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Xxx Lead Lead Seite Lead X XXFreitag XX.XX.201605.08.2016 Nr. XX32 Fr. 5.– TITEL Skurrile Museen Sportwagen, Solex, Urnen:

in den Wunderkammern von Seite passioniertenTITEL Sammlern. 6 SCHATZTITEL DES

SAMMLERSXxx Lead Lead Seite Lead X

ANZEIGE Sculpture on the Move

Die grosse sonDerausstellung zur eröffnung 1946 —2016 Des erweiterten Kunstmuseums Basel gegenwart: st. alban-rheinweg 60 neubau: st. alban-graben 20 19. april 18. september 2016 SPINAS CIVIL VOICES Traurige Millionen für Ausbeutung. von und Realität Kinderhandel Opfer Bewahren Sie diese diese Sie Bewahren kleine Schwester. undIhre Sie für Schlafunterlage einzige istdie Sie auf. Zeitung sorgfältig spenden: per Fr. SMS 20.– Jetzt Ausbeutung. und Kinderhandel von Traurige Millionen für Realität Opfer spenden: per Fr. SMS 20.– Jetzt Traurige Millionen für Realität von Kinderhandel Opfer und Ausbeutung. spenden: per Fr. SMS 20.– Jetzt Ausbeutung. und Kinderhandel von Traurige Millionen für Realität Opfer spenden: Fr. per SMS 20.– Jetzt Ausbeutung. und Kinderhandel Traurige Millionen für von Realität Opfer tdh 20 tdh tdh 20 tdh 20 tdh an 488. 488. an 20 tdh spenden: Fr. und helfen per SMS 20.– Jetzt an 488. an an 488. an 488. an an 488. an 20 tdh Jetzt per SMS Fr. 20.– spenden: spenden: Fr. per SMS 20.– Jetzt Ausbeutung. und Kinderhandel Traurige Millionen für von Realität Opfer an 488. an 20 tdh 3

INHALTRegierungsratswahlen BS Foto: Nils fisch

Journalisten tun sich schwer mit Eva Herzog, bei bürgerlichen Politikern hingegen Seite ist sie sehr beliebt. Eine Begegnung mit der Basler Finanzdirektorin. 20

Gesundheitswesen Foto: keystone Lesbos Foto: reuters

Die Basler Politik schaut zu, wie Seite Die Fischer retten viele Flüchtlinge. Seite die Gesundheitskosten explodieren. 17 Jetzt brauchen sie selber Hilfe. 30

Víctor Cuica S. 4 Fahrdienst Bestattungen S. 16 Kultwerk S. 39 Widersprüche bei Uber: Die Firma Zeitmaschine S. 40 Wochenendlich S. 41 möchte, dass die Fahrer so viele Kreuzworträtsel S. 42 Passagiere wie möglich befördern. Impressum S. 42 Richtig Geld verdienen sollen sie Seite damit aber ja nicht. 22 titelFoto: hans-jörg walter titelFoto: hans-jörg

TagesWoche 32/16 EDITORIAL PORTRÄT

Schatzkammern der Sammelleidenschaft Víctor Cuica von Michel Schultheiss s sind unscheinbare Orte, die wir Ihnen Hier ein Strassenmusiker, daheim in in dieser Ausgabe präsentieren. Zumin- Venezuela ein bekannter Jazz-Saxo- dest von aussen betrachtet. Doch tritt fonist und Schauspieler: Víctor Cuica Reto Aschwanden E zieht es immer wieder nach Basel. man ein, öffnen sich invielen kleinen Museen Produktionsleiter der Region Basel wahre Schatzkammern voll mit it Hawaiihemd und Pana- mahut steht er beim Coop Bubenträumen. Pronto. Er gibt den Jazz- Da gibt es spektakuläre Schlitten der längst Weiterlesen, S. 6 Standard «St. Thomas» von MSonny Rollins zum Besten und improvi- untergegangenen Schweizer Automarke Mon- siert dezent, aber voller Spielfreude. Klim- teverdi oder das schmucke Velosolex, das seine pert eine Münze in den Instrumentenkof- fer, erklingt sogleich seine sonore Stimme: Blütezeit nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte. Was gibts denn Mit einem freundlichen «chévere» – in Bubenzeug eben. Und es sind nicht nur Moto- da zu sehen? ­Teilen Lateinamerikas üblich für «cool» – tageswoche.ch/ bedankt sich der Gentleman mit dem ren, die den Sammeltrieb auf Touren bringen: +2bmla ­Tenorsaxofon. Dieter Stalder sammelt und baut Orgeln und Momentan ist Víctor Cuica wieder in Basels Fussgängerzonen anzutreffen. Was Harmonien, Peter Galler frönt im Museum für die wenigsten wissen: In seiner Heimat, Bestattungskultur dem Morbiden. der venezolanischen Hauptstadt Caracas, wird der 67-Jährige auf der Strasse ständig Es ist vielleicht kein Zufall, dass all diese gegrüsst. Als Jazz-Saxofonist, Filmmusik- Museen von Männern betrieben werden. An- komponist und Schauspieler ist Cuica dort ein bekanntes Gesicht. scheinend sind viele Herren der Schöpfung Dass er seit elf Jahren regelmässig nach ­Jäger und Sammler geblieben. Das kennt man Basel kommt und hier jeweils während ein paar Monaten musiziert, hat familiäre von Frauen weniger. Dafür gibt es heute zum Gründe: Seine Tochter und die beiden Glück Frauen, die sich der Politik widmen. ­Enkelkinder wohnen hier. Seinen Lebensunterhalt verdient er So wie Eva Herzog. Wir widmen der Basler Weiterlesen, S. 20 sich in Caracas als Musiker: Er spielt in ei- Finanzdirektorin in dieser Ausgabe ein Porträt. nem Restaurant und einem Fünf-Sterne- Hotel wie auch auf Partys und Hochzeiten. Es ist der Auftakt zu einer Serie, mit der wir Die Inflation machte es zu einem teuren ­Ihnen in den kommenden Wochen die Kandi- Unterfangen, ins Ausland zu reisen. «Für «Man weiss den diesjährigen Besuch musste ich eines datinnen und Kandidaten für den Regierungs- bei mir, woran meiner Saxofone verkaufen», sagt Cuica. rat vorstellen werden. man ist», tageswoche.ch/ Prügel von der Handörgelifrau Köpfe sind das eine, wichtiger noch sind +6j3jy Der Sohn eines Maurers und einer vor den Wahlen aber die Themen. Oder sie ­Fabrikarbeiterin wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf. Als 14-Jähriger hielt er ­wären es: Kollege Renato beschreibt die zum ersten Mal ein Saxofon in der Hand. Kapitulation der Basler Politik vor den ewig stei- Karriere machte er in jungen Jahren in ­Militär- und Marinekapellen. genden Gesundheitskosten und zeigt Ansätze, In New York nahm er Unterricht bei wie auf Kantonsebene dem Druck auf die Prä- Mario Rivera, einem bekannten Vertreter des Latin Jazz. Andere Grössen wie Tito mienzahler begegnet werden könnte. Puente, Luis Perdomo und Paquito Geniessen Sie den Rest der Ferien, gehen D’Rivera wurden zu seinen Bandkollegen. Auch den Vibrafonisten Lionel Hampton Sie ins Museum, tanken Sie Energie und ma- durfte er schon mit dem Sax begleiten. chen Sie den Kopf frei, bevor der Alltag wieder Ab den Siebzigern verhalfen ihm Rol- len in Filmen und Telenovelas zu Bekannt- losgeht. Schon bald sind Sie als Wählerinnen heit. Dass er seine Arbeit ausbauen konnte, und Wähler gefragt, über die Zukunft von Basel- war auch seiner Ex-Frau zu verdanken: Solveig Hoogesteijn, eine holländisch- Stadt mitzuentscheiden. deutsche Filmregisseurin, verfilmte in tageswoche.ch/+pgfc5 × ­Venezuela die Erzählung «Das Meer der

TagesWoche 32/16 Aus der Militärkapelle über New York ins Gerbergässlein: Víctor Cuica. Foto: hans-jörg walter verlorenen Zeit» von Gabriel García Már- Als er vor elf Jahren – noch vor den denten Hugo Chávez, der «Bolivarischen quez. Cuica schrieb die Filmmusik. ­Regeln für Strassenmusiker – zum ersten ­Revolution», ist er alles andere als begeis- Seine letzten Filme und die Ehe mit der Mal in Basel spielte, erlebte er eine Feuer- tert. Dabei war Cuica früher dezidiert links Regisseurin liegen ein paar Jahre zurück. taufe: Als er beim Barfi seelenruhig vor und unterstützte anfänglich den Chavis- Nun widmet sich der Venezolaner wieder sich hin spielte, drosch plötzlich eine wut- mus. Mittlerweile ist er aber ernüchtert ausschliesslich der Musik. Längst hat er entbrannte ältere Frau mit dem Stock auf über die Korruption und erzählt von lan- mit der Basler Szene Kontakte geknüpft: ihn ein. Es handelte sich um eine Akkordeo- gen Schlangen vor leeren Regalen in den Am diesjährigen Em Bebbi sy Jazz wird er nistin, die tagein, tagaus immer nur zwei ­Läden. Gemüse sei noch erhältlich, doch mit der Ritmo Jazz Group auf der Bühne Töne auf ihrem Instrument spielt. Dass ihr Fleisch, Reis, Milch, Zahnbürsten und stehen. Seit mehreren Jahren wird er als plötzlich ein richtiger Musiker die Show ­Seife seien zur Mangelware geworden. Flötist für Gastauftritte eingeladen. stahl, fand sie gar nicht lustig. «Viele Freunde sagen mir, dass ich Nicht nur deswegen hält er sich gerne doch lieber in der Schweiz bleiben soll», in Basel auf: Die Sicherheit auf der Strasse Heimatliebe trotz Mangelwirtschaft sagt der Musiker. Dennoch sehe er seinen und dass aus jedem Brunnen Trinkwasser Was die wirtschaftliche und politische Platz eher in Caracas – auch wenn er Basel sprudelt, sind Dinge, die er im Vergleich Situation in Venezuela anbelangt, sieht nach jeder Rückreise vermisse. zur krisengeschüttelten Grossstadt Cara- Cuica schwarz: «Um die Versorgung sieht tageswoche.ch/+e6tmb × cas besonders hervorhebt. Einer seiner es schlecht aus – und die Regierung Lieblingsorte ist das Gerbergässlein mit ­beschuldigt die Opposition dafür.» Vom Ritmo Jazz Group: 19. August, 22.30 Uhr, der Wandmalerei von Rock-Koryphäen. Erbe des 2013 verstorbenen Staatspräsi- Andreasplatz, Basel.

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TagesWoche 32/16 Skurrile Museen 7 Basel ist weltbekannt für seine grosse, aufwendig inszenierte Kunst. Doch die «Leuchttürme» stellen kleinere Museen in den Schatten. Wir rücken sie ins Rampenlicht: Wussten Sie, dass es in Basel ein Friedhofmuseum gibt? In Waldenburg eine Zeitreise auf dem Velosolex? Hinter diesen Sammlungen stecken Menschen mit einer Leidenschaft. Eine Auswahl unserer Sommerserie «Skurrile Museen» finden Sie auf den nächsten Seiten. Und: Die Webcodes am Ende der Artikel führen Sie zu den Online-Versionen mit Videos. WAS GIBTS DENN DA ZU SEHEN?

TagesWoche 32/16 8 Monteverdi Automuseum te erzielte vor sechs Jahren bei einer Aukti- on in Paris 398 000 Euro. In den 1970ern baute Peter Monteverdi Dass der «Hai» nie serienmässig produ- ziert wurde, ist gemäss Berger auch auf die in Binningen exklusive Sportwagen. Ölkrise in den frühen 1970er-Jahren zu- rückzuführen: Die Scheichs drehten den Doch schon 1985 war wieder Schluss. Hahn zu, die Benzinpreise explodierten, was sich gerade auch auf den Absatz des jungen Marktteilnehmers Monteverdi niederschlug: Seine durstigen Sportwa- gen waren weniger gefragt. Monteverdis Diskrete Kundschaft Deshalb sattelte er um auf Luxus-­ Geländewagen. Mit Erfolg: Der Montever- di Safari verlieh der Schweizer Marke nochmals Schub. Mehr als 3000 Stück Vermächtnis wurden gebaut, der Renner aus Binningen war in den 1970er-Jahren seiner Zeit vor- aus: Mit einem Fernseher, einem Kühl- fach – ja, es gab sogar Modelle mit Panzer- glas. Der Terror der RAF und anderer Gue- rilla-Gruppen sorgte für die Nachfrage. Und wer hat solche Autos gekauft? «Wir sind wie Gstaad: verschwiegen», sagt Berger. «Unsere besten Kunden waren im Iran, Irak und Libanon zu Hause», lässt er sich immerhin entlocken. Und der Schah von Persien, fuhr auch er einen Montever- von Marc Krebs «Wir machten den Ferrari-Kunden di? «Ja. Er brachte seine Fahrzeuge jeweils ­unsere eigenen Fahrzeuge schmackhaft», nach Binningen in den Service – mit s sticht aus dieser Sommerserie erzählt Berger. «Als erste Sportwagen­ einem Transportflugzeug.» über skurrile Museen heraus: firma produzierten wir Automatikgetriebe, So exklusiv die Marke war, so exklusiv das Monteverdi-Automuseum Klimaanlage und Lenkhilfe. Alle Experten sind heute die Öffnungszeiten des Muse- in Binningen. Denn es steht ­sagten uns: Ihr spinnt.» Doch die Zeit gab ums. Man kann es nur nach Voranmel- Enicht für die Leidenschaft eines Sammlers, ihnen recht. «Heute gibt es keinen Sport- dung besuchen, zum Preis von 250 Fran- sondern für jene eines Machers: Peter wagen mehr, der noch handgeschaltet ist.» ken, womit bewusst Gruppen angespro- Monteverdi war der letzte grosse Auto­ Monteverdi, ein ideenreicher, ehrgeiziger chen werden. Warum? «Als wir noch für bauer der Schweiz. Sein Vermächtnis ruht Charakterkopf, hinterliess seine Spuren in einzelne Besucher offen hatten, kam es hinter einer diskreten Fassade, die nicht der Sportauto-Geschichte. immer wieder zu Schäden an Fahrzeu- erahnen lässt, was sich dahinter ­verbirgt: gen», sagt Berger. «Also entschieden wir 70 exklusive Fahrzeuge auf drei Etagen. Wer in den beliebten uns für weniger Besucher – und weniger Monteverdi (1934–1998) war der Sohn Aufwand. Denn das Museum ist sehr teuer italienischer Einwanderer, der Autosport Autoquartett-Spielen im Unterhalt.» seine Passion: Er arbeitete nicht nur in der Und diesen finanziert Berger privat. Garage seines Vaters, er fuhr auch Rennen, einen Monteverdi «Hai» Gab es nie einen Zustupf vom Kanton mit der Zeit auf seinen Eigenkonstruk­ ­Baselland? Er winkt ab. «Hören Sie auf!» tionen – bis ihn 1961 ein schwerer Unfall hatte, war der König. Probiert hat er es mal, weil das Museum auf dem Hockenheimring zur Vernunft nach 30 Jahren erneuert werden sollte. brachte. ­Allerdings nur, was sein Leben als 1970 wurde die Firma über Nacht welt- Doch stiess er beim klammen Kanton auf Renn-pilot anging. Abseits der Rennstre- bekannt: «Der ‹Hai› war die Sensation am taube Ohren. 50 000 Franken wurden ihm cke reizte es den damals 27-Jährigen wei- Autosalon in Genf», sagt Berger beim angeboten, aus dem Lotteriefonds. Berger, terhin, Risiken einzugehen und die Kon- Rundgang. Das schnittige Modell hatte so stolz wie Monteverdi, verstand diesen kurrenz auszubremsen. Als einst jüngsten 450 PS und raste in fünf Sekunden von Tropfen auf den heissen Stein als Affront. Ferrari-Händler der Welt verletzte es ihn, 0 auf 100. Damit liess der Wagen ­Aston Übrigens: Die Fahrzeuge in Binningen als Enzo Ferrari 1965 einem anderen Im- Martin oder Lamborghini alt aussehen­ werden ein- bis zweimal pro Jahr gefahren. porteur den Vorzug gab. Trotzig sagte sich und auch günstig. War der Monteverdi «Damit die Motoren laufen», sagt Berger. Peter Monteverdi: «Dann baue ich halt ‹Hai› mit 90 000 Franken doch teurer als Am Steuer sitzen Mitglieder des Monte- meine eig­ enen Sportwagen.» Der diese die italienische und britische Konkurrenz. verdi-Clubs, Sammler, die Freude an Au- Anek­dote erzählt, ist Paul Berger. Er hält Das schlug sich auch in den beliebten Au- tos haben. Und von denen gebe es auch in den Namen Monteverdi hoch, war Chef- toquartett-Spielen nieder: «Wer einen der Region Basel mehr als man denke. Wer verkäufer, beruflicher und privater Partner. ‹Hai› hatte, war der König», sagt Berger. dazugehört, verrät er nicht. Die Diskretion Im Museum ist nachvollziehbar, wie des Luxushändlers hat er sich ­bewahrt. So Ein ideenreicher Charakterkopf vor 50 Jahren Autos designt wurden: wie die Erinnerung an die ­goldenen Tage Seit weit über 50 Jahren ist er für die ­Anhand von Zeichnungen baute man ein des Monteverdi-Werks in Binningen. Firma tätig, seit Monteverdis Tod 1998 ist Holzmodell. Nahm eine Blechtafel, legte tageswoche.ch/+2bmla × er Nachlassverwalter. Und er redet noch sie auf das Modell, hämmerte das Blech in immer ehrfürchtig vom Gründer – und im Form, schnitt es aus und schweisste es Monteverdi Automuseum, Präsens von den Autos. Für ihn ist Monte- schliesslich aufs Chassis. Oberwilerstrasse­ 20, Binningen. verdi noch lange nicht am Ende – auch Der «Hai» ging nie in Serienprodukti- Zutritt auf Voranmeldung und nur für wenn sein Museum Geschichten aus der on: Vier Modelle wurden hergestellt, drei Gruppen: 061 421 45 45. Vergangenheit erzählt. davon stehen heute im Museum. Das vier- www.monteverdi-automuseum.com

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Peter Berger zeigt den Fernseher im Monteverdi «Safari» (unten). Vom «Hai» (oben) gab es nur vier Stück. fotos: hans-jörg walter

TagesWoche 32/16 10 Sammlung Friedhof Hörnli Im Museum für Bestattungskultur dürfen Kinder auf einem Leichenwagen Cowboy spielen. Das macht das Museum noch lange nicht zu einem Ort des Morbiden und Grotesken. Im Reich der Toten darf gelacht werden

von Elin Fredriksson «An der Museumsnacht schaut sie nach gen vermochte. Was er mit den Urnen dem Rechten. Verhält sich ein Angestellter ­machen wollte, wusste er nicht. Sein rnen, Särge, Leichenwagen nicht, wie er soll, dann kriegt er von ihr ­damaliger Chef hingegen schon: Ein und Trauerbilder – was für ein eins hinter die Löffel!» ­Museum sollte her. Und so begann Galler Mensch muss das sein, der Frau Gallers Urne ist die einzige, die zu sammeln. solch skurrile Dinge sammelt? «bewohnt» ist. Alle anderen stehen unbe- Heute weiss er, dass seine Sammlung UEin verschrobener Kauz mit Todessehn- nutzt in Glasvitrinen. Angefangen hat alles ein Kulturgut beziehungsweise überhaupt sucht? Nicht doch. Peter Galler, der Grün- vor 55 Jahren im Keller des Friedhofs Kultur ist: «Als wir Menschen anfingen, der des Museums für Bestattungskultur Hörnli. Der war mit einigen dieser leeren unsere Toten zu bestatten und sie nicht auf dem Friedhof Hörnli, ist voller Lebens- Urnen gefüllt. Platz musste her. Deshalb einfach vor die Höhle oder in den Wald freude und bringt seine Besucher gerne wurde der damals 20-jährige Galler beauf- zu werfen, in diesem Moment hat Kultur zum Lachen. tragt, alle Urnen zu zerschlagen. ­begonnen.» «Dort oben ist meine Frau», sagt der Doch Galler stiess dabei auf eine Serie In der Zwischenzeit haben sich im Mu- ehemalige Grabmacher-Meister zu Be- aus dem 19. Jahrhundert, deren Handwerk seum einige Kuriositäten angesammelt: ginn der Führung. Er zeigt auf eine Urne, ihn derart beeindruckte, dass er sie un- da eine runde Fussball-Urne, dort eine die ganz alleine auf einem Holzregal steht. möglich gefühllos in Scherben zu schla- Tupperware-Urne aus Plastik oder eine

Schätze aus 55 Jahren Sammelleidenschaft: die Sammlung Friedhof Hörnli. foto: elin fredriksson Öko-Urne aus Orangenschalen und Kar- toffelstärke. Für Reisefreudige gibt es die Transporturne. Peter Galler sieht das pragmatisch: «Viele sterben im Ausland und kommen im Handgepäck nach Hause. Es ist viel vernünftiger, sich im Ausland kremieren zu lassen, statt einen Sarg zu transportieren.» «Viele sterben im Ausland und kommen im Handgepäck nach Hause.» Skurril beginnt die Führung und skur- ril geht es weiter im Museum für Bestat- tungskultur: An der Wand hängen Bilder, die mit der sogenannten Haarstaubtech- nik angefertigt wurden. Es handelt sich Luzius Martin flippert lieber, als selber zuzuschlagen. foto: elin fredriksson ­dabei um Ahnenbilder, wie sie im 19. Jahr- hundert beliebt gewesen sind. Der Künst- Schweizerisches Boxmuseum ler nahm das Haar einer verstorbenen Frau, mahlte es zu feinem Staub und kleb- te es auf – Trauerarbeit im wahrsten Sinne Im Boxmuseum stellt Luzius Martin des Wortes. Es kommt aber noch schräger! Bei den seine Sammlung von Boxartikeln aus. Gelenkersatzteilen, da «tätschts d Lüüt ewäg», sagt Galler. Tatsächlich: Man kann sich kaum vorstellen, dass die riesigen Muhammad Ali im ­ Metallstücke in der Vitrine mal als Hüft- und Kniegelenke in einem Menschen­ körper untergebracht gewesen sein sollen. Thai-Restaurant Da diese Teile bei einer Kremation nicht verbrennen, bleiben sie übrig. von Elin Fredriksson Schuhputzcreme und eine Schallplatte, Und wer schaut sich das alles an? deren Hersteller das Gesicht der Boxle- Schulklassen, Vereine, Zünfte, Geburts- as Erste, was beim Betreten des gende zu Marketingzwecken verwendeten. tags-Gesellschaften – alles sei dabei, sagt Restaurants Chanthaburi an Neben Ali gehört der deutsche Schwer- Galler. Aus der Stadt Basel würden aller- der Feldbergstrasse auffällt, ist gewichtsboxer Max Schmeling zu Martins dings nie Schulklassen kommen. Auch ein Flipperkasten, den das Favoriten und den Schwerpunkten des ­finanziell bekomme er von der Stadt keine D­Gesicht Muhammad Alis ziert. Weiter hin- Museums. Als überwachender Schutzpat- Unterstützung. «Irgendwie ist dieses ten stehen zwei Vitrinen mit signierten ron hängt Schmeling zuoberst an der ­Museum schwierig für die Stadt Basel», Boxhandschuhen und einem Fotobuch Fotowand – er wurde vor einigen Jahren glaubt Galler. mit Ali-Bildern: Was machen diese Dinge zum Ehrenmitglied des Vereins gewählt. in einem thailändischen Restaurant? Als sie ihm per Post die Anfrage schick- Setz dich auf den Leichenwagen Der ahnungslose Restaurant-Besucher ten, hätten sie nicht mehr als eine Unter- Ums Geldverdienen gehts ihm ohnehin wird bald feststellen, dass er sich im Ein- schrift des Boxstars erwartet, erzählt nicht. Viel wichtiger ist ihm die Botschaft, gangsbereich des Schweizerischen Box- ­Martin. Zurück kamen eine Widmung und die er mit dem Museum vermittelt: «Wenn museums befindet, das Martin mit seinen ein Dankesbrief in schönster Schreib­ ich einem Kind die Angst vor dem Gottes- Vereinskollegen vom Club 789 betreibt. maschinenschrift, in dem Schmeling den acker nehmen kann, habe ich doch schon Mit seiner Frau Sairung betreibt er auch Vereinsmitgliedern «viel Freude am schö- etwas Supergutes gemacht.» Und damit das Restaurant Chanthaburi. Auf Anfrage nen Boxsport» wünschte. das funktioniert, fordert er Kinder auf, sich kann der Keller besucht werden, wo sich Manchmal organisieren die Männer auf die Leichenwagen zu setzen. der Hauptteil des Museums befindet. Dort vom Club 789 einen Themenabend, den Was passiert denn mit dem Museum, gibt es von einer 30 Zentimeter grossen sie einem bestimmten Boxer widmen an wenn Gallers Besuch auf Erden zu einem ­Figur von Mike Tyson bis zu Sammel­ dem alles dementsprechend dekoriert Ende kommt? «Zum Glück gibt es einen bildern aus den 1920er-Jahren alles, was wird. Oder sie versammeln sich, um zu- Verein, der sich darum kümmern kann. das Boxerherz bewegt. sammen Boxkämpfe im Fernsehen anzu- Schön wäre auch, wenn ein Studierter da- Eine Wand mit Autogrammkarten und schauen. Und vielleicht kommt an manch ran weiterarbeiten könnte», sagt er. Sicher Fotos von Boxlegenden bilden das Herz- einem Abend eine Atmosphäre wie in einem ist schon heute: Wenn es so weit ist, wird stück des kleinen Museums – ein vertika- Boxkeller auf – nur liegt anstatt Schweiss Galler in derselben Urne wie seine Frau ler «Walk of Fame» mit den wichtigsten der Duft thailändischen Essens in der Luft. hausen und von dort aus mit ihr zusam- Persönlichkeiten der Boxgeschichte. Ins- tageswoche.ch/+dbsmt × men über das Museum wachen. gesamt besitzt Martin über 3000 Ausstel- tageswoche.ch/+zkq1f × lungsstücke – die Sammlung breitet sich Schweizerisches Boxmuseum, Feld- bis in die private Wohnung aus. bergstrasse 57, Basel. Geöffnet samstags, Sammlung Friedhof am Hörnli, Muhammad Ali ist im Museum beson- 15–18 Uhr, oder nach Vereinbarung wäh- ­Hörnliallee 70 in Riehen, ders gut vertreten. Neben Autogrammkar- rend der Öffnungszeiten Restaurant geöffnet jeden 1. und 3. Sonntag im ten, Fotos und einem Händeabdruck Chanthaburi (11.30–14 Uhr, 18–24 Uhr, Monat von 10 bis 16 Uhr. besitzt Martin eine Actionfigur, eine sonntags geschlossen).

TagesWoche 32/16 Ein Ständchen gibts gratis dazu: Dieter Stalder an einer selbst gebauten Orgel. foto: elin fredriksson

Harmonium- und Orgelmuseum Dieter Stalder mag Musik und Handwerk. Die Orgel und das Harmonium verbinden beide Leidenschaften – und deshalb widmet er diesen Tasteninstrumenten ein ganzes Haus. Dieter Stalder liebt die Technik und die Psalmen-Pumpe

TagesWoche 32/16 13 von Elin Fredriksson ­einer Pause klammheimlich ins Schulzim- Als Kreativmensch lässt er diese nicht mer, wo ebenfalls ein Harmonium stand, nutzlos herumstehen, sondern bezieht sie s ist eng. Überall, wo man hin- schlich und es mit einem Sackmesser auf- in seinem Museum aktiv mit ein. Eine schaut, befinden sich grosse schraubte, um nachzuschauen, wie es Sammlung kleinerer Figuren aus Russ- Kästen – einige gehen fast bis technisch funktioniert. land hat er zum Beispiel in eine selbst­ zur Decke, andere sind zum gemachte Orgel eingebaut. EDrüberstolpern klein. Die einen sind Ein Haus muss her «Diese Figuren sind eine Erinnerung schlicht, die anderen verziert. Ist das ein Das technische Interesse für die Tas- an eine Kreuzfahrt im Baltikum und stam- überfüllter Dachboden? Keineswegs: Wir teninstrumente begleitete ihn bis ins men aus dem Sommerpalast des Zars in befinden uns im Orgel- und Harmonium- ­Erwachsenenalter. Während des Lehrer- Russland. Als Sammler wollte ich natür- museum in Liestal, und die Kästen sind seminars – Klavier- und Orgelstunden lich nicht nur eine Figur, sondern alle. keine Kästen, sondern Instrumente – in ­gehörten schon längst zum alltäglichen Aber was hätte ich mit diesen Figuren ­allen Formen, Farben und Grössen. Programm – baute er seine erste Orgel. ­machen sollen? Jetzt dienen sie hier zur Inmitten dieser Fülle steht Dieter Stal- Der Orgelbau entwickelte sich zu einem Dekoration.» der. Er ist der Betreiber des Museums und Hobby, und auch andere Instrumente weiss genau, wie er Leben in die «Kästen» häuften sich im Hause Stalder an. Was ihm «Wenn ich ein Telefon bringt: Er macht das Licht an, setzt sich an aber fehlte, war ein Harmonium. Über ein die Klaviatur eines Instruments und haut Zeitungsinserat erwarb er das fehlende kriege mit einem in die Tasten. Schon füllt sich das ganze ­Instrument – und damit begann die Sam- Haus mit fröhlichen Klängen. Eine Füh- melleidenschaft. Angebot, kann ich nur rung im Museum beinhaltet nicht nur Die Sammlung wuchs, und irgend- Technik und Geschichte – sondern auch wann hatte er Platzprobleme. Zu dem Zeit- beten, dass es sich um ein ein Privatkonzert. punkt waren die Instrumente im ganzen Haus verteilt, und sogar auf der Empore völlig uninteressantes Ein Harmonium ist keine Orgel der Matthäuskirche, wo Stalder lange Zeit Die Orgel kennt man ja. Aber was ist ei- als Organist tätig war, ergatterte er sich Instrument handelt.» gentlich ein Harmonium? «Ach, die Jun- Platz für seine Sammlung. «Ich habe aber gen wissen das ja gar nicht mehr», sagt der immer darauf geachtet, dass es auch har- Russland hin oder her – am Schönsten pensionierte Sekundarlehrer kopfschüt- moniumfreie Zonen gab. Meine Kinder ist es für Stalder immer noch zu Hause. telnd. Die ältere Generation kenne das mussten nie mit einem Harmonium das «Neben meiner Haustüre im Museum Harmonium noch in Anlehnung an urchi- Zimmer teilen.» Wirklich? Stalder denkt ­befindet sich das aradies.P Wenn ich ver- ge Gottesdienst-Gesänge unter Namen kurz nach: «Fast nie.» reist bin, dann habe ich schnell wieder wie Psalmen-Pumpe, Halleluja-Blaser Vor 24 Jahren beschloss Stalder, dem Heimweh nach meinen Schätzen.» oder Jerusalem-Traktor. Platzmangel ein Ende zu setzen: Er baute Wie es mit dem Museum weitergehen «Ein Harmonium ist zehnmal besser im Garten seines Wohnhauses ein Muse- soll, wenn Stalder sich irgendwann nicht als ein Klavier», sagt Stalder. Aus Laien- um für seine mittlerweile 150 Orgeln und mehr darum kümmern kann, weiss er Perspektive sieht es aus wie eine Orgel, Harmonien. Ausserdem gibt es seit 2005 noch nicht genau. Die Musik sei in der einfach kleiner. Doch es gibt noch mehr im Aargau einen Aussenposten mit weite- ­Familie sehr präsent, alle Kinder und Unterschiede: «Das Harmonium hat ähn- ren 50 Instrumenten. ­Enkelkinder würden ein Instrument spie- liche Funktionen wie ein Keyboard. Im Seit dem Einreichen des Zeitungsinse- len. Doch um das Museum zu überneh- Gegensatz zum Ton der Orgel, der mit rats sind 40 Jahre vergangen. Heute zählt men, müsse man sich mit Orgeln und Har- Pfeifen produziert wird, entsteht ein Har- sein Museum laut Stalder zu den weltweit monien auskennen, und damit sei er bis monium-Ton über Durchschlagszungen, grössten Sammlungen an Harmonien: jetzt in der Familie noch alleine. die durch Luftzufuhr in Schwingung ver- «Und das nicht nur quantitativ, sondern setzt werden.» auch qualitativ.» Um diese Qualität zu Gebrochene Verträge ­gewährleisten, braucht es die entspre- Als Vorsorge hat Stalder einen Plan «Meine Kinder mussten chende Pflege – und die Mechanik der ­gezeichnet, wo er die ausgestellten Inst- ­Instrumente ist hochkompliziert. Zum rumente im Detail beschreibt, damit sich ihr Zimmer nie mit Glück hat Stalder sowohl Interesse als ein potenzieller Nachfolger einlesen auch Begabung für das Technische: Sollte kann. Selber weitersammeln will er aber einem Harmonium eine Taste klemmen, kann er selbst ran. auf keinen Fall: «Wenn ich ein Telefon Ausserdem hat er mehrere Instrumente kriege mit einem Angebot, kann ich nur teilen. Fast nie.» mit seiner eigenen Note versehen und zu Gott beten, dass es sich um ein völlig nach seiner ersten Orgel im Lehrersemi- uninteressantes Instrument handelt.» Durch diese Mechanik besteht der Vor- nar weitere fünf gebaut. Der Platz fehlt immer noch. teil, dass bei höherer Luftzufuhr der Ton Ausserdem hat Dieter Stalder Verträge nicht wie bei der Orgel verstimmt, son- Kuckucksuhren und Lüchterwiibli einzuhalten – er hat Frau und Kindern dern lauter wird. Auch kann beim Harmo- Dabei kommt ihm nicht nur seine schriftlich versprochen, dass er keine neu- nium durch das Bedienen von Knöpfen handwerkliche Begabung zugute, son- en Instrumente mehr kauft. Garantie ist eine Vielzahl verschiedener Klänge dern auch seine künstlerische. Er zeigt das keine: «Diese Verträge wurden unge- ­erzeugt werden – für den 71-Jährigen die eine Orgel mit verschnörkelten Verzierun- fähr schon zehn Mal gebrochen.» perfekte Kombination: Er liebt Musik gen am oberen Rand: «Da war von Anfang tageswoche.ch/+xl1g8 × und Technik. an nichts dran, deshalb habe ich diese Diese Liebe flammte schon in jungen ­Dekoration selbst gemacht. Ich kann das Harmonium- und Orgelmuseum, Jahren auf: In Küsnacht im Kanton Zürich, nicht haben, wenn etwas so unschön und Widmannstrasse 9a, Liestal, geöffnet wo Stalder aufgewachsen ist, entdeckte er halbfertig ist.» nach Vereinbarung, Führungen auf als kleiner Junge im Kirchgemeindehaus Neben der Orgel- und Harmonium- Voranmeldung: 061 921 64 10, zum ersten Mal ein Harmonium. Wegen sammlung besitzt Stalder eine Reihe von Dauer: 1,5 Stunden mit Live-Musik. der vielen Knöpfe gefiel ihm das Instru- weiteren Sammlungen wie Kuckucks­ ment. Was ihn jedoch irritierte, waren die uhren, kleine Figuren und eine spezielle fehlenden Pfeifen, die er von der Orgel Art von Kronleuchtern in Form von Frau- kannte. So kam es, dass er sich während enkörpern (sogenannte Lüchterwiibli).

TagesWoche 32/16 14 Solex-Museum In den Vierzigern war es Kult, später verlor es dann an Reiz. Doch für Roland Blättler ist das Velosolex heute noch ein Phänomen – und das führt er seinen Besuchern gerne vor. «Man riecht es einfach» – im Bann des Velosolex

von Elin Fredriksson Energie des Motors wieder auf das Vorder- Besonders stolz ist Blättler auf seine rad übertragen. «Perlen», wie er sie nennt. Es handelt sich em das Fahrrad zu langsam Diese phänomenale und doch einfache um die zwei ältesten Exponate. Sie stam- und die Töff-Prüfung zu Technik hat in der Nachkriegszeit die Mas- men aus der ersten Serie von 1947 und ge- mühsam ist, für den gibt es sen begeistert. Marcel Mennesson von der hörten zu den ersten 10 000 Modellen. «Als eine Alternative: das E-Bike. Firma Solex, die eigentlich Vergaser her- ich diese zwei Exponate sah, waren mir alle WRoland Blättler, Leiter des Velosolex-­ stellte, hatte die Idee für den Reibroll-­ anderen egal», sagt Blättler. Weitere Be- Museums in Waldenburg, schüttelt skep- Motor schon lange im Hinterkopf gehabt. sonderheiten sind das klappbare PliSolex tisch den Kopf. Schnell sei es ja, das mo- Um 1940 entstand der erste Prototyp, in- und das Kindersolex in Miniaturformat. derne Rad, aber etwas fehle: der Duft. dem ein Motor auf ein gewöhnliches Her- Bei den Velosolex, eine Art Vorgänger renfahrrad montiert wurde. Als 1946 die Und dann singt Margrit Rainer des E-Bikes, sei der Duft der Abgase unver- Produktion der ersten ­Modelle begann, Ursprünglich war vorgesehen, ein Wal- wechselbar. «Man riecht es einfach», stiessen die Hersteller damit auf grosses denburger Gemeindemuseum zu eröff- schwärmt Blättler. «Früher hat man das Interesse. «So kurz nach dem Krieg konnte nen, worin die Velosolex-Sammlung inte- Velosolex ja überall gesehen. Heute ist es man sich ein richtiges Motorrad nicht leis- griert werden sollte. Aus diesem Plan wur- etwas Besonderes, wenn ich auf der Stras- ten. Das Velosolex war günstig, und man de nichts, stattdessen ist es nun umge- se eines entdecke.» Dieses Besondere war damit gut ausgerüstet», so Blättler. kehrt: Ein Velosolex-Museum mit ein biss- führt Blättler gleich selbst vor: Er setzt sich chen Gemeinde. Zwischen Rädern und auf eines seiner 25 Exponate, fährt einmal Für den Heimweg Motoren entdeckt man auch Kuriositäten um die Ecke und wieder zurück. wie eine Busticket-Maschine oder Fleisch- Nach der Vorführung öffnet Blättler die benutzt Roland Blättler wölfe. Mit Begeisterung erklärt Blättler bei Tür zum Museum: ein dunkler Raum, ein jedem Gerät dessen genaue Funktion und Velokeller der besonderen Art. Ordentlich lieber den Töff. die Technik dahinter – ein Sammler aus aufgereiht präsentieren sich die Solex- Leidenschaft eben. Modelle, und im Hintergrund ist Zubehör Das geht schneller. Doch es bleibt nicht bei trockener The- zu sehen: Da steht eine alte Kasse eines orie: Zum Schluss der Führung schaltet ­Velosolex-Geschäfts, dort hängt ein Mit 20 Jahren fuhr Blättler sein erstes Blättler den Plattenspieler ein und Margrit ­T-Shirt, das Blättler einst bei der Velo- Solex. Sein Interesse wuchs, auch weil Rainers Stimme erklingt, die einst im «Lö- solex-Schweizermeisterschaft trug. sein Onkel in einer Velosolex-Vertretung wen» auftrat. «Wenn ich den Plattenspieler arbeitete. «Wenn ich mein Solex zur Repa- anmache, dann haben meine Besucher Leise und fast ohne Benzin ratur brachte, sagte er immer, ich könne in den Plausch», sagt Blättler. Seit 40 Jahren sammelt der pensionier- der Zwischenzeit einkaufen gehen. Aber Lebt das Velosolex für ihn selber auch te Gastronom mit Herzblut alles, was mit das kam für mich nicht infrage, ich wollte nur noch im Museum? Nein, gemeinsam den motorisierten Fahrrädern in Verbin- dort bleiben und zuschauen!» Und dann mit seiner Frau macht der 76-Jährige ab dung steht. Blättlers Interesse gilt haupt- habe ihn das Virus gepackt. Wer sich noch und zu Ausflüge mit den Sammelobjekten sächlich den technischen Details: «Das heute fürs Solex begeistere, der sei fana- – allerdings nur in die nähere Umgebung. ­Solex fährt leise, braucht fast kein Benzin, tisch, sagt Blättler stolz. Für den Weg nach Hölstein, wo Blättler zu hat eine Reibrolle und ist ein Hybrid zwi- Mit dem Sammeln der Kulträder be- Hause ist, benutzt er lieber den Töff. Weil schen Fahrrad und Motorrad», rattert er gann der Nidwaldner 1977, als er mit seiner das schneller geht. «Schliesslich hat man mechanisch runter. Familie das Hotel Lö­ wen in Waldenburg als Pensionierter einfach sehr wenig Zeit.» Bis er auf die Funktion des Motors zu übernahm. Zu dieser Zeit war die Beliebt- tageswoche.ch/+oztlz × sprechen kommt. Diese sei einfach phäno- heit der ­Velosolex gesunken. Nicht jedoch menal. Durch das Treten der Pedale wird bei Blättler: Der leerstehende Keller im Velosolex-Museum, Hauptstrasse 81 eine Reibrolle, ein kleines Gummirad an- Hotel eignete sich dazu, seine wachsende im «Löwen» in Waldenburg, geöffnet getrieben, das den Start des Motors er- Sammlung auszustellen. «Sobald ich den Do–Mo nach Vereinbarung. mögliche. Durch diese Reibr­ olle wird die Namen Solex hörte, war es schon gekauft.» leuewaldenburg.ch/solexmuseum

TagesWoche 32/16 Stolz auf die Perle: Roland Blättler auf dem ältesten Modell seiner Sammlung. foto: elin fredriksson 16 Bestattungsanzeigen Basel-Stadt und Region

Allschwil Trauerfeier: Mitt- Walzthöny-Pannatier, 23.10.1970–27.07.2016, Meier, Philipp René, Stierli-Wieser, Armin, woch, 10.08., Rose Marie, von Unterwartweg 51, von Basel/BS, Füllins- von Gebenstorf/AG, 13.30 Uhr, Friedhof Oberhelfenschwil/ Muttenz, Abschied im dorf/BL, 30.05.1997– 01.08.1934–29.07.2016, am Hörnli. SG, 22.09.1932– engsten Familien- 23.06.2016, Hasel- Binningerstr. 55, Lurati-Mathieu, Elio, 22.07.2016, In den kreis. rain 75, Riehen, Trau- Allschwil, Trauer- aus Italien, Klosterreben 36, Moos-Buchschacher, erfeier: Mittwoch, feier und Beisetzung 20.08.1931–28.07.2016, Basel, wurde bestattet. Peter, von Augst/BL, 10.08., 14.00 Uhr, im engsten Familien- Altrheinweg 106, Wyss, Petra, von 01.09.1944–27.07.2016, St. Franziskuskirche. kreis. Basel, wurde bestattet. Kirchleerau/AG, Käppelibodenweg 9, Pitschen-Buser, Basel Otz-Rüttimann, 05.06.1966– Muttenz, Abschied im Andreas Johann Markus Adolf, 01.08.2016, Feld- engsten Familien- Jakob, von Riehen/ Bartholdi, Othmar bergstr. 41, Basel, kreis. BS, Andeer/GR, Wendelin, von Zezi- von Oberbalm/BE, 07.02.1959–25.07.2016, Trauerfeier im engs- Ormalingen 08.06.1930–17.07.2016, kon/TG, 14.09.1922– ten Kreis. Grenzacherweg 7, 25.07.2016, Brant- Bärenfelserstr. 34, Schaffner, Hugo, von Basel, Trauerfeier: Biel-Benken Riehen, wurde gasse 5, Basel, wurde Hemmiken/BL, bestattet. bestattet. Freitag, 12.08., Kron-Nussbaumer, 13.06.1929–19.07.2016, 15.30 Uhr, Friedhof Seckinger-Balzli, Bartocha-Stölzel, Markus, von Ettin- Farnsburgerstr. 58, am Hörnli. gen/BL, 17.09.1944– Ormalingen, Abdan- Theophil, von Rie- Franz, von Basel/BS, hen/BS, 13.01.1940– 15.10.1924–25.07.2016, Pfrommer, Urs Beat, 29.07.2016, Mühle- kung: Freitag, 05.08., von Basel/BS, weg 27, Biel-Benken, 14.30 Uhr, Kirche 17.07.2016, Baselstr. 19, Allmendstr. 40, Basel, Riehen, wurde wurde bestattet. 02.05.1941–31.07.2016, Abdankungsfeier: Ormalingen. Bestat- Lindenweg 3, Basel, Freitag, 05.08., tung im engsten bestattet. Brunner-Steffen, Trauerfeier: Montag, 14.30 Uhr, ref. Kirche Freundes- und Fami- Peter, von Basel/BS, 22.08., 14.30 Uhr, Biel-Benken. lienkreis. 06.03.1951–22.07.2016, Leonhardskirche Frenkendorf Reinach General Guisan- Basel. Str. 18, Basel, wurde Walter-Barth, Esther, Bauer-Gröbli, Hans- bestattet. Refardt-Roth, Irene von Grächen/VS, ruedy, von Basel/BS, Gertrud, von Basel/ 21.08.1958–29.07.2016, 12.08.1932–25.07.2016, Enderlin, Hans BS, 18.07.1920– Rebgasse 1, Frenken- Thiersteinerstr. 24, Robert, von Dürre- 20.07.2016, Kapellen- dorf, Urnenbeiset- Reinach, Trauerfeier näsch/AG, 15.06.1932– str. 17, Basel, zung: Dienstag, 16.08., und Beisetzung: 31.07.2016, Trauerfeier: Freitag, 14.15 Uhr, Friedhof Dienstag, 09.08., Horburgstr. 54, Basel, 05.08., 15.00 Uhr, Äussere Egg, Fren- 14.00 Uhr, Friedhof wurde bestattet. Kirche St. Jakob. kendorf, Abdankung Fiechten, Reinach. Fischer, Heinz Erich, Schlienger-Fehr, 15.00 Uhr, röm.-kath. Sisulak, Antonia, von von Langenbruck/BL, Alice, von Basel/BS, Kirche Dreikönig, Oensingen/SO, 19.01.1937–25.07.2016, 09.04.1919–31.07.2016, Füllinsdorf. Besamm- 25.05.1924–01.08.2016, Claragraben 123, St. Jakobs-Str. 201, lung Friedhof Äussere Landererstr. 2, Rei- Basel, wurde bestattet. Basel, Trauerfeier: Egg, Frenkendorf. nach, Trauerfeier und Häfeli-Landus, Max, Dienstag, 09.08., Münchenstein Urnenbeisetzung: von Basel/BS, 13.30 Uhr, Friedhof Locher-Polier, Mario Mittwoch, 10.08., 16.12.1916–21.07.2016, am Hörnli. Erwin, von Oberegg/ 14.00 Uhr, Friedhof Mülhauserstr. 35, Schraner-Sandreuter, AI, 20.04.1951– Fiechten, Reinach. Basel, Trauerfeier: Ruth Rose-Marie, von 28.07.2016, (wohnhaft Riehen Freitag, 05.08., Diessbach bei Büren/ gewesen in Buix/JU), 16.00 Uhr, Alters- und Baumann-Martin, BE, 03.02.1935– Münchenstein, Frieda, von Riehen/ Pflegeheim Johanni- 20.07.2016, Burgfel- Abdankung: Freitag, ter, Mülhauserstr. 35. BS, 26.02.1921– derstr. 188, Basel, 05.08., 14.00 Uhr, ref. 31.07.2016, Rauracher- Hengstler-Pöhl, Berta, wurde bestattet. Dorfkirche, Kirch- str. 17, Riehen, von Basel BS, Somazzi-Meury, gasse 2, München- Trauerfeier im engs- 08.05.1931–23.07.2016, Wally, von Monta- stein Dorf, ten Kreis. Hagentalerstr. 7, anschliessend Beiset- gnola/TI, 30.04.1928– Germann-Brand- Basel, wurde bestattet. 27.07.2016, Mülhau- zung im engsten Familienkreis. meyer, Irmgard, von Hepp-Bitterli, Ruth serstr. 35, Basel, Frutigen/BE, Helene, von Basel/BS, wurde bestattet. Ly-Tran, Lang, aus 25.11.1942–31.07.2016, 05.05.1921–18.07.2016, Studer-Anderegg, Vietnam, 20.08.1920– Grendelgasse 5, Giornicostr. 144, Benjamin, von 02.08.2016, Neumatt- Riehen, Trauerfeier Basel, Trauerfeier im Zäziwil/BE, str. 12, Münchenstein, im engsten Kreis. engsten Kreis. 14.01.1965–22.07.2016, Abdankung und Bestattung: Mittwoch, Küry-Vorburger, Kurt, Hungerbühler-Win- Gundeldingerstr. 345, von Basel/BS, zenried, Heidi, von Basel, wurde bestattet. 10.8., 10.00 Uhr, ref. Dorfkirche, Kirch- 31.01.1929–28.07.2016, Basel/BS, 21.07.1931– Studer-Schaub, Ruth, Im Hirshalm 48, 01.08.2016, Gellertstr. gasse 2, München- von Basel/BS, stein Dorf. Riehen, Trauerfeier: 138, Basel, Trauer- 22.09.1943–28.07.2016, Mittwoch, 10.08., feier: Montag, 08.08., St. Galler-Ring 222, Muttenz 09.30 Uhr, Friedhof 15.30 Uhr, Friedhof Basel, Trauerfeier im Borka, Karoly, von am Hörnli. am Hörnli. engsten Kreis. Diepflingen/BL, Lüdin-Schautz, Süess-Bolliger, Julianna, von Ram- Helene, von Basel/BS, linsburg/BL, 07.12.1925–25.07.2016, laufend aktualisiert: 22.02.1937–25.07.2016, Horburgstr. 54, Basel, Leimenstr. 67, Basel, wurde bestattet. tageswoche.ch/todesanzeigen

TagesWoche 32/16 Gesundheitskosten 17 Basel-Stadt hat das teuerste Gesundheitswesen der Schweiz. Trotzdem lehnt Gesundheitsdirektor Lukas Engelberger Eingriffe ins kostspieligste System ab. Dass es auch anders geht, zeigt der Kanton Waadt. Waadt bekämpft hohe Prämien, Basel schläft

Teure Behandlung: Nirgends in der Schweiz bezahlen die Versicherten höhere Spitalkosten als in Basel. foto: keystone 18 von Renato Beck Dazu kommt, dass der Hauptteil der Jahren an der Spitze mittlerweile im Spitalkosten von der Allgemeinheit getra- schweizerischen Mittelfeld bei den Spital- n keinem Kanton sind die Kranken- gen wird. Die Versicherten müssen nicht kosten. Nach einem starken Anstieg der kassenprämien für die Grundversi- mal die Hälfte davon bezahlen: 55 Prozent Behandlungskosten in privaten Praxen cherung höher als in Basel. Und im werden in Basel-Stadt über Steuer­gelder sollen nun auch diese reguliert werden. Herbst steht wie jedes Jahr schon finanziert. Maillard will seinen Kanton zum Labo- Idie nächste Erhöhung an. Nicht nur Basel- ratorium im Kampf gegen steigende Stadt scheint gefangen in der Kostenspira- Dann halt mehr Untersuchungen ­Gesundheitskosten machen. Er sagt: «Seit le, aber in keinem anderen Kanton hat sie Wie das Marktversagen funktioniert, 2012 steigen die Gesundheitskosten in der sich derart hochgedreht: wie sich Mediziner ihre Einkünfte trotz Schweiz jährlich um eine Milliarde Fran- 545 Franken und 61 Rappen kostete die ausgerufenem Kostendruck garantieren, ken. Es kann nicht sein, dass sich Politik, durchschnittliche Krankenkassenprämie zeigt sich in einem Teilbereich. Als den Bund und Krankenkassen darum foutie- in Basel-Stadt 2016. Im zweitteuersten Ärzten 2010 weniger füri ­nterne Labor­ ren, etw­ as daran zu ändern.» Kanton Genf bezahlten die Versicherten ­ untersuchungen abgegolten wurde, er- 22 Franken weniger. höhten diese die Zahl der Untersuchungen Den Kostenanstieg Kein Kanton kennt eine höhere Ärzte- drastisch. Dieser Druck half, seit 2013 er- dichte. In Basel kommt ein Arzt auf halten die Praxisärzte einen ­Zuschlag auf bezahlt in Basel-Stadt 235 Einwohner, doppelt so viele wie im ihre Untersuchungen. Der Kostenanstieg Schweizer Durchschnitt. In keinem ande- alleine in diesem Segment seit 2010: 20 der Mittelstand. ren Kanton lassen sich die Bewohner so Prozent. häufig stationär behandeln. Die Hospitali- Das Beispiel zeigt, dass es nicht wie oft Gar nichts mit Maillards Ansatz kann sationsrate liegt bei 172 Patienten auf 1000 behauptet nur die wachsenden Ansprüche sein Basler Amtskollege Lukas Engelber- Einwohner, der Schweizer Schnitt liegt bei der Patienten sind, welche die Kosten in ger anfangen – obwohl die Basler deutlich 133, jener von Baselland bei 155. die Höhe treiben. Höhere Gesundheits- mehr für ihre Gesundheit bezahlen als die Auch in Nischen wie der Physiothera- kosten lassen sich nicht gleichsetzen mit Waadtländer: «Eine derart starke betrieb- pie steht Basel unangefochten an der Spit- besserer Versorgung. Das sagt zumindest liche Regulierung der Spitäler im Kanton ze. 138 Franken bezahlt jeder Versicherte Pierre-Yves Maillard, Gesundheitsdirek- Basel-Stadt läuft meiner ­Ansicht nach im Jahr für Physio. Der Schweizer Durch- tor des Kanton Waadt. dem marktwirtschaftlichen Grundgedan- schnitt liegt bei 103 Franken. Der SP-Politiker will allen Medizinern, ken des KVG zuwider und würde die Auto- die Geld von der Grundversicherung nomie der Spitäler stark einschränken», Seit der Markt spielt, erhalten, ein Budget vorgeben, das sich an sagt der CVP-Politiker. den durchschnittlichen Umsätzen der Und trotz den Erfolgen im Kanton steigen die Kosten Vorjahre orientiert. Überschreitet ein Arzt Waadt, wo Spitäler etwa eine Bewilligung das Budget, soll er seine Leistungen nur zu einholen müssen, um teure Gerätschaften noch stärker. einem deutlich reduzierten Tarif abrech- anzuschaffen, meint er: «Die Wirkung die- nen können. ser Instrumente wäre sehr fragwürdig, Die Zahlen sind exorbitant und vor al- Maillard glaubt nicht an die Wirksam- wenn sie nicht gesamtschweizerisch ein- lem im stationären Bereich extrem kosten- keit der Tarifverhandlungen. Senke man gesetzt würden.» Auch Budgetvorgaben treibend. Sie zeigen, dass die neu geregel- die Entschädigungen für Behandlungen, an Ärzte lehnt Engelberger ab. Und eben- te Spitalfinanzierung mit der Entlassung steige einfach die Zahl der Behandlungen, so die Idee einer kantonalen Einheitskas- der Spitäler in die wirtschaftliche Unab- sagt Maillard in der SRF-Sendung «Echo se, für die in der Westschweiz eine Initiati- hängigkeit 2012 nicht den gewünschten der Zeit». Sein Kanton deckelt die Budgets ve lanciert worden ist. Engelberger setzt Effekt hatte. Im Gegenteil: Die Kosten stei- der Spitäler seit 20 Jahren mit beachtli- im Spitalbereich auf die geplante Fusion gen seither noch stärker an. chem Erfolg. Die Waadt befindet sich nach mit dem Kanton Baselland. Den Preis für das Verwalten des Kos- tenanstiegs bezahlt in Basel-Stadt der Mit- Spitalkosten stationär telstand. Während der Kanton bei den Über die obligatorische Krankenversicherung abgerechnete Bruttokosten pro Versichertem in Franken Krankenkassenprämien an der Spitze steht, fällt er bei den Prämienverbilligun- 1.245,61 BS gen ab. Rechnet man alle Bezüger von ­Sozialhilfe und Ergänzungsleistungen he- raus, kommt man auf eine im nationalen Vergleich unterdurchschnittliche Zahl an Versicherten, die Unterstützung erhalten. BL Ein Zweipersonenhaushalt etwa erhält

1. 000 nur bis zu einem gemeinsamen Einkom- men von 71 000 Franken einen Rabatt. Und auch dieser liegt bei diesem Einkom- ZH men bei mageren 22 Franken pro Monat und Person. Im aktuellen Bericht des 800 CH GE Amts für Sozialbeträge, das Regierungsrat VD Christoph Brutschin (SP) untersteht, heisst es zufrieden, die Anspruchskrite- rien würden in «Basel-Stadt eher restriktiv 600 gehandhabt». Dabei lohnt sich auch bei den Verbilli- gungen ein Blick auf den Kanton Waadt: Dort sollen die Krankenkassenprämien 452,09 künftig nicht mehr als zehn Prozent des steuerbaren Einkommens ausmachen ’98 ’00 ’02 ’04 ’06 ’08 ’10 ’12 ’14 dürfen. grafik: anthony bertschi tageswoche.ch/+vrvrv ×

TagesWoche 32/16 Kommentar Gesundheitskosten 19 Der Druck auf die Prämienzahler in Basel steigt und steigt. Doch die Basler Politik hat kapituliert. Dabei könnte sie von Erfahrungen in der Waadt und in Deutschland lernen.

hoffentlich verbindlich mitteilen, welchen Effekt das auf die Prämien haben wird. Zwar könnten so Doppelspurigkeiten verschwinden. Doch gibt es Erfahrungs- werte, die pessimistisch stimmen. Von 1998 bis 2014 wurden in der Schweiz 89 Spi- täler geschlossen, 8500 Betten abgebaut. Die Kosten für stationäre Aufenthalte stie- n einer besseren Welt würde keine gen im selben Zeitraum um die Hälfte. Woche vergehen ohne eine Idee, Basel braucht einen Gesundheitsdirek- eine Forderung, einen Vorstoss, die tor, dessen oberste Priorität der Prämien- horrenden Gesundheitskosten in zahler ist. Braucht eine Regierung, die Iden Griff zu kriegen. In der realen Welt, Druck auf den Bund macht und vor Ort der Basler Welt, könnte die Politik nichts nichts unversucht lässt, Fehlanreize im weniger kümmern. System zu beseitigen. Etwa, dass Medizi- Die Krankenkassenprämien in Basel- Renato Beck ist Redaktor der ner die Zahl der Behandlungen erhöhen, Stadt sind die höchsten der Schweiz und ­TagesWoche. wenn die Tarife sinken. Dass auch in Bas- sie werden im nächsten Jahr wieder ange- tageswoche.ch/+80Xvo ler Spitälern Ärzte beschäftigt werden, die hoben. Der Aufschrei darüber ist jeweils Boni erhalten, wenn sie ihrem Arbeitgeber so heftig wie billig, denn Taten zieht er nie hohe Einkünfte bescheren. nach sich. ren und der hiesigen Pharmaindustrie ein Die Kostenspirale dreht und dreht. Dabei wäre 2016 der ideale Zeitpunkt, wertvoller Partner sein kann. Die Rech- Stoppen kann sie wohl nur ein fundamen- die systemischen Probleme im Basler Ge- nung für die florierende Gesundheits- taler Wandel. Die gute Nachricht: Es gibt sundheitswesen anzugehen. Im Oktober branche bezahlen die Versicherten. Gesundheitsökonomen, die jenseits der wird gewählt, da würde sich ein Aktions- Deren Leid wird weitgehend ignoriert. Plattitüden von der Anspruchs­haltung des plan gut machen. Doch auf der Wahlplatt- Die Basler Regierung führt gerne an, dass Patienten und fehlender Eigenverantwor- form des linken Lagers heisst es bloss vage, sie massiv mehr Mittel einschiesst in die tung, Ansätze zur Kostensenkung entwi- man werde Überkapazitäten abbauen. Prämienverbilligungen als die meisten ckeln, bei denen Kranke nicht verlieren. Die Rechten schlagen gar den umge- ­anderen Kantone. Das stimmt, aber nur kehrten Weg ein und kündigen an, sich auf den ersten Blick. Entlastet werden nur Bezahlt wird, was wirkt ­dagegen zu wehren, «der Gesundheits- jene Personen, die von Gesetzes wegen Einer wird derzeit an der deutschen branche immer mehr Regulierungen auf- ­unterstützt werden müssen und die unter- Privatklinik Schön unter Anleitung der US- zuzwingen». Als seien keine Erfahrungen sten Einkommen. Uni Harvard getestet. Dabei wird die Leis- mit dem neuen Krankenversicherungs­ tung der Ärzte nicht mehr entlang von Dia- gesetz gemacht worden, als habe der an- Basel braucht einen gnose, verschriebenen Medikamenten gebliche Wettstreit der Mediziner nicht zu und Behandlungsschritten bemessen, son- einer Kostenexplosion geführt. Gesundheitsdirektor, dern anhand der Wirkung der Behandlung. Mittlerweile versuchen die politischen Die Überzeugung dahinter: Mehr und Kräfte in Basel nicht mal mehr so zu tun, dessen oberste Priorität teurere Behandlungen führen nicht zwin- als würden sie die Probleme bekämpfen. gend zu einem besseren Ergebnis. Die Fra- Das war vor den letzten Wahlen 2012 noch der Prämienzahler ist. gen, die in der orthopädischen Klinik ge- anders, damals reichte die SP kurz vor dem stellt werden, sind: Wie lange braucht ein Urnengang eine Initiative «für bezahlbare Eine vierköpfige Familie, beide Eltern Patient nach einer Knieoperation, um wie- Krankenkassenprämien» ein. Die Prämien arbeiten voll und verdienen je 3700 Fran- der selbstständig gehen zu können? Wann müssten gesenkt, die Leistungserbringer ken, erhält in Basel-Stadt keinen Franken hören die Schmerzen auf? Wie verändert kritisch hinterfragt werden. Prämienverbilligung. Die Kosten für die sich seine Lebensqualität? Krankenkasse fressen einen Fünftel des Damit sollen die bekannten Fehlan- Nur leere Wahlversprechen Einkommens auf. Die Begründung für das reize, so aufwendig vorzugehen, wie von Kaum waren die Stimmen ausgezählt, staatliche Desinteresse klingt fast zynisch: den Kassen bezahlt wird, ausgemerzt wer- verschwand die Initiative im reich gefüll- Man wolle den Erwerbsanreiz erhöhen. den. Gleichzeitig wird der therapeutische ten Archiv für leere Wahlversprechen. Der Wie viel mehr möglich ist, zeigt der Nutzen für den Patienten erhöht. Regierungsrat erklärte, das Einzige, was er Kanton Waadt, wo die Prämien künftig In einer besseren Welt würde auch machen könne, sei ein jährlicher Bericht nicht mehr als zehn Prozent des Haushalts- Basel-Stadt seine Probleme nicht einfach über die Kostenentwicklung, der Grosse einkommens ausmachen dürfen. Dass das verwalten – sondern vorangehen und die Rat stimmte mit 84 Stimmen zu 1 Stimme rot-grüne Basel nicht entsprechend ein- Gesundheitspolitik neu denken. × zu. Die SP zog ihre Initiative zurück. greift, zeugt von einer Nonchalance, die an Die Basler Politik hat in der Gesund- Verantwortungslosigkeit grenzt. heitspolitik kapituliert. Steigende Prämi- Ganz untätig, das muss man ihr zuge- en nimmt sie in Kauf, denn der Prämien- stehen, ist die Basler Regierung nicht. Sie zahler spielt in ihren Überlegungen eine will die Basler Spitäler mit jenen im Basel- unbedeutende Rolle. Das eigene Unispital biet vermählen. Kurz vor Wahltag will wird laufend ausgebaut, damit es mit den CVP-Gesundheitsdirektor Lukas Engel- besten Schweizer Spitälern konkurrenzie- berger seine Pläne vorstellen. Und dann

TagesWoche 32/16 20 Regierungsratswahlen BS Eva Herzog ist seit fast zwölf Jahren Finanzdirektorin. Ihre Aussichten, vier weitere Jahre zu regieren, sind gut. Und 2019 könnte noch Höheres auf Herzog warten. «Man weiss bei mir, woran man ist»

von Jeremias Schulthess etwas rausrutsche, würde sie sich danach reform III. Kaum jemand kennt die Details hinstellen und entschuldigen. der Reform so genau wie Herzog, niemand va Herzog hat einen schlechten Ihre direkte Art hat die 54-Jährige weit verbindet damit so viel Herzblut wie sie. Ruf unter Journalisten. Auf gebracht. Seit fast zwölf Jahren kontrol­ Fast jedes Gespräch endet in einem zehn­ ­Persönliches angesprochen, liert die Sozialdemokratin die Finanzen minütigen Monolog zur Megareform. verdreht sie die Augen. Wer ein des Kantons und präsentiert Erfolg um «Wenn die Unternehmenssteuer­ E­Detail zur Steuerpolitik falsch zitiert, ern­ ­Erfolg. Im Oktober will sie für weitere vier reform nicht wäre, hätte ich als Finanz­ tet einen Rüffel. Launisch, unnahbar, Jahre im Finanzdepartement bestätigt direktorin vielleicht schon Routine-­ ­ungehobelt – das sind die Adjektive, mit werden. Gefühle entwickelt», sagt sie. Herzog denen die Finanzdirektorin von Journalis­ Dass sie das schafft, ist so gut wie sicher. braucht die Herausforderung, die kom- ten beschrieben wird. Vor vier Jahren wurde sie mit dem besten plexen Steuerfragen, die sie in zwei Sätzen Unter Politikern und Wirtschaftsbos­ Resultat wiedergewählt, eine Mehrheit der so herunterbrechen kann, dass sie am sen hat die mächtigste Frau von Basel hin­ TagesWoche-Leserschaft sah sie im März Stammtisch verstanden werden. gegen einen guten Ruf. Selbst politische erneut als beste Kandidatin – auch für das Gegner sind voller Ehrfurcht und schät­ Regierungspräsidium. Beliebt unter Bürgerlichen zen ihren politischen Stil – unnachgiebig, Doch dieses schlägt Herzog aus. Reprä­ Ihr Engagement für die Steuerreform schlagfertig, tough. sentieren und Cüpli trinken – damit wäre sagt viel aus über die Finanzpolitikerin. Es Herzog nennt ihre Ausbrüche Engage­ sie wohl unterfordert. Herzog braucht ein zeigt ihren Pragmatismus und den Willen, ment und Temperament: «Man weiss bei Projekt, in dem sie aufgehen kann. Ihr Pro­ im Zweifelsfall vom Kurs der eigenen mir immer, woran man ist.» Und wenn ihr jekt, das ist die Unternehmenssteuer­ ­Partei abzuweichen. Denn die SP sammelt Unterschriften gegen die Reform, Herzog verteidigt sie mit allen Mitteln. Was beschäftigt die Bevölkerung aus Ihrer Sicht am meisten? Hier zeigt sich auch die wirtschaftslibe­ Für die Menschen steht sicher an erster Stelle, eine Arbeit zu haben und dass rale Seite der gebürtigen Prattlerin. Nichts die Kinder eine gute Ausbildung bekommen. Dafür setzt sich Rot-Grün seit nervt Herzog so sehr wie der Vorwurf, sie zwölf Jahren erfolgreich ein. mache eine bürgerliche und keine soziale Finanzpolitik: «Bürgerliche Finanzpolitik Wieso sollte man ausgerechnet Sie wählen? geschieht immer nach demselben Muster: Ich stehe für einen sorgfältigen Umgang mit den Staatsfinanzen. Seit Rot-Grün Einnahmen runterfahren, dabei einzelne im Regierungrat in der Mehrheit ist und ich dem Finanzdepartement vorstehe, Gruppen steuerlich bevorzugen und dann schreibt Basel-Stadt schwarze Zahlen. mit unschuldigem Blick auf die Schulden­ bremse die Ausgaben runterfahren, sprich Welches Buch liegt auf Ihrem Nachttisch? die Leistungen für alle kürzen.» Das habe Das ist eine «Gala»-Frage ... sie in Basel nicht gemacht. Vielmehr habe man in den vergange­ Steckbrief nen elf Jahren Schulden abgebaut, Aus­ Geboren: 1961 gaben massvoll gesteigert und Steuern Im Regierungsrat seit: 2005 (Finanzdepartement) ­gesenkt, als der Handlungsspielraum Werdegang: Studium in Geschichte, Wirtschaftswissenschaft und Spanisch, ­gegeben war. «Warum es bürgerlich sein danach Promotion (Titel: «Frisch, frank, frau – Frauenturnen im Kanton Basel- soll, wenn man dabei auch den Unterneh­ Landschaft. Ein Beitrag zur Sozialgeschichte des Breitensports»), später men gute Bedingungen bieten will, verste­ Mitglied im Leitungsteam der Kulturwerkstatt Kaserne und Koordinatorin des he ich nicht.» Denn die Unternehmen Vereins Frauenstadtrundgang Basel. Danach Wissenschaftliche Mitarbeiterin schafften Arbeitsplätze und zahlten Steu­ im Vizerektorat Forschung der Universität Basel. Ab 1999 im Verfassungsrat, ern – «und das kommt doch der Bevölke­ 2001 in den Grossen Rat und 2004 in den Regierungsrat gewählt. rung erst recht zugute». Familiäres: Lebensgemeinschaft mit Thomas Müller, zwei gemeinsame Kinder. Es sind solche Sätze, welche die linke Die Familie lebt im Neubad. ­Finanzdirektorin auch bei Bürgerlichen beliebt machen. CVP-Grossrat Oswald

TagesWoche 32/16 «Ich kann auch freundlich schauen, wenn Sie wollen.» Eva Herzog beim Fototermin mit der TagesWoche. foto: nils fisch

Inglin sagt: «Herzog hat stets das Ge- lauten Ständerätin. 2015 stand Herzog für Eine halbe Stunde später schreibt sie samtinteresse des Kantons vor Augen. den Ständerat bereit. Sie spielte jedoch ein eine E-Mail, die beginnt: «… und schon Ihre Art, mit den Finanzen umzugehen, undurchsichtiges Spiel. Eine Gruppe um habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich hat sich, seit sie im Amt ist, bewährt.» Herzog stimmte damals gegen die Aufhe- ungehalten war, sehen Sie, so ist es im- Auch der ehemalige Novartis-Chef und bung der Amtszeitbeschränkung von Fetz mer!» Danach folgen zwei weitere Mails, Beinahe-SVP-Regierungsratskandidat – und damit für einen Wechsel im Stände- in denen sie mögliche Missverständnisse Pascal Brenneisen hat nur lobende Worte rat. Doch der Putschversuch scheiterte. vorab klären will. für Herzog übrig: «Ich erlebte Eva Herzog Am Ende stimmte eine Mehrheit der SP- Nach Autorisierung der Zitate und zu- als konziliante, konstruktive und lösungs- Delegierten für längere Amtszeiten und sätzlichen Fragen umfasst der Mailver- orientierte Politikerin.» Fetz blieb deswegen Ständeratskandida- kehr rund 30 E-Mails. Das Verhältnis zwi- tin. Herzog trat nicht gegen Fetz an. schen Herzog und Journalisten bleibt «… und schon habe ich Heute sagt Herzog: «Es wäre ein guter kompliziert. Zeitpunkt für einen Wechsel gewesen. Ich tageswoche.ch/+6j3jy × ein schlechtes Gewissen, war elf Jahre im Regierungsrat, für mich hätte jemand nachrücken können.» Es sei ANZEIGE weil ich ungehalten war, jedoch «keine Existenzfrage» gewesen, da ihr auch ihr Amt als Regierungsrätin gefal- sehen Sie, so ist es le und es ihr wichtig sei, die rot-grüne Erfahrener Mehrheit im Regierungsrat zu halten. Viel- Landschaftsgärtner immer!» leicht stelle sie sich 2019 als Ständerats- kandidatin zur Verfügung: «Das ist eine übernimmt sämtliche Herzog ist die Antithese zur SP-Stände- Option. Ich habe aber nie so weit geplant Gartenarbeiten inkl. rätin Anita Fetz. Fetz spricht laut und über- und bin damit bis jetzt recht gut gefahren.» all, wo es etwas zu sagen gibt. Herzog Das Gespräch in den Räumen der Abfuhr spricht leise und nur dort, wo sie etwas zu ­TagesWoche endet nach eineinhalb Stun- sagen hat – was natürlich mit ihrem Exe- den. Herzog stellt sich dem Fototermin. kutivamt zusammenhängt. «Ich kann auch freundlich schauen, wenn 076 572 40 40 Und ausgerechnet die leise Finanz­ Sie wollen», sagt sie zum Fotografen. Dann direktorin schielt auf die Nachfolge der eilt sie zum nächsten Termin.

TagesWoche 32/16 Fahr doch noch ein bisschen – aber nicht zu viel. Die UberApp motiviert zum Arbeiten, in den Verträgen aber mahnt die Firma zur Zurückhaltung. foto: nils fisch Fahrdienst 23 rern auch folgende Passagen «rechtsver- bindlich anerkennen»: Uber fordert seine Fahrer auf, nicht zu «Ich anerkenne und akzeptiere, dass ich für meine Tätigkeit als uberPOP-Fah- oft unterwegs zu sein. Es scheint, dass rer selbst verantwortlich bin, einschliess- lich aller rechtlichen Konsequenzen, die der Fahrdienst genau um die rechtlich aus einer Verletzung des Strassenver- kehrsgesetzes oder anderen gesetzlicher heikle Situation weiss. Bestimmungen (einschliesslich einer Ver- letzung des Strassenverkehrs-ARV 2), ­resultieren können. Ich anerkenne insbe- sondere, dass ich ausschliesslich selbst verantwortlich bin, meine konkreten Fahrzeugkosten und meinen Auslagen­ Uber mahnt ersatz zu berechnen, wenn ich Fahrten über eine Uber-Anwendung anbiete.» «Ich anerkenne und akzeptiere, dass eine Missachtung des Strassenverkehrs- gesetzes oder einer anderen gesetzlichen Fahrer: Fahrt Bestimmung (und insbesondere eine Ver- letzung von Artikel 3 ARV 2) zur Kündi- gung meines Vertrags führen kann.» Anders ausgedrückt: Auch diese Doku- mente legen nahe, dass Uber weiss, dass nicht so viel! viele UberPop-Fahrer die rechtlichen ­Bestimmungen von vornherein nicht er- füllen. Das Unternehmen ist sich offenbar auch bewusst, dass UberPop-Fahrer Geld verdienen können. Es klingt jedenfalls von Gabriel Brönnimann tieren. Doch Dokumente, die der Tages- ­anders als die offizielle Aussage, UberPop Woche vorliegen, zeigen: Der Konzern ist erfülle grundsätzlich «nicht die Vorausset- er US-amerikanische Fahr- sich des Problems sehr wohl bewusst. zungen für den berufsmässigen Personen- dienst Uber vertritt bei seinem transport». beliebtesten Angebot Uber- Vertragszusatz mit Brisanz Die Verantwortung für all die mögli- Pop in der Schweiz offiziell die Fahrer erzählen, dass sie einige Tage chen Gesetzesübertretungen sollen – DPosition, die Fahrer würden bloss zum nach Abschluss ihres UberPop-Vertrags jedenfalls laut dieser Zusatz-Erklärung – Spass und nicht wegen des Geldes herum- eine Art Vertrags-Update erhalten hätten. ausschliesslich die Fahrer tragen. fahren. Das hatte Uber auch der Tages­ Dieses hätten sie akzeptieren müssen, um Woche sinngemäss so mitgeteilt: weiter für Uber fahren zu können. Ein Fahrer, der Gäste «Da dabei nach Abzug aller Kosten im Im Vertrags-Update macht die Firma Durchschnitt keine Gewinne anfallen, ihre Fahrer auf mehrere Punkte aufmerk- ablehnt, wird ­erfüllt UberPop nicht die Voraussetzun- sam: Zuerst werden die wichtigen Schwei- gen für den berufsmässigen Personen- zer Gesetzesartikel zum berufsmässigen vom System bestraft. transport. Nicht nur die Fahrgäste sind Personentransport aufgelistet (ARV 2, Art. unsere Nutzer, sondern auch die Fahrer», 3 1bis und 1ter im Wortlaut). Dann folgt die- Der Versuch der rechtlichen Absiche- heisst es in einer Stellungnahme. se Klausel (Orthografie und Grammatik rung widerspricht der Geschäftslogik und gemäss Originaldokument): der Funktionsweise des Uber-Systems: Die Verantwortung «Ich habe verstanden und erkläre mich Die Uber-App für UberPop-Fahrer ist so damit einverstanden, dass ich als uber- konzipiert, dass sie möglichst viele Fahr- für mögliche Gesetzes- POP-Fahrer ohne eine Bewilligung zum ten unternehmen, möglichst ohne Unter- berufsmässigem Personentransport keine bruch. Wer Fahrgäste ablehnt, wird vom übertretungen sollen Personen berufsmässig im Sinne von Arti- System bestraft. kel 3 ARV2 transportieren darf. Insbeson- Wer sich nach getaner Arbeit auslog- ausschliesslich die dere habe ich verstanden und akzeptier­ e, gen will, den fordert die App auf, doch dass ich keinen wirtschaftlichen Erfolg er- noch ein bisschen länger zu fahren, doch Fahrer tragen. zielen darf und insbesondere nicht mehr noch einen Passagier mitzunehmen, nur als meine Fahrzeugkosten und meinen noch 10 Kilometer, damit die 100 voll sind. Das spielt deshalb eine Rolle, weil Auslagenersatz verdienen darf, wenn ich Das Geld, das liegt schliesslich auf der gemäss dieser Logik­ auch nicht eigens in Zeitabständen von weniger als 16 Tagen Strasse. ausgebildete Fahrer für UberPop unter- mindestens zweimal Personen transpor- Und sollte ein UberPop-Fahrer nach wegs sein können. Würde es sich bei Uber- tiere. Ich verpflichet mich hiermit, die 12 Stunden Fahrzeit – bei Personentrans- Pop um berufsmässigen Personentrans- Uber-Anwendung nicht dazu zu benutzen, porten in der Schweiz schon zwei Stunden port handeln, dann müssten die Fahrer einen solchen wirtschaftlichen Erfolg zu zu lange und damit verboten – noch wei- ausgebildet und ihre Fahrzeuge entspre- erzielen.» terfahren wollen, würde er nicht etwa chend ausgerüstet sein – was UberPop in Uber fordert seine UberPop-Fahrer ­ermahnt oder ausgesperrt. Die UberPop- seinen Verträgen seltsamerweise verlangt. also auf, sie sollten auf keinen Fall zu viel App kennt laut Aussagen von Uber-­ 15 Verfahren gegen UberPop-Fahrer sind zu fahren. Es könnte ja sonst tatsächlich Fahrern kein Zeitlimit. allein in Basel-Stadt hängig, weil die Poli- geschehen, dass man einen wirtschaftli- tageswoche.ch/+q9a1m × zei nicht glaubt, dass die Fahrer nicht ge- chen ­Erfolg erzielt. Und das wiederum werbsmässig unterwegs sind. wäre nämlich nicht legal im System Uber- Gegen aussen mag Uber Schweiz die Pop. Doch damit nicht genug: Wer für Gewerbsmässigkeit von UberPop demen- UberPop weiterfahren will, muss laut Fah-

TagesWoche 32/16 24 Strassenlärm Tier der Woche sich mit einer konventionellen Variante zu- frieden, die eine längerfristige Lärmreduk- Der Belag tion von nur noch 3 Dezibel verspricht. Auch Basel-Stadt startete einen Ver- such mit einem «hochmodernen» Flüster- flüstert nicht belag. Dieser wurde 2012 an einer 800 ­Meter langen Versuchsstrecke am Mor- ewig leise gartenring verlegt. Auch in anderen Stras- sen werden neue Flüsterbeläge getestet. von Dominique Spirgi «Die Beläge schneiden bislang besser ab, als erwartet», teilt Daniel Hofer, Beauf- under kann ein Flüsterbelag auf tragter für Öffentlichkeitsarbeit im Basler Strassen nicht vollbringen. Bau- und Verkehrsdepartement (BVD), auf Aber er kann den Strassenlärm Anfrage mit. «Gemäss den laufenden Be- Wreduzieren und die Behörden vor weiteren obachtungen reduzieren die stark lärm- Massnahmen, wie dem Einbau von Lärm- mindernden Beläge Pneugeräusche um schutzfenstern oder Temporeduktionen, bis zu 5 Dezibel gegenüber einem konven- bewahren. Aber nicht überall hält der Flüs- tionellen Belag.» Zeitungsenten terbelag, was man sich von ihm erhofft und der Anbieter verspricht. Basel klärt vertieft ab von Matthias Oppliger In der Sissacherstrasse in Gelterkinden Allerdings sei es noch zu früh für ein de- muss ein Flüsterbelag nach nur sechs Jah- finitives Fazit. Die lärmreduzierende Wir- ielleicht wars das Feuerwerk, das ren ersetzt werden. Der fast schon als revo- kung dieser Beläge könne sich laut Hofer die Entenküken auf dem Dach der lutionär angekündigte «neuartige» Belag mit zunehmendem Alter reduzieren. Auch V TagesWoche-Redaktion geweckt mit dem vielversprechenden Namen zeichne sich ab, dass die Beläge weniger und zum Schlüpfen bewegt hat. Auf jeden ­«Nanosoft» hatte eine kurze Halbwerts- robust sind als konventioneller Asphalt. Fall waren wir alle ziemlich überrascht, als zeit. Garantiert war eine Lärmreduktion Auch die Griffigkeit oder Rutschfestigkeit am Dienstagmorgen eine neunköpfige um 8,5 Dezibel. Bei den letzten Messungen müsse bei den stark lärmmindernden Entenfamilie durch den benachbarten war die lärmreduzierende Wirkung des Belägen noch vertieft abgeklärt werden. Park an der Spitalstrasse watschelte. Belags praktisch verflogen, wie der zu- Bis zum Abschluss des Pilotversuchs Zusammen mit einer kundigen Helfe- ständige Projektleiter des Tiefbauamtes wird der Kanton vorerst auf keinen weite- rin gelang es uns, die acht Küken einzufan- gegenüber der SDA sagte. ren Teststrecken stark lärmmindernde gen und zum Rheinufer zu transportieren, Glück für den finanzschwachen «Pilot- ­Beläge einbauen, sondern sich, wo es ­an- wo die Küken von ihrer Mutter empfangen kanton», dass der notwendige Ersatz in die gebracht ist, mit einem etwas weniger wurden. Und die Jungen stürzten sich Garantiezeit fällt und somit der Hersteller ­effektiven, aber bewährten Belag mit einer ohne zu zögern in die Fluten, wo sie an der Colas mit Sitz in Lausanne zur Kasse gebe- Lärmreduktion von 3,5 Dezibel begnügen, Seite der Mutter in heiler Eintracht davon- ten werden kann. Der neue Belag wird bis schreibt Hofer. schwammen: «Ente gut, alles gut.» 12. August eingebaut. Und der Kanton gibt tageswoche.ch/+7Xf78 × tageswoche.ch/+xhog0 ×

Gesehen von Tom Künzli

Tom Künzli ist als Illustrator für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften tätig. Der 41-Jährige wohnt in Bern.

TagesWoche 32/16 Medien Blocher will die BaZ verkaufen von Yen Duong und Matthias Oppliger

VP-Übervater Christoph Blocher plant offenbar seinen Rückzug von S der «Basler Zeitung»: Er will das Blatt verkaufen und sich auf ein neues ­Medienprojekt konzentrieren. Blocher hat Pläne für eine neue Gratis-Sonntags­ zeitung mit einer Auflage von 500 000 Ex- emplaren, wie der «Schweizer Journalist» berichtet. Als Chefredaktor seines Sonn- tagsblatts sei BaZ-Chef Markus Somm vorgesehen, schreibt Publizist Kurt W. Zimmermann. Geleitet werde Blocher neustes Medien- projekt von Rolf Bollmann, Verwaltungs- ratspräsident der «Basler Zeitung» und ehemaliges Tamedia-Geschäftsleitungs- Künstler Eric Hattan neben dem 25 bis 30 Tonnen schweren Findling. Foto: KEystone mitglied. Bollmann bestätigt im Artikel, dass «wir eine neuartige Idee für den Sonn- Kunst am Bau gen ist). Findlinge mit einem erheblichen tagsmarkt in der Schublade haben». wissenschaftlichen Wert seien gesetzlich Blocher und Bollmann führen laut dem geschützt, schreibt Schaub. «Schweizer Journalist» mit mehreren Ver- Findling bleibt Und beruhigt aber gleich wieder: «Kei- lagen Gespräche über die Zukunft der ne Angst, ich möchte den Baslerinnen und «Basler Zeitung». Im Vordergrund steht Baslern das Schmuckstück nicht wieder die Idee eines Abtausches der «Basler Zei- im geologisch wegnehmen», schreibt Schaub weiter. tung» gegen die Landzeitungen von Tame- «Der Findling ist schön, aber weder von dia. Tamedia soll die BaZ übernehmen, benachteiligten der Grösse noch von der mineralischen Blocher bekäme im Gegenzug Tamedias Zusammensetzung derart besonders, dass «Zürichsee-Zeitung», «Zürcher Unterlän- er von erheblichem wissenschaftlichem der», die Beteiligung am «Zürcher Ober- Basel Wert ist.» länder» und allenfalls den «Landboten», schreibt Zimmermann. von Dominique Spirgi Freundeidgenössisches Geschenk So könne der Kanton Aargau das geolo- Tamedia und Blocher streiten ab er Name «Unverrückbar» ist hier gische Objekt nachträglich freigeben. Bei Tamedia dementiert man zwar Programm. Dieses Kunstwerk Dies nicht zuletzt auch im Sinne einer nicht das Interesse an der BaZ, bestreitet D verrückt tatsächlich niemand freundeidgenössischen Tat: «Dies be- aber ein Tauschgeschäft. Tamedia-Spre- mehr. Im Rahmen der umfassenden trachten wir ohnehin als eine Art Kompen- cher Christoph Zimmer sagt: «Tamedia ­Sanierung und Erweiterung der St. Ja- sationsmassnahme für den geologisch ­arbeitet bereits seit den 1980er-Jahren mit kobs­halle hat der Basler Künstler Eric Hat- ­benachteiligten Kanton Basel-Stadt, denn der ‹Basler Zeitung› zusammen, unter tan unter einer tragenden Säule des weit- die Gletscher sind – nach heutigem Kennt- ganz verschiedenen Eigentümern. Wir läufigen neuen Foyers einen Grundstein nisstand – auch in der kältesten Phase der sind deshalb immer offen für Gespräche.» gesetzt. Keinen konventionellen Grund- Eiszeit halt nie weiter als bis nach Möhlin Entgegen den «verbreiteten Gerüch- stein wohlgemerkt, sondern einen über gekommen.» ten» sei der Verkauf oder Abtausch der 25 Tonnen schweren Findling. Unter dem Strich freut sich Schaub, der «Berner Zeitung» oder der Zürcher Lokal- Gefunden hat Hattan diesen Findling am Telefon unüberhörbar über Wurzeln in zeitungen laut Zimmer aber «kein Thema»: nach eigenen Angaben im Kanton Aargau, der Region Basel verfügt, über die promi- «Soweit wir das beurteilen können, steht genauer in der Gegend um Brugg. Ein nente Neusetzung des Findlings: «Es die ‹Basler Zeitung› nicht zum Verkauf.» grosser Granitbrocken, der vor vielen Tau- ­geschieht leider viel zu selten, dass geolo- In der BaZ-Redaktion selber weiss man send Jahren auf Gletschern vom Gotthard- gische Objekte derart gebührend in Wert nichts über die Pläne. massiv bis zu seinem Fundort getragen gesetzt werden wie dieser Findling, der die Die BaZ erlebt seit Jahren turbulente wurde. Hattan hat ihn per Zufall beim Vor- neue St. Jakobshalle als Kunstwerk zieren Zeiten. Im August 2010 wurde Markus beifahren aus dem Autofenster heraus ent- soll», schreibt er. Somm Chefredaktor. Blocher ist seit Juli deckt, wie er gegenüber der TagesWoche Und er weist darauf hin, dass der Künst- 2013 offiziell Mitbesitzer der BaZ. Vermu- erklärte. ler nicht zwei Jahre nach einem solchen tungen über sein Mitwirken im Hinter- Über die TagesWoche hat nun auch die Stein hätte suchen müssen, wie dieser grund hatten aber schon bei der Ernen- Abteilung für Umwelt des Kantons Aargau ­gegenüber der TagesWoche gesagt hatte: nung Somms zum Chefredaktor in Basel von der künstlerischen Umplatzierung «Ein Anruf bei unserer Fachstelle hätte für Empörung gesorgt. und -nutzung des Findlings erfahren. In ­genügt, und wir hätten ihm einige schöne Auch Christoph Blocher dementierte einem Brief weist Daniel Schaub, Leiter Stellen gezeigt.» die Meldung gegenüber «10 vor 10», ein der Sektion Grundwasser, Boden und tageswoche.ch/+5sbro × solches Projekt sei zu riskant. «Doch was Geologie, darauf hin, dass man Findlinge die Zukunft bringt, weiss ich noch nicht», nicht einfach ungefragt mitnehmen darf endete Blocher vielsagend. (was wegen ihrer Grösse normalerweise tageswoche.ch/+o7571 auch nicht gerade einfach zu bewerkstelli-

TagesWoche 32/16 Bildstoff 360° tageswoche.ch/360

Colorado Springs Finde den Schrei­ hals: Donald Trump präsentiert sich in seiner Kampagne mit künftigen ­Wählern – und die scheinen von seiner Kandidatur wenig begeistert. a C rlo Allegri/ Reuters

Sirte Vorbildlich, wie hier feuergewerkt wird, mit ausge­ strecktem Arm und abgewandtem Kopf. Die Welt­ öffentlichkeit darf hingegen nicht wegschauen beim anhaltenden Bür­ gerkrieg in Libyen. Goran Tomasevic/ reuters

Kalkutta Bei hinduistischen Hochzeiten werden Füsse in der Regel nicht kalt, sondern rot: Diese Inderin füllt einen Farb­ stoff ab, mit dem Frauen traditionel­ lerweise ihre Fuss­ sohlen betupfen. Rupak De Chowdhuri/ Reuters Sanaa Herrjemen! Da hat der Staat auf der Arabischen Halbinsel im Jahresmittel nur gerade 167 mm Niederschlag (Schweiz: 1537), doch wenn der Regen einmal kommt, wird sogar der Verkehr flüssig. Khaled Abdullah/ reuters

Peking Niederschwellig sollen Zukunfts- technologien sein: Wie der Nach- wuchs spielerisch an den Online- Konsum heran- geführt werden kann, zeigt diese Installation in einem chinesi- schen Kaufhaus. thomas Peter/ reuters 28 Georg Kreis Ein neuer Text für die Schweizer Hymne gibt zu reden. Statt Gott wird die Verfassung angerufen, was die Bewahrer wahrer Schweizer Werte auf die Palme treibt. Welche Hymne auf das Vaterland?

Online von Georg Kreis eine neue Hymne in Vorschlag gebracht che: In ihm findet keine Anrufung Gottes und sich vor dem 1. August sogar heraus­ statt. Das bringt einige der zumeist weitge­ er 1. August ist wieder einmal genommen, die Gemeinden zu ermuntern, hend säkularisierten Eidgenossen in Rage, vorbei. Wie ist er im ganzen dieses neue Lied einmal auszuprobieren. wird als unchristlich und womöglich als Lande gefeiert worden? Uns Der eben begangene Nationalfeiertag war Konzession an die muslimische Einwan­ wird vor allem berichtet, wel­ darum laut der NZZ auch ein «grosser derung missverstanden, als ob diese nicht tageswoche.ch/ Dche grösseren und kleineren Prominen­ Hymnen -Test». den gleichen Gott über sich sähen. themen/ zen wo aufgetreten sind und was sie gesagt Wie das so läuft, waren die Reaktionen Georg Kreis haben übers Vaterland und die Lage der gemischt. Neben wohlwollender Aufnah­ Die «böse» SGG sät Zwietracht Nation. Sodann, wie wunderbar gewisse me und Bereitschaft, Neues auszupro­ In der Tat «fehlt» im neuen Vorschlag Feuerwerke waren. Wie viele Menschen bieren, gab es auch geharnischte Abwehr der Aufruf zum Gebet und die zweifache versammelt waren und welche kleineren und Empörung. Und dazwischen breite Verschmelzung von Gott und Vaterland. Zwischenfälle es da gegeben hat. Und Gleichgültigkeit. Im Gegenzug sollte man sich daran erin­ ­natürlich das Wetter. Der Reformvorschlag kam in einer nern, dass die angerufenen Werte (Solida­ Eine ursprüngliche Gegebenheit des sorgfältigen Mischung zwischen Altem rität, Frieden et cetera) auch christliche traditionellen Festes ist schon längst auf­ und Neuem daher: zwar ein halbwegs neu­ Werte darstellen. gegeben worden: das als typisch schweize­ er Text, aber eine alte Melodie. Der Text Nicht verwunderlich, dass von der Sei­ risch verstandene Masshalten, das darin orientiert sich an der Einleitung (Präam­ te Sperrfeuer einsetzte, die bereits 1999 bestand, am Nationalfeiertag wie an ei­ bel) der vor 17 Jahren per Volksabstim­ ­gegen die Reform der Bundesverfassung nem Werktag zu arbeiten und am Abend mung eingeführten Bundesverfassung war. Leute, die permanent selbsternannt dann, mit sauberen Händen und sogar ein und will anstelle eines pathetischen Textes die Nation und mit ihr gleich das Abend­ bisschen her­ ausgeputzt, vor dem Feuer zu aus dem 19. Jahrhundert einen zeitgemäs­ land vor dem Untergang bewahren wollen stehen. Jetzt aber wird auch darüber dis­ sen Text für das 21. Jahrhundert zur Verfü­ und dabei die Schweiz spalten, warfen der kutiert, ob man sich nach dem 1. August ei­ gung stellen, in dem die zentralen Werte SGG vor, ohne Mandat zu handeln, Geld nen Tag frei nehmen soll, um ausschlafen der Gesellschaft an- und ausgesprochen (das kein Steuergeld ist) zu verschleudern zu können. beziehungsweise besungen werden: Frie­ und Zwietracht zu säen. Zur Abstrafung, den, Einheit in der Vielfalt, Freiheit, Soli­ so ein ernst gemeinter Vorschlag, soll der Versucht doch mal die neue Hymne darität, Unabhängigkeit, Sorge für die SGG sogar das Rütli entzogen werden, das Mit der betonten Schlichtheit wollte ­Umwelt, für die sozial Schwachen und sie seit über 150 Jahren treuhänderisch man sich in der Schweiz von den dröhnen­ künftige Generationen. verwaltet. den Feiertagen der Nachbarnationen Kurios, aber ebenfalls nicht verwun­ ­abheben, so die Erklärung des Bundesrats, Die neue Hymne stösst derlich, dass der SVP-Nationalrat und als er 1899 die nationale Jahresfeier ein­ «Weltwoche»-Redaktor P. K. aus Nidwal­ führte und ein Glockengeläut zu vorge­ auf wohlwollende den in dieses Horn stösst, obwohl er als schriebener Abendzeit anordnete. 1993 ist Historiker wissen müsste, dass es die SGG per Urnenabstimmung der Schweizer Aufnahme und gewesen ist, die den Kauf des Rütli ­ermö- ­Nationalfeiertag ein fast gewöhnlicher glichte, es dem Bundesrat schenkte und Festtag geworden, und dies ausgerechnet geharnischte Abwehr. sich von diesem eben zur Pflege gleichsam dank der Initiative einer rechtsnationalen zurückgeben liess. P. K., der sich bereits Kleinstpartei (der Schweizer Demokraten), Dazwischen: breite voriges Jahr wie ein Winkelried in die die sonst zeit ihrer Existenz gerne den feindlichen Lanzen geworfen hatte, mit Sonderfall verteidigte. Gleichgültigkeit. denen das überholte Marignano-Bild in­ Am eben gefeierten 1. August stand eine frage gestellt worden war, warf der SGG besondere Variante zur Verfügung: die Der neue Text kann es nicht gewesen nichts weniger als Demontage der neue Landeshymne. Die angesehene sein, der die Empörung verursacht hat. Schweiz vor. Doch ohne die Aktion der Schweizerische Gemeinnützige Gesell­ Vielmehr ist es das Ansinnen selber bezie­ SGG vor über 150 Jahren hätten wir jetzt schaft (SGG) hat im vergangenen Jahr hungsweise die Veränderung als solche. auf dem Rütli ein Resort mit Minigolf und nach einem breit angelegten Wettbewerb Der Text bietet allerdings eine Angriffsflä­ Rodelbahn.

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«Wie geht jetzt dieser neue Text?» Besucher der diesjährigen 1.-August-Feier auf dem Rütli. foto: keystone

In den meisten der rund 2300 Gemein- Helvetia» und das jetzige «Morgenrot» Dazu nur ein Beispiel: 1998 – man feier- den dürfte, wenn überhaupt, die Landes- und «Strahlenmeer». te gerade 150 Jahre Bundesstaat – lancier- hymne in der bestehenden Version in den Jedenfalls ist die Hymne nichts Selbst- te eine kleine Stammtischrunde im Wirts- vaterländischen Himmel gestiegen sein. verständliches, von der Geschichte ein- haus Winkelried von Wettingen (AG) eine In der Bundeshauptstadt, die auch eine fach Gegebenes. Erst spät, 1961, und neue Hymne. Gesponsert war die Aktion Gemeinde wie jede andere ist, gab es zwei ­zunächst zögernd als «befristeter Versuch» vom Stumpenfabrikanten Heinrich Villi- Strophen «Trittst im Morgenrot daher» beschloss der Bundesrat, welche Variante ger (Bruder des damaligen Bundesrats). und als dritte Strophe neu «Weisses Kreuz die offizielle, das heisst in seinem Zustän- Unser Mafia-Jäger aus dem Appenzelli- auf rotem Grund». In Hombrechtikon ZH digkeitsbereich (in der Armee und bei schen hätte gegen eine solche Aktion kei- ist das Neue nach vier alten Strophen zum Staatsempfängen) und wohl auch in der nen Schuss abgegeben. Zug gekommen. Welt des Sports zu spielende sei. Zuvor Auf dem Rütli hatten die Gäste die alte ­waren die vielen und wichtigen Gesangs- Warum nicht nur eine Melodie? Version in den vier Landessprachen anzu- vereine zu konsultieren. Bei der derzeitigen Hochkonjunktur stimmen, bevor der Schweizer Jugend- der Volksinitiativen könnte man – wie zur chor die neue Version vortrug. Deren Auf- Die Hymne ist nichts Rettung des Bankgeheimnisses auch zur nahme war gemäss «Bote der Urschweiz» Rettung der im Moment geltenden Lan- bei den 1400 Gästen freundlich: «Der Text Selbstverständliches, deshymne – eine Unterschriftensamm- gefiel durchaus, der Applaus war recht lung lancieren. Ein solches «Gottesurteil» grosszügig und niemand fühlte sich von der Geschichte könnte allerdings auch eine Verarmung bedrängt, man hörte einfach mal zu.» bedeuten, denn die ewigen Diskussionen Im sankt-gallischen Uzwil liess es sich einfach Gegebenes. um die richtige und beste Landeshymne CVP-Regierungsrat B. W. nicht nehmen, gehören so sehr zum Nationalfeiertag wie seine Festansprache mit abwertenden Be- H. S., der im Appenzellischen wohnhaf- das 1.-August-Feuer. merkungen über die neue Landeshymne te Vizedirektor des Gewerbeverbandes Es gäbe ja auch die Lösung, wie es zu garnieren. Und auf dem Bruderholz in und ehemaliger Unternehmensberater ­Spanien tut, auf jeglichen Text zu verzich- ­Basel? Der für die Feier verantwortliche rückt die Initiative der SGG in die Nähe ten, sich mit der Melodie zu begnügen. Vorstand diskutierte die Frage und des Mafiösen, bezeichnet sie als arrogante Das wäre für den einen oder anderen Spie- ­beschloss, einzig die «offizielle Version» Aktion eines privaten Vereins. Solche ler der Fussball-Nationalmannschaft eine singen zu lassen, nicht aufgrund einer überrissenen Reaktionen sind symptoma- Erleichterung – und ist beim Hissen der ­inhaltlichen Beurteilung, sondern aus for- tisch für die Exponenten des rechtsnatio- Olympiafahnen für andere Sportarten mellen Gründen. Ein Engagement für die nalen ­Milieus, die selber als private Akteu- gang und gäbe. neue Variante, so die Bedenken, hätte als re weit arroganter auftreten als die atta- Harry Ziegler, Chefredaktor der «Zuger Provokation oder Zwängerei empfunden ckierte SGG, die ihren Vorschlag in ­einem Zeitung», hat sich ebenfalls mit der wichti- werden können. sehr breit abgestützten, sozusagen demo- gen Hymnenfrage befasst und ist zu einem kratischen Prozess entwickelt hat. salomonischen Urteil gekommen: Ihm ist Wechselvolle Geschichte der Hymne In den vergangenen Jahren sind, weil es völlig egal, ob das «Dahertreten im Mor- Die Schweizer Landeshymne hat be- die offizielle Hymne offenbar zu wenig genrot» oder das «Weisse Kreuz auf rotem reits eine wechselvolle Geschichte hinter ­befriedigt, zahlreiche private Verbesse- Grund» zum Zug kommt. Hauptsache sei, sich. Da gibt es die Variante des lange Zeit rungsvorschläge vorgelegt worden. In der dass an den kommenden Spielen von Rio populärsten «Rufst du, mein Vaterland», Regel von Printmedien oder Wirtschafts- die Hymnenmelodie mindestens fünfmal sodann das in jüngerer Zeit vor allem von unternehmen, die sich davon einen PR-­ zu hören sei. den Rechtsextremen gesungene «Heil dir, Effekt versprachen. tageswoche.ch/+h0h17 ×

TagesWoche 32/16 30

Fischer Stratis Valiamos hat vielen Flüchtlingen das Leben gerettet. Nun brauchen er und seine Familie selber Hilfe. foto: Hauke Heuer

Held von Lesbos Der Fischer Stratis Valiamos rettete vielen Flüchtlingen das Leben und ist nun für den Friedensnobelpreis nominiert. Dennoch fürchtet er wie viele auf Lesbos um seine Existenz. «Was nützt uns der ­Nobelpreis, wenn keine Touristen kommen?»

TagesWoche 32/16 31 Beim Auswerfen der Fangleinen deutet als jetzt. Und seine Ruhe hat man in jedem Valiamos auf einen Punkt im Meer, etwa Fall auch.» 30 Meter entfernt, als gäbe es dort einen Fischer sind in Griechenland zu Fixpunkt. ­Lebensrettern geworden, aber davon «Da ist im Oktober ein Boot mit rund ­haben sie nicht viel – ihr Engagement wird 30 Leuten gekentert. Wir haben alle raus­ zwar geschätzt, die Touristen bleiben aber geholt. Die meisten stammten aus Eritrea aus, und Hilfe von der EU ist auch keine und konnten nicht schwimmen», erinnert in Sicht. sich der Grieche. Und fügt, als müsste er Rund drei Viertel der gut 85 000 sich erklären, hinzu: «Im Winter bläst der ­Bewohner von Lesbos leben direkt oder Wind und die Wellen sind viel höher.» indirekt vom Tourismus. Laut der Behör- de für Fremdenverkehr könnte die Bran- Das Wasser voller Babys che auf der Insel in dieser Saison 20 Milli- Später zeigt er auf ein anderes Fischer- onen Euro Verluste machen. boot in etwa 500 Metern Entfernung: «Da hinten sind im letzten Sommer zwei gros- «Wir haben monatelang se Schlauchboote voller Frauen und Kin- der gesunken. Das ganze Wasser war voller geholfen. Jetzt brauchen Babys und Kleinkinder. Davon träume ich heute noch.» wir Hilfe.» Dann reisst eine der Fangleinen mit den Plastikködern und Valiamos gehen Periklis Antoniou, wieder seine eigenen Nöte durch den Präsident des Hoteliersverbandes Kopf: «Das sind immer ein paar Euro. Das können wir uns im Moment nicht leisten», «Im Mai wurden 90 Prozent weniger sagt er und zündet sich mit zittrigen Fin- Zimmer gebucht als noch im Vorjahr. gern eine Zigarette an, um gleich wieder Trotz einiger Kurzentschlossener, die die ein demonstratives Lächeln aufzusetzen. günstigen Preise nutzen, kann von einer Der Mann, der neben einem Kollegen Entspannung keine Rede sein», sagt Peri- und einer älteren Frau aus dem Nachbar- klis Antoniou, Präsident des Verbandes dorf für den Friedensnobelpreis nomi- der Hoteliers der Insel. «Früher landeten niert wurde, stellvertretend für die Bewoh- hier täglich 23 Flugzeuge, heute sind es ner der Insel – dieser Mann fürchtet um sieben.» Antoniou fordert Unterstützung seine Existenz. von der EU und vom griechischen Staat: Valiamos’ Familie betreibt neben der «Wir haben monatelang geholfen. Jetzt Fischerei, die immer weniger abwirft, ein brauchen wir Hilfe.» Restaurant mit 50 Plätzen gleich am Doch die kommt nicht. Stattdessen ­Hafenbecken. Seitdem die Meldungen steigt der Druck. von Flüchtlingsbooten und Hunderten von Toten in der Ägäis um die Welt gingen, Die Mehrwertsteuer drückt bleiben die Stühle leer. Um Finanzhilfen von der EU zu erhal- Fischer Stratis Valiamos hat vielen Flüchtlingen das Leben gerettet. Nun brauchen er und seine Familie selber Hilfe. foto: Hauke Heuer «Wir beschäftigen normalerweise sie- ten, wurde bereits im Juli vergangenen ben Kellner. In diesem Jahr reicht das Jahres die Mehrwertsteuer für die meisten von Hauke Heuer / n-ost Geld nicht einmal für uns», erklärt Valia- Produkte und Dienstleistungen von 13 auf mos und fügt nicht ohne Verbitterung 23 Prozent angehoben. Im Juli erfolgte bei as wird ein guter Abend, sagt ­hinzu: «Wenn die Touristen nicht bald Lebensmitteln und Getränken eine weite- Stratis Valiamos aus dem Dorf wiederkommen, müssen wir das Restau- re Erhöhung auf 24 Prozent, was das Gast- Skala Sikamineas auf Lesbos. rant verkaufen. Was nützt uns dann der gewerbe besonders trifft. Zusätzlich soll Der 40-Jährige schaut prüfend Friedensnobelpreis?» ab 2018 in ganz Griechenland je nach Kate- Derst in den klaren Himmel und dann auf gorie der Unterkunft eine zusätzliche die ruhige Wasseroberfläche, auf der die Die Fischer sind in ­Gebühr zwischen zwei und vier Euro pro letzten Sonnenstrahlen tanzen. Übernachtung fällig werden. Der Fischer wirkt ein wenig wie ein Griechenland zu Dem Fischer Valiamos bleibt da nur Cowboy, der seine Lederboots gegen eine Möglichkeit: «Ich fahre so oft wie Gummistiefel und seinen Zahnstocher ge- ­Lebensrettern geworden. möglich raus und hoffe auf den grossen gen einen Strohhalm eingetauscht hat, auf Fang», sagt er, breitet lachend die Arme dem er unablässig kaut. Doch davon haben­ sie aus und misst in der Luft einen grossen Erst zweimal in seinem Leben hat er Thunfisch. Lesbos verlassen, um Verwandte in Thessa- nicht viel. Am Ende der Tour befinden sich gera- loniki zu besuchen. «Das hier ist mein de mal zwei Kalamaris, rund zehn Euro Zuhause», sagt er, steuert sein kleines Ähnlich ergeht es Stelios Poulos, der im wert, in seinem weissen Plastikeimer. Vali- weisses Motorboot aus dem Hafen und Norden von Lesbos ein Restaurant be- amos lag falsch mit seiner Intuition, Ent- grüsst einen älteren Kollegen, der auf der treibt und Zimmer vermietet. Mittags um täuschung steht ihm im Gesicht: «Das war Mole hockend ein Netz repariert. 13 Uhr sitzt er allein zwischen Dutzenden gar kein guter Abend.» Der Motor dreht auf und das Boot leeren Tischen, raucht und schaut hinaus tageswoche.ch/+0567k × wühlt sich schäumend nordwärts, wo sich aufs Meer. die türkische Küste in etwa sieben Kilo­ «Hier in Petra sind nie Flüchtlinge metern Entfernung zum Greifen nah er- ­angekommen. Trotzdem bleiben die Gäs- hebt. Auf halber Strecke stellt Valiamos te aus. Auf Lesbos sitzen wir alle in einem den Motor ab. «Vielleicht sind wir schon in Boot», sagt der Gastronom und fordert Asien, aber das ist den Kalamaris egal», die Touristen aus Mitteleuropa auf, ­erklärt er und lacht schelmisch. wieder zuk­ ommen: «Nie war es günstiger

TagesWoche 32/16 32 Krim von Simone Brunner Der Kreml baut die Ferienanlage Artek in Gedicht aus Meer, Sand- strand und Fels: Wie ein Wal neu auf. Doch daran haben selbst Putin- taucht der sanfte Bergrücken des Aju-Dag aus dem Schwar- treue Krimbewohner keine Freude. Ezen Meer, um die Bucht von Hursuf nach Norden abzuschliessen. Richtung Süden ragen zwei felsige Inseln wie Trutzburgen aus dem Türkis des Meeres. «Schön bist du, Tauriens Gestade, wenn vor dem Schiff im Morgenstrahl du aufsteigst aus dem Ein Paradies Meerespfade», schrieb der russische Dich- ter Alexander Puschkin schon 1820 über diese Bucht. Die Jugend-Ferienanlage Artek liegt an der Südküste der Krim, eine halbe Auto- für die Kinder stunde von der Schwarzmeerstadt Jalta entfernt. Der Direktor Aleksej Kasprschak, ein gebräunter End-Dreissiger mit schul- terlangem Haar und Sonnenbrille, führt durch die Anlage. Gläserne Wohnheime, des Kremls Sportanlagen und üppige Alleen säumen die Strasse. Das Meer funkelt in der Juli- Sonne. «Wir wollen, dass die Kinder das Lager als selbstbewusste und nützliche Mitglieder der Gesellschaft verlassen», doziert Kasprschak. Die Geschichte von Artek ist eine wech- selvolle. 1925 als Erholungsheim für Kin- der im Bürgerkrieg gegründet, entwickel- te sich Artek in der Sowjetunion zu einem bekannten Sommerlager der sowjeti- schen Jugendorganisation der «Pioniere.»

Ferienstimmung für Russenkinder, Zäune für Einheimische: Das Lager Artek spaltet die Krim. foto: Simone Brunner 33 Mit der Unabhängigkeit der Ukraine 1991 tasiere!» – «Lebe!» – «Respektiere!», steht Expansion des Kinderlagers gesammelt, wurde das Lager ukrainisch. auf Hauswänden und Schautafeln. sich mit Beschwerden an russische Insti- Seit der russischen Annexion 2014 wird Meterhohe Zäune durchziehen das tutionen und Parteien gewandt. das Ferienlager wieder von Moskau kont- Ortsgebiet mit Plakaten von lachenden rolliert. Die ukrainische Rechtsauffassung Kindern in bunten Artek-Uniformen, ihre «Wir sind nicht ist eine andere: Mit der ­Annexion der Halstücher nach Pionierart um den Hals Krim wurde das Kinderlager – wie auch geknotet. Artek ist nicht nur ein Kinder­ gegen Russland, sondern die gesamte staatliche Infrastruktur auf lager, sondern Nostalgie einer unterge- der Halbinsel – rechtswidrig enteignet. gangenen Welt. Ständig werden neue gegen die ­Methoden der Wohnheime mit Glasfronten und bunten «Das beste Kinderlager der Welt» Wänden aus dem Boden gestampft. Bis Beamten.» Die Kreml-Führung feiert das Kinder- 2020 sollen 21 Milliarden Rubel (320 Milli- lager indes als russische Erfolgsstory. onen Franken) an staatlichen Mitteln in Zuletzt hat Barischnikow mit vier wei- Kremlnahe Medien porträtieren das Lager den Ausbau des Lagers gesteckt werden, teren Anrainern sogar eine Klage vor dem als einen «Traum», als «Jugend-Paradies» erzählt der Direktor. Kreisgericht in Simferopol eingebracht. wird es von Moskauer Beamten bezeich- Seit der Annexion der Krim sind die «Unsere Kinder werden das Meer künftig net. Der Direktor Kasprschak selbst wurde Besucherzahlen explodiert: Von 6000 im nur noch vom Zaun aus sehen. Das werden von seinem Posten als Vize-Gouverneur Jahr 2014 auf 20 000 Kinder im vergange- wir nicht zulassen», hat sich sein Kollege im zentralrussischen Twer abgezogen, um nen Jahr. Bis 2020 sollen hier jährlich Juri Skotik in einer Youtube-Botschaft «das beste Kinderlager der Welt», wie es 40 000 Kinder zwischen acht und 17 Jah- ­direkt an Putin gewandt: «Wir sind nicht auf der Website steht, zu leiten. ren zu «Patrioten ihres Landes» ausgebil- gegen Russland, sondern gegen die Die 90-Jahr-Feier nahm der russische det werden, wie es auf der Website heisst. ­Methoden der Beamten.» Premier Dmitri Medwedew persönlich ab. Kostenpunkt: 65 000 Rubel, umgerechnet Mit «Strojgasmontasch», dem Unter- Die schillernde Pressesekretärin des Aus- rund 920 Franken, für eine «Putjowka», nehmen von Arkadi Rotenberg, wurde aus- senministers, Maria Sacharowa, beteilig- ­einen Aufenthalt von drei Wochen. gerechnet ein Putin-naher Oligarch mit te sich dieser Tage an den allmorgendli- Doch mit der Expansion ist es in der dem Ausbau des Ferienlagers ­beauftragt. chen Turnübungen und kochte mit den malerischen Bucht von Hursuf eng gewor- Die Ansprüche der Anrainer von Hursuf Artek-Zöglingen chinesischen Tee als Zei- den. 40 zusätzliche Hektar Land hat der würden «den Sicherheitsanf­ orderungen chen der neuen Allianz zwischen Moskau Krim-Premier Sergej Aksjonow der Artek- des Objektes mit einem Kontingent von und Peking, von zahllosen russischen Führung für seine Expansion per Verord- mehreren tausend Kindern» widerspre- Fernsehstationen begleitet. nung zugesprochen. Dass darunter zwei chen, teilt die Pressestelle mit. Für den Das Kinderlager ist auch im Ort Hursuf öffentlich zugängliche Strände, zwei Strandzugang sieht Artek hingegen die mit seinen knapp 9000 Einwohnern allge- Friedhöfe sowie zahlreiche Zufahrtsstras- ­lokalen Behörden in der Pflicht. genwärtig. «Schaffe!» – «Handle!» – «Fan- sen fallen und ausserdem 1500 Personen umgesiedelt werden sollen, hat für Unmut Der Unmut steigt unter den Anrainern gesorgt. «Seit diesem Der Protest gegen Artek ist auf der Krim Ferienstimmung für Russenkinder, Zäune für Einheimische: Das Lager Artek spaltet die Krim. foto: Simone Brunner Jahr werden wir an den Checkpoints des kein Einzelfall. Immer wieder regt sich Kinderlagers nicht mal mehr durchgelas- Unmut gegen die Projekte der neuen sen», empört sich Igor Barischnikow, ein Machthaber. So ist es auch im Kap Fiolent Mann mittleren Alters. nahe Sewastopol zu offenem Widerstand gegen die illegale Aneignung von Artek ist nicht nur ein ­öffentlichen Stränden gekommen. Die Bewohner beziehen sich im Kampf auf de- Kinder­lager, sondern mokratische Grundrechte, an die sie sich in den 23 Jahren unter der Ukraine ge- Nostalgie einer unterge- wöhnt haben – wie die Versammlungs- und Pressefreiheit –, die aber in Russland nur gangenen Welt. sehr eingeschränkt gelten: Da eine De- monstration in Hursuf selbst verboten Dass Russland auf der Krim legitim die wurde, mussten die Aktivisten Ende Juni Macht übernommen habe, daran hat im knapp 20 Kilometer­ entfernten Jalta ­Barischnikow keinen Zweifel. Er ist ein ­demonstrieren. Bei ­einem Lokalaugen- glühender ­Anhänger der «Heimholung schein mit einem Fernsehsender wurden der Krim.» So sehr, dass er den russischen Barischnikow und Skotik daraufhin wegen Präsidenten auch heute noch, zweieinhalb «Aufruf zu Massen­unruhen» verhaftet. Jahre nach der Annexion der Krim, beim Das Material wurde im lokalen Fernse- Wort nehmen möchte. hen nie ausgestrahlt. Während Premier «Präsident Wladimir Putin hat uns ver- Aksjonow bereits eingeräumt hat, das Ter- sprochen, dass wir nach dem Referendum ritorium unrechtmässig übergeben zu nicht schlechter leben werden als vorher.» ­haben, schweigt Moskau – und lässt die Doch inzwischen spricht Barischnikow so- ­Artek-Führung gewähren. Barischnikow gar von «Krieg». Damit meint er nicht den ist mit seinem Latein langsam am Ende. bewaffneten Konflikt im mehr als 600 Ki- «Wir wissen nicht, was wir noch tun sollen, lometer entfernten Donezk, sondern den damit wir endlich angehört werden!» Kampf mit der russischen Bürokratie. «Russland braucht ein Paradies», soll Barischnikow und seine Mitstreiter der Fürst Potemkin zu Katharina der Gros- ­haben keine Gelegenheit ausgelassen, sen gesagt haben, ­bevor er Ende des ­ihrem Unmut Gehör zu verschaffen. In 18. Jahrhunderts die Halbinsel Krim an- zahlreichen Treffen haben sie den Premi- nektierte. Paradies oder Potemkinsches er der Krim, Sergej Aksjonow, mit der «ille- Dorf – was die Bucht von Hursuf heute ist, galen Aneignung» in Hursuf konfrontiert. zeigt den Krim-Bewohnern erst die Zukunft. 5000 Unterschriften haben sie gegen die tageswoche.ch/+abuzj × Beschränken Sie die Monsterjagd auf die Freizeit – sonst haben Sie vielleicht bald mehr Freizeit, als Ihnen lieb ist. foto: reuters

Wirtschaft Pokémon Go gefährdet die Wertschöpfung: Fanatische Spieler jagen auch bei der Arbeit nach virtuellen Monstern. Die private Handynutzung im Job wird zum Problem. Pokémons sind Produktivitätskiller

TagesWoche 32/16 35 von Adrian Lobe verbieten. Zwar wird kaum ein Vorgesetz- um Aufmerksamkeit konkurrieren. Die ter etwas dagegen haben, wenn der Ange- Jagd nach virtuellen Monstern oder das ie Welt ist im Pokémon-Fieber. stellte gelegentlich seine Facebook- oder Chatten mit Freunden ist nur vordergrün- Millionen Menschen irren mit Whatsapp-Nachrichten checkt, sofern er dig eine Freizeitbeschäftigung. In der Auf- ihren Smartphones durch die sein ­Arbeitspensum erfüllt. ochD wenn merksamkeitsökonomie geht es darum, Städte auf der Jagd nach die Smartphone-Nutzung exzessiv wird, unsere Zeitkonten in Besitz zu nehmen. DMonstern und Pokébällen. An jeder Ecke kann das eine Kündigung rechtfertigen Der Datenjournalist Mark Fahey rech- werden Pokéstops platziert, an denen die und sogar­ strafrechtliche Konsequenzen nete in einem Artikel für den Sender Spieler Monster fangen können. Es gleicht wegen Arbeitszeitbetrugs nach sich zie- «CNBC» vor, dass Facebook allein in den einer virtuellen Schnitzeljagd. Firmen ver- hen. Das Problem ist, dass der Arbeitgeber USA für einen hypothetischen jährlichen schenken Gutscheine, wie der Mineralöl- – wenn er den Angestellten nicht gerade bei Produktivitätsverlust von annähernd konzern Exxon Mobil, der Tankgutschei- der Pokéball-Jagd in den Fluren ertappt – 900 Milliarden Dollar verantwortlich ist. ne an Pokémon-Spieler verteilt, die Tiere die private Handynutzung am Arbeits- Das entspricht dem anderthalbfachen an Esso-Tankstellen einfangen. platz schwerlich nachweisen und schon Bruttoinlandsprodukt der Schweiz. Legt Laut dem Analysedienst Sensor Tower gar nicht kontrollieren kann. man eine durchschnittliche Nutzungszeit verbringen iPhone-Nutzer in den USA im von 20 Minuten am Tag und den derzeiti- Schnitt 33 Minuten pro Tag mit Pokémon Amerikaner verbringen gen Mindestlohn in den USA von 7,25 Go – mehr als auf Facebook (22 Minuten), Dollar pro Stunde zugrunde, käme man oder Twitter (18 Minuten). Die Erhebung pro Tag 5,6 Stunden mit auf einen hypothetischen Verdienstausfall wurde am 11. Juli 2016 durchgeführt, ei- von 882 Dollar pro Jahr und Beschäftigtem nem Montag, also einem repräsentativen digitalen Medien. (hypothetisch, weil der Arbeitnehmer ja Werktag. Laut einer Statistik der Analytics- trotzdem produktiv sein kann, indem er Firma SimilarWeb wurde die Spiele-App Laut einer Untersuchung der Risikoka- effizienter arbeitet). in den USA am 8. Juli, dem davorliegenden pitalgeber Kleiner Perkins Caufield & Man muss dabei die Frage stellen, ob Freitag, im Durchschnitt 43 Minuten lang ­Byers (KPCB) verbrachten erwachsene wir heute noch vollumfänglich für unsere genutzt. Die unterschiedlichen Zahlen ­US-Amerikaner 2015 im Durchschnitt 5,6 Arbeitgeber tätig sind oder schon im müssen kein Widerspruch sein, sondern Stunden pro Tag mit digitalen Medien. Das Dienste der Tech-Giganten stehen. Indem könnten sich dadurch erklären, dass ge- ist mehr Zeit als ein Halbtagsjob. Das wir Fantasiefiguren suchen oder chatten, gen Ende der Woche die Konzentration ab- Smartphone-Spiel Pokémon Go wird geben wir kostenlos Daten preis und und die Zerstreutheit zunimmt. Die Jagd ­gewiss Zeitkontingente von Facebook oder e ­rbringen gegenüber Facebook oder Nin- nach virtuellen Monstern kann da eine Twitter auffressen. Doch in diesem Licht tendo eine Arbeitsleistung. Der Lohn ist willkommene Ablenkung vom drögen wird deutlich, dass die Tech-Konzerne und dabei der Spass. ­Berufsalltag sein. Unterhaltungsindustrie mit ­Arbeitgebern tageswoche.ch/+w3tsk × Dabei könnte sich Pokémon Go als ­veritabler Produktivitätskiller erweisen. ANZEIGE Denn die Gamer spielen nicht nur in ihrer Freizeit, sondern auch auf der Arbeit. In ­einer repräsentativen Umfrage, die das Wirtschaftsmagazin «Forbes» durchführ- te, gab ein Drittel der gut 66 000 Befragten an, mehr als eine Stunde Pokémon Go AUTHENTICA während der Arbeit zu spielen. Ob hinterm Kopierer oder neben der Tastatur – so mancher Gamer jagt selbst im Büro virtu- ellen Monstern nach.

Verspätung wegen Monsterjagd Das dürfte die Vorgesetzten nicht gera- de erfreuen. Auf Twitter posteten Beschäf- tigte munter über ihr Zuspätkommen auf der Arbeit, weil sie noch mit der Jagd nach virtuellen Monstern beschäftigt waren oder an Pokéstops hielten. Im Internet machte ein Warnhinweis die Runde: «Sie werden dafür bezahlt zu arbeiten und 19.–21. nicht den ganzen Tag fiktionalen Video- spiel-Charakteren mit ihrem Smartphone August hinterherzujagen. Heben Sie es für Ihre Mittagspause auf. Ansonsten haben Sie genügend Zeit als Arbeitsloser, sie alle ­einzufangen.» Spezialitäten & Kunsthandwerk Ein Neuseeländer kam dem zuvor und kündigte seinen Job als Barkeeper in von Schweizer Kleinproduzenten Auckland, um sich im ganzen Land auf die Suche nach allen 151 Fantasiefiguren zu machen. 20 Busfahrten hat der «Vollzeit- monsterjäger» dafür gebucht. FILTER4 | BASEL Arbeitsrechtlich ist die Sache klar: Die private Nutzung des Smartphones am Fr bis Sa 11:00 – 19:00 Uhr | So bis 17:00 Uhr | Eintritt: Fr. 8.–, bis 16 J. gratis ­Arbeitsplatz bedarf der Einwilligung des Arbeitsgebers. Der Arbeitgeber kann die authentica.ch Handy-Nutzung einschränken oder sogar

TagesWoche 32/16 36 Olympische Spiele ker und Behörden; und die machten für Olympia eben das, was sie in Brasilien Die Olympischen Spiele waren immer sonst auch meist tun: Klientelpolitik für die Elite. widersprüchlich, unvollkommen und Natürlich gibt es berechtigte Kritik. Die Spiele sind längst um mehr als nur ein paar am Gängelband der Weltpolitik. Events zu gross geraten. Ihre Verantwort- lichen ducken sich immer wieder vor auto- ritären Regimes. Manche Entscheidun- gen senden katastrophale Signale wie jene, dass ausgerechnet die Enthüllerin des russischen Doping-Netzwerkes, Julia Ste- Eine Zeit der panowa, für ihren Mut letztlich mit dem Ausschluss bestraft wird. Aber desavouiert das wirklich die gan- ze Idee? Was taugt denn letztlich besser zur Schule des Lebens als der Sport? Und Unschuld hats wie kam es eigentlich zu der aktuellen Lage, in der das Doping den Sport schon deshalb in seinen Grundfesten erschüttert, weil es ein Misstrauen sät, das eine «freundschaftliche Rivalität» zwischen der nie gegeben «Jugend der Welt» oft unmöglich macht? Diese und viele andere Ideale hat der Begründer der modernen Spiele, Baron Pierre de Coubertin, einst formuliert. Er hatte viele gute Absichten, er verbot sogar den Medaillenspiegel, weil aus seinem Be- gegnungsfest kein Wetteifern der Natio- nen werden sollte. Doch angesichts seiner von Florian Haupt Welt – bisweilen überwältigend, oft müh- eigenen Überhöhung des «Olympismus» sam, aber vor allem widersprüchlich, zur «Religion» dauerte es nicht lange, lympische Spiele haben im- nicht perfekt, kompliziert. Wer das IOC bis genau das geschah. Das faschistische mer ihre Zeit abgebildet. Man dafür verteufelt, dass es nicht mit einem Italien und das nationalsozialistische muss sich dafür nur ihre Stars Rauswurf der ganzen russischen Delegati- Deutschland erschufen den «Staatsathle- aus der dominanten Sport- on ein flammendes Exempel im Antido- ten». Die kommunistischen Regimes zo- Onation anschauen, den USA. Muhammad pingkampf statuierte, der muss sich schon gen später nach und setzten mit dem Ali oder Bob Beamon standen für gesell- auch fragen lassen, wie er es mit dem fun- «Kampf der Systeme» (Ostblock gegen den schaftliche Revolution und Aufbruch. damentalen rechtsstaatlichen Prinzip der Westen) eine Spirale in Gang, die das Carl Lewis oder Michael Jordan für eine li- Einzelfallprüfung hält. Und wer die Spiele ­Doping wenn nicht erfunden, dann neare, unerschütterliche amerikanische in Volksentscheiden ablehnt, der darf zumindest fundamental begünstigt hat. Hegemonie. Der grösste US-Athlet dieser auch mal darüber nachdenken, ob die Tage – und erfolgreichste Olympionike al- Funktionäre wirklich mehr Schuld an fal- Es fehlt nur noch die Formel 1 ler Zeiten – kommt hingegen aus der Reha- scher Stadtplanung in Olympiastädten Die weitverbreitete Betrachtung der bilitation von Alkohol- und Spielsucht tragen als die zuständigen Politiker. Spiele als nationale Prestigeangelegenheit nach Rio de Janeiro: Michael Phelps steht hat das Ende der Blockkonfrontation für Brüche und Zweifel, für eine Epoche Der Kampf des Ostblocks überlebt. Neben Medaillenquoten und der Unsicherheit. subventionierten Athleten fördert ausser- Terrorismus, Krisen, Korruption – was gegen den Westen hat dem die Kommerzialisierung die Verlo- für ein anmassender Gedanke ist es, zu ckung zum Betrug – auch dieser Standard- glauben, das grösste Sportspektakel der das Doping wenn nicht vorwurf an das IOC ist ebenso zutreffend, Welt könnte sich davon frei machen, und wie er einer historischen Einordnung be- sei es nur für zwei Wochen «olympischen erfunden, dann doch darf. Die Olympier haben lange versucht, Frieden». Oder gar die Idee, es könnte die das Amateurideal aufrechtzuerhalten, so Probleme einer Stadt wie Rio und eines zumindest begünstigt. lange, bis sie dafür als ewiggestrige Aristo- Kontinents wie Lateinamerika lösen, die kraten verspottet wurden. Letztlich muss- Generationen von Politikern nicht gelöst Rio de Janeiro ist insofern ein ganz gu- ten sie sich auch in diesem Punkt der Zeit bekamen. tes Beispiel. Die durch die Spiele eröffne- beugen. ten Chancen sind grandios vertan worden. Dass die Entwicklung längst ins andere Chancen grandios vertan Anstatt ärmere Viertel im Zentrum und Extrem umgeschlagen ist und nach der Ironischerweise hängen solcher Hyb- Norden der Stadt zu regenerieren, floss Aufnahme von Tennis und Golf eigentlich ris sowohl die «Herren der Ringe» an – der grösste Teil der Investitionen in den nur noch ein olympisches Formel-1-Ren- auch wenn ihre Heilsversprechen zuletzt reichen Süden und insbesondere den see- nen fehlt, um sie satirisch auf die Spitze zu aus gutem Grund etwas leiser geworden lenlosen Oberklasse-Vorort Barra, wo der treiben – auch das sei unbenommen. Aber sind – wie auch ihre Gegner, die in blinder Olympische Park steht. das Beste aus beiden Welten zu vereinen, Rage die Bedeutung der Spiele ebenfalls Dorthin fährt jetzt auch eine neue Met- ist ja nicht nur im Sport eine fast unmög- ins Unendliche überhöhen – und sie wohl rolinie, deren Tickets sich grosse Teile der liche Herausforderung. am liebsten auch noch für das Aussterben Bevölkerung gar nicht leisten können. Ver- Letztlich sind die Funktionäre vor al- der Mammuts verantwortlich machen antwortung des IOC? Die Sportfunktionä- lem eines: Getriebene. Und auch wenn sie würden. re sind keine Urbanisten. Sie kennen nur das nie zugeben: oft überfordert. Wie soll Die Wahrheit ist viel einfacher. Olympi- ihre technischen Kriterien. Die konkreten ein IOC-Präsident dem russischen Macht- sche Spiele sind wie das Leben und die Entscheidungen treffen die lokalen Politi- haber Wladimir Putin gewachsen sein, wo

TagesWoche 32/16 37 das doch die wichtigsten Politiker der Welt Sportler durch palästinensische Terroris- die Stadt bis heute. Barcelona schaffte es nicht hinbekommen? Wie soll ausgerech- ten im Olympischen Dorf, einem miss- 1992 sogar, die Olympia-Investitionen für net der Sport es schaffen, sich vom Betrug glückten Polizeieinsatz und elf toten isra- eine Neuerfindung seiner selbst und den rein zu halten, wo doch überall sonst auch elischen Athleten. Aufstieg unter die Starmetropolen zu nut- getrickst und gemauschelt wird? Und wie München 1972 ist eine geeignete Fall- zen. London belebte vor vier Jahren im- soll er sich verhalten, wenn die Sicher- studie, um zu verstehen, dass es kein verlo- merhin ein brachliegendes Viertel neu. heitslage als so bedrohlich gilt, dass die renes Paradies zu entdecken gibt, dass es US-Basketballer in Rio lieber auf einem bei Olympischen Spielen nie eine Zeit der Weder gut noch schlecht privaten Schiff logieren als im Olympi- Unschuld gab. Der Historiker David Clay Rio de Janeiro wird sicher beeindru- schen Dorf? Large berichtet in einem unterhaltsamen ckende Bilder produzieren, aber hinter Buch zu den Spielen in Bayern nicht nur den Kulissen eine der schwächeren Aus- Olympische von angeordnetem Gratisalkoholkonsum gaben bleiben. In vier, acht oder zwölf Jah- im Pressezentrum, um positive Reporta- ren wird es anderswo vielleicht umgekehrt Funktionäre im Spiel gen herbeizuführen. Sondern auch von sein. Olympische Spiele: ein bisschen den gleichen Debatten, die man heute weiss, ein bisschen schwarz, und doch im- der Mächtigen: führt, von einem um das Vielfache überzo- mer wieder auch inspirierend. Machen sie genen Budget, von Gigantismus, vom Ein- die Welt zu einem besseren Ort? Womög- Getriebene, die oft fluss der (Welt-)Politik. Dass Doping da- lich nicht. Aber zu einem schlechteren mals noch nicht so stark im Mittelpunkt wohl auch nicht. überfordert sind. stand, lag wohl eher an mangelnder Sensi- tageswoche.ch/+cb3il × bilität als an weniger Betrug. Insofern ist Wenige Tage vor der Eröffnung präsen- man heute sogar eher weiter. tieren sich Rios Wettkampfstätten wie München ist auf der anderen Seite ­Kasernenhöfe, mit Soldaten, Checkpoints auch ein Beispiel dafür, dass es städtebau- und Jeeps. Wer hätte nicht lieber Spiele lich sehr wohl eine positive Hinterlassen- ohne Zäune, einfacher, menschlicher? schaft der Spiele geben kann. Die Archi- München hat es 1972 versucht. Es endete tektur des Olympiaparks und die damals im Desaster, der Geiselnahme israelischer errichteten Nahverkehrsstrassen prägen

Wettkampfstätten wie Kasernenhöfe: Sicherheit steht in Rio an erster Stelle. foto: reuters • PETS – 3D [0/0 J] ME BEFORE YOU [12/10 J] 12.30/14.30/16.30/ FR/SO/DI: 18.10— REX Kinoprogramm 18.30/20.30— FR: 22.50—SA: 10.50— Steinenvorstadt 29 kitag.com D D FR/SA: 22.30—SA/SO: 10.20 SA/MO/MI: 15.30/20.30 • GHOSTBUSTERS [12/10 J] • PETS [0/0 J] 14.00/17.00—FR-MO: 20.00— 12.45/14.50— PATHÉ PLAZA E/d/f D DI/MI: 20.30 Basel und Region SA/SO: 10.40 Steinentorstr. 8 pathe.ch • PETS [4/4 J] • LEGEND OF TARZAN [10/8 J] 14.30/17.30—FR-MO: 20.30 D 12.50 D • PETS – 3D [0/0 J] 05. bis 11. August 17.00/19.00/21.00— • KITAG CINEMAS • LEGEND OF FR-SO: 13.00/15.00— Männerabend: TARZAN – 3D [10/8 J] FR/SA: 23.00 E/d/f JASON BOURNE 15.20—FR/SO/DI: 20.15— DI: 20.00 E/d/f BASEL CAPITOL • PEGGY GUGGENHEIM: SA/MO/MI: 17.45—SA: 22.40— ART ADDICT [8/6 J] SO: 10.15 D Steinenvorstadt 36 kitag.com E/d 16.30 FR/SO/DI: 17.45—FR: 22.40— ANZEIGE • ICE AGE – • GUIBORD – MEIN SA: 10.15—SA/MO/MI: 20.15 E/d/f KOLLISION VORAUS! [6/4 J] PRAKTIKUM IN KANADA [8/6 J] • BFG – BIG FRIENDLY 15.00 D FR-DI: 17.30 F/d GIANT – 3D [8/6 J] • INDEPENDENCE DAY: • LE GOÛT 13.00—SA/MO/MI: 18.00 D RESURGENCE [12/10 J] DES MERVEILLES [6/4 J] FR/SO/DI: 18.00— 15.00 E/d/f 18.30—SO: 12.20 F/d SA/SO: 10.30 E/d/f • LEGEND OF TARZAN [10/8 J] • RACE [8/6 J] • GHOSTBUSTERS [12/10 J] 18.00 E/d/f 18.30—SO: 12.00 E/d 13.00—SA/MO/MI: 18.15 D • STAR TREK BEYOND [12/10 J] • ZEN FOR NOTHING [12/10 J] • GHOSTBUSTERS – 3D [12/10 J] 18.00/21.00 E/d/f SO: 12.00 E/d/f 13.15/15.45/20.45— FR/SO/DI: 18.15—FR/SA: 23.15— • PETS [4/4 J] • AMA-SAN [14/12 J] D FR-MO: 21.00 E/d/f SO: 12.10 Jap/d SA/SO: 10.45 D 15.30/18.00/20.30— DI/MI: 21.00 • HEART OF A DOG [6/4 J] E/d/f SO: 12.30 E/d FR/SA: 23.00—SA/SO: 10.30 KULT.KINO ATELIER • ICE AGE – KULT.KINO CAMERA KOLLISION VORAUS! [6/4 J] Theaterstr. 7 kultkino.ch D Rebgasse 1 kultkino.ch 13.20 • L’OMBRE • ICE AGE – KOLLISION VORAUS! DES FEMMES [16/14 J] • L’AVENIR [16/14 J] – 3D [6/4 J] 14.00/19.30 F/d 16.30/20.50 F/d 16.00/18.10—SA/SO: 11.20 D • MULLEWAPP – EINE • THE ASSASSIN [16/14 J] • INDEPENDENCE DAY: SCHÖNE SCHWEINEREI [0/0 J] 16.45 Ov/d/f WIEDERKEHR – 3D [12/10 J] 14.00 D • TOMORROW – DEMAIN [8/6 J] 13.30—FR/SA: 22.45— „Ein Film von Tempo und Süffisanz. Ein leichtfüssiges Vergnügen“ • ROSALIE BLUM [12/10 J] 18.30—SO: 14.15 Ov/d/f/e SA/MO/MI: 20.15 D Spiegel Online 14.00/20.30 F/d • JULIETA [12/10 J] FR/SO/DI: 20.15 E/d/f • UN + UNE [10/8 J] 19.00 Sp/d/f • CENTRAL FR-DI: 14.15 F/d • L’ÉTUDIANTE ET INTELLIGENCE [12/10 J] • PARADISE – MONSIEUR HENRI [6/4 J] FR/SO/DI: 15.30/20.30— F/d SA/MO/MI: 18.10—SA: 22.50— MA DAR BEHESHT [16/14 J] 21.00 D 14.30/21.00 Ov/d • NOUS TROIS OU RIEN [10/8 J] SO: 10.50 • ACORDA BRASIL – THE SO: 14.45 F/d • STAR TREK VIOLIN TEACHER [12/10 J] BEYOND – 3D [12/10 J] 15.30/21.00 Ov/d NEUES KINO 15.30—FR: 23.10— SA/MO/MI: 20.30 D • TONI ERDMANN [12/10 J] Klybeckstr. 247 neueskinobasel.ch E/d/f 15.30/17.30/20.30 D FR/SO/DI: 20.30—SA: 23.10 • SILO-OPEN-AIR: • LIGHTS OUT [16/14 J] • LA VACHE [6/4 J] jetzt im F/d BIS 12.08.2016 FR/SO/DI: 17.00—SA/MO/MI: 19.00 jetzt im 15.45/18.45/21.00 E/d/f • AQUÍ NO HA PASADO NADA – PATHÉ KÜCHLIN 21.00—FR/SO/DI: 19.00— MUCH ADO FR/SA: 23.10—SA/MO/MI: 17.00 D ABOUT NOTHING [16/14 J] Steinenvorstadt 55 pathe.ch 16.30 Sp/d/f • EIN GANZES HALBES JAHR –

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PATHE BASEL pathe.ch 39 der Manson damals sang. Nach Erfolgs- produzentenart liessen die Garbage-Män- ner die Sängerin kurzerhand ins Studio einfliegen und liessen sie in einem Raum allein, ­damit sie sich mit den Stücken be- schäftigen konnte. Doch dieses «Mach mal» verunsicherte Manson, und als es den Herren in den Sinn kam nachzuschauen, fanden sie ihre Sängerin in spe auf dem Sofa mit der Studiokatze spielend. Ein harziger Auftakt. Doch bald ent- standen Songs, die zu den spannendsten der 1990er zählen. Das Stop-and-Go des Openers «»; «Vow», aufgela- den mit Sex und Aggression und «», die Hymne für den adoleszenten Weltverdruss. sang diese Lieder nicht nur mit einer dunklen, suggestiven Stim- me, sondern versah sie auch mit Texten, die zu reden gaben. «I can’t believe you fake it», sang sie dem «Stupid Girl» ins ­Gewissen und hatte Zeilen parat wie «I came around to tear your little world apart – and rip your soul apart».

Feministisches Role Model Das sass, und weil Manson in Inter- Garbage 1996: Vig, Erikson, Manson und Marker (v. l.). foto: Getty Images views über Selbstzweifel und Autoaggres- sionen sprach und gern auch Anzügliches Kultwerk #240 einstreute, erkannten sich viele junge Frauen in ihr wieder. Manson war nicht so explizit politisch wie ihre Zeitg­ enossinnen Studiotechnik und Charisma machten von den Riot Grrrls. Doch klare Meinun- gen zum Frausein und zu Geschlechter- Garbage gross: Eine Rückschau vor dem rollen äusserte sie gerne auch ungefragt. Und so definierte sie für die 1990er das Gastspiel der Band in Pratteln. ­feministische Role Model einer Leadsän- gerin in einer Rockband. Das machte auch jungen Männern Ein- druck. Shirley Manson war eine Frau, die einen Respekt lehrte und scharf machte. Shirley und die Sie wetterte gegen Sexismus und sang «You can touch me if you want». Eine Ge- schlechterkämpferin mit frecher Klappe, Produzenten roten Haaren und Netzstrümpfen – geil. Eine Freundin deutlicher Worte ist Shirley Manson auch heute noch. «Sie ­sagen uns, Schönheit sei die höchste Wäh- von Reto Aschwanden rung. ‹Vogue› zeigt Kim Kardashian auf dem Cover. Wieso keine Wissenschaftle- as tut ein amerikanischer Und darum dauerte es eine Weile, bis rin? Oder eine Schriftstellerin?», fragte sie Produzent, nachdem er sich das verkaufte. Im August 1995 im «Billboard»-Magazin. dem Album «» erschienen, riss die Platte zunächst wenig. Ihre Hintermänner wissen derweil im- einer Band namens Nirvana Erst im April 1996 erreichte sie in England mer noch, wie man ein paar vernünftige Wden Multi-Millionen-Sound verpasst hat? ihren Höhepunkt mit Rang 6, im August Songs produziert, wie die zwei Alben seit vergoldete erst mal seinen neu dann, ein Jahr nach dem Release, kam sie der Wiedervereinigung 2012 zeigen. gewonnenen Status als Superstarmacher in den USA auf Platz 20. Das klingt nicht Diesen Samstag spielen Garbage im mit Jobs für Bands wie die Smashing spektakulär, aber über die Zeit wurden überschaubaren Rahmen der River Nights Pumpkins. Dann war mal gut mit Rockern, doch genug Exemplare abgesetzt, dass es im Z7 in Pratteln. Auf dem aktuellen Tour- die sich nicht entscheiden können zwi- für Doppel-Platin reichte. programm steht knapp die Hälfte der schen Indie-Trotz und Erfolgshunger. Für diesen Erfolg brauchte es mehr als Songs aus dem ersten Album. Die Produ- Also trommelte Butch Vig seine Kum- drei Produzenten mit viel Know-how und zenten haben dem heute etwas veraltet pels und wenig Charisma. Dafür brauchte es Shir- wirkenden Klangbild der Studioversionen ­zusammen, um sich im gemeinsam aufge- ley Manson. für die Live-Aufführung bestimmt das eine bauten Studio auszutoben, mit allem, was Die drei Männer von Garbage waren oder andere Update verpasst. Und vor die Technik hergab. sich einig, dass sie eine Frontfrau wollten. ­allem haben sie immer noch Shirley. Heraus kam dabei ein Hybrid aus Rock, Kein Girlie mit hoher Stimme, sondern tageswoche.ch/+0txfc × Elektronik und grossen Popmelodien. Das eher jemand in der Art von oder hatte es ähnlich schon bei New Order gege- von den Pretenders. Eines Samstag, 6. August, ab 15 Uhr: River ben, für den Rock-Mainstream klang das Nachts sah Steve Marker bei MTV ein Nights im Z7, Pratteln, mit Garbage, kurz nach doch recht unerhört. ­Video der schottischen Band Angelfish, bei Richard Ashcroft, u.a.

TagesWoche 32/16 40

Auch beim Ausblenden die Grössten: Die Beatles zelebrierten gerne mal die Kunst des Fade-out. foto: Getty Images

Zeitmaschine den nach dem physikalischen Ende des Stücks weiterläuft.» Das funktioniert allerdings nur, wenn In der Popmusik werden viele Stücke dem Fade-out Stille folgt. Und das ist dort, wo die Musik auf Funktionalität getrimmt am Ende einfach ausgeblendet. Was nach ist, nicht der Fall. Nehmen wir die Tanz­ musik: Ob Discohits aus den 70ern oder Bequemlichkeit klingt, hat seinen Sinn. das elektronische Bumm-Bumm der Ge­ genwart: Musik, die für DJs gemacht ist, kommt kaum einmal zu einem abrupten Schluss, denn da müsste der Plattenleger Schlussmachen oder ja gespannt warten, um ja den Anschluss nicht zu verpassen. Ausgeblendetes ist da viel gutmütiger: Einfach was Neues ein­ ausplempern lassen? blenden, merkt eh keiner. Der Ohrwurm schleicht langsam weg Musikpsychologen plädieren aller­ dings dafür, diese Praxis vieler Radio­ sender und Clubs zu überdenken. Denn von Hans-Jörg Walter Dauer der Liedchen auf die Ansagen und das Abwarten der originalen Ausblendung, die Nachrichten angepasst werden. Also so die Wissenschafter, könnte für Hörer ch habe meine digitale Musikbib­ wurde einfach ein- und ausgeblendet, egal, eine neue und angenehme Musikerfah­ liothek durchgehört und durch­ was sich der Interpret als Anfang oder rung werden, da sie einen sanfteren Über­ gezählt: Wie viele Stücke haben Schluss ausgedacht hatte. gang in den nächsten Track oder zurück in ­einen sorgfältig komponierten Das schmerzte die sensiblen Künstler die Alltagswelt ermöglicht und auch dem ISchluss? Wie viele werden einfach ausge­ natürlich in der Seele und darum began­ menschlichen Verhalten entspricht, ange­ blendet? Die Ausblender gewannen mit nen die Pophelden der Sechzigerjahre, nehme Zustände möglichst lange auf­ 615:154. Was bedeutet das? Anfangen ist diese halbgaren Schlüsse gleich selbst auf­ rechtzuerhalten. einfacher als aufhören? Oder sind viele zunehmen. Die Beatles etwa zelebrierten Interessante Forschungsperspektiven Musiker einfach zu faul, ein anständiges einige wunderbare Ausblender – die Erd­ dieser Studie ergeben sich in Sachen Ende aufzunehmen? beerfelder oder auch der Diamanten­ «Ohrwurm». Denn die Statistik beweist, Sagen wir es so: Schluss machen ist himmel klingen nach, als seien sie ein Teil dass Songs mit einem Fade-out-Ende nicht nur in einer Beziehung schwer, auch der Unendlichkeit. durch die imaginäre Fortsetzung im Komponisten und Musiker kämpfen zu­ Hirn des Zuhörers ein höheres Ohrwurm-­ weilen damit. Seit den Fünfzigerjahren hat Emotionaler Nachhall Potenzial besitzen als Songs mit einem sich diese Art verbreitet, Musikstücke aus­ Das liegt nicht nur am Genie der Fab kurzen harmonischen Schluss ohne zublenden. Böse Zungen behaupten, das Four, sondern offenbar in der mensch- ­Fade-out-Ende. habe mit der Fantasielosigkeit der Pop­ lichen Natur: Forscher der Hochschule für Ja wenn das so ist., dann dürfen gern musikschreiber zu tun. Musik, Theater und Medien in Hannover noch mehr Stücke mit Fade-out in meine Dabei ist das sogenannte Fade-out untersuchten das Phänomen wissen­ Musiksammlung eingehen. mehr eine Erfindung der Radiomacher. schaftlich und fanden dabei heraus: «Ein tageswoche.ch/+5kq7v × Im vordigitalen Zeitalter mussten die Fade-out verursacht so etwas wie einen ­Musikstücke nämlich von Hand nachein­ ‹emotionalen Nachhall› in unserer Wahr­ ander auf Plattenspielern oder Tonband­ nehmung, bei dem der Puls der Musik in maschinen abgespielt werden und die unserer Vorstellung noch einige Sekun­

TagesWoche 32/16 41 Wochenendlich am Lac de Morat Wer Fisch, Kuchen und sanfte Seebrisen mag, ist am Lac de Morat genau richtig. Und der Wein schmeckt schon mittags. Am Fusse des Mont Vully

von Muriel Gnehm stauen und die Harley-Davidsons vorbei- Für Fischliebhaber jagen, scheint hier drinnen die Welt still­ Hôtel Restaurant Cave Bel-Air, Route enn ich den Canal de la zustehen. In einer Ecke steht eine Wein- Principale 145, Praz. Broye überquere, auf dem presse, die längst ausgedient hat, und die die Schiffe zwischen Mur- Chefin erzählt in ruhigem Ton von ihren Für Gourmets ten und Neuenburg kreu- Reben und giesst dazu einen Weisswein Romantik Hôtel de l’Ours, Route de Wzen, fühle ich mich stets ein bisschen so, des Hausberges nach dem anderen in Glä- l’Ancien Pont 5, Sugiez. als käme ich nach Hause. Vor mir liegt ser, grad so, als hätte sie den ganzen Nach- ­Sugiez, ein freiburgisches Dorf, das weit mittag Zeit. Für Sportfreaks weniger hübsch ist als seine Nachbarn In guter Stimmung bestelle ich danach Beim Restaurant Bel-Air können Nant und Praz mit ihren pastellfarbenen die legendären Filet de perche meunière à Waterbikes und Stand-up-Paddlings Bauernhäusern. la mode du patron im Restaurant Bel-Air gemietet werden. Dafür steht hier eine Hütte, die mein und gucke den Waterbikern zu, die über Urgrossvater einst baute. Ohne Strom, das Wasser radeln, bis alle Velos fast Für Seetüchtige ohne Dusche, ohne warmes Wasser; nur gleichzeitig umkippen und der See für Schifffahrt Murtensee. ein Raum mit vier Betten, ­dicken Spinn­ kurze Zeit unbevölkert, ruhig und tiefblau weben und einem ganz eigentümlichen daliegt. Für Regenwetter Geruch. Der «Sugiez-Duft», wie wir ihn als Nach einem grossen Stück Gâteau de Besuch der Schokoladenfabrik Mai- Kinder liebevoll nannten, ein ­Gemisch aus Vully, eine Art Hefekuchen mit Rahm und son Cailler, Rue Jules Bellet 7, Broc. modriger Feuchtigkeit, Staub und Holz. eine Spezialität der Region, von der man Es ist nicht so sehr diese Hütte, die nie genug kriegen kann, lausche ich dem Eat dessert first (unbedingt kosten!) mich Sommer für Sommer hierherlockt. Kreischen der Möwen, die ihr eigenes Gâteau de Vully in der Boulangerie Es sind die Erinnerungen und die roman- ­Seemannslied anstimmen. Als der Mond Pâtisserie Guillaume, Route de Chau- tische Landschaft dieses unbedeutenden aufgeht, wird es Zeit, nach Hause zu spa- mont 4, Sugiez. Fleckens in der Romandie. zieren. Und während ich mich zum fröhli- Hinter der Hütte erhebt sich der dun- chen Quaken der Frösche müde in den kelgrüne Mont Vully, der weniger wie ein Schlafsack wickle, denke ich noch, ich Berg als wie ein Schutzwall für die unter- sollte öfter hierher kommen. halb liegenden Dörfer aussieht. Auf ihm tageswoche.ch/+e2byx × wächst in Reih und Glied der Vully, den Unbedeutender Flecken in romantischer Landschaft: Lac de Morat. foto: M. Gnehm man hier schon mittags in jeder Beiz be- stellt. Der herbe Weisswein passt zu Fisch wie Fondue und kostet in den Restaurants der Region weit weniger als eine Cola.

Ferne und Erholung sind so nah Vor der Hütte plätschert gleichmässig der Lac de Morat, als möchte er einen schon nachmittags in den Schlaf schau- keln auf dem Strandtuch. Am Ufer gegen- über zeigen die zwölf Festungstürme von Murten gen Himmel, der hier immer ­etwas blauer wirkt als anderswo, schräg dahinter – schneebedeckt und mächtig – erkennt man Eiger, Mönch und Jungfrau. Und wenn man nun in die kühlen Wasser des Sees gleitet, während eine Entenfami- lie vorbeipaddelt, geht einem der Gedanke durch den Kopf, dass Ferne und Erholung doch so nah sein können. Später an diesem Nachmittag steige ich in den Cave Guillod hinab, einen Wein­ keller in Praz. Während sich draussen die Cabrios vor den Restaurant-Parkplätzen

TagesWoche 32/16 Frageraster TaWo_32-16 Lösungswort: BADEPLAUSCH Kreuzworträtsel

Muschel er und sie flüstert grosser runde dieses die Floyd, mit sehr it. Stadt u. Frieden, so Dreifach- im Theater Staat in aromati- Haus Planet harter Spumante berühmte der Buchtitel im Notfall sche Frucht im Zolli konsonant Schale Osteuropa 7 Popband v. Tolstoi helfend zu

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der Jacques, es dreht Glanzpunkt Lurche einst grosser sich 3 Chansonnier 1

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Antwortenraster TaWo_31-16 Lösungswort: RUNDGAENGE L SEM GO Lösungswort: BREITE BASILIKUM I NI JETLNK A ESKIMO N OTAS U ND O RM JEMEN E LBA T IDE U T G 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 T E L CA BOH NE GE ISS U R R K P F ALZ K A R A MITMACHEN UND GEWINNEN ZU GEWINNEN: O LET U MAR O R T A URA S ENS E T OAST S T U S S R O T Senden Sie eine SMS an die Nummer 343: TW Lösungswort, Name Wir verlosen einen Pro ­Innerstadt T U RM E I S I S T I RA N O H R E N T E S KAT und Adresse (1.­– SMS) oder unter www.tageswoche.ch/kreuzwort. Gutschein (50 CHF). Gewinnerin: A RE A D N E N EALE Lösungswort der letzten Woche: MUSIKSCHULE Stefanie Solèr Auflösung der Ausgabe Nr. 31 Impressum

TagesWoche Chefredaktion/ Mike Niederer (Produzent), Layout/Grafik Anzeigenverkauf 6. Jahrgang, Nr. 32; Geschäftsleitung Hannes Nüsseler (Produzent), Anthony Bertschi, COVER AD LINE AG verbreitete Auflage: Christian Degen Jonas Grieder Carol Engler Tel. 061 366 10 00, 10 800 Exemplare (prov. Wemf- Digitalstratege (Multimedia-Redaktor), Bildredaktion [email protected] beglaubigt, weitere Infos: Thom Nagy Renato Beck, Nils Fisch tageswoche.ch/+sbaj6), Creative Director Yen Duong, Korrektorat Unterstützen Sie unsere Arbeit Spitalstrasse 18, Hans-Jörg Walter Elin Fredriksson (Praktikantin), Yves Binet, Chiara Paganetti, mit einem Jahresbeitrag 4001 Basel Redaktion Naomi Gregoris, Stefan Kempf, Irene Schubiger, Supporter: 120 Franken pro Jahr Herausgeber Karen N. Gerig Christoph Kieslich, Laura Schwab, Enthusiast: 220 Franken pro Jahr Neue Medien Basel AG (Stv. Chefredaktorin), Marc Krebs, Martin ­Stohler, Gönner: 500 Franken pro Jahr Redaktion Amir Mustedanagić Felix Michel, Dominique Thommen, Mehr dazu: tageswoche.ch/join Tel. 061 561 61 80, (Leiter Newsdesk), Matthias Oppliger, Jakob Weber [email protected] Reto Aschwanden Jeremias Schulthess, Verlag und Lesermarkt Druck (Leiter Produktion), Dominique Spirgi, Tobias Gees Mittelland Zeitungsdruck AG, Die TagesWoche erscheint Gabriel Brönnimann Samuel Waldis Abodienst Aarau täglich online und jeweils am (Leiter Region), Redaktionsassistenz Tel. 061 561 61 61, Designkonzept und Schrift Freitag als Wochenzeitung. Tino Bruni (Produzent), Béatrice Frefel [email protected] Ludovic Balland, Basel SPINAS CIVIL VOICES SPINAS

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