung der Namen eher auf einen kurzen als einen langen Vokal hinweist. Dazu ist auch die heutige Bedeutung ʻdas Erzʼ eine späte Entlehnung aus dem Russischen (KARULIS 1992 II: 132) und kann nicht als Motivation für die Siedlungsnamen im 17. Jahrhundert gedient haben. Auch die Verbindung mit dem livischen Wort rōda, Salis-livisch raud ʻdas Ei- senʼ ist nicht sicher – die geographische Verbreitung dieser Namen ist größer als das von Liven bewohnte Territorium. Es fehlen auch Forschungen über die Lautwandlungsprozesse bei der Lettisierung livischer Namen. Am ehesten scheint die Verbindung mit dem lettischen Adjektiv ruds ʻrotbraunʼ. Als Moti- vation kann hier die rotbraune Farbe der Erde oder des eisenhaltigen Wassers gedient haben, allerdings aber auch die rotbraune Haarfarbe der Hofbewohner. Ein weiterer Problembereich sind die Komposita, die als Grundwort even- tuell das Wort -kalis < -kalvis ʻder Schmiedʼ, wie Varkalis, Dzelzkalis in der Schreibung -kall oder -kallen, enthalten (vgl. Warkalene, Warkall, Sellßkall u.ä.), deren Bestimmungswort aber nicht auf Eisenverarbeitung hinweist. Nur einige Beispiele: Kalikall, Stranßkall, Wirßkallen u.ä. Diese Namen sind eher auf das lettische Wort kalns ʻder Berg, der Hügelʼ zurückzuführen. Das bestätigen auch allonome Schreibungen in unterschiedlichen Quellen wie z.B. Sierkalne im Revi- sionsprotokoll (VAR III 866) und Sirkallen im Wackenbuch des Gutes Alūksne (Marienburg) (DUNSDORFS 1941: CDXII) oder Krimmerkalln im Revisionstext (VAR III 928) und Krimmeckall im Wackenbuch des Gutes Vecgulbene (Schwa- Mit Eisenverarbeitung verbundene Berufe in den Siedlungsnamen Livlands 311 nenburg) (DUNSDORFS 1941: CDXV). Als Wort kalns können wohl auch die Grundwörter in den Komposita Silweskell und Weskell interpretiert werden.16 Aus Motivationsgründen scheint auch der Beruf des Kannenmachers, lett. kannenieks ʻKannenmacher, auch Hersteller von Zinngeschirr generellʼ (LKV VIII 15376) (vgl. Kannenmacher/ Kannineex. Manc1638_PhL: 4062) als In- diz für Metallverarbeitung nur bedingt verwendbar, da das lettische Wort kanna ʻdie Kanneʼ sowohl für Zinn- als auch Holzgeschirr steht und die Motivation für die Hofnamen sehr weitreichend sein kann. Es sei hier jedoch auf die neun Bau- ernhofnamen Kanenck (auch Kanneck), Kanneck (4), Kanneckh, Kanneneck, Kannenneck, Kannex gleicher Herkunft verwiesen, die alle im westlichen und nördlichen Livland belegt sind. Ein Wort, das in den Siedlungsnamen ebenfalls mit einer sehr weitrei- chenden Motivation verknüpft werden kann, von der eine auch auf den Beruf des Schmiedes hinweisen kann, ist das Wort der Hammer, lett. āmurs, Salis- livisch āmer, estn. haamer. Es sind zwei derartige Bauernhofnamen belegt: Amorit in Smiltene (Smilten) (VAR II 630) und Hameren, ein wüster Bauernhof in Zaube (Jürgensburg) (VAR III 1247).

7. Die „Geburt“ eines Siedlungsnamens?

Alle bis hierher angeführten Beispiele erlauben keine genaueren Aussagen über die Entstehungszeit der analysierten Siedlungsnamen. Mit dem folgenden Fall wird die mögliche „Geburt“ oder mindestens das Kindesalter eines Siedlungs- namens dargestellt. Während des Projekts wurde aus archäologischen Gründen dem Gut Ropaži (Rodenpois)17 besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Bei der Analyse der Sied- lungsnamen dieses Gutes wurden auch Belege aus den schwedischen Landver- messungskarten aus dem Ende des 17. Jahrhunderts herangezogen. Da korre- liert der Hofname Nagklems (auch Naglan) aus der Revision mit dem Eintrag Siʃselkalln oder Nagelshoff auf der sogenannten Schlossgebietkarte von Ropaži (LVVA 7404.3.21. Abb. 4). Die Lokalisierung auf der Karte erlaubt die Zusam- menstellung dieses Eintrages mit dem späteren Beigut Nagelshof (lett. Naglu- muiža) (BHO II 409), dem heutigen Dorf Nāgelmuiža in der Gemeinde Ropaži –––––––— 16 Im Unterschied zum Namen Warkell und Warkkull, der in Kapitel 4 behandelt wird (s. auch die Fußnote 6). 17 Es ist sehr bezeichnend, dass von den Historikern und Archäologen gerade dieser Ort gewäht wurde, der auf einen alten, schon im 13. Jahrhundert belegten Namen livischer Herkunft zurückgeht, vgl. liv. rōdapūo`is ʻeisenhaltige Erdeʼ. 312 Renāte Siliņa-Piņķe

(Lģia2017). Wie die bisherigen Quellenstudien der lettischen Bauernhofnamen zeigen, sind solche, doppelten Einträge sehr kurzlebig. Sie bezeugen den kurz zu- vor einsetzenden Prozess des Namenwechsels und sind ein glücklicher Zufall des- sen Dokumentation. In diesem Fall kann man annehmen, dass der deutsche Na- me Nagelshoff deutlich jünger ist als der ostseefinnisch-lettischer Mischname Siʃselkalln, der aus dem ostseefinnischen Wort für ʻdrinnenʼ (vgl. est. sisse, salis-li- visch sizal, liv. si`zzõl) und dem lettischen Wort kalns ʻder Berg, der Hügelʼ gebil- det ist. In diesem konkreten Fall könnte man den gesuchten Zusammenhang mit der Eisenverarbeitung in dieser Gegend, sei sie auf dem Bauernhof oder auf dem Beigut betrieben worden, vermuten.

Abb. 4: Fragment der Schlossgebietskarte von Ropaži, Ende des 17. Jahrhunderts (LVVA 7404.3.21.).

8. Schlussfolgerungen

Das gewonnene und analysierte Material erlaubt leider fast keine Aussage über die Eisenverarbeitung in Livland im 17. Jahrhundert. Die absolute Mehrheit der Bauernhofnamen sind wirklich Bauernhofnamen, und es besteht kein Hinweis auf eine Schmiedetätigkeit der Landwirte. Allerdings kann man Vermutungen zu der Tätigkeit der Schmiede in Livland in früheren Jahrhunderten anstellen. Ein Hinweis ist die hohe Anzahl der verlassenen, wüsten Siedlungen – die Be- siedlung des nach dem Livländischen und dem polnisch-schwedischen Krieg verwüsteten Landes mit Bauern war deutlich einfacher als die Rekrutierung von Handwerkern. Auch die von Edgars Dunsdorfs erarbeiteten Zusammenstellungen der Bau- ernhofnamen im 17. Jahrhundert und derjenigen vom Anfang des 20. Jahrhun- derts zeigen, dass den im Protokoll hochdeutsch geschriebenen Formen im rea- len Gebrauch gelegentlich lettisierte niederdeutsche Formen entsprochen haben müssen. Anders kann man bestimmte lettische Siedlungsnamen aus dem 20. Jahrhundert wie Kliesmete(s) nicht erklären. Hier handelt es sich um eine Lettisierung des mittelniederdeutschen Wortes klênsmede ʻder Kleinschmiedʼ Mit Eisenverarbeitung verbundene Berufe in den Siedlungsnamen Livlands 313

(Lvv I2 107; SCHILLER/LÜBBEN 1876: 481), das im Lettischen nur in den Sied- lungsnamen belegt ist. Auch die Siedlungsnamen livischer und estnischer Her- kunft in dieser Region weisen auf die Existenz von Schmieden in früheren Jahr- hunderten hin. Der Alter dieser Namen ist leider auf Grund fehlender Quellen nicht festzustellen. Die Möglichkeit der genaueren zeitlichen Zuordnung eines Siedlungsnamens ist sehr selten und deshalb besonders wertvoll. Die gewonnenen Resultate können als indirekte Hinweise auf die Eisen- bearbeitung in bestimmten Gegenden aufgefasst werden. In den meisten Fällen handelt es sich um Hinweise auf frühere Jahrhunderte, denn je weiter der Pro- zess der Proprialisierung einer Ortsbezeichnung vorangeschritten ist, desto we- niger kann man von einem Zusammenhang zwischen der lexikalischen Bedeu- tung und den konkreten Gegebenheiten der Umgebung oder der Gesellschaft ausgehen.

Literatur und Quellen

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Natalija Vasil’eva Die Widerspiegelung der maritimen Berufe Bootsmann und Lotse in russischen Zunamen: eine onomastisch-lexikologische Studie

0. Präliminarien Gegenstand dieses Aufsatzes sind die für die russische Sprache eher seltenen und damit interessanten Familiennamen, die von den maritimen Berufen Boots- mann und Lotse abgeleitet sind. Mein weiteres Ziel ist dabei, die onomastische Analyse mit der appellativisch-lexikologischen zu verknüpfen, um die gegen- seitige Beeinflussung von Appellativa und Propria aufzuzeigen. Es gilt als conditio sine qua non für die onomastische Analyse, dass man Appellativa als Ausgangsformen (Herkunftsformen) für Onyme analysiert und entsprechende Schlussfolgerungen zieht. In der Regel endet hier das onomastische Interesse für die Appellativa, die damit ihre Quellenfunktion für Onyme erfüllt haben. Für die integrative onomastisch-lexikologische Analyse reicht das Interesse durch- aus noch weiter. Dies gilt für die Eigenschaften von Appellativa, die deutlich machen, welchen Platz diese Lexeme im Sprachbewusstsein der Sprecher ein- nehmen. Wenn wir zum Beispiel die Häufigkeit eines Lexems in der modernen Sprache untersuchen, werden wir in der Lage sein zu beurteilen, wie die Wahr- nehmung eines von einem Appellativ abgeleiteten Familiennamens (FamN) erfolgen kann, dessen Wurzeln bis ins 18. Jahrhundert zurückreichen. Zusam- menfassend wird der integrative onomastisch-lexikologische Ansatz mit dem Konzept des onomastischen Potentials beschrieben, das sowohl für die Ono- mastik als auch für die Lexikologie relevant ist. Für die Untersuchung wurden zwei Tätigkeiten ausgewählt, die von Boots- mann und Lotse (russ. bocman und locman), und dazu noch drei thematisch mit dem maritimen Bereich verbundene Tätigkeiten zum Vergleich und als Hinter- grund: – Obermaat, d.h. Leutnant zur See, russ. mičman – Steuermann , russ. šturman – Schiffsführer, russ. škiper

Dazu gehören die entsprechenden Familiennamen mit dem russischen anthro- ponymischen Formans -ov: Bocmanov, Locmanov und auch Mičmanov, Šturmanov, Škiperov. Diese von mir getroffene Auswahl hat zwei Gründe: (1) es handelt sich einerseits um FamN, die in den meisten russischen Familien-

Onomastica Lipsiensia/OL 13 (2018), S. 315-326. 316 Natalija Vasil’eva namenbüchern nicht verzeichnet sind1 und (2) kommen sie andererseits in Telefonbüchern vor. Das bedeutet, dass diese FamN wirklich existieren. Ihr Fehlen in FamN-Wör- terbüchern lässt sich erklären: Diese FamN sind als Derivationen von Appellativa semantisch transparent, woraus sich ergibt, dass es für jeden Durchschnitt- sprachträger völlig klar ist, von welchem Appellativum sie gebildet worden sind (vorausgesetzt, dass er/sie dieses Apellativum kennt). Und dennoch sind diese FamN bei all ihrer Transparenz onomastisch interessant. Ich will mich bemühen, das zu zeigen. Das soll im Einzelnen folgendermassen geschehen: – Zunächst soll kurz dargestellt werden, welche Stellung die FamN nach Berufen im Gesamtkorpus der russischen FamN einnehmen. – Anschließend will ich bei den Lexemen bocman und locman sehr kurz auf die Geschichte dieser Entlehnungen im Russischen eingehen. – Danach werde ich Nachweise zu diesen FamN aus Moskau anführen. Dabei wird zweierlei sichtbar werden: einerseits die unterschiedliche Häufigkeit, andererseits auch das unterschiedliche Dervationspotential. – Zum Schluss möchte ich zeigen, wie einige dieser Wörter als Objekte einerseits für ein Wortspiel im Russischen funktionieren können, ande- rerseits aber auch als andere onymische Klassen fungieren.

1. Zur Stellung der FamN nach Berufsbezeichnungen im System der russischen Sprache

Der weithin bekannte russische Onomast und insbesondere Personennamen- forscher Vladimir Andreevič Nikonov hat ein sehr umfangreiches Corpus russicher FamN untersucht. Als Ergebnis hat er sechs Hauptgruppen von FamN herausgearbeitet: – Patronymische FamN – Possessive FamN – FamN nach Landesherren / Grundbesitzern – HerkunftsN – also FamN nach Orten und Regionen – FamN nach Berufen

–––––––— 1 Cf. GANŽINA 2001; ŽURAVLEV 2005; NIKONOV 1987; NIKONOV 1993; PARFENOVA 2005; SUPERANSKAJA 2008; FEDOSJUK 1996; auch http://imja.name/familii/pyatsot- chastykh-familij.shtml. Die Widerspiegelung der maritimen Berufe Bootsmann und Lotse 317

– FamN nach Auffälligkeiten oder Eigentümlichkeiten ihrer Träger, im Deutschen allgemein als Übernamen bezeichnet (NIKONOV 1988: 171- 173).

Innerhalb dieser sechs Gruppen sind die patronymischen FamN und die FamN nach Berufen mit den grössten Häufigkeiten vertreten. Allein ihrer Entstehung nach nehmen die patronymischen FamN hinsicht- lich der Häufigkeit den ersten Platz ein. Das heißt für das Russische konkret, sie wurden entweder (a) vom kirchlichen Namen des Vaters oder (b) von einem inoffiziellen Namen /Beinamen des Vaters gebildet. Der patronymische Charak- ter derartiger FamN wird im Russischen mit speziellen Wortbildunsgselemen- ten zum Ausdruck gebracht. Es sind die Suffixe oder Formantien -ov bzw. -ev und -in (die weiblichen Formen zeigen -ova, -eva, -ina). Ihre Anwendung und damit ihr Vorkommen hängt von der Form der Basis ab. Kurz erläutert heißt das Folgendes: – Endete die Basis des Namens – also der kirchliche Name oder der Bei- name des Vaters – auf einen harten Konsonanten, so trat das Element -ov an den Stamm. Beispiel: Ivan – Ivanov. – Endete die Basis auf einen weichen Konsonanten, dann trat -ev an. Bei- spiel: Vasilij [russ. Ваcилий – die Basis ist Vasil’] – folglich Vasil’ev. – Endete der zugrunde liegende Ruf– oder der Beiname auf -a, so wur- de -in zur Bildung des FamN gewählt. Beispiel: Foma – Fomin oder Nikita – Nikitin.

Von Berufsbezeichnungen gebildete FamN bezeugen eine sehr große Vielfalt handwerklicher Tätigkeiten im alten Russland. FamN nach ausgeübten Berufen traten zuerst vor allem in den Mittelschichten der Gesellschaft auf, also bei Kaufleuten und Handwerkern. Und im Unterschied z.B. zu Deutschland erscheinen diese FamN erst im 17. und 18. Jahrhundert. Schon Boris Unbegaun2 konstatierte, dass fast alle FamN dieser Gruppe auf -ov auslauten, nicht aber auf -in. Das zeigt an, dass die Ausgangsformen für diese FamN nicht auf Vokal -a endeten. „Das ist nicht verwunderlich, denn maskuline Substantive mit dem

–––––––— 2 Boris UNBEGAUN (1898 Moskau – 1973 New-York) – russischer Slavist deutscher Abstammung; nach dem Bürgerkrieg in Russland (1917-1922) lebte er in der Emigration. Er ist vor allem als Verfasser eines grundlegenden Werkes über russische FaN bekannt (UNBEGAUN, Boris. Russian surnames. Oxford: Clarendon Press, 1972), das später ins Russische übersetzt wurde (UNBEGAUN 1989). 318 Natalija Vasil’eva

Auslaut auf -a vermitteln in der Regel expressive Bedeutungen, die ihrer Natur nach den Berufsbezeichnungen fremd sind“ (UNBEGAUN 1989: 92 russ.). Berufsbezeichnungen sind nomina agentis und im Russischen in der Regel suffixale Bildungen. Beispiele: mit dem Suffix -nik: mjaso ʻFleichʼ → mjasnik ʻFleicher’ → FaN Mjasnikov; mit dem Suffix -ač: truba ʻTrompeteʼ→ trubač ʻTrompeterʼ → FamN Trubačev . Diese einführenden Angaben sind nötig, um Besonderheiten der von mir nun näher zu betrachtenden Bocman/Locman-FamN darstellen zu können. Die- se Gruppe der maritimen FamN unterscheidet sich im Russischen von den sonstigen FamN nach Berufen zumindest durch zwei Merkmale: (1) Es sind FamN, denen eine Basis zugrunde liegt, die kein typisches Suffix eines nomen agentis besitzt; (2) und es sind FamN, die von Lehnwörtern gebildet wurden.

2. Blick in die Geschichte der entlehnten Lexeme bocman und locman im Russi- schen Aus der Geschichte der russischen Sprache wissen wir, dass viele Entlehnungen aus westeuropäischen Sprachen in der Petrinischen Epoche (1689-1725) ins Russische gelangten. «Auf diesen Zeitraum und die 30er Jahre des 18. Jahrhun- derts fielen 52% der Entlehnungen des gesamten 18. Jahrhunderts" (BIRŽAKOVA et al. 1972: 170).3 Das war die Zeit Peters des Großen, der in großem Umfang Reformen im Staatswesen und in der Gesellschaft seiner Zeit durchsetzte. Be- zeichnungen für verschiedene Ämter und Dienststellungen, Tätigkeiten sowie für militärische Begriffe kamen damals auf. Maritime Terminologie wurde hauptsächlich aus der niederländischen und englischen Sprache entlehnt. Es gab zu dieser Zeit in Holland und England eine starke Marine und fortschrittlichen Schiffsbau. Zu den uns interessierenden Lexeme führen historische und etymologische Wörterbücher an: Bocman ʻUnteroffizier mit Verantwortung für Matrosen und Schiffstakelage, Anker usw.ʼ (SRJAZ XVIII 2: 217). Als erste Daten für Belege werden die Jahre 1696, 1697, 1762 genannt. Im Russischen zeigt das Wort orthographische Adaptation von niederländisch bootsman (boosman), vgl. dt. Bootsmann, Bootsleute. Es ist interes- sant, dass vom Russischen eine Vermittlung ins Ukrainische und Bulgarische als slawische Sprachen erfolgte, cf. ANIKIN 2011: 126.

–––––––— 3 [russ.]: “На этот период и 30-е годы приходится 52% заимствований всего XVIII века”. Die Widerspiegelung der maritimen Berufe Bootsmann und Lotse 319

Locman mit Variante lotsman (1703, 1716) mit der Angabe zur Bedeutung im Russischen ʻeiner, der ein Schiff durch das Fahrwasser leitet, Steuermannʼ, deutsch ʻder Lotseʼ, entlehnt aus niederländisch loodsmann, dt. Lotsmann. (SRJAZ XVIII 11: 234-235).

Die Polyvariabilität in der phonographischen Gestaltung der Entlehnungen ge- hört zum sprachlichen Charakteristikum für diese Zeitperiode, cf. штурман, стюрман, штюрман, штирман; шхипор, шипер, шхипер; босман, боцман (POPOVA 2000: 151); Ursache für diese Erscheinung von Varianten war die in jener Zeit beobachtbare Vielzahl von Übertragungsmedien (множественность передающих сред), d.h. also Kontakte mit verschiedenen Sprachen und aus diesen erfolgenden Entlehnungen (BIRZAKOVA et al. 1972: 89). Es ist Interessant, einen Blick darauf zu werfen, wie diese Lexeme als Lehn- wörter im Derivationsprozess adaptiert wurden, also welche Wortbildungs- nester sie als Appellativa generierten. Das große vierbändige Wörterbuch von Vladimir DAL’ bietet dazu folgendes Material: Bocman – bocmanmat ʻUnterbootsmannʼ – bocmanov als Zugehörigkeit anzei- gendes Adjektiv (adjectivum possessivum) – bocmanskij als einen Bezug aus- drückendes Adjektiv (adjectivum relativum) – bocmanstvo ʻBezeichnung, Rang und Dienststellung des Bootsmannesʼ (DAL’ 1: 295). Locman – locmanov als adjectivum possessivum – locmanskij als adjectivum relativum – locmanša ʻFrau des Lotsenʼ – locmanit‘ ʻals Lotse tätig seinʼ – locmanstvo ʻTätigkeit/Beruf des Lotsenʼ (DAL’ 2: 697 – 698).

Der Vergleich der Derivata zeigt einen Unterschied im Status (und vielleicht auch im modus vivendi) der Person mit maritimem Dienstgrad (Bootsmann) und der Person, die maritime Tätigkeit als Beruf ausübt (Lotse): Bei dem Rang von bocman ist die Bezeichnung für die Frau nicht aktuell, aber im Unterschied dazu ist sie bei locman wesentlich. Vom Substantiv mit Semantik ʻDienstgradʼ ist kein Verb gebildet worden, aber von der Berufsbezeichnung lässt sich ein Verb bilden (ʻals Lotse tätig seinʼ). Es ist deutlich geworden, dass die beiden Lexeme bocman und locman unge- fähr zur gleichen Zeit um 1700 in den russischen Sprachgebrauch gelangten. In dieser Zeit kamen auch die FamN nach militärischen Bezeichnungen und ver- schiedenen Dienstgraden auf, wobei diese ebenfalls fremdsprachiger Herkunft sind. In den meisten Fällen handelt es sich um Entlehnungen aus dem Französi- schen und dem Deutschen. In einigen Fällen hat dabei das Polnische vermittelt. Als Beispiele seien genannt: Kapitanov als Bildung zu russisch kapitan, Gene- ralov zu general, Oficerov zu oficer, Soldatov zu soldat, Konduktorov zu konduk- 320 Natalija Vasil’eva tor ʻAufseher, (später) Schaffnerʼ, Senatorov zu senator, Lantratov von lantrat aus dt. Landrat, etc., cf. UNBEGAUN 1989: 101. Es bleibt aber eine gewisse Unsicherheit bei der Zuordnung des FaN Bocma- nov und Locmanov ausschliesslich zur Gruppe „Namen von Berufen“. Die Frage ist, ob diese FaN nicht auch patronymisch zu erklären sein könnten? Für die all- gemeinen Schlussfolgerungen, dass der FamN Bocmanov auf den Sohn eines Bootsmannes angewandt wurde, braucht man urkundliche Belege, die ich z.Z. nicht habe. Aber Locmanov? Bei einem maritimen Juristen fand ich folgende In- formation (es handelte sich um das Jahr 1708): „Mit der Unterordnung des Lot- sendienstes unter den Staat wurde der Beruf Lotse zum erblichen. Die Söhne eines Lotsen hatten nicht das Recht, einen anderen Beruf zu wählen, außer Lotse, den sie von Kindheit an von ihren Eltern gelernt hatten“ (MAKSIMADŽI 1964, 38). Im Einzelfall können die FamN Bocmanov und Locmanov – so wie in vielen anderen Fällen auch – durchaus von einem Beinamen gebildet worden sein. Den so ähnlichen FamN Soldatov leitet Aleksandra Superanskaja als Bildung von dem Beinamen Soldat ab. Ein Jakov Soldat als Donkosak ist 1643 urkundlich belegt (SUPERANSKAJA 2008: 170). Es lässt sich aus alledem erkennen, das diese beiden FaN ihrer Herkunft nach als polykategoriell interpretiert werden können.

3. Bocman/Locman-Familiennamen als Einträge in Telefonbüchern am Beispiel von Moskau: Statistischer Ansatz An dieser Stelle wende ich mich den Bocman/Locman-FamN zu, wie sie heut- zutage in Telefonbüchern aufgeführt sind. Zunächst eine klassifikatorische Be- merkung. Nach der morphologischer Form unterscheidet man in der russischen Onomastik zwei Klassen von FaN: Familiennamen mit den typischen Anthro- poformantien (-ov, -in), diese nennt man standardisierte FamN /Standard- FamN, und FamN ohne derartige Formantien nicht standardisierte FamN /Nicht-Standard-FamN (SUPERANSKAJA/SUSLOVA 2008: 27-28). Die Quelle, die ich benutzt habe, heißt „Telefonnyj spravočnik. Familii Moskvy. 2017“ [http://tel09.info/moscow/fio (Zugriff 9.10.2017)]. Dieses Telefon- buch nach den Familiennamen von Moskau enthält 37.352 FamN. Wichtig ist, dass in dieser Qülle nicht nur die Inhaber von Telefonnummer aufgeführt wer- den, sondern auch die anderen Familienmitglieder, also mehrere Generationen (von 18 bis 93 Jahren). Statistisch bearbeitet wurden die obengenannten beiden Typen der FaN: mit Formantien (-ov, -ova, auch mit morphologischen Varianten), die nach Superanskaja zum Typ „Standard-FamN“ gehören, und ohne Formantien („Nicht-Standard-FamN“): Bocmanov – Bocman und Locmanov – Locman. Und Die Widerspiegelung der maritimen Berufe Bootsmann und Lotse 321 dazu noch drei andere Paare zum Vergleich: Mičmanov / Mičman, Škiperov / Škiper, Šturmanov / Šturman.

FaN, Standard Zahl FaN, Nicht-Standard Zahl Gesamtzahl Σ (Standard+Nicht- Standard) Bocmanov/Bocmanova 28 Bocman 23 Σ 51 Locmanov/Locmanova 85 Locman 20 Locmankova 1 Locmanenko 1 Locmonova 1 Σ 108 **Mičmanov 0Mičman 4Σ 4 Šturmanov/Šturmanova 2**Šturman 0Σ 2 (Šturm) 4 10 (Σ 12) Škiperov 48 **Škiper 0Σ 48 Abb. 1. Statistik der FaN im Telefonbuch (mit Doppelsternchen bezeichnete FaN kommen in diesem Telefonbuch nicht vor)

Es fällt auf, dass die FaN des FaN-Wortbildungsnestes Locman mit 108 Nen- nungen quantitativ überwiegen. Auch derivativ zeigen sie mehr Varianten. Das

–––––––— 4 Die dritte Form Sturm in diesem FaN-Nest erfordert einen Kommentar. Etymologisch passt sie gar nicht in dieses Nest, da das entlehnte Appellativum sturm auf ein anderes Etymon zurückgeht: auf mittelhochdeutsch sturm über polnisch szturm (VASMER IV: 481, russ). Das heißt, die Lexeme sturman und sturm sind nach ihrer Etymologie Paronyme. Sie können also nur auf der Grundlage der Volksetymologie, die aufgrund der kyrillischen Schrift entstand, kombiniert werden. Dennoch trage ich den FaN Sturm in das Nest Sturman ein als Reflex des sprachlichen Bewusstseins von naiven Sprachträgern. Es ist interessant, dass eine solche paronymische Konvergenz in der Dichtung als Stilmittel zu finden ist: Против штурма Волн и шквала Встань, как штурман У штурвала [М.А. Зенкевич. «Горечь соли…» (1963)] (www.ruscorpora.ru; Zugriff 9.10.2017). Semantisch müsste in der ersten Zeile an der Stelle des Wortes sturm ʻAngriffʼ eigentlich das Wort storm ʻSturmʼ stehen, aber der Autor opfert die Semantik für die phonetische Annäherung an die nächsten Wörter sturman und sturval und zu Gunsten des daraus resultierenden stilistischen Effekts. 322 Natalija Vasil’eva

Verhältnis von Standard-FaN vs. nicht-Standard-FaN in dieser Gruppe beträgt insgesamt ca. 80% zu 20%. Beim FaN-Nest Bocman beträgt dieses Verhältnis ca. 50 zu 50. Die Gesamt- zahl von FaN ist niedrigerer und beträgt nur 51. Bei den anderen FaN bemerkt man quasi ein unvollständiges Paradigma, d.h. das Fehlen entweder der Standard-Form des FaNs (wie bei Mičman) oder einer Nicht-Standard-Form (wie bei Škiper). Diese Statistik kann man als die erste Annäherung an den Begriff des onomastischen Potentials betrachten. Als onomastisches Potential eines Appella- tivums können wir seine Fähigkeit zur Proprialisierung bezeichnen, die in verschiedenen variativen Erscheinungsformen, diachron oder synchron, geprägt wird. Das heißt, dass in der betrachteten Gruppe das Lexem locman das höchste Potential zur FamN-Bildung besitzt – sowohl quantitativ als auch derivativ. Auf den nächsten Plätzen folgen bocman, dann škiper, šturman und an letz- ter Stelle mičman. Man kann also davon ausgehen, dass die Tätigkeit locman nicht nur bezüglich der Übersee-Schiffe, sondern auch hinsichtlich der Fluss- Schifffahrt wichtig war.5 Daher war die Verbreitung dieses Berufes größer und größer waren auch die Kontakte mit Leuten, die nicht nur zum engeren Berufs- feld gehörten.

4. «Onymisch-appellativisches Pendel»: Wortspiele und andere Onymisierungs- varianten der maritimen Berufe Bootsmann und Lotse

Im Weiteren möchte ich kurz auf zwei Themen eingehen: Zuerst auf ein Wort- spiel, in dem die von mir behandelten FamN vorkommen. Danach sollen einige andere onymische Klassen im Zusammenhang mit den erwähnten Lexemen Be- achtung finden. Das Wortspiel (s. Beispiel weiter unten) beruht auf dem gleichen Klang der Endelemente (Homophonie) bei den entlehnten appellativischen Lexemen, die maritime Berufe bezeichnen, und den Endelementen der jüdischen Familien- namen. Es handelt sich um das Wortelement -man, das im (naiven) sprach- lichen Bewusstsein der muttersprachlichen Russen eindeutig mit jüdischen FaN assoziiert ist, cf. Katzmann, Schwarzmann.

–––––––— 5 Vgl. die schon im 18. Jahrhundert existierende Klassifikation von Lotsen: dal’nemorskie (für den ganzen Seeweg) vs. portovye (‚Hafenlotsen’) bei MAKSIMADŽI 1964: 38. Die Widerspiegelung der maritimen Berufe Bootsmann und Lotse 323

Beispiel: Ein Jude betritt ein Schiff. Man macht ihn mit der Mannschaft be- kannt. – Das sind der bocman, šturman, mičman, locman. – Der Jude antwortet: Aha, ja, also alle von uns! Ich heiße Kacman .6 Neben FamN zu russisch bocman gibt es auch noch andere onymische Bil- dungen mit diesem Lexem. Google und Yandex (russ.) bieten eine Vielfalt von Beispielen. Unter dem Eigennamen Bocman findet man: – ein Herrenfriseurgeschäft oder aber «Barbershop» – ein Bier-Restaurant – ein Fitness-Center – eine Taxi-Firma – eine Reinigungs-Firma (Ergonyme) – eine Biersorte – einen Vodka – Zigaretten (Pragmatonyme) – Bocman ist einer der beliebtesten Spitznamen für kriminelle Anführer (Anthro- ponym, Beiname) – Bocman ist auch der Haustiername für einen deutlich großen Hund – und ist auch sehr beliebter Name für Katzen (bzw. nur für Kater), besonders auf Schiffen (Zoonyme).

Das sekundäre onymische Leben des Appellativum locman scheint nicht so va- riativ zu sein, die Denotate haben aber mehr soziales Ansehen. Es sind meistens Firmennamen (Merchandising, Marketing, Immobilien, security agency, aber auch eine Schlauchboot-Firma ist dabei); einmal ein Motorschiffsname und der Name einer Softwareplattform für Informationssysteme. Es bleibt noch hinzuweisen auf die Häufigkeit der Appellativa bocman und locman in modernen russischen Texten (sowohl in fiktionalen, als auch in non- fiktionalen). Das Nationale Corpus der Russischen Sprache (NKRJA, www.ruscor- pora.ru) bietet folgende Daten zum Korpus:7 Abfrage bocman: 186 Dokumente, 1284 Tokens; Abfrage locman 122 Dokumente, 426 Tokens (Zugriff 23.12.2017).

–––––––— 6 [russ]: Еврей приходит на корабль. Его знакомят с экипажем: – Это боцман, штурман, мичман, лоцман. – Ба, да тут все свои! Моя фамилия Кацман (http://odessaonline.info/anecdotes/anecdote-202/). 7 Umfang des Gesamtkorpus: 115.645 Dokumente, 23.803.881 Sätze, 283.431.966 Wörter. 324 Natalija Vasil’eva

5. Schlussfolgerungen

1. Die von mir vorgenommene Betrachtung des Namenmaterials kann man nicht als rein onomastisch bezeichnen. Dennoch möchte ich nicht der These von Adolf Bach zustimmen, die Dieter Kremer in seinem Aufsatz „Berufe und Namen“ zitiert hat (KREMER 2014: 413). Adolf Bachs Worte lauten so: „Wo im deutschen Namenschatz Wörter, die im appellativischen Wortschatz ohnehin vorhanden waren, zu Familiennamen wurden, gehört deren Bildung nicht zu den Erörterungen im Bereich der deutschen Personennamenkunde, sondern in die allgemeine deutsche Wortbildungslehre” (BACH 1978:1, 138-139). Ich bin der Meinung, dass die beiden Bereiche – Wortbildungslehre und Namenkunde – sich hier einfach überschneiden oder überlappen. Meine Be- trachtungsweise kann man daher auch als integrativ bezeichnen, als onomas- tisch-lexikologisch, denn die gewonnenen Beobachtungen beziehen sich sowohl auf die Appellativa als auch auf die von ihnen gebildeten FamN. Dabei handelt es sich um folgende Beobachtungen. Ausgewählt wurden appellativische Lexeme: – aus einem lexikalisch-semantischen Feld, nämlich maritime Lexeme; – sie zeigen identische kognitive und sprachliche Struktur (sie sind nomina agentis); – es sind Entlehnungen aus germanischen Sprachen ins Russische; – es sind sämtlich Entlehnungen aus gleicher Zeit, vom Anfang des 18. Jahrhunderts; – und sie haben alle eine übereinstimmende syllabische sowie rhythmische Struktur, die man als trochäisch bezeichnen kann (zwei Silben, die erste Silbe betont).

Meine besondere oder auch hauptsächliche Schlussfolgerung ist daher: Die her- angezogenen Lexeme zeigen ein unterschiedliches onomastisches Potential. Das bedeutet, dass nicht nur die Anzahl der FamN nach diesen Berufen unter- schiedlich ist, sondern auch die Zahl von anderen onymischen Klassen, deren Denotate Bocman und Locman als Eigenname erhalten. Das bedeutet, dass Lexe- me ihr onomastisches Potential auch in anderen onymischen Klassen realisieren können, nicht nur in der Klasse der FamN. Und da dominiert eindeutig Bocman als Ergonym, Pragmatonym, Zoonym und Anthroponym (Beiname). Ich habe es als meine Aufgabe angesehen zu zeigen, dass sogar ganz trans- parente FamN – die eben wegen ihrer Einfachheit gar nicht in Nachschlage- werken zu FamN erscheinen – durchaus interessant sein können. Man muss nur Die Widerspiegelung der maritimen Berufe Bootsmann und Lotse 325 zwei Betrachtungsweisen miteinander verknüpfen, also die onomastische und die lexikologische Analyse. Dann wird es möglich, dass die Ergebnisse der Na- menforschung hinsichtlich der Häufigkeit von FamN und hinsichtlich des er- mittelten onomastischen Potentials ihrerseits zum Nutzen für die Lexikologie werden können.

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Masahiko Mutsukawa Names and Professions in Japan

1. Introduction The present study explores naming after occupation in Japan. This study con- sists of two parts. The first part deals with family names. Family names derived from place names are most common in Japan, but other types of family names such as those derived from professions are also found. Only limited number of people in Japan could officially have family names before 1875 and most of them are members of noble families, whereas a new law came into effect in 1875 and all the people in Japan were required to have family names. In this part, I will compare family names derived from professions before 1875 and after that, and discuss occupational family names in Japan. The second part focuses on given names. Family names derived from profes- sions are relatively common in Japan and in many other countries. But, given names also can be derived from professions in Japan. In this part, I will discuss the history of Japanese occupational given names. After introducing occupa- tional given names in the past, I will show how those names are used in the pre- sent day.

2. Family Names and Professions

It has been said that three hundred thousands of family names exist in Japan (Niwa 2002: 5). Among them, family names derived from place names are most common and more than 90% of family names are derived from place names (Takemitsu 1998: 36-37). But other types of family names such as those derived from professions are also found. This section focuses on occupational family names. Before discussing occupational family names in Japan, let us briefly intro- duce three characteristics of Japanese family names. One, Japanese names are usually written in kanji, i.e. Chinese characters, and one kanji usually has more than one reading. This applies to names as well (see (1)).1 Two, family names with the same pronunciation can be written in different kanji (see (2)). Three, –––––––—  The present study was partially supported by Nanzan University Pache Research Subsidy I-A-2 for the 2017 academic year. 1 In the rest of the present study, only the most common readings will be shown.

Onomastica Lipsiensia/OL 13 (2018), S. 327-340. 328 Masahiko Mutsukawa family names with the same pronunciation and kanji can be different in origins (see (3)). (1) 油谷: Aburaya, Aburatani, Aburadani, Yutani, Yuya (2) Aburaya: 油谷, 油屋, 油矢, 油家 (3) Iida (飯田): a family name derived from a profession Iida (飯田): a family name derived from a place name

2.1. Occupational Family Names in Nihon Dai-Hyakkazensho

I collected 36 occupational family names from Nihon Dai-Hyakkazensho (Ency- clopedia Nipponica)2 for this study (see (4)). Among them, 29 names are derived from posts in the Imperial court approximately a thousand years ago (see (5).3 That is, the majority of occupational family names in Nihon Dai-Hyakkazensho are family names derived from posts in the Imperial court approximately a thou- sand years ago. This is probably because only limited number of people in Japan could officially have family names before 1875 and most of them are members of noble families, who got posts in the Imperial court. (4) Occupational Family Names Found in Nihon Dai-Hyakkazensho (36 names) 油谷 Aburaya Not derived from a post in the Imperial court 安楽 Araki Not derived from a post in the Imperial court 飯田 Iida Not derived from a post in the Imperial court 犬飼 Inukai 伊吹 Ibuki 鵜飼 Ukai 大友 Ootomo 刑部 Osakabe 籠屋 Kagoya Not derived from a post in the Imperial court 鍛冶 Kaji 金丸 Kanamaru 金子 Kaneko Not derived from a post in the Imperial court –––––––— 2 Nihon Dai-Hyakkazensho (Encyclopedia Nipponica): https://kotobank.jp/word/% E5%A7%93%E5%90%8D%2F%E6%97%A5%E6%9C%AC%E3%81%AE%E3%81%8A %E3%82%82%E3%81%AA%E5%A7%93%E6%B0%8F-1614506 (Accessed August 15, 2017) 3 The Imperial Court was a place where an emperor performs political affairs and tasks. Names and Professions in Japan 329

神田 Kanda Not derived from a post in the Imperial court 久米 Kume 郡司 Gunji 斎藤 Saitoo 佐伯 Saeki 坂部 Sakabe 塩谷 Shioya 白鳥 Shiratori 須藤 Sudoo 多々良 Tatara 田辺 Tanabe 田部 Tabe 田 Den 錦織 Nishigori 土師 Haji 服部 Hattori 伴 Ban 丸子 Mariko 丸 Maru 壬生 Mibu 三宅 Miyake 和田 Wada 渡部 Watabe 綿谷 Wataya Not derived from a post in the Imperial court (5) Most Common Occupational Family Names Derived from Posts in the Imperial Court (29 names) 犬飼 Inukai 伊吹 Ibuki 鵜飼 Ukai 大友 Ootomo 刑部 Osakabe 鍛冶 Kaji 金丸 Kanamaru 久米 Kume 郡司 Gunji 斎藤 Saitoo 佐伯 Saeki 坂部 Sakabe 塩谷 Shioya 330 Masahiko Mutsukawa

白鳥 Shiratori 須藤 Sudoo 多々良 Tatara 田辺 Tanabe 田部 Tabe 田 Den 錦織 Nishigori 土師 Haji 服部 Hattori 伴 Ban 丸子 Mariko 丸 Maru 壬生 Mibu 三宅 Miyake 和田 Wada 渡部 Watabe

2.2. Family Names and Professions (1875-)

Occupational family names found in Nihon Dai-Hyakkazensho were introduced in the previous section. But there are other occupational family names in Japan and the majority of them were created about approximately 150 years ago. After the Meiji Restoration, a new law came into effect in 1875 and all the people in Japan were required to have family names. That is, people who did not have family names at that time needed to have family names. There are regions where a lot of family names created at that time are observed. Shinminato in Toyama prefecture is one of them. Shinminato is famous for unique family names de- rived from professions.4 In Shinminato, the majority of occupational family names are names derived from their family business. In this section, I will focus on occupational family names found in Shinminato. (6) Shinminato in Toyama Prefecture (Kabe 1998a) Population: less than 40,000 Family Names: approximately 1,700 Prime Industry: fishery

–––––––— 4 There are other regions famous for unique family names where family names derived from fish, fishing equipment, or vegetables are observed. Names and Professions in Japan 331

In occupational family names in Shinminato, the change in (7) is commonly ob- served.5 Occupational family names found in Shinminato are shown in (8). The main source of data in this section is Kabe (1998a). (7) 屋 (ya) → 谷 (ya) → 谷(tani) (8) Occupational Family Names in Shinminato 釣 Tsuri (釣 = fishing) 酒造 Miki (酒造 = sake brewing) 糀(谷) Kooji(tani) (糀 = kooji malt) 酢(谷) Su(tani) (酢 = vinegar) 味噌 Miso (味噌 = miso (bean paste)) 米谷 Kometani (米 = rice) 麦谷 Mugitani (麦 = wheat/barley) 茶谷 Chatani (茶 = tea) 豆腐 Toofu (豆腐 = tofu (bean curd)) 素麺 Soomen (素麺 = thin wheat noodles) 飯 Meshi (飯 = meal; 飯屋= diner/restaurant) 小豆 Azuki (小豆 = azuki bean) 菓子(谷) Kashi(tani) (菓子 = sweet/candy) 飴 Ame (飴 = candy) 扇谷 Oogitani (扇 = fan) 綿(谷) Wata(tani) (綿 = cotton) 綱谷 Tsunatani (綱 = rope) 風呂 Furo (風呂 = bath) 大工 Daiku (大工 = carpenter) 壁 Kabe (壁 = wall) 屋根 Yane (屋根 = roof) 瓦 Kawara (瓦 = roof tile) 石積 Ishidumi (石積 = stone masonry) 塗師 Nushi (塗師 = painter) 鍛冶 Kaji (鍛冶 = smithy) 釜(谷) Kama(tani) (釜 = kettle) 鍋谷 Nabetani (鍋 = pot) 甲谷 Kabutotani (甲 = armor) 桶(谷) Oke(tani) (桶 = bucket) 籠(谷) Kago(tani) (籠 = basket) –––––––— 5 The meaning of the kanji 屋 is ‘store/shop’ and the kanji 谷 whose meaning is ‘valley’, can be read as ya or tani. 332 Masahiko Mutsukawa

鼎 Kanae (鼎 = three-legged kettle) 木輪 Kiwa (木輪 = wooden wheel) 車(谷) Kuruma(tani) (車 = wheel)

2.3. The Rankings of Occupational Family Names

There are websites that provide the rankings of the most common family names in Japan. Nihon no Myoji6 is one of them and provides the rankings of 118,067 Japanese family names written in kanji. According to this website, family names in (4) and (8) are ranked as in (9) and (10). The rankings of family names with 谷 in parentheses in (10) are shown in parentheses (e.g. 糀 is ranked #13,600 whereas 糀谷 is ranked #6,208). As introduced above, there are two types of occupational family names in Ja- pan, family names derived from posts in the Imperial court appeared approxi- mately a thousand years ago and family names derived from family business created approximately 150 years ago. The rankings reveal that family names in (8), which were created approximately 150 years ago, are regional family names and less common than those in (4). (9) Most Common Occupational Family Names Found in Nihon Dai- Hyakkazensho (Rankings) 油谷 Aburaya Ranked #2,875 安楽 Araki Ranked #2,605 飯田 Iida Ranked #124 犬飼 Inukai Ranked #1,233 伊吹 Ibuki Ranked #2,552 鵜飼 Ukai Ranked #1,011 大友 Ootomo Ranked #525 刑部 Osakabe Ranked #3,528 籠屋 Kagoya Ranked #56,948 鍛冶 Kaji Ranked #5,664 金丸 Kanamaru Ranked #724 金子 Kaneko Ranked #56 神田 Kanda Ranked #252 久米 Kume Ranked #816 郡司 Gunji Ranked #1,091 斎藤 Saitoo Ranked #17 –––––––— 6 Nihon no Myoji (Family Names in Japan): http://www2s.biglobe.ne.jp/~suzakihp/ index40.html (Accessed October 10, 2017). Names and Professions in Japan 333

佐伯 Saeki Ranked #305 坂部 Sakabe Ranked #1,960 塩谷 Shioya Ranked #704 白鳥 Shiratori Ranked #805 須藤 Sudoo Ranked #186 多々良 Tatara Ranked #4,106 田辺 Tanabe Ranked #162 田部 Tabe Ranked #1,645 田 Den Ranked #8,462 錦織 Nishigori Ranked #1,534 土師 Haji Ranked #3,411 服部 Hattori Ranked #133 伴 Ban Ranked #1,044 丸子 Mariko Ranked #3,782 丸 Maru Ranked #2,996 壬生 Mibu Ranked #4,569 三宅 Miyake Ranked #194 和田 Wada Ranked #57 渡部 Watabe Ranked #99 綿谷 Wataya Ranked #3,013 (10) Occupational Family Names in Shinminato (Rankings) 釣 Tsuri Ranked #4,957 酒造 Miki Ranked #22,715 糀(谷) Kooji(tani) Ranked #13,600 (Ranked #6,208) 酢(谷) Su(tani) Ranked #64,300 (Ranked #9,880) 味噌 Miso Ranked #26,269 米谷 Kometani Ranked #1,163 麦谷 Mugitani Ranked #9,264 茶谷 Chatani Ranked #2,399 豆腐 Toofu Ranked #39,468 素麺 Soomen Ranked #68,900 飯 Meshi Ranked #16,616 小豆 Azuki Ranked #16,564 菓子(谷) Kashi(tani) Ranked #20,111 (Ranked #49,654) 飴 Ame Ranked #27,198 扇谷 Oogitani Ranked #3,742 綿(谷) Wata(tani) Ranked #14,864 (Ranked #3,013) 綱谷 Tsunatani Ranked #32,545 風呂 Furo Ranked #12,284 334 Masahiko Mutsukawa

大工 Daiku Ranked #6,463 壁 Kabe Ranked #15,791 屋根 Yane Ranked #30,407 瓦 Kawara Ranked #13,451 石積 Ishidumi Ranked #19,283 塗師 Nushi Ranked #12,950 鍛冶 Kaji Ranked #5,664 釜(谷) Kama(tani) Ranked #8,531 (Ranked #3,766) 鍋谷 Nabetani Ranked #3,159 甲谷 Kabutotani Ranked #5,524 桶(谷) Oke(tani) Ranked #13,527 (Ranked #2,922) 籠(谷) Kago(tani) Ranked #18,668 (Ranked #8,921) 鼎 Kanae Ranked #23,369 木輪 Kiwa Ranked #39,679 車(谷) Kuruma(tani) Ranked #6,088 (Ranked #5,320)

3. Given Names and Professions

Occupational family names in Japan were discussed in the previous section. But, given names also can be derived from professions in Japan. This section focuses on given names derived from professions.

3.1. Given Names and Professions (1251-1750) People in villages in the Middle Ages in Japan had names, as in the present day. Unlike in the present day, however, it was not uncommon for people in the Middle Ages to change their names in their lifetimes. For example, people changed their names when they became members of Shinto shrine board7,8 and, when they changed their names, given names derived from professions as well as other names were chosen. The occupational given names found in villages in the Middle Ages in Japan are names derived from posts in the Imperial court, but it does not necessarily mean that people with those names had posts in the Imperial court. In fact, the majority of them did not have posts in the Imperial court. Occupational given names found in the Middle Ages in Japan are shown in (11). The names in (11) are all male names. Female names also can be derived –––––––— 7 Each village had a Shinto shrine and the Shinto shrine was the center of a village in the middle ages in Japan, although a Buddhist temple became the center in the Edo period. 8 Only people who belong to the upper class could become members of Shinto shrine board. Names and Professions in Japan 335 from professions as in (12) and found in official documents. The structure of names in (12) is “a male name + 女 (妻, 母, 娘)”. Those names were found in official documents but they were not used in daily life. The main source of data in this section is Sakata (2006). (11) Occupational Given Names in the Middle Ages 衛門 emon 左衛門 (Saemon), 勘右衛門 (Kanemon) 兵衛 hyooe 右兵衛 (Uhyooe), 兵衛太郎 (Hyooetaroo) 左近 sakon 左近 (Sakon), 左近五郎 (Sakongoroo) 右近 ukon 右近 (Ukon), 右近五郎 (Ukongoroo) 介 suke 丹後介 (Tangonosuke), 田井介 (Taisuke) 庄司 syooji 庄司 (Syooji), 庄司大夫 (Syoojidayuu) 権介 gonsuke 権介 (Gonsuke), 弥権介 (Iyagonsuke) 右馬 uma 右馬 (Uma), 右馬太郎 (Umataroo) 別当 bettou 弥別当 (Iyabettou), 新別当 (Shinbettou) 検校 kengyoo 新検校 (Shinkengyoo), 清三検校 (Seizookengyoo) 大夫 dayuu 新次郎大夫 (Shinjiroodayuu) 刑部 gyoobu 刑部太郎 (Gyoobutaroo) 権守 gonnokami 権守三郎 (Gonnokamisaburoo) 判官 hoogan 四郎判官 (Shiroohoogan) (12) Female Names in Official Documents 兵衛女 daughter of 兵衛 (Hyooe) 兵衛妻 wife of 兵衛 (Hyooe) 兵衛母 mother of 兵衛 (Hyooe) 兵衛娘 daughter of 兵衛 (Hyooe)

In the rest of this section, I will focus on male names only and discuss how fre- quently occupational given names were used in two villages in the Middle Ages in Japan, Suganoura in Shiga prefecture and Kokawanosho in Wakayama pre- fecture. These two villages are well-studied because medieval documents are available. The first village is Suganoura in Shiga prefecture. Names of 3285 people are recorded in the documents. Among them, 639 names (19.5%) are occupational given names. In this village, occupational given names became popular in the 15th century and 衛門 (emon), 兵衛 (hyooe), 左近 (sakon), and 右近 (ukon) were most commonly used. The use of occupational given names in Suganoura from 1251 to 1600 are summarized in (13). 336 Masahiko Mutsukawa

(13) Use of Occupational Given Names in Suganoura 1251 1301 1351 1401 1451 1501 1551 year -1300 -1350 -1400 -1450 -1500 -1550 -1600 unknown emon 0 0 0 4 10 35 22 34 hyooe 0 1 0 3 19 64 40 52 sakon / 0 1 0 6 13 56 36 49 ukon others 3 25 9 6 13 53 26 59 Total # of 54 223 87 211 308 953 545 904 names

Next, with regard to Kokawanosho in Wakayama prefecture, two name lists are available (List 1 and List 2). 1575 people are listed on List 1 while 742 people are listed on List 2. A quarter of the names on List 1 are occupational given names, whereas approximately 40% of the names on List 2 are occupational given names. As in the case of Suganoura, these two lists reveal that occupational giv- en names became popular in the 15th century and 衛門 (emon), 兵衛 (hyooe), 左近 (sakon), and 右近 (ukon) were most commonly used (see (14) and (15)). But, there are two differences between two villages: (i) 衛門 (emon) was more commonly used and (ii) 左近 (sakon), and 右近 (ukon) were less commonly used in Kokawanosho in Wakayama prefecture. In Kokawanosho, 衛門 (emon) is the most common and 左近 (sakon), and 右近 (ukon) are the least common among the four occupational given names. (14) Use of Occupational Given Names in Kokawanosho (List 1) 1201 1251 1301 1351 1401 1451 1501 1551 -1250 -1300 -1350 -1400 -1450 -1500 -1550 -1600 emon 0 0 0 0 30 119 48 8 hyooe 0 0 0 2 18 32 10 2 sakon / 0 0 0 2 1 1 0 1 ukon others 2 9 12 14 9 40 6 0 Total # of 5 43 77 87 290 755 269 49 names Names and Professions in Japan 337

(15) Use of Occupational Given Names in Kokawanosho (List 2) 1501 1551 1601 1651 1701 -1550 -1600 -1650 -1700 -1750 emon 30 31 40 77 36 hyooe 0 0 11 38 18 sakon / ukon 0 0 0 0 0 others 00000 Total # of 105 114 129 245 149 names

3.2. Given Names and Professions (1904-)

In the previous section, I have shown how occupational given names are used in the Middle Ages in Japan. This section focuses on the use of occupational given names in the 20th and 21st centuries. I have been working on gender in Japanese given names and collecting them. The oldest names in my data are names given to babies born in 1904. My previ- ous studies reveal that Japanese given names show one type of semantic gender difference, i.e. flower and plant names, and five types of phonological gender differences: first syllables, last syllables, heavy syllables, palatalized consonants, and length (Mutsukawa 2005, 2008, 2009) (see (16)). Occupational given names introduced in the previous section are all male names. Each of them could be a given name by itself or a part of a longer name in the Middle Ages in Japan (see (11)). They became popular in the 15th century, but most of them are not commonly used in the 20th and 21st centuries. The only ex- ception is 介 (suke). 介 (suke) was not one of the most common occupational giv- en names in the Middle Ages. Among the 14 types of occupational given names in (11), however, only names with 介 (suke) are found in my data and first observed in 1966. Some examples are shown in (17) where those names are not written in kanji because kanji variations are commonly observed. My data reveal two things. One, although occupational given names were common in the Middle Ages in Japan as illustrated in the previous section, they lost their popularity sometime between 1751 and 1903 and are not common in the 20th and 21st centuries. Two, although 介 (suke) was not one of the most common occupational given names in the Middle Ages, it is still used in the 20th and 21st centuries. 介 (suke) is bimoraic and one of the two shortest occu- pational given names in (11). The length of 介 (suke) might be relevant to the use of 介 (suke) in the 20th and 21st centuries, because male names have been 338 Masahiko Mutsukawa becoming shorter (Mutsukawa 2008) and longer occupational given names in (11) do not fit in given names in the present day. (16) Gender differences in Japanese given names (Mutsukawa 2016b) Masculine Feminine First Syllables ∙ k- (especially ke) ∙ Onsetless Syllables (especially a) (Onset Cs) ∙ s- (especially soo and shoo) ∙ sa- ∙ t- (especially ta) ∙ h- (hu and ho) ∙ ry- (ryuu and ryoo) ∙ Nasals (m- and n-) ∙ d- ∙ dz- ∙ w- Last Syllables ∙ o (–1965) ∙ ko, ho, mi, yo, ri ∙ si, zi (–1985) ∙ ka (1966–) ∙ ki (1946–) ∙ na (1986–) ∙ ke, ta, to (1966–) ∙ o (2001–) ∙ ma (2002–) ∙ ku Heavy Syllables ∙ Yes ∙ No Palatalized Cs ∙ Yes (1906–1945, 1986–) ∙ Yes (1946–1985)

Length ∙ σμμ ∙ σμσμ

(Structures) ∙ Four or More Morae ∙ σμσμμ (ending in /n/) Semantics ∙ Flower and Plant Names

(17) Names Ending with 介 (suke) Keisuke, Koosuke, Shunsuke, Daisuke, Yuusuke, Yoosuke, Ryoosuke...

4. Conclusion

The present study deals with two types of occupational names in Japan: occu- pational family names and occupational given names. Occupational family names in Japan can be divided into two groups. Occu- pational family names derived from posts in the Imperial court appeared ap- proximately a thousand years ago, whereas approximately 150 years ago family names derived from family business were created. The two types of occupational family names are still found in Japan in the present day. But, family names cre- ated approximately 150 years ago are regional family names and less common than those derived from posts in the Imperial court appeared approximately a thousand years ago. Names and Professions in Japan 339

The case of occupational given names in Japan is different from the case of occupational family names. Occupational given names were commonly used in the Middle Ages in Japan. But they lost their popularity sometime between 1751 and 1903 and are not commonly used in the 20th and 21st centuries. The only exception is 介 (suke) and names with 介 (suke) are found in the 20th and 21st centuries. The present study reveals that both occupational family names and occupa- tional given names were derived from posts in the Imperial court. There were a number of posts in the Imperial court but only some of those were used as names. It is not clear yet why only those posts could be names (and the others could not). This should be studied in future research. In this study, it has not been explained when (and why) occupational given names lost their popularity. In future research, I would like to pursue this ques- tion and continue the study on occupational names in Japan.

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Albrecht Greule / Christopher Kolbeck Diachrone Untersuchungen zu Namen in Rechnungsbüchern

1. Archivbestand Im Archiv des Regensburger St. Katharinenspitals liegt ein europa- und weltweit einmalig kompletter Serienbestand an Rechnungsbüchern von 1354 bis zur Ge- genwart, der sowohl aus Sicht der sprachhistorischen als auch aus Sicht der wirtschafts- und sozialhistorischen Forschung eine einzigartige Quelle darstellt. Die Rechnungsbücher des St. Katharinenspitals Regensburg bieten einen enormen Fundus für die Wissenschaft, vor allem für die sprachhistorische For- schung. Leider waren sie bislang nie Gegenstand größerer Untersuchungen, auch in diesem Beitrag wird nur ein onomastischer Einblick in diesen einzigar- tigen Bestand des Spitalarchivs gegeben. Die Rechnungsbücher sind von 1354 bis 1930 durchgehend überliefert, teilweise in mehreren „Versionen“, d.h. von ersten Aufzeichnungen oder Mitschriften bis hin zu Manualen und Reinschrif- ten.1 Schriftentwicklung und Schriftgeschichte sowie Textgenese und Normie- rungstendenzen auf dem Weg zum Neuhochdeutschen oder ausgleichende Schreibusus sind Aspekte, die bei Sichtung des Bestandes über die Jahrhunderte sofort großes Interesse wecken. Des Weiteren stellen die Rechnungsbücher für Untersuchungen zur spät- mittelalterlichen Wirtschaft (Verwaltung von Gütern, bilanzierter Einkauf/Ver- kauf) ebenso wie für kulturwissenschaftliche Fragestellungen (Essen und Trin- ken, Transportwesen, Kleidung u.a.) hervorragende Quellen dar.2 Ausgangspunkt für diesen Beitrag sind zwei Rechnungsbücher des St. Katha- rinenspitals aus den Jahren 1454 und 1550. Die Rechnungsbücher, die sich wie- derum in weitere Rubriken wie „Einnahmen“, „Ausgaben“ und weitere Unter- rubriken gliedern lassen, werden in diesem Beitrag auf ihren onomastischen Wert hin untersucht. Rubriken und Subrubriken werden vom Spitalschreiber nach Bedarf in der jeweiligen Epoche systematisch angelegt. So lassen sich hier Einnahmen und Ausgaben wie Fleisch-, Küchen- oder Weinrechnungen sowie die v.a. aus wirt- schaftsgeschichtlicher Sicht interessanten Ausgaben für Löhne, Arbeiten, Repa- raturen und andere Dienstleistungen nachvollziehen. Wann ist eine neue Ru- –––––––— 1 Zum Gesamtbestand des Regensburger St. Katharinenspitals: http://www.spital.de/ archiv/bestaende.php (12.4.2014). 2 Vgl. KOLBECK/RÖSSLER 2015.

Onomastica Lipsiensia/OL 13 (2018), S. 341-352. 342 Albrecht Greule / Christopher Kolbeck brik notwendig? Alle Einnahmen bzw. Ausgaben, die sich nicht in eine der gän- gigen Rubriken zuordnen ließen, wurden vom Spitalschreiber in die Rubrik „Aintzig einnehmen des Spitals“ oder das Pendant „Aintzig ausgeben des Spi- tals“ eingetragen. Diese können als „Sammelverzeichnis aller sonstigen Einnah- men- bzw. Ausgaben“, die sich in keine der gewöhnlichen Rubriken einordnen ließen, angesehen werden3 – sozusagen als „sonstige Ausgaben“ oder „Reste- rubrik“.

1.1. Die Textsorte „Rechnungsbuch“ Obwohl der Begriff „Textsorte“ in der linguistischen Literatur als nicht einheit- lich definiert anzusehen ist, können fünf Funktionsbereiche in der städtischen Kommunikationspraxis ausgemacht werden: Dokumentation, Information, Ap- pellation, Legitimation und Instruktion.4 Meier/Ziegler unterscheiden weiter textstrukturell in Urkunden, Briefe und Stadtbücher. Letzteren wird auch die Subklasse der Rechnungsbücher zugeordnet.5 Stadtbüchern einen klaren inhalt- lichen Gegenstand zuzuordnen, ist problematisch. Sie erscheinen vielmehr als eine zeitlich fortlaufende Sammlung unterschiedlicher Texttypen.6 Den Rech- nungsbüchern können dabei primär registrative und protokollierende Prototy- pen zugeordnet werden,7 typisch für ein Rechnungsbuch ist dabei die Verbu- chung von Handelsaktivitäten. „Offen“ in Listenform angelegt kann ein Rech- nungsbuch wie ein „administratives Handelstagebuch“ einer Institution angese- hen werden, das sukzessiv fortgeführt werden kann.8 Die äußere Form verän- dert sich im Laufe der Jahrhunderte; man kann hier den Übergang von der la- teinischen Schreibtradition zur deutschen sowie den Übergang von handgezo- genen Linien hin zu vorgedruckten Tabellen erkennen. Privat wäre die Textsorte Rechnungsbuch mit einem Haushaltsbuch ver- gleichbar, in das eine Familie oder ein fester Personenkreis alle Einnahmen und Ausgaben einträgt. Im Gegensatz hierzu aber haben Institutionen wie das Katharinenspital heute eine institutionalisierte, bilanzorientierte Buchhaltung, deren Entstehung sich in den Rechnungsbüchern durch die Jahrhunderte hin- durch nachvollziehen lässt. Vermutlich ist die „Entstehung der Bürokratie“ –––––––— 3 Vgl. BUTZ/KOLBECK 2013: 127. 4 Vgl. MEIER/ZIEGLER 2004: 144-145. 5 Vgl. ebd. 148-149. 6 Vgl. ZIEGLER 2003: 160. 7 Vgl. MEIER/ZIEGLER 2004: 157. 8 Vgl. TOPHINKE 1999: 188-189. Diachrone Untersuchungen zu Namen in Rechnungsbüchern 343 und des Belegwesens eng mit der Textsorte „Rechnungsbuch“ verknüpft, was aber z.B. in Zusammenarbeit mit Wirtschaftshistorikern noch zu präzisieren wäre.9

1.2. Hinweise zur Transkription

Zu den Rechnungsbüchern des St. Katharinenspitals liegen bislang weder digita- le Quellen noch Transkriptionen geschweige denn Editionen vor. Die für diesen Beitrag verwendeten Digitalisate wurden von Christina Butz und Christopher Kolbeck im Rahmen einer Vorstudie erstellt und für diesen Beitrag freundli- cherweise von dem Archivar des St. Katharinenspitals, Dr. Dirmeier, zur Verfü- gung gestellt. Die äußere, listenartige Form wird so nah wie möglich am Original darge- stellt, um eine bessere Übersicht zu gewährleisten. Ebenso werden Abbreviatu- ren nach CAPPELLI (1928) aufgelöst und in Klammern ausgeschrieben. Die sich häufig wiederholenden Kürzel für Denare, Solidi, Libra und Florin wer- den in der folgenden Transkription auf Grund der besseren Lesbarkeit mit d, s, lb und f wiedergegeben. Zwischen den unterschiedlichen Graphien für /s, z/ wird nicht unterschieden, da sie hier nicht Teil der Untersuchung sind, somit erfolgt die Transkription mit . /u/ verschriftet durch , wird ebenfalls aus Gründen der Lesbarkeit mit transkribiert. In den Texten werden von den Schreibern Trema über Vokalen verschriftet, die schwerlich zu bewerten, für onomasiologische Untersuchungen aber grundlegend sind. Aus diesem Grund werden diese schreibereigenen Kennzeichnungen für diese Untersu- chungen ausnahmsweise mit Zirkumflex (â, û, ô) transkribiert. Schwerlich ist die von den Schreibern ebenfalls zur Unterscheidung von zu benutz- te Trema-Markierung zu unterscheiden – was in Handschriften noch heute vereinzelt zu beobachten ist. Diese mit einem Trema versehene werden ebenfalls als <û> transkribiert.

–––––––— 9 Vgl. BUTZ/KOLBECK 2013: 129. 344 Albrecht Greule / Christopher Kolbeck

1.3. Quellen 1.3.1. RB 1454 (Ausschnitt)

Transkription der Rubrik „Aintzig ausgeben des Spitals“. Diachrone Untersuchungen zu Namen in Rechnungsbüchern 345

(Z. 1) Aintzigs ausgeben (Z. 2) Ite(m) es kost das mal in d(er) rechnu(n)g xi s ii d (Z. 3) Ite(m) xvi d umb wein den h(er)rn die mir die (Z. 4) Register hab(e)n hellff(e)n überles(e)n (Z. 5) Ite(m) all(e)m hawsgesind zu Trinkgelt Jo(hannis) Bap(tis)te lxx d (Z. 6) Ite(m) meins h(er)ren von R(e)ge(nsburg) pat(e)n x s iii d (Z. 7) Ite(m) xxxii d auf aus kuntschaft auf das (Z. 8) haws am Behemischen Eck (Z. 9) Ite(m) xi d zu leitkauff als man den hoff zu (Z. 10) gswell v(er)kaufft hat (Z. 11) Ite(m) xii d zu Trinckgelt vo(n) einem Rosz das uns (Z. 12) mein(e) h(er)ren vom Rat gab(e)n (Z. 13) Ite(m) m(er) iii d zu Trinckgelt von einem Rosz das (Z. 14) uns ein Hohenaw(er) von passau gab (Z. 15) Ite(m) vi d den knecht(e)n von sand mang von ein(em) (Z. 16) fert hew(er) von pfät(er) zufuren zu trinckgelt (Z. 17) Ite(m) viii d auf ein kuntschaft zu Regens (Z. 18) Ite(m) xxxvi d dem Stadelmaist(er) umb auf (Z. 19) Rack von des viechs und swein weg(e)n d(er) (Z. 20) er gehutt hat (Z. 21) Ite(m) xxiiii d umb vier gew(er)t p(er)gamen Bar(mint) (Z. 22) Ite(m) xiii d den knecht(e)n nach d(er) aug gems pad (Z. 23) Ite(m) ii d von ein(er) plechkand(e)l zu pessern (Z. 24) Ite(m) v(er)zert xii d mit den messersmid(e)n Rup(er)tj (Z. 25) Ite(m) m(er) xviii d den knecht(e)n von sand mang (Z. 26) von dreyn fertt(e)n von Rikof(e)n (Z. 27) Ite(m) iii s d zulon zesamen von dem zehent zu Rikof(e)n (Z. 28) Ite(m) den Chalm(er) zu Lautt(er)kof(e)n und zu Nassenhart (Z. 29) von ettlich(e)n ochs(e)n zehnett(e)n v d (Z. 30) Ite(m) von den marckstain zu setz(e)n zu hohenperg (Z. 31) xx Re d (Z. 32) Ite(m) all(e)m hawsgesind zu Trinckgelt martini (Z. 33) Ite(m) den knecht(e)n zerung gein lantzh(ut) lxxvii d (Z. 34) mit eine(m) vas panasch wein hinüb(er)gefurt xxxiiiii d (Z. 35) Ite(m) m(er) iiii d Junge Sweind(e)l z(u)m sneyd(e)n (Z. 36) Ite(m) die knecht ward(e)n gepfeimdt gein Mündraching (Z. 37) die hab(er)n Rostzert zu haydaw daru(m)b lx d (Z. 38) Ite(m) i lb d dem Frumbpfarr(er) von d(er) gullt weg(e)n (Z. 39) die abgeloszt ward (Z. 40) Ite(m) v(er)zert mit dem messersmid(e)n Tho(n)e xii d 346 Albrecht Greule / Christopher Kolbeck

(Z. 41) Ite(m) xii d den knecht(e)n als sy zu weinacht(e)n (Z. 42/ Randbemerkung) opf(er)ge ansingen (Z. 43) Ite(m) viii d den Schereyn(er) von hirszperg (Z. 44) Ite(m) vi d den Furmen(n) am markt (Z. 45) Ite(m) xii d den h(e)rren knecht(e)n (Z. 46) Ite(m) vi d dem ambtman am hoff (Z. 47) Ite(m) v s x d umb visch am heilig(e)n ab(e)nt (Z. 48) all(e)m hawsgesind (Z. 49) Ite(m) xlii d umb drew puch(er) papir Regal zu (Z. 50) den Registern (Z. 51) Ite(m) xxiiii d dem pfist(er) zu zu(e)pu(e)sz zu seine(m) sold (Z. 52) Ite(m) xii d von dem traid ab dem Rottgâw (Z. 53) zu pulnhof(e)n ûb(er)zufuren (Z. 54) Ite(m) xii d den mesnern zum tuemb zu vasnacht (Z. 55) Ite(m) zu vasnacht all(e)m hawsgesind zu trinkgelt (Z. 56) lxxvi d (Z. 57) Ite(m) den purgern am aschermiken xii d (Z. 58) Ite(m) vi s d dem mull(e)r zu zuepuesz seins solds von (Z. 59) zimerns weg(e)n

1.3.2. RB 1550 (Ausschnitt) (Z. 1) Aintzig ausgeben des Spitals

(Z. 2) It(em) Joannis Babtiste den Briestern Dienern und (Z. 3) Pfruntnern trinkhgelt geb(e)n. 2. s. 2. d

(Z. 4) It(em) als die zimerleût meine Herrn von beden (Z. 5) stend. Ins padt gefang. Inen aûs befelch geb(e)n 3. s. 6. d

(Z. 6) It(em) dem Sporer umb Arbeit Zalt i. s. 5 d

(Z. 7) It(em) zur Rechnung viti umb wein visch krebs (Z. 8) und Anders Ausgebn. ii. lb. vi. s. d

(Z. 9) It(em) Hannsen Chaman und dem Jôrg Spârl zûe (Z. 10) Schwârtzenfeld als spitals Undersässen nachdem (Z. 11) sij abgeprûnnen zûe auffpaûûng Irer gûeter (Z. 12) gelih 40. R. ijedem 20 f. thût xiiii. lb. d.

(Z. 13) It(em) dem Pfarrer zûe Hainssackher wegen der Zehet (Z. 14) khâs zue Aschach. darfûr an gelt zalt i. s. 9. d

(Z. 15) It(em) zwen Khnecht mit ainem gschür in d(er) weinfart (Z. 16) gein Gm(u)nth verzert. 2. lb. 3. s. i6. d.

(Z. 17) It(em) martini den Briestern Dienern und Pfrûntnern (Z. 18) tranckhgelt. fûr den Wein ijed 2 d. geb(e)n. thût 2 s 2 d Diachrone Untersuchungen zu Namen in Rechnungsbüchern 347

(Z. 19) It(em) fur die stras Reût(er) von Lengfeld Emeranni (Z. 20) den viert(en) thaill in irer zerûng zalt 2. lb. 2 s 27. d.

(Z. 21) It(em) umb pesen Aûsgeben. 24. d.

(Z. 22) Herr Haûg von parsperg Ritter hat dem spitall (Z. 23) ainen gaull geschenckht. zûe trinckhgelt geb(e)n. 3. s. 6. d.

(Z. 24) It(em) dem Zeller zûe Khelhaim uff Verzinsûng glih(en) i. lb. 6. s. d. (Z. 25) gibt jerlich daûon Zinss. 2i. d. (Randbemerkung) soll i ort Zins geb(e)n

Transkription der Rubrik „Aintzig ausgeben des Spitals“. 348 Albrecht Greule / Christopher Kolbeck

2. Namen in Rechnungsbüchern 2.1. Identifikation von Namen Die Rechnungsbücher sind eine einzigartige Quelle für die Wirtschaftsgeschich- te, in unserem Fall für die Wirtschaftsgeschichte der heutigen Stadt Regensburg. Die wirtschaftsgeschichtliche und sprachwissenschaftliche Auswertung dieses Quellenbestandes ist aber nur unvollständig bzw. die Texte können nicht ver- standen und ausgewertet werden ohne die Identifizierung von Namen in den Texten. Dabei tauchen theoretische und praktische Probleme auf, die an folgen- dem Beispiel kurz erläutert werden sollen. Das theoretische Problem ist ein Kernproblem der Onomastik, das aus den Fragen besteht: Was sind überhaupt Namen (nomina propria, Eigennamen) und wodurch grenzen sie sich von den Nomina appellativa, den Gattungsbe- zeichnungen ab. Wir werden dieses Problem in den beiden vorliegenden Rech- nungsbuch-Texten nicht vollständig lösen können, sollten aber im Auge habe, dass Namen in erster Linie individualisieren und identifizieren. Das praktische Problem bei historischen und handgeschriebenen Texten, wie bei unseren bei- den Rechnungsbüchern, ist die Markierung von Namen durch die Schreibung. Sie erfolgt eben nicht, wie wir es nach der orthographischen Norm gewohnt sind, dadurch dass Namen mit Initialversalie geschrieben werden. Da die von Christopher Kolbeck angefertigten Transkripte genau den handschriftlichen Text wiedergeben, ist daraus kein Hinweis auf die Identifikation von Namen ge- geben. Die Großschreibung ist im 15. und 16.Jahrhundert gar nicht einheitlich geregelt und wenn Versalien verwendet werden, dann werden sie verwendet um auch Nomina appellativa hervorzuheben.

Ergo müssen die Texte gewissermaßen onomastisch interpretiert werden. Dabei kommen einem bekannte Namen, wie z.B. Regensburg, zwar zu Hilfe. Wie man aber z.B. an den Zeilen 15-17 im Text von 1454 sehen kann, bedarf es hier der eingehenden Interpretation: (Z. 15) Ite(m) vi d den knecht(e)n von sand mang von ein(em) (Z. 16) fert hew(er) von pfät(er) zufuren zu trinckgelt (Z. 17) Ite(m) viii d auf ein kuntschaft zu Regens Obwohl der Name der Stadt Regensburg zwar mit Versalie, aber nicht ausge- schrieben ist, ist leicht zu erkennen, dass es sich um eine Botschaft in die Stadt Regensburg handelt. Einen weiteren Hinweis auf einen Namen, genauer auf eine Heiligennamen, gibt das Adjektiv sand = sanctus ‚heilig‘ (Z.15). Es weist das fol- gende Wort als Namen des Heiligen Magnus, des Patrons des Chorherrenstifts im Diachrone Untersuchungen zu Namen in Rechnungsbüchern 349

Regensburger Stadtteil Stadtamhof, aus. Dabei erhebt sich die Frage der vertikalen Dimension von Namen: Lautet der Name nur mang oder sand mang? Ohne einen onymischen Index muss pfäter (Z.17) als Name des Ortes Pfatter (südlich von Re- gensburg), von woher das Heu transportiert wurde, gedeutet werden. Ein weiteres praktisches Problem, das aber durch die Namenforschung allein nicht gelöst werden kann, ist die Identifizierung der Namen mit ihrem Referen- zobjekt, was bei geographischen Objekten einfacher zu lösen ist als bei Perso- nen. Wer war beispielsweise im Jahre 1454 der in Zeile 28 erwähnte Chalmer von Lautterkofen? Dies zu klären ist Sache der Lokalhistoriker.

2.2. Beschreibung des Namenbestandes in den Rechnungsbüchern 1454 und 1550 Wenn die Namen als solche identifiziert sind, kann eine sprachwissenschaftliche Beschreibung des Namenbestandes unserer beiden Quellen erfolgen.

(a) Zunächst bietet sich eine Kategorisierung nach den traditionellen Namen- kategorien an. Neben den Personen, an die Geld oder Waren verausgabt wur- den, sind in Rechnungsbüchern vor allem Datumsnamen, eine kaum beachtete Kategorie, von Wichtigkeit. Im RB 1454 finden sich nicht die uns geläufigen Da- tumsangaben wie am 24. Juni, sondern Johannis Baptiste, also der Genitiv des Heiligennamens Johannes Baptista, dessen Fest die Kirche am 24. Juni feiert. Weitere Beispiele für Termine, worunter auch Fest-Namen zu finden sind, sind: Rupertj, martini, zu weinachten, am heiligen abent, zu vasnacht. Wie bereits bemerkt, sind die Referenzobjekte bei Personennamen für uns heute nicht eindeutig. Es finden sich in beiden Rechnungsbüchern Personen- namen, die sich auch auf Adelige bezogen haben könnten: (ein) Hohenawer von passau, den Chalmer zu Lautterkofen und zu Nassenhart, (dem messersmiden) Thoner, Hansen Chaman, Jôrg Spârl, Herr Haûg von parsperg Ritter. Umfangreicher ist die Gruppe der Berufs- und Handwerkernamen: (dem) Stadelmaister, mit den messersmiden, dem Frumbpfarrer, den Schreyner, den Furmenn, dem ambtman, dem pfister, den mesnern, dem muller; den Pfrûntnern, die zimerleût, dem Sporer(?), die stras Reûter, dem Zeller. Unter den Ortsnamen finden wir in den Rechnungsbüchern auch Haus-, Hof- und – nach modernem Verständnis – auch Straßennamen: haws am Behe- mischen Eck, den hoff zu gswell, von pfäter, von/zu Rikofen, zu Lautterkofen, zu Nassenhart, zu hohenperg, gein alntzhut, gein Mündraching, zu haydaw, von hirszperg, am markt, am hoff, ab dem Rottgâw, zu pulnhofen, zum tuemb (Dom); zûe Schwârtzenfeld, zûe Hainssackher, zue Aschach, gein Gmunth, von Lengfeld, von parsperg, zûe Khelhaim. 350 Albrecht Greule / Christopher Kolbeck

(b) Unter dem Aspekt der Morphologie und Syntax der Namen müssen wir streng unterscheiden zwischen mehrgliedrigen Langformen, wie z.B. auf das haws am Behemischen Eck oder ein Hohenauwer von passau, die als vollständige Syntagmen zu bewerten sind, und eingliedrigen Kurzformen wie z.B. die Da- tumsangaben Martini oder Emeranni. Letztere sind der generellen Kürze der Rechnungsbuch-Einträge geschuldet.

(c) Entdeckungen zur Schreibung und sekundär zur Lautung der Namen lassen sich in erster Linie durch den Vergleich der beiden Rechnungsbücher machen. Die Differenzen, die sich dabei ergeben, z.B. die intensive Verwendung des Zir- kumflexes über Vokalen (besonders û) in RB 1550, sind aber noch keine Anzei- chen einer sich anbahnenden überregionalen Orthographie. Vielmehr muss noch immer mit der im Katharinenspital gepflegten Schreibtradition und mit dem individuellen Schreiberusus gerechnet werden.

2.3. Sprachgeschichtliche Auswertung des Namenbestandes In welche Richtungen die sprachgeschichtlichen Auswertungen gehen können, soll nur an einigen Fällen angedeutet werden. Im Bereich der Personennamen können Einsichten zur Entstehung der städ- tischen Familiennamen ermittelt werden. Sind zweigliedrige Personennamen mit einem Beinamen schon Familiennamen? Sind z.B. in RB 1550 (Z.9) Hansen Chaman und Jôrg Spârl schon Familiennamen? Vergleiche mit den Untersu- chungen zu den Regensburger Ruf- und Beinamen von Volker KOHLHEIM (1977) und Rosa KOHLHEIM (1990) sind angebracht. Ferner sind die Belegreihen für die Namen zahlreicher Orte im Umfeld von Regensburg durch wertvolle Belege zu bereichern, z.B. sind belegt: 1454 pfäter (mit Schreibung des Sekundärumlauts, heute Pfatter) oder 1454 Mündraching (Z.36) (mit Rundung gegenüber der heutigen Schreibung des Ortsnamens Min- traching). Für die Wortgeographie ist aufschlussreich, dass die Rechnungsbücher den Namen mika für Mittwoch, wie noch heute im Nordbairischen üblich, verwen- den oder das unbairische vasnacht statt heutigem Fasching oder das bairische pfister statt Bäcker.

3. Ausblick Im Hinblick auf die künftige Auswertung der Rechnungsbücher des St. Kathari- nenspitals sind allein bei der Untersuchung von nur einer Rubrik (ca. 5 Seiten) Diachrone Untersuchungen zu Namen in Rechnungsbüchern 351 in 62 10-Jahresschritten von 1354 bis 1970, insgesamt also 310 Seiten, folgende Hochrechnungen beachtlich: Ø 2,2 Rufnamen pro Seite (bei 310 Seiten) → 682 Rufnamen Ø 2,5 Familiennamen pro Seite → 775 Familiennamen Ø 3,6 Toponyme pro Seite → 1116 Toponyme.

Das Spital verfügt als Eigentümer von Grund und Boden sowie als Handels- partner über großen Einfluss in der Region Regensburg. Die Struktur der Rech- nungsbücher ermöglicht es daher zum einen, ein diachrones, regionalspezifi- sches, repräsentatives Korpus gebräuchlicher Ruf- und Familiennamen zu er- stellen sowie auch für kleinere Gewässer, Dörfer, Weiler und Fluren, die sich in anderen Quellen häufig nicht bzw. erst in sehr viel späterer Zeit mit Namen er- fassen lassen, historische Belege zu erheben, die die Grundlage jeder etymologi- schen Untersuchung darstellen. Für die Siedlungsnamenforschung kann mit dem Korpus, dank der zeitlichen Stellung der Rechnungsbücher, eine systemati- sche Erweiterung der in der – auf das Jahr 1200 terminierten – „Förstemann- Datei“ gespeicherten Belege für bayerische Ortsnamen, erreicht werden.

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Angelika Bergien Berufsbezeichnungen als Komponenten von Familien- und Firmennamen

1. Vorbemerkung

Bereits 1580 formulierte der französische Philosoph Michel de MONTAIGNE (1998: 140): Man sagt, es sei gut, einen guten Namen zu haben, also Kredit und Ansehn; darüber hinaus aber ist es wirklich vorteilhaft, einen Namen zu tragen, der schön klingt und sich leicht aussprechen und behalten läßt, denn die Könige und anderen Großen machen so auf bequemere Weise unsere Bekanntschaft und werden uns weniger schnell vergessen; und selbst von unsren Bedienten rufen und beschäftigen wir die am meisten, deren Namen uns am mühelosesten von der Zunge gehn.

Das Streben nach „Kredit und Ansehn“ bewirkt, dass sich Firmeninhaber be- sondere Mühe geben, wohlklingende Namen für ihre Unternehmen zu finden. Vor allem in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts und insbesondere mit dem Handelsrechtsreformgesetz von 1998, mit dem den Unternehmen bei der Bil- dung von werbewirksamen und unterscheidungskräftigen Firmennamen mehr Wahlfreiheit eingeräumt wurde (vgl. KOß 2002: 186-187), entfielen die zwin- gend vorgeschriebenen Namenseinträge bei Personenfirmen oder Einzel- kaufleuten und wurden Phantasienamen erlaubt. Damit erhöhte sich auch der Anteil von Anglizismen in den Firmennamen. So verzeichnen zum Beispiel die Gelben Seiten für die Raum Magdeburg für das Jahr 2001 viele Namen für Kosmetiksalons mit dem Bestandteil Beauty: Beautyeck, Beauty-Inn Marion Zein, Beauty Point, Beauty Dream, Beauty 4 You oder Beautymaker. In den nachfolgenden Jahren wurde Beauty häufig durch Wellness ersetzt. Allerdings war dieser Trend im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts rückläufig, wie in ei- ner Studie von BERGIEN und BLACHNEY (2009) nachwiesen werden konnte. Vor dem Hintergrund des oben skizzierten allgemeinen Trends zur Verwen- dung von Kunstnamen oder auch Anglizismen konzentrierte sich die genannte Studie auf die Bedeutung von Familiennamen bei der Benennung kleinerer und mittelständischer Unternehmen in der Region Magdeburg (Sachsen-Anhalt) in den Jahren von 1996 bis 2006. Am Beispiel eines kleinen regionalen Ausschnitts und einer begrenzten Zahl von Unternehmensarten sollte gezeigt werden, wie sich der Anteil der Familiennamen im Untersuchungszeitraum entwickelt hat und welche Namenmuster in den einzelnen Branchen dominieren. Als Korpus

Onomastica Lipsiensia/OL 13 (2018), S. 353-358. 354 Angelika Bergien dieser Studie von 2009 dienten die Gelben Seiten für den Bereich Magdeburg für den Zeitraum 1996-2006 (zu Vergleichszwecken wurde mitunter auch das Jahr 1991 einbezogen). Sieht man von möglichen quellenbedingten Ungenauig- keiten ab, so bieten die Gelben Seiten insgesamt eine gute Vergleichsbasis so- wohl aus diachroner als auch aus synchroner Sicht. Folgende Branchen wurden dabei genauer untersucht: Autoreparaturwerkstätten, Modegeschäfte, Blumen- läden, Kosmetikstudios und Friseursalons. Die Mehrzahl dieser Unternehmen wurde nach 1990 gegründet. Das wird besonders deutlich bei den Kosmetikstu- dios, für die die Gelben Seiten für das Jahr 1991 nur 30, aber für 2006 immerhin 210 Einträge verzeichnen. Auch wenn die damalige Studie keinen Anspruch auf Repräsentativität erheben konnte, verdeutlichte sie doch einige interessante und unerwartete Entwicklungen im Bereich der Namengebung: – Personennamen (Vor-, Familien- oder Gesamtnamen) spielen nach dem Boom der Phantasienamen unmittelbar nach der Handelsrechts- reform von 1998 wieder bzw. immer noch eine wichtige Rolle als Be- standteile von Firmennamen. – Familiennamen (mit oder ohne appellative Elemente) erlangen in den untersuchten Branchen nach 1996 eine immer größere Bedeutung. – Familiennamen treten dabei in der Regel mit appellativen Elementen auf, die Informationen über die entsprechende Tätigkeit, Branche oder Sache beinhalten.

2. Familiennamen und Berufsbezeichnungen

Bezogen auf die o.g. Studie von BERGIEN und BLACHNEY (2009) fallen vor allem zwei Namenformen auf: Zum einen ist das die für einige Branchen relativ neue Form Familienname + Appellativum, die es vor 2001 in einigen Branchen (Fri- seursalons und Kosmetikstudios) noch gar nicht gab und die möglicherweise in Anlehnung an linguistische Traditionen anglophoner Printmedien eine Verbrei- tung bei der Benennung von Unternehmen gefunden hat. Beispiele dafür sind Namen wie Schäfer Moden, Herdam Kosmetik oder Stolze Car-Gas). Vor 2001 wurde der Familienname meist in seiner possessiven Funktion verwendet (Hoh- manns Blumendiscounter, Aßmann's Hair Styling). Heute ist die possessive Kenn- zeichnung häufiger in Verbindung mit Vornamen anzutreffen (z.B. Paula's Mode- stübchen, Steffi's Autocenter). Der Verlust der Possessivendung bei Familienna- men in Frontstellung führt zu einer Verschiebung des Fokus auf das erste Ele- ment, also auf den Familiennamen, der dadurch eine gewisse kategorisierende und konzeptbildende Funktion erhält. In der Literatur, z.B. bei VAN LANGEN- Berufsbezeichnungen als Komponenten von Familien- und Firmennamen 355

DONCK (2007: 141-142) wird die Kombination Familienname + Appellativum ge- nerell als Grenzfall zwischen Syntax und Morphologie erklärt (Gaza talks, Estonia disaster usw.). Zum anderen verzeichnet die traditionelle Form Appellativum (in der Regel eine Berufsbezeichnung) + Familienname ab 2001 einen deutlichen Zuwachs. Dem Familiennamen des Firmeninhabers wird die Berufsbezeichnung oder zu- mindest ein mit dem Beruf verbundener Aspekt (Tätigkeitsort, Sache/Gegen- stand) vorangestellt. Beispiele dafür sind Modehaus Fischer, Uhrmachermeister Schmitt, Maler Heilemann, Frisuren Fiedler. Diese Gruppe erscheint auf den ers- ten Blick recht heterogen, ist aber vor allem deshalb aus linguistischer Sicht in- teressant. In Beispielen wie Modehaus Fischer, Uhrmachermeister Schmitt oder Maler Heilemann modifiziert der asyndetisch nachgestellte Familienname das Appella- tivum und steht somit in einem syntaktischen Abhängigkeitsverhältnis zu die- sem. Von einem „Umkippen der Abhängigkeitsverhältnisse“ (Eisenberg 1994: 256) kann man im Fall Blumen-Richter (weitere Beispiele sind Karosserie-Schäfer, Au- to-Kryst, Frisuren-Fiedler) sprechen, die als onymische Komposita beschrieben werden (FLEISCHER und BARZ 1995: 132). Der Familienname wird durch ein Ap- pellativum determiniert, und die Verbindung bleibt als Ganzes ein Eigenname. Die Verwendung eines differenzierenden Erstglieds geht auf eine Tradition der Namengebung zurück, mögliche Verwechslungen von Personen, die denselben Familiennamen in einem Ort trugen, durch Namenzusätze zu vermeiden. Die spezifischen Zusätze charakterisierten häufig den Beruf, Eigenschaften oder auch besondere Merkmale der Personen und dienten damit zur Bildung von Spitznamen nach diesem Muster. FLEISCHER und BARZ (1995:132) führen zur Il- lustration den Familiennamen Claus an, den vier Familien in einem sächsischen Dorf trugen. Zur Unterscheidung der Familien wurden die Namen Goldzahn- Claus, Kiesgruben-Claus, Leichenwagen-Claus und Sauf-Claus verwendet. Es mag sein, dass wegen des eher saloppen Charakters dieser Namenform und mit der Schließung von Geschäften nach 1990 viele dieser Namen ausstarben oder durch andere Namen ersetzt wurden. Die Studie von BERGIEN und BLACHNEY (2009: 535) zeigte jedoch dass sie in vielen der untersuchten Branchen seit Be- ginn des 21. Jahrhunderts ein Comeback feiern: 356 Angelika Bergien

80%

60%

2001 40% 2006

20%

0% Auto- Modewaren Blumenläden Kosmetik- Friseursalons reparaturen studios Anteil der Namenform Blumen-Richter an der Gesamtzahl der Namenform Appellativum + Familienname

Interessant ist dabei die Frage, ab wann genau von einem Umkippen der Ab- hängigkeitsverhältnisse gesprochen werden kann. Formale Kriterien allein rei- chen nicht aus, um das jeweilige Abhängigkeitsverhältnis zu ergründen. Dazu sind vor allem Kenntnisse über den unmittelbaren Gebrauchskontext (zu dem auch der mündliche oder schriftliche Gebrauch gehört) und damit verbundene Besonderheiten erforderlich. Ein Beispiel soll dies illustrieren. Der Name Bäcker Brandt könnte ähnlich wie Maler Heilemann erklärt wer- den: Der Familienname modifiziert die Berufsbezeichnung und steht in Abhän- gigkeit zu dieser. Aus historischer Perspektive ergibt sich jedoch eine andere In- terpretation. In dem kleinen Ort Walbeck im Nordwesten Sachsen-Anhalts do- minierte noch bis Mitte des 20. Jahrhunderts der Familienname Brandt. Zur Unterscheidung der vielen Brandts wurden in der täglichen Kommunikation Namenzusätze (z.B. Berufsbezeichnungen oder Eigenschaften) verwendet, die damit zur Bildung von Spitznamen führten. Folgende Beispiele sind vor allem den älteren Bewohnern noch bekannt: Bauer Brandt (Beruf: Bauer), Bäcker Brandt (Beruf: Bäcker), Veranda Brand (Beruf: Maurer, hat u.a. vier Veranden im Ort gebaut), Asche Brand (Beruf: Bauer, verheiratet mit einer Bäuerin, die eine geborene Asche war) Schmied Brandt (Beruf: Schmied), Heißmangel Brandt (besaß eine Heißmangel, die die Frauen im Ort gegen Bezahlung nutzen konn- ten), Amtmann Brandt (Leiter des Gemeindeamtes), Männeken Brandt (offiziel- ler Name: Hermann Brandt), Schuster Brandt (Beruf: Schuhmachermeister) Pril- leken Brandt (Sohn von Bäcker Brandt). In diesem speziellen Kontext, in dem es um die Unterscheidbarkeit von Per- sonen (nicht von Berufen oder Firmen) geht, ist zweifellos das erste Element modifizierend und somit differenzierend. Es sind Konstruktionen, die in der ge- Berufsbezeichnungen als Komponenten von Familien- und Firmennamen 357 sprochenen Sprache ihren Ursprung haben, wobei die Betonung auf dem ersten Element liegt. Aktuelle Beispiele verdeutlichen, dass Geschäftsnamen nach dem Muster Blu- men-Richter mittlerweile das Bild vieler Städte prägen (Lack-Glanz, Fliesen-Tho- mas, Farben Kesseler, Auto Röhl, Buch Stapp, Füllhalter Schnell, Elektro Hobusch, Wäsche Ecke (Ecke = Familienname), wobei freilich nicht immer klar ist, ob diese Namen in dieser Form auch im Handelsregister stehen. In vielen dieser aktuellen Beispiele steht kein Bindestrich, was möglicherweise nach angelsächsischem Vor- bild Ausdruck einer allgemeinen Tendenz zum Weglassen des Bindestrichs ge- schuldet ist. Nübling et al. (2012: 90) betonen jedoch, dass die Verwendung von Spatien innerhalb von Komposita mit Eigennamen auch dem Ziel „der Schonung, Abgrenzung und Konstanthaltung des Namenkörpers“ dient.

3. Fazit

Die Ergebnisse zeigen, dass Familiennamen noch immer eine wichtige Rolle als Bestandteile von Firmennamen spielen. Sie treten dabei häufig mit appellativen Elementen auf, die Informationen über die berufliche Tätigkeit oder Branche beinhalten. Eine genauere Analyse dieses Namenmusters setzt die Kenntnis der damit verbundenen aktuellen und historischen Gebrauchskontexte des jeweili- gen Namens voraus. Das Streben nach Unverwechselbarkeit und Einmaligkeit bei der Namen- gebung im kommerziellen Bereich führt dennoch dazu, dass häufig auftretende Namen irgendwann als abgenutzt empfunden werden und verloren gehen. Dann ist der Weg frei für neue und möglicherweise auch bessere Namen.

Literatur

BERGIEN, Angelika / BLACHNEY, Anja (2007): Familiennamen und ihre Wirkung als Kom- ponenten von Firmennamen, in: HENGST, Karlheinz / KRÜGER, Dietlind (Hg.): Fami- liennamen im Deutschen. Erforschung und Nachschlagewerke, 1. Halbband, Leipzig, 527-536. EISENBERG, Peter (1994): Grundriß der deutschen Grammatik, 3., überarbeitete Auflage, Stuttgart/Weimar. FLEISCHER, Wolfgang / BARZ, Irmhild (1995): Wortbildung der deutschen Sprache, Tübin- gen. KOß, Gerhard (1996): Warennamen-, Firmennamenrecht, in: Namenforschung. Ein inter- nationales Handbuch zur allgemeinen und europäischen Onomastik, 2. Teilband, Ber- lin/New York, 1795-1802. 358 Angelika Bergien

MONTAIGNE, Michel de (1998): Essays (Erste moderne Gesamtübersetzung von Hans STI- LETT), hg. von Hans Magnus ENZENSBERGER (= Die andere Bibliothek), Frankfurt/M. NÜBLING, Damaris / FAHLBUSCH, Fabian / HEUSER, RITA (2012): Namen. Eine Einführung in die Onomastik, Tübingen. VAN LANGENDONCK, Willy (2007): Theory and Typology of Proper Names, Berlin/New York.

Volker Kohlheim Beruf und Name in der Literatur des deutschen Realismus

1. Einführung

1.1. Problemstellung

Das „große[...] Prinzip der Arbeit“, von dem Wilhelm Raabe in seinem frühen Roman Der Hungerpastor spricht,1 erfuhr vom Beginn des 18. Jahrhunderts an, verstärkt jedoch ab der Mitte des 19. Jahrhunderts, eine ideelle Aufwertung. Be- deutete der mittelalterliche Begriff arebeit vor allem ʻMühsal, Last, Anstren- gungʼ, so wird die Arbeit nun zunehmend als Mittel der „Selbstrealisierung und der sinnvollen Teilnahme an Gesellschaft“ (MELLMANN 2016: 24) gesehen. „Er- werbsarbeit wird im 19. Jahrhundert zum wichtigsten gesellschaftlichen Inklusi- onsfaktor“ (ebenda). Diese Einstellung, die noch in der Zeit der Vorherrschaft handwerklicher Produktionsformen gründete, musste allerdings durch die seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts rasch fortschreitende industrielle Groß- produktion obsolet werden (WIRSCHING 2008: 407), blieb aber als Beschwörung eines ideellen Leitbilds im deutschen „bürgerlichen“ bzw. „poetischen“ Realis- mus durchaus relevant. Um nun zu untersuchen, wie Berufe und die Namen der diese Ausübenden in der literarischen Darstellung des Realismus ausgedrückt werden, beziehe ich mich auf die für meine Absicht äußerst glückliche Formu- lierung von Erich AUERBACH, der in seiner klassischen Darstellung Mimesis (112015: 458) die „ernsthafte Behandlung der alltäglichen Wirklichkeit, das Auf- steigen breiterer und sozial tieferstehender Menschengruppen zu Gegenständen problematisch-existentieller Darstellung [...]“ als „Grundlagen des modernen Realismus“ ansieht.2 Zu fragen wäre also, ob in der Literatur des deutschen bür- gerlichen Realismus nicht nur die berufstätigen Schichten ernsthaft behandelt werden, sondern auch die Namen der Figuren, die als Repräsentanten eines be- stimmten Berufes in Erscheinung treten.

1.2. Name und Beruf in der Literatur: Die Last der Tradition

Die Namen der handelnden Figuren ernsthaft zu behandeln bedeutet für den Autor des 19. Jahrhunderts vor allem, sich von einer Jahrhunderte, ja Jahrtau- –––––––— 1 BA 6: 26. Zur Zitierweise aus Raabes Werken s. Anm. 5. 2 Vgl. hierzu KOPPENFELS 2013.

Onomastica Lipsiensia/OL 13 (2018), S. 359-391. 360 Volker Kohlheim sende alten Tradition frei zu machen, die die Vertreter bestimmter Berufe und Stände eben nicht mit alltäglichen, eben „realistischen“, Namen versah, sondern ihnen mehr oder weniger standardisierte, oft komische und vor allem redende, aber auch verkörpernde, klangymbolische und klassifizierende Namen gab (BI- RUS 1978: 34-37). Derartige Namen finden sich schon in der Typenkomödie der Antike, wo der Soldat Thraso ʻder Kühneʼ oder die Hetäre Thais ʻdie Holdeʼ genannt werden (BIRUS 1978: 34), und finden ihre Fortsetzung in den Schau- spielen und der satirischen Literatur des Mittelalters. Hier heißt der Arzt Hippo- crates (ARNDT 1904: 25), heißen die Söldner Helmschrot oder Schlachinhauffen (ARNDT 1904: 43-44). Unerschöpflich ist die mittelalterliche Literatur in der Er- findung von herabsetzenden Namen für die Bauern; man denke nur an die Dörpernamen bei Neidhart und seinen Nachfolgern (hierzu SCHWARZ 2005), an maier Nastropf und den Bauern Schollentrit im Meier Betz, an Peter Hafensleck und sin bruoder Arskeck in Metzen hochzit, beide noch aus dem 14. Jahrhundert, und schließlich die langen Kataloge komisch-abwertender Bauernnamen in Heinrich Wittenwilers Ring, entstanden zwischen 1360 und 1414 (BRUNNER 1999: 658), allen voran der „Held“ der Dichtung, Bertschi Triefnas.3 Im Fast- nachtsspiel wird diese Tradition weitergeführt, sodass wir bei Hans Sachs den Bauern Dilldapp, Doll, Dölp, Birnenmost, Grölzenbrei, Künze Kleyenfurz und Fridlein Zettenschais begegnen (BLOSEN 1989: 251). Aber auch die redenden Namen für die Vertreter bestimmter Berufe kommen bei Hans Sachs vor, so die Wirte Hans Wirdt (BLOSEN 1989: 256) und Kunz Tragauff (BLOSEN 1989: 255) oder die Scharwächter Hirnschrot und Kraczhans (ebenda). Auch Barock und Aufklärung bleiben dieser schematischen Namengebung grundsätzlich verhaftet, wenn etwa in Gryphius’ Komödie Absurda Comica O- der Herr Peter Squenz die Handwerkermeister klassifizierende Namen wie Krix, Klipperling und Lollinger tragen, die Adligen aber Theodorus, Cassandra und Violandra heißen (BIRUS 1978: 37). Und noch zu Ende des 18. Jahrhunderts war die metonymische Benennung von Handwerkern nach ihrem Gerät nicht nur in Komödien, sondern auch in seriösen Romanen üblich (BEREND 1942: 826). Doch nun, zu Beginn des 19. Jahrhunderts, bahnt sich ein vorsichtiger Wandel an. Zwar neigt noch Goethe mit seinen Mittler und Meister eher der älteren Tradition zu, doch ist Jean Pauls Kritik symptomatisch: Als „unausstehlich“ be- zeichnet er 1804/1813 in der Vorschule der Ästhetik die „Namensvetternschaft mit der Sache“ und nennt als Beispiele die „Herren Verkennt“, „Grundleger und

–––––––— 3 Siehe zu den Eigennamen in Wittenwilers Ring jetzt LEONARDI 2013. Beruf und Name in der Literatur des deutschen Realismus 361

[...] Herrn Kerker“ aus den didaktischen Romanen seines Zeitgenossen Johann Timotheus Hermes (JEAN PAUL 1813/1980: 270). Wenn Jean Paul die inhaltlichen Assoziationen des redenden Namens ab- lehnte und dafür das Klangliche betonte, so steht die Namenwahl der realisti- schen Schriftsteller der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts doch unter einem gänzlich neuen Zeichen. Dies verdeutlicht sehr schön eine Stelle aus Theodor Fontanes Melusine, wo es heißt: „Der junge Maschinenmeister heißt Jens Jensen. Dies entspricht dem Lokal, ist kleinbürgerlich-einfach und spricht sich leicht und bequem aus“ (zit. nach BÖSCHENSTEIN 1996: 31). Der poetische Name soll also nicht nur klanglich angemessen sein, sondern auch die geographische und vor allem soziale Position der handelnden Figuren zum Ausdruck bringen (vgl. auch BÖSCHENSTEIN 1996: 34). So die theoretische Forderung, aber wie weit hat man sich daran gehalten, eine „ernsthafte Behandlung der alltäglichen Wirk- lichkeit“ (AUERBACH 112015: 458) auch den Eigennamen angedeihen zu lassen? Steht nicht gerade der so genannte „Realismus“ in dem Ruf, redende Namen „recht auffällig und häufig“ (DEBUS 2002: 83) zu verwenden?

1.3. Fontane und Raabe als Repräsentanten des bürgerlichen Realismus Um zu klären, wie Berufe und Namen in der Prosa des deutschen Realismus zu- sammenhängen, wurden sämtliche Familiennamen aus acht Romanen von Theodor Fontane4 und aus vierzehn Erzählungen und Romanen von Wilhelm Raabe5 exzerpiert und nach den Berufen ihrer Träger zusammengestellt. Ob- wohl beide Autoren Norddeutsche sind und sich ihre Schaffenszeit weitgehend –––––––— 4 Untersucht wurden von Fontane die Romane Vor dem Sturm (1878; NFA 2 und 3), Ellernklipp (1881; NFA 4: 95-199), Unterm Birnbaum (1885; NFA 7: 221-313), Quitt (1891; NFA 7: 5-220), Frau Jenny Treibel (1892; NFA 11), Effi Briest (1895; NFA 12: 5- 301), Die Poggenpuhls (1895; NFA 12, 303-401), Der Stechlin (1898; NFA 13). Fontanes Werke werden nach der Nymphenburger Taschenbuchausgabe (NFA) nach Band und Seite zitiert. 5 Von Raabe wurden folgende Werke untersucht: Nach dem großen Kriege (1861; BA 4: 5-139), Die Leute aus dem Walde (1862; BA 5), Zum wilden Mann (1874; BA 11: 159-256), Horacker (1876; BA 12: 291-454), Deutscher Adel (1880; BA 13: 171-327), Alte Nester (1880; BA 14: 7-269), Das Horn von Wanza (1881; BA 14: 271-449), Fabian und Sebastian (1882; BA 15: 5-190), Villa Schönow (1884; BA 15: 387-571), Pfisters Mühle (1884; BA 16: 5-178), Unruhige Gäste (1885; BA 16: 179-337), Im alten Eisen (1887; BA 16: 339-514), Die Akten des Vogelsangs (1895; BA 19: 211-408), Hastenbeck (1898; BA 20: 5-200). Raabes Werke werden nach der Braunschweiger Ausgabe (BA) nach Band und Seite zitiert. 362 Volker Kohlheim deckt – Raabes Novellen und Romane erschienen zwischen 1856 und 1911, Fon- tanes zwischen 1863 und 1899 –, ist bekannt, dass sie sich gegenseitig so gut wie überhaupt nicht beeinflusst haben: War einerseits Fontanes Interesse an seinem bedeutenden Kollegen „auffällig gering“, so nimmt man andererseits an, dass Raabe von Fontane außer den Balladen nichts gelesen hat (NÜRNBER- GER/STORCH 2007: 367). Sie dürfen also, da sie unbeeinflusst voneinander ge- schrieben haben, als repräsentativ für den deutschen Realismus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gelten. Dennoch stehen gerade sie in dem Ruf, un- gehemmt meist komisch redende Namen zu verwenden. Kaum eine Darstellung literarischer Namengebung verzichtet darauf, Listen von derartigen Namen bei Raabe und Fontane zusammenzustellen.6 Nun kann es, um die Frage nach dem „Realismus“ der Namengebung dieser beiden Autoren zu beantworten, nicht darum gehen, sich nur solch auffällige Namen wie Raabes Souffleur Flüstervogel (Die Chronik der Sperlingsgasse) oder Professor Dr. Nachkauer (Kloster Lugau), Fontanes Pastor Lämmerhirt oder Posamentier Niedlich (Vor dem Sturm) her- auszusuchen. Vielmehr ist das gesamte Namenspektrum zumindest in einer re- präsentativen Auswahl aus der Prosa dieser beiden Autoren im Hinblick darauf, wie sie Beruf und Name behandeln, zu sichten. Selbstverständlich muss dabei Vieles unberücksichtigt bleiben, insbesondere die tieferen Bedeutungsschichten der allegorischen, figurativen und antithe- tischen Namen, die jeweils nur im Zusammenhang mit einer gründlichen Ana- lyse des einzelnen Werks zutage treten können (vgl. hierzu DEMETZ 1964: 193- 203, BÖSCHENSTEIN 1996, SELBMANN 2013: 180-202). Dafür ist zu erwarten, dass bei der Fokussierung auf den Zusammenhang zwischen Beruf und Familienna- me das Spezifische des Realismus von Fontane und Raabe „von einer gar nicht so abwegigen Warte aus“ (ERTL 1982: 205) zutage tritt.

1.4. Das Korpus

Die untersuchten Erzählungen und Romane umfassen jede Art der von den bei- den Autoren gepflegten erzählenden Literatur: Historische Romane wie Fonta- nes Vor dem Sturm oder Raabes Hastenbeck, Kriminalromane wie Fontanes Quitt und vor allem die für Fontane so charakteristischen Gesellschaftsromane wie Frau Jenny Treibel oder Effi Briest, denen sich Raabes eher an allgemein menschlichen Problemen interessierte Romane wie Unruhige Gäste oder Die Akten des Vogelsangs an die Seite stellen lassen. Dabei konnten aus Fontanes acht Romanen 268 Familiennamen exzerpiert werden, aus den vierzehn Erzäh- –––––––— 6 Zum Beispiel BEREND 1942: 850, BIRUS 1978: 48, DEBUS 2002: 63. Beruf und Name in der Literatur des deutschen Realismus 363 lungen und Romanen Raabes 214. Dieses Verhältnis weist schon auf einen sehr deutlichen Unterschied im Namengebrauch dieser beiden Autoren hin: Fontane ist wesentlich „namenfreudiger“ als Raabe. Etwas überspitzt kann man sagen, dass sich schon auf den ersten drei Seiten eines Fontane-Textes mehr Namen als in mancher Erzählung Raabes finden lassen. Und zur Namensnennung gehört bei Fontane unweigerlich die Angabe des Berufs oder der sozialen Stellung. Bei- de konstituieren bei Fontane die literarische Figur von Anfang an. Selbst den unbedeutendsten Nebenfiguren wird ein Name zugelegt. Als ein Beispiel für un- zählige sei nur eine Stelle aus Vor dem Sturm angeführt. Renate von Vitzewitz hat sich, um ihren erkrankten Bruder Lewin zu pflegen, in einem Dorfgasthof einquartiert. Dabei wendet sie sich an die Frau des Gastwirts: „Wir sind nun schon fast zwei Tage hier und haben noch nicht einmal Ihren Namen erfahren.“ Das geht natürlich nicht. Und so äußert sich die Krügersfrau sehr präzis: „ʻIch heiße Kemnitz [...] das heißt: mein Mann.ʼ Sie sagte das in einem Tone, der an- deuten sollte, daß ihr väterlicher Name um einen Grad höher gewesen sei“ (NFA 2: 452). So wird mit dem Namen selbst einer unbedeutenden Nebenfigur gleich eine Geschichte angedeutet, worin nicht zuletzt Fontanes „Neigung zum (scheinbar) Nebensächlichen, zum Kleinen, zum (vermeintlich) unbedeutenden Detail“ (NÜRNBERGER/STORCH 2007: 322) zutage tritt. Ganz anders Raabe, bei dem selbst deutlich charakterisierte Nebenfiguren namenlos bleiben können wie z.B. der Buchhalter und der Lagerinspektor von Pelzmanns Schokoladenfabrik in Fabian und Sebastian (BA 15: 51) oder der sehr selbstbewusst auftretende „Vorsteher des Dorfes“ (BA 16: 221) in Unruhige Gäste. Im Allgemeinen hält sich Raabe an den Grundsatz, den er in einem Er- zählerkommentar in dem Roman Das Horn von Wanza äußert: „Namen sollen sie [sc. die Bürger von Wanza] lieber nicht nennen, wenn das im Laufe dieses Berichts nicht unumgänglich nötig werden wird. Sie selbst nannten sich am liebsten bei ihren Titeln, und sie besaßen Gott sei Dank beinahe alle einen“ (BA 14: 300).

2. Der gehobene bürgerliche Mittelstand

2.1. Die Geistlichen

Wir wollen unseren Überblick über das Verhältnis von Beruf und Name bei Fontane und Raabe mit den Vertretern des „gehobenen bürgerlichen Mittel- standes“ (SERAPHIM 21966: 112) beginnen, zu dem seit dem Ende des 18. Jahr- hunderts die Geistlichen, Lehrer und Ärzte sowie die akademisch vorgebildeten Beamten gehörten. Das Bild des Geistlichen, besonders des Landpfarrers, war 364 Volker Kohlheim noch für den Fontane der Wanderungen bestimmt durch die idyllische Ausprä- gung, die es bei Goldsmith (The Vicar of Wakefield 1766), Voss (Luise 1795) und Goethe (Dichtung und Wahrheit, 2. Teil, 10. Buch, 1812) gefunden hatte. Damit kontrastierte jedoch weitgehend die Realität, in der den von ihren Patro- natsherren, den Landadligen, abhängigen Pastoren zugemutet wurde, die Stan- desinteressen des Adels zu vertreten und dessen in Bedrängnis geratene An- sprüche zu legitimieren (DREHSEN 1997: 46). Entsprechend Fontanes zuneh- mend kritischer Einstellung gegenüber den Geistlichen versieht sie der Dichter – „als wäre er ein Schüler Voltaires“ (DEMETZ 1964: 93) – zum überwiegenden Teil mit nahezu satirischen Namen. Da begegnen uns Pastor Seidentopf (NFA 2: 35),7 „der alte Prediger Buntebart“ (NFA 2: 308), Pastor Lämmerhirt (NFA 3: 452) und Pfarrer Borstelkamm (NFA 4: 192), es gibt die Theologiekandidaten Uhlenhorst (NFA 2: 51), Himmerlich (NFA 2: 112), Hansen-Grell (NFA 2: 111)8 und schließlich Superintendent Koseleger (NFA 13: 78), über den Dubslav von Stechlin zu bemerken hat: „Ich weiß immer nicht, ob er mehr Kose oder mehr Leger ist; vielleicht beides gleich“ (NFA 13: 186), wobei -leger französisch auszu- sprechen ist! Auf die Lutherzeit zurück verweisen latinisierte Pastorennamen wie Eccelius (NFA 7: 232) und Krokisius (NFA 3: 405). Letzterer Name erscheint übrigens schon zwölf Jahre früher bei Wilhelm Raabe, der bissig von der „Stimme des großen Kirchennachtlichts, des Konsistorialrats Krokisius,“ spricht (BA 5: 69). Neben diesen allegorischen (DEMETZ 1964: 93) Namen treffen wir bei Fontane aber auch auf die Pastoren Zabel (NFA 2: 83), Sörgel (NFA 4: 95) und Rüthnick (NFA 7: 156), auf den Prediger Pütter, „arm aber angesehen“ (NFA 12: 305), und schließlich auf die positiv gezeichneten Pastoren Niemeyer (NFA 12: 9) und Lorenzen (NFA 13: 13). Diese Pfarrer mit durchaus unauffälli- gen Namen vertreten „ein weitgehend ethisiertes Christentum [...], dessen le- bensdienliche Funktion sich nicht mehr an doktrinalen Weltanschaungsansprü- chen entscheidet“ (DREHSEN 1997: 53). Kaum anders ist das Bild, das wir von den Namen der Geistlichen bei Raabe erhalten. Die Pastoren Nothzwang (BA 5: 212), Drönemeyer (BA 5: 212), Schön- lank (BA 11: 173), der Berliner Pastor Nöleke (BA 12: 339) tragen satirisch re- dende Namen, die an die Qualität ihrer Predigten denken lassen, und auch die Namen des Pastors von Boffzen, Gottlieb Holtnicker (BA 20: 11), sowie der des –––––––— 7 Die exzerpierten Familiennamen werden immer kursiviert, um sie optisch heraus- zuheben, auch in Zitaten, wo sie im Original recte stehen. 8 HELLFRITZSCH 2010: 327-328 bescheinigt Namen mit dem Suffix -lich eine „paro- distische Wirkung“ und „Doppelbildungen“ (wie Hansen-Grell) „den Charakter des Ausgefallenen, des Ungewöhnlichen, des Gewählten“. Beruf und Name in der Literatur des deutschen Realismus 365

Pastors Trolle (BA 12: 347) sind nicht alltäglich. Symbolisch von der Handlung her zu deuten ist der Name des problematischen, weil mit seiner Berufung ha- dernden, Pastors Prudens Hahnemeyer aus dem Roman Unruhige Gäste (BA 16: 189; vgl. hierzu KOHLHEIM 2015a: 107-108). Konsistorialrat Krokisius (BA 5: 69) war schon erwähnt worden. Der Pastor des Sollingdorfes Derenthal, Emanuel Störenfreden (BA 20: 88), trägt zwar auch einen redenden Namen, doch bezieht er sich nicht auf die Wirkung seiner Predigten, sondern auf den Pfarrer selbst, der in seinem Seelenfrieden dadurch gestört ist, dass ein Deser- teur mit seiner Liebsten bei ihm vorübergehend Zuflucht sucht (LEWELING 2011: 66). Sonst tragen die positiv gezeichneten Geistlichen, durchweg „ausge- sprochene Helfergestalten“ (LEWELING 2011: 75), unauffällige Namen. Zu nen- nen wären Pastor Tanne aus Poppenhagen, ausdrücklich als „ein guter Mann“ apostrophiert (BA 5: 16), und vor allem Pastor Christian Winckler in Ganse- winckel (BA 12: 305), der mit seinem redenden Namen das sprichwörtliche „Glück im Winkel“ verkörpert (EIDEN-OFFE 2017: 26), eine ganz und gar positi- ve Gestalt, die aber – und Raabe meint das nicht abwertend – „noch von der al- ten Welt ist“ (LEWELING 2011: 46).

2.2. Die Lehrer

Dass neben den Geistlichen in der Literatur der zweiten Hälfte des 19. Jahrhun- derts auch zunehmend der Beruf des Lehrers thematisiert wird, hängt mit der „allmählichen Ablösung der Dominanz der Geistlichen im Erziehungsbereich, mit der Säkularisierung zum eigenen Berufsstand“ (WEBER 1979: 230) zusam- men. Freilich ist dieser Stand differenziert zu sehen. Als Bindeglied zwischen Kirche und Schule treten in Fontanes und Raabes Texten nicht wenige Kantoren und Küster auf, die ja auf dem Land noch die Aufgabe des Klippschullehrers mitversahen. Sie tragen bei Fontane meist unauffällige, landschaftlich gefärbte Namen wie der Küster und Dorfschullehrer Jeserich Kubalke (NFA 2: 68) oder der Berliner Küster Susemiehl (NFA 2: 315), die Kantoren Nippler (NFA 2: 257), Graumann (NFA 7: 290) und Jahnke (NFA 12: 9), während der Name von „Küs- ter und Dorfschullehrer Krippenstapel“ (NFA 13: 14), „ein Prachtexemplar, je- denfalls ein vorzüglicher Lehrer“ (NFA 13: 55), vielsinnig ausdeutbar ist (BÖ- SCHENSTEIN 1996: 52). Dagegen überwiegen bei Raabe redende Namen, die wie Dröneberg (BA 14: 202) auf den Unterrichtston oder wie Dornbluth (BA 5: 19) oder gar Böxendal (BA 12: 310, niederdeutsch ʻHosen runter!ʼ) auf die nicht ganz gewaltfreie pädagogische Tätigkeit dieses Lehrpersonals anspielen. Dage- gen steht der unauffällige Name des Kantors Busse (BA 16: 20) im untersuchten Korpus ganz vereinzelt. 366 Volker Kohlheim

Andererseits tragen Volksschullehrer bei Fontane unauffällige Namen wie Wonneberger (NFA 7: 17), Lösche (NFA 7: 84) und Brandt (NFA 13: 41). Aus- deutbar ist hingegen der Name des Geographieunterricht erteilenden Kandida- ten Holzapfel (NFA 12: 15). Als Hinweis auf seinen Unterrichtsstil könnte man den Namen von Direktor Bellermann (NFA 3: 428) auffassen, doch hatte er ein Vorbild in der Realität: ein Ludwig Bellermann war Direktor des Gymnasiums zum Grauen Kloster (NFA 3: 654; Kommentar). Auch der Name des Konrektors Othegraven (NFA 2: 81), der in seiner „Gravität“ der Persönlichkeit der literari- schen Figur sehr angemessen ist, ist der außerliterarischen Realität entnommen. Weitere Schuldirektoren tragen Namen wie Distelkamp (NFA 11: 56), Hilgen- hahn (NFA 11: 101), Thormeyer (NFA 13: 197), wobei letzterer Name auch der von Fontanes altem Gymnasialdirektor war (NFA 13: 424; Kommentar). Außer der Wortstruktur – alle Direktorennamen sind daktylisch9 – teilen sie keine Auffälligkeiten. Daktylisch ist auch der Name des Oberlehrers Tucheband (NFA 13: 64). Gehäuft treten Gymnasiallehrer bei einer Soirée in Frau Jenny Treibel auf: Professor Wilibald Schmidt (NFA 11: 7) und seine Gäste, die Professoren Rindfleisch (NFA 11: 56), Hannibal Kuh (NFA 11: 57) und Oberlehrer Immanu- el Schultze (NFA 11: 57) sowie der Zeichenlehrer Friedeberg (NFA 11: 57). Im Gespräch erwähnt werden auch die Professoren Hammerstein und Agathon Knurzel, „der aussieht wie Mr. Punch und einen Doppelbuckel, aber freilich auch einen Doppelgrips hat“ (NFA 11: 64). Peter DEMETZ (1964: 197-198) sieht gerade in den hier gehäuft auftretenden antithetischen, gebrochenen Namen, bei denen – wie bei Hannibal Kuh – „die onomastische Phantasie“ beim Vor- namen „zum Flug anhebt,“ um dann beim Familiennamen „Hals über Kopf in den Kot und Staub des bathetischen Elements“ zu stürzen, „die Essenz des Rea- lismus in der sprachlichen Monade.“ Dessen ungeachtet überwiegt der Eindruck des Satirischen, indem die beanspruchte Geistigkeit der Lehrerfiguren durch de- ren „handfeste Namen wie ʻKuhʼ“ und „Rindfleisch“ in Frage gestellt wird (SELBMANN 2013: 197). Satirisch gemeint ist sicherlich der Name der Erzieherin Fräulein Wulsten (NFA 11: 88), während die Gouvernante Fräulein Honig, de- ren „herbe[...] Züge [sich] wie ein Protest gegen ihren Namen ausnahmen“

–––––––— 9 Die Länge des Namens scheint bei vielen Schriftstellern mit dem sozialen Stand zu korrelieren; vgl. die Äußerung des Mr Chucks in Frederick Marryats Roman Peter Simple (1834): „When I was in good society, I [...] seldom bowed, Sir, to anything under three syllables.“ Zit. nach HENGST/SOBANSKI 2000: 81. Beruf und Name in der Literatur des deutschen Realismus 367

(NFA 11: 33),10 einen schon übermäßig akzentuierten ironischen Namen trägt (vgl. hierzu KOHLHEIM 2015b: 116-117). Auch bei Wilhelm Raabe treffen wir auf redende Namen für Lehrerpersön- lichkeiten: die Namen der Oberlehrer Dr. Grimme (BA 14: 66), Rost (BA 15: 29), Knutmann (BA 19: 286) und Dr. Klebmaier (BA 19: 228) deuten drastische Un- terrichtsmethoden an; ein Dr. Schwerfall (BA 15: 534) ist offensichtlich jemand für schwere Fälle – was der Romanhandlung auch entspricht. Letztlich aber überwiegen Namen, die ihren Symbolgehalt im Zusammenhang der Roman- handlung offenbaren, wie es bei dem Romantiker Fritz Wolkenjäger (BA 4: 14) der Fall ist, bei der „winterlichen“ Gouvernante Amalie Schnubbe (BA 5: 79), aus deren Namen man bereits den Schnupfen heraushört, oder bei dem „Herr[n] Doktor und Professor der Ästhetik Mohn“ (BA 13: 181). Dass Madame Printemps, Leiterin des „erste[n] Erziehungsinstitut[s] der Stadt für junge Da- men aus den besten Ständen“ (BA 15: 32), einen ironisch zu verstehenden Na- men trägt, geht aus folgendem Figurenkommentar hervor: „zu Madame Prin- temps! Das würde freilich der neue Frühling für [...] das Kind geworden sein [...]“ (BA 15: 34). Gymnasialdirektor und Schulrat Dr. Pottgießer, „das würdige Oberhaupt, der weißlockige Patriarch“ (BA 16: 38), trägt einen in Bezug auf sei- nen Beruf neutralen Namen. Gänzlich auf ihre Charaktere und nicht auf ihren Beruf hin sind auch die Namen der Lehrer in Raabes Horacker gebildet, einer Erzählung, in der ein Lehrerkollegium im Mittelpunkt steht: Konrektor Dr. Werner Eckerbusch (BA 12: 296), der etwas leichtsinnige Zeichenlehrer und „Halbkollege“ Windwebel (BA 12: 297) und der allem Neumodischen nach- laufende Dr. Neubauer (BA 12: 298). – Im Unterschied zu Fontane verzichtet Raabe darauf, den Gegensatz von Vor- und Familiennamen auszuspielen. Ob- wohl wir auch bei ihm noch genügend redende Namen antreffen, die auf Cha- rakteristika des Lehrerberufs anspielen, überwiegen doch die Namen, die auf die „meist sympathische [...], jedoch mitunter recht komplizierte [...] Wesensart“ (FUHRMANN 1993: 23) seiner Lehrerfiguren beziehbar sind.

–––––––— 10 Terminologisch herrscht hinsichtlich derartiger Namen noch Unsicherheit. HENGST/SOBANSKI (2000) sprechen hier von „konträren Namen”, HENGST/VASIL’EVA 2007: 151 vom lying name. Das Entstehen von Komik durch derartige Namen erklärt POHL 2005 mittels kognitivistischer Konzepte. Vgl. zu Fontanes Namengebung auch BÖSCHENSTEIN 1996. 368 Volker Kohlheim

2.3. Die Ärzte

Der Arzt schließlich ist „seit der mythischen Archaik und der klassischen Anti- ke [...] eine höchst bedeutsame Symbolfigur“ (ARENDT 1996: 43). Dabei vollzieht sich gerade während des 19. Jahrhunderts „der Wandel des Arztbildes vom Heilkünstler zum Wissenschaftler“ (HENZLER 1990: 41). Es gibt um die Mitte des 19. Jahrhunderts keine einheitliche Gruppe der Heilberufe: „Neben Chirur- gen, Wundärzten verschiedener Grade, Badern, Barbieren gibt es die kleine Gruppe der gelehrten Ärzte, die an der medizinischen Fakultät der Universität ihr Studium absolviert haben. Daneben gibt es die große Zahl der Laienmedizi- ner, die ihre Patienten in den Unterschichten und auf dem Land besaßen: Wahrsager, [...] Beschwörer [...], Hebammen, alte (weise) Frauen [...] u.a.“ (HENZLER 1990: 39). Sie alle treten in Fontanes und Raabes Romanen und Er- zählungen auf. So verlässt sich Dubslav von Stechlin in seinen letzten Tagen e- her auf die Buschen, Kräuterfrau und Heilerin (NFA 13: 345), als auf Dr. Mo- scheles, „neue Schule, moderner Mensch“ – auch auf die jüdische Herkunft des Arztes wird süffisant angespielt (NFA 13: 332). Mehr Vertrauen genießen die äl- teren Vertreter ihres Standes: „oll Doktor Leist von Lebus“ (NFA 2: 6), Dr. Schliephake (NFA 4: 179), Dr. Oelze (NFA 7: 287), „der alte Doktor Mattersdorf“ (NFA 7: 48), Sanitätsrat Lohmeyer (NFA 11: 97), „der alte Friesacker Arzt Wie- sike“ (NFA 12: 287), Doktor Sponholz (NFA 13: 322), der Schlesier Dr. Nitsche (NFA 12: 393), der Kessiner Däne Doktor Hannemann (NFA 12: 47) und Wundarzt Beza, „eigentlich bloß Barbier, der stammt aus Lissabon“ (NFA 12: 47). Einen auffällig redenden Namen trägt eigentlich nur Geheimrat Rumm- schüttel ausgerechnet „als Arzt für jemand, der sich nicht rühren kann“ (NFA 12: 203). Bei Raabe treffen wir auf Sanitätsrat Dr. Pfingsten (BA 5: 44), auf den Land- physikus Dr. Eberhard Hanff (BA 11: 200; BA 16: 227), auf den Berliner Be- zirksarmenarzt Dr. Berg (BA 16: 342), auf Dr. Engelking aus Höxter (BA 20: 187), auf Dr. med Valentin Andres, „ein echter und gerechter Vorstadt- doktor, ein gutmütiger Mensch und ein guter Arzt“ (BA 19: 220). Versagt sich Raabe bei diesen Namen Anspielungen auf Eigenarten ihres Berufes, so trifft dies für Dr. Langleben (BA 15: 395) nicht zu. Doch dieser redende Name steht in unserem Korpus vereinzelt da, denn „Herr Medizinalrat und Hofmedikus Baumsteiger, Leibarzt Ihrer Hoheit der Prinzeß Gabriele Angelika“ (BA 15: 10), hat seinen Namen wohl eher aufgrund seines ehrgeizigen Charakters, und mit dem Namen des schwäbischen Arztes Dr. Winckelspinner, „ungemein prakti- scher Arzt und sonstiger alter Praktiker“ (BA 13: 237), erlaubt sich Raabe einen Seitenhieb auf die ihm verhasste Neigung der Schwaben zur Kleinstaaterei Beruf und Name in der Literatur des deutschen Realismus 369

(BA 13: 458; Kommentar). – Vergleicht man die drei Berufsgruppen der Geistli- chen, Lehrer und Ärzte, so werden letztere bei Fontane und Raabe am ernsthaf- testen ausgewählt; drastische redende Namen, wie sie mit Dr. Fillgrave noch Anthony Trollope (Dr Thorne, 1858) verwendet, sucht man bei ihnen verge- bens.

2.4. Apotheker, Schriftsteller, Künstler und andere Intellektuelle

Ebenfalls dem gehobenen bürgerlichen Mittelstand sind die Apotheker zuzu- rechnen sowie arrivierte Künstler, Schriftsteller und andere Intellektuelle. Bei Fontane treffen wir auf den Apotheker Dr. Alonzo Gieshübler (NFA 12: 52), dessen exotischer Vorname mit seinem an ein böhmisches Mineralwasser erin- nernden Familiennamen (DEMETZ 1964: 199) kontrastiert, und auf den Labo- ranten Zölfel (NFA 7: 22), während Raabes Apotheker Kristeller (BA 11: 166) und Grauwacker heißen, letzterer als „der alte Biedermann“ apostrophiert (BA 11: 169). In all diesen Fällen sind die Familiennamen der Apotheker mehr durch ihren Charakter und ihre Rolle in der Erzählung motiviert (zu Kristeller vgl. KOHLHEIM/KOHLHEIM 2015: 301-302) als durch ihren Beruf. Dies trifft auch auf die übrigen Intellektuellen und Künstler bei Fontane zu, die durchweg durch ih- re problematischen Namen charakterisiert werden. So kontrastiert nicht nur bei dem Archäologen Marcell Wedderkopp, an dem Frau Jenny Treibel „wirklich nichts weiter zu tadeln wüßte, als daß er Wedderkopp heißt“ (NFA 11: 13), der vornehm-französische Vorname mit dem bodenständigen niederdeutschen Fa- miliennamen, sondern es gibt einen solchen Kontrast auch bei dem Tenor Adolar Krola (NFA 11: 26) und dem Komponisten und Musiklehrer Dr. Niels Wrschowitz (NFA 13: 131; hierzu DEMETZ 1964: 199-200). Nicht ganz alltägliche Namen tragen auch der Zeitungskorrespondent Dr. Pusch (NFA 13: 235), der „Malerprofessor“ Cujacius (NFA 13: 235) und last but not least der Literaturkri- tiker Dr. Faulstich (NFA 2: 138), „ein kluger und interessanter Mann, aber doch schließlich von ziemlich zweifelhaftem Gepräge“ (NFA 2: 70). Bei Raabe treffen wir ausgerechnet in Butzemanns Keller auf Ulrich Schenck, Professor der Ästhe- tik (BA 15: 548). Ironisch gefärbt sind auch die Namen von Professor Kiebitz (BA 15: 440) und „Malerprofessor“ Käsewieter (BA 16: 466) sowie des Überset- zers Dr. Wedehop (BA 13: 226). Sowohl auf den Charakter als auch auf den Be- ruf zielen die redenden Namen des leichtsinnigen „darstellender Künstler[s]“ Julius Schminkert (BA 5: 28) und des gleichermaßen unseriösen Puppentheater- direktors Joseph Leppel (BA 5: 119). Till Eulenspiegel wird ausdrücklich als der „große[...] Namensahnherr“ des ehemaligen Schauspielers Uhusen (BA 16: 326; 418) genannt (Uhu-sen ʻSohn des Uhusʼ). Die Nähe zur Musik zeigt der 370 Volker Kohlheim italienische Name der Klavierlehrerin Nathalie Ferrari an (BA 13: 221), während der Name des verkommenen Musikers und Musiklehrers Wermuth (BA 16: 440) auf den misslungenen Lebenslauf dieser Romanfigur deutet. Durch ihre Semantik auf die Tätigkeit der Benannten anspielend sind die Namen von Hein- rich Ulex, „ein[em] halb autodidaktische[n] Sterngucker“ (BA 5: 51; auch Name eines Försters: BA 5: 74), und von Hofrat Dr. Albin Brokenkorb (BA 16: 350), der seinem andächtigen Publikum auf Vorträgen sein Wissen „brockenweise“ zuteilt, während der hinterhältige Privatsekretär Giftge (BA 15: 456) durch sei- nen Namen überdeutlich charakterisiert wird. Auch der Student der Philologie Bernhard Grünhage (BA 14: 276) trägt einen redenden Namen, doch spielt der nicht auf seine Tätigkeit, sondern auf sein „grünes“ Alter an. Antiphrastisch ist der Familienname des Deserteurs und Blumenmalers der „Fürstlich Braun- schweigischen Porzellanfabrik auf Schloss Fürstenberg“ (BA 20: 40) Pold Wille zu verstehen, denn zielstrebigen Willen, ihn zu retten, zeigen andere, nicht er selbst. Unauffällige Namen tragen nur die Professoren Tewes (BA 14: 331), der Zeichenmeister Meier (BA 20: 78), der Tragödiendichter Lippoldes, dem der Dramatiker Christian Dietrich Grabbe als Vorbild diente (BA 16: 81), und der Professor der Staatswissenschaften Freiherr Veit von Bielow-Altrippen (BA 16: 189), der durch seinen Namen natürlich sozial eingestuft wird (vgl. KOHL- HEIM 2015a: 104-107).

2.5. Die Förster

Unter den höheren Beamten treten als markante und bei Fontane und Raabe gleichermaßen vertretene Gruppe die Förster hervor. Sie tragen bei Fontane all- tägliche Namen wie Notnagel (NFA 7: 249), Ring (NFA 12: 152) oder von Katz- ler (NFA 13: 14) nach dem Vorbild zweier Generalleutnants in der preußischen Armee (NFA 13: 411; Kommentar). Landschaftlich markierte Namen führen der gräfliche Heidereiter Baltzer Bocholt, „ein Westfälinger“ (NFA 4: 95), und der starrsinnige schlesische Förster Opitz (NFA 7: 12), dessen Name natürlich auch auf den die Regeln betonenden barocken Dichter verweist. Sind die Förs- ternamen bei Fontane relativ unauffällig, so kann man das über Raabes in unse- rem Korpus vorkommende Försternamen nicht sagen: Abgesehen von Förster Sixtus (BA 14: 22) – dies ist sein Familienname – heißen Angehörige dieser Be- rufsgruppe Rauhwedder (BA 12: 395), Wolf (BA 5: 13), Ulex (BA 5: 74), Ulebeule (BA 11: 173) oder Eulemann (BA 14: 357), werden also dank ihrer redenden Namen mit der oft rauhen Witterung in den norddeutschen Wäldern oder mit unheimlichen Waldtieren wie dem Wolf oder der Eule in Verbindung gebracht. Beruf und Name in der Literatur des deutschen Realismus 371

2.6. Weitere höhere Beamte

Die wenigen weiteren höheren Beamten tragen diskret redende bis unauffällige Namen. Des Landrats Baron von Innstetten (NFA 12: 11) Name ist ganz auf die Handlung bezogen, wenn Fontane auch durch die ihm bekannte Familie von Inn- und Kuyphausen zu ihm angeregt wurde: Anstelle von – instead of – ihrer Mutter bekommt Innstetten Effi zur Frau (BÖSCHENSTEIN 1996: 47-48). Auf ein steifes Wesen anspielen könnte bei Fontane der Name des Ministerialdirektors Stoeckenius (NFA 11: 47), auf sein gewandtes Wesen der des Klosterrent- meisters Fix (NFA 13: 86). Redend ist auch der Name von (Polizei-)Assessor Goldammer (NFA 11: 12). Rentamtmann Mollhausen (NFA 3: 558), Rech- nungsrat Espe (NFA 7: 17), Gutsinpektor Pink (NFA 12: 25) tragen eher unauf- fällige Namen, ebenso wie Raabes Stadtrat Dr. Max Bösenberg, früher Journalist (BA 14: 164), und Rechnungsrat Schulze (BA 16: 34). Dem Namen von Rech- nungsrätin Huggendubbel (BA 5: 250) war Raabe in Stuttgart begegnet (BA 5: 517; Kommentar). In diese Berufsgruppe gehören teilweise die Juristen. Wenn bei Fontane ein Gerichtspräsident von Krach (NFA 2: 131) heißt, muss dieser Name wohl als redender Name interpretiert werden, vielleicht auch die Namen von Justizrat Vowinkel (NFA 7: 257) und Referendar Enghaus (NFA 11: 33), die beide auf eine gewisse Enge hinsichtlich ihrer Anschauungen ver- weisen könnten. Kammergerichtsassessor Dr. Sophus Unverdorben (NFA 7: 94) trägt als Albino einen ironischen, aber nicht berufsbezogenen Namen, während die Namen von Justizrat Turgany (NFA 2: 76) und Landgerichtsrat Gizicki (NFA 12: 225) als fremdsprachlich und der von Rechtsanwalt Katzenstein (NFA 13: 388) als jüdisch markiert sind. Einen ganz unauffälligen Namen trägt unter Fontanes Juristen eigentlich nur Justizrat Gadebusch (NFA 12: 119). Auch Raa- be hat seine Juristen oft genug mit anspielungsreichen Namen versehen. „Früh krümmt sich, was ein Haken werden will“, lautet ein Sprichwort, das andeutet, dass Unterwürfigkeit karrierefördernd sein kann. Und so treffen wir auf Ober- regierungsrat Dr. jur. Karl Krumhardt (BA 19: 213), auf Assessor Buckendahl (BA 16: 103) und auf den betrügerischen Notar Dr. Schleimer (BA 14: 78). An- rüchig klingt der Name des Rechtsanwalts Dr. Riechei (BA 16: 115), unter Um- ständen obszön der des Auditors Nagelmann (BA 12: 381; vgl. auch DENKLER 1989: 176-181). Neutrale Namen unter Raabes Juristen haben eigentlich nur Kammergerichtsassessor Beutler (BA 5: 250), Staatsanwalt Wedekind (BA 12: 310) und Notar Spindler (BA 14: 200). 372 Volker Kohlheim

2.7. Die Namen des gehobenen Mittelstandes: Resümee

Zusammenfassend kann konstatiert werden, dass die dem gehobenen bürgerli- chen Mittelstand angehörigen Figuren weitgehend noch aussagekräftige Namen tragen, die sich allerdings vorwiegend auf die Persönlichkeit des Namensträgers und seltener auf seinen Beruf beziehen. Doch gibt es hier Unterschiede hinsicht- lich der einzelnen Berufsgruppen: Berufsbezogene redende Namen tragen am ehesten die Förster, mit satirischen Namen werden vor allem die Geistlichen, aber auch die Juristen versehen, am wenigsten die Ärzte; Lehrer nehmen eine Mittelstellung ein. Von einer Bedeutungslosigkeit und „Arbitrarität der Namen“ (SELBMANN 2013: 185), wie sie vom realistischen Schriftsteller erwartet werden könnte, kann bei diesen Berufsgruppen noch nicht die Rede sein.

3. Die Berufsoffiziere

Die Offizierslaufbahn stand im 18. und auch noch im 19. Jahrhundert in der preußischen Armee – und von ihr ist bei Fontane, aber weitgehend auch bei Raabe die Rede – zwar nicht ausschließlich, aber doch vorzugsweise dem Adel offen (SERAPHIM 21966: 112). Nun ist bekannt, dass Fontane die Namen seines adligen Personals mit teils nur geringen Modifikationen der märkischen Realität entnahm (BÖSCHENSTEIN 1996: 35), sich eine namenstilistische Analyse daher eigentlich erübrigte, dennoch lässt sich nicht bestreiten, dass etwa Generalmajor von Bamme (NFA 2: 132), Hauptmann von Ratze (NFA 2: 133), Oberst Goetze (NFA 12: 9), Klitzing (NFA 12: 10), aber auch Rex (NFA 13: 15) und von Czako (NFA 13: 15) eine gewisse militärische „Zackigkeit“ ausstrahlen, wobei das Mili- tärische bei den beiden letzteren auch durch die Semantik ausgedrückt wird. Daneben aber gibt es Fähnrich von Uttenhoven (NFA 7: 20) und die Husaren- leutnants Engelbrecht (NFA 12: 26) und Nienkerken (NFA 12: 41), die, zumal letzterer mit seiner niederdeutschen Färbung, eher bürgerlich bis bäuerlich wir- ken. Und dann ist da noch Major von Crampas (NFA 12: 107), der auch mit sei- nem slawischen adligen Herkunftsnamen – Crampas offenbart sich im Roman selbst als Ortsname auf Rügen (NFA 12: 214) – aus der Rolle fällt. Es gibt aber auch satirisch intendierte Namen für Offiziere bei Fontane, z.B. Major Griepen- kerl (NFA 7: 20)11 und Leutnant a. D. Vogelsang, „agent provocateur in Wahlsa- chen” (NFA 11: 18), eine ganz und gar „komische Person“ (NFA 11: 22). –––––––— 11 Niederdeutscher Satzname: „Greif den Kerl!“, nach BAHLOW (1972: 186) Übername des Büttels. Darüber, dass auch ein Dichter diesen Namen getragen hat (Wolfgang Robert Griepenkerl, 1810-1868), mokiert sich Kommerzienrat Treibel (NFA 11: 24). Beruf und Name in der Literatur des deutschen Realismus 373

Viel seltener als bei Fontane treten bei Raabe Offiziere auf. Immerhin finden wir Hauptmann a.D. Konrad von Faber (BA 5, 13) und Revierleutnant Kirre (BA 5, 34), dessen redender Name an militärischen Drill denken lässt. Leutnant Hegewisch (BA 16, 347) trägt einen neutralen niederdeutschen Wohnstätten- namen,12 doch von Grützbeutel (BA 16, 368) für einen Major ist stark satirisch. Der brasilianische Colonel Dom Agustin Agonista (BA 11, 200), der früher Au- gust Mördling hieß und den man als Spekulant auch unter die Gruppe der neu- reichen Unternehmer hätte einreihen können (BAUER 2016: 126), hat sich sei- nen neuen Namen selbst gegeben. Er ist von ambivalenter Aussagekraft und lässt gleichermaßen an griechisch agōn ʻKampfʼ wie „Agonie“ denken (KOHL- HEIM/KOHLHEIM 2015: 302). Der holländische Major van Brouwers (BA 15, 77) trägt einen alltäglichen, bürgerlichen niederländischen Namen. Insgesamt überwiegen in dieser Gruppe die lediglich standesmäßig und regi- onal markierten Namen, während einige wenige durch ihre Lautsymbolik oder Semantik auf das Militärische verweisen. Rein satirische Namen sind die ab- solute Ausnahme.

4. „Neureiche“: Unternehmer, Bankiers, Großkaufleute Eine zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch kleine, ab der zweiten Jahrhundert- hälfte und vor allem seit der Reichsgründung jedoch immer wichtiger werdende Berufsgruppe stellen die Fabrikanten und Verleger, die Bankleute, Börsen- und Großhändler dar (SERAPHIM 21966: 113). Fontane hat dieser Gruppe mit dem Kommerzienrat und Preußischblaufabrikanten Treibel (NFA 11: 16) kein un- sympathisches Denkmal gesetzt, wobei sein Name diskret die Betriebsamkeit des neureichen Unternehmers zum Ausdruck bringt. Auch der wesentlich kriti- scher gesehene neu geadelte Wassermühlenbesitzer von Gundermann auf Sie- benmühlen (NFA 13: 25) trägt einen redenden Namen, ist doch ʻGundermannʼ seit dem 17. Jahrhundert volkstümlicher Ausdruck für die Gundelrebe (PULKOWSKI 2016: 9). Möglicherweise soll der mit der am Boden hinkriechen- den unscheinbaren Pflanze, die auch ʻErdefeuʼ genannt wird (PULKOWSKI 2016: 12), homonyme Name auf das etwas kriecherische Wesen dieses Parvenüs anspielen. Lediglich die dänische Herkunft zeigt der Name des Hamburger Ree- ders Thompson an (NFA 11: 91). Die übrigen Angehörigen dieser Gruppe tra- gen bei Fontane zwar keine redenden, dafür aber als jüdisch markierte Namen (vgl. hierzu HORCH 2000), seien es die Bankiers Bartenstein (NFA 11: 309) und –––––––— 12 LÜBBEN/WALTHER 1888: 139: „hege-wese, Hegewiese, -wisch (s. hege-gras): Gras, das man zum Mähen stehen lässt.“ 374 Volker Kohlheim

Heinersdorf (NFA 12: 126), sei es der Weingroßhändler Olszewski-Goldschmidt aus Krakau (NFA 7: 228). Bei Raabe lassen sich als Träger jüdischer Namen die Inhaber der Firma Seligmacher und Söhne (BA 19: 320) und vielleicht der Fab- rikant Semmelroth (BA 5: 199) interpretieren, während der Bankier Wienand (BA 5: 43) einen neutralen Namen trägt. Leon des Beaux, ursprünglich Schnei- der, später aber einer der „bedeutenderen Bankiers und Kapitalisten der Reichs- hauptstadt“ (BA 19: 220), kommt aus Berlins französischer Kolonie. Die nach der Stuttgarter Schokoladenfabrik Waldbaur geformten Schokoladen- und Pra- linéfabrikanten Fabian und Sebastian Pelzmann (BA 15: 7) sowie Runne und Plate, Altwarenhändler en gros (BA 16: 348), tragen unauffällige Namen, wäh- rend Schmurky und Kompanie (BA 16: 126) sowie Spiritusfabrikant Mietze (BA 14: 158) das slawische Element verkörpern (Mietze ist abzuleiten von dem slawi- schen Rufnamen Mětislav; KOHLHEIM/KOHLHEIM 2005: 462). Es bleiben bei Raabe einige auf den Kontext bezogene redende Namen für Vertreter dieser Be- rufe: Herr J. J. Doppelmeier, der „stille Kompagnon“ der Firma Pelzmann (BA 15: 7), der sozusagen als Doppelgänger der Schokoladenfabrikanten fungiert, der bedrohlich auf das „Fallieren“, also das Bankrott-Machen, hinweisende Kommerzienrat Fallensleben (BA 16: 368) und der als Inbegriff kleinstädtischer Borniertheit auftretende Lichtzieher und Seifenfabrikant Tresewitz (BA 14: 288), dessen intertextuell redender Name nach Carl Arnold Kortums Ohnewitz aus dessen Jobsiade gebildet ist. Auf seine Ausbildung als Chemiker ist schließlich der redende Name von Dr. Adam A. Asche, Gründer einer chemischen Reini- gung (BA 16: 21), bezogen. Trotz einiger Ausnahmen lässt sich feststellen, dass auch die Vertreter der aufstrebenden Gruppe der Großkaufleute, Fabrikanten und Bankiers, die von den beiden Autoren oft recht kritisch gesehen wird, vorwiegend noch redende oder zumindest klassifizierende Namen tragen.

5. Das Kleinbürgertum

5.1. Die Handwerker

Es treten nun mit dem „Kleinbürgertum begrenzten Lebenskreises“ (SERAPHIM 21966: 113) jene „breitere[n] und sozial tieferstehende[n] Menschengruppen“ in unser Blickfeld, deren „ernsthafte Behandlung“ AUERBACH (112015: 458) als ei- gentliche Aufgabe des literarischen Realismus ansah. Als wichtigste Unter- gruppe sind hier die Handwerker anzusehen, die, in ihrer Existenz durch Manu- fakturwesen und aufkommende Massenproduktion bedroht, als Repräsentanten der „guten alten Zeit“ gelten konnten. Tatsächlich finden wir, mehr noch bei Beruf und Name in der Literatur des deutschen Realismus 375

Fontane als bei Raabe, ein breites Spektrum an Handwerksberufen. Das ver- blüfft einigermaßen, gilt doch Fontane eher als Schilderer der feinen Gesell- schaft, während Raabes Sympathien eindeutig den Menschen geringeren Stan- des gelten. Hier wirkt sich einerseits Fontanes „Neigung zum (scheinbar) Ne- bensächlichen“ (NÜRNBERGER/STORCH 2007: 322) für unsere Zwecke positiv aus. Andererseits bleiben, wie schon erwähnt, bei Raabe viele Nebengestalten namenlos oder es werden, umgekehrt, nur die Namen, nicht aber die Berufe der Figuren erwähnt wie bei Ühleke, dem „Klatschmaul der Stadt“ (BA 12: 380), oder bei „Nachbar Hartleben“ (BA 19: 240). So finden wir bei Fontane Seilermeister Griepe (NFA 2: 175), Buchbinder Nottebohm (NFA 2: 257), Schornsteinfegermeister Rabe (NFA 2: 276), Bürstenmacher Stappenbeck (NFA 2: 276), Posamentier Niedlich (NFA 2: 276), den „Werk- und Küpermeister ei- ner kleinen Färberei“ Hulen (NFA 2: 297), Deckenflechter Grüneburg (NFA 2: 303), die Bäcker Mewes (NFA 3: 506) und Lehweß (NFA 2: 309), den Stellma- cher Bindemeier (NFA 3: 454), Handschuhmacher Pfeiffer (NFA 3: 478), Raschmacher Günzel (NFA 3: 465), Holzschläger Rochussen (NFA 4: 95), Drechsler Eickmeier (NFA 4: 108), Nagelschmied Eschwege (NFA 4: 150), Zim- mermeister Buggenhagen (NFA 7: 278), Ofensetzer Feilner (NFA 7: 279), Stell- macher Menz, (NFA 7: 9), Pantoffelmacher Hecht (NFA 7: 175), Pfefferküchle- rin Winkler (NFA 7: 177), Tapezierer Madeburg (NFA 12: 33), den schottischen Maschinen- und Baggermeister Macpherson (NFA 12: 47), Goldschmied Ste- dingk, „der aus einer alten schwedischen Familie stammt“ (NFA 12: 47), Pfeffer- küchler Michelsen (NFA 12: 172), Bäcker Karchow (NFA 11: 314), Schlächter- meister Funke (NFA 11: 315), Buchbinder Zippel (NFA 13: 368), Köhler Tuxen (NFA 13: 208), Maurermeister Lebenius (NFA 13: 359), den sozialdemokrati- schen Feilenhauer Torgelow (NFA 13: 194) und dessen „Intimus“, den Drechs- lergesellen Söderkopp (NFA 13: 194). Das ist wirklich ein eindrucksvolles Spekt- rum nicht nur von Familiennamen, sondern auch von Berufen, von denen eini- ge inzwischen völlig in Vergessenheit geraten sind wie etwa der Beruf des De- ckenflechters, eines Handwerkers, der „aus Stroh, Bast, Binsen, Wolle Decken“ herstellte (EBNER 2015: 143), oder des Raschmachers, eines Webers, der das zu- erst in Arras produzierte „Rasch“ lieferte, „ein leichtes Wollgewebe aus Kamm- garnen“ (PALLA 1997: 261). Bevor wir jedoch die Namen analysieren, sollen auch die bei Raabe erwähnten Handwerker genannt werden. Da gibt es den Schmied „Meister Bart“ (BA 4: 26) und den Schmiedegesellen Otto Hennig aus Braunschweig (BA 4: 29), Alphonse Stibbe, „tailleur de Paris“ (BA 5: 29), den Schreiner Johannes Tellering (BA 5: 51), Knopfmacher Semper (BA 5: 214), Färber Burmester (BA 12: 377), Schlächtermeister Tölcke (BA 13: 260), Tischlermeister Dröge (BA 14: 261), Stellmacher Consentius (BA 376 Volker Kohlheim

14: 367), Schneidermeister Melzian (BA 14: 367), Baumeister Hamelmann (BA 15: 393), den „Königlich-Kaiserliche[n] Hofschieferdeckermeister W[ilhelm] Schönow“ aus Berlin (BA 15: 438), den Maurergesellen Amelung (BA 15: 395), Schneider Busch (BA 16: 46), Schreiner Spörenwagen (BA 16: 243), den Wiener Feuerwerker Joseph Hausrucker (BA 16: 394) und die direkt einer Geschichte der Fürstenbergschen Porzellanmanufaktur entnommenen Arbeiter- und Künstlernamen Eisenträger, Nerge, Hinze, Osterdag, Hannickel, Hopstock, Oest (BA 20: 188-189). Eine Sonderstellung nehmen sicherlich die Müller ein. Da gibt es bei Fontane den Müller und Konventikler Miekley (NFA 2: 51), Kriele auf der Manschnower Mühle (NFA 2: 159), Müller Diegel (NFA 4: 99), Ölmüller Quaas (NFA 7: 223), Brett- und Schneidmüller Igel, genannt Schneidigel (NFA 7: 261), bei Raabe Müller Bösche (BA 15: 471) und Müller Pfister (BA 16: 13). Zunächst fällt auf, dass es weder bei Fontane noch bei Raabe traditionelle li- terarische Handwerkernamen gibt wie Meister Pfriem für den Schuster oder Pinkepank für den Schmied. Einzige Ausnahmen sind Fontanes Posamentier Niedlich (NFA 2: 276), der als „Handwerker, der Schnüre und Borten als Besatz für Kleider oder Möbel herstellt“ (EBNER 2015: 554), einen seine Tätigkeit cha- rakterisierenden redenden Namen trägt, und wohl auch Schornsteinfeger Rabe (NFA 2: 276), bei dem die den Schornsteinfeger wie den Raben charakterisie- rende schwarze Farbe das tertium comparationis darstellt. Ansonsten vermeiden Fontane wie Raabe die semantische Übereinstimmung von Beruf und Namen. So heißt ein Ofensetzer Feilner (NFA 7: 279), ein Pantoffelmacher trägt den Fi- scherübernamen Hecht (NFA 7: 175) und ein Schlächtermeister den Schmiede- übernamen Funke (NFA 11: 315)13. Dass diese durchaus realistische Namenwahl zumindest teilweise sehr bewusst vor sich ging, zeigt der Erzählerkommentar zu Wilhelm Raabes Müller Pfister: „Was unseren Familiennamen anbetrifft, so hat- te der Ahnherr des Geschlechts sicherlich der ehrsamen Bäckergilde ange- hört,“ also gerade nicht der Müllergilde, und er führt des weiteren – nicht ganz konsequent – aus, wie sich der Name im Lauf der Jahrhunderte von Pis- tor/Pistorius zu Becker und Pfister gewandelt habe (BA 16: 15). Es fällt auf, dass die Handwerkernamen weitgehend deutlich landschaftlich markiert sind. So werden die Handwerker der Romane Fontanes, die in der Mark spielen, gern durch niederdeutsche oder slawische Namen charakteri- siert: Griepe (NFA 2: 175) und Söderkopp (NFA 13: 194) bzw. Miekley (NFA 2: 51) und Torgelow (NFA 13: 368). Raabe steht dem in nichts nach, sodass die

–––––––— 13 Zu Funke vgl. KOHLHEIM/KOHLHEIM 2005: 263. Beruf und Name in der Literatur des deutschen Realismus 377

Handwerker in den Romanen, die in Raabes Heimat, dem Weserbergland, loka- lisiert sind, niederdeutsche Namen tragen wie Burmester (BA 12: 377) oder Drö- ge (BA 14: 261), sobald aber ein Wiener Feuerwerker auftritt, dieser Joseph Hausrucker heißt (BA 16: 394). Diese sprachliche Markierung ist ambivalent zu beurteilen: Einerseits erhöht sie den „Wirklichkeitseffekt“ (BARTHES 2006: 171). Wir lassen uns als Leser eher von der „Realität“ dieser märkischen und nieder- sächsischen Handwerker überzeugen, wenn sie Söderkopp und Burmester hei- ßen. Andererseits schleicht sich gerade durch die dialektalen Namenformen hinterrücks wieder eine ständische Markierung ein: Was beim Archäologen Wedderkopp für Befremden sorgt und sogleich kommentiert wird (NFA 11: 13), ist bei dem Drechslergesellen Söderkopp (NFA 13: 194) ganz selbstverständlich und keiner kritischen Bemerkung wert.

5.2. Die Gastwirte

Teils dem städtischen Kleinbürgertum angehörend, teils dem Bauernstand nahe stehend, nehmen die Gastwirte und ihr Personal eine Zwischenstellung ein, die sich auch in ihren Namen widerspiegelt. So ist Fontanes Krüger Scharwenka zu- gleich der reichste Mann im Dorf, ein Großbauer. Sein slawischer Name erklärt sich dadurch, dass sein Großvater „bei Urbarmachung des Oderbruchs mit an- deren böhmischen Kolonisten ins Dorf gekommen“ war (NFA 2: 48). Aber auch die Krüger Kemnitz (NFA 3: 440) und Hradscheck (NFA 7: 223), beide ebenfalls im Oderbruch lebend, tragen slawische Familiennamen. Dagegen führen die in Schlesien tätigen Gastwirte in der Kriminalerzählung Quitt deutsche, typisch schlesische Namen: Pohl (NFA 7: 9), „zahlreich in Schlesien“ (BAHLOW 1972: 388), Exner (NFA 7: 15), „markanter N[ame] der schlesischen Bergland- schaft“ (BAHLOW 1972: 126), Brauner (NFA 7: 78), „ob[er]d[eutsch]-schles[isch]“ (BAHLOW 1972: 73). Nur Rummler (NFA 7: 35) ist nicht als typisch schlesischer Name markiert. In der fiktiven Ostsee-Hafenstadt Kessin, die man wegen des kaschubischen Hinterlands wohl im damaligen Westpreußen zu suchen hat (OSSOWSKI 2000: 200), sind tätig die Gastwirte Golchowski, „ein halber Pole“ (NFA 12: 45), und der einen niederdeutschen Namen tragende Hoppensack (NFA 12: 194), während der in Saßnitz auf Rügen wirkende Fahrenberg (NFA 12: 213) einen typisch norddeutschen Namen in hochdeutscher Lautung hat, wodurch sich der höhere Status des Hoteliers gegenüber den dialektal gefärbte Namen tragenden Gastwirten deutlich auszeichnet. Bei Wilhelm Raabe heißt ein Hotelier in einem Harzer Kurort Breuer (BA 16: 312), ein Berliner Gastwirt Butzemann (BA 13: 225). Der Hotelier in einer nord- oder mitteldeutschen Kleinstadt trägt den Namen Maushacke ʻMäuse- 378 Volker Kohlheim bussardʼ (BA 15: 472), der Inhaber des wichtigsten Gasthofs dieser Stadt Daemel (BA 15: 411). Flebbe führt eine Berliner Kneipe in Friedhofsnähe (BA 16: 470). Mit Witwe Wetterkopf ist die Reihe der Gastronomen in unserem Raabe-Corpus bereits beendet; sie versorgt „Ausspann, Restauration und Speisewirtschaft“ vor einer thüringischen Kleinstadt (BA 14: 281). Insgesamt sind Raabes Gastwirt- namen mit Ausnahme des niederdeutschen Namens Flebbe weniger deutlich re- gional markiert und teilweise auffallend (Butzemann, Maushacke, Wetterkopf). So werden die Gastwirtnamen bei Raabe und Fontane nicht einheitlich, aber insgesamt realistisch behandelt. Während die Gastwirte bei Raabe teilweise auf- fällige Namen tragen, die dafür aber landschaftlich weniger stark markiert, wenn auch immer regional „passend“ sind, ordnet Fontane seine Gastronomen durch sprachliche und dialektgeographische Merkmale ihrer Namen eindeutig geographisch und zugleich auch sozial ein.

5.3. Kaufleute, Kleinhändler, Vertreter Fontanes Kleinhändler, Handlungsgehilfen und Vertreter tragen auffällig oft slawische Namen, teils polnischen Gepräges wie der Buchhändler Rabatzki (NFA 2: 111) oder der Hagelversicherungsvertreter Leutnant (NFA 7: 16). Ein Reisender der Krakauer Firma Olszewski-Goldschmidt, „der eigent- lich einfach Schulz aus Beuthen in Oberschlesien war,“ nennt sich als „Natio- nalpole“ Szulski (NFA 7: 243). Teilweise sind diese slawischen Namen einge- deutscht, wie der Name des Kommis Mielke (NFA 11: 8) oder der des Kauf- manns Leist (NFA 7: 223), der von einem slawischen Ortsnamen ableitbar ist (KOHLHEIM/KOHLHEIM 2005: 422). Etymologisch deutsche Namen tragen dage- gen der Mehl- und „Vorkosthändler“14 Schnökel (NFA 2: 276), der Pfandleiher und Kaufmann Ziebold (NFA 2: 315) und die schlesische Kaufmannsfrau Böh- mer (NFA 7: 14). Namenphysiognomisch15 unauffällig ist eigentlich nur der Name dieser Kauffrau. Raabes Kaufleute tragen eher alltägliche Namen wie der Kaufmann Müller (BA 12: 381), die Lebensmittelhändlerin „Mutter Müller“ (BA 16: 46), Buch- –––––––— 14 EBNER 2015: 793: „ʻGemüsehändlerʼ; norddt.; als Vorkost wurde nach der Suppe und vor dem Fleisch Gemüse gegessen.“ 15 Es sei hier erinnert an die Differenzierung, die KRIEN 1973: 40 bezüglich der kollek- tiven expressiven Wirkung von Eigennamen vornimmt: „[Es] kann bei der Gliederung des expressiven Sprachumfelds zunächst ein mehr unbewußter, im eigentlichen Sinne physiognomischer Anteil von einem mehr bewußten, assoziativen unterschieden werden [...].“ Beruf und Name in der Literatur des deutschen Realismus 379 halter Schulze (BA 15: 155) oder Viehhändler Plagmann (BA 11: 253). Oft genug bleiben sie anonym wie in folgender Textstelle: „Mutter Andres hatte noch mehrfach zwischen den Bäcker, den Fleischer sowie die Milchfrau und den Kaufmann Tienemann – und Mistreß Agathe Trotzendorff treten müssen“ (BA 19: 268). Sobald die Kaufleute aber eine herausragendere Position im Hand- lungsgefüge einnehmen, werden sie mit redenden Namen benannt: So nimmt Karl Achtermann, dessen „Leihbibliothek [...] nicht zu den ersten der Stadt“ ge- hörte (BA 13: 173), auch sonst nur eine bescheidene, „hintere“ Stellung im Le- ben ein, während die frühere Theaterdirektorin, jetzige Trödel- und Altwaren- händlerin Cruse, expliziert apostrophiert als „Frau Direktor Cruse, Mrs. Crusoe“ (BA 16: 378), sich wie Robinson allein durchschlagen kann (vgl. REILING 2016: 60). Schließlich trotzt der Auswanderungsagent, Spekulant und Betrüger Charles Trotzendorff (BA 19: 229) oft genug der abfälligen Meinung seiner Mit- bürger über ihn. Auch bei der Behandlung der Namen der kleineren Kaufleute unterscheiden sich Fontane und Raabe tendenziell: Während ersterer gern physiognomisch auffällige oder als fremdsprachlich markierte Namen vergibt, wählt Raabe, wenn er seine Kaufleute überhaupt benennt, eher unauffällige oder der Rolle der Figur in der Romanhandlung entsprechende redende Namen.

5.4. Mittlere und einfache Beamte Recht gut vertreten sind die Repräsentanten der mittleren und unteren Beam- tenschaft. Da wären zunächst die Gendarmen, die bei Fontane Geelhaar (NFA 7: 256) oder Brey (NFA 7: 92) heißen, dann Schutzmann Schmolke (NFA 11: 56); im Riesengebirge ist Grenzaufseher Kraatz (NFA 7: 18) tätig. Diese Na- men sind teils andeutend redend wie Geelhaar, wo die gelbe Farbe den Neid symbolisiert, teils wirken sie im Sinne JEAN PAULS (1813/1980: 270) „mehr mit Klängen als mit Silben reden[d]“ wie etwa Schmolke, bei dem Fontane die im Allgemeinen pejorative Konnotation des Suffixes -ke ausnützt (vgl. HELL- FRITZSCH 2010: 330; FLEISCHER/BARZ 42012: 253). Insgesamt sind sie land- schaftlich angemessen markiert und verweisen auf die märkische oder Berliner, im Falle von Kraatz (< katholischer Heiligenname Pankratius!) auf die schle- sische Herkunft. Auch die Namen der Nachtwächter Pachaly (NFA 2: 7), Me- wissen (NFA 7: 259) und Ehrecke (NFA 2, 326) sind landschaftlich (Herkunft aus dem Oderbruch bzw. Berlin) markiert. Regional angemessene Namen tra- gen auch Gerichtsdiener Rysselmann (NFA 2: 234) und „Herr Nuntius Schim- melpenning“, „der Bote vom Kammergericht“ (NFA 2: 301), während die Na- men der Registratoren Sängebusch (NFA 2: 308) und Rode (NFA 12: 109) eher 380 Volker Kohlheim neutral sind. Dies trifft auch für den Telegraphenboten Brose (NFA 13: 16) zu. Als eine gewisse Leichtsinnigkeit symbolisierend wird man den Namen von Ha- gelversicherungssekretär Schickedanz (NFA 13: 121) ansehen dürfen, wohin- gegen Postbote Böselager (NFA 12: 258) einen deutlich redenden Namen trägt: Er überbringt Effi Briest die Nachricht, die ihr Leben zerstört. Als krass ironisch ist dagegen der redende Name von Totengräber Wonnekamp (NFA 7: 271) anzusehen. Raabe wählt für seine einfachen Beamten teilweise redende, berufsbezogene Namen: So heißt ein Scharfrichter Mördling (BA 11: 210), ein „reitende[r] Steu- erkontrolleur Hermann Langreuter (BA 14: 9), ein Friedhofspförtner – „der Mann mit dem Schlüssel (!)“ – Lochner (BA 16: 464). Ob die Namen des Amt- manns Rümpler auf Gut Schielau (BA 15: 37), des Scharfrichters und Ab- deckermeisters Rasehorn (BA 14: 357) und des städtischen Exekutors (Gerichts- vollziehers) Trute (BA 13: 184) auch redend sind – Trute bedeutet wie Trude ʻNachtgespenstʼ (GRIMM/GRIMM 1999, Bd. 22, Sp. 1431) –, sei dahingestellt. Be- rufsbezogen redend ist jedenfalls der Name des städtischen Schweinehirten Put- ferkel (BA 14: 373). Der Name von Proviantkommissar16 Pogge (niederdeutsch ʻFroschʼ) mag auf sein Äußeres deuten. Die Mehrzahl der für diese soziale Gruppe vergebenen Namen ist jedoch neutral wie der des „untergeordnete[n] Beamte[n] der Polizei“, des „Sekretarius“ Meiners (BA 5: 81), des Magis- tratsdieners Hujahn (BA 14: 349), des Postillions Füllkorn (BA 14: 445). Nicht wenige der Namen von Raabes einfachen Beamten sind, entsprechend des Lo- kals der Erzählungen, niederdeutschen Charakters, so der des Nachtwächters Marten (BA 14: 302), des Postkutschers Fricke (BA 12: 388), des Stadtführers Koppenberg (BA 15: 472), des Magistratsdieners Voßkuhl in Höxter (BA 20: 107) und des Nachtwächters Vahldiek in Boffzen an der Weser (BA 20: 19).

6. Die Bauern

Dialektale oder auch nur regional markierte Namenformen tragen die Konno- tation des Bodenständigen mit sich, und so sind sie bei den Namen der Bauern noch mehr zu erwarten als bei den Namen für Handwerker oder Beamte. Und in dieser Erwartung werden wir bei Fontane und Raabe auch nicht enttäuscht. So tragen die im Oderbruch „seit unvordenklichen Zeiten“ (NFA 2: 47) an die- ser Stelle ansässigen Bauern Namen niederdeutschen Charakters wie Dames, Dobbert und Roloff (NFA 2: 206) oder slawischen Gepräges wie Kümmeritz, –––––––— 16 EBNER 2015: 562: „Beamter, der für Einkauf und Verteilung der Lebensmittel- und Futtervorräte zuständig ist.“ Beruf und Name in der Literatur des deutschen Realismus 381

Reetzke (NFA 2: 47), Metzke (NFA 2: 206) und Maltusch (NFA 3: 496). Der Fa- milienname des Anderthalbbauern Kallies (NFA 2: 47) ist von einem ostelbi- schen Ortsnamen abgeleitet. Namen hochdeutschen Typs sind in der Minder- zahl: Krull (NFA 2: 47), Schwartz, Püschel (NFA 3: 573). Schulze Kniehase (NFA 2: 7) wird als „Pfälzer“ beschrieben, der „um 1750, als Friedrich der Große zur Trockenlegung der Sumpfstrecken des Oderbruchs und zu ihrer Kolonisierung schritt“ (NFA 2: 62), ins Land gekommen war. Auch Unterm Birnbaum ist in dieser Gegend lokalisiert, und so sind die Bauern Mietzel und Kunicke (NFA 7: 236) sowie Schulze Woytasch (NFA 7: 239) mit Namen slawischer Herkunft benannt. Nur Bauer Orth (NFA 7: 223) trägt hier einen Namen deutscher Ety- mologie. Auch die Namen der im Stechlin auftretenden märkischen Bauern sind regional markiert: Schulze Kluckhuhn (NFA 13: 171) und Kossät Rohrbeck (NFA 13: 345) tragen niederdeutsche, Kossät Zschocke (NFA 13: 399) trägt ei- nen slawischen Namen. Dagegen haben die Bauern, die in dem im Riesengebir- ge spielenden Roman Quitt vorkommen, hochdeutsche und sogar typisch schle- sische Namen wie Klose (NFA 7: 14) und Maywald (NFA 7: 81)17, während Nei- genfink (NFA 7: 81) als niederdeutscher Name hier aus dem Rahmen fällt. Wenn die Handlung dann in eine mennonitische Kolonie nach Amerika verlegt wird, tragen die bäuerlichen Siedler dort „kerndeutsche Namen“ (NFA 7: 151), wie der Erzähler selbst angibt. So heißt der Gründer der Ansiedlung nach einem niedersächsischen Ortsnamen Hornbostel (NFA 7: 107), die anderen Siedler tra- gen die Namen Bartels, Nickel, Stauffer, Penner (NFA 7: 151) oder Kaulbars (NFA 7: 128). Ein im Harz ansässiger Erbschulze heißt Alsewant (NFA 4: 95). Sehr deutlich regional markiert sind auch die Namen von Raabes bäuer- lichen Figuren. Niederdeutsche Namen tragen der im Harz wohnenden „Alt- vater“18 Timmermann (BA 11: 168) und alle Bauern des Dorfes Gansewinckel, das man sich im niedersächsischen Solling vorstellen darf: Dorfvorsteher Ned- dermeier (BA 12: 306), Vollköter Degering (BA 12: 306), die Bauern Klatermann (BA 12: 337),19 Haneburg (BA 12: 338)20 und Schaper (BA 12: 440) sowie die Bäuerin Guckup (BA 12: 441). Auch Bauer Timme (BA 14: 201) und Bauer Rei- temeyer (BA 14: 257),21 beide an der Weser wohnend, tragen niederdeutsche –––––––— 17 Vgl. zu diesen Namen BAHLOW 1972: 285, 329. 18 EBNER 2015: 45: „Bauer, der den Hof übergeben und sich aufs Altenteil zurückgezogen hat.“ 19 Vgl. GRIMM/GRIMM 1999, Bd. 11, Sp. 1008: Klater niederdt. ʻLumpen, Fetzenʼ. 20 Ortsname nicht nachweisbar, aber wohl in Analogie zu Namen wie Hahnefeld, Kreis Syke, gebildet; vgl. ZODER 1968: 1, 653. 21 Zu mnd. rēt, mundartlich auch reit ʻRöhrichtʼ; KOHLHEIM/KOHLHEIM 2005: 549. 382 Volker Kohlheim

Namen. Das trifft auch für Halbspänner Stuckenberg (BA 20: 113)22 und Brink- sitzer Dörger (BA 20: 113)23 zu, die in Boffzen bei Holzminden ansässig sind, sowie für Mutter Voges, Witwe eines Bauern im Sollingdorf Derenthal (BA 20: 130).24 Allein handlungsmotiviert ist der redende Name des Schäfers Tho- mas Erdener (BA 15: 64).

7. Die Berufssoldaten (Mannschaften und Unteroffiziere)

Es war das Bauerntum, das im 18. und wohl auch noch im 19. Jahrhundert „das Hauptkontingent der Berufssoldaten“ stellte (SERAPHIM 21966: 113), sodass die Vertreter der einfacheren militärischen Ränge hier ihren angemessenen Platz finden (zu den oberen Graden s. Kap. 3.). Bei Fontane spielen sie – im Gegen- satz zu den Offizieren – keine große Rolle; in unserem Korpus finden wir hier nur Wachtmeister Pyterke von der reitenden Gendarmerie, ein „schöner Mann“ und ehemaliger Gardekürassier (NFA 13: 171), sowie Fußgendarm Uncke, von dem Pyterke meint, er sei „wirklich eine komische Figur“ (NFA 13: 171). Au- ßerdem gibt es Feldwebel Klemm (NFA 2: 281) und Oberjäger Jaczewski (NFA 7: 21). Bei Raabe treten auf Füsilier Dickdrewe (BA 13: 202), Korporal Süllmann aus Hellenthal im Solling (BA 20: 167) und der holländische Korporal Water- donck (BA 15: 63). Wie die Namen der Bauern sind auch die Namen der einfa- cheren Berufssoldaten regional als niederdeutsch, bei Fontane auch als slawisch markiert; auf typisch Militärisches deuten sie weder ihrer Phonetik noch ihrer Semantik nach hin.

8. Dienstpersonal, Knechte und Mägde

Für das Dienstpersonal trifft weitgehend Roswithas Aussage aus Effi Briest zu: „Ich habe auch einen sonderbaren Namen, das heißt Vornamen. Und einen andern hat unsereins ja nicht“ (NFA 12: 114). Dennoch erfahren wir gelegent- lich die Familiennamen der Angehörigen dieser Schicht, selbst den von Roswi- tha anhand eines Briefes, den sie mit Gellenhagen (NFA 12: 292) unterschreibt. So nennt Fontane die Familiennamen dreier Diener: Sie heißen Jeetze (NFA 2: 11), Grützmacher (NFA 2: 322) und Engelke (NFA 13: 14). Bei letzterem stand Bismarcks Leibjäger und Kammerdiener Engel Pate (NFA 13: 404; Kommentar).

–––––––— 22 Zum gleichlautenden Flurnamen bei Wernigerode; ZODER 1968: 2, 693. 23 Zu Dörge, ostfälische Form von Döring ʻThüringʼ; KOHLHEIM/KOHLHEIM 2005: 199. 24 Genitivischer Übername zu mnd. voget ʻSchirmherr, Amtmann, Dorfvorstandʼ; KOHL- HEIM/KOHLHEIM 2005: 689. Beruf und Name in der Literatur des deutschen Realismus 383

Dann gibt es Wilke, „das alte Briestsche Haus- und Familienfaktotum“ (NFA 12: 14), und Innstettens Kutscher Kruse (NFA 12: 44). Ein weiterer Kutscher ist „Herr Imme“ (NFA 13: 120). Ein Berliner Mietshausportier heißt Nebelung (NFA 12: 306), der Portier bei den Barbys mit Familiennamen Hartwig (NFA 13: 120), ein Kellner Mützell (NFA 11: 96). Ein am Harz tätiger Kuhhirte trägt den niederdeutschen Namen Harms (NFA 4: 104). Fontanes Haushälterinnen tragen slawische Familiennamen: Schmolke (NFA 11: 8) oder Kulicke (NFA 13: 179) – wieder ist auf das eine sozial eine niedere Schicht markierende Suffix –ke zu verweisen –, ebenso die Köchin „Mamsell Pritzbur“ (NFA 13: 363). Sla- wischer Herkunft sind auch die Namen der im Oderbruch tätigen Knechte Da- werow (NFA 3: 440) und Karges (NFA 3: 465)25 sowie des Hütejungen Hanne Bogun (NFA 2: 206). Insgesamt tragen Fontanes Bedienstete wie auch die Bau- ern regional als niederdeutsch oder slawisch markierte, realistische Namen. Auch bei Raabe erhalten längst nicht alle Bediensteten einen Familiennamen, sondern haben sich wie Linchen, das Hausmädchen bei Konrektor Eckerbusch (BA 12: 388), oder Hannchen, Hausmädchen bei Stadtrat Bösenberg (BA 14: 164), mit ihrem Vornamen zufrieden zu geben. Gelegentlich müssen sie so- gar, einer zeitgenössischen Unsitte zuliebe, diesen gegen einen „vornehmeren“ austauschen wie „Baptiste, der bunte unverschämte Lakai, welcher eigentlich Karl Quabbe hieß, aber der Eleganz wegen unter die Baptisten hatte gehen müs- sen“ (BA 5: 175). Ein „königlicher Tafeldecker“ trägt den „ominösen Namen Dambach“ (BA 13: 270); ominös deshalb, weil es während der Reaktionszeit ei- nen Kriminaldirektor und Leiter der Berliner Hausvogtei dieses Namens gab (BA 13: 459; Kommentar). Und dreißig Jahre, bevor Fontane das säuerliche Fräulein Honig (NFA 11: 33) erfand, gestattete sich Raabe die „überaus milde, durchsichtige Haushälterin, Frau Krieg“ (BA 5: 52). Dagegen entspricht der re- dende Name von Marie Heil dem Charakter des treuen Dienstmädchens der Eva Dornbluth ganz und gar (BA 5: 132). Redend ist wohl auch der Name Rup- fer, den der Diener Brokenkorbs (BA 16: 353) trägt. Dagegen ist Knövenagel, der Name des knorrigen, aber im Kern gutherzigen Hausdieners bei Fabian Pelz- mann (BA 15: 18), eher klangsymbolisch sprechend, während Blanka Naucke, zunächst Berliner Kellnerin in Butzemanns Keller, dann Krankenpflegerin (BA 13: 276), durch ihren Namen regional und sozial als von sorbischer Herkunft eingeordnet wird.26 Aber auch mit gänzlich unauffälligen Namen wird das –––––––— 25 Karges kann sowohl slawischer als auch deutscher Etymologie sein; vgl. WENZEL 1991: 188 s.v. Kark. 26 Zu Naucke s. WENZEL 1992: 37 s.v. Nawk(e): „1676 Naucke“ (ʻder Neuling, der Neu- ansiedler im Dorfeʼ). 384 Volker Kohlheim

Dienstpersonal bei Raabe bedacht, so Haushälterin Frau Kettner (BA 15: 53), die Wirtschafterin Christine Voigt (BA 16: 133), „die lahme Brandleben“, eine Waschfrau (BA 19: 378). Lediglich landschaftlich als niederdeutsch markiert, dabei aber ganz alltäglich sind die Namen der Haushälterin Jule Grote (BA 14: 49) und des Hausknechts Peters im „Hotel de Prusse“ (BA 15: 495). Das trifft auch für Dörthe, die Magd bei Pastor Holtnicker zu, die allerdings von Raabe erst nach ihrer Verehelichung mit Familiennamen genannt wird: Sie heißt dann Dörthe Krüger (BA 20: 195). Zwei Knechte auf einem alten Hof im Weserberg- land tragen die landschaftstypischen Namen Ebeling (BA 14: 107) und Eggeling (BA 14: 107). Zu nennen wären noch die mit der stilistisch als sehr umgangs- sprachlich markierten niederdeutschen Endung -sche movierten Namen der Haushälterin des Pastors Störenfreden, die Winnefeldsche (BA 20: 96) und die Ameliethsche, eine Botenfrau (BA 20: 87). Sie hat ihren Namen nach dem Dorf Amelith im Solling; dass es sich aber um ihren Familiennamen und nicht um eine Herkunftsbezeichnung handelt, ist daraus ersichtlich, dass sie auch „Mutter Amelieth“ genannt wird (ebenda). Zwar versagt es sich Raabe nicht, einige redende Namen für die Angehörigen dieser Berufsgruppe zu verwenden, doch bezieht sich deren Semantik eher auf ihren Charakter als auf den Beruf. Im Allgemeinen sind die Namen eher unauf- fällig, ordnen aber ihre Träger dialektal und zugleich auch sozial ein.

9. Unproduktive

9.1. Der Adel

Die im Gegensatz zu den bisher Genannten eigentlich Unproduktiven befinden sich am oberen und unteren Rand der Gesellschaft. Es ist einerseits der Adel, der insbesondere in Fontanes Romanen durch die Hauptprotagonisten repräsentiert ist, und zwar vorwiegend der Landadel. Diesen Menschen, Gutsbesitzern zumeist, gilt Fontanes Sympathie. Von eigentlicher Arbeit befreit, „halten sie sich frei für Stil, Heiterkeit und spielerische Eleganz. Man kassiert Renten, Mitgiften, Erb- schaften oder empfängt die Abrechnungen des Gutsinspektors; die schöne Ar- beitslosigkeit ist weder von Streiks noch von Baisse bedroht“ (DEMETZ 1964: 123). Soweit sie als Offiziere auftreten, sind die Adligen bereits in Kapitel 3 behandelt, und was dort über deren Namen gesagt wurde, gilt auch hier: Sie sind weitgehend der märkischen und pommerschen außertextuellen Realität entnommen und mehr oder weniger gering umgeformt: Aus Marwitz wird Vitzewitz (NFA 2: 6; vgl. BÖSCHENSTEIN 1996: 35), aus Glasenapp wird Grasenabb (NFA 12: 66; vgl. DEBUS 2002: 92). Sie sollen daher hier auch nicht alle aufgeführt wer- Beruf und Name in der Literatur des deutschen Realismus 385 den. Nur eines soll noch beachtet werden: Bei aller Sympathie Fontanes für diese Gesellschaftsschicht fehlt bei ihm doch nicht das satirische Element, das etwa in Namen wie von Kortschädel (NFA 13: 14), dem als „süddeutsch“ apostrophierten Namen Stiefel von Stiefelstein (NFA 12: 67) oder auch dem Namen des „Frei- herr[n] von der Nonne, den die Natur mit besonderer Rücksicht auf seinen Na- men geformt zu haben schien,“ zum Ausdruck kommt: „Er trug eine hohe schwarze Krawatte, darauf ein kleiner vermickerter Kopf saß“ (NFA 13: 191). Satirisch in onomastischer Hinsicht werden die wenigen Adligen, die bei ihm vorkommen, gelegentlich auch von Raabe behandelt, so Baron Schleifenbein, ein Schuldenmacher (BA 5: 219), oder Fredegunde Gräfin zum Stuhle, geb. Freiin von Raschlauffen (BA 15: 14). Die Adligen, die eine wichtigere Rolle in seinen Romanen haben, tragen angemessene Namen: Baron Leon von Poppen (BA 5: 19), Graf Friedrich Everstein auf Schloss Werden (BA 14: 17), Freiherr Gaston von Rehlen (BA 14: 116).

9.2. Marginalisierte

Andererseits sind es gesellschaftlich Ausgegrenzte bis Kriminelle, die außerhalb des produktiven Erwerbslebens stehen. Das sind teils sehr sympathische Gestal- ten wie Fontanes Hoppenmarieken, Botenfrau und Hehlerin (NFA 2: 7), oder die Buschen, Kräuterfrau und Heilerin (NFA 13: 345), deren Namen durch Wortbildung (Marieke Hoppe > Hoppenmarieken; vgl. auch BÖSCHENSTEIN 1996: 37) und das umgangssprachliche niederdeutsche Movierungssuffix -en auf eine volkstümlich-vertrauliche Sprachebene geholt werden, aber auch Klein- kriminelle mit slawischen Namen wie Paschke und Pappritz (NFA 2: 184) oder gewalttätige Räuber wie Muschwitz aus Großen-Klessin und Rosentreter aus Po- delzig (NFA 2: 216 ). Schließlich tritt bei Fontane auch ein Wilddieb, genannt Maus-Bugisch, auf (NFA 4: 123). Zumindest zur Zeit der Romanhandlung außerhalb des Gesetzes befinden sich Raabes jugendliche Ausreißer Cord Horacker (BA 12: 309) und sein Lieb- chen Lottchen Achterhang (BA 12: 402).27 Beider Namen sind handlungsbedingt zu deuten: Die eigentliche Etymologie von Hōr-acker ʻDreckackerʼ wird durch falsche Silbentrennung zur Exklamation „Ho-Racker!“, klingt aber auch an die biblische Rotte Korach an, die „Koracher“ (BREUER 2005: 23-24). Und in Lott- chen Achterhangs Name kommt deutlich zum Ausdruck, dass sie ihrem Cord bedingungslos „nachhängt“. Eine mit Fontanes Hoppenmarieken zu verglei- –––––––— 27 Vgl. hierzu und zu Raabes Einstellung gegenüber diesen und anderen an den Rand der Gesellschaft gedrängten Figuren EIDEN-OFFE 2017, insbesondere 35f. 386 Volker Kohlheim chende Gestalt ist die Wackerhahnsche (BA 20: 20), ehemalige Förstersfrau, dann Marketenderin und schließlich Botenfrau. Des Schriftstellers ganze Sym- pathie gehört auch der Berliner Prostituierten Rotkäppchen. Sie wird nur mit diesem Spitznamen genannt, der ihr von den „Herren Professoren und [den] Herren von den Künsten [...] aus Spaß“ zuerteilt wurde, trugen doch im Mittel- alter die Dirnen rote Hüte (REILING 2016: 59, Fußnote 52). Weitaus weniger Sympathie genießen „die Geschwister Lunkenbein in ihrer Kabache“,28 berufslo- se Asoziale (BA 14: 416). Einen auf sein wildes Leben verweisenden Namen trägt der Wilddieb Volkmar Fuchs (BA 16: 196), eine durchaus ambivalente Fi- gur (vgl. KOHLHEIM 2015a: 108-109). Ebenso wie bei Fontane werden Angehö- rige dieser sozialen Randgruppe auch bei Raabe durch eine dialektal umgangs- sprachliche Namenform (die Wackerhahnsche) oder durch redende, kontextuell bedingte Namen gekennzeichnet.

10. Resümee: Namengebung und Realismus Der Versuch, abschließend und zusammenfassend die Frage nach der „Ernst- haftigkeit“ und damit nach dem Realismus der Namengebung bei Fontane und Raabe zu beantworten, führt zu einem differenzierten Ergebnis. Es sind vor al- lem die Geistlichen, die Förster und Juristen, etwas seltener die Lehrer und am seltensten die Ärzte, die als Mitglieder des gehobenen bürgerlichen Mittelstands redende Namen tragen, die satirisch auf ihren Beruf abzielen. Man wird hierin mindestens zum Teil ein Nachwirken der klassizistischen literarischen Tradition sehen dürfen, in der nur der aller beruflichen Spezialisierung ferne honnête homme gesellschaftlich vollgültig war (vgl. AUERBACH 112015: 350). Damit stimmt überein, dass die Gruppe der meist adligen Berufsoffiziere „ernsthafter“ behandelt wird: Ihre Namen verweisen zwar, besonders bei Fontane, durch ihre Phonetik gelegentlich auf den militärischen Bereich, sind aber so gut wie nie sa- tirisch. Dagegen wird die aufstrebende Gruppe der Großkaufleute, Fabrikanten und Bankiers, von beiden Autoren noch mit großem Misstrauen beobachtet, gern mit redenden oder zumindest klassifizierenden Namen versehen. Wird man also bei den Namen des gehobenen Mittelstandes nur von sehr eingeschränktem Realismus sprechen können, so ergibt sich für die Namen der Handwerker, Bauern und einfachen Berufssoldaten doch ein ganz anderes Bild. Satirische Namen fehlen hier; dafür werden die Mitglieder dieser Gruppe weit- gehend durch dialektale oder anderweitige Merkmale (niederdeutsche oder sla- wische Herkunft des Namens) regional, aber auch sozial eingeordnet. Allein die –––––––— 28 BAHLOW 1972: 325: „Lunkenbein: Sperlingsbein“. Beruf und Name in der Literatur des deutschen Realismus 387

Breite der erwähnten Berufe in Kombination mit angemessenen Familiennamen vor allem bei Fontane lässt an der Schlussfolgerung, zu der Peter DEMETZ (1964: 126) gelangt, dieser Autor glaube „noch nicht an die artistische Würde der Arbeitswelt, wie sie das neunzehnte Jahrhundert so hartnäckig rühmte“, doch Zweifel anmelden. Ohne noch einmal auf weitere Einzelheiten einzugehen, ist also zu konstatie- ren, dass die Namen besonders der real arbeitenden Bevölkerung nicht der „Ernsthaftigkeit“ entbehren, in der AUERBACH (112015: 458) das Kennzeichen des modernen Realismus sieht. Das ist ein wichtiges Ergebnis, das von onomas- tischer Seite her Urteile wie die, Raabe habe „Arbeit als Mittel der Integration [...] uneingeschränkt bejaht“ (SCHEDLINSKY 1980: 452), bestätigt. Andererseits tritt die neue, sich seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts konstituierende Industriearbeiterschaft onomastisch weder bei Fontane noch bei Raabe in Er- scheinung. So ist im Stechlin zwar von einer Globsower Glasindustrie (NFA 13: 57) die Rede, doch tritt keiner ihrer Arbeiter namentlich auf. Analoges gilt für Raabe, von dem doch immerhin behauptet wird, er setze sich „entschiedener als andere Autoren des Realismus [...] mit der radikalen Verwandlung der Le- benswelt im Zeichen beschleunigter Modernisierung, Industrialisierung und Urbanisierung [...] auseinander“ (GÖTTSCHE 2016: 20). Zwar hat er mit Pfisters Mühle (1884) die erste Darstellung eines veritablen Umweltskandals in der deutschen Literatur geliefert, doch tritt keiner der Arbeiter der die Gewässerver- schmutzung verursachenden Zuckerfabrik namentlich und somit als Person in Erscheinung. Hier wird die Grenze sichtbar, die den deutschen bürgerlichen Re- alismus vom zeitgenössischen Naturalismus trennt.

Literatur

Primärliteratur

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Autoren dieses Bandes

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