Ökumenische Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche e.V.

Farbe bekennen Ein Projekt für Ihre Gemeinde Impressum

Herausgeber: Ökumenische Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche (HuK) e.V. Dank

Kontaktadresse: Ökumenische Arbeilsgruppe allen Mitarbeiterinnen am Projekt Homosexuelle und Kirche (HuK) e.V. FARBE BEKENNEN: c/o BOro Seehausen & Sandberg Andreas, Angelika, Armin, Christoph, Franz, Merseburger Sir. 5 ··10823 Berlin • Q3(}.78954599. ~ Q3(}.78 7117 53 Elfriede, Gunnar, Harald, Heiner, Helmut, [email protected] . www.huk.org Herbert, Hiltrud, Hugo, Jörg, Johannes, Kar!, Leo, Markus, Michael, Nulf, Ralf, Ruth, Thomas und Redaktion: Arbeitsgruppe Gemeindeprojekt Ulrich. Schlußredaktion: Herbert Engel, Köln Ihr hattet einen langen Atem! Satz und Layout: Joachim Kroll, München Druck: Prima Print, Köln Vor allem Dank an Ursula aus München für das Tippen der Texte und an Joachim für Satz und 4. überarbeitete Auflage 1/94 Layout. Inhalt

Vorwort 4

Einführung 5

1. Umgang mit dem Arbeitsheft 9 1.1 Methodische Hinweise 9 1.2 Modell eines Arbeitsplanes 11

2. Sexualität zwischen "Gosse" und guter Gabe Gottes 13 2.1 Was ist Sexualität? 14 2.2 Kirche und Sexualität 19 2.3 Sexualität und Homosexualität 22 2.4 Bibel und Homosexualität 28 2.5 Homosexualität als Charisma 33 2.5.1 (Homo-) Sexualität, gute Gabe Gottes! 33 2.5.2 Dank dem Schwulsein! 35 2.6 Vielfalt ist Gewinn - Plädoyer für unterschiedliche Lebensformen 36

3. Die Lebenssituation von Lesben und Schwulen 43 3.1 Zum Sprachgebrauch "Schwule" und "Lesben" .43 3.2 Zur Geschichte von Lesben und Schwulen .44 3.3 Homosexuelle ChristInnen in den Kirchen .48 3.4 Lesben, Schwule und deren Eltern berichten 59

4. Solidaritätserklärung 76 Liste der UnterzeichnerInnen einer Solidaritätserklärung ...... 78

5. Anhang 79 5.1 Leitfaden für eine persönliche Bestandsaufnahme 79 5.2 Heterosexualität - wie kann ich damit leben? 81 5.3 Lieder 82 6. Die MitarbeiterInnen dieses Heftes 84

7. Literaturhinweise 85

Inhalt 1

Von Deinen Möglichkeiten

Dir gehört ein ganzer Kasten mit zwölf verschiedenen Wasserfarben; doch wenn du das Wasser fürchtest nützen dir die Farben wenig- dein Leben bleibt trocken und dein Blatt leer.

Wag den Sprung ins Wasser!

Kristiane A/lert-Wybranietz aus: «Liebe Grüße - Verschenkt('xte», lucy körner verlag, W-7012 Fe/lbach

3 Vorwort

Zur vierten Auflage Die vierte Auflage des Arbeitsheftes erscheint mit kleineren Ergänzungen. Neu aufgenommen Zweieinhalb Jahre Farbe bekennen. Zu Beginn wurde die Liste der Gemeinden und Gruppen, gab es viele kritische Stimmen: Wird das Projekt die eine Solidaritätserklärung abgegeben haben; überhaupt auf Interesse stoßen? Wird es nicht dies vor allem, um denen, die neu am Projekt unglaublich viel Arbeitsaufwand für die Regio­ arbeiten, die Kontaktaufnahme zu anderen nalgruppen der HuK bedeuten, Gemeinden zur Gemeinden und Gruppen zu erleichtern. Um Teilnahme am Projekt zu motivieren und sie auf deutlich zu machen, daß unsere Solidaritätserklä­ ihrem Diskussionsweg 7.U begleiten? Wird rung lediglich ein Vorschlag ist, den jede Ge­ überhaupt eine Gemeinde oder kirchliche Grup­ meinde individuell verändern kann, wurden pe es wagen, eine Solidaritätserklärung zu zwei Beispiele veränderter Solidaritätserklärun­ unterzeichnen? Wie werden die katholischen gen aufgenommen. Aufgrund der Rückmeldun­ Gemeinden reagieren? gen mehrerer Gemeinden wurde außerdem der HuK-Vorschlag der SoJidaritätserklärung modifi­ Heute erscheint dieses Arbeitsheft bereits in der ziert. Schließlich wurde das Literaturverzeichnis vierten, überarbeiteten Auflage und die fünfte aktualisiert. Auflage befindet sich - mit wesentlichen Erweite­ rungen - für 1995 in Planung. Das ist neben den Für diese vierte Auflage wünschen wir uns ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbei­ weiterhin viele engagierte und kritische Leserin­ tern der HuK vor allem das Verdienst all der nen und Leser. Menschen, die sich in ihren Gemeinden für ein neues, evangeliumsgemäßeres und damit gleich­ Für die AG-Gemeindeprojekt, zeitig menschlicheres Verständnis von Sexualität, Köln, im Dezember 1993, Lebensformen und Homosexualität einsetzen. Hättet ihr gewußt, daß wir so viele sil1d? So viele Herbert Engel Menschen leiden unter dem tradierten kirchli­ chen Verständnis von Sexualität, Lebensformen und Homosexualität: Lesben und Schwule, aber auch einfach engagierte Gemeindeglieder, Pfarrerinnen und Pfarrer. Ohne sie würde das Projekt in der Kirche keine Chance haben. Aus vielen Gemeinden, die am Projekt teilgenommen haben, kam die Rückmeldung, sie hätten an der Diskussion des Themas Homosexualität gelernt, ihre Bibel neu zu lesen und auch ihr Verständnis von Sexualität und Lebensformen zu überden­ ken.

Dem Projekt kam sicher zugute, daß die Landes­ synode der Evangelischen Kirche im Rheinland im Januar 1992 das Arbeitspapier "Homosexuelle Liebe" entgegengenommen und zur Weiterarbeit in ihre Gemeinden verwiesen hatte. Aus dem Rheinland erhielt die HuK daher die meisten Anfragen nach dem Projekt und - wen wundert es - die bislang größte Zahl von Solidaritätserklä­ rungen.

4 Vorwort Einführung

Vermutlich gibt es auch in Ihrer Gemeinde Bereiche von Sexualität und Partnerschaft sind Menschen, die sich für gesellschaftliche Minder­ in der Kirche ebenso tabu wie das Thema Ho­ heiten engagieren. Neben der traditionellen mosexualität. Wo aber Themen unterdrückt Sorge um alte und kranke Menschen hat sich in werden, da geraten immer auch die davon der Kirche mancherorts der Blick geweitet auf betroffenen Menschen in Unterdrückung. andere benachteiligte und im normalen Gemein­ deleben untergehende oder nicht beachtete Wir freuen uns, daß Sie sich dazu entschlossen Gruppen wie Nichtseßhafte, Ausländer, Allein­ haben, dabei mitzuhelfen, dieses Schweigen zu erziehende, usw. brechen, und miteinander über Fragen der Sexualität und Homosexualität ins Gespräch Aber eine Gruppe kommt in fast keiner Gemein­ kommen wollen. Wir, das sind die Mitglieder de vor: Homosexuelle Männer und Frauen. Sie der Ökumenischen Arbeitsgruppe Homosexu­ werden als Cemeindeglieder in der Regel nicht elle und Kirche (HuK) e.V. Wir sind eine wahrgenommen. Woran sollte man sie auch bundesweite Gruppe homosexueller Männer erkennen? Und weil sie nicht wahrgenommen und Frauen, die zum großen Teil in Gemeinden, werden, gibt es sie auch nicht. Es ist daher nicht kirchlichen Gruppen oder kirchlichen Einrich­ verwunderlich, wenn so mancher Gemeinde­ tungen haupt- oder ehrenamtlich aktiv sind ­ pfarrer und so manches Gemeindeglied der zumeist jedoch unerkannt. Überzeugung ist: in unserer Gemeinde haben wir "das Problem" nicht. Bei uns gibt es keine Seit wir uns 1977 auf dem Evangelischen Kir­ Schwulen und Lesben. chentag in Berlin (West) als Ökumenische Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche (HuK) Es gibt sie dennoch; aber sie geben sich nicht zu und 1986 als e.V. gegründet haben, arbeiten wir erkennen. Und darin liegt das Problem: Der für die gleichberechtigte Anerkennung von schwule Pfarrer hat Angst, Schwierigkeiten zu lesbischen und schwulen ChristInnen in den bekommen und entlassen zu werden; die lesbi­ Kirchen. War die HuK anfangs noch eine kleine sche Frau könnte im Frauenkreis niemals so Gruppe kirchlicher MitarbeiterInnen und Christ­ selbstverständlich wie verheiratete Frauen über Innen, so ist sie heute eine bundesweite Organi­ die Probleme sprechen, die sie gerade mit ihrer sation, die mit über 650 eingetragenen Mitglie­ Freundin hat; der Jugendliche, der vermutet, daß dern in mehr als fünfundzwanzig Städten der er schwul ist, kommt aus Angst vor Verurtei­ Bundesrepublik Deutschland vertreten ist. lung und Ablehnung gar nicht auf den Gedan­ ken, mit seinem Pfarrer und schon gar nicht in Zu uns gehören schwule und lesbische Christ­ seiner Jugendgruppe über seine sexuelle Identi­ Innen, aktive aber auch distanzierte Gemeinde­ tät zu sprechen. Wenn man sich nach dem glieder sowie MitarbeiterInnen und Ceistliche Gottesdienst erzählt, was man am Sonntag noch der verschiedenen Konfessionen. Die HuK ist vorhat, wird der schwule Mann in der Regel ökumenisch und für ChristInnen aller Konfes­ nicht berichten, daß er schon lange einen Freund sionen - unabhängig von einer Kirchenmitglied­ sucht und deswegen am Nachmittag in die schaft - offen. Außerdem arbeiten bei uns FItern Sauna und

Einführung .5 von der kirchlichen Gemeinschaft angenommen schwule Christinnen gleichberechtigt willkom­ wird oder in der Kirche mitarbeiten kann. Zu men sind. Das Projekt dieser Gruppe läuft seit dirsem Zweck werden von uns seit Jahren über 10 Jahren. Mittlerweile haben sich über 50 Gespriiche mit Gemeinden, Cemeindegruppen, Gemeinden dem Projekt angeschlossen. Unser Gemeindeleitern, Bischöfen, Prälaten etc. ge­ Projekt FARBE BEKENNEN hat das gleiche Ziel. führt. Die Auswirkungen dieser oft von unseren Es gliedert sich in drei Phasen: Gesprächspartnern mit gutem Willen und Wohlwollen für unsere Anliegen geführten 1. Auseinandersetzung mit den Themen Gespräche sind iiußerst gering. In manchen Sexualität und Homosexualität in Ihrer Kirchengemeinden bildet die HuK-Gruppe, die Gemeinde, Gruppe, Ihrem Verband. Am sich in kirchlichen Riiumen trifft, eine :'4ische für Ende dieser Auseinandersetzung ent­ Schwule und Lesben. Dennoch können sich scheiden Sie sich, ob Sie der Solidaritiits­ diese - vor allem, wenn sie kirchliche Mitarbei­ erklärung oder einer selbst formulierten terInnen oder TheologiestudentInnen sind - in Erklärung zustimmen. kaum einer Cemeinde oder Landeskirche offen zu ihrer Sexualität bekennen. Die katholische 2. Es ist hilfreich, in einem solchen Diskus­ Kirche entliil3t schwule und lesbische Mitarbei­ sions- und Fntscheidungsprozeß nicht terInnen ebenso wie dies in einzelnen evangeli­ allein zu stehen. Wir vermitteln Ihnen die schen Lilndeskirchen Praxis ist. Immer noch Adressen anderer Gemeinden, Gruppen werden von den Kirchenleitungen Papiere usw., die ihre Solidarität bereits erkliirt veröffentlicht, in denen schwule und lesbische haben. So können Sie mit emderen FARBE ChristInnen diskriminiert werden. Die 7ahl BEKENNENden Gemeinden, Gruppen, derer, die der Kirche und in erster Linie ihrer Verbänden Kontakte elUfnehmen und Gemeinde aus Resignation den Rücken kehren, Erfahrungen austauschen. wächst. 1989 wurde als Reaktion auf die in den grolSen Kirchen unbefriedigende Situation in 3. l\Jach einigen Jahren könnte so ein "ietz­ Hamburg eine Tochtergemeinde der in den USA werk von Gemeinden, Gruppen, Verbän­ schon lange bestehenden Metropolitan Commu­ den entstehen, in drnen Lesben und nity Church (MCC) gegründet, eine Kirche Schwule als gleichberechtigte Mitglieder ausdrücklich auch für Lesben und Schwule. willkommen sind, ein Netzwerk, das von den Landeskirchen und Diözesen nicht DalS Schwule und Lesben sich eine eigene Kirche mehr übersehen werden kann. schaffen, ist nicht unser Ziel. Wir haben immer noch die Hoffnung, daß auch in unserer Kirche und d.h. vor allem in unseren Gemeinden Das Arbeitsheft Veränderungen möglich sind. enser Motto Wir bieten Ihnen in diesem Arbeitsheft Material lautet: und Anleitung zur Auseinandersetzung und Diskussion mit den Themen Sexualität und Homosexualität. Ziel des Projektes ist, dal3 Sie Kirche verändern statt am Endr lhrer Gespräche eine Entscheidung darüber treffen, ob Sie schwule und lesbische austreten ChristInnen als gleichwertige Mitglieder in Ihrer Wir haben uns deshalb 1989 dazu entschlossen, Gemeinde, Gruppe, Ihrem Verband willkommen unsere Arbeit in den Kirchen neu zu gestalten. heißen. Sie können dies in der von uns formu­ Angeregt wurden unsere LberJegungen durch lierten Fassung der Solidaritätserkliirung oder in das Projekt der Lutherl1l1s Concemed, einer einer eigenen Erklärung tun. nordamerikanischen Lesben- und Schwulen­ gruppe in der evangelisch-lutherischen Kirche: Es ist manchmal schwer, Farbe zu bekennen, unter dem Namen Recol1cilcd in Christ Program aber es ist auch eine Chance: eine Gelegenheit, (Versöhnt-i n-Christus-Programm) sucht diese sich mit Tabuthemen und das heißt auch, mit Gruppe Gemeinden, in denen lesbische und sich selbst auseinanderzusetzen.

6 Eil1fiihru ng Bewußt bieten wir Ihnen nicht nur Texte zum Schwule. Wie die Entscheiduns der Teilnehmer­ Themenkreis Homosexualität, sondern auch Innen im Einzelfall auch ausfällt, der Prozeß der zum Thema S<'xualität an. Durch unsere Beril­ Auseinandersetzung über die kirchlichen Tabut­ tungsarbeit und durch unsere Erfahrungen mit hemen Sexualität und I romosexualität ist als Kirchengemeinden wissen wir, dilß dort, wo Weg der Bewußtseinsbildung für sich genom­ offen über Sexualität gesprochen werden kann, men schon ein Gewinn. viel leichter auch über Homosexualität diskutiert wird. Wir wissen auch, daß Sexualität in der Kirche noch weithin ein Tabuthema geblieben Engagenlent ist, das höchstens von dafür offenen Pfarrerln­ Das Projekt steht und fällt mit Ihrem Engage­ nen angesprochen wird. Auf kirchenamtlicher ment. Die Texte in diesem Arbeitsheft werden Ebene wird es überwiegend nur im Rahmen von Ihnen bei Ihren Cesprächen helfen. \Jeben Lebensordnungen, die gerne als Schöpfungsord­ methodischen Anregungen, wie Sie sich an die nungen maskiert werden, behandelt. Themen herantasten und diese in der Gruppe besprechen können, finden Sie Texte, die Ihnen einen Einblick in dip Lebenswirklichkeit von Kirche von unten lesbischen und schwulen Menschen geben. Ein Durch die Teilnahme an dem Projekt weiterer Teil des Arbeitsheftes enthält Texte zu stimmen Sie zu, dilß <'s für die Kirche Sexualität und Homosexualität. Jeder dieser wichtig ist, sich "von unten", d .h. von der Arbeitstexte enthält Denk- und Diskussionsan­ Gemeindeebene den Themen Sexualität stöße. Sollten Sie ein Thema weiter vertiefen und Homosexualität zu nähern; wollen, haben Sie die Möglichkeit, sich anhilnd nutzen Sie die Möglichkeit, sich in diesem der Literaturliste wpiteres Materiell zu besorgen. Bereich zu informieren, zu diskutieren, möglicherweise offener zu werden, um Wenn Sie darüber hinaus Fragen an uns haben etwas in Ihrer Gemeinde zu verändern; oder uns zu einem Ihrer Gespräche einladen nehmen Sie teil an einem langen konziliar wollen, stehen Ihnen die regionalen Ansprech­ zu nennenden Prozeß um die Anerken­ partnerInnen für das Projekt zur Verfügung. nung schwuler und lesbischer Christln­ nen als gleichberechtigte Mitglieder FARBE BEKENNEN ist gewiß nicht einfach, unserer Kirche. aber es bietet die Chance, dabei letztlich FARBE zu GEWINNEN. Das Projekt ist ein Experiment. Ein gewagtes zwar - aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Köln, den 4. März 1991 Bei diesem Projekt können alle Beteiligten gewinnen: für die Arbeitsgruppe Gemeindeprojekt

Die Gemeinden, Gruppen, Verbände, die am Herbert Engel Projekt teilnehmen: denn diese werden sich anhand unseres Arbeits­ heftes zunächst mit ihrem eigenen und dem kirchlich vermittelten Verständnis von Sexualität auseinandersetzen. Auf diese Weise tut und lernt jede/r zunächst etwas für sich selbst. Erst in einem zweiten Schritt beginnt die Auseinan­ dersetzung mit dem Thema Homosexualität.

Die lesbischen und schwulen ChristInnen: Am Ende des Meinungsbildungsprozesses steht eine Entscheidung über die Cnterzeichnung einer Solidaritätserklärung für Lesben und

Ein/iihnt I1g 7

Umgang mit dem 1. Arbeitsheft

Jörg Schielte 1.1 Methodische Hinweise

1. Wir freuen uns, daß Sie als Gemeinde, Grup­ sexualität redet, redet anders als einer, der im pe, kirchlicher Verband etc. sich mit der Thema­ Bauausschuß seiner Gemeinde über einen neuen tik "Sexualität, Homosexualität" auseinanderset­ Anstrich der Kirche verhandelt. Jeder von Ihnen zen wollen. Wir haben dieses Projekt initiiert, bringt eigene Erfahrungen und gefühlsmäßige doch Sie sind die Motoren, ohne Sie wird es Wertungen von Sexualität mit. nicht funktionieren. Wenn Sie sich zu Lebensfra­ gen homosexueller Menschen einen Standpunkt rine Arbeitsgruppe ist eine kleine Gemeinschaft, erarbeiten - wie auch zu denen anderer Minder­ und es ist sehr hilfreich - wenn auch praktisch heiten - wird dies trotz ihrer Beanspruchung oft schwierig - wenn Sie als wirkliche Personen durch andere wichtige Aufgaben eine Bereiche­ miteinander umgehen und nicht bloß als "reden­ rung für jede/n Teilnehmerln sein. Eine Vor­ de Köpfe". Abstraktes Wissen über Sexualität ist tragsreihe könnte Ihnen zwar viel Information nützlich aber unvollständig ohne die Wirklich­ vermitteln. Eine nachhaltige Änderung gleich­ keit Ihrer täglichen Erfahrung: Ihrer Gefühle, gültiger oder negativer Einstellungen gegenüber Ihrer '\1einungen, Ihrcr Erfahrungen mit anderen lesbischen und schwulen ChristInnen wird Menschen. jedoch nur über eine persönliche Auseinander­ setzung möglich, in welcher die eigenen Vorur­ 5. Jede Gruppe ist anders. Auch wenn Sie Ihre teile zur Sprache kommen. Die '\1itarbeit von Gruppe vielleicht seit langem kennen, können Betroffenen und Anhörung von Fachleuten kann Sie dennoch nicht davon ausgehen, daß jede/r diesen Prozeß ergänzen, ersetzt aber nicht die TeilnehmerIn aus den gleichen Interessen am persönliche Auseinandersetzung. Projekt FARBE BrKENNEN teilnimmt, gleicher­ maßen motiviert ist, in der gleichen Weise denkt, 2. Dieses Papier ist kein Schema. Unter Punkt 1.2 ähnlich offen ist, aus den gleichen Grundeinstei­ finden Sie als Anregung zur Strukturierung lungen heraus handelt. Es ist daher gut, wenn zu lhrer Diskussion ein 'v1odell, das Sie für Ihre Beginn der Arbeitsgruppe Zeit ist, über sich eigenen Bedürfnisse verändern können und selbst zu berichten - ein wenig, nicht zu viel ­ sollen. über Ihre Motivation mitzuarbeiten, Ihre Wün­ sche und Hoffnungen für sich selbst und für die 3. Damit Ihre Diskussionen nicht irgendwann im Gruppe, was Sie in der Cruppe lernen wollen Unverbindlichen versanden, sollten Sie zu oder Ergebnisse, die Sie sich erhoffen. Auch ein Beginn in Ihrer Arbeitsgruppe einen Beschluß Gespräch über Ihre Gefühle hinsichtlich des fassen, der das Ziel Ihrer Gespräche definiert. Projektes FARBE BEKENNEN in diesem Mo­ Dieses Ziel könnte lauten: die Erarbeitung einer ment kann von Nutzen sein. Vielleicht können Aussage Ihrer Gemeinde, Gruppe, Ihres Ver­ Sie sich eingestehen, sich befangen, ängstlich bands zu lesbischen und schwulen ChristInnen. oder überfordert zu fühlen. Es ist nie verlorene Zeit, Gemeinschaft aufzubauen. Sie wird Ihre 4. Die Themen, mit denen Sie sich auseinander­ Diskussionen in entscheidender Weise berei­ setzen werden, bringen es mit sich, daß die chern. Arbeitsatmosphäre in Ihrer Gruppe anders sein wird als sonst. Wer über Sexualität und Homo­

1. Methodische Hinweise 9 6. Es ist ratsam miteinander Arbeilsslrukl/lren Es ist daher einerseits wichtig, über die Zuver­ festzulegen: lässigkeit lhrer Informationsquellen genau Bescheid zu wissen. Andererseits geht es oft gar - Häufigkeit und Dauer der einzelnen nicht um Informationen, sondern darum, wel­ Treffen, chem Verstehensmodell Sie folgen. Wer die Bibel - Treffpunkt und äußerer Rahmen der fundamentalistisch auslegt, wird zu anderen Treffen, Ergebnissen kommen als jemand, der sie histo­ - Arbeitsweise und Inhalte wenigstens der risch-kritisch auslegt. Jeder wird jedoch für sich ersten Zusammenkünfte, beanspruchen, nur das auszulegen, was da steht. - Entscheidung über feste, wechselnde oder reihum geh('nd(' Leitung der Gruppe, Für die Arbeit in der Gruppe ist es daher - (ab) wann und wie Ergebnisse festgehal­ hilfreich, wenn Sie sich darüber auseinanderset­ ten werden sollen. zen, welche Informationsquellen Sie als zuver­ lässig anerkennen und welchen biblischen 7. Nehmen Sie sich Zeit und Jassen Sie sich nicht In terpretationsa nsa tz Sie fa vorisieren. Sie sollten unter Druck setzen. Wenn Sie ein halbes Jahr also frühzeitig (wie im "Arbeitsplan-Modell" benötigen, um Ihren Disklissionsprozeß zum vorgesehen) diskutieren, WelS Sie als wahr Abschluß zu bringen, ist es gut, wenn Sie ein ansehen wollen. Es ist nicht sicher, daß Sie eine Jahr benötigen, ist es auch gut. Sie sollten sich Cbereinkunft erzielen; aber es ist schon eine jedoch einen lIngefähren zeitlichen Rahmen Leistung, offen auszusprechen, daß Differenzen setzen, innerhalb dessen Sie zu einer Entschei­ bestehen und gleichzeitig zu versuchen, die dung über die Frage kommen, ob Sie Schwule anderen Standpunkte zu verstehen und die und Lesben als gleichwertige Mitglieder Ihrer andere Person zu respektieren. (Einen Leitfaden Gemeinde akzeptieren und ob Sie der Solidari­ für diese Diskussion finden Sie im Anhang tätserklärung zustimmen können. dieses Heftes.)

8. Es wird nicht lange dauern, bis Sie in Ihren 9. In die Arbeitstexte sind an mehreren Stellen Diskussionen einmal vor der Frage nach "der Denk- lind Diskussionsnnstöße eingearbeitet. Es Wahrheit" stehen: "Wie können wir wissen, ob gibt viele \1öglichkeiten, sich solche Texte zu wir "richtig liegen", welche unserer unterschied­ erarbeiten. Sicher werden Sie selbst weitere od('r lichen Meinungen "die Richtige" ist. Diese Frage ganz andere Fragestellungen formulieren oder wird bei einem Großteil Ihrer Diskussionen auch auf Themen stoßen, über die sie mehr mitschwingen. erfahren möchten, die aber in den Arbeitstexten nicht dargestellt sind. Hier kann in vielen Fällen das Literaturverzeichnis (Punkt 7) weiterhelfen.

10 1. Methodische Hinweise Jörg Schlefte 1.2 Modell eines Arbeitsplanes Thema: Sexualität - Homosexualität - das Fnde eines Tabuthemas Vorbereiten einer Solidaritätserklärung

Dieses Modell ist eine von vielen Möglichkeiten, Arbeitsablauf - zu diesem Modell- zu wie Sie sich mit den Arbeitstexten in Kapitel 2 dem ganzen Projekt? und 3 vertraut machen und inhaltlich auseinan­ :) FrsteIlung eines Meinungsbildes zur dersetzen können. Die Zahlen CD - (]) können eine Frage: wollen wir Homosexuelle in Reihe von aufeinander folgenden Treffen be­ unserer Gemeinde als gleichberechtigt schreiben oder auch von Arbeitsschritten (Ar­ willkommenheißen? beitseinheiten), die durchaus mehrere Treffen einnehmen können. @ Was sagt die Bibel? o Wir milchen uns mit den biblischen CD Einstieg Aussagen vertraut. eine Art von "Bestandsaufnahme" o Was bedeuten sie - oder: mit welcher "Brille" lese ich die BibeP ]ede/r Gesprächsteilnehmerln erhält mindestens o Was sagt die Theologie zu "Bibelinterpre­ 14 Tage vor der ersten Arbeitseinheit ein Exem­ tation"? plar der "Persönlichen Bestandsaufnahme" o '[jnd ich? Wie erkenne ich die Wahrheit", (Muster siehe Anhang 5.1) mit der Aufforde­ d.h. was ist für mich verbindlich? rung, sich damit persönlich auf den Beginn der Gesprächsreihe einzustimmen. Fs ist wichtig den Teilnehmerlnnen deutlich zu sagen, daß die @ Sexualität "Persönliche Bestandsilufnahme" nicht innerhalb 7wischen "Gosse" und "guter Gabe Cottes" der Arbeitsgruppe vorgetragen werden soll, sondern lediglich der eigenen Vorbereitung o Warum tun wir uns mit diesem Thema so dient. schwer? Hintergründe eines Tabus: uralt - überholt - noch immer sinnvoll7 o Gnser Reden von "Sexualität" - und was @ Annäherung an ein wir damit meinen. o Können wir von einem "Menschenrecht (un-)vertrautes Thema Sexualität" sprechen? Die Sinngehalte o Wer bin ich - Wer sind Sie - Wer bist du? von Sexualität heute. o Wie fühle ich mich bei diesem Thema - in o Wo redet die Bibel von "guter Cabe dieser Gruppe - vor dieser Arbeit? Über Gottes"? Erwartungen, Befürchtungen, Ängste, o Was sagt meine Kirche 7.U Sexualität? Wie Hoffnungen. stehe ich zu den offiziellen Aussagen o Welche Bewertungen des Themas bringe meiner Küche? ich mit? o Was ist meine persönliche Meinung? o Wir diskutieren die "Persönlichen Be­ standsaufnahme'" unter dem Aspekt: Habe ich das gerne gemacht? Was haben ® Information die Fragen bei mir ausgelöst? Sind durch über Homosexualität und Homosexuelle die Beschäftigung mit der "Persönlichen Bestandsaufnahme" auch Fragen bei mir o Was verstehe ich unter Homosexualität? entstanden? o Was sagen die Sexualwissenschaftler? o Welche Ideen, Fantasien, Wünsche, ;) WilS sagt die Gesellschaft? Bedingungen habe ich im Sinn zum o Was sagt mein Gefühl?

• Wir gehen davon aus, daß Sie aus Ihrer Kenntnis der Arbeitsgruppe entscheiden, ob Sie bereits zu Anfang, erst zu einem späteren Zeitpunkt oder gar nicht die "Persönliche Bestandsaufnahme" thematisieren wollen.

1. Methodische Hinweise 11 o Was sagen meine Nachbarn, Freunde, Bekannte? o Latente Homosexualität - latente Hetero­ sexualität: unsere jeweils verdrängten sexuellen Anteile o Wie leben Homosexuelle? o Kenne ich persönlich Homosexuelle? o Homophobie in unserer Gesellschaft und Kirche. o Wie urteilt die Kirche über Homo­ sexuelle? ® Homosexuelle zum Anfassen o Gesprächsabend mit schwulen Männern J Gesprächsabend mit lesbischen Frauen ® Zusammenfassung Zwischenbilanz J Was ist uns durch die Gespräche wichtig geworden? o Hat sich unser Meinungsbild verändert? o Für welche gegensätzlichen Positionen fanden wir keine "Brücke"? o Worin stimmen wir überein? o Worüber müssen wir das Gesamt-Gremi­ um (z. B. Presbyterium) informieren? o Zur "Solidaritätserklärwlg" des Projekts FARBE BEKENNEN.

12 1. Methodische Hinweise Sexualität zwischen "Gosse" 2. und guter Gabe Gottes

In diesem Kapitel geht es zur Sache. die real von Ihnen und mir gelebte Lassen Sie uns nicht darum herum­ Wirklichkeit, um den "roten Faden" reden: Sexualität steht in einer Span­ Sexualität. nung zwischen Ärgernis und Selbst­ verständlichkeit, Provokation und Unser Angebot von Texten (das Sie Bereicherung. mit Hilfe der Literaturliste erwei­ tern können), will Sie anregen, Der Weg, die eigene Sexualität .1::\# darüber zu reflektieren und als lustvolles Erlebnis befreiter ~!.,;;:; miteinander zu sprechen, was Menschlichkeit (Bartholomäus) Sie immer schon beschäftigt begreifen zu können, ist von hat. Die eigenen sexuellen Er­ mächtigen Brocken einer tief se­ fahrungen und Wünsche auszu­ xualpessimistischen Einstellung sprechen ist ungewohnt und versperrt. Der weitere Weg zur macht gerade innerhalb der Akzeptanz der Vielfalt der sexuellen Kirche eher Angst: im allgemeinen Sprach-Dialekte und möglichen Le­ drängen wir alles, was mit Sexualität bensformen muß zuerst die sexual­ zu tun hat in eine "Gossen-Sprache" feindlichen Traditionen bewußtma­ ab. Dieser Tendenz setzen wir opti­ chen, um sie dann zu überwinden. mistische Impulse entgegen, denn Es geht also nicht um ein vielleicht auch und gerade mit unserer Sexua­ interessantes, aber ungefährlich lität sind wir von Gott umfassend entferntes Phänomen, sondern um bejahte Geschöpfe.

2. Sexualität zwischen "Gosse" und guter Gabe Gottes 13 Järg SchIet te 2.1 Was ist Sexualität?

In unseren Köpfen und Herzen existieren ganz unterschiedliche Vorstellungen davon, was Denk- und Diskussionsanstoß Sexualität eigentlich sei. Den Begriff selber gibt es erst seit dem späten 19. Jahrhundert. Er Formulieren Sie Ihre eigene Definition von ersetzt die Begriffe "Geschlecht", "Geschlechtsle­ Sexualität und vergleichen Sie diese mit der ben", "Gesamtheit der im Sexus begründeten von Bartholomäus. Diskutieren Sie die Lebensäußerungen und Verhaltensweisen" und Unterschiede und versuchen Sie Gründe für "Geschlechtstrieb". Definitionen von Sexualität die unterschiedlichen Sichtweisen zu finden. hat es seither zuhauf gegeben. Die Beschreibun­ Gelangen Sie miteinander zu einer Verständi­ gen, die wir Ihnen an dieser Stelle zur Diskus­ gung über einen Begriff von Sexualität oder sion anbieten, stammen von dem katholischen bleiben grundlegende Differenzen? Religionspädagogen Prof. Wolfgang Bartholo­ mäus und dem Sozialpädagogen Prof. Helmut Kentler: Das erste Gesicht: Die fünf Gesichter der Sexualität Sexualität ist Fortpflanzung und Fruchtbarkeit Man sollte meinen, die meisten Menschen In dieser Aussage meint der Begriff "Sexualität", wüßten sehr genau, wie wenig ihre sexuelle daß zwei Geschlechter existieren, die Trager VOll Aktivität und ihr sexuelles Erleben mit Fort­ Fortpflanzungsorganen sind, und daß durch eine pflanzung zu tun hat (im allgemeinen bemühen Befruchtung (Verschmelzung einer fi- Init einer sie sich sogar, eine mögliche Fortpflanzung Samenzelle) lIeues Leben entsteht. Ich habe hier auszuschalten); dennoch ist die Auffassung weit absichtlich eine kühl-sachliche Formulierung ge­ verbreitet, "Sexualität" sei nichts anderes als das wählt, um deutlich zu machen, wie weit sich die Fremdwort für Fortpflanzung. Aber Sexualität soziale Überformung und das Erleben der Menschen hat viele Gesichter. unseres Kulturkreises vom rein biologischen Sach­ verhall entfernt haben. Beispielsweise ist der manche Sexualität ist, das zeigen bereits die Begriffe, für Menschen tief ergreifende und verändernde Prozeß die Sexualität steht, nicht auf genitales Verhalten des Mutter- oder Vaterwerdens durch die Fortpflan­ eingeschränkt oder auf solche Erlebnis- und Hand­ wngsfunktion nicht vorgegeben, er ist überhaupt lungsweisen, die mit der Fortpflanzung der mensch­ nicht einer Naturanlage zu verdanken, sondern eine lichen Gattung w lun haben. "Sexualität" sieht für im Kulturprozeß erworbene Chance menschlicher das körpernahe und sinnvielfällige Erleben und Verwirklichung. Handeln der Menschen und zwischen Menschen, welches (auch bei der Selbstliebe oder der homosexu­ Gegenüber dem landläufigen Verständnis, nach dem ellen l.iebe) davon geprägt ist, daß und wie diese die Fortpflanwngsfunktion die Hauptfunktion oder Menschen Frauen und Männer sind. Sexualität steht sogar die Sinnerfüllung der Sexualität ist, muß der Liebe nahe, ist allerdings mit Liebe nicht einfach kritisch angemerkt werden, daß in der Natur eine gleichzusetzen. Die Sexualität ist eine Möglichkeit, lInsexuelle Vermehrung weil verbreitet ist. Sexuali­ Liebe auswdrücken. Wo Menschen im Medium ihres tät ist nicht notwendig, um die Fortpflanzung zu Körpers sich begegnen, sind sie sexuell, weil sie sich ermöglichen oder zu sichern. Die Sexualität, das als Geschlechtswesen aktualisieren und in Kommuni­ Vorkommen zweier Geschlechter, erbringt vielmehr kation miteinander trelen. In seinem ganzen Sein ist einen Vorteil im Kampf ums Überleben: Durch der Mensch von seiner Geschlechtlichkeit geprägt, da Mutationen und dadurch, daß die Erbanlagen von er "nie und nirgends als Mensch all sich, sondern zwei Individuen bei der Befruchtung zusammenkom­ immer und überall als der menschliche Mann und men, können immer wieder neue Kombinationen der die menschliche Frau" existiert. So sind Liebe und Frbträger entstehen und dabei auch Abweichungen Sexualität wohl w unterscheiden, nicht aber zu vorkommen, die eine bessere Anpassung an dir trenneil. (W. Bartholomäus, Glut der Begierde ­ Umwelt Ulld eine Verltaltensüberlegenheit ermÖRli­ Sprache der Liebe, S. 25) chen. Dieser entscheidende 'Lweck der Sexualität hat allerdings auf das Frleben der Individuen iiberhaupt keine Auswirkungen. (Helmut Kentler, Die

14 2. Sexualität zwischen "Gosse" und guter Gabr Gottes Menschlichkeit der Sexualität. München 1983, gemacht, daß die l.eugungsmöglichkeit, vor allem die S 21f.) Empfängnis, nicht von der Lusterregung abhängt. Die Lust hat auch nicht den Zweck, die Menschen Sexuelle Fruchtbarkeit meint ... mehr als Fortpflan­ zur Fortpflanwng zu verführen. Schwängerung und zung. Sie schließt die Fortpflanzung ein und über­ Orgasmus haben nichts miteinander zu tun - sie schreitet sie zugleich. (. ..) Weitergabe von Leben in sind verschiedene sexuelle Wirkungen und also sexuellC11 Beziehungen und genitalen Begegnungen, eigene Phänomene. Aristoteles hat auch darauf fruchtbare Sexualität also, ist ... mehr als Leugung hingewiesen, daß keines dieser beiden Phänomene von Kindern. Sexuelle Beziehungen und Begegnun­ geringeren Wert gegenüber dem anderen hat. gen sind überhaupt lebensschöpferisch und lebens­ Zeugung ist für ihn Hervorbringung des Besseren, spendend. Sie sind in der Schaffung und Ennög/i­ weil Sein besser als Nichtsein, Leben besser als chung, in der Anregung und Inspiration von Leben Nicht-Leben ist; Orgasmus, der Vorgang der sexuel­ auf viele Weise und in vielfältigen Formen fruchtbar. len Vereinigung für sich genommen, ist ein Erkennt­ nisakt. Der griechische Wortstamm 'org', der mit Diese Sicht der sexuellC11 Fruchtbarkeit gibt der Schwellen, Strotzen, Aufblühen w tun hat, kmm Sexualität von Alten und Behinderten einen überra­ sowohl in Wörtern vorkommen, die affektive, wie in schend neuen Sinn. Mall wird nun auch in der Wörtern, die geistige Prozesse bezeichllen; "orge" sexuellen Begegnung alter Menschen Äußerungen bedeutet Leidenschaft, Zorn, aber auch zielgerecht­ einer lebensschöpferischen Fruchtbarkeit gelten sinnvolles Drängen. Wenn AristoteIes im ersten lassen; und Behinderte kirchlich trauen, weil ihnen Satz seiner Metaphysik behauptet, die Liebe zu den fruchtbare Sexualität zuzutrauen ist, allch wenn sie Sinnen beweise, daß alle Menschen von Natur aus zum Geschlechtsverkehr selbst unfähig sind (gegen eifrig bemüht sind, das wesenhafte des Seins zu das Trauungshindernis der Impotenz can. 1084 elfassen, gebraucht er ein Verb, das den Stamm 'org' ClC). Der Gedanke wird sicher auch für Sinngebung enthält. autoerotischer {Selbstbefriedigung} und hOl1lOero­ tischer Praxis Folgen haben. (Bartholomäus, a.a.O., Die hebräische Sprache gibt eine ähnliche Sicht S. 232f.) wieder: Die Sexualorgane sind zugleich Fortpflan­ zungs- und Lrkenntnisorgane; luther übersetzt sehr wörtlich und zutreffend 'Fr erkannte sie', wenn die Das zweite Gesicht: sexuelle Vereinigung gemeint ist. Sexualität bedeutet Entspannung und Lust feder Mensch will letztlich Glück, Lust, Freude. Die Die Erkenntnisse der heutigen Sexualwissenschaften Sexualität kann dafür Medium sein. Es mllß doch stehen solchen Überleguilgen sehr nahe. Die Lust, eine Bedeutung haben, daß der weibliche Orgasmus die im Orgasmus kulminiert, ist keine bloße Erre­ wahrscheinlich nur unter Menschen vorkonnnt. Die gungsabfuhr. Die Lust entsteht auch nicht nur durch Erfahrung der Lust zeichnet die menschliche Sexuali­ Stimulation der Sexualorgane. Menschen reagieren tät offensichtlich in spezifischer Weise, anders als bei nicht automatisch auf Reize. Menschen müssen sich Tieren. Die völlige, für alle sexuelle Lust uninteres­ dabei etwas denken, und sie brauchen Phantasie, um sierte Unsinn/ichkeit war für Thomas von Aquin Lust zu erleben. Weil auch bei der Selbstbefriedigung nicht nur ein Defekt, sondern ein sittlicher Mangel. vorgestellt, gedacht, phantasiert wird, ist sie von Der Mensch ist für Lust sensibel zu halten. (Bartho­ vomherein nicht minderwertiger als ein Sexualakt, lomäus, a.a.O., S. 227) in den der Partner unmittelbar einbezogen ist.

Ohne Zweifel kommen zwischen Menschen die Weil die Sexualität nicht etwa in den Hoden oder in meisten sexuellen Kontakte zustande, nicht um sich den Eierstöcken ihren Sitz hat, sondern, wenn fortzupflanzen, sondern U111 Lust zu erleben. Diese überhaupt irgendwo, dann im Kopf, weil der ganze Lustpotenz bleibt dem Menschen - sehr im Unter­ Mensch als Sexualwesen agiert, ist eine Kultivierung schied wr Fortpflanzungsfähigkeit - das ganze Leben und Humanisierung des Sexuallebens möglich. Die hindurch erhalten: Auch Kinder und Greise sind gegenüber dem Gattungszweck selbständige Lust ist lustfähig. Der Gipfel der Lust wird im Orgasmus auch al1 und für sich intendierbar. Menschen brau­ erlebt. Schon AristoteIes hat darauf aufmerksam chen nicht darauf zu warten, bis sich irgendein

2. Sexualität zwischen "Gosse" und guter Gabe Gottes 15 Energiereservoir gefüllt hat, um dann seine J::ntlee­ auch die Sexualität funktionierende Organe voraus. rung zu genießen; sie körnten vielmehr von sich aus Kinder lernen nicht sprechen, wenn sie bei Taub­ stimulierende Situationen suchen, sogar schaffen, stummeIl aufwachsen und nie Laute zu hören um sexuell erregt zu werden. Welche Reize aber bekommen. Auch die Sexualität entwickelt sich nicht sexuell erregend erlebt werden, welche Triebe als ohne Stimulation und Übung. Es gibt das Selbstge­ sexuell ausge·macht werden, schließlich der Zusam­ spräch. Es kann Vorbereitung für ein wichtiges mer/hang von Sexual reiz und sexueller Reaktion ­ Gespräch sein, aber auch Ersatz für fehlende Gesprä­ das alles ist nicht natürlich oder wenigstens nicht che mit anderen Menschen. Es kann einen Selbst­ naturbedingt, sondern gelernt und erworben. Die zweck haben, z.B. wenn es aus Spaß, sich reden zu Sexualität ist kein Naturrest im Menschen. Sie hören, geschieht. Dem entspricht im sexuellen bedroht seine [ntaktheit und Integrität nicht. Die Bereich die Selbstbefriedigung. Untersuchungen Dichotomisierung [Zweiteilung] des Menschen· hier haben beispielsweise gezeigt, daß Frauen, die in der Geist und Kopfwesen, dort Trieb und Unterleib - ist Selbstbefriedigung erfahren sind, auch in einer Ehe ein Produkt von Ängsten, die bis in den Mythos größere Befriedigung finden und eine ihrem Mann zurückzuverfolgen sind. Menschen werden geboren besser gewachsene Partnerin sind. Sie haben ihren mit einer sexuellen Gnmdausstattung: innere und Körper als Sexua/leib selbst kennengelernt, unent­ äußere Sexualorgane, Reflexzentren im Rückenmark, fremdet durch die Vorlieben und Wünsche des Nerven, Wahrnehmungsorgane, Gehirnzentren usw. Mannes; sie haben ihrem Mann eigene Erfahrungen Was daraus wird und wie Menschen damit umgehen, und Kenntnisse entgegenzusetzen, so daß ein darüber wird auf dem Lebensweg jedes einzelnen in gegenseitiges Geben und NellInen möglich ist. den ersten drei bis fünf Lebensjahren entschieden. In engstem Zusammenhang steht die Entspannungs­ [n der partnerschaftlichen Beziehung hat die Sexuali­ funktion der Sexualität. Allerdings darf Entspan­ tät eine Aufgabe, die jedenfalls mit den Möglichkei­ nung nicht als ein passives Geschehen aufgefaßt ten der Sprache zu vergleichen ist: Wie die Sprache werden. Entspannung ist die Voraussetzung, um dient die Sexualität dem Kennenlernen, dem Aus­ kreativ werden zu können. Entspannung bedeutet, tausch von Mitteilungen und der Verständigung. In vorübergehend kindlich sein zu könneu, zurückfallen der sexuellen Begegnung kann die Sexualität zur zu können, wenn es not tut, auf längst vergangene Körpersprache werden und Informationen vermit­ Entwicklungsstufen und dabei Kraft und Anregun­ teln, für die es Worte nicht gibt. Ebenso wie ein gen aufzunehmen für die Gestaltung des weiteren Gespräch an und für sich wertvoll und schön sein Lebens. (Kentler,

16 2. Sexualität zwischen "Gosse" und guter Gabe Gottes der Elfahrung, von einenl geschlechtsdifferenten Das fünfte Gesicht: Partner auch körperlich geschätzt zu werden, im Selbstbestätigung, Identität, Integration Kraftfeld sozio-kultureller Beziehungen eine Rolle zu Die psychisch!' Gesundheit eines jeden Menschen spielen, aus solcher Erfahrung stllmmt Identität. Tch­ hängt daran, daß er seinen Körper annimmt und Stärke und Selbstwertge[iihl des Menschen sind mit Freude an ihm hat. nie traditionelle, allzu ängstliche seiner Sexualität und mit den Erfllhnmgen, die er als Schamhaftigkeitserziehung, die es Kindern sogar sexuelles Wesen macht, zutiefst verkniipft. (Bartho­ verbot, del1 eigenen nackten Körper anznseltauen lomäus, a.a.O., S.214) oder siell vorzustellen, hat dies in al/er Regel er­ schwert und sich identitätsstörend ausgewirkt. "Der Merzsch erlebt und versteht seinen Körper nur insoweit als er sich Init ihm identifiziert ... Der Denk- und Diskussionsanstoß Körper ist ein [fWIIS, das die Existenz in diesem Leben iiberhllupt erst möglich Inllcht." Das Neugebo­ Diskutieren Sie, welche Konsequenzen es für rene ist an seiner Haut wnächst verhältnismäßig die Identitätsbildung eines Jungen (oder unempfindlich, weil sich seine Aufmerksamkeit ganz eines Mädchens) hat, der entdeckt, daß er auf die Vorgänge in seinem Körperinneren konzen­ homosexuell ist, aus seiner Umwelt jedoch triert. Erst dadnrch, daß seine Eltern es streicheln keine identitätsstärkenden Vorbilder oder und zärtlich zu ilnn sind, entwickelt es ein Gefühl Signale für seine gleichgeschlechtliche für seine Körperoberfläche. Es entdeckt lIuch, daß die Orientierung bekommt. Hllut die äußerste Peripherie seines individuellen Wesens ist, daß sie es trennt von anderen Individu­ en, obwohl sie zugleich den Kontakt zu ilnlen Gefährdete Identität ohne Sexualität herstellt. ViI' zärtliche Stimulation seiner Haut, die ­ Menschen, die im Spiel sexueller, nicht unbedingt wenigstens minimal - schon in allen PflegehandlUlz­ genitilier BeziehUlzgen, keine Rolle spielen, oder mehr spielen, weil sie als unatl raktiv ausgestoßen werden oder sich - vielleicht wegen neurotischer Störungen ­ IIls uninteressiert ausschließen, geratel1 in die GefIIhr, ihre Tdentifiif zu verlieren. nie Probleme spitzen sich zu bei Menschen, denen man sexuelle Eifahrungen versagt, bei Behinderten beispielsweise, Strafgefangenen oder Alten. Sie zeigen sich al1er schon bei Einsamen und Scheuen. Und sie sind die ständigen Begleiter von Fremden, Ausländern und ASljlllnten.

E. Bleske deutet in diesem Siwze die F.rfahrungen einer IIn multipler Sklerose Erkrankten, mit ihrer sexuellen Anziehungskraft partiell auch ihre Identi­ tät verloren Zll haben und dadurch "Null" geworden zu sein. "Null" werden nzeint viel mehr IIls den gen der FItern gegeben wird, macht es dem Neugebo­ chronifiziertel1 Mllngel an sexuell genitaler Befriedi­ renen möglich, nach und nach ein Körper-Ich gung. Es drückt die bedrohliche Leere IIUS vor dem lIufzubauen. verriegelten Zugang zur eigenen fraulichen oder männlichen fxistenz, den mindestens partiellen Der Körper ist IIlso das Medium, über das die soziale Verlust der eigenen Ident ität, der sexuellen Identität. Umwelt dem Menschen das Bewußtsein davon und Diese sexuelle Identität ist wohl deshalb so sehr das Gefiihl dafür zuspielt, wer er ist, und als wer er gefährdet in der Einsamkeit, weil Sexualität immer sich in dieser Gesel/schllft begreifen darf. Dies Bezogensein auf den Pllrtner beinhaltet, weil sie erstreckt sich auf das ganze Leben eines Menschen, ergänzungsbedürftig ist und begegnen will. Weil sie ist IIlso nicht auf die friihe Kindheit beschränkt. Aus sich eben nicht in der Geschlechtszugehörigkeit

2. Sexualität zwischen "Gosse" und guter Gabe Gottes 17 "männlich" oder "weiblich" bestimmt, sondern erst Diese fünf Aspekte von Sexualität sind Möglich­ in der lebendigen Tllteraktion schöpferisch gestaltet keiten, sind Potentiille der Sexuillität. Nilch nnd gestalten läßt. Sie realisiert sich in der Interakti­ illlem, was wir heute wissen, ist Sexualität eine on zwischen Frau und Mann ehenso wie von Frau zu erworbene und gelernte Fähigkeit wie die Frau und von Mann zu Mann und nicht zuletzt in Sprilche und der aufrechte Cang. Alle diese den Etappen des Sich-selbst Findens allein. In die­ PotentiilJe bedürfen der Anregung, und sie sem Lusalnmenspiel des Sich- Vergleichens, Abgren­ müssen geübt werden, sonst bleiben sie unter­ zens und Antwortens erlebt die Frau/der Mann sich entwickelt, erleiden schwere Störungen oder als ~ngehörig zum eigenen (;eschlecht und doch entstehen überhaupt nicht. "'ur wenn sie gelernt einzigartig in der persönlichen Variante des frau und geübt wird, kann die Sexualität ihre vielen seins oder Mannseins. Wenn dieses Zusammenspiel Gesichter auch wirklich zeigen. gestärt ist, ist mit ihm die Selbsterfahrung, die Erfahrung der eigenen Identität gestört. (8artho]0­ mäus, a.a.O., S.216f.)

Auch in diesem Sinne hat Sexualität mit Identität zu tun, daß Menschen in ihr die Kraft ihres eigenen Liehens zu entdecken vermögen und daraus Zutrall­ en zu sich selbst finden. nie sexuelle Erfahrung spielt die Überzeugung zu: Ich kann lieben nnd die Liebe eines anderen Menschen wecken und auf mich ziehen. Wir brauchen die "Erkenntnis", daß wir fähig sind, dem geliebten Partner Gel1llß zu bereiten. Wir fiihlen, daß es unsere ganze Person und nicht allein unser Körper ist, der das Lustempfinden unseres Partners hervorruft. Wir möchten nicht bloß als guter Sexualtechniker geschätzt werden. Viel­ mehr haben wir das Gefiihl: "nur weil ich bin, was ich bin, kann ich in ihm (oder in ihr) die Gefiihl!' hervorrufen, die er (oder sie) gerade ernpfindet." Anf dies!' Weise werden die Gefiihlsregungel1 auf dCln Gesicht unseres Partners zu einem Spiegel, der uns unsere eigene Seele und ihren Wert reflektiert. (Bartholomäus, a.a.O., S.218)

Denk- und Diskussionsanstoß

Diskutieren sie die fünf Gesichter der Sexua­ lität. Welcher Aspekt ist ihnen vertraut, welcher fremd? Wenn Sie Sexualität be­ schreiben würden: wieviele Gesichter hätte Ihre Sexualität?

18 2. Sexualität zwischen "Gosse" lind guter Gabe Gottes Herbert Engel 2.2 Kirche und Sexualität

leh beginne mit einer These: ders auch der eheliche Geschlechtsverkehr Die Haltung der Kirche zur Homosexualität machten bis zum Abend kultisch unrein. (Lev. und zu ihren homosexuellen Mitgliedern wird 15, 16-19) Als besonders belastend wirkte sich bestimmt durch das kirchliche Verständnis aus, daß man die in den Gesetzesvorschriften von Sexualität. Dieses ist grundsätzlich pessi­ benannte kultische Unreinheit,

Sexualpessimismus * Philo von Alexandrien, der gelehrte Jude Sexualität, insbesondere die Lust daran, war und schreibt zur Leit Jesu: Rein kommen wir bei ist allem Anschein nach der Kirche eher eine Abschluß der Fhe zu reillen Jungfrauen und setzen Last als eine Leidenschaft. Im Verein mit der /Ins als Ziel nichl die Wol/ust, sOlidem die Zeugung Abwertung des Leibes, der Geschlechtlichkeit legitirner Kinder (De Josepho 4,70f.) und der Sexualität befindet sie sich in einer langen Tradition der Lustfeindlichkeit. In ihrer * Dieser Aussage entspricht im Judentum zur gesamten Geschichte finden wir eine pessimisti­ 7.eit Christi die Tendenz der Essener, nicht zu sche Ansch

* 1m gesamten biblischen Zeitalter war der * Origenes, ein einflußreicher Kirchenlehrer Zweck der geschlechtlichen Vereinigung die (der - wie er später bed

2. Sexualität zwischen "Gosse" und guter Gabe Gottes 19 lIur mit Rücksicht auf die Verhütung von 1I0ch SchJimrnerem zugestandeIl wird? (Gegen Jovian Ehegüter 1,7). Die Ehe preist Hieronymus nur, wenn in Gut können Ehe und die Sexualität in der Ehe ihr Menschen gezeugt werden, die sich dem nur dann werden, wenn das Übel der bösen jungfräulichen Stand weihen. Lust durch die Güter der Ehe aufgewogen wird. Drei Ehegüter gibt es nach Augustin: Treue, Nachkommenschaft, Sakrament (keine Sexualität als Scheidung). Nur wenn die Eheleute die '\lach­ kommenschaft intendieren oder wegen der Sündenstrafe Treue verkehren, gemeint ist, daß ein Gatte dem Das ist nur ein kleiner Ausschnitt des Hinter­ and('ren auf dessen Verlangen die eheliche grundes, auf dem sich die kirchlicllC' Haltung Pflicht leistet und ihn so von Cntreue abhält, zur Sexualität entwickelt hat: Diese pessimisti­ dann ist das Ehebett frei von Schuld. sche Anschauung bildet auch den Hintergrund für die Ehelehre des heiligen Augustinus. Dieser Ich weiß nicht, wie es Ihnen dabei geht, aber in Mann leistet die folgenreichste theologische solch ein Ehebett möchte ich mich nicht legen. ­ Grundlegung des Sexualpessimusmus, welcher Die Ehegüter des Augustinus sind primär zu einer repressiven und damit menschlich und Entschuldigungsgüter für Sexualität. Die Ehe ist christlich falschen Ehelehre führte. Diese Eheleh­ primär Zeugungsinstitut, Sexualität ist nur in re hat weit über ein Jahrtausend im Abendland der Ehe geduldet. Sexuelle Lust ist den Kirchen­ vorgeherrscht. Augustinus' Ehelehre, die erst vätern überaus suspekt und mit dem Odium der durch das Zweite Vatikanische Konzil 1965, Sünde behaftet. dann aber auch gründliehst revidiert worden ist, lautet: (Zitate aus De Civitate Dei 14): Vor dem Wie soll sich bei einem solchen Verständnis von Sündenfall ist der geschlechtliche Verkehr ohne Sexualität in der Kirche ein positives Verhältnis alle sexuelle Lust gewesen. (SiE' sehen: wo keine zu Homosexuellen herausbilden? Bei diesen fehlt Sünde ist, ist auch keine Lust, zumindest keine doch gerade der wichtigste Entschuldigungs­ sexuelle.) Vor dem Sündenfall habe der Wille die grund für die Sexualität, nämlich die Zeugung Sexualorgane genauso betätigt, wie er nach dem von Nachkommen. Und mit der Treue haben sie Sündenfall noch Hand und Fuß betätigt. Augu­ es ja auch nicht so; dann schon eher mit der Lust. stinus schreibt: [rst nach der Sünde ist die Libido (die Begierde) enlstandell, ersl nach der Slinde hat die nicht schamlose Natur die Herrschaft über den Schnee von gestern? Leib, der ihr vorher in allen 1eilell dienstbar war, Wenn Sie meinen, das sei doch alles Schnee von verloren, die Libido empfunden, sie bemerkt, sich gestern, die Kirche des 20. Jahrhunderts sei über ihrer geschämt und sie zu verbergen gesucht. solche vormittelalterlichen Anschauungen längst [Sexuelle Lust muß also verborgen werden.] hinweg, die Haltung der katholischen Kirche zur Augustinus fragt: Woher kommt die Sonderstel­ Sexualität müsse nach dem 2. Vatikanum anders lung der Geschlechtsorgane, daß sie nicht durch beschrieben werden, die Haltung der Evangeli­ den Willen bewegt, sondern durch die Lust erregt schen Kirche sei sowieso freier, dann werfen Sie werden? Seine Antwort ist ebenso simpel wie doch mit mir einen Blick in neuere kirchliche theologisch ungeheuerlich: Der ~ensch war Erklärungen: ungehorsam gegen Gott: in der Strafe wird nun Ungehorsam mit Ungehorsam vergolten. Die !esu Verkündigung des göttlichen Heilswillens ver­ Sexualorgane sind dem Geist nicht mehr gehor­ steht das geschlechtliche Leben als allein in der Ehe sam, damit der Mensch durch ihren Ungehor­ erfüllt und diese als ausschließliche Einehe. (EKD, sam an seinen Ungehorsam gegen Gott und sein Denkschrift zu Fragen der Sexualethik,1971l hierdurch bewirktes Elend immer erinnert wird. Die Geschlechtslust als weitere Sündenstrafe! Nur in der Ehe dürfen sich Intimbeziehungen Der Ablauf der sexuellen Erregung, eine Folge entwickeln (Vatikanische Kongregation für das des Sündenfalls. katholische Bildungswesen, 1983).

20 2. Sexualität zwischen "Gosse" und guter Gabe Gottes sierten Frau über ihre sexuellen Bedürfnisse reden und kaufen sich deswegen ihre Sexualität bei einer Frau, die sie gleichzeitig für ihre Wünsche bestraft, bei einer Domina.

Sexualität, Genuß und Lust an Sexualität war und ist bislang für die christliche Kirche theolo­ Die Erklärung zu einigen Fragen der Sexualethik gisch nicht hoffähig. Die Norm der Kirche für von 1975 fällt sogar wieder hinter das Zweite die Sexualität ist eindeutig die Ehe. Das gilt für Vatikanum zurück und betont die augustinische beide Konfessionen, die evangelische wie die Ehelehre. Dort heißt es: katholische.

Oie Finalität des Geschlechtsaktes (d.h. die inten­ Daß die Kirche damit nicht nur an dem Wert tionale Absicht, ein Kind zu zeugen) ist das von Sexualität sondern auch an der Realität wichtigste Kriterium f{ir seine sittliche Bewertung: gelebter Beziehungsformen ihrer Kirchenglieder Es ist die Beachtung seiner Finalität, die diesem Akt völlig vorbeigeht, scheint sie nicht besonders zu seine Ehrbarkeit gewährleistet. Sexualität außer­ irritieren. Meine These lautet daher: halb der Ehe wird abgewertet: jeder Geschlechts­ akt de<; Menschen darf nur innerhalb der Ehe Die Kirche wird ihre Einstellung zur Homose­ erfolgen. Warum ist das so? Die Sexualität muß xualität und zu Homosexuellen nur dann geheiligt werden. Durch die Ehe nämlich wird die grundlegend ändern können, wenn sie ihre Liebe der Eheleute zutiefst in jene Liebe hineinge­ grundsätzlich pessimistische Einstellung zur nommen, mit der Christus auf unwiderrufliche Sexualität verändert, vor allem der Lust- und Weise die Kirche liebt; die Sexualität muß also Kontaktfunktion von Sexualität einen Wert gereinigt werden: die körperliche Vereinigung in zugesteht. Unzucht (d.h. außerhalb der Ehe) hingegen entehrt den Tempel des Heiligen Geistes, zu dem der Christ Bis das geschehen ist, werden beide großen ge'worden ist. D.h. der Gebrauch der Geschlechtskraft Konfessionen darauf beharren, die rhe sei die erhält nur in der rechtsgiiltigen Ehe seinen wahren einzig mögliche und von Gott gewollte Sozial­ Sinn und seine sittliche Rechtmäßigkeit. (Erklärun­ form christlichen Zusammenlebens. Diese gen zu einigen Fragen der Sexualethik, Hrsg. Haltung ist in der katholischen Kirche durch den vom Heiligen Officium, am 29. Dezember 1975). Sakramentscharakter der Ehe festgeschrieben und in den evangelischen Kirchen immer wieder Einzig und allein in der fhe kann der Gebrauch der in Prozessen gegen homosexuelle Pfarrer deut­ Geschlech/skraft moralisch gut sein (Schreiben der lich hervorgetreten. Die Norm für Beziehungen Kongregation für die Glaubenslehre, 1986). ist in beiden Konfessionen die Ehe. Diese Norm Hätte dieser Satz nicht so vielen heterosexuellen wird als "natürlich", als Sakrament oder als wie homosexuellen Menschen das Leben versau­ "schöpfungsgemäß" bezeichnet. ert oder gar zerstört, man könnte nichts als über ihn lachen. Die Wirklichkeit Denk- und Diskussionsanstoß Aus meiner Beratungstätigkeit, in der es fast Gibt es in Ihrer Gruppe auch Spuren der ausschließlich um Sexualität geht, weiß ich, wie Ansicht, daß Sexualität gefährlich sei, gezü­ stark bei vielen Menschen, die kirchlich gebun­ gelt werden müsse und eher eine unbere­ den sind, das Sexuelle tabuisiert und mit Schuld­ chenbare Chaosmacht als ein Quell der komplexen beladen ist. So manches katholische Freude sei? Wie zeigen sich diese Ansichten aber auch evangelische Ehepaar hat sich noch heute? Welche Begründungen werden dafür nie nackt gesehen. Andere können nicht mit gegeben? ihrer anscheinend an Sexualität eher uninteres­

2. Sexualität zwischen "Gosse" und guter Gabe Gottes 21 Prof. Helmut Kentler 2.3 Sexualität und HODlosexualität

diese Angaben nur zu 39o/i:). Es kommt gar nicht Wie entsteht so selten vor, daß Jungen mehr oder weniger lange und intensiv nur homosexuelle Beziehun­ Homosexualität? gen haben, ehe sie sich - und zwar endgültig ­ Die Antwort muß lauten: Wir wissen es nicht. [s auf das andere Geschlecht festlegen ("homose­ gibt so viele Entstehungstheorien, wie es For­ xuelle Durchgangsphase"). Offensichtlich sind scher gibt, die sich mit dieser Frage beschäftigt auch solche Männer zu homosexuellen Aktivitä­ haben. Mal werden bestimmtE' Frziehungsein­ ten fähig, diE' heterosexuell orientiert sind (z.B. flüsse (eine herrschsüchtige Mutter, ein verzär­ im Gefängnis); aber eine "Prägung" zur Homo­ telnder Vater), Gewohnheitsbildungen (z.B. sexualität entsteht dadurch nicht. sexuelle Spiele mit gleichaltrigen Geschwistern) oder Verführung durch Homosexuelle im Ich gestehe, ich bin froh, daß wir nicht wissen, Jugendalter als Ursache genannt. Die bisher wie die Homosexualität entsteht, denn sonst gründlichste und besonders breit angelegte würde bestimmt bald ein "Mittel gegE'n Homo­ Untersuchung zur sexuellen Orientierung und sexualität" entwickelt. leh Jber fühle mich als Partnerwahl, durchgeführt vom Kinsey-Institut, Homosexueller wohl und will nicht, dalS meine hat alle Theorien als \1ärchen entlarvt. Einige Homosexualität abgeschafft wird. Untersuchungsergebnisse sind so wichtig für ein besseres Verständnis der Homosexualität, Jaß ich sie hier knapp zusammenstellen möchte: Denk- und Diskussionsanstoß 1. Es gibt keine besonderen Gegebenheiten in den Elternhäusern, die eine homosexuelle Versuchen Sie, mltemander herauszubekom­ Entwicklung zur Folge haben. men, warum mänche Menschen so daran '.. . Die Untersucher halten es für möglich, ddß die interessiert sind, festzustellen, wie Homose­ ausschließliche sexuelle Orientierung am eige­ xualität entsteht? Ist das ffir Sie auch ein nen Geschlecht aus einer Veranlagung entsteht, wichtiges Thema? die in frühester Kindheit durch uns unbekannte Nehmen Sie einmal an, Sie hätten herausge-­ Einflüsse aktiviert wird. Wahrscheinlich ist es -funden, wie Homosexualität entsteht, und ähnlich wie bei der Linkshändigkeit: auch auf Sie könnten verhindern, daß Menschen ihre Entstehung haben die Eltern keinen Finfluß. .: homosexuell werden. Würden Sie es tun? Begründen Sie Ihre Haltung. 2. Den meisten Homosexuellen wird die Tatsache, daß sie Angehörige des eigenen Geschlechts bevorzugen, lange vor jeder homosexuellen Betätigung bewußt. Sexualität und Sie fühlen, daß sie "anders" sind, und sie empfinden sexuelle Erregungen, wenn ihnen Fortpflanzung besonders sympathische Angehörige des eige­ Vielleicht ist die Frage, wie Homosexualität nen Geschlechts begegnen. verursacht wird, falsch gestellt? Es ist doch auffällig, daß nach der Entstehung der IIeterose­ 3. Homosexualität entsteht nicht durch Verfüh· xualität nie gefragt wird. Wäre Ilomosexualität rung. genauso selbstverständlich wie Heterosexualität, Am Ende der frühen Kindheit (ungefähr mit wäre gewiß niemand an den Entstehungsursa­ fünf Jahren) ist die sexuelle Bevorzugung so tief chen der Homosexualität interessiert. in der Persönlichkeit "verankert", daß eine "Umpolung" nicht mehr möglich ist (auch nicht Tatsächlich entscheidet unser Verständnis von durch Therapie). In der Kinsey-Untersuchung Sexualität darüber, wie wir die Homosexualität gaben 62% der heterosexuellen Männer an, sie einschätzen: Wer glaubt, die Sexualität habe nur hätten ihre erste sexuelle Begegnung mit einem einen Sinn und Zweck, nämlich die Fortpflan­ Mann grhabt (homosexuelle Männer machten zung, der muß Homosexuelle für "biologische

22 2. Sexualität zwischen "Gosse" und guter Gabe Gottes Minusvarianten" halten, für Abnorme, die etwas uns als Menschen kennzeichnenden Zügen sind Unnatürliches tun. Aber eine solche Auffassung wir Kulturwesen. Das gilt für den aufrechten widerspricht heute allen wissenschaftlichen Gang ebenso wie für die Sprache, und das gilt rrkenntnissen. auch für die Sexualität. Der aufrechte Gang setzt bewegliche Beine, die Sprache intakte Fortpflanzung und Sexualität sind zwei ganz Sprechwerkzeuge, die Sexualität eine bestimmte verschiedene Fähigkeiten; leibliche Ausstattung voraus (das sind die von sie haben sich getrennt entwickelt. Fortpflan­ der Natur mitgegebenen Voraussetzungen), aber zung dient der Vermehrung, - genauer, sie soll kein Mensch kann aufrecht gehen, der nicht das Vorhanden(' vervielfältigen. Sexualität dazu angeleitet wurde, ein Kind, mit dem nicht bedeutet zunächst einmal Differenzierung in gesprochen wird, lernt nicht sprechen, Md ohne männliche und weibliche Lebewesen und damit liebevolle körperliche Zuwendung (Zärtlichkeit, Herstellung und Sicherung von Beständen Streicheln, Kuscheln, Knuddeln) bleibt die Se­ unterschiedlicher Frbträger (Gene); Sexualität xualität unterentwickelt, oder sie entwickelt sich heißt weiter Verschmelzung und Austausch sogar überhaupt nicht. verschiedener Genbestände, und damit wird die Chance geschaffen, daß durch Veränderungen und neue Kombinationen des Erbmaterials Individuen entstehen, die ihrer Umwelt oder Denk- und Diskussionsanstoß veränderten Umweltbedingungen besser ange­ paßt sind als ihre Eltern. Die Sexualität dient der Sammeln Sie Aspekte von Sexualität. Wei­ Hervorbringung individueller Besonderheiten in cher Aspekt der Sexualität ist für Sie persön­ möglichst großer Variabilität. lich der Wichtigste? Welchen Einfluß hat Ihrer Meinung nach Ihr Glaube und ihre In diesem biologisch ftmdierten Erklärungsan­ religiöse Erziehung auf Ihre jetztige Einstel­ satz der Sexualität ist die Entstehung homosexu­ lung zur Sexualität gehabt? eller Lebensweisen kein "Fehler der Natur" (ne­ benbei: homosexuelle Beziehungen kommen bereits bei höheren Tieren vor). Es kommt jetzt alles darauf an, was wir Menschen mit dieser Gegebenheit anfangen. Auch den Fortpflan­ Die Ordnung der zungsvorgang haben die Menschen ja nicht ein­ fach als eine "Naturgegebenheit" nur so hin­ Geschlechterbeziehungen genommen, sondern sie haben die Begegnung Wie alle anderen Fähigkeiten, so entfaltet das der Geschlechter kulturell überformt, in Liebes­ Kind auch seine sexuellen Aktivitäten zunächst kulturen "eingebaut" und institutionalisiert. spielerisch; Kinder befriedigen sich selbst und befreunden sich dabei mit ihrem Körper; es ist ihnen gleichgültig, ob ein gleichgeschlechtlicher Sexualität wird gelernt oder ein andersgeschlechtlicher Mensch mit Daß Sexualität nicht mit Fortpflanzung gleichge­ ihnen kuschelt (Hauptsache, daß überhaupt setzt w('rden darf, ist auch daran zu erkennen, gekuschelt wird); im Kindergartenalter entste­ daß wir Menschen von der Wiege bis zur Bahre ­ hen innige Beziehungen zwischen Jungen und also auch, wenn wir noch nicht oder nicht mehr Jungen, zwischen Mädchen und Mädchen, fortpflanzungsfähig sind - als Sexualwesen exi­ zwischen Jungen und Mädchen, und daraus läßt stieren. Aus dieser lebenslangen Befähigung zu sich nicht voraussagen, wie die künftige sexuelle sexuellen Aktivitäten darf nun allerdings nicht Orientierung aussehen wird (die beiden unzer­ geschlossen werden, die Sexualität sei eine "Na­ trennlichen Freunde im Kindergarten, die von turgegebenheit", die zur natürlichen Ausstat­ Mädchen nichts wissen wollen, werden nach tung des Menschen gehört und deren Sinn und statistischer Wahrscheinlichkeit nicht homosexu­ Zweck von der Natur festgelegt ist. Als Lebewe­ ell). Gerade weil die kindliche Sexualität noch sen gehören wir zur Natur; aber gerade in den unfestgelegt ist, kann sie zu einem ebenso

2. Sexualität zwischen "Gosse" und guter Gabe Gottes 23 wichtigen und vielseitigen "Kommunikations­ Geschlecht. Ein Mann kann unter Männern medium" (Verständigungsmittel) wie die ebensoviel "Andersartigkeit" wie unter Frauen Sprache werden - sie wird "Körpersprache". "Gleichartiges" finden. Alle Untersuchungen über geschlechtsabhängige Merkmale belegen, Nach den Normen und Ordnungen unserer daß die individuelle Verschiedenheit in der Gesellschaft muß die vielgestaltige Sexualität des Gruppe der Männer oder der Frauen weitaus Kindes eingeschränkt werden auf Heterosexuali­ größer ist als alle Verschiedenheiten, die durch tät: Jungen werden zur "Männlichkeit", Mäd­ die Geschlechtszugehörigkeit entstehen. chen werden zur "Weiblichkeit" erzogen, und dazu gehört nicht nur die Einübung der als Wenn also eine Gesellschaft männliche und geschlechtsspezifisch deklarierten Eigenarten weibliche Existenz polarisiert, dann entspricht (Männer soHen hart und vernünftig, Frauen sie nicht natürlichen, sondern sozialen Gegeben­ hingegen weich und gefühlvoll sein), sondern heiten, und sie kann diesen Geschlechtergegen­ auch die ausschließliche sexuelle Orientierung satz nur kulturell herstellen und aufrechterhal­ an andersgeschlechtlichen Menschen. Diese ten, indem sie entsprechende Geschlechterrollen geschlechtsspezifische Erziehung wird unter­ definiert und durch geschlechtsspezifische stützt und verstärkt durch eine Rollenerziehung, Erziehung bei Nachwuchs immer wieder neu die den Zweck hat, die zwischen den Geschlech­ einübt. tern bestehende Arbeitsteilung aufrechtzuerhal­ ten : Die Frau soH für Haushalt und Kinder tätig Die heterosexuelle Geschlechterordnung gerät sein - der Mann soll für den Lebensunterhalt heute in einen schleichenden Prozeß der Selbst­ arbeiten. Vom Endergebnis aus betrachtet, sieht auflösung. Kritikfähige Männer, vor allem aber es dann so aus, als ob die heterosexuellen Frauen die um ihre Emanzipation streitenden Frauen, und Männer unserer Gesellschaft der "Natur der haben längst erkannt, daß die heterosexuelle Frau" und der "Natur des Mannes" entsprechen Geschlechterordnung zugleich ein Herrschafts­ würden. system des Mannes ist, das die Frauen zu zweitklassigen Menschen degradiert. Die für die heterosexuelle Geschlechterordnung grund­ "Ob ich ein Junge oder legende Institution, die Ehe, wird brüchig. Daß Mädchen bin? Mama immer mehr Ehen geschieden werden, liegt sagt immer: Wir nicht daran, daß die heutigen Menschen bezie­ werden nicht hungsunfähig und treulos sind, sondern daß die ~ als Mädchen ~;i~ Anforderungen, die eine Ehe heute stellt, viele geboren, wir überfordern. Es ist eben ein Unterschied, ob die ~ werden dazu Ehe durch Zwänge der Existenzsicherung (z.B. gemacht!" gemeinsame Verantwortung für einen Hand­ werksbetrieb) oder allein durch Liebe zusam­ --- --L:::--J - • -: ­ mengehalten wird; ob Eheleute eine Lebenser­ wartung von 35, 50 oder 70 Jahren haben; ob 12, Das ist "natürlich" nicht so. Alle neueren Unter­ 4 oder 2 Kinder zu versorgen und zu erziehen suchungen über Persönlichkeitsunterschiede sind; ob eine Frau auf ihren Mann angewiesen zwischen Frauen und Männern haben ein ist oder wie der Mann berufstätig und dadurch eindeutiges Ergebnis: Frau und Mann sind nicht selbstbewußt und selbständig ist. Für immer zwei kategorisch verschiedene Wesen, die ­ mehr Menschen ist das eheliche Zusammensein obwohl zu gegenseitiger Ergänzung berufen ­ kein ihr ganzes Leben ausfüllendes Programm letztlich einander fremd bleiben müssen, weil es mehr. Immer mehr Menschen schließen eine zwischen ihren Andersartigkeiten keine Vermitt­ "Ehe auf Zeit" ("solange wir es schaffen"), ohne lung gibt. Was Frauen können, vermögen auch Trauschein, und der Segen der Kirche wird Männer; was Männer können, vermögen auch ihnen verweigert. Warum eigentlich? Viele Frauen. Empfindwlgsfähigkeit, Gefühlsregun­ Unverheiratete bemühen sich ernsthafter umein­ gen, Denkvermögen sind unabhängig vom ander als Verheiratete.

24 2. Sexualität zwischen "Gosse" und guter Gabe Gottes schlechtliche "Tempelprostitution", sondern es Ursachen der verstand den heterosexuellen Koitus auch als einen Akt, der die strenge heterosexuelle Ge­ Homophobie schlechterordnung verkörpert und immer neu Nicht nur Frauen sind die Opfer der heterosexu­ bestätigt: Der gleichgeschlechtliche Analkoitus ellen GeschJechterordnung, auch die Männer zerstört die Männlichkeit zumindest eines der und unter ihnen zuerst einmal die homosexuel­ Beteiligten, er macht aus einem Mann ein Weib len Männer. und ist damit zugleich ein schwerer Angriff duf eine Gesellschaftsordnung, die auf der Vorherr­ Wir "Homos", wir "Schwulen" haben eilw schaft des Mannes beruht und von einem "Va­ zweitausendjährige Geschichte der Verfolgung ter-Gott" geschützt wird. Die Leute von Sodom und Erniedrigung hinter uns, und immer noch trifft darum der Zorn Gottes, weil sie nicht nur erklären Kirchenmänner ganz offen ihre Ausrot­ das Gastrecht brechen, sondern weil sie dies auf tungsabsichten, 7.war nicht mehr gegen uns als die schändlichste' Art tun: Sie wollen den Gast Personen, wohl aber gegen die Homosexualität. anal mißbrauchen und dadurch als Mann So manchem Evangelikalen ist es ganz recht, daß auslöschen. Eine Weiberrolle zu spielen bedeutet uns heute - mehr als Heterosexuelle - die "Geißel für den Juden die schwerste Verletzung des Gottes, AIDS" bedroht. Die Ursache aller Vorur­ Mannes. Sie macht ihn sozial tot. teile und Kämpfe gegen uns sind tief sitzende Ängste: Homophobie -. Angst vor Homosexuel­ Sowohl im Mittelalter wie auch in der heutigen len und Angst vor eigenem Homosexuellsein. Zeit dienten und dienen die Auffassungen über Sexualität und dementsprechend die Sexualstraf­ Bibelfeste Christen führen gegen uns Bibelstellen gesetze der Einschränkung des Sexualverhaltens ins Feld. Wer sich jedoch angemessen und auf Fortpflanwng, sie dienen darüber hinaus sorgfältig mit diesen Texten auseinandersetzt, dem Schutz der heterosexuellen Geschlechter­ stellt fest, daß sie nicht gegen Homosexuelle und ordnung und damit einer Gesellschaftsverfas­ Homosexualität gerichtet sind (daß es Menschen sung, die dem Mann die Herrschaft sichert. gibt, die ausschließlich homosexuell orientiert sind, und daß es "schwule Liebe" gibt, ist eine Viele Menschen haben Ekel davor, Pferdefleisch frkenntnis der Neuzeit); es geht hier vielmehr zu essen. Warum eigentlich? Von dem Abscheu einzig und allein um den Analkoitus (noch heute der Christen vor den heidnischen Opferzeremo­ wird der Ruf"Arschficker" als Schimpfwort nien (das Pferd war das wertvollste Opfertier gegen Homosexuelle oder der Homosexualität der Germanen) ist dieses Ekelgefühl übriggeblie­ Verdächtige gebraucht). Der Vorwurf lautet: ein ben. Ähnlich hat sich bis in unsere Tage der Ekel Mann verkelu'e mit einem Mann wie mit einer vor den Homosexuellen erhalten, weil man sich Frau. Homosexualität nicht anders vorstellen kann, als daß sich Männer zu Weibern machen: Sie sind In den Fruchtbarkeitsreligionen, die den Glau­ schwul, weich, warm, weibisch. Die Homopho­ ben und damit den Zusarrunenhalt des Volkes bie hat ihre Wurzeln in der Abwertung der Frau. Israel bedrohten, hatte der Analkoitus zwischen Kein Mann würde die Behauptung, er benehme 'vIännern eine zentrale Bedeutung: Er symboli­ sich "weibisch" als eine Beleidigung auffassen, sierte die "Heilige Hochzeit" zwischen Göttin wenn Frauen ebenso geachtet wären, wie Män­ und Gott, durch die alles Leben erzeugt und ner. Darum bin ich davon überzeugt, daß die erhalten wird. Daß sich bei diesem Akt der Emanzipation der Homosexuellen nur gemein­ passive Partner wie eine Frau verhielt, war für sam mit der Emanzipation der Frau zu erreichen diesen nicht schmählich, denn in den Fruchtbar­ ist. Homophobie ist die Angst des Mannes, in keitsreligionen ist die Frau hoch angesehen, und den Ruf zu geraten, er sei wie eine Frau. die Fähigkeit des Priesters, sich in transvestiti­ schen Ritualen vom Mann in eine Frau zu verwandeln, ist Quelle der Verehrung. Das Volk Israel bekämpfte aber nicht nur die gleichge­

2. Sexualität zwischen "Gosse" und guter Gabe Gottes 25 mit den homosexuellen Anteilen ihrer Sexualität Die Honlosexualität in zurechtkommen. Die Anfaß- und Wettbewerbs­ spiele unter Jungen in der Pubertät sind weit jedem verbreitet. Aber die Peinlichkeits-, Ekel- und Der so verpönte Analverkehr ist nicht nur unter Abwehrschwelle ist so hoch, daß die wenigsten Homosexuellen verbreitet: Cngefähr 60% von Männer sich daran erinnern können. Beobachtet ihnen sind in dieser Praxis erfahren, Lntersu­ man jedoch Männer, wenn sie unter sich sind, chungen bei Heterosexuellen kamen auf einen dann muß man zu der Überzeugung kommen, Anteil von 20%. Die Vorstellung, Homosexuelle daß sie in homosexuellen Akten ziemlich erfah­ seien auf Analverkehr festgelegt, ist falsch. ren sind, gleichzeitig aber unter einem regelrech­ Typisch für Homosexuelle ist vielmehr, daß sie ten Zwang stehen, ihre Erfahrungen vor anderen in ihren Praktiken sehr variabel sind. MälU1ern zu verbergen und auch in sich selbst auszumerzen. Sonst hätten sie es doch nicht So sehr unterschiedlich sind die Praktiken von nötig derart übersteigert als Heterosexueller zu Ileterosexuellen und Homosexuellen heute posieren: einerseits mit Schwulenwitzen sich sicher nicht mehr (auch Heterosexuelle sind von den homosexuellen Anteilen ihrer Persön­ meist nicht mehr auf den Koitus und die "Mis­ lichkeit distanzierend, andererseits mit erfunde­ sionarssteIlung" - Mann oben, hau unten ­ nen Abenteuern und Erfolgen heterosexuelle festgelegt, und sie nehmen sich für ihre Liebe Findeutigkeit demonstrierend. mehr Zeit). Die "latente Homosexualität" ist bei so man­ Wenn die einzige Quelle der Homophobie Ekel chem heterosexuellen Mann leicht auszwnachen. vor homosexuellen Praktiken und Ablehnung Ich denke an jene Männer, die jede Gelegenheit der Homosexuellen wäre, müßte die Ilomosexu­ nutzen, um sich in der männlichen Gesellschaft ellendiskriminierung leicht dbzubauen sein. Es umzutun. Sie sind die Stützen jeder Partei, jedes gibt aber leider eine sehr viel schwieriger aufzu­ Vereins, mancher Gemeinde, sie reiben sich auf deckende Quelle, die ich bereits als"Angst vor für die anderen Männer, sind die ersten und der eigenen Homosexualität" bezeichnet habe. letzten am Stammtisch, geben für einen anderen Tatsache ist nun einmal, daß es in unserer Mann ihr letztes Hemd her, aber nie kämen sie Gesellschaft nicht nur eine "Vier-Prozent­ auf die Idee, einen Mann auch nur zu streicheln Minderheit" ausschließlich homosexuell orien­ (allerdings sind sie ausgiebige Schulter- und tierter Männer und eine große Mehrheit von 96% Schenkelklopfer). Ihre sexuellen Bedürfnisse ausschließlich heterosexuell befriedigen sie ausschließlich mit Frauen; doch orientierter Männer gibt. Wie diese Frauen beschweren sich: "Er ist ja nie da'" die Kinsey-Untersuchung .'\JatürJich ist er nie da, denn er fühlt sich in herausgebracht hat, besitzt Männergesellschaften am wohlsten. ungefähr jeder zweite Mann irgendwelche homosexuelle Es gibt Männer, die noch stärker von ihrer Erfahrungen. Außerdem ist "latenten Homosexualität" bestimmt sind. Vor zu fragen, was eigentlich aus allem in christlichen Kreisen bin ich ihnen der vielgestaltigen kindlichen begegnet. Sie müssen ständig über Homosexu­ Sexualität wird, zu der doch alität reden, Homosexuellen bieten sie sich als auch homosexuelle Anteile Bekehrer und Seelsorger an, sie glauben fest gehören, wenn im Prozeß daran, daß Homosexualität heilbar ist. Oft der "Sexualisation" allein betätigen sie sich darüber hinaus als Verfolger: die heterosexuelle Orientie­ (:berall entdecken sie Homosexuelle, sie müssen rung übrigbleibt. sie denunzieren und anzeigen. Die eigene Homosexualität läßt sich perfekt unterdrücken, Eigentlich müßten heterose­ indem sie auf andere projiziert und bei ihnen xuelle Männer darauf bekämpft wird. ansprechbar sein, wie sie

26 2. Sexualität zwischen "Gosse" und guter Gabe Gottes Schließlich müssen auch jene Männer berück­ sichtigt werden, die sich an Frauen nur gewalttä­ tig herantrauen, die aggressive "Männlichkeitsri­ tuale" brauchen, um sich und anderen zu beweisen, daß sie nicht mies und weich, sondern stark und hart sind. Fast immer sind sie in ihren gleichgeschlechtlichen Cliquen die besten Kumpel. Latente Homosexualität kann in Männern ein gewaltiges Aggressionspotential aufstauen.

Ich gestehe, manchmal träume ich davon, was wäre, wenn die Gemeinden sich uns Homosexu­ ellen ohne Vorbehalt öffnen würden. Christen brauchen doch nicht antihomosexuell zu sein. Sie brauchen nicht den Halt einer Normalität. Christus hat keine Gesetze verkündet, und er hat nicht verlangt, Vorbedingungen zu erfüllen: Christein ist als Schwarzer, Roter, Gelber und Weißer, als Schwuler, als Lesbe und als Hetero­ sexueller möglich. Normal sein heißt doch nur, nicht hören, nicht sehen, nicht fühlen, aJlem zustimmen und schweigen.

2. Sexualität zwischen "Gosse" und guter Gabe Gottes 27 Leo Volleth 2.4 Bibel und HOßlosexualität

hinaus vor den Eingang, während er die Tür hinter Zur Interpretation der sich schloß lind sprach: "Meine Brüder, bege/lt doch nicht einen solchen Frevel! Da habe ich noch zwei Bibel Töchter, die noch keinen Mann erkannt haben. Diese Das Thema Bibel und Homosexualität scheint will ich zu euch herausbringen, lind tut mit ihnen mir innerhalb unseres Projekts besonders wich­ was euch beliebt. Diesen Männern aber dürft ihr tig. Es ist aber auch ein schwieriges Kapitel, da nichts tun; denn sie haben sich unter den Schatten es über die Interpretation der Bibel keine einheit­ meines Daches begeben." Sie aber schrien: "Fort Init liche Meinung gibt. Ist jedes Wort der Bibel dir' Ist da einer als Fremdling hierhergekol11men und normierendes Gotteswort oder sind auch Aussa­ will schon den Richter spielen I Dir wollm wir noch gen der Bibel zeitgebunden, wie z.B. die Texte Schlimmeres anlun als ;enen." LInd sie drangen über Himmel und Erde (1. Mose 1, 14-17; Hiob ungestüm auf den Mann, auf Lot ein, und waren 38,6; Psalm 89, 12). Wir wissen heute, daß die schon nahe daran, die Tür aufzubrechen. Da streck­ Erde eine Kugel ist und keine Scheibe, die auf ten die Miinner ihre Hand aus und zogen Lot Zll sich Säulen ruht. in das HallS und ,chlossen die Tür ab. Die Leute vor der Haustür aber schlugen sie mit Blindheit, klein Ich verstehe die Texte des Alten Testaments und und groß, daß sie sich vergeblich bemühten, den ;\leuen als das Wort Gottf's: Dieses Wort Gottes Eingang zu finden. Hierauf sprachen die Männer zu erging jedoch an ganz bestimmte Menschen zu Lot: "Hast du noch jemand hier, Söhne lind Töchter, ganz bestimmten Zeiten. Menschen machten lind wer sonst noch in der Stadt Zll dir gehört, so Gotteserfahrungen und schrieben diese nieder. führe sie aus dem Ort hinweg. Denn wir werden Dies zu beachten ist wichtig bei der Interpreta­ diesen Ort zerstören, weil die Klage wider sie vor tion der biblischen Aussagen zum Thema Jahwe groß geworden ist (vgl. Kap. 18, Vers 20: Die I lomosexualität. Es muß immer die Entste­ Klage iiber Sodom lind Gomorra hat sich gehiinft, hungsgeschichte und die Funktion der jeweili­ lind ihre Sünde, sie ist sehr schwer.) lind ]ahwe IIns gen Aussage mitbedacht werden. entsandt hat, sie zu verderben."

Auffällig ist, daß das Thema in der Bibel nur eine beiläufige Frwähnung findet. Weder bei den Propheten des Alten Testaments, noch bei Denk- undPiskussionsanstoß wird es erwähnt. Die Stellen, in denen von ...... , .. Homosexualität gesprochen wird, verurteilen Die römische Glaubenskongregation schreibt diese jedoch unzweideutig. .in. ihrem 1986 erschienei'ien "Schreiben an die . katholischen Bischöfe über die Seelsorge an : homosexuellen Personen" zu der Sodomsge­ Altes Testament. schichte: "Das moralische Urteil, das hier Im Alten Testament finden wir vier direkte gegen homosexuelle Beziehungen gefällt Belege, die jedoch paarweise zusammenhängen wird, kannkeinerri Zweifel unterliegen:" (so behandle ich sie als zwei Belege). 1. Geht es inder Sodomsgeschichte wirklich Gen. 19,4-13 um homosexuelle "Beziehungen"? Lot, der in Sodom wohnt, bekommt Besuch von zwei Boten Gottes (!':ngeln), die er gastlich bei 2. Stellen Sie sich vor, in der Geschichte von sich aufnimmt: Sie hatten sich noch nicht zur Sodom ginge es um zwei Frauen, die bei Lot Ruhe begeben, als schon die Männer der Stadt, zu Gast sind, und die Männer von Sodom jung und alt, das ganze Volk bis auf den letzten wollten diese Frauen vergewaltigen: Sodom Mann, das Haus umringten. Sie riefen Lot und würde hernach wie in der biblischen Ge­ sagten zu ihm: "Wo sind die Männer, die heute schichte in Schutt und Asche gelegt. Würde abend zu dir gekommen sind? Bringt sie zu uns man dann auch sagen: Die Sünde Sodoms heraus, damit wir sie erkennen (d.h. sexuellen war die Heterosexualität ihrer Bewohner? Verkehr mit ihnen haben)!" Da ging Lot zu ihnen

28 2. Sexualität zwischen "Gosse" und guter Gabe Gottes Die beiden Erzählungen Gen. 19 und Ri. 19 ständige Bedrohung des israelitischen Kults. hängen inhaltlich zusammen. Es wird erzählt, daß Männer eines Ortes von einem Gastgeber Das Verbot homosexueller Praxis in Lev. 18 ist die Herausgabe von Gästen fordern, um mit ein Gebot in einer langen Reihe von Regeln, die ihnen ihren sexuellen Mutwillen zu treiben. Der den rechten Cebrauch der Sexualität zum Inhalt Gastgeber versucht seine Gäste zu schützen, haben - wie es sich für ein heiliges Volk gehört. bietet dafür den Männern seine Töchter bzw. Die kultische Abgrenzung ist hier nicht so seine Tochter und l\Iebenfrau an (Gen. 19,8; wichtig. Denn hier werden rhebruch verurteilt, Ri. 19 24). In beiden Erzählungen geht es um Inzucht, Unzucht mit Tieren und männliche die Übertretung von Recht und Sitte. An erster Homosexualität. Der gleiche Text erlaubt Polyga­ Stelle steht die Verletzung des Gastrechts, dann mie, verbietet den Verkehr mit einer Frau folgen Gewalt, Notzucht und Mutwillen mit während der Menstruation und sagt nichts über Menschen. weibliche Homosexualität.

Homosexualität ist nicht das Thema dieser beiden Erzählungen sondern die Verletzung des Neues Testament Gastrechts, Gewalt an Menschen und \Iotzucht. Im \leuen Testament stehen drei Texte, die sich Dadurch werden Menschen schuldig. mit der Homosexualität befassen: Röm. 1, 18-27; 1. Kor. 6, 9-10; 1. Tim. 1, 9-10 Leviticus 18, 22 Du darfst mit einem Manne keinen geschlechtlichen Römer I, 18-27 Umgang haben wie mit einer Frau; es wäre eilT Cottes 7.orn enthüllt sich vom Himmel her über alle Greuel. Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen, die die Wahrheit in Ungerechtigkeit niederlwLten. 1st Leviticus 20, 13 doch, was sich von Gott erkennen laßt, in ihnen Wenn ein Mann sich mit einem anderen Mann wie offenbar; Gott selbst hat es ihnen kundgetan. Denn mit einer Frau vergeht, haben beide Schändliches sein unsichtbares Wesen, seine ewige Macht und begangen. Sie sollen 111it de111 Tode bestraft werden; Cöttlichkeit sind seit der Erschaffung der Welt an es lastet Blutschuld auf ihnen. seinen Werken durch die Vernunft zu erkennen. Sie sind darum nicht zu entschuldigen, weil sie trotz Diese beiden Stellen befinden sich in dem ihrer Erkwntnis Gottes ihn nicht als Gott verherr­ hebräischen Gesetzeskodex, den wir das Heilig­ lichten und ihm nicht dankten, sondern sie verfielen keitsgesetz nerulen, und der kultische und in ihren Gedanken auf Nichtigkeiten, und ihr ethische Regeln enthält. unverständiges Herz wurde verfinstert. Sie rühmten sich, weise zu sein, und sind zu Toren geworden. Sie Die theologische Grundlage für diese Gesetzge­ vertauschten die Herrlichkeit des unvergänglichen bung ist die Ermahnung an lsrael, daß es ein Gottes mit dem Abbild der Gestalt von uergänglichen heiliges Volk ist, ebenso wie sein Gott )ahwe Menschen, von Vögeln, Vierfüßlern und Gewürm. heilig ist (L('v. 20, 26). Israel ist ein eigenständi­ Darum überließ sie Gott der Unreinheit, nach der ihr ges Volk und durch den Bund ist es )ahwe Herz gelüstete, so daß sie gegenseitig ihre Leiber verpflichtet. Daher lehnt es den Götzendienst schändeten, sie welche die Wahrheit Goltes gegen die der Nachbarvölker ab, die Natur- und Frucht­ l.üste eingetauscht hatten und nun dem Geschöpf barkeitsgötter verehren. Unter den vielen Geset­ Verehrung und Anbetung erwiesen anstalt dem zen, die Israels kultische und moralische Rein­ Schöpfer, der hochgelobt ist in Ewigkeit. Amen! heit regeln, gibt es zwei, die die Praxis Deshalb überließ sie Gott den schimpflichsten männlicher Homosexualität zum Inhalt haben. Leidenschaften. Ihre Frauen vertauschten den Das Gesetz lehnt die homosexuelle Praxis ab, es natürLichen Geschlechtsverkehr mit dem widernatür­ belegt sie mit der Todesstrafe (Lev. 18,22). In lichen. Ebenso gaben auch die Männer den natürli­ der VorsteJJung der Israeliten war Homosexuali­ chen Verkehr mit der Frau auf und entbrannten in tät unauslöschbar mit der anrüchigen Praxis der ihrer Begierde gegeneinander: Männer trieben mit Tempelprostitution verbunden. Diese war eine Männern nzucht und empfingen so den gebühren­

2. Sexualität zwischen "Gosse" und guter Gabe Gottes 29 den Lohn für ihre Verirrung. Weil sie es verwarfen, insbesondere mit der Homosexualität - in einen Gott in der Erkenlltnis festZllhaltm, iiberließ sie Zusammenhang zu bringen? Das Verfehlen der Gott einer verworfenen Ge,inrlllng, so daß sie taten, Erkenntnis Gottes wird im Götzendienst, also im was sich niellt ,~eliemt, und 111m angefiillt sind von Verfehlen des ersten Gebotes, manifest. Aber jedweder Ungerechtigkeit, Bosheit, Habgier, Schlech­ wie kommt es, daß der Götzendienst sofort mit tigkeit, voll (ion Neid, Mordlu~t, Streitsucht, dem sexuellen Bereich verknüpft wird? Hinterlist, Niedertracht. Sit silld Olirenbläser, Verleumder, Golteshas~er, Frevler, Stolze, Prahler, Paulus partizipiert hier in aller Selbstverständ­ elfinderisch im Bösen, unbotmäßig gegen die Fltem, lichkeit an seiner jüdischen Tradition: Götzen­ unverständig, treulos, liebl(ls, erlmrrnungslos. dienst und Unzucht bilden einen radikal abzu­ lehnenden Zusammenhang. und in der Der Text steht in dem großen Zusi'tmmenhi'tng Begegnung mit der hellenistischen Kultur tritt von Röm. 1, 18 - 3, 20: die generelle Bestandsauf­ besonders die Homosexualität als solche Cn­ nahme des Zustdnds der Menschlichkeit. Alle zucht ins Blickfeld. Paulus bezeichnet weiter Menschen stehen schuldig da vor Gottes Gerech­ Homosexualität als widemaUirlich und Heterose­ tigkeit! gefi'tngen von der Sünde und i'tußerstan­ xualität als natürlich. Damit bringt Paulus den de, sich selbst zu retten. Das Heil wird nicht Begriff Natur ins Spiel. Dieser Begriff aber ist durch das Gesetz gewährt, sondern durch die nicht eindeutig. Denn auch bei PmIlus wird Gerechtigkeit i'tUS Glauben. Der Mensch, der etwas als natürlich behauptet, was sich lediglich nicht glaubt, unterliegt dem 20ru Goltes. Dies als eine bestimmte Konvention entpuppt (vgl. wird am Fall der Heiden gpzeigt. Grundsätzlich 1.Kor.1l,14f). kann Gott in seiner Schöpfung erkannt werden, aber die Menschen haben diese Erkenntnis Im griechischen Kulturbereich wurde von verfinstert und sogar Tiere vergöttert. manchen Schriftstellern Homosexualität genauso als natürliche Veranlagung erklärt wie Heterose­ Die Verfehlung der Gotteserkenntnis hat zur xualität. Folge, daß Gott die '\1enschen auf dieses Verhal­ ten festlegt. Steht aber hinter den Aussagen des Paulus in Röm. 1,26 f. nicht noch ein anderer Aspekt, Als solches Verhalten erscheinen im ersten insofern das, was er als natürliell bezeicJmet, für Abschnitt sexuelle Lasterhaftigkeit und Götzen­ ihn auch das schöpfungsmäßige ist, das von dienst (V. 24f.), zuerst eine ganze Anzahl nicht­ Gott ols dem Schöpfer gewollte? sexueller Laster (V. 28-31) und dann ebpn speziell die Homosexualität. Vom Kontext her Gewiß ist unbestreitbar, daß Sexualität und gilt hier also Homosexualität als ein Handeln, Fortpflanzung in einem engen Zusammenhang das der Erkenntnis des in seiner Schöpfung stehen, aber Sexualität ist nicht auf Zeugung und offenbaren Gottes widerspricht. Fortpflonzung festgelegt. Der entscheidende Punkt des Textes aber ist, doß die göttliche Dieser zweite Abschnitt erscheint als ein Spezial­ Preisgabe an schä'ndlichc Leidenschaften zugleich fall des ersten, welcher Götzendienst und sexuel­ eine Festlegung auf ein bestimmtes schuldhaftes lE' Lasterhaftigkeit überhaupt zusammenstellt. Tun ist. Worin erblickt er den Schuldcharakter Wie kommt Paulus dazu, den der Homosexualität? Er setzt voraus, daß sich Götzendienst sofort mit sexuel­ homosexuell handelnde Menschen wider besse­ ler Lasterhaftigkeit - und da res Wissen von der auch ilmen eigentümlichen Heterosexualität abwenden. Nur unter dieser Voraussetzung kann er auch Schuldhaftigkeit homosexuellen Handeins annehmen.

Diese Voraussetzung des Paulus stimmt aber nicht, denn der Homosexuelle trifft keine Ent­ scheidung gegen seine Natur sondern in Entspre­

30 2. Sexualität zwischen "Gosse" und guter Gabe Gottes chung zu seiner Natur, diE' eben homosexuell Ein hellenistisch-jüdisches Lehrgedicht zeigt die und nicht heterosexuell ist. Verpönung im Judentum: Laß nie dem Knaben Locken wachsen! Flecht ihm nicht Zöpfe seitlich urn 1. Kor. 6, 9-10 das Haar' Die üppigen Frauen mögen lange Haare Oder wißt ihr nicht, daß Ungerechte keinen Anteil tragen und nicht die Männer. Der hiibschen Knaben am Reiche Gottes haben werden? Gebt eLich keiner ]ugendblüte hüte. De/1n viel!' sind wie rasend auf die Täuschung hin' Weder Unzüchtige, noch Götzendic­ Ma/1l1csliebe' (Pseudo-Phokylides 210-214). ner, noch Fhebrecher, 170ch Weichlinge, noch Kna ben schänder, noch Diebe, noch Hab!'üchtige, noch Homosexuelle Praxis unter Männern war in der Trunkcnbolde, noch Lästerer, noch Räuber werden Antike zunächst und vor allem in der Form der Anteil haben am Reiche Galles. Knabenliebe präsent. Sie war weithin toleriert.

1. Timotheus 1. 9-10 Wir wissen ja, das Gesetz ist gut, wenn einer es Kritische richtig anwendet in der Erkenlltnis, daß für einen Gerechten das Gesetz nicht da ist, wohl aber für Auseinandersetzung gesetzlose und widersetzliche, für golliose und Eine einseitige Handhabung der biblischen sündhafte, ruchlose und gemeine MenscheIl, Vater­ Stellen führt dazu, daß mögliche Texte in der ulld Mullennörder, Mordbuben, für Unzüchtige, Bibel über Homosexualität und homosexuelle Knabenschänder, Menschenräuber, Uigner, Meinei· Handlungen wie unumstößliche Aussagen der dige und was sonst noch der gesunden Lehre wider­ Heiligen Schrift zur Homosexualität behandelt streitet. werden.

Diese Texte stehen innerhalb von Lasterkatalo­ Wir müssen uns fragen, inwieweit uns diese gen. Neben Unzüchtigen, Ehebrechern, Götzen­ biblischen Aussagen binden. Welche Texte dienern werden die Lustknaben und Knaben­ haben für uns heute Geltung und welche wiede­ schänder genannt. Die Homosexualität wird rum nicht? damit auf eine Ebene mit Habsucht, Trunksucht oder Lästerei gestellt. Homosexuillität ills we­ 1. Das Gesetz im Alten Testament zielte darauf sentlicher und genuiner Teil einer Person wird ab, die Gemeinschaft des Volkes in seiner nicht zur Kenntnis genommen. Ganzheit zu erhillten. Daher wurde homosexuel­ les Verhalten abgelehnt. Es soll die Reinheit der Gemeinde im Unterschied zu Praktiken oder Exkurs: Umwelt bewahrt werden. Ein Mensch, der diese Die Einstellung in der Antike zur Homo­ Ordnung übertrat, handelte gegen Gottes Gesetz sexualität. und stellte eine Bedrohung für die mögliche Sexualität ist in der Antike durch die Herr­ Heiligung des Volkes dar. In diesem Zusam­ schilftsverhältnisse geprägt. Der freie Milnn menhang müssen zwei Dinge beachtet werden: konnte Frauen wie Männer als Sexualobjekte gebrauchen. Wenn die Sexualität innerhillb des a) Wir haben heute eine andere Vorstellung bestehenden gesellschaftlichen Herrschaftsver­ von "Heiligkeit" als im alten Israel. hältnisses praktiziert wurde, wurde si<, gebilligt. b) Warum kommen lesbische Frauen in jeder entschied sich nach seinem Geschmack für diesem Gesetz nicht vor? War Homo­ Frauen, für Knaben oder fiir die einen wie die sexualität eine rein männliche Angele­ anderen. Vergil fand ausschließlich an Knaben genheit? gefallen, Kaiser Claudius an Frauen, und Horaz sagt wiederholt, daß er beide Geschlechter liebe (Veyne, 2. Fine RelativiC'rung der paulinischen Aussagen S. 42). Knabenliebe heißt die Beziehung zu halte ich nicht für möglich. Paulus verwirft einem Jüngling oder Knaben. Sie war vom 12. homosexuelle Praxis als Folge von Gottlosigkeit. Lebensjahr an möglich, 16 galt als das beste Sie verstößt gegen Gottes Ordnung. Wie ver­ Alter, 28 war die oberste Grenze. bindlich sind aber dipse paulinischen Aussagen?

2. Sexualität zwischen "Gosse" und guter Gabe Gottes 31 Es gibt zwei grundsätzliche Möglichkeiten: Entweder fundamentalistisch - und damit würden die Aussagen des Paulus wörtlich in die Gegenwart übernommen - oder historisch und damit relativierend. Vertreter der fundamentali­ stischen Position müßten die Todesstrafe für homosexuelle Praxis unter Rekurs auf die Bibel einführen.

Streng genommen geht aber jeder Christ relati­ vierend mit der Bibel um, er stellt bestimmte Aussagen in Frage oder mildert ab. Warum sollten die paulinischen Aussagen über homose­ xuelle Praxis von einn solchen Reflexion ausge­ nommen sein? Denn aus der Beschäftigung mit den Texten ging ja hervor, daß die paulinische Sicht soziokulturell bedingt ist. Sie hat nicht den Charakter einer ewig gültigen, absoluten Ord­ nung auch wenn sie von einer solchen spricht. Ich denke, daß bestimmte ethische relevante Aussagen des Paulus zu akzeptieren sind, andere aber relativiert werden müssen. Und eben dies tun wir alle im Umgang mit der Heiligen Schrift. Eines jedenfalls scheint mir klar: Ein theologischer Ansatz, der Homosexu­ alität als Perversion und widernatürlich, als Verirrung oder Ähnliches versteht, wird im christlich-kirchlichen Verhalten zu den Homose­ xuellen hinter diese grundsätzliche Einschätzung nicht mehr zurückgehen können, d.h. Homose­ xuellen als wirklich gleichberechtigten und gleichwertigen Menschen nicht begegnen kön­ nen. Will man das nicht, gibt es nur den Weg, die biblische Beurteilung der Homosexualität zu relativieren. Wenn ich historisierend an den biblischen Befund herangehe, muß ich mich fragen, was ich als natürlich heute vertreten will. Tatsächlich ist Homosexualität eine sexuelle Orientierung von Menschen, neben ihr gibt es die heterosexuelle oder die bisexuelle Orientie­ rung. Paulus reduziert homosexuelle Beziehun­ gen auf die Sexualpraxis und sieht diese sexuelle Orientierung offenkundig als ein Ergebnis freier Wahlmöglichkeiten. Diese Einschätzung durch Paulus kann nicht den Rang einer absoluten und ewigen Wahrheit beanspruchen.

32 2. Sexualität zwischen "Gosse" und guter Gabe Gottes 2.5 HOlUosexualität als CharislUa

Thomas Genetzky 2.5.1 (Homo-) Sexualität, gute Gabe Gottes!

Als cllristliche Gemeinde sind wir ein Leib mit vielen könnten: etwa die Gabe der Gemeindeorganisa­ Gliedern. Jeder Teil hat seine besonderen Charismen, tion, der Verwaltung, der Diakonie. die sich ill unterschiedlichen Begabun~en und Lebensformen verwirklichen. Die unterschiedlichen Gaben ergänzen sich zu einem sinnvollen Ganzen: so wie im menschli­ Mittels dieser Sätze aus der Solidaritätserklärung chen Organismus die einzelnen Körperteile (siehe Abschnitt 4) bezieht sich das Gemeinde­ verschiedene Funktionen ausüben, so fügt sich projekt FARBE BEKE'\INEj\, ausdrücklich auf auch die Kirche als "I .eib Christi" erst durch die die Charismenlehre, die der Apostel Paulus in unterschiedlichen Begabungen ihrer Glieder zu seinen Briefen entwickelt hat. einem sinnvollen Gar1.Zen zusammen (Röm 12,4f.) Diese besagt, daß jeder V1ensch - Mann wie Frau - durch den Geist Gottes mit vf'rschiedenen Mit anderen Worten: alle Gaben müssen in den Gaben ausgestattet ist. Wir können uns diese Gemeinden zur Entfaltung kommen dürfen. Im Charismen vorstellen als die Begabungen, ersten Korintherbrief wird diese Verschiedenheit Fähigkeiten und Möglichkeiten, die jedes Indivi­ der Charismen vorausgesetzt; ebenso der Ge­ duum in sich trägt. Aucl1 die Gabe der Sexualität danke, daß die Charismen trotz ihrer unterschie­ gehört dazu' (Sie ist eine Gabe, die entfaltet und denheit dennoch aufeinander bezogen sind, ja Vielgestaltig gebraucht werden kann.) sogar voneinander ablüingen. Paulus betont hier, daß die Charismen aus dem einen - sprich: Paulus versteht die Charismen als Geschenk der vereinenden - Geist Gottes kommen (1. Kor. 12, Gnade Gottes. Oder: Gottes Gnade zeigt sich in 1-11). Damit haben alle Charismen, auch die den Gaben, die jeder Ylensch von Gott empfan­ verschiedensten, eine gemeinsame Wurzel: den gen hat. Geist Gottes, der allen gleiche Würde und gleichen Wert zumißt. Wieder führt Paulus das Dem Reichtum der Gnade Gottes entspricht es, Bild des menschlichen Leibes an, in dem erst die daß sich die Charismen der Menschen in den verschiedenen Aufgaben der Organe und unterschiedlichsten Formen zeigen. Jedes Chari­ Gliedmaßen die Funktionsfähigkeit des ganzen sma, das einem Menschen mitgegeben ist, Leibes ausmachen O. Kor. 12, 12ff.). Betont weist drängt zur Entfaltung; in jeder Gabe steckt die der Apostel darauf hin, daß der ganze Leib Aufgabe, sie zu entdecken und zu leben. leidet, wenn eines seiner Glieder leidet. So sei es auch mit der Kirche - der ganze "Leib Christi" Die Charismen eines Menschen, seine von Gott wird in Mitleidenschaft gezogen, wenn eines gegebenen Begabungen, sind zum Wohl dieses seiner Glieder herabgewürdigt wird. Menschen da; sie können eingesetzt werden zum Wohl der menschlichen Gemeinschaft, also auch Homosexuelle ChristInnen empfinden und zum Dienst in den Gemeinden, zum Dienst vor erleben es als solch eine Herabwürdigung, wenn Gott. ihre gleichgf'schlechtliche Orientierung in den kirchlichen Dogmatiken und theologischen Im Brief an die Römer beschreibt Paulus etliche Lehrgebäuden bis in die heutigen Verlautbarun­ solcher Gaben, die zu solchem Dienst vor Gott in gen der Konfessionen hinein als Sünde, als den Gemeinden wirksam werden können (Röm. Verirrung oder als Abkehr vom göttlichen 12,6-8). Hier wird deutlich, daß es durchaus Schöpfungswillen bezeichnet wird. I·:s besteht sehr unterschiedliche Gnadengaben gibt - die kein Zweifel daran, daß diese Herabwürdigung dort aufgezählten stehen nur exemplarisch für und moralische Abwertung zu unendlich viel die vielen anderen, die wir noch hinzufügen Leid bei den betroffenen homosexuellen Män­

2. Sexualität zwischen "Gosse" und guter Gabe Gottes 33 nern und Frauen und ihren Angehörigen geführt wollen in ihren Kirchen und Gemeinden vor Ort hat und weiter führt. nicht länger versteckt leben müssen. Denn sie wollen sich mit all den Charismen, die Paulus Auf diesem Hintergrund mag es nun als verblüf­ im 1. Korinterbrief als nützlich für den Dienst fend erscheinen, daß hier Homo-Sexualität als der Gemeinde nennt, in den Dienst ihrer Ge­ Charisma, als gute Gabe Gottes benannt wird! In meinden einbringen. der Tat! Homosexuelle Christinnen entdecken in ihrer sexuellen Orientierung ein Charisma, eine Der ganze "Leib Christi" wird in Mitleidenschaft gute Gabe Gottes! gezogen, wenn eines seiner Glieder leidet. In den Kirchen leiden ca. 4-5% getaufter Christlnnen Die ganze menschliche Sexualität ist eine Gabe darunter, daß sie mit ihrer sexuellen Orientie­ Gottes, ist dem Menschen als Gabe des Schöpfer­ rung nicht wahrgenommen, nicht ernstgenom­ gottes mitgegeben: alle Menschen sind mit men und daher auch nicht angenommen wer­ Sexualität "begabt". Die Gabe der Sexualität den. Die meisten dieser Christinnen wandern befähigt Menschen zu erstaunlichen Dingen: sie irgendwann einmal aus ihrer Kirche aus. Damit bringt die Körpersprache hervor, mit der ein geht der Kirche ein Potential an Charismen, an Mensch dem anderen Liebe, Zuneigung und Befähigungen und Begabungen verloren. Begehren zeigt; sie befähigt uns zur Zärtlichkeit, zur Fürsorge für geliebte Menschen, sie macht Fazit: uns kreativ und phantasievoll. Und manchmal Homosexuelle Christinnen wollen ihre Gaben entsteht aus dem Liebesspiel zweier Menschen und Begabungen in ihre Gemeinden einbringen auch ein Kind. Dies alles und vieles mehr noch und offen zu ihrer Gabe der Ilomosexualität umfaßt das Charisma unserer menschlichen stehen können. Sie berufen sich dabei auf die Sexualität. Lehre des Paulus, der allen Gaben gleiche Würde und gleichen Wert einräumt. Gerade in Die menschliche Sexualität ist jedoch sehr ihrer Vielfalt und Unterschiedlichkeit ergänzen unterschiedlich gestaltet. Es gibt Männer, die sich die Charismen untereinander. Sie sind eins, Frauen lieben und andere Männer, die Männer weil sie aus dem vereinenden Geist Gottes lieben. Es gibt Frauen, die Männer lieben und kommen. Die Gaben unterschiedlicher Men­ andere Frauen, die Frauen lieben. Es gibt Män­ schen können in den Kirchen, im Dienst vor ner und Frauen, die lieben Menschen beiderlei Gott, zur Entfaltung kommen - auch die Gaben Geschlechts. Das alles sind unterschiedliche der Menschen mit unterschiedlicher Ausprä­ formen der einen Sexualität. Sie haben ihre gung von Sexualität. 1m Sinne des Gleichnisses gemeinsame Wurzel darin, daß sie den Men­ von den anvertrauten Talenten (Mt. 25, 14-30 schen von Gott zur Gestaltung aufgegeben sind. par.) wollen homosexuelle ChristInnen ihre "Talente" nicht weiter vergraben, sondern im Die "Begabung" der heterosexuellen Liebesfä­ Dienst Gottes und der Gemeinde mit ihnen higkeit wird in Gesellschaft und Kirche als das wuchern. :\Iormale angesehen, die Liebesfähigkeit homo­ und bisexueller Menschen wird verschwiegen, Denk- und Diskussionsanstoß: angezweifelt oder abgewertet. {, Stellen Sie sich vor: Nach mehreren Jahren Homosexuelle ChristInnen sehen in der Charis­ Tätigkeit eines hauptamtlichen Mitarbeiters menlehre des Paulus eine Verheißung, die auch oder Mitarbeiterin (z.B. Kantorin, PastorIn, ihnen und ihrer Art zu lieben gilt. So wie im Diakonln, SekretärIn etc.) wird plötzlich menschlichen Körper sich die verschiedenen bekannt, daß er bzw. sie homosexuell ist. Organfunktionen ergänzen, so ergänzen sich die Nachdem er/sie in der Vergangenheit gute sexuellen Lebensformen der Menschen. Im Leib .. Arbeit geleistet hat wird er/sie jetzt von den Christi muß daher auch die Begabung der . Mitgliedern der Gemeinde häufig kritisiert. homo- und bisexuellen Liebesfähigkeit gesehen Wie reagieren sie? und anerkannt werden. Lesben und Schwule

34 2. Sexualität zwischen "Gosse" und guter Gabe Gottes Prof. Helmut Kentler 2.5.2 Dank dem Schwulsein!

Manchmal denke ich darüber nach, wie sich de haben mich besser gemacht. mein Leben wohl gestaltet hätte, wenn ich nicht schwul wäre. Bestimmt hätte ich den Betrieb Meinen Bekanntenkreis habe ich danach ausge­ meines Vaters geerbt, und ich wäre Unterneh­ wählt, ob mein Schwulsein akzeptiert wurde mer geworden (mit meinem anfänglichen oder nicht. Das hat sich sehr vorteilhaft ausge­ Studium an der Technischen Hochschule Aa­ wirkt, denn ich fand immer wieder bestätigt, chen war ich dazu bereits auf dem besten Wege). daß die Einstellung zu Schwulen und zum Ich hätte sehr wahrscheinlich geheiratet (meine Schwulsein ein sehr zuverlässiges Kriterium ist, "Normalisierungsversuche", die sich bis ins um Menschen im ganzen richtig einzuschätzen. fünfundzwanzigste Jahr hinzogen, scheinen mir Ich habe zwar keinen großen Bekanntenkreis, darauf hinzudeuten). Daß alles anders kam, aber bei jeder Frau, jedem Mann, die dazugehö­ habe ich meinem Schwulsein zu verdanken, das ren, fühle ich mich wohl. meine Familie eher bemerkte als ich; ihre Reakti­ on: Sie trennte sich von mir. Ich stand plötzlich Das Schwulsein hat mein Leben außerordentlich auf eigenen Beinen und mußte meinen Weg abwechslungsreich, spannend, sogar abenteuer­ selbst finden. Das bedeutete für mich: Ich lich gemacht. Einige Gründe dafür will ich brauchte mich nicht mehr von Rücksichten auf nennen: meine Familie und von der Familientradition bestimmen zu lassen, sondern ich konnte meine Für Schwule gibt es keine Tradition, keine Begabungen entdecken und tun, was ich wollte. Institutionen und Lebensstile, an die sie sich Daraus folgt: ohne mein Schwulsein wäre ich nie halten können, um mit sich und der gesellschaft­ der geworden, der ich heute bin. lichen Umwelt gut zurechtzukommen. Jeder muß selbst herausfinden, was ihm entspricht, Mein Intelligenzquotient hält sich in Grenzen und jeder ist für seine Lebensgestaltung selbst (lQ= 118). Ich mußte also sehr fleißig sein, um verantwortlich. Das bedeutet: große Freiheit, weiterzukommen. Aber dazu hatte ich auch die aber auch viel Risiko. Bis zu meinem vierund­ nötige Zeit (die Zeit, die andere als Frauenwer­ vierzigsten Lebensjahr stand ich immer mit ber oder Ehemänner einsetzten, habe ich für einem Bein im Gefängnis; daß ich kein einziges meine Arbeit nutzen können), und ich war Mal auch nur angezeigt worden bin, habe ich beweglich (da ich nicht an eine Familie gebun­ der Tatsache zu verdanken, daß ich nie auf den war, konnte ich leicht umziehen, wenn mir Menschen hereingefallen bin, die mich hätten andernorts ein interessanter Job geboten wurde). verraten können, und daß ich mein IntimIeben Mein Schwulsein erlaubte mir, Selfmademan zu sehr vorsichtig, überlegt und bewußt gestaltete. sein. Als dann der Paragraph 175 endlich so weit gelockert wurde, daß er mich nicht mehr betraf, Ich hatte seit meinem dreiundzwanzigsten mußte ich lernen, offen als Schwuler zu leben. Lebensjahr immer einen guten Freund. Wir Was vorher notwendig war - mich anpassen und waren uns sehr treu und lebten immer einige tarnen -, war jetzt überflüssig. Nun mußte ich Jahre zusammen in einer gemeinsamen Woh­ den aufrechten Gang, das offene Wort, den nung. Wenn wir uns trennen mußten, weil uns freien Blick lernen. So habe ich eigentlich zwei unser Lebensweg in verschiedene Richtungen Leben geführt: eins im Ghetto und eins in der führte, blieb unsere Freundschaft - sie nahm nur offenen Gesellschaft. gleichsam eine andere Gestalt an: Die sexuelle Bindung war bedeutungslos geworden - was Ich bin heute sehr dankbar dafür, daß mir schon uns fortan zusammenhielt, war das gemeinsam in jungen Jahren Männer begegnet sind, die mir Erlebte, war die gegenseitige Verläßlichkeit, beigebracht haben, mein Schwulsein als eine waren unsere geistigen Interessen. Meine Freun­ Chance, eine Aufgabe zu begreifen, und ich bin de haben mich nie enttäuscht, unser Zusammen­ stolz darauf, daß es mir wenigstens in Ansätzen leben ist nie schal und langweilig geworden. Ich gelungen ist, aus meinem Schwulsein etwas zu habe sehr an mir arbeiten müssen, um ihnen machen, das zumindest jenen Nicht-Schwulen einigermaßen gerecht zu werden. Meine Freun­ Achtung abnötigt, deren Urteil mir wichtig ist.

2. Sexualität zwischen "Gosse" und guter Gabe Gottes 35 Herbert Engel 2.6 Vielfalt ist Gewinn - Plädoyer für unterschiedliche Lebensformen

Gefühle die Normen für partnerschaftliches Zusammen­ leben und Sexualität in der Geschichte entwik­ Man sagte mir, alle Gefühle seien kelt haben und je nach Zeit, Kultur und wirt­ schaftlichen Bedingungen zu untersch.iedlichen weiß oder schwarz oder dazwischen, Ergebnissen geführt haben. Nur allzuleicht also grau. erliegen wir der Versuchung zu glauben, was in unserem Land und unserem Kulturkreis mo­ Aber es kamen gelbe dazu, mentan gilt, sei zu allen Zeiten so gewesen, weil rote, violette, es nämlich der "Natur" des Menschen entspre­ che. Friedrich Schlegel nennt diese Haltung das braune und sogar 7weifarbige. Axiom der Gewöhnlichkeit: Wie es bei uns steht und 1.1/11 uns ist, so muß es iiberall gewesen sein, Ich war ratlos, bis ich erfuhr, denn das ist ja alles so natürlich (25. Lyceumsfrag­ daß die meisten Menschen ment). ihre farbigen Gefühle verdrängen, Ein Blick in die Geschichte zeigt: Soziale, sexua­ so daß nur schwarz und weiß und grau lethische und sittliche Normen sind veränderbar. verbleiben kann. Der gegenteilige Eindruck, den wir oft haben, und der von der Kirche nur allzugerne vermittelt Ich spüre aber, daß ich wird, rührt einerseits daher, daß Normverände­ rungen selten innerhalb einer Generation oder mit einer ganzen Farbpalette von einer Generation auf die andere vor sich bunter malen kann gehen, andererseits vermitteln uns gesellschaftli­ als nur mit einem Bleistift. che Institutionen wie 7.B. die Kirche von Kind­ heit an, daß diese Normen "natürlich" und Kristiane AlLert- Wybranietz "gottgegeben" sind wld daher immer schon so gewesen sind. aus: "Trotz alledem - Verschenktexte", lucy körnPr verlag, W-7012 FelLbach Normen wandeln sich Betrachtet man z.B. die Ehe, dann stellt man fest, Anders als bei Erörterungen um technische daß sich diese in ihrer Geschichte stets verändert Fragen, etwa den zweckmäßigen Brückenbau, und gewandelt hat. Das Institut der Ehe hat in sind die Debatten um Sexualität, Partnerschaft, seiner Geschichte häufig sein Gesicht gewandelt. Ehe, Promiskuität, Ehe ohne Trauschein, gleich­ Da gab es Polygamie, Ehe als RechtsbeZiehung geschlechtliche Partnerschaften etc. stark von zwischen Mann und Frau in der Einehe, Ehever­ Gefühlen bestimmt, und moralische Urteile über bote für arme Leute, Ehen als Zeugungsinstitut, diese oder jene Lebensform rufen zusätzliche Ehen mit und ohne Konkubinate und Friedel­ Verwirrung hervor. Die Gefahr eines Moralisie­ ehen (das waren Ehen, in denen die Frau nur für rens lauert überall. Es ist kaum möglich, über eine zeitlang ausgeliehen wurde). Die Eheform, diese Themen ohne moralische Wertungen zu die wir heute kennen, die bürgerliche, nur noch diskutieren. in leidenschaftlicher Liebe der Partner gründen­ de Form der Ehe ist erst im Laufe der letzten Normierungen in zweihundert Jahren entstanden. Weder die Juden noch die Christen haben die Sexualität und Ehe erfunden. Es gab sie lange vorher. In den Schöpfungsbe­ Partnerschaft richten, in denen nach kirchlicher Auffassung Gefühle und moralische Urteile machen es die Ehe begründet ist, wird die Ehe überhaupt schwer, einzusehen und anzuerkennen, daß sich nicht erwähnt. Sicher ist auch: Vor dem Sünden­

36 2. Sexualität zwischen "Gosse" und guter Gabe Gottes fall gab es im Paradies weder Standesamt noch Partner hat, Schwierigkeiten; warum sind uns kirchliche Eheschließung. Adam und Eva Wohngemeinschaften suspekt? Oder werden spürten auch so, daß sie füreinander geschaffen diese verschiedenen Lebensformen gar nicht waren. Erst die Theologen der frühen Christen­ mehr von uns persönlich, sondern nur noch von heit entwickelten einen Ehebegriff. Dabei hielten unserer Kirche verurteilt? sie sich an die streng juristisch ausdifferenzierte Form der römischen Ehe, entzogen ihr aber alle geschlechtlichen Inhalte und setzten an deren Was ist "natürlich", Stelle ihre Heilserwartungen. Aber es dauerte immerhin 1500 Jahre, bis die Kirche ihr Ehemo­ was ist "gottgewollt"? dell wenigstens als Idee durchsetzen konnte. Erst Alternative Lebensformen werden wir immer das Konzil von Trient 0545-1563) institutionali­ dann verurteilen, wenn es unserer Erziehung sierte die kirchliche Eheschließung und erhob gelungen ist, geschichtlich gewachsene und die Ehe zu einem Sakrament. sozial eingesetzte Ehe- und Sexualnormen in unserem Bewußtsein absolut erscheinen zu Sogar der oben zitierte Kirchenvater Augustinus lassen und wir sie daher als "natürlich" empfin­ wußte um die Wandelbarkeit von Ehe-Normen den; wenn wir nicht mehr daran zweifeln, daß dIs er schrieb: Eine Mehrzahl von Ehefrauen war es je dnders gewesen sein könnte. Deswegen kein Verbrechen, als es Brauch und Gewohnheit war. erschrecken so viele Menschen ja auch, wenn sie Doch heute ist es ein Verbrechen, weil es nicht mehr einmal einen Blick in die Geschichtsbücher der Brauch und Gewohnheit ist. (Contra Faustum 22, Ehe werfen und darin sehen, daß die Geschichte 47,8) - '\licht der Rückgriff auf eine göttliche der Ehe ganz anders ist, als sie es vermutet Anweisung oder Verheißung, eine Aussage Jesu haben. oder der Apostel, sondern Brauch und Gewohn­ heit begründet für Augustinus das, was für Es ist von äußerster Wichtigkeit, zu sehen, daß Christen Recht und Sünde ist. Gleichermaßen die Kennzeichnung einer Lebensform oder betonte Martin Luther gegenüber der katholi­ sexuellen Orientierung als "natürlich" keinen schen Kirche, daß die Ehe "ein weltlich Ding", biologischen Sachverhalt betrifft, sondern d.h. eine kulturelle und eben keine göttliche lediglich anzeigt, daß diese Norm in der Gesell­ Institution ist. schaft weitgehend unbezweifelt und selbstver­ ständlich anerkannt ist. Warum können wir dann unsere Normen partnerschaftlichen Zusammenlebens nicht als Im 19. Jahrhundert z.B., als die Geschlechterrol­ die Pfunde betrachten, mit denen wir wuchern len von der Gesellschaft ganz eng umrissen müssen und die wir, um sie lebendig zu erhal­ wurden, galt es als "natürlich", daß der Mann ten, an unsere jeweiligen gesellschaftlichen aktiv, sachlich, intellektuell, überlegt und stark Zusammenhänge anpassen müssen? Warum sei und die frau weibliche Eigenschaften wie können wir sie nicht als Normen betrachten, die Hingabe, Passivität, Gefühle habe. Das ist heute für uns Menschen da sind, sondern halten uns nicht mehr so; die Tiefenpsychologie hat uns für Menschen, die zur Erfüllung dieser Normen gelehrt, daß der Mann auch eine weibliche und da sind? Jesu Wort über den Sabbat in Mk 2,27 die Frau auch eine männliche Seite hat. ist eine eindeutige Warnung, Normen nicht absolut zu setzen: Der Sabbat ist um des Menschen Zwei Beispiele von anderen Völkern: willen gemacht, und nicht der Mensch um des Sabbats willen. Sogar eine "göttliche" Norm kann Die Tschambuli, ein Stamm auf Neuguinea verändert werden, wenn es um des Menschen haben die Rollen von Mann und Frau vertauscht: willen geschieht. dort entspricht es der "Natur" der Frau, sach­ lich und aktiv zu sein, während die "Natur" der Warum also müssen wir einen verheirateten Männer Passivität, Zartgefühl und Mütterlich­ Mann, der Hausmann ist, schief ansehen; war­ keit ist. um bereitet uns ein schwuler \!Iann, der viele

2. Sexualität zwischen "Gosse" und guter Gabe Gottes 37 Ein weiterer Stamm auf Neuguinea, die Marind­ Anim verhielten sich in ihrer Sexualität aus­ Vielfältige schließlich homosexuell. Die einmal im Jahr stattfindende Paarung zwischen Frauen und Lebensweisen Männern diente lediglich dem Zeugen von Für die Kirche bedeutet dieser Sachverhalt: sie Nachkommen. Die Marind-Anim waren der muß mitunter schmerzhaft lernen, ihre sexual­ Ansicht, daß kein Mann je von sich aus hetero­ ethischen Normen zu relativieren und sich für sexuelle Bedürfnisse haben könnte und keine die der jeweiligen Kultur und Zeit entsprechen­ Frau auch nur das geringste Verlangen nach Sex den Beziehungsformen zu öffnen. In vergange­ mit einem Mann. Homosexualität war für sie nen Zeiten war sie durchaus dazu bereit, die das "Natürlichste" auf der Welt. Weltlichkeit der menschlichen Beziehungsfor­ men anzuerkennen: Natürlich ist also das, was in einer bestimmten Karl der Große, 800 zum Kaiser gekrönt, hatte Kultur zu einer bestimmten Zeit allgemein und vor seiner ersten vollgültigen Ehe eine "Friede/frau", unhinterfragt anerkannt ist. Himiltrud. Papst Stephan III. erachtete diese Ehe für legitim, und damit entsprach der den damaligen Nicht selten geschah und geschieht es, daß eine Vorstellungen des Adels. Die Friede/ehe, eine Gesellschaft sich zur Überhöhung ihrer sozialen Eheform zweiten Ranges, brachte die Sexualität der Normen religiöser Aspekte bedient. Dann sind jungen Männer in geregelte Bahnen: Die Familie der die Normen nicht nur mit der Immunhülle des Friedelfrau vergab die Tochter nicht, sondern lieh sie Natürlichen, sondern auch durch die Gloriole nur aus; aber das geschah feierlich, durch Vereinba­ des Übernatürlichen, von Gott Gesegneten und rung, aus freiem Willen und in Frieden. Die Friedel­ Gebotenen geschützt. Genau dies hat die katholi­ ehe wurde offiziell geschlossen, sie kam durch sche Kirche durch die Erhebung der Ehe zum bestimmte Riten zustande; ihr öffentliches Zeichen Sakrament getan, und die evangelische Kirche war die "Morgengabe", der Preis, der für die Herga­ durch die Bezeichnung der Ehe als "Schöpfungs­ be der Jungfräulichkeit zu zahlen war; er wurde am ordnung". Morgen nach der Hochzeit entrichtet. C..) Karl der Große schloß neben seiner Friedelehe vier "Mun­ Wer eine solche Norm durchbricht, handelt tehen" [reguläre Ehen]. Die erste Frau verstieß er dann im Bewußtsein der Gesellschaft gleichzei­ bald, die andern starben nacheinander. /n seinen tig gegen die Natur und gegen Gott. Durch eine Phasen des Witwerstands hatte er nicht weniger als solche "Überdeterminierung" einer an sich sechs vorübergehende, nichtöffentliche Verhält nisse, veränderbaren Norm soll verhindert werden, also Konkubinate. (. ..) Alle diese Eheformen wurden daß jemals ein genügend hohes Motiv zu ihrer von der Geistlichkeit durchaus nicht geschlossen Veränderung gefunden wird. abgelehnt. (Helmut Kentler. Sexuelle Orientierun­ gen und alternative Lebensgemeinschaften) Die Geschichte der Ehe belegt es und die evange­ lische wie die katholische Kirche könnte wissen, Die Vielfalt der Lebensweisen (Ehe mit und ohne daß es sich bei der Ehe weder um eine göttliche, Trauschein, Wohngruppen von jungen und von noch um eine natürliche sondern um eine alten Leuten, Dreierbeziehungen, serielle Ehen, kultureUe Institution handelt. Singles), die es ja allenthalben in der Gesellschaft gibt, ist ein Gewinn und keine Bedrohung für These: den Menschen. Aber alle diese Formen haben in Soziale und sittliche Normen in puncto Partnerschaft der offiziellen Kirche noch keinen Platz. Wenn und Sexualität verändern sich in der Geschichte. Sie aber alle diese Menschen mit zentralen Proble­ werden gegen Veränderung durch Oberdeterminie­ men ihrer Lebensgestaltung von der Kirche rung mit Attributen wie "natürlich", "sakramental", alleingelassen werden, dann darf man sich nicht "gottgewollt" oder "der Schöpfungsordnung entspre­ wundern, wenn sie wiederum die Kirche allein­ chend" geschützt. Die Realität und Vielfalt mensch­ lassen. Wenn die Kirche hier nicht umdenkt, licher Beziehungsformen hat diese Normen längst wird sie immer weiter ins bedeutungslose transzendiert. gesellschaftliche Abseits geraten.

38 2. Sexualität zwischen "Gosse" und guter Gabe Gottes Teil unserer Bevölkerung anzuleiten. Heute könnte Ansätze zum die Kirche noch Vorreiterin für einen mitmenschli­ chen Umgang mit Homosexuellen werden - bevor sie Umdenken in einigen Jahren nachzuvollziehen haben wird, was Es gibt in den evangelischen Landeskirchen die gesellschaftliche Entwicklung vorgibt. zaghafte Ansätze, einen Umdenkungsprozeß in (Ebd. 5.21) Gang zu bringen. So stellten Mitglieder des Offene Kirche-Gesprächskreises der Württem­ Auch dieser offen und liberal denkende Autor bergischen Landeskirche jüngst einen Antrag an spricht nur von 'homosexuellen Paaren'. Gleich­ die Landessynode, eine Klausurtagung zum geschlechtliche Lebensweisen sind jedoch bunter Thema 'Verschiedene Lebensformen der Genera­ und vielgestaltiger als diese Eingrenzung auf die tionen - Wie reagiert die Kirche darauf?' einzu­ lebenslange Zweierbeziehung vermuten läßt. berufen: Zur Übertragung des heterosexuel­ Die bürgerlichen Lebensformen ändern sich zuse­ len Eheideals auf gleichgeschlecht­ hends. Neben das traditionelle, auch im kirchlichen Handeln zugrunde liegende Leitbild vom Zusam­ liche Lebensformen: menleben der Generationen in der Familie treten zunehmend andere, teils individuell, teils kommuni­ Ich habe den Eindruck, daß homosexuelle tär ausgerichtete Lebensformen. Wir als Kirche und Frauen und Männer in der Kirche überall dort Synode hinnen vor diesen gesellschaftlichen Verän­ besser akzeptiert werden, wo sie versuchen, derungen nicht die Augen verschließen. Wie soll die nicht aus dem Rahmen der für Heterosexuelle Kirche den neuen Lebensformen begegnen, wie anerkannten und kirchlich erlaubten Bezie­ reagiert sie und wir verhält sie sich? Wie nimmt sie hungsformen zu fallen. Anders formuliert: diese Lebensweisen auf? (Zit. nach Christoph Lesbische und schwule Beziehungen werden Weller. Kirche und neue Lebensformen. OK­ gerne am Maßstab der idealtypischen heterose­ Informationen 1/91, 5.17) xuellen monogamen und lebenslangen Ehe gemessen. Nach dem Motto: wenn ihr schon In dem Artikel, dem dieses Zitat entnommen ist, nicht so sein könnt wie wir, nämlich heterosexu­ wird anschließend eine Vielzahl von Lebensfor­ ell, dann lebt wenigstens nach den gleichen men benannt: die sogenannte "Normalfamilie", Idealen und derselben Doppelmoral wie wir. Alleinlebende (Singles), Alleinerziehende, unverheiratet zusammenlebende Paare (wilde Ehen), verheiratet und doppelt berufstätige Paare, Hausmann-Familien, homosexuelle Paare, Wohngemeinschaften (funktional), kommunitäre Lebensgemeinschaften. Dem aufmerksamen Leser und der aufmerksamen Leserin fällt jedoch auf, daß Homosexuelle nur als Paare in den Blick kommen. In seiner Erläu­ terung der einzelnen Lebensformen spricht der Autor denn auch nur von eheähnlich zusam­ menlebenden homosexuellen Paaren:

Das Engagement fiir die Möglichkeit homosexueller Ehen, wie sie inzwischen in Dänemark und dem US­ Bundesstaat Kalifornien möglich sind, und ähnliches auch in den Niederlanden erwogen wird, wäre ein guter Anlaß, den kirchlichen Umgang mit Homo­ sexuellen aufzuarbeiten und auch die Gemeinden zu einem neuen Umgang mit diesem diskriminierten

2. Sexualität zwischen "Gosse" und guter Gabe Gottes 39 Ein Beispiel für die bemühte Halbherzigkeit in Wenn angesichts solcher Tatsachen Gemeinde­ der Akzeptanz von Homosexuellen ist eine glieder in Diskussionen durchaus wohlwollend L'nterscheidung, die manche Gemeindeglieder sagen, es gäbe ja auch anständige Homosexuelle, in Diskussionen um Homosexualität machen, und man müsse eben zwischen diesen und den wenn ihnen die anwesenden homosexuell.en anderen unterscheiden, so entbehrt das nicht Frauen und Männer ganz "normal" erscheinen: einer gewissen Komik. Es kann also in der "Es gibt doch so 'ne und solche Homosexuell('''. Diskussion um Homosexualität keinesfalls um Mit dieser Bemerkung wollen si(' zwisclwn die Akzeptanz einiger ausgewählter in das braven, gesellschaftlich angepaßten, unauffälli­ eigene Normenschema passender, pflegeleichter gen, monogamen Homosexuellen einerseits und Homosexueller gehen; es geht um die Akzep­ kreischigen, auffälligen, unangepaßten und tanz des Anderen in der Kirche und dazu gehört promisken Homosexuellen andererseits unter­ auch die Akzeptanz anderer Lebensstile, die schieden wissen. Und selbstverständlich verdie­ durchaus christlich begründbar sind. Dazu nen nur die braven Homosexuellen die Akzep­ helfen könnte die Einsicht, daß die Kirche eine tanz der Kirche. Gemeinschaft der Verschiedenen ist:

Nun halte ich solch eine Unterscheidung an und für sich bereits für diskriminierend. Sie ist jedoch symptomatisch für eine Gesellschaft, in der das Unangenehme und Unangepaßte, das Abgelehnte und Angstmachende, das im eige­ nen Leben nicht Wahrgenommene und Ver­ drängte stets auf andere projiziert wird. Damit wird die Chance vertan, es bei sich selbst als lebendigen und lebenfördernden Anteil zu entdecken und sich damit auseinanderzusetzen.

Bevor heterosexuelle Menschen jedoch über Homosexuelle urteilen und dort zwischen guten und schlechten homosexuellen Lebensweisen unterscheiden, sollten sie erst einmal einen Blick in einige verdrängte Tatsachen ihrer eigenen, heterosexuellen Welt werfen:

1. Jede dritte Ehe wird heutzutage geschieden. In Großstädten ist die Scheidungsrate noch höher.

2. Sexuelle und psychische Gewalt in der Ehe nimmt zu gleichwie

3. der sexuelle Mißbrauch von Kindern durch ihre Eltern.

4. In der Bundesrepublik gibt es zwischen 50.000 und 400.000 Prostituierte. Bei durchschnittlich drei Kunden täglich haben wir in Deutschland pro Tag zwischen 150.000 und 1,2 Millionen Kontakte zu Prostituierten.

40 2. Sexualität zwischen "Gosse" und guter Gabe Gottes "Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht lebt, entspringt jene Einschränkung auf "partner­ Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; schaftliche Homosexualität" einer gewissen denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus" (Gal. kirchentypischen Blindheit aber gewiß auch 3,28). Die sozialen und natürlichen Unterschiede einer profunden Angst vor Sexualität. trennen in der Gemeinde Christi nicht voneinander, sondern dienen irn herrschaftsfreien Miteinander der Der in kirchlichen Kreisen häufig anzutreffende gegenseitigen "Bereicherung" (1. Kor. 14, 12). Das Gedanke - daß man homosexuelle Liebe wenn verbietet S07.uohl jeden äußeren und inneren Druck überhaupt, so nur in monogamen Paarbeziehun­ zur Uniformierung der Verschiedenen als auch die gen tolerieren dürfe - wird gegenwärtig noch Bildung von Ghetto-Kirchen (Gemeindebildung der dadurch verstärkt, daß in manchen Kirchen (z.B. Gleichartigen unter sich). C..) Ist die christliche in der Rheinischen Landeskirche und der Bayeri­ Gemeinde zum Scha/om, zur versöhnten Verschie­ schen Landeskirche) zur Zeit über Partner­ denheit, der Gemeinschaft der Verschiedenen beru­ schaftssegungen für lesbische und schwule fen, darm hat sie die Aussagen von Gal. 3, 28 auch Paare halblaut nachgedacht wird. Da auch auf auf die Gemeinschaft von heterosexuell Liebenden der politischen Ebene zur Zeit über die Gleich­ und homosexuell Liebenden zu beziehen, also zu stellung homosexueller Partnerschaften disku­ erkennen, daß hornosexuelliiebende Menschen tiert wird, scheint es, als ob momentan homose­ Glieder am reib Christi sind, die die Kirche zu ihrem xuelle Frauen und Märuler nur als eheähnliche eigenen Schaden immer wieder ausgegrenzt hat Paare salonfähig werden können. Diese Ein­ (Homosexuelle Liebe. Arbeitspapier für rheini­ schränkung geht jedoch an der homosexuellen sche Gemeinden, a.a.O., S. 50f. und 55f.). wie an der heterosexuellen Wirklichkeit vorbei. ­ Lesbische und schwule Sexualität ist genauso Nimmt man die Rede von der "Gemeinschaft wie heterosexuelle Sexualität mehr und vielge­ der Verschiedenen" ernst, dann muß sie auch staltiger als die auf Dauer angelegte Partner­ auf die verschiedenen Lebensweisen der Men­ schaft, in welcher Sexualität nur mit einem schen in Beziehung und Sexualität übertragen einzigen Partner gelebt wird. werden. Wenn die Kirche sich in dieser Frage für Hetero­ Wenn aber der Öffentlichkeitsausschuß der wie Homosexuelle nicht öffnet, wird sie auf Rheinischen Kirche 1970 schreibt: So kanll die Dauer ins gesellschaftliche Abseits geraten, weil christliche Fthik den homosexuellen Verkehr nur sie die Menschen nicht mehr in ihrer wirklichen unter Erwachsenen und dann nur in der Form der Lebenssituation erreicht. Noch einmal: es ist die festen partnerschaftlichen Bindung billigen (Aus: Kirche, die in puncto Lebensformen, Sexualität Stellungnahme des Öffentlichkeitsausschusses der Evangelischen Kirche im Rheinland zur Homosexualität. In: Kirche und Sexualstrafrecht, Kreuz Verlag, 1970, S. 75), dann wird hier wieder der Zwang zur uniformen Partner­ schaft deutlich. Auch das 1992 erschienene Denk- und Diskussionsanstoß Arbeitspapier der Rheinischen Landeskirche zum Thema I lomosexualität hat - obwohl es Tragen Sie zusammen, welche Lebensweisen von Kirche als "Gemeinschaft der Verschiede­ (Beziehungsformen, Alleinleben) Sie aus nen" spricht - nur die "partnerschaftliche Ihrem Bekanntenkreis kennen und welche Homosexualität" im Blick. Aus welchen Grün­ Ihnen darüber hinaus noch einfallen. Welche den aber sollten 'vlenschen nicht auch in der Gründe sprechen Ihrer Meinung nach dage­ Gestaltung ihrer Sexualität und Partnerschaft gen, diese Lebensweisen auch kirchlich unterschiedliche Formen wählen dürfen? Auch anzuerkennen, welche sprechen dafür? Über angesichts der Tatsache, daß eine immer größer welche Lebensbündnisse wird innerhalb werdende Zahl heterosexueller Frauen und Ihrer Gemeinde gesprochen? Über welche Männer Sexualität außerhalb partnerschaftlicher wird geschwiegen? Bindungen verantwortlich gestaltet und geglückt

2. Sexualität zwischen "Gosse" und guter Gabe Gottes 41 und Beziehung von den Homosexuellen (und natürlich auch den Heterosexuellen) lernen kann und muß. Sie muß dazu ihre Tradition und vor allem das Evangelium nicht verraten, sie muß ihre Tradition jedoch kritisch befragen.

Ausgangspunkt einer neuen Beurteilung unter­ schiedIicher Lebensformen könnte der Satz aus Genesis 2,18 werden: "Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei". Auf der Grundlage dieses Satzes können wir die Ehe nur noch als eine unter vielen Möglichkeiten ansehen, anderen ein Gefährte oder eine Gefährtin zu sein, und die Kirche könnte in Zukunft in ihrem Wortschatz das Wort Ehe durch das Wort Lebensbündnisse ersetzen.

42 2. Sexualität zwischen "Gosse" und guter Gabe Gottes Die Lebenssituation von Lesben und Schwulen

Andreas Schwnann 3.1 ZUßl Sprachgebrauch 3. "Schwule" und "Lesben" "Schwul" und "Lesbisch" sind in unserer Spra­ ven Charakter, den dieses Wort in unserer che Schimpfworte. Sie werden benutzt, um Sprach(' bekommen hat, weiter zu erhalten. Menschen zu beleidigen und in der Gesellschaft Vielmehr wollen Schwule und Lesben offen zu zu entwürdigen. Daher scheuen sich viele dem stehen, was sie sind, indem sie sich offen Clu'istinnen und Christen, diese Worte zu als "schwul" und "lesbisch" bezeichnen. benutzen. Trotzdem ist in den Texten dieses Arbeitsheftes von Schwulen und Lesben die Solche Umwandlungen von Schimpfworten in Rede. Das hat zwei Gründe: Ausdrücke stolzen Selbstbewußtseins gibt es in der Geschichte häufiger. So wurden die Nieder­ 1. In unserer Sprache gibt es keine anderen Wor­ länder im 16. Jahrhundert von ihren spanischen te, die so umfassend und treffend die Begabung Landesherren "Geusen", d. h. Bettler, genannt. bezeichnen, sich zu einem Menschen gleichen Die Niederländer benutzten dagegen dieses Geschlechts hingezogen zu fühlen und sich ihm Schimpfwort voll Stolz, um sich als wehrhafte öffnen zu können. Das liegt daran, daß diese Be­ Opfer von den ausbeutenden Unterdrückern zu gabung auch in der Geschichte unseres Sprach­ unterscheiden. Mit ähnlichem Selbstbewußtsein raumes immer negativ beurteilt und tabuisiert stehen die Quäker (Zittere1') zu ihrer Gewalt­ worden ist. So wurde vor allem im Mittelalter und damit Wehrlosigkeit. Gleichzeitig sollten von "Sodomie" gesprochen, der Sünde, die nach Christinnen und Christen sich bewußt sein, daß der fehlerhaften Interpretation einer biblischen sie sich mit dem Schandsymbol der Antike Geschichte zum Untergang Sodoms geführt ha­ bezeichnen und schmücken: dem Kreuz. ben soll. Daneben wurde es üblich, von der "un­ aussprechlichen" oder "stummen Sünde" zu Vielleicht könnte gerade diese Tatsache für sprechen. In diesen Umschreibungen drückt sich Christinnen und Christen Anlaß sein, die negati­ nicht nur die negative Bewertung aus, sondern ven Assoziationen von "schwul" oder "lesbisch" auch das Verschweigen dessen, was da tatsäch­ zu überwinden und damit der entwürdigenden lich geschieht. Von Medizinern und Psychologen Geschichte dieser Worte ein End(' zu setzen. ging der Versuch aus, für das l\Jilmenlose eine wissenschaftliche Bezeichnung zu finden. Er führte zur Entwicklung von Begriffen wie "ho­ Denk- und Diskussionsanstoß mosexuell", "homophil", "homotrop", "ho­ moerotisch", "invert" usw. Im Gegensatz zu den Was denken und empfinden Sie, wenn Worten "schwul" und "lesbisch" werden diese Schwul- und Lesbischsein als Begabung Begriffe meist in einer Weise gebraucht, die die bezeichnet wird? Denken Sie dabei an eine Menschen auf ihre Sexualität reduzieren. . von vielen Begabungen, die ein Mensch haben kann, oder an die besondere Hervor­ 2. Schwule und Lesben empfinden diese Bega­ hebung eines Menschen? Was halten Sie bung als etwas Schönes und Gutes, das sie allgemein von dem Gedanken, Sexualität als persönlich bereichert und worauf sie stolz sein Begabung zu bezeichnen? können. Es gibt daher keinen Grund, den negati­

3. Die Lebenssituation von Lesben und Schwulen 43 3.2 Zur Geschichte von Lesben und Schwulen

Markus Gutfleisch 3.2.1 Ein Stück schwuler Geschichte

In nahezu allen Kulturen der Antike war Ilomo­ Obwohl diese Kampagne auch von SPD und sexualität verbreitet und toleriert. Mit der KPD unterstützt wurde, gelang es in den folgen­ Ausbreitung des Christentums als Staatsreligion den Jahren nicht, den Strafrechtsparagraphen veränderte sich diese Sichtweise. Eine pa­ abzuschaffen. Nach der Machtergreifung der triarchaüsche Kultur setzte sich neben der Leib­ Nationalsozialisten kam das abrupte Ende der und Sexualitätsfeindlichkeit des Christentums Bürgerrechtsbewegung der Schwulen. Am 6. immer mehr durch. Fortpflanzung wurde als Mai 1933 demolierte die SA das Berliner Institut einziges Ziel von Sexualität gesehen. Auf homo­ für Sexualwissenschaft; die gesamte Bibliothek sexuelles Verhalten stand die Todesstrafe. wurde zusammen mit anderen Werken "undeut­ schen Geistes" öffentlich verbrannt. 1935 schließ­ Im Zeitalter der Aufklärung wurde die Bestra­ lich erfolgte eine erhebliche Verschärfung des fung der Homosexualität abgemildert. Aller­ § 175. Nun konnten bereits Umarmungen unter dings wurde homosexu­ Männern, ja sogar elles Verhalten - das "unzüchtige" Blicke zur man zuvor als Sünde Verurteilung führen. und Ketzerei betrachtet hatte - nun als Krankheit Eine Statistik zeigt, daß betrachtet: Mediziner z.B. in den Jahren 1937­ begannen, sie zu erfor­ 1939 von der Gestapo schen und versuchten, rund 95.000 Männer sie zu therapieren erfaßt wurden; ca. (empfohlen wurden u.a. 24.500 wurden nach auch noch im 20. Jahr­ § 175 verurteilt. Von hundert kalte Bäder, 1940 an wurden immer harte Arbeit, Heirat, mehr Schwule in Kon­ Enthaltsamkeit, Hor­ zentrationslager ge­ monbehandlung und bracht. Die Gesamtzahl Elektroschocks). Seit der in KZ's inhaftierten 1871 galt im Deutschen Homosexuellen lag Reich der § 175 StG B, vermutlich bei 10.000; nach welchem "wider­ ihr Erkennungszeichen natürliche Unzucht" im Lager war der rosa zwischen Männern mit Gefängnis bestraft Winkel. Von Mithäftlingen wurden sie beson­ wurde. ders verachtet und von der SS systematisch vernichtet. Zu Beginn dieses Jahrhunderts, verstärkt aber in der Weimarer Republik, entstand eine schwule In der nach dem Krieg neuentstandenen Bundes­ Subkultur (z.B. Lokale, in denen sich Schwule republik galt der von den Nazis verschärfte treffen), und es gab schwule Gruppen und § 175 unverändert fort. Obwohl die rassehygie­ Organisationen sowie Zeitschriften für Homose­ nischen und bevölkerungspolitischen Grundla­ xuelle. Besonders erwähnenswert sind die gen der Homosexuellenverfolgung durch die Aktionen des Arztes Magnus Hirschfeld, der Nazis offenkundig waren, wurde der § 175 nicht 1897 das Wissenschaftlich-humanitäre Komitee als nationalsozialistisches Unrecht gewertet. (WHK) gründete. Unter dem Motto "Weder Homosexuelle NS-Opfer konnten und können Krankheit noch Verbrechen" kämpfte er gegen bis heute keine Entschädigung für die erlittenen Diskriminierung und vor allem gegen den § 175. Verfolgungen erwarten; undenkbar waren in

44 3. Die Lebenssituation von Lesben und Schwulen den ersten Jahren der neuen Bundesrepublik ragraph seit 1989 abgeschafft) nach ihrer Verei­ auch Organisationen von Schwulen. Die weni­ nigung 1990 führte zu einer Absichtserklärung gen Lokale und Zeitschriften waren stets durch der Koalition von CDU/CSU und FDP, den polizeiliche Eingriffe in ihrer Existenz gefährdet. § 175 zugunsten einer einheitlichen Jugend­ Allein in den Jahren 1950-1965 wurden in der schutzvorschrift von 16 Jahren zu streichen. Bundesrepublik fast 45.000 Männer nach dem Ohne auf die Problematik dieser neuerlich nur § 175 verurteilt. halbherzigen Reform einzugehen, wäre auch dies nur ein kleiner Schritt auf dem Weg zu Erst 1969 und später noch einmal 1973 wurde einer vollen Gleichberechtigung von Schwulen der § 175 entschärft. Homosexualität unter in der Gesellschaft. Rechtliche Diskriminierun­ Erwachsenen war jetzt straffrei. Zaghaft entwik­ gen bleiben bestehen, die Lebensweise gleichge­ kelte sich ab 1971 auch in Deutschland eine schlechtlich liebender Menschen ist längst nicht Schwulenbewegung. Ihr Erfolg ist wechselhaft. in der gesamten Bevölkerung akzeptiert. Als '\licht die in den letzten zwanzig Jahren mannig­ Beispiele seien kurz genannt: die Situation fachen Anstrengungen und Ansätze (auch homosexueller Menschen am Arbeitsplatz, die mancher Bundestagsparteien), den § 175 abzu­ derzeitige finanzielle und rechtliche Benachteili­ schaffen, sondern erst die Notwendigkeit einer gung schwuler und lesbischer Partnerschaften Rechtsangleichung zwischen beiden deutschen und die Gewalt gegen Schwule. Staaten (in der DDR war der Homosexuellenoa-

Hiltrud Noll 3.2.2 Verschwiegene Liebe - zur Geschichte lesbischer Beziehungen

Ein Rückblick auf die Bewertung lesbischer damaligen Bewertung menschlicher Sexualität Lebensformen in der Geschichte stößt auf die konnte der Terminus "widernatürliche Unzucht" Schwierigkeit, daß Sexualität zwischen Frauen in sich auch auf Formen heterosexuellen Ge­ der Geschichte - noch stärker als die Mann­ schlechtsverkehrs beziehen, die nicht auf die männliche - tabuisiert worden ist und daher nur Zeugung von Kindern ausgerichtet waren. wenig historische Quellen zur Verfügung stehen. Lesbische Frauen und lesbische Sexualität wird [m gesamten Alten und Neuen Testament wird es - wie zu allpn Zeiten - auch zur Zeit des Alten die Existenz lesbischer Frauen nicht einmal und Neuen Testamentes gegeben haben, ohne erwähnt. Einzige Schriftstelle, in der Exegeten jedoch öffentlich wahrgenommen oder beachtet einen Bezug auf lesbische Sexualität sehen, ist zu werden. Die soziale Stellung der Frau inner­ Röm 1,26: Darum lieferte Gott sie entehrenden halb der Jüdischen Kultur ermöglichte ihr weder Leidenschaften aus; ihre Frauen vertauschten den allein noch gemeinsam mit anderen Frauen, ein natürlichen Verkehr mit dem widernatürlichen; (27f. von Männern unabhängiges Leben zu führen. geht weiter auf homosexuelle Praktiken zwi­ Die Rolle der Frau war definiert als die der schen Männern ein). Inwiefern an dieser Stelle Tochter, Schwester, Ehefrau oder Mutter eines aber kunkret bzw. ausschließlich lesbische bestimmten Mannes, von dem sie abhängig war Sexualität gemeint ist, bleibt offen. Nach der und der über sie verfügte. Eine Entwicklung

3. Die Lebenssituation von Lesben und Schwulen 45 lesbischer Partnerschaften, die auf einem ge­ derts aus dem Kloster Tegernsee lesen wir: Süßer meinsamen Zusammenleben zweier Frauen bist Du als Milch und Honig, ausgewählt aus aufbauten, war aufgrund dieses Sozialgefüges Tausenden. Dich lieb ich vor allen, Du allein bist wohl auch nahezu unmöglich. meine Liebe und mein Verlangen. Du süßer Trost meines Geistes, ohne Dich ist nichts angenehm in der Auf die Existenz lesbischer Frauen läßt sich in­ weiten Welt. Alles, was schön war mit Dir, ist ohne nerhalb der Geschichte überwiegend nur indi­ Dich mühsam lind schwer. Wenn es möglich wäre, rekt schließen und zwar dort, wo ihre Erwäh­ daß ich mein Leben für Dich gäbe, gern würd ich es nung sich im Strafrecht niederschlägt. Wo dies tun, weil Du allein es bist, die ich erwählt habe in geschieht, handelt es sich ausnahmslos um Straf­ meinem Herzen. androhungen für homosexuelle Männer, die dann noch zusätzlich auf Frauen ausgedehnt Ein gewisses Bewußtsein für die Existenz lesbi­ werden. Im vergleich zu den in der Geschichts­ scher Beziehungen scheint aber vorhanden schreibung des Mittelalters und der Neuzeit gewesen zu sein. Vom 13. Jahrhundert an dokumentierten Verhandlungen gegen homose­ verlangten im allgemeinen die Ordensregeln, xuelle Männer findet sich nur eine Handvoll daß die Nonnen einander nicht in den Zellen überlieferter Prozesse gegen lesbische Frauen. besuchen durften und keine engen Freundschaf­ ten innerhalb des Klosters unterhalten sollten. Die zitierte Stelle im Brief des Apostds Paulus an Die Gründe für diese Regeln wurden niemals die RömC'r (1, 26f.) führte innerkirchlich schon ausgesprochen, es ist jedoch naheliegend, daß früh zu der Auffassung, daß männliche Homose­ hierdurch lesbische Beziehungen unterbunden xualität mit dem Tode zu bestrafen sei. Erstmals werden sollten. wird dies 419 von Augustinus erwähnt. Bezüg­ lich lesbischer Liebe spricht Augustinus 423 aber In Europa hat man es lange Zeit nicht wirklich nur die etwas diffuse Warnung gegenüber seiner nachvollziehen können, daß Frauen sich sexuell Schwester aus, sich im KlostC'r den körperlichen zu anderen Frauen hingezogen fühlen können. Annäherungsversuchen "schamloser Frauen" zu Die Auffassung der SexuaIilJt war phallozen­ entziehen. Lesbische Liebe stand auch deswegen trisch; nach dieser Einstellung konnten sich nicht so im Brennpunkt, weil nach der damaligen Frauen zu Männern oder auch Männer zu Auffassung über die Fortpflanzung der gesamte Männern hingezogC'n fühlen. Daß eine Frau eine neue Mensch bereits im Samen des 'v1annes ent­ andere sexuell befriedigen könne, hielt man(n) halten Wilr, die Frau lediglich das Gefäß für das aber für ausgeschlossen und war daher eher neu zu entstehende Leben darstellte. Aus einem geneigt, lesbische Kontakte als unzüchtige solchen Blickwinkel heraus war die Sexualität Spielerei 7.LI bewerten, als darin eine eigC'nständi­ von Frauen bedeutungslos. ge Form weiblicher Sexualität zu sehen.

Einige nachfolgende Theologen erwälmen Interessant am Fall einer 1580 in Frankreich lesbische Liebe als Variante "widernatürlicher hingerichteten Frau ist der Cmstand, daß diese Lnzucht" und sehen sie in diesem Zusammen­ sich als Mann ausgab und einige Jahre uner­ hang als schwere Sünde. Im 11. und 12. Jahrhun­ kannt mit ihrer Freundin eine "Ehe" führen dert gab es in den Klöstern eine ausgeprägte konnte. Die eigentliche Sorge der Behörden galt Kultur geistlicher Frauenfreundschaften, die bei dieser VC'rLIrteilung wohl nicht dem seXLlel­ durch einige erhaltene Gedichte überliefert sind. len Verstoß, als vieImC'hr der Tatsache, daß eine Diese Frauenbeziehungen hatten zwar auch Frau sich die Rolle eines Mannes anmaßte. einen erotisch gefärbten Charakter, erregten aber zumindest nach außen nicht den Verdacht, auch Der § 175 des deutschen Strafgesetzbuches bezog sexueller Natur zu sein. J'\ach den Quellen zu sich seit seiner Einführung im Jahr 1871 aus­ urteilen haben die Nonnen diese intensiven schließlich auf homosexuelle Männer. Diskussio­ Freundschaften wohl ohne schlechtes Gewissen nen, lesbische Frauen hierin aufzunehmen, mit ihrem Keuschheitsgelübde vereinbaren wurden während der Nazizeit und in den können. In einer Handschrift dC's 12. Jahrhun­ fünfziger Jahren vom Bundesverfassungsgericht

46 3. Die Lebenssituation von Lesben und Schwulen geführt (hier spielte der Verfassungsgrundsatz der Rechtsgleichheit von Mann und Frau eine Rolle). Aufgrund der weiterbestehenden Ein­ schätzung, daß es sich bei lesbischen Beziehun­ gen weniger um eine Gefährdung der öffentli­ chen Ordnung handele, als man eine solche bei homosexuellen Kontakten zwischen Männern sah, nahm man aber beide Male davon Abstand, den § 175 auch auf Frauen auszudehnen.

Die Zusammenschau der historischen Fakten macht deutlich, daß lesbische Sexualität schon seit Beginn unserer Zeitrechnung verbreitet war, im Vergleich zur männlichen Homosexualität aber nur verschwindend geringe Beachtung fand. Dieser für lesbische Frauen oftmals lebens­ rettende Umstand drückt aber auch einen nicht unwesentlichen Aspekt der Diskriminierung ihrer Sexualität aus.

Eine offenere Herangehensw('ise und gesell­ schaftliche Auseinandersetzung findet seit Beginn der zweiten deutschen Frauenbewegung (ab ca. 1970) statt. Das Thema Homosexualität wird aber auch oft heute noch ausschließlich mit Männern in Verbindung gebracht. Eine breite Fülle wissenschaftlicher Publikationen bezieht sich fast ausschließlich auf diese Variante, lesbische Frauen werden allenfalls in Nebensät­ zen erwähnt. Die in den letzten Jahren begonne­ ne Entwicklung einer eigenständigen Frauenfor­ schung sucht nunmehr in diesem Bereich Abhilfe zu schaffen.

3. Oie Lebenssituation von Lesben und Schwulen 47 Hiltrud Noll und Herbert Engel 3.3 HOInosexuelle ChristInnen in den Kirchen

Entsprechend ihrem Anteil an der Gesamtbevöl­ keine gleichwertigen Gesprächspartner sein. Ein kerung sind homosexuelle Frauen und Männer selbstbewußtes Eintreten für das Recht auf die auch in den Kirchen vertreten: als Gemeindeglie­ gleichgeschlechtliche Lebensweise wird von der, als haupt- oder ehrenamtliche MitarbeiterIn­ kirchlicher Seite gerne als Idealisierung homose­ nen, als Ordensleute und als PfarrerInnen. Aber xueller Lebensweisen diffamiert. weder in der kirchlichen Verkündigung noch im Gemeindeleben kommen Lesben oder Schwule In einem solchen Ansatz ist es nur konsequent, in der Regel vor. Die Kirchen, wie die Gemein­ wenn Homosexuellen kein Recht auf ihre Sexua­ den, bieten Lesben und Schwulen keine Angebo­ lität zugestanden wird und folglich homosexuel­ te zur Selbstfindung und Stärkung ihrer seXLlel­ le kirchliche MitarbeiterInnen fürchten müssen len Identität. Wenn sit' überhaupt erwähnt entlassen zu werden, wenn sie ihre Sexualität­ werden, so nicht mit ihren speziellen Begabun­ so wie jeder andere Mensch auch - selbstver­ gen und Fähigkeiten, sondern nur als "Problem­ ständlich leben. fälle", im extremsten Fall als Objekte kirchlicher Seelsorge. In fast allen kirchlichen Verlautbarun­ Die Kirchenleitung kann und muß darauf hinweisen, gen werden sie als besonders defizitäre Men­ daß das öffentliche Vertreten etwa von homosexuel­ schen beschrieben: len Partnerschaften in Leben und Lehre mit der Lehrverpflichtung der Kirche nicht iibereinstimmt, Homosexuellen sind viele Lebensmöglichkeiten und daß nach Bekanntwerden einer homophilen verschlossen. und sie leiden darunter. Sie leiden Praxis eines kirchlichen Mitarbeiters diese unter unter lsolatiou und Unverständnis. Es ist für sie besfirnmten Umständen auch als eine Amtspflichts­ erschwert. Gemeinschaft aufzubauen und durchzu­ verletzung gesehen werden kann. (Ebd. Texte der halten. (..,) Für jede Art des persönlichen Umgangs VELKD 11/1980 - Die lesbischen Frauen in mit Homosexualität, sei es die Enthaltsamkeit und Sublimierung, die Therapie oder die Selbstmmalnne mit dem Ziel einer partnerschaftlichen Beziehung, wird ein 'Defizit' bestehen bleiben. einen Ausweg ohm das 'Annehmen eines Leidens' wirr! es nicht geben. (Gedanken und Maßstäbe zum Dienst von Homophilen in der Kirche. Eine Orientierungs­ hilfe. Texte der VELKD 11/1980)

Wie 1'5 bei jeder moralischen Unordnung der Fall ist, so verhindert homosexuelles Fun die eigene Frfli/­ lung und das eigene Glück, weil ('s der schöpferischen Weisheit Goltes entgegensteht. (Schreiben der Kongregation für die Glaubenslehre an die Bischöfe der katholischen Kirche über die Seelsorge für llomosexuelk Personen, 'J 986.)

Homosexualität ist für die Verfasser dieser Texte also eher ein Leichen einer besonderen menschlichen Bedürftigkeit, eine einschränkung Inenschlicher 1l1tfaltungsmöglichkeitel1 (ebd. Texte der VELKD 11/1980). Unter solchen VoraussetzungC'n können Homosexuelle gar nichts anderes wer­ den als Objekte der Seelsorge, bedürftige Men­ schen nämlich, die - ähnlich wie Kranke - der besonderen Zuwendung durch die Kirche bedürfen, - keineswegs jedoch der Anerkennung ihrer Lebensform. Solche Menschen können

48 3. Die Lebenssituation von Lesben und Schwulen unseren Kirchen werden in der gesamten Erklä­ sich aus diesem Grunde dafür, ihre homosexuel­ rung wieder einmal völlig übersehen.) le Veranlagung und somit einen wichtigen Teil ihrer Identität innerhalb des sozialen und kirch­ Im Klartext: Wer als homosexueller kirchlicher lichen Umfeldes zu verbergen. Dieser permanen­ Mitarbeiter in einer festen Partnerschaft lebt, te Zwang zur Verleugnung verbunden mit der muß damit rechnen, entlassen zu werden. Diese Furcht, eines Tages vielleicht doch "erkannt" zu Furcht homosexueller Männer und Frauen vor werden, führt dann allerdings oft zu Störungen Diskriminierungen und vor dem Verlust des der leib-seelischen Gesundheit. Besonders Arbeitsplatzes ist nicht unbegründet, sondern unwürdig stellt sich die Situation bei Bestehen durch eine Reihe von Entlassungen in der einer Partnerschaft dar: Die Lebenspartnerin Vergangenheit bereits bestätigt. Namen wie oder der Lebenspartner muß nach außen hin Klaus Brinker (Hannoversche Landeskirche) und verleugnet und verborgen werden, offiziell gilt Hans-Peter Hauschild (Caritasverband) stehen man als alleinstehend". für viele andere, deren "Fälle" nicht öffentlich geworden sind, weil die Angst der Betroffenen Die Tatsache, daß in allen Kirchen Homosexuel­ vor weiteren Diskriminierungen zu groß war. le mit Wissen der offiziellen kirchlichen Stellen Darüber hinaus müssen homosexuelle Mitarbei­ ein Amt innehaben, ist kaum ein Hoffnungs­ terInnen damit rechnen, daß ihre Homosexuali­ schimmer. In der Regel ist hiermit die Auflage tät zum Vorwand für eine Entfernung aus dem verbunden, homosexuelle Veranlagung und Dienst genommen wird, wenn sie aus anderen Partnerschaft nicht "an die große Glocke" zu Gründen für ihre Kirche unbequem geworden hängen und sich nach außen hin unauffällig zu sind. benehmen. Letztendlich ist dies praktisch nur eine andere Variante von Verleugnung und ein Erstaunlich, daß die oben zitierten Maßstäbe Zeichen kirchlicher Doppelmoral. [n fast allen immer nur auf homosexuelle kirchliche Mitar­ Kirchen gibt es eine solche Schere zwischen beiterInnen angewendet werden, insbesondere offiziell vertretener kirchlicher Moral und auf Pfarrerinnen und Priester. Noch keine praktiZierter Pastoral. Kirchenleitung ist auf die Idee gekommen, denselben Maßstab auch an ihre Kirchenglieder anzulegen und diese z.B. zwangsweise aus der Kirchengliedschaft zu entlassen. Erstaunlich weiter, daß homosexuelle kirchliche Mitarbeiter­ Denk- und Diskussionsanstoß Innen in der Regel nur dann Schwierigkeiten mit ihrer Kirchenleitung bekommen, wenn sie in Stellen Sie sich vor, Sie leben in einer homo­ einer Partnerschaft leben. Haben sie keinen sexuellen Gesellschaft. Dort ist es "normal" festen Partner bzw. keine feste Partnerin, son­ und "natürlich", daß nur gleichgeschlechtli­ dern wechselnde nicht in Erscheinung tretende che Paare zusammenleben. Als Frau dürften Partner, so haben sie in der Regel nichts zu sie nicht von ihrem Freund und als Mann befürchten. Andererseits wird in derselben nicht von ihrer Freundin reden, weil sie Erklärung Homosexuellen angelastet, daß sie zu befürchten müßten, dann von anderen festen Partnerschaften nicht fähig seien. Verkehr­ verspottet und schief angesehen zu werden te Welt' oder gar ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Als Mann würden Sie ständig gefragt, ob Sie Die Wirklichkeit homosexueller Frauen und noch keinen Freund hätten, als Frau, ob Sie Männer sieht anders allS als kirchliche Ver­ denn noch keine Freundin hätten. Phantasie­ lautbarungen glauben machen wollen. ren Sie, wie es Ihnen dabei gehen würde. Homosexuelle leiden ebensowenig wie Hetero­ Was würden Sie fühlen? Wie leicht wäre es sexuelle unter ihrer Sexualität. Sie leiden viel­ für Sie in einer solchen Gesellschaft als Frau mehr darunter, daß ihre Sexualität in der Öffent­ einen Freund oder als Mann eine Freundin lichkeit abgewertet und in den Dreck gezogen zu finden? Wie würden Sie sich verhalten? wird. Eine große Zahl Betroffener entscheidet

3. Oie Lebenssituation von Lesben und Schwulen 49 Eine Vielzahl schwuler und lesbischer Menschen rungen, die Menschen in ihrem Leben machen. Diese kehren ihrer Kirche bewußt den Rücken. Sie Erfahrungen sind zumeist viel zu kompliziert, als ziehen sich entweder ganz aus dem Leben der daß man sie nach den einfachen Begriffen von Wahr Kirche zurück oder treten aus und leben ihren und Falsch, Gut und Böse, Tugend und Laster, Glauben außerhalb der Kirche oder sie gründen Verdienst und Sünde einordnen könnte; aber das eine eigene Kirche. 1988 haben sich aus diesem Entscheidende ist nun, daß die Ebene der göttli­ Grund in Hamburg homosexuelle ChristInnen chen Normen die Erfahrungswirklichkeit bewer­ zu einer Tochtergemeinde der in den USA tet, obwohl sie dieser völlig abstrakt und bezie- bestehenden Metropolitan Community Church zusammengeschlossen. Die ist eine Kirche, die auch und gerade für Lesben und Schwule offen ist. Auch die Ökumenische Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche (HuK) ist entgegen ihrer Zielsetzung für viele ihrer Mitglieder so etwas wie eine Parakirche, eine Nebenkirche geworden.

Seit 1977 engagiert sich die HuK für eine Ände­ rung der kirchlichen Haltung zur Homosexuali­ tät und zu Homosexuellen. Die Veränderungen innerhalb der Kirchen gehen langsam und manchmal kaum wahrnehmbar vor sich. Positi­ Vatikanisches Hoheitsgebiet ve kirchliche Erklärungen zum Thema Kirche hungslos gegenübersteht. Denn die Glaubens­ und Homosexualität sind selten. Die Regel ist und Moralvorschriften der katholischen Kirche eine bemühte Ilalbherzigkeit, welche Lesben haben ihre Eigenart darin, daß sie als zeitlos und Schwule zwar nicht mehr als Sünder oder gültig angesehen werden und daher von keiner Kranke bezeichnen wiJl, sie aber letztlich doch menschlichen Erfahrung bewertet oder infrage­ als zweitklassige und für die kirchliche Verkün­ gestellt werden können. Gerade deswegen legt digung nicht geeignete Menschen beschreibt. die Kirche unbedingten Wert auf die Anerken­ nung der objektiven Verbindlichkeit dieser Eine kurzgefaßte Übersicht über die Haltung der Normen. Auf der anderen Seite duldet sie jedoch beiden großen Konfessionen: mit relativem Wohlwollen unter dem Mantel der Seelsorge alle möglichen privaten Abweichun­ gen von diesen Normen. (Vgl. zu diesem Ab­ 1. Katholische Kirche schnitt: Eugen Drewermann, Kleriker, dtv 3. Wenn hier von Jer Haltung der katholischen Aufl. 1992, S. 102f.) Kirche zur Homosexualität die Rede ist, so ist zunächst immer die Amtskirche gemeint. Um Dieses Denken bewirkt eine fatale Doppelbödig­ die Haltung der römisch-katholischen Amtskir­ keit: einerseits wiederholt jede amtskirchliche che, wie sie in offiziellen Verlautbarungen zum Stellungnahme zum Thema Homosexualität Ausdruck kommt, zu verstehen, ist es hilfreich, gebetsmühlenhaft das kirchlich-ablehnende sich zuvor eine Eigenart römisch-katholisch­ Urteil über Homosexualität, das mit der Wirk­ amtskirchlichen Denkens und Handelns bewußt lichkeit homosexueJl lebender Frauen und machen. Männer nichts zu tun hat; andererseits wird über das Angebot seelsorgerlicher Begleitung ver­ In der römisch-katholischen Amtskirche herrscht sucht, die in der kirchlichen Lehre ausgeblendete ein Denken, das gradLinig von oben nach unten Wirklichkeit wieder einzuholen. Die Lektüre verläuft: oben stehen die göttlich geoffenbarten einer katholisch-amtskirchlichen Erklärung zum Wahrheiten, die göttlichen Gebote ... , die vom kirchli­ Thema Homosexualität hinterläßt daher stets chen Lehramt in unfehlbarer Gültigkeit verkiindet das bestimmte Gefühl von Doppelbödigkeit, und dargelegt werden ... unten stehen all die Erfah­ Unwahrhaftigkeit und Unglaubwürdigkeit.

50 3. Die Lebenssituation von Lesben und Schwulen Wenn auch die eben besprochenen Grundstruk­ 2. 1986 folgte das weitaus schärfere "Schreiben turen gleichgeblieben sind, so hat die römisch­ der römischen Kongregation für die Glaubens­ katholische Amtskirche ihre offizielle Haltung lehre an die Bischöfe der katholischen Kirche zur Homosexualität in den letzten Jahren doch über die Seelsorge für homosexuelle Personen". immer weiter verschärft. Darin wurde betont: Schon in der "Erklärung zu 1. Die "Erklärungen zu einigen Fragen der einigen Fragen der Sexualethik" vom 29. Dezember Sexualethik" aus dem Jahre 1975 enthielten 1975 hat die Kongregation für die Glaubenslehre bereits eine klare Verurteilung von Homosexu­ dieses Problem ausführlich behandelt. Dieses Doku­ alität auf dem Hintergrund einer objektiv­ ment unterstrich die Aufgabe, ein Verstehen der kirchlichen Lehre: homosexuellen Veranlagung zu suchen, und bemerk­ te, die Schuldhaftigkeit homosexueller Handlungen Sicher muß man sich bei der seelsorgerlichen Betrn/­ müsse mit Klugheit beurteilt werden. r..J In der ung dieser homosexuellen Menschen mit Verständ­ Diskussion, die auf die Veröffentlichung der Erklä­ nis annehmen und sie in der Hoffnung bestärken, rung folgte, erfuhr die homosexuelle Veranlagung ihre persönlichen Schwierigkeiten und ihre soziale jedoch eine über die Maßen wohlwollende Ausle­ Absonderung zu überwinden. Ihre Schuldhaftigkeit gung; manch einer ging dabei so weit, sie als indiffe­ wird mit Klugheit beurteilt werden. Es kann aber rent oder sogar als gut hinzustellen. Demgegenüber keine pastorale Methode angeumndt werden, die diese muß folgende Präzisierung vorgenommen werden: Personen moralisch deswegen rechtfertigen würde, Die spezifische Neigung der homosexuellen Person weil ihre Handlungen mit ihrer persönlichen Verfas­ ist zwar in sich nicht siindhaft, begründet aber eine sung übereinstimmend erachtet würden. Nach der mehr oder weniger starke Tendenz, die auf ein objektiven sittlichen Ordnung sind homosexuelle sittlich betrachtet schlechtes Verhalten ausgerichtet Beziehungen Handlungen, die ihrer wesentlichen ist. Aus diesem Grund muß die Neigung selbst als und unerlaßlichen Zuordnung beraubt sind. Sie objektiv ungeordnet angesehen werden (a.a.O. S. 30. werden in der Heiligen Schrift als schwere Verirrun­ gen verurteilt und im letzten als die traurige Folge Das Urteil, das diese Erklärung über homosexu­ einer Verleugnung Gottes dargestellt. Dieses Urteil elle Frauen und Männer spricht, fällt schärfer der Heiligen Schrift erlaubt zwar nicht den Schluß, aus als 1975, ist jedoch nicht wertiger wider­ daß alle, die an dieser Anomalie leiden, persönlich sprüchlich und doppelbödig. Einerseits wird dafür verantwortlich sind, bezeugt aber, daß die behauptet: durch die klare Verurteilung der homosexuellen Handlungen in sich nicht in Ord­ Homosexualität werde die beständig-gültige nung sind und keinesfalls in irgendeiner Weise Lehre der Kirche gegen eine neue Auslegung der gutgeheißen werden können (aus: Abschnitt Seel­ Heiligen Schrift (die historisch-kritische Methode d.VJ sorge und Homosexualität, in: Erklärungen zu (a.a.O. S. 4) verteidigt und katholische Priester einigen Fragen der Sexualethik, 1975). und Gemeinden werden angewiesen, homosexu-

DAS KRIEGE'" so so, siE ABeR WIESO DENN ~ NUR KCI.<.JE \'\.·R SCJ-Ior--. NOCH I.-E 'D€N 0001 Sia.lLAGUNG,

3. Die Lebenssituation von Lesben und Schwulen 51 ellen Emanzipi'ltionsgruppen keine Unterstüt­ len anleiten, denn: Ihr könnt nicht zu Christus zung zu geben. Andererseits wird Homosexuel­ gehören, wenn ihr nicht das Fleisch mit seinen len seelsorgerliehe Begleitung angeboten und Leidenschaften und Begierden gekreuzigt habt Gewalt gegen Homosexuelle wird verurteilt. (GaI5,22.24). <. ..J Seelsorger sollen darauf vertrau­ Einerseits wird 1Iomosexuellen abgesprochen, en, daß sie den göttlichen Willen treu befolgen, wenn ein geglücktes Leben führen zu können, anderer­ sie homosexuelle Personen ermutigen, ein keusches seits wird behauptet, die kirchliche Lehre vertei­ LebCII zu führen, und wenn sie diese an ihre unver­ dige geradezu die Freiheit und Würde des gleichliche Würde erinnem, die Gott auch jenen Menschen. Zwei Zitate belegen eindrucksvoll Personen geschenkt hat (a.a.O. S. 10f). Wie bei jeder diese schizophrene Denkweise: Llmkehr vom Bösen kann, ... das von der göttlichen Gnade erleuchtete und gestärkte Miihen es jenen Wie es bei jeder rnoralischen Unordnung der Fall ist, Personen gestatten, homosexuelles Tun Zll lassen so verhindert hon'lOsexuelles Tun die eigene Erfül­ (a.a.O. S. 9). lung und das eigene Glück, weil es der schöpferischen Weisheit Gottes entgegensteht. Wenn die Kirche 3. Als hätte die katholische Amtskirche mit irrige Meinllngell bezüglich der Homosexualität ihrem Schreiben von 1986, das im übrigen in der zurückweist, verteidigt sie eher die - realistisch und Praxis katholischer Priester in Deutschland authentisch verstandene - Freiheit und Würde des kClum Beachtung gefunden hat, nicht schon Menschen, als dajJ sie diese einengen wiirde genug Porzellan zerschlagen, wurde Anfang (a.aG. S. 7). August 1992 ein Schreiben der römischen Glaubenskongregation an die amerikanischen Fs ist nachdrücklich zu bedauern, daß homosexuelle Bischöfe bekannt, welches eine weitere Verschär­ Personen Objekt iibler Nachrede und gewalttätiger fung der katholisch-amtskirchlichen Haltung zur Aktionen waren uud weithin noch sind. Solche Homosexualität vollzieht. Darin heißt es, es gebe Verhaltensweisen verdienen, von den Hirten der gesellschaftliche Bereiche, in denen es keine Kirche verurteilt zu werden, wo immer sie gesche­ ungerechte Diskriminierung ist, die sexuellen hen. Sie bekunden einen Mangel an Achtung gegen­ Neigungen zu berücksichtigen. Das gelte zum über anderen MenscheIl, der die elementaren Grund­ Beispiel bei Adoptionen, der Anstellung von sätze verletzt, auf denen ein gesundes staatliches Lehrern oder Trainern und beim Wehrdienst. 7usammenleben fußt. Die jeder Person eigene Das Schreiben bezeichnet Homosexualität Wiirde muß nämlich immer respektiert werden, und weiterhin als objektiv ungeordnet, geht jedoch zwar in Wort und Tat und Gesetzgebung. Dennoch weit über die 1986 gemachten Aussagen hinaus, sollte die gebotene Antwort auf die Ungerechtigkei­ wenn es Homosexualität mit Geisteskrankheit ten an homosexuellen Personen in keiner Weise zu vergleicht. Das Schreiben ist eine Reaktion auf der Behauptung führen, die homosexuelle Veranla­ die stärker werdenden Initiativen im amerika­ gung sei nicht ungeordnet. Wenn eine solche Be­ nisch-katholischen Raum, die sich für die RechtE' hauptung aufgestellt und homosexuelles Tun folglich als gut akzeptiert wird oder wenn eine staatliche Gesetzgebung eingeführt wird, welche ein Verhalten Denk- und Diskussionsanstoß schützt, für das niemand ein irgendwie geartetes Recht in Anspruch nehmen kann, dann sollten weder Sammeln Sie gemeinsam, welche katholi­ die Kirche noch die Cesellschaft als ganze überrascht schen Vorschriften im Bereich Sexualität sein, wenn andere verkehrte Vorstellungen und Ihnen bekannt sind. Vergleichen Sie diese Praktiken an Boden gewinnen sowie irrationale und Vorschriften mit ihrem eigenen Leben. Was gewaltsame Verhaltensweisen zunehmen für eine Bedeutung hat es für Sie, wenn Ihr (a.a.O. S. 8f). Leben als katholische/r Christ/in von den sexualethischen Normen der katholischen Das Rezept, welches diese Erklärung für homo­ Kirche abweicht? Welche sexualethische sexuelle Frauen und Männer bereithält, lautet: Autorität besitzt die katholische Amtskirche Verzicht auf sexueJle Betätigung. Zu diesem in Ihrem Leben? Verzicht sollen die Seelsorger die Homosexuel­

52 3. Die Lebel1ssituation von Lesben und Schwulen von Homosexuellen einsetzen. "New Ways Menschen als Chance und Aufgabe" gesehen Ministry", eine katholische Organisation für die werden muß. Rechte der Homosexuellen mit Sitz in Maryland kritisierte das Schreiben als "Peinlichkeit" und Eine offene Diskussion über Fragen der Sexual­ Beweis einer "wachsenden und ernsten Kluft moral wird von der Amtskirche jedoch weiterhin zwischen dem Vatikan und den katholischen abgelehnt. Das ist nicht weiter verwunderlich, Gläubigen". denn über zeitlos-gültige göttliche Wahrheiten läßt sich nicht diskutieren. Da sie nicht darüber diskutieren kann und mag, wählt die Amtskir­ che daher den bequemen Weg, unbequeme Theologinnen und Theologen durch Entzug der Lehrerlaubnis oder Amtsenthebung zu diszipli­ nieren. J\ioch im Jahre 1986 wurde der New Yorker Moraltheologe Charles Curran mit der Begründung seines Anltes enthoben, er sei in seiner Tätigkeit "unerwünscht und ungeeignet" er hatte die An­ sicht vertreten, daß eine generelle Verurteilung von Ehescheidung, Homosexualität und Abtreibung der Wirklichkeit der Menschen Unrecht tue (Drewer­ mann, a.a.O., S. 109). Dabei vergißt die Amtskir­ che leicht, daß sie für die \1ehrzahl ihrer Gläubi­ gen bereits jede Autorität in Sachen Sexualmoral verloren hat. 2. Evangelische Kirche Cnter den evangelischen Landeskirchen gibt es Die Realität in deutschen katholischen Gemein­ gegenwärtig weder eine einheitliche offizielle den entfernt sich Jahr für Jahr weiter von den Haltung in der Beurteilung von Homosexualität Erklärungen der Amtskirche. Allerdings ge­ noch eine einheitliche Praxis im Umgang mit schieht das meiste bislang noch unter Ausschluß homosexuellen Christinnen und kirchlichen der Öffentlichkeit: Priester sprechen sich in der Mitarbeiterlnnen. Eine Stellungnahme der EKD Seelsorge für die gleichberechtigte Anerkennung zum Thema Homosexualität existiert bislang nur homosexueller Lebensformen aus. Selbsthilfe­ als ein Kapitel der 1971 von der EKD herausge­ gruppen homosexueller Männer und Frauen gebenen Denkschrift zu Fragen der Sexualethik. treffen sich in kirchlichen Räumen. In den Die Aussagen dieser Denkschrift über Homo­ Diözesen bilden sich geheime Konvente homo­ sexualität haben in ihrer Negativität und Wider­ sexueller Priester. Katholikinnen und Katholiken, sprüchlichkeit auf später entstandene Erklärun­ die sich selbst auch als Kirche verstehen, kritisie­ gen einzelner Landeskirchen eingewirkt. Die ren offen die lebensfremde und menschenfeind­ Kernaussagen dieses Kapitels lauten: liche Sexualmoral der katholischen Amtskirche. Im März 1992 tra t der BensbC'rger Kreis, eine Homosexualität unterscheidet sich von heterosexuel­ Vereinigung kirchenkritischer katholischer ler Partnerschaft grundsätzlich dadurch, daß sie auf Intellektueller mit einem Memorandum unter einen gleichgeschlechtlichen Partner zielt. Individu­ dem Titel Kirche - Macht - Sexualität hervor. ell gestört ist entweder das Verhältnis zur eigenen Der Bensberger Kreis plädiert darin für eine Geschlechtsrolle oder das zum anderen Geschlecht. Vielfalt menschlicher sexueller Lebensformen, Sie tritt bei Männern und bei Frauen auf. Oie mögen diese homo-, hetero- oder autosexuell Fähigkeit, sich liebend auf einen Partner zu beziehen, sein, ehelich oder nicht ehelich. Betont wird, daß kann voll entwickelt sein. In vielen Formen der Sexualität auch für "junge und alte Menschen, HOlllOsexualität wird daher eine personale Beziehung homosexuelle, behinderte und alleinlebende beabsichtigt, bisher auf die Dauer kaum erreicht.

3. Die Lebenssituation von Lesben und Schwulen 53 Die weitverbreitete unreflektierte Verurteilung der und der kirchliche Mitarbeiter muß sich darüber im Homosexualität als widernatürliches schuldhaftes klaren sein, daß er keinen Anspruch darauf hat, Verhalten darf nicht beibehalten werden. Die christ­ seiner besonderen geschlechtlichen Lebensform in der liche Verkündigung sieht den Sinn der menschlichen Gemeinde Geltung zu verschaffen. Letztendlich Sexualität in der dauerhaften Beziehung eines widerspricht seine Sexualität der göttlichen Mannes und einer Frau. Diese Personalisienll1g Schöpfungsordnung, ja sie bleibt deutlich hinter wird bei vielen Formen der Homosexualität verfehlt, dem Schöpfungsangebot zurück. so daß keine dauerhafte Partnerbeziehung, sondern häufiger Partnerwechsel entsteht. Es hat seit 1980 mehrere Anläufe gegeben, diese Orientierungshilfe zu überarbeiten. Bislang ist Die evangelische Kirche versteht die Homosexualität jedoch nichts geschehen, was die Hannoversche als sexuelle Fehlform und lehnt ihre Idealisierung ab. Landeskirche zu einer offeneren Haltung gegen­ Das ist aber eine andere Beurteilung als die frühere über ihren homosexuellen MitarbeiterInnen moralisch verurteilende, die die Bestrafung als geführt hätte. Klaus Brinker wurde entlassen einzige Reaktionsmöglichkeit kannte. Das Wissen und Hans-Jürgen Meyer für 5 Jahre amtsentho­ um die Personalisienll1g der Sexualität eröffnet heute ben und in den Wartestand versetzt. Zementiert neue Möglichkeiten der seelsorgerlichen und thera­ wurde die Haltung der Hannoverschen Kirche petIlisehen Hilfe für diese Menschen. Kinder und durch eine Schrift des damaligen Oberkirchen­ Jugendliche müssen vor Verführung, Werbung und rats und jetzigen Landesbischofs Horst Hirschler Propaganda für Homosexualität geschützt werden. mit dem Titel "Homosexualität und Pfarrerbe­ (EKD, Denkschrift zu Fragen der Sexualethik, ruf" , erschienen 1985. 1971 ) Evangelische Landeskirche Da offenbar weder zutreffend noch praktikabel ist, was in kirchlichen Erklärungen über Homo­ Baden sexualität und Homosexuelle festgesetzt und Ehemals als eine in Sachen homosexuelle Mitar­ behauptet wird, existiert heute in den meisten beiterlnnen liberale Landeskirche bekannt, tritt evangelischen Landeskirchen so etwas wie eine die Badische Landeskirche seit 1985 durch Schere zwischen offiziell vertretener Ethik und repressives Vorgehen gegen homosexuelle Pastoral, d.h. dem, was offiziell verkündet wird MitarbeiterInnen hervor. Ein internes Papier und dem, was unter dem Mantel der Seelsorge zum Thema Homosexualität wurde vom Lan­ in Einzelfällen an Duldung möglich ist. Drei deskirchenrat gebilligt. Dies Papier gibt sich evangelische Landeskirchen seien an dieser noch rigoroser als die Orientierungshilfe der Stelle stellvertretend genannt. VELKD. Es heißt dort: Für homosexuelle Partner­ schaft und Praktiken hat die Heilige Schrift keine Evangelisch-lutherische Landeskirche Verheißung und Zusage. Eindeutig mehrdeutig geht es dann weiter: Am Grenzfall der Homosexu­ Hannover alität wird uns freilich auch deutlich, daß das Diese Landeskirche ist durch die Prozesse gegen Menschsein insgesamt offen angelegt ist und verfehlt die homosexuellen Pastoren Klaus Brinker und werden kann, wenn nicht eine klare Orientierung Hans-Jürgen M('yer bekannt geworden. Sie hält gegeben und angestrebt wird. Tm Klartext: Homo­ sich bei ihrem Vorgehen gegen homosexuelle sexuelle, die ihre Sexualität leben, verfehlen das Pfarrer an die 1980 von der VELKD herausgege­ Menschsein' So lautet denn auch der Schluß benen Orientierungshilfe "Gedanken und eindeutig: Homosexuelle Neigungen können zwar Maßstäbe zum Dienst von Homophilen in der ein Risiko für einen kirchlichen Beauftragten darstel­ Kirche". Der Tenor dieser Orientierungshilfe ist len, sie allein ziehen aber noch keine dienstrechtli­ eindeutig: Bei allem V('rständnis für die schwie­ chen Folgen nach sich. Dieses kann dagegen bei rige Situation homosexueller Menschen ist homosexuellen Partnerbeziehungen oder homosexuel­ Homosexualität doch eher ein 'Leichen einer ler Praxis der Fall sein. Wird homosexuelle Partner­ besonderen menschlichen Bedii1ftigkeit, eine Ein­ schaft öffentlich vertreten, so liegt ein Verstoß gegen schränkung menschlicher Entfaltungsmöglichkeiten, den Inhalt der Lehrverpflichtung vor.

S4 3. Die Lebenssituation von Lesben und Schwulen Seit 1991 hat sich in der Kirchenleitung der beschäftigt werden - auch in der Jugendarbeit. Badischen Landeskirche eine Gruppe gebildet, die im Zusammenhang mit einer Revision des Angestoßen durch diese Veröffentlichung des Pfarrerdienstgesetzes auch die Stellung der Diakonischen Werkes, berief die Landeskirche Landeskirche zum Thema Homosexualität neu 1985 eine Arbeitsgruppe zum Thema "Homose­ bedenken will. Bislang erschienen ist ein The­ xualität in der Kirche". 1989 legte diese Arbeits­ menheft Homosexualität - Lesben und Schwule. gruppe ihren Bericht, Lur Situation homosexueller (K)ein Thema für Theologie und Seelsorge, für Menschen in Kirche und Gesellschaft, vor. Der welches auch Lesben und Schwule der Gruppen Bericht der Arbeitsgruppe ist insgesamt bemüht, Homosexuelle und Kirche und Lesben und bleibt jedoch in Halbheiten stecken. Beim Punkt Kirche Beiträge geliefert haben. Das Heft ist ein biblisch-theologisch(' Grundlagen gibt es gleich Schritt in die richtige Richtung. Daß in der zwei Stellungnahmen, eine liberale und eine Zukunft die Badische Kirche Homosexualität als fundamentalistische. Es wurde keine offizielle der Heterosexualität gleichberechtigt bewertet Stellungnahme verabschiedet. Das Thema soll und somit auch lesbische und schwule Mitarbei­ aber weiter behandelt werden. ter/ innen gleichberechtigt mit heterosexuellen Mitarbeiter/innen behandelt, kann daraus Nur eine bundesdeutsche Landeskirche hat sich jedoch noch nicht geschlossen werden. Einer - allerdings nicht ganz freiwillig - auf den offenen Diskussion hat sich die Landeskirche steinigen Weg gemacht, ein Arbeitspapier zum bislang noch nicht gestellt. Thema Homosexualität 7.U erstellen und es in ihren Gemeinden zu diskutieren: Evangelische Kirche von Westfalen Evangelische Kirche im Das Diakonische Werk der westfälischen Kirche Rheinland hat im Mai 1985 eine Handreichung mit dem Der Öffentlichkeitsausschuß der Rheinischen Titel Diakonie und Homosexualität herausgege­ Landeskirche hatte 1970 - nach der Strafrechtsre­ ben, welches sich positiv zur Arbeit von Homo­ form des § 175 - eine Stellungnahme zum Thema sexuellen in der Diakonie äußert: Homosexualität herausgegeben. Diese Stellung­ nahme war für die damalige Zeit recht fort­ Darin heißt es u.a.: Bei Paulus gibt es im Neuen schrittlich: Testament eine Einstellung zur Homosexualität, die nicht den heutigen Erkenntnissen über Homosexuali­ Es heißt darin unter anderem: In einer sachgemä­ tät als einern tief verwurzelten Persönlichkeitsmerk­ ßen ethisch-theologischen Beurteilung sind die mal entspricht. Darum darf die paulinische Einstel­ Begriffe"Perversion", "Zeichen der gefallenen Welt" lung zur Homosexualitiit in der von ihm selbst als theologische Charakterisienll1g des homosexuellen verkündeten Freiheit weiterentwickelt werden. (. ..) Phänomens ungeeignet. Es wird vorgeschlagen, diese Alle Menschen werden olme Verdienst gerecht aus Begriffe nicht grundsätzlich für die Homosexualität, seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Jesus sondern nur für ihre Perversion zu verwenden. Christus geschehen ist. (. ..) Wer Rechtfertigung von Gott erfährt, kann sich in seiner Eigenart als von Die Homosexualität wird erst zur Siinde, wenn sie Golf bejaht verstehen und sich selbst annehmen. nicht in sittlich verantwortlicher Weise praktiziert Allerdings dürfen weder Heterosexuelle noch Homo­ oder gemeistert wird. Das kann durch Verzicht und sexuelle ihre eigenen Veranlagungen und Hand­ Sublimierung einerseits und eine feste partnerschaft­ lungsmuster verabsolutieren. (. .. ) Alle Verantwortli­ liehe Bindung mit homosexuellem Verkehr anderer­ chen in Kirche und Diakonie sind aufgerufen, dazu seits geschehen. (.. .) Die Kirche verwirft die falsche beizutragen, daß auch homosexuelle Menschen in Alternative, nach der für den Hornasexuellen nur Freiheit, ohne Versteckspiel und ohne von anderen eine Ehe oder der gnmdsätzliche Verzicht in Frage verurteilt zu werden, einander begegnen können. (. ..) kommt. Unter diesen Voraussetzungen können Homosexuel­ le grundsätzlich in allen Bereichen der Diakonie Aber auch wenn die Stellungnahme betont, es

3. Die Lebenssituation von Lesben und Schwulen 55 gebe kein christliches Gebot, das dem Menschen die darauf gewilrtet, um auf der Grundlage dieses Ehe gebietet und somit ilndere Formen der Papiers zu einer positiven Stellungnahme ihrer Pilrtnerschaft ausschlösse', so bleibt sie doch als eigenen Landeskirche zu kommen. Ganze' inhaltlich wie iluch von ihrer Sprache in mannigfachen Vorurteilen kleben. Das Pilpier unterscheidet sich grundlegend von kirchlichen Erklärungen aus den 70er Jahren: Nach 1970 tat sich in der Rheinischen Kirche lange Zeit nichts mehr. Die Kirchenleitung 1. Heterosexualität und Homosexualität sind wachte erst 1989 wieder auf, als das Presbyteri­ verschiedene Ausprägungen der einen I'nenschlichen um der Düsseldorfer Markuskirchengemeinde Sexualität. Alle Menschen haben Persönlichkeitsan­ einen Beschluß gefaßt hatte, nach welchem teile homosexueller und heterosexueller Art. Das gleichgeschlechtliche Partnerschaften in der Verhältnis beider Anteile ist graduell verschieden. Markuskirchengemeinde gesegnet werden (A.a.O S.33) konnten und wurden. Als ein empörtes Schrei­ ben der katholischen Schwesterkirche die Rhei­ 2. Da die Bibel anlagebedingte Homosexualität, nische Kirchenleitung darauf hinwies, daß durch partnerschaft/iche hornosexuelle Praxis und homose­ solche Segnungen "der ökumenische Friede xuelle Liebe nicht wahrnimrnt, kaun sie nicilt direkt bedroht" sei, hob die Kirchenleitung mit Hin­ [lnd unmittelbar zu deren Beurteilung herangezogen weis auf die Kirchenordnung den Presbyteri­ werden. Wer das trotzdem tut, velfährt mit der Bibel umsbeschluß ilUt. Die Begründung lautete: eine so, wie z.B. diejenigen, Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften sei in der Kirchenordnung nicht vorgesehen. Die - die die Todesstrafe fordern mit Hinweis auf \1arkuskirchengemeinde gab sich mit diesem 1. Mose 9,6 u.a. Beschluß nicht zufrieden und brachte das Thema - die sich der Abschaffung der Sklaverei Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften widersetzen mit Hinweis auf 1. Petrus 2,18 auf die Kreissynode. Diese wiederum stellte /.{.a. einen Antrag an die Landessynode, jene möge - die die Ordination von Frauen ablehnen mit eine Handreichung für die Segnung gleichge­ denl Hinweis auf -,. Kor. 14,34. schlechtlicher Partnerschaften entwerfen. Die Landessynode beauftragte einen Ausschul3, Eine solche Benutzung der Bibel ist darum unevan­ genauer gesagt: zwei Ausschüsse: der Theologi­ gelisch, weil sie nicht das Gesamtzeugnis der Bibel sche und der Innerkirchliche Ausschul3 der berücksichtigt, sondern sich zur Begründung eigener Landessynode wurden beauftragt, eine Hilndrei­ Ansichten ausgewälliter Bibelstellen bedient. Bibel­ chung für Gemeinden zum Thema Segnung stellen können so mißbraucht werdeu, daß damit gleichgeschlechtlicher Paare zu erarbeiten. homosexuelle Liebe verteufelt wird und homosexuell veranlagte Menschen zu Selbstverachtung und Auf ihrer Landessynode im Jilnuar 1992 hat die Selbsthaß (bis zur Selbsttötung) verführl werden. Rheinische Kirche das Ergebnis der Arbeit Wo wir solchem Mißbrauch begegnen, wollen wir beider Ausschüsse, ein Arbeitspapier mit dem dem in Zukunft mit Berufung auf das Zeugnis der Titel Homosexuelle Liebe, entgegengenommen, Heiligen Schrift energisch widersprechen." (Aa.O. das für die Arbeit der rheinischen Gemeinden an S 45) diesem Thema bestimmt ist. Die Gemeinden sind von der Landessynode aufgefordert, bis 3. Nach fast zwei Jahrtausenden schlimmster Ende 1993 eine Stellungnahme zum Thema (manchmaL sehr sublimer) Demiitigungen und (z.T Homosexualität an den Theologischen Ausschuß blutiger) Verfolgungen homosexuell liebender zu schicken. Menschen durch die Kirche -- bis in die Gegenwart ­ ist ein deut/icher Bußakt nötig, der eine neue Praxis Mehrere Kirchen aus den neuen und alten im Zusammenleben mit homosexuell liebenden Bundesländern haben bereits positiv auf das Menschen eröffnet. (Aa.O. S. 56) rheinische Arbeitspapier reagiert. Die evangeli­ schen Kirchen von Westfalen und Bayern haben In dem Arbeitspapier der Rheinischen Kirche ist

56 3. Die Lebenssituation von Lesben und Schwulen zweierlei zu beobachten: Einerseits der Versuch damit um die Chance, ihr Verständnis von einer Alphabetisierung des Kirchenvolkes in Sexualität und Partnerschaft grundlegend zu Sachen Homosexualität durch Dokumentation hinterfragen und zu revidieren und so am des eigenen Lernweges der Ausschußmitglieder, Thema Homosexualität etwas für sich selbst und Erfahrungsberichte homosexueller Frauen und ihre heterosexuellen Glieder zu lernen und Männer, historisch-kritische Exegese der Bibel­ befördert die von ihr in der Vergangenheit stellen, die Homosexualität verurteilen und eine geförderte und allzumal anzutreffende Doppel­ Gemeindetheologie der Vielfalt, in welchem moral. auch der/ die Andersartige seinen wichtigen Platz hat. Andererseits entsteht aber durch die Beschränkung des Papiers auf sexuell treue und partnerschaftliche Homosexualität eine Teilung in gute, nämlich auf sexuelle Treue und Partner­ schaftlichkeit hin orientierte Homosexualität, und schlechte oder zumindest weniger gute, nämlich promiske Homosexualität. An dieser Stelle wird der möglicherweise sogar unbewußte Versuch offenbar, durch Übertragung des traditionellen und unhinterfragten Eheideals der Kirchen auf Homosexuelle, diese salonfähig zu machen. Dieser Versuch ist zum Scheitern verurteilt und wird für die Kirche insgesamt schädlich sein, denn sie bringt sich nämlich

Früchte der Vereinigung:

Evangelische Kirche von tiges sagen läßt, so hat doch die Evangelische Kirche von Berlin Brandenburg bereits ein Berlin-Brandenburg mutmachendes und wegweisendes Zeichen Bislang war nur die Rede von der Haltung der gesetzt. Ihre Kirchenleitung veröffentlichte im Landeskirchen aus den alten Bundesländern. August 1991 eine Erklärung mit folgendem Doch die staatliche Vereinigung beider deut­ Wortlaut: scher Staaten im Oktober 1990 hat auch zu einem Zusammenschluß zwischen dem Bund Unter dem Eindruck schwerer Ausschreitungen der evangelischen Kirchen der DDR und der gegen Homosexuelle, wie sie beim "Frühlingsfest von EKD geführt, ebenso wie zu einer Vereirugung Lesben und Schwulen" am 25. Mai 1991 durch der Landeskirchen, die bis dahin durch die Skinheads begangen wurden, wenden wir uns deutsch-deutsche Grenze getrennt waren. Eine entschieden gegen solche Gewaltakte und die verbrei­ solche Landeskirche ist die evangelische Kirche tete Diskriminierung dieser Gruppe von Mitbürgern. von Berlin-Brandenburg. Wenn sich auch über Gewalt ist kein Mittel zur Lösung gesellschaftlicher die Haltung der ehemaligen DDR-Kirchen zur Probleme. Homosexualität momentan noch nichts Eindeu­

3. Die Lebenssituation von Lesben und Schwulen 57 Gemde Minderheiten dürfen nicht ausgegrt'nzt Zwar erwähnt die Erklärung homosexuelle werden. Ihre MenschcnwOrde i~t unbedingt zu kirchliche \t1itilrbeiterlnnen nicht eigens, auf der achkn. Homosexualität i<;t 'wie wir hente wissen GrunJlage ihrer Aussage, daß Homosexualität weder sündhaft noch kmnkhaft, sondern ein anderer weder siindhaft noch krankhaft, sondern ein anderer Ausdruck menschlicher Sexualität. Die Ausgrenzung Ausdruck menschlicher Sexualität ist, gibt es homosexuell geprägter Menschen hat in unserer jedoch keine Begründung mehr für eine Sonder­ Gesellschaft einc lange, leidvolle Vorgeschichte. Wir behandlung oder Diskriminierung homosexuel­ bedauern, daß dlll'an auch die christliche Kirche eine ler kirchlicher Mitarbeiterlnnen. Nach dieser erhebliche Mitschuld tri/gt. Das Schweigen von Erklärung mag es zwar verschiedene Äußerun­ Christen in der Nm,izcit zu der Frmordung Homose gen menschlicher Sexualität (I Jetero-, Homo­ xucller in den Konzentrationslagem i~t ein Teil und Bisexuillität) geben, nicht jedoch eine dieser Mitschuld, De~halb haben wir allen Anlaß, Lnterscheidung in bessere oder schlechtere, aus dieser Geschielt/(' zn lemen. Toleranz ist geboten, höher- oder minderwertigere. Kein Grund mehr gerarfe auch gegen/iber dieser Minderheit. für Lesben, Schwule oder Bisexuelle in dieser Kirche ihre Lebensweise zu verstecken. Wir bitteIl daher un<;ere Gemeindm, hOl11os,'xnelle Milchristen als Schwestern ulld Brüder anzuneh· Die Erklärung der Kirchenleitung von Berlin­ men. Wir appellieren an die Menschen in nnserem Brandenburg ist ein Meilenstein im Kampf um Land, Tolernll2. gegenüber rfen homosexnellen die gleichberechtigte Anerkennung von Lesben Mitbürgern zu iiben und ihnen die Furcht ,Jur und Schwulen in der Kirche. Möglicherweise hat Verunglimpfung zu nehmen, damit sie ihre ge­ ja die Vereinigung dieser Landeskirche mit schlechtliche Prägung nicht verleugnen müssen. ihrem östlichen Teil hier eine positive Auswir­ kung gehabt. leh hoffe und wünsche, daß die Wir forrfern die Verantwortlichen irl unserer Gesell­ DDR-Kirchen noch in vielen anderen Fragen der schaft dazu auf, Maßnahmen zum Schutz von Sauerteig sein werden, der die alten und z.T. Homoscxuellen zu treffen und Gewaltakte gegen sie festgefahrenen Strukturen in den Kirchen der im Ansatz zu verhindern. alten BundE'sländer in Bewegung bringt.

Es ist das erste Mal, daß eine evangelische Kirchenleitung in dieser Deutlichkeit und mit anerkennenswertem Mut eine positive Bewer­ tung der Sexualität von Lesben und Schwulen ilusspricht und sich zur Mitschuld der Kirche iln der Verfolgung schwuler Männer und lesbischer Frauen in der Nazizeit bekennt. Die Anerken­ nung desjenigen, der "anders" ist und lebt als die Mehrheit, war und ist für die Kirchen, welche in weiten Teilen noch immer dem Ideal stromlinien1örmiger Gleichheit der Lebensfor­ men huldigen, stets ein Problem. Diese Frklä­ rung zeigt, daß hier eine Kirchenleitung den Mut gehabt hat, evangeliumsgemäß zu sprechen und die Angst davor verloren hat, daß derjenige, der tll~d Di~kussiorisanstoß "anders" ist und lebt, die heile Welt des ewig '. Denk- Cleichartigen in der Kirchr stören könnte. Das Ve~gleichen Cegenteil wird der rall sein: eine für die Vielfalt Sledie Stellu;lgi1ahmen der menschlicher Lebensformen offene Kirche wird einzelnen Landeskirchel" Welche Gemein­ farbiger, attraktiver und zugleich glaubwürdiger 'samkeiten ab.er auch welche. Untersd1iede sein, weil sie wieder die Kirche des wirklichen stellen Sie fest? Bestimmen Sie Ihre Position zu den einzelnen Aussagen. Lebens sein wird. . '.

58 3. Oie Lebenssiluation von l.esben und Schwulen 3.4 Lesben, Schwule und deren Eltern berichten

Was es ist wünschte ich mir einen sogenannten "Tram­ peltrecker". Die Reaktion meiner Eltern bestand in der Feststellung: "Das ist nur etwils für Es ist Unsinn Jungen", und statt des ersehnten Treckers bekam sagt die Vernunft ich ein Dreirad. Es ist was es ist Als Mädchen wurde von mir erwartet, meiner sagt die Liebe Mutter bei der Hilusarbeit behilflich zu sein. Wenn ich aufgrund mangelnder Begeisterung Es ist Unglück iluf meinen älteren Bruder verwies, dem seine sagt die Berechnung Drückebergerei in solchen Aufgilben ehe>r nachgesehen wurde, erhielt ich zur Antwort. Es ist nichts als Schmerz "Du bist schließlich ein Mädchen". sagt die Angst Es ist aussichtslos Diese Erfahrungen der Kindheit und Jugend ließen mir die einer Frau zugewiesene RoHe sagt die Einsicht nicht sonderlich ilttraktiv erscheinen. Oft bedau­ Es ist was es ist erte ich, kE'in Junge zu sein, da in meinen alltäg• sagt die Liebe lichen Erf,\hrungen Jungen in vielen Bereichen besser wegkamen als Mädchen. Inwiefern diese Es ist lächerlich Situation zu meinem späteren Lesbischsein sagt der Stolz beigetragen hat, vermag ich nicht zu beurteilen. Es ist leichtsinnig 7u Beginn der Pubertät, als gleichaltrige Mäd• sagt die Vorsicht chen erste Freundschilften zu Jungen aufnah­ Es ist unmöglich men, bemerkte ich zunächst, dilß ich hieran eigentlich kein Interesse hatte. Stilttdessen sagt die Erfahrung schwärmte ich aus der Distilnz für einige meiner Es ist was es ist Lehrerinnen und fühlte mich zu ihnen hingezo­ sagt die Liebe gen. Aufgrund der halbbewußten Erkenntnis, daß solche Empfindungen als nicht normal Erich Fried (1983) angesehen werden, wagte ich mit niemandem darüber zu sprechen. Etwas später begann ich dann, mich in gleichaltrige Mitschülerinnen zu verlieben. Auch diese Gefühle> verbarg ich sowohl vor den Betroffenen als auch vor allen In den folgenden Texten berichten Lesben, anderen Menschen und lebte somit in einer Schwule und deren Eltern von ihrem Leben mit ständigen inneren Lerrissenheit. ihrer Homosexualität, bzw. mit der Homosexua­ lität ihrer Kinder. !eh versuchte, im l\ahmen sogenannter normaler Freundschaft möglichst viel Zeit mit meiner jeweils Lmschwärmten zu verbringen. lliltte dieses Mädchen eine andere intensive Beziehung Hiltrud zu einer Freundin, so waren die sich bei mir entwickelnden Eifersuchtsgefühle stärker, als 1961 wurde ich in einer Ruhrgebietsstadt als wenn sie eine Beziehung mit einem Jungen Tochter einer Bergarbeiterfilmilie geboren. begann. Letzteres wirkte eher ernüchternd auf mich, da es mir vor Augen führte, wie irreali­ Konflikte mit den Rollenerwartungen, die stisch meine projizierten Wünsche und Vorstel­ damals an ein Mädchen gestellt wurden, gab es lungen waren. (Zumindest lebte ich aus Mangel schon in meiner frühen Kindheit. Als Fahrzeug an Vorbildern damals noch in der Vorstellung,

3. Oie Lebenssituation von Lesben und Schwulen 59 alle anderen \1ädchen bzw. Frauen außer mir schen StudentInnengemeinde den Infotisch der müssen heterosexuell sein.) Arbeitsgruppe "Homosexuelle und Kirche". Die Existenz von Gruppen für Schwule und Lesben Diese Angst vor der jeweils erwarteten Enttäu­ war mir natürlich auch schon vorher bewußt schung hinderte mich wohl auch daran, jemals gewesen. leh hätte allerdings nie gewagt, dort­ meine Gefühle der Frau, in die ich gerade hin Kontakt aufzunehmen. Ich vermutete, daß verliebt war, offenzulegen. ich dafür ein nach außen gerichtetes Eingestehen meiner homosexuellen Identität und die Bereit­ schaft zu radikalem politischem Engagement als Voraussetzungen mitbringen müßte. Aufgrund meiner religiösen Sozialisation im katholischen Elternhaus und meiner frühen Aktivität in der kirchlichen Jugendarbeit, signalisierte der Aspekt "Kirche" in Titel und Programm der HuK für mich allerdings auch eine gewisse Heimatlichkeit. t\iach einigen weiteren Wochen des Hin- und Herüberlegens nahm ich erstmals an einem Abend der HuK-Regionalgruppe Münster teil.

"Jun begann erst mein eigentliches Coming out, Für mich selbst war ich mittlerweile zu der verbunden mit dem Bedürfnis, nach dem eige­ Einsicht gelangt, lesbisch zu sein, auch wenn ich nen Eingeständnis meiner lesbischen Identität die "Hoffnung" nicht aufgab, mich vielleicht auch mit Menschen aus meinem Freundes- und eines Tages doch noch für Jungen bzw. Männer Familienkreis darüber zu sprechen. zu interessieren, um den Erfordernissen der gesellschaftlich erwarteten "Jormalität zu genü­ Entgegen meiner früheren Ängste, als Lesbe gen. nicht akzeptiert zu werden, habe ich bisher überwiegend gute Erfahrungen gemacht. Mit etwa 16 Jahren schloß ich mich einer Jugend­ Schwierig war allerdings das Gespräch mit gruppe unserer Pfarrgemeinde an, die von einer meinen Eltern, insbesondere meine Mutter war Pastoralreferentin geleitet wurde. Der Themen­ sehr schockiert und als aktive Katholikin um kreis "Freundschaft, Liebe Partnerschaft" wurde ihren Ruf in der Gemeinde besorgt, falls meine hier unter dem ausschließlichen Blickwinkel der Veranlagung in meinem Heimatort bekannt Beziehung zwischen Jungen und Mädchen werden sollte. behandelt. Sexualität im engeren Sinne kam hierbei kaum zur Sprache, wenn doch, so wurde sie uns als exklusives Vorrecht der Ehe darge­ Denk und Diskussionsanstoß stellt. Wenn Sie einige Texte gelesen haben, mfen Später war diese Pastoralreferentin der erste Sie sich in Erinnerung, wie und wann Du Mensch, demgegenüber ich mein Lesbischsein Leben mit Sexualität und Beziehung begon­ eingestand. Hier habe ich dann echte Hilfe und nen hat. Mußten Sie sich Ihre sexuelle Identi­ Seelsorge erfahren und in vielen nachfolgenden tät auch erkämpfen? Konnten Sie ganz frei Gesprächen Hilfe zur Selbstannahme erhalten. von Ihrer Freundin oder Ihrem Freund . erzählen? War es zu irgendeinem Zeitpunkt Ein Jahr nach dem Abitur verließ ich meine ein Problem für Sie, heterosexuell veranlagt Heimatstadt, um in Münster Sozialpädagogik zu zu sein? Wenn nein, warum nicht? Verglei­ studieren. Zum Ende des Studiums entdeckte ich chen Sie ihre Lebensgeschichte mit den bei einem Semestereröffnungsabend der Katholi­ Berichten in diesem Kapitel.

60 3. Oie Lebenssituation von Lesben und Schwulen Die Treffen unserer HuK-Gruppe finden in den nackten Männern oder an entsprechenden Räumen der Katholischen StudentInnegemeinde Billlettszenen; aber das war so mein stilles statt. Darüber hinaus werden wird von dort Geheimnis, das ich nie mit Homosexualität in finanziell und ideell unterstützt. So haben z.B. in Verbindung brachte. Ich k,lllnte keine "Homo­ der Vergangenheit mehrere gemeinsame Veran­ szene", konnte niemand meine geheimen Gefüh­ staltungen zum Themenkreis Homosexualität le mitteilen. Ich hätte es gerne getan, aber mit stattgefunden. wem hätte ich über so ehVilS reden sollen'?

Diese Offenheit der Katholischen StudentInnen­ Es kamen schwere Jahre. Einerseits spürte ich gemeinde stellt im Gegensatz zu dem "Schreiben immer mehr, daß ich mich sexuell zu Männern der Kongregation für die Glaubenslehre über die hingezogen fühlte, andererseits konnte ich meine Seelsorge an homosexuellen Personen" von 1986 anerzogenen christlichen Moralvorstellungen ein Zeichen praktizierter Solidarität dar. mit meinen Cefühlen nicht in Einklang bringen. Ich konnte Homosexualität an sich und bei Für die Zukunft wünsche ich mir, als lesbisch anderen Menschen tolerieren, nicht aber daß ich lebende Christin in der katholischen Kirche auch selbst homosexuell W,lr. Diese innere Zwiespäl­ von offizieller Seite einen Platz eingeräumt zu tigkeit wurde immer schlimmer, grenzte ans bekommen. Lnerträgliche und belastete insgeheim meine eheliche Beziehung. Wie gerne hätte ich mit einem Seelsorger darüber geredet, wenn diese tödliche Tabuisierung nicht gewesen wärer

Der große, befreiende Durchbruch aus meinen Ängsten geschah iln jenem Kirchentag in Düssel­ Hugo dorf, als ich bei einer Veranstaltung der HuK in Zu den spektakulären Fällen von hauptilmtli­ einer Selbsterfahrungsgruppe von schwulen ehen kirchlichen Mitarbeitern, die wegen ihres Vätern landete. Es war für mich ein Grunderleb­ schwulen Lebenswandels über Disziplinarver­ nis von Solidarität, wie ich es bisher nie in fahren vom Dienst suspendiert werden, gehöre meinem Leben erfahren hatte: von Menschen ich nicht. Nein, ich gehöre zu der großen Dun­ (schwule Väter und teilweise zugleich Pfarrer) kelziffer von schwulen Mitarbeitern in der sich getragen zu wissen; verstanden zu werden; Kirche, die an der Stelle, an der es fur ihr ohne Ängste alles von sich erzählen zu können, Dienstverhältnis gefährlich werden könnte, den weil die anderen ähnl.iche oder gleiche Probleme Mund halten und ilUS Angst schweigen; denn von sich erzählen. Ich durfte sein vor Gott und schließlich bin ich nicht für mich allein verant­ vor Menschen, so wie ich bin! Diese Empfin­ wortlich, sondern möchte weiterhin mit meinem dung und dieses Bewußtsein gilben mir Lebens- Gehalt, das ich als Pfarrer beziehe, meine Frau und meine Kinder unterhalten.

Ich erzähle im Folgenden holzschnittartig vom Bewußtwerden meiner schwulen Identität (Coming Out) und von meinen Erfahrungen mit der Kirche, die ich als schwuLer Pfarrer gemacht habe.

Ich bin verheiratet und habe Kinder. Bis zu meinem 30. Lebensjahr war ich mir nicht be­ wußt, daß ich schwul oder wie man so zu sagen WAHR-HEIT pflegt "homosexuell veranlagt" bin. Ich hiltte Gefallen an jungen, sportlich und drahtig ausse­ henden Männern, auch an Skulpturen von

3. Die Lebenssituation von Lesben und Schwulen 61 kraft. lch bekam Mut, mit anderen über meine mußte ich mein Schwulsein, das ein Teil meiner Homosexualität zu sprechen, weil ich mich Identität ist, verleugnen. Ich wurde auch von selbst akzeptierte, wie ich war. mir wohlgesinnten Personen darum gebeten, doch zu schweigen. Die Gespräche mit meiner Frau und später mit meinen Kindern über meine Homosexualität Solche Versteckspiele machen auf die Dauer verliefen nicht ohne Probleme. Die Mitglied­ krank. Das kann nicht der Wille Gottes sein. !eh schaft in einer HuK-Regionalgruppe und die möchte weiterhin meinen Dienst in der Kirche Auseinandersetzung mit entsprechender Litera­ als Pfarrer walu'nehmen, ohne daß es von Belang tur über Glaube, Bibel und Homosexualität ist, ob ich mit meiner Frau und/oder mit einem waren mir eine unentbehrliche Hilfe für meine Freund eine liebevolJe Beziehung mit allen Licht­ weitere Auseinandersetzung in Familie und und Schattenseiten lebe und daraus Kraft für Freundeskreis. Alte Freundschaften zerbrachen meine Arbeit schöpfe. !eh kann anderen Men­ Lwar zum Teil, dafür gewann ich neue Freunde. schen helfen, kann sie verstehen, begleiten oder auch unterweisen, wenn ich nur selbst mit einem Ich meiner Kirchengemeinde im ländlichen Menschen im Fühlen und Denken, in Hoffnun­ Raum habe ich als Pfarrer mein Schwulsein als gen und Ängsten Gemeinschaft habe, ganz Gratwanderung empfunden. lch sah mich der gleich ob in einer hetero- oder homosexuellen Gefahr ausgesetzt, bei der Kirchenleitung Beziehung. denunziert zu werden und in der seelsorgerli­ chen Arbeit blockiert zu sein. Als Beispiel ein gravierendes Erlebnis: In einer Kirchengemein­ deratssitzung wurde die Ansteckung mit Aids durch den Gemeinschaftskelch bei der Abend­ mahlsfeier diskutiert. Dabei fiel unter anderem Gunnar die Äußerung: "Aids ist eine Strafe Gottes für die Homosexuellen. Solche Leute gehören auch Leib, Seele und Geist - Das Schlagwort dieser heute mindestens in Arbeitslager, damit sie ihre Drei-Ein.heit, die den Menschen ausmacht, habe abnormale Verhaltensweise vergessen." Ich ich noch heute deutlich im Ohr aus der frommen setzte mich in der weiteren Diskussion für die christlichen Erziehung durch meine Mutter. Homosexuellen ein, sagte, daß sie genauso von Dabei wurde immer betont, daß allein der Gott geliebte Menschen sind wie alle anderen, christliche Glaube imstande ist, dem Menschen daß sie genau wie alle anderen Menschen ein nicht nur etwas für den Leib zu geben, sondern Recht auf die Erfüllung ihrer sexuellen Bedürf­ vor allem auch für die Seele und den Geist. Aus nisse haben und als vollwertige Gemeindeglie­ dem freikirchlichen Milieu kommend, wurde der in der Kirche anerkannt werden müssen. mir von meiner Mutter die Bibel ans Herz gelegt Über diese, meine Äußerungen waren einige, als das Buch, mit dem allein man auskommen nicht aUe Kirchengemeinderäte entsetzt, entsetzt kann im Leben und das Antwort gibt auf alle darüber, daß ihr Dorfpfarrer gleichgeschlechtli­ Fragen. che Liebesbeziehungen bejahte. Man warf mir Kontakte zu bestimmten Personen in der Ge­ Um es gleich vorwegzunehmen: lch bin meiner meinde vor, die unter dem Verdacht der Homo­ Mutter, gerade heute vielleicht mehr als sie sexualität standen. Ich ließ mir solche Kontakte denkt, dankbar für die Saat des Glaubens, die sie nicht verbieten. Das setzte eine Gerüchteküche in mich gelegt hat. im Dorf in Gang: "unser Pfarrer ist andersrum". Ich selbst litt unter dem inneren Konflikt: Eigent­ Mein Christsein wurde mir schon früh zur lich möchte ich, ohne gleich ein Bekenntnis Selbstverständlichkeit und gab mir Geborgen­ daraus zu machen, sagen können: ich bin nun heit, hier konnte ich immer wieder Zuflucht halt mal schwul, was soll's, ich tue deshalb finden. Mangelnde soziale Kontakte gab es meine Arbeit nicht schlechter und nicht besser. bedingt, wurden aber gleichzeitig auch wieder Aber um meine Stellung halten zu kÖIU1en, (zum Teil) ausgeglichen durch musische Interes­

62 3. Die Lebenssituation von Lesben und SchwuLen sen und Betätigungen. Mir fehlte eigentlich nicht locker, und nichts Wesentliches. so hat er es dann schließlich auch dazu Da ich für Mädchen und später für Frauen nicht kommen lassen, daß ich das empfand, was ich "normalerweise" hätte ir meiner Homose­ empfinden müssen, litt ich auch nicht an der xualität endlich Ermangelung einer Freundin. Einen echten bewußt werden konnte. Freund hingegen wünschte ich mir sehr, sowohl Da war ich allerdings schon mit 13 als auch mit 26 Jahren, allerdings schon 27 Jahre alt. In den immer nur abstrakt und absolut ohne sexuelles ll eineinhalb Jahren seither Verlangen. Was wußte ich denn auch über bin ich durchaus so etwas Homosexualität? Meine \-lutter sorgte sich bei wie ein neuer Mensch der Erziehung sowohl um eine mögliche Verfüh­ geworden, ich habe meine Canzheit, rung ihrer Tochter durch einen Mann als auch tlmeine Drei-Einheit gefunden: zu der Seele ebenso um ihren Sohn. "Wenn Du da zu dem und dem Geist endlich auch den I.eib. Der Kantor zum Orgelunterricht fährst (0. ä.) ... Leib wird von der christlichen Tradition Weißt du, es gibt so Männer, die ihren Spaß an auch heute noch leider überwiegend nur Jungen haben." Homosexualität im damals anerkannt zur Askese oder zu gesunder immerhin schon stattfindenden Sexualkundeun­ portliCher Betätigung. Der Leib ist aber terricht war natürlich ein absolutes Randthema. mehr als nur die sterbliche J lülle für An meinem bischöflichen Gymnasium gab es i die Seele auf Erden. Ich hoffe, daß aber doch die eine oder andere Lehrkraft, die ~. die Christen bald zu ihrem Leib mir allgemein ein liberales Weltbild vermitteln und der dazugehörenden Sexualit;it als kOnJlte. Ja, und dann gab es da natürlich auch einem von Gott gegebenen Geschenk noch die Bibel. Was ich im Alten Testament zu inden werden. Danach werde ich dem Thema fand, konnte ich ebenso wie die }I auch mit gespanntem Interesse wenigen Paulusäußerungen getrost zur Seite ~~I verfolgen, wie der Streit um die legen: Das vom Gesetz freimachende und . Homosexualität beigelegt werden überhaupt befreiende Evangelium meines Herrn wird. Den Zuspruch Gottes kann Jesus Christus hatte ich schon zu gut verinner­ mir aber heute schon ~o oder so niemand neh­ licht. Wenn dann zum Thema meine Meinung men. Gottes "Ja" zu meiner Homosexualität gibt als Christ gefragt wurde, zögerte ich nicht: "Ich mir auch immer wieder Kraft, um durchhalten finde nichts dagegen, also kann ich es nicht zu können. Diskriminierungen sind schwer zu verurteilen. Ich finde aber auch nichts dafür." ertragen und begegnen einem auf Schritt und Beim Thema wurde ich auch nie rot, selbst dann Tritt: Mein Freund, mit dem ich nun seit einem nicht, wenn ich, wie mehrfach geschehen, Jahr zusammen bin und den ich meiner Mutter gefragt wurde: "Sag mal ... Bist Du eigentlich auch schon vorgestellt habe, wird von ihr schwul?" - Die Antwort darauf war schließlich konsequent ignoriert. Da kommen keine Nach­ leicht. Nein, ich war nicht schwul, schließlich fragen, es werden keine Grüße bestellt ... Wie hatte ich noch nie mit einem Mann etwas gehabt. anders wäre das, wenn ich als ihr einziger Sohn Und erst dann war man doch schwul, oder? mit meinen 28 Jahren ihr endlich eine Freundin Außerdem dachte ich auch, schwul sein, das vorgestellt hätte' Doch soll ich ihr das verübeln? will man. Oder eben nicht. Ich wollte natürlich Sie steht doch nur beispielhaft für ihre Generati­ nicht. Das schien mir viel einfacher so, und ich on und kann eigentlich nicht anders. Hilie dachte lieber an vier eigene Kinder mit einer braucht also unsere gesamte Gesellschaft: Die Frau, die allerdings erst noch kommen mußte, Homosexuellen selbst, um mit sich besser oder sagen wir es fromm, die Gott mir noch zurecht zu kommen und zu sich selbst stehen zu geben würde. können, und die übrige GE'selischaft, um nach einer notwendigen Aufklärung zu Verständnis Gott hat mehrere Anläufe unternommen, doch und Toleranz finden zu können. Welch eine ich war eine harte Nuß. Aber er ließ natürlich Aufgabe gerade für unsere Kirchen'

3. Die Lebenssituation von Lesben und Schwulen 63 Gemeindezentrums traf. Interesse an der HuK hatte ich durch meine Erfahrungen schon, ilber Angelika eine große Schwellenangst hielt mich zurück. 1989 fuhr ich zum Kirchentag nach Berlin. Dort Meine Kindheit und Jugend verbrachte ich im merkte ich, wie mein Augenmerk auf Veranstal­ Ruhrgebiet. Ich war die älteste Tochter (Jahrgang tungen fiel, die sich mit Sexuillität, Freundschaft, 1952) einer Arbeiterfamilie, in der meine !\!lutter Partnerschaften beschäftigten und stellte fest, die "zentrale" hgur war. Auf Meinungen, die daß mich diese Thematik ansprach, mich be­ der ihren nicht entsprachen, reagierte sie oft mit schäftigte und ich immer mehr darüber wissen dem Ausspruch, "rege mich nicht auf, sonst wollte. In diesen Tagen zogen Bilder der }ugend­ muß ich wieder ins Krankenhaus und wie es ist, zeit an mir vorbei, wie ich nur mit Freundinnen ohne Mutter groß zu werden, habe ich erlebt zusammen war, für Lehrerinnen schwärmte, im und möchte es dir ersparen". So war ich eine Beruf mit Jungengruppen immer Schwierigkei­ gehorsame Tochter und fügte mich in die mir ten hatte. Solche Bilder stützten meine Vermu­ zugedachte Rolle. tung, die ich erst vorsichtig als Frage formulier­ te: Bin ich lesbisch? Schon früh lernte ich das aktive Kirchengemein­ deleben in meinem Heimatort kennen, denn Es war eine Erkenntnis, die mich zuerst er­ meine Eltern arbeiteten ehrenamtlich in verschie­ schreckte, mir große Angst machte und vor allen denen Arbeitskreisen und Cremien mit. Dingen hilflos im Cmgang mit mir und den anderen Menschen. In der Zeit meines "Coming Große Konflikte hatte ich, als ich 20jährig für Out" lernte ich so nach und nach wieder mich einen Mann schwärmte und erkennen mußte, zu akzeptieren, so wie ich bin. Dinge die ich nur daß dieser homosexuell war. Aus dieser seeli­ in früheren Zeiten nicht hatte erklären können, schen Kontroverse konnte ich mich damills nur Fragen, die ich nicht hatte beantworten können, mit einer "Flucht" befreien. leh zog nilch Bayern filnden nun Erklärung und Antwort. So war und arbeitete dort in verschiedenen Heimen; das meine Schwärmerei für schwule Männer wohl bedeutete ungünstige Arbeitszeiten, freie Zeit darin begündet, daß ich mich durch ihre Sensibi­ dann, wenn andere Menschen arbeiteten. Ich lität und ihr Einfühlungsvermögen angespro­ lebte für meine Arbeit. chen fühlte.

Aufgewacht bin ich nach dem Tod meines Bei der Verarbeitung all dieser Probleme halfen Vaters, 1980; da merkte ich: die Arbeit kann mir Menschen ilUS meinem sozialen umfeld, doch nicht alles sein. Ich suchte wieder den und das waren Leute, die gleichzeitig in einer Kontakt zur Außenwelt und ging zögernd aber Kirchengemeinde arbeiteten. leh fühlte mich geZielt auf Leute zu und versuchte Freundschaf­ dadurch von "der Kirche" verstanden und ten zu knüpfen. Aber wiederum mußte ich getragen. Eine gute Erfahrung in dieser Situati­ erkennen, daß Männer, die mich ilnsprachen, on. Bei einigen verwunderte mich die Reaktion, schwul waren. wenn ich offen bekannte, daß ich lesbisch bin: "Das habe ich mir gedacht, aber..... Später schlug Immer wieder fragte ich mich: warum passiert diese Verwunderung auch mal in Wut um, weil das gerade dir? Denn in dieser Zeit war mein niemand es offen angesprochen hatte. Da merkte Wunsch nach Geborgenheit und Nähe besonders ich, wie das Thema in unserer Kirche und ausgeprägt, verbunden mit dem Verlangen nach Gesellschaft noch tabuisiert wird. vielen eigenen Kindern. Ich stellte meine Sexu­ alität infrage und hielt mich für ein Neutrum ­ Ich bin vor einigen Monaten in eine andere Stadt für asexuell. gezogen, und es fällt mir trotz meiner positiven Erfahrungen schwer in dieser neuen Umgebung Ab 1986 machte ich aktiv in der Kirchengemein­ Kontakte außerhalb der I luK-Gruppe zu knüp­ de am Ort mit und lernte dort die Regionalgrup­ fen. Ich habe im Moment auch meine Bedenken, pe der HuK kennen, die sich in den Räumen des ja Ängste vor Arbeitgeber, Kolleginnen und

64 3. Die Lebenssituation VOll Lesben und Schwulen Umwelt, wenn bekannt würde, daß ich in einer wollte. Ich setzte mich in meinem Beruf durch homosexuellen Partnerschaft lebe. und unterdrückte alle in mir vorhandene Schwä­ che. Ich bewies so, daß ich ein richtiger, zielstre­ Nach meiner Erfahrung ist das Leben für mich biger, erfolgreicher junger Mann war, obwohl zwar bunter, schöner, lebenswerter geworden, mir nicht immer danach zumute war. Meine aber durchaus nicht einfacher. katholische Religion bedeutete mir sehr viel von Jugend an. Da ich stets in evangelischen Famili­ en und Ortschaften beschäftigt war, lernte ich es früh. mich für meinen Glauben durchzusetzen. Da hielt mich niemand zurück, wenn ich über Land zum Gottesdienst fahren mußte. leh tat Franz mehr dafür als mancher in meinem Alter. Ich sorgte mich aber auch stets um andere Men­ Geburtsjahr 1933, aufgewachsen als 2. Bauern­ schen. Mein soziales Verhalten und das Gefühl sohn in einem liberalen aber sehr religiösen für den Mitmenschen war in mir stets stark katholischen Elternhaus auf dem Lande. Der ausgeprägt. Hierbei stellte ich meine Bedürfnisse Vater fiel im 2. Weltkrieg, als ich 8 Jahre alt war. immer zurück. Erst der andere, dann ich. In Meine Mutter mußte sich um den Betrieb küm­ sexuellen Wünschen erlaubte ich mir keine Nähe mern. Es blieb ihr wenig Zeit für ihre 3 Jungen. zum anderen Geschlecht, obwohl ich mit den Die folgenden Jahre verbrachte ich teilweise bei Mädchen sehr gut befreundet war. Meine einer kinderlosen Tante und in Pensionen, um Sexualität war insbesondere durch meine stren­ das Gymnasium in der nächsten Stadt besuchen ge religiöse Erziehung und Auffassung von der zu können. Das Ende der Kriegswirren 1945 Ehe sehr eingegrenzt. Ich lebte und erlebte sie erlebte ich so auch fern von meinem Elternhaus. nicht vor meiner Heirat mit 28 Jahren. Da ich meine Mutter nur wenig sah, hatte ich ein besonders inniges Verhältnis zu ihr. Das blieb Meine freie Zeit, die in der Landwirtschaft sehr auch in meinem späteren Leben so. Stets mußte eng bemessen war, setzte ich für ideelle Zwecke ich gegen meine innere Weiblichkeit und Emp­ ein. :\lach meinem Berufswechsel in den Beam­ findsamkeit ankämpfen. Ich galt in meinem tendienst des Landes erreichte ich mit Energie ganzen Leben immer als anders als die anderen, und Ausdauer sehne]] die höchsten Positionen. als meine Brüder. Ich verstand mich immer sehr Wieder ließ ich meine inneren Bedürfnisse nur in gut mit Mädchen und lehnte rohe und rauhe sehr begrenztem Rahmen zu. Auch in meiner Spiele mit Jungen, insbesondere Fußball, ab. In Ehe mit meiner Frau, die ich sehr liebte (und der Pubertät hatte ich sexuelle Kontakte mit auch heute noch liebe) die wie ich sehr religiös gleichartigen Jungen. Ich berührte sie gern. Doch erlOgen war und mit der ich in der Ehe die als der eine Junge, den ich besonders gern Sexualität zum ersten Mal erlebte, war ich kühl mochte, mit seiner Familie verzog, blieben die und reserviert. Wir konnten zwar offen über die gleichgeschlechtlichen Kontakte aus. Ich war jetzt 15 Jahre alt. Die Mädchen begannen, mir nachzustellen, da ich groß und schlank war und gut aussah. Ich entzog mich ihnen. Mit 18 verließ ich die Schule vorzeitig mit der mittleren Reife und wollte zu den Steyler Missionaren nach KanadJ gehen. Aber meine Familie gestat­ tete es mir nicht. Ohne ihr Geld konnte ich nichts unternehmen. Außerdem war ich noch nicht volljährig. So erlernte ich gegen den Willen meiner Familie den landwirtschaftlichen Beruf. Sie hielten mich zu schwach dafür. Doch nun bewies ich es ihnen, daß ich Energie und Tat­ kraft, Stärke aufbringen konnte, wenn ich es

3. Die [,ebenssituation von Lesben und Schwulen 65 Sexualität, aber nicht über sexuelle Praktiken In der Kirche war ich in der ganzen Zeit enga­ sprechen, Wir konnten sie nicht ausleben, Viel giert tätig, zeitweilig im Kirchenvorstand, im mehr als die Pflicht zur Fortpflanzung sahen wir Pfarrgemeinderat und die ganze Zeit über als zu Anfang nicht darin, Nach dem 3, Kind, Lektor und viele Jahre als Kommunionhelfer. Ich nunmehr im Alter von 38 Jahren, hatte ich meine gab diese Tätigkeiten nach und nach auf Drän­ erste Begegnung mit einem :vtann in einer gen meiner Frau auf, weil sie den moralischen öffentlicllen Toilette, Es war mehr ZufalL Doch Druck nicht aushalten konnte. Als ich alle mir von diesem Tage zog mich das gleiche Ge­ liebgewordenen Tätigkeiten aufgegeben hatte, schlecht magisch an, Die Schuldhaftigkeit fühlte ich mich frei von Bindungen, Nun gab ich meines Tuns war mir hierbei besonders gegen­ meinem inneren Drängen nach und suchte die über meiner Frau bewußt, weil ich meine Frau Freiheit, Ich verließ meine Familie und fand hinterging. fch sprach sehr bald mit ihr darüber. gleich darauf einen Freund, mit dem ich kurze Sie konnte es nicht verstehen und versteht es bis Zeit zusammenlebte, Doch das Milieu gefiel mir zum heutigen Tage nicht, Trotzdem hielt sie zu gar nicht. Die Sprache war mir nicht geläufig, mir, weil sie mich sehr liebte und nicht auf mich leh trennte mich sehr bald von ihm und war nun verzichten konnte, Durch die Kontakte mit ganz allein in einer kleinen Wohnung mitten im Männern, die meiner Frau (sie ist sehr sensibel Häusermeer der Großstadt. Ich fühlte mich auf diesem Gebiet) nicht entgingen, entstanden allein, erschöpft, ohne Kraft, Alle Geschwister, immer häufiger Wortwechsel und Vorwürfe, Verwandten, früheren Freunde und die Mitchri­ Streit. Streit auch in anderen Lebensbereichen, sten meiner Gemeinde hatten sich angewidert Das Vertrauen zueinander war gestört worden, von mir abgewandt. Das ist bis heute so geblie­ Je mehr wir uns stritten, um so häufiger suchte ben, Nur meine Mutter hielt trotzdem zu mir, ich die gleichgeschlechtlichen Berührungen, um obwohl sie es nicht verstehen konnte. Dafür so schlechter ging es mir danach seelisch, leh wurde nun auch sie gemieden, Meine Frau hielt bemühte mich um Enthaltsamkeit, aber es auch weiterhin 7,U mir, aber sie wollte stets, daß gelang mir nur zeitweilig, Ich konnte mit diesem ich allem abschwöre und wieder zurückkomme, Trieb in mir nicht fertig werden, Bisher hatte ich Mit der Homosexualität wollte sie nichts zu tun alles mit starkem Willen durchgesetzt und haben, Sie paßte nicht in ihr katholisches Welt­ erreicht, Doch nun mußte ich in vielen Jahren bild, leh war mit den Nerven total am Ende, bitterer Vorwürfe erfahren, daß diesem Gefühl Meine körperliche Gesundheit schwand mehr nicht beizukommen war. Wir suchten Ärzte und und mehr. So ging ich in eine Nervenklinik. Hier Geistliche auf, um nach Lösungen zu suchen, fand ich nach vielen Wochen mein inneres Auch Psychiater konnten mit all ihren Methoden Gleichgewicht wieder. Ich war nun 54 Jahre und und Medikamenten nicht helfen, Ich fiel über 2 begann mir ein neues Leben aufzubauen. Nach Jahre in tiefe Depressionen. leh wünschte mir einer weiteren Enttäuschung mit einem jüngeren lieber den Tod, als so weiterleben zu müssen, Mann, der eine sehr enge Beziehung wünschte, Mit Hilfe meiner Frau überwand ich die Depres­ suchte ich mir eine Wohnung in einern Vorort sionen und fand wieder neuen Mut, Doch es im Grünen, Unmittelbar danach lernte ich wurde mir mit der Zeit immer klarer, daß ich meinen jetzigen Freund kennen. Ich wohne jetzt eine starke homosexuelle Veranlagung in mir 2 Jahre mit ihm zusammen. Durch ihn kam ich hatte. Bisher hatten wir es allen verschweigen zur HuK und lernte so viele gute Freunde können. Die Kinder hatten es im Alter von 11 bis kennen, Sie führten die Sprache, die mir zusagte. 13 Jahren erfahren, Sie schwiegen wie wir. So Hier fand auch mein Jesus-Glaube wieder eine galten wir nach außen stets als vorbildliches, Heimat, die mir meine katholische Kirche nicht harmonisches Paar. Dies war besonders für mich mehr geben konnte, Ich war mir nun voll be­ eine starke innere Belastung, Aber wegen meiner wußt, daß ich schwul war. Ich wollte auch so Frau und der Kinder hielt ich es aus. Doch nach leben, Aber ich wollte nicht in einem Ghetto 18 Jahren war meine innere Kraft nach diesem leben, So suchte ich auch viele heterosexuelle Doppelleben zu Ende, Meine Kinder hatten ihre Freunde, mit denen ich mich unterhalten und Berufsausbildung beendet, austauschen konnte.

66 3. Die Lebenssituation von Lesben und Schwulen So wurde ich in Gedanken wieder jung. Ich sich erkennen), - jedenfalls studierte ich eifrig wurde verstanden und angenommen. Ich bin und naiv. wieder aktiv. Meine Gesundheit hat sich sehr gebessert. Kurzum ich fühle mich befreit von Ich hatte ja keine Ahnung, daß es Menschen gab, einer jahrelangen T.ast. Ich habe alle Schuldge­ die Probleme mit meiner Art zu lieben hatten, fühle abstreifen können. Ich muß mich nicht die meinen Frieden zu stören versuchten und mehr für mein schwules Leben entschuldigen. mir erzählten, daß ein schwuler Theologiestu­ !eh muß nicht ständig Sühne leisten. Die engen dent besser gleich wieder aufhören sollte. Selbst Grenzen der katholischen Moralvorstellungen progressiv denkende Menschen verkauften mir kann ich so nicht für mich und alle homosexuel­ solche "Wahrheiten", die ich jedoch ignorierte. len Menschen anerkennen. Daher arbeite ich mit Außerdem war mir noch gar nicht richtig anderen HuK-lern daran, die Kirchen in ihren bewußt, wen ich eigentlich wirklich liebte: Grundauffassungen zur I Iomosexualität zu Männer oder Frauen. verändern. Nur so kann anderen Menschen mit homosexueller Veranlagung geholfen werden, Damals - der Zustand "nicht Fisch, nicht sich so anzunehmen, wie sie sind. Sie sollen Teil Fleisch" veränderte sich schnell. Zehn jahre ist es der Gesellschaft sein, weil sie die Gesellschaft her seit meinem "Coming Out". Positive Erfah­ mit ihrer besonderen Veranlagung ändern und rungen blieben zurück. Ich hatte Glück, geriet an bereichern können. Menschen, die mich förderten und unterstützten, die mir Mut und Kraft gaben, als offen Schwuler zu leben. Der Freiraum universität tat sein Übriges. Langsam entwickelte ich mich zum "Enfant-Terrible", schockierte und provozierte meine Umwelt; vor allem aber konfrontierte ich alle mit meinem Schwulsein. Lnd wehe, wer Nulf nicht die Resolution für Pfarrer K. Brinker Damals - das ist 20 Jahre her. Wie verliebt Wilr unterschrieb, wehe dem, der es wagte, mir zu ich in Ihn. Er war wohl der erste Mann, den ich sagen, daß ich wider Gottes Schöpfung verstieß. neben meinem Vater wirklich liebte. Ich sah zu Doch nicht durch Äußerlichkeiten allein lassen Ihm auf, ich betete Ihn an. Mein Zimmer hing sich die Menschen überzeugen - besonders nicht voll mit Seinen Bildern. Und wenn Sein Todes­ in der Theologie. Schon bald merkte ich, daß nur tag sich jährte, wurde ich immer ganz traurig, die befreiende Botschaft des Evangeliums Steine litt mit Ihm und weinte um Ihn; - jesus. bewegen konnte. So lernte ich mein Schwulsein noch einmal von einer ganz anderen Seite kennen: im kritischen Auseinandersetzen mit den Schriften in der Bibel, die davon sprechen, daß die Liebe zu einem Mann vor Gott nicht angesehen ist.

In den verschiedensten Seminaren lernte ich eine fundierte Theologie kennen, die sich stark machte, den schwulenfeindlichen Gedanken und Theologien zu begegnen.

All dies beschränkte sich jedoch einzig und Damals - das ist dreizehn jahre her. Ich begann allein auf den universitären Bereich; meiner mit dem Studium der Theologie. Vielleicht Kirche waren meine Aktivitäten nicht bekannt. waren es meine Beziehungsprob.leme zum "Herrn Jesus", vielleicht war es auch der ganze Damals - vor sieben Jahren änderte sich mein Zauber, der ihn umgab oder das Gefühl, bedin­ Leben wieder einmal. Das erste Examen stand gungslos geliebt zu werden (eine Theologie ließ vor der Tür und ich gelangte an einen Punkt, wo

3. Oie Lebenssituation von Lesben und Schwulen 67 ich meiner Kirche von meinem Schwulsein sdgen. Es ist ein Leben auf dem Vulkan, und ich berichten mußte. Der Grund für diesen mutigen rechne damit, daß er irgendwann einmal explo­ Schritt war mein Vikariat. Mir war klar, daß dieren wird. Was dann geschieht, - ich bin mein zukünftiger Lehrpfarrer mit mir und gespannt. Gespannt, wie sich meine Gemeinde meinem Schwulsein zurechtkommen mußte. lch verhalten wird; gespannt, wit' meint' Kirche konnte unmöglich zu einem konservativen reagieren wird; gespannt aber auch, wie ich all .\il.enschen kommen, brauchte eine Person, die dies aushalten und verkraften werde. Ich habe bereit war, mit mir zu gehen, und die mich als gute Freunde und Freundinnen, die für mich da schwulen Vikar akzeptieren konnte. sind, bei denen ich mich fallen lassen kann. Und wenn ich falle, werde ich aufgefangen und So machte ich mich eines Tagt's auf und fuhr zur getragen. Meine Gradwanderung ist ein Kom­ Kirchenleitung. Mir war bewußt, daß ich diesen promiß, den ich mir erlaubt habe. Kraft und Mut Weg nicht alleine gehen konnte. Aus Berichten bekomme ich auch aus dem Evangelium, aus von anderen war mir die otwendigkeit einer der befreienden Botschaft des Mannes, der für so 7eugin bei solchen Gesprächen bekannt. viele Randgruppen zum befreienden Symbol wurde. Ich habe meine Hoffnungen noch nicht Das Gespräch verlief freundlich. Zwei Männer aufgegeben, die Hoffnungen, daß sich die saßen uns gegenüber, die sich sehr geehrt 7ustände einmal verändern werden, hin zum fühlten, daß ich ihnen soviel Vertrauen schenkte. Guten, die Hoffnungen, daß der Tag kommen Beruhigend für sie, so mein Eindruck damals, wird, wo wir Schwule und Lesben als anerkann­ war die Aussage von mir, daß ich nicht in einer te, gleichwertige Menschen behandelt werden Beziehung zu einem Mann lebte (denn auch hier und wo Ausschluß und Diskriminierung der galt: SchwuJsein, ja; Praktizieren, eher nein). Vergangenheit angehören. Mit solch einer Damals gab ich das Versprechen ab, daß jeder Hoffnung läßt es sich leben, kann ich diesen öffentliche Schritt von mir vorher mit der Kir­ schweren Beruf ausüben - gegen alle Widerstän­ chenleitung abgesprochen würde. Na.ch fast de von außen und von i.nnen. zwei Stunden trennten wir uns.

Damals - erfuhr ich von offizieller Seite, daß es große Schwierigkeiten gab, mir einen Vikariats­ platz zu verschafft'n. An die fünf Pfarrer lehnten mich ab, als sie hörten, daß ich schwul sei. Doch EI-Friede schließlich kam ich zu einem Mann, dem ich heute noch viel verdanke. Die gemeinsamen Ich heiße Elfriede und bin 52 Jahre alt. Vor 52 zwei Jahre waren lehrreiche und gute Jahre. Jahren hatten die Menschen in Deutschland auch Mein Schwulsein war für ihn überhaupt kein Kriegsangst*. Da trafen am 29. September 1938­ Problem. Er stand zu mir und hinter mir, ließ der Tag meiner Geburt - vier Staatsmänner in mich arbeiten und begleitete mich. München zusammen und unterzeichneten einen Vertrag, der die kriegsdrohende Haltung Hitlers Und heute - heute bin ich Pfarrer in einer mit dem Abtreten der deutschbesiedelten Rand­ Großstadtgemeinde (dies war eine Bedingung, gebiete Böhmens und Mährens an Deutschland die ich gestellt hatte), und es geht mir gut dabei. beschwichtigen sollte. Das versprach den Frie­ leh lebe in einer wunderbaren Beziehung zu den. So kam ich zu meinem hoffnungsvollen einem Mann, allerdings in getrennten Wohnun­ Namen. gen; ich lebe, arbeite und trete offen für schwule Belange ein. Als ich anfing hier zu arbeiten, Als ich laufen lernte - brach der Krieg aus. Ich nahm ich mir vor, nie mehr zu lügen. I.ch habe lief viel allein durch die Straßen, weg von den lange überlegt, ob ich wirklich den Pfarrberuf '\Jöten der Menschen um mich herum, in den ausüben möchte - vor allem unter diesen Bedin­ Wald, in die Felder und fühlte mich wohl dort. gungen -, und ich habt' mich dafür entschieden. frgendwas zu essen fand ich immer. Wie lange es gutgehen wird, - ich kann es nicht

* Dies('f Text entstand unter dem Eindruck des Ausbruchs des Golfkrieges im Januar 1991.

68 3. Die Lebenssituation von Lesben und Schwulen Der "Friede" brach an. Ich ging zur Schule. Auf und mehrstimmig in Harmonie und Dissonanz. den Straßen viele fremde Gesichter. Wir siedel­ Eine Sinfonie in drei Sätzen: ten um aus der Mitte Deutschlands in den Norden: fremd von Ort zu Ort, von Schule zu Glaube - Hoffnung - Liebe Schule. Friede? Ich mochte diesen Frieden nicht. Ich mochte auch meinen Namen nicht. Ich stritt Shillom mit fast allen und das obwohl oder gerade weil ich diesen mildepflichtigen Namen hatte.

Eine Freundin suchte ich. Zu zweit, meinte ich, sind wir stark. Ich wollte "nie" einen Mann Herbert küssen. "Die Elfriede die heiratet mal nie", hieß ich bin 35 Jahre alt und stamme aus einer Stadt es. Sie hat. Ich wollte normal sein. Nach] 1 in Baden-Württemberg. Seit meiner Pubertät Jahren Schule, danach ein praktisches Jahr - ich weiß ich, dilß ich schwul bin. Unterstützung war gegen alles - erlebte ich mich so allein, daß oder Hilfestellung habe ich durch meine Eltern, ich beschloß, normal zu sein. Ich fand einen bei meinen dilmaligen Freunden oder durch die gutaussehenden Mann, aus gutem Hause mit Gemeinde, in der ich aktiv war, nicht erhillten. einem guten Beruf - und Kinder gehören auch Schwule gab es eigentlich gar nicht. Wenn über dazu. Ich fand, daß ich das alles sehr gut machte: Schwule gesprochen wurde, wurden Witze gemacht. Schwulsein war etwas Unanständiges. Erstes Kind - 40 qm Wohnung. Zweites Kind - 80 qm Wohnung. Ich war in meiner Kirchengemeinde sehr aktiv. Drittes Kind - 80 qm Wohnung und Auto. Auf einer Konfirmandenfreizeit wurden wir Später 140 qm Wohnung und 2 Autos und Konfirmanden vom Gemeindepfnrrer aufgeklärt Wochenendwohnwagen am See. - über Sexuillität natürlich. Das war damals wohl 3 mal im Jahr Ferien = ] 8 Jahre. noch so üblich. Über homosexuelle Beziehungen Ansehen: gut bis ideal. sprach der Pfarrer sehr abwertend und wilrnte Aussehen: dünn bis mickrig. uns eindringlich davor. "Soetwas" würden nur gilnz verdorbene Menschen tun. Ich habe nie mit "Was ist los?" - "Du hast doch alles'" Brauche ihm über meine Sexualität gesprochen. ich Abwechslung? Ich probiere andere Männer aus - das ist es nicht. Ich probiere aus, berufstä­ Ich war also ein verdorbener Mensch. Auch in tig zu sein - das ist schon mal was. Und dann, der Schule mußte ich bald erfahren daß Schwule probiere ich nicht, dann stürze ich in ein Gefühl ilm untersten Ende der Hackordnung stehen, als von Zusammengehören, in eine Erfüllung die herauskam, daß ich mich in einen Mitschüler ich nicht beschreiben kann, deren Sehnsucht ich verliebt hatte. Mein Freund sagte mir damals, fast vergessen hatte. mit so einem wolle er doch lieber nichts zu tun haben. Ich finde die Freundin' Alle Welt soll es erfah­ ren' Und sie erfährt es von mir - ob sie will oder nicht. Ich setze mich absolut.

"Du bist ja wieder die alte!" - Oh Bruderherz, ich könnte dich küssen dafür! Ich bin nicht mehr normal. Einige glauben, ich bin verrückt. Bin ich das? Ich lebe mit einem Menschen, der auf wunderbare Weise mein Menschsein ergänzt: ein Meer an Leben - tiefgründig aufbrausend, zärtlich umarmend.

Viele Lieder sind gesungen. Einstimmig, zwei­

3. Die Lebenssituation von Lesben und Schwulen 69 Diese Erfahrungen ließen in mir den Entschluß reifen, doch lieber asexuell zu sein, zu lernen, zu arbeiten, Erfolg zu haben und zu hoffen, daß sich irgendwann noch etwas zum Guten, d. h. zum Heterosexuellen iindern würde. Am lieb­ sten wiire ich damals in ein Kloster eingetreten, denn dort - so meinte ich - hätte ich mich nicht mehr mit meiner Sexualität ,wseinandersetzen müssen. Ich studierte Theologie.

Über Jahre hinweg kämpfte ich mit meinem Schwulsein, versuchte es wegzubete'n - was immer nur zeitlich äußerst begrenzte Erfolge hatte. In der gesamten Zeit hätte ich mich niemals getraut, irgendeinem Menschen von meinem Schwulsein zu erzählen. Ruth und Karl

Erst eine 7weieinhalb Jahre dauernde Psychothe­ Schnabel rapie half mir, mein Schwulsein als guten Teil meiner Persönlichkeit zu akzeptieren und zu Wir werden diesen Tag im \1ärz 1982, an dem leben. In Schwulengruppen erfuhr ich, daß ich unser damals 16 1/2 jähriger Sohn sagte, er sei nicht der einzige' Mensch bin, der schwul ist, homosexuell, nie vergessen. Es war wie ein und ich fand viele Freunde. Erdbeben, und wir fühlten uns, als fielen wir in ein tiefes, dunkles Loch. Warum gerade unser Durch die Auseinandersetzung mit meinem Sohn) Es gab bereits genug privaten und schuli­ Schwulsein habe ich viel über Sexualität im schen Ärger mit ihm, aber plötzlich war das allgemeinen gelernt. Heute noch schwelt in mir alles nichts ge~en diese Tatsache. Warum hatten eine starke Wut auf alle die, welche die Sexuali­ wir davon nichts gespürt oder gemerkt? Er war tät mit einem Zaun von Ge- und Verboten doch ein ganz normaler, liebenswerter Junge! umgeben und diese dann noch theologisch verbrämen. Uns wurde sofort klar, daß wir nichts oder nur ~egatives über diese Menschen wußten. unser Seit acht Jahren lebe ich mit meinem Freund Schmerz wurde nur dadurch erträglicher, daß zusammen. Dieser Partnerschaft wegen bin ich wir unseren Sohn so erleichtert und glücklich in meiner Landeskirche nicht zum Pfarrer sahen. Wir nahmen ihn in die Arme, versicher­ ordiniert worden. ten ihn unserer Liebe und baten ihn, uns Zeit zu lassen. Denn jetzt mußten wir uns erst durch Ich häbe mich früher aktiv in der Gemeinde Informationen mit dieser neuen und so fremden engagiert, habe als Vikar in einer Gemeinde Situation vertraut machen. Aber an wen sollte gearbeitet. Heute kämpfe ich um eine Verände­ man sich wenden, mit wem konnte man darüber rung der starren und menschenfeindlichen sprechen) Haltung der Kirche zu Sexualität und Homose­ xualitiit. Kirche und Gemeinde stehe ich sehr Wir vertrauten uns in unserem ersten Schmerz distanziert gegenüber. Gebranntes Kind scheut einem Ar7.t an, der zu unserem Erstaunen die das Feuer. Homosexualität für eine der natürlichsten Sachen der Welt hielt. Er führte mit uns aufklä­ rende Cespräche und holte uns dadurch aus diesem tiefen dunklen Loch heraus. Aber unser sehnlichster Wunsch war mit Eltern zu sprechen, denen es wie uns ging. So gab uns denn unser Sohn die Adressen von Freunden, die wir mit

70 3. Die Lebenssituation von Lesben und Schwulen ihren Eltern zu einem offenen Gespräch einlu­ den. Fndlich wußten wir, daß wir nicht allein sind, und das gab uns Kraft. Wir wiederholten Margarete und Werner diese Treffen, bei denen wir auch viel von den Problemen und Ängsten der Jugendlichen Meinhold erfuhren, bis wir im Januar 1984 über Pro Familia eine Einladung von Herrn Pfarrer Dr. Christof hatte sich zum Kaffeetrinken angesagt Wiedemann (I':v. Markus-Kirchengemeinde, und sich vergewissert, ob wir auch beide zuhau­ Düsseldorf) erhielten. Er hatte eine Selbsthilfe­ se seien. Die Gespräche drehten sich um alltägli­ gruppe für Eltern homosexuell liebender Söhne che Dinge, das bestandene Abitur, seine neue und Töchter gegründet, da er, durch eine Befra­ ZivildienststeIle, das bevorstehende Pfarrfest, gung von ca. 80 llomosexuellen zum Thema kurz gesagt, nichts Aufregendes. "Eltern", dies für dringend notwendig hielt. Unsere Kinder wissen sehr wohl, daß wir Eltern Plötzlich sagte er: "Ihr habt mich immer zur in einer viel schlechteren Position sind als sie. Ehrlichkeit erzogen. Da gibt es etwas, das Für sie gibt es viele Möglichkeiten ihresgleichen zwischen uns steht und das ich euch sagen zu treffen, aber an die "geschockten" Eltern hatte möchte. Ich bin schwul." bisher niemand gedacht. Die Tatsache, daß diese Elterngruppe von einem Pfarrer geleitet wird, Meine (Frau Meinholdsl erste Reaktion: "Mir macht vielen das Kommen leichter. blieb die Luft weg; ich hatte das Gefühl abzu­ stürzen, tiefer und tiefer zu fallen und jeden Halt Wir haben inzwischen gelernt, daß unsere zu verlieren". Wir haben weder die Hände über Kinder nicht krank, nicht behindert und nicht dem Kopf zusammengeschlagen, noch sind wir pervers sind, sondern so gesund und "normal" zusammengebrochen. Doch so modern sind wir wie andere auch. Es war natürlich ein langer nicht, daß wir es einfach wegstecken konnten. Prozeß, aber heute sind wir bereits so weit, "Erste Hilfe" zu leisten. Wir können nur allen Bemerkt hatten wir sein Schwulsein nicht; es Eltern raten, sich nicht mit ihrem Kummer und kam für uns wie aus heiterem Himmel. Schon Schmerz zu verkriechen, sondern Kontakt zu der Ausdruck "schwul" machte uns Unbehagen. anderen Eltern zu suchen. Das sind wir unseren Mit dem Thema Homosexualität hatten wir Kindern schuldig, denn für sie ist es eine große bisher keine Berührungspunkte. Aber jetzt Belastung, uns ihretwegen leiden zu sehen. rückte es uns ganz nah auf die Pelle. Es betraf uns, nicht unsere Nachbarn oder Freunde. Wir Das nicht besonders gute Verhältnis zu unserem fühlten uns hilflos, ratJos. Neutral bleiben und Sohn, bedingt durch die nicht ausgesprochenen sich nur auf die Zuschauerrolle zu beschränken Probleme, hat sich ins Gegenteil verwandelt. Wir schien uns nicht möglich. Cnsere Wunschbilder nehmen seine Freunde in der Familie auf, wie von Heirat, Enkelkindern... lösten sich augen­ wir auch die Freunde unserer Tochter aufneh­ blicklich in Nichts auf. men. Unser Leben hat sich sehr verändert; wir sind weltoffener, toleranter und aktiver gewor­ Spontan haben wir zu Christof gesagt: "An den. L:nd das verdanken wir der Tatsache, daß unserem Verhältnis zu Dir ändert sich nichts. unser Sohn uns an seiner Art zu leben und zu Wir stehen zu Dir und möchten Dich nicht lieben teilhaben läßt. Wir haben durch ihn und verlieren." An dem Abend war uns noch nicht die Elterngruppe, an der natürlich auch unsere klar, daß dieses Versprechen nicht so leicht Kinder teilnehmen, viele Homosexuelle kennen­ einzulösen war. gelernt, mehr als wir es in unseren kühnsten Träumen hätten vorstellen können. Für sie alle Uns hatte es sehr geholfen, daß wir Eltern ge­ wollen wir beitragen, bestehende Vorurteile meinsam von Christofs "Coming Out" erfuhren. abzubauen und durch mehr Aufklärung Tole­ So fiel die Schwierigkeit weg, daß ein Ehepart­ ranz und Verständnis in unserer Gesellschaft zu ner sich allein mit dem Wissen auseinanderset­ erreichen. zen mußte, während der Andere ahnungslos WM.

3. Die Lebenssituation von Lesben und Schwulen 71 Unsere sieben Jahre ältere Tochter wußte schon stof diesem schillernden Kriminellenmilieu seit einem halben Jahr Bescheid. Ihr gutes zugerechnet würde. Andererseits hatten wir Einvernehmen war nicht gestört worden. Im während der zwei Jahre seit seinem "Coming Gegenteil, sie hatte sein Schwulsein ohne irgend­ Out" keine negativen Veränderungen in seinem welche Vorbehalte akzeptiert. Auch seine Wesen festgestellt. Er war so fröhlich und Freunde und Mitschüler wandten sich deswegen hilfsbereit geblieben, obwohl... Schwule angeb­ nicht von ihm ab. Unserer älterer Sohn und seine lich nur um sich selbst kreisen, ihre Freund­ Frau, die hundert Kilometer entfernt wohnen, schaften nicht lange halten und sie oft depressiv erfuhren es durch uns; auch luer volles Ver­ sein sollen. Viele Vorurteile und Klischees haben ständnis für Christof. wir überdacht und abgebaut.

Es gab Gott sei Dank keinen Riß durch die Es gab noch etwas, was uns bedrückte: Was sagt Familie. Niemand mußte für oder wider Partei die katholische Kirche dazu? Unsere Familie war nehmen. Christof hatte sich auf das Gespräch ehrenamtlich stark in der Kirche engagiert. gut vorbereitet. Ihm war das alles längst klar, Christof hatte jahrelang Kinder in Ferienfreizei­ was wir erst mühsam lernen und durchstehen ten betreut. mußten. unsere vage Hoffnung, es handele sich um eine Übergangsphase, sei gerade Mode oder Was würde in den Köpfen der Leute vorgehen, Liebeskummer, zerstörte er sofort, um irgend­ wenn sie von Christofs ~chwulsein erführen? welche Illusionen schon im Keim zu ersticken. Hätten wir auch unsere eigene Diskriminierung durch Nachbarn, Bekannte und Verwandte zu Es brachte uns nicht weiter, die Augen zu befürchten oder würden durch sie ins Abseits verschließen und auf eine Änderung zu warten. gedrängt? Schließlich hätten wir Christof ja nicht ernst genommen und eine wichtige Seite seiner Zwei katholische Geistliche, bei denen ich Rat Persönlichkeit ausgespart. suchte, reagierten sehr verständnisvoll und sagten, daß in der Kirche für alle Platz sei und Zwei Äußerungen von ihm waren für uns sehr sich Schwule nicht als Sünder fühlen und nur wichtig und hilfreich: "Mein Schwulsein macht mit gesenktem Kopf durchs Leben gehen müß• mich nicht unglücklich." und "Ich bin auch nicht ten. dauernd auf der Suche nach einem möglichen Sex- /Bettpartner." Christof zog erleichtert ab. Die Suche nach den Ursachen des Schwulseins Klar hatte er uns Lesestoff dagelassen, aber im und Schuldzuweisungen führten uns nicht Moment hatten wir nicht das Bedürfnis danach. weiter. Wir erfuhren, daß Schwule weder ihre Mutter vergöttern, noch ihren Vater hassen, Viel Negatives schoß mir trotz der langen, nicht vorgeburtlich geschädigt oder falsch wichtigen Aussprache in den folgenden Tagen erzogen sind. Schwulsein ist keine willentlich durch den Kopf. Die Erstarrung war gewichen. beeinflußbare Entscheidung. Obwohl es verstandesmäßig keinen Grund mehr gab, kämpfte ich oft mit den Tränen. Ein erster Schritt, an Christofs künftigem Leben weiter Anteil zu nehmen: Wir müssen ihn so Außer Christof waren uns keine Schwulen akzeptieren, wie er ist. Gut gemeinte Ratschläge bekannt - bis auf den Kollegen, der 1951 deshalb von Außenstehenden, daß Schwule auch Men­ aus dem öffentlichen Dienst flog und ins Ge­ schen sind und so leben und lieben dürfen, wie fängnis mußte. Na, wenigstens war jetzt der sie mögen, halfen uns nicht weiter. Sie signali­ § 175 abgeschafft, so dachten wir, obwohl das sierten eher Gleichgültigkeit statt der erhofften nicht ganz stimmte. Akzeptanz. Wir brauchten kompetente Ge­ sprächspartner. Die Sendung "Aktenzeichen XY" fiel mir ein, wo oft Täter oder Opfer in homosexuellen Kreisen Nach drei Monaten trauten wir uns, nach verkehrten. Der Gedanke quälte uns, daß Chri­ vorherigem Gespräch mit Pfarrer Dr. Wiede­

72 3. Die Lebenssituation von Lesben und Schwulen mann und einer betroffenen Mutter, die Eltern­ heute noch nicht ganz überwunden. Bei allem sC'lbsthilfegruppe aufzusuchen. Erschrecken über diese Wahrheit war doch unsere erste und spontane Reaktion, daß wir Zwischendurch gab es auch Mißverständnisse beide aufstanden und Bärbel umarmten. und Verunsicherungen zwischen Christof und uns. Er hatte nicht damit gerechnet, daß trotz Wir sagten ihr, daß uns das zwar hart getroffen unserer Verständnisbereitschaft noch nicht alles habe, aber daß es uns nicht umwerfen würde, verkraftet war. Sein Informationsvorsprung und vor allem, daß das an unserer Liebe zu ihr machte ihn ungeduldig. nichts ändern würde. In Wirklichkeit hat diese Offenbarung uns allC'n sehr gut getan. Verborge­ Es fiel im schwer zu verstehen, wenn ich am ne Verklemmungen verschwanden, wir konnten Telefon in Tränen ausbrach und er Angst hatte, wieder offen und ehrlich aufeinander zugehen. wir würden unser Versprechen, ihn zu akzeptie­ ren, nicht einhalten können. Um nun mit unserer neuen Situation fertig zu werden, schlossen wir uns einer Elternselbsthil­ In der Elterngruppe haben wir feststellen kön­ fegruppe an. Bärbel hatte sie ausfindig gemacht. nen, daß Schwule und Lesben aus ganz "norma­ So fuhren wir drei, meine Frau, Bärbel und ich, len" Familien kommen. Für uns war ganz an einem Samstag nach Düsseldorf. Dort trafen wichtig, daß die Schwulen aus der Anonymität wir eine fröhliche Gruppe vor, die offenbar herausgehoben wurden und für uns Gesichter schon viel miteinander erlebt und geredet hatte. und Namen bekamen. Besonders beeindruckt hat mich an diesem Wir haben gelernt, unsere homosexuellen Gesprächsabend der Mut eines Vaters, der zwar Kinder als Anstoß zu sehen, die Situation in der der Homosexualität seines Sohnes absolut GeseLlschaft schrittweise zu verbessern und unverständig gegenüberstand, der sich auch mit daran mitzuarbeiten, daß sie ein lebenswertes seinem Sohn restlos überworfen hatte, der sich Leben führen können. Dabei sollten wir entste­ aber dennoch überwinden konnte, sich dieser hende Spannungen aushalten können und Gruppe anzuschließen, um offen über seine Konflikte nicht scheuen. Nöte zu sprechen.

In Not sind wir alle, aber nur so können wir mit unseren Problemen fertigwerden. Die Fragen, D. ehr. die wir uns immer und immer wieder stdlten, waren: Es traf mich nicht ganz unvorbereitet als uns - Was haben wir Eltern nur falschgemacht? Bärbel vor etwa einem Jahr eines Abends offen­ - Was hätten wir tun sollen, um diese barte, daß sie ein lesbisches Verhältnis zu Anne Entwicklung zu verhindern? hat. Ich hatte schon vorher derartiges geahnt, - Gibt es noch einen Weg zurück? Beobachtungen gedeutet und mit meiner Frau Diese Fragen bewegen alle Eltern homosexueller und Christa, unserer älteren Tochter, darüber Kindern. Die Selbsthilfegruppe zeigte uns, gesprochen. Sie wollte es so recht nicht wahrha­ - wie wir Eltern oft noch viel schlimmer ben, und Christa wies es als absolut unmöglich mit uns hadern und kämpfen, zurück. - wie es bei dem einen oder anderen möglich wurde, die Situation anzuneh­ Nun war es heraus. men, - wie wir uns selbst helfen, wenn wir Es war ein großer Schock, besonders für meine unsere Vorurteile und unsere vermeintli­ Frau, die es ähnlich wie Christa, nicht so recht che Scham überwinden, unseren Kindern glauben wollte, als ich anfangs meine Vermu­ helfen und zu ihnen stehen. tungen aussprach. Der Schock bei meiner Frau Ich liebe Bärbel mehr als zuvor, und ich liebe war wesentlich stärker als bei mir, sie hat ihn auch Anne.

3. Die Lebenssituation von Lesben und Schwulen 73 Mich kennen schließlich mehr Menschen als ich (er)kenne. Eine Mischung aus Stolz, Angst, aus: Irritation und Bekenntniswut brachten mich zu Mitteilungen der Evangelischen Landeskirche einem Gespräch mit dem Mentor aus dem in Baden, Heft 2/1991 Predigerseminar.

Er sagt mir: "Wenn' s rauskommt, schmeißen sie Lesbisch lieben und Dich." Es ist hart, das zu hören, auch wenn ich mir das schon immer gedacht habe. Folge: Noch Leben im Pfarrhaus häufiger verstohlener Rundblick im Sub... "Egal, was ich tu und wo ich bin, ich darf nur Doch nun zum aktuellen Stand: Inzwischen lebe halb sein, aber ich kann nicht als Hälfte leben. ich in einer Beziehung; in einem anderen Dorf, Beides, mein Beruf und meine lesbische noch exponierter: Im Pfarrhaus. Existenz, machen meine Person aus. Wie lebe ich als lesbische Pfarrerin in der Gemeinde? .. Und ich lebe in gewisser Weise drei Leben: So die Sätze aus dem nachstehenden Beitrag. Die Redaktion bittet hier um Verständnis - das offizielle: Die Pfarrerin darum, daß die Autorin ungenannt bleiben - das private will. Vielleicht gibt es ja eines Tages die - das lesbische Möglichkeit, solche Artikel mit Namen und ohne Konsequenzen für die, die sie schreibt, Die große Überschrift könnte heißen: zu veröffentlichen. "Täuschen und Tarnen" oder"Alles gelogen..." Es gibt keine Lücke zwischen den Stühlen, die ich Ja nicht die Landeskirche angeben. nicht ausprobiert hätte. Und das mir, die ich von Natürlich nicht den Namen nennen. Natur aus stockehrlich und vertrauensselig bin. Weder das Dorf noch das Haus näher beschrei• ben. Mein erstes Leben, das offizielle, unterscheidet sich nicht wesentlich von anderen Pfarrerinnen Bloß nicht rekonstruierbar, auffindbar sein. auf dem Dorf. Viel Arbeit, wenig Ausstattung im Amt, Unzufriedenheit, weil ich den Ansprü• Die Probleme, die ich mit diesem Artikel habe, chen nicht genüge, Zeitproblem. Die älteren sind ein Spiegel für mein Leben als lesbische Leute in der Gemeinde hoffen darauf, daß ich Pfarrerin auf dem Land, die in einer Beziehung den "Richtigen" noch finde lmd eine romanti• lebt. sche Dorfhochzeit stattfindet.

Doch zuerst ein wenig "Lesbenlebenslauf": Allerdings hat bis jetzt immer noch mein Ein• wand geholfen: "Mein Beruf läßt nlir zu wenig Geboren und aufgewachsen in der Stadt. Zeit, jemanden kennenzulernen. (Stimmt.) Und Coming-out während des Studiums; welcher Mann heiratet eine Pfarrerin und hat Umzug in eine Großstadt. Verständnis für den Beruf. (Stimmt.) Die Kolle• Dort offen in der Beziehung gelebt. gen sind alle verheiratet. (Stimmt.)" Identifikation als Großstadtmensch. Nicht sage ich: "[ch will nicht heiraten - jeden• Mit Beginn des Vikariates: Ende der Beziehung. falls keinen Mann! (Und wie das stimmt!).

Im Vikariat auf dem Dorf: Ohne Beziehung und Mit Ko.llegen ist der offizielle Umgang schon ohne Probleme - wenn man von dem ängstli• schwieriger. Die wundern sich, wofür ich Zeit chen Blick in die Runde absieht, den ich erst brauche. Schließlich habe ich doch keine Familie, einmal in den einschlägigen Kneipen ausschick• die Ansprüche an mich stellt - und die ich te. "Vie.lleicht ist ja jemand aus dem Dorf da... " vorzeigen könnte.

74 3. Die Lebenssituation von Lesben und Schwulen Meine Geliebte ist oft bei mir - schließlich Aber ich muß mich verstecken, sonst kann ich komme ich ja kaum aus dem Dorf heraus. meinen Beruf nicht weiter ausüben.

Auch sie hat eine offi7.ielle Rolle. Canz Fernste• Abgesehen davon, daß viele Lesben "aus der henden mag sie als meine Sekretärin erscheinen. Bewegung" so kirchenkritisch beziehungsweise Für Menschen, die sich besser auskennen, ist sie christentumsfeindlich sind, daß eine Pfarrerin eine gute Freundin, die sich rührend um "Frau für sie ein "rotes Tuch" ist. Pastor" kümmert. Als I.esbe bin ich dort vielleicht angenommen, Ja, zuweilen ist sie direkt als Pfarrfrau geachtet. aber nie und nimmer als Pfarrerin. Ständig muß Und ich spanne sie auch ganz schön mit ein... ich mich rechtfertigen, zuweilen sogar die Sie läßt es zu, um ein wenig Freizeit mit mir zu Kirche verteidigen I (Unter der ich doch auch haben. leide.)

Mein "zweites Leben" überschneidel sich viel Entweder wird meine lesbische Existenz akzep• mit den beiden anderen "Leben" - zuweilen tiert, dann stößt mein Christinsein, beziehungs• verschwimmen die Grenzen. Privat kann ich weise mein Pfarrerinsein auf Vorbehalt. Oder ich eigentlich nur sein, wenn die Menschen, mit bin als Pfarrerin akzeptiert - und meine lesbi• denen ich zusammen bin, wissen, daß ich sche Existenz muß ich verbergen. lesbisch bin und Pfarrerin - und die beides akzeptieren. Egal, was ich tu und wo ich bin, ich darf nur halb sein. Aber ich kann nicht als Hälfte leben. Es gibt einige Lesben und Heteros und Heteras• Beides, mein Beruf und meine lesbische Exi• leider habe ich wenig Kraft und Zeit, die Bezie• stenz, macht meine Person aus. Wenn ich nun hungen zu pflegen. sagen soll: Wie lebe ich als lesbische Pfarrerin in Manchmal habe ich die Vision, völlig zu verein• der Gemeinde? samen... Meine Antwort: Zwischen den Stühlen. Mit Schließlich haben einige auch ein wenig Schwel• vielen Fragen und etlichen Widersprüchen und lenangst vor dem Pfarrhaus - sie fühlen sich Lügen. beobachtet und gezwungen. Manchmal habe ich Angst, nicht mehr durchzu• Mein "drittes Leben", das als Lesbe, ist sehr im steigen. Verborgenen. Meine Beziehung, ein paar Semi• nare, ein gelegentlicher Besuch im Sub. Wer bin ich wann und wo? Wer weiß was? Sowohl die Beziehung zu meiner Geliebten, als Wie werde ich der Gemeinde gerecht? auch die "politische Seite" leidet unter meinem Wie meiner Geliebten? Beruf. Wie werde ich meinem Anspruch, als Christin zu leben, gerecht? Die Beziehung wegen der mangelnden Zeit. Ich Nämlich: offen, frei, und fröhlich? schaffe es schlecht, "nein" zu sagen - und ich Und wo bleibe ich) Wer ist dieses Ich) kann sie ja nicht offiziell verschieben. Zum Wohlgemerkt: Ich liebe meinen Beruf und meine Beispiel "Heute abend kann ich nichl, weil ich Geliebte. mit meiner Frau einen Besuch bei Bekannten geplant habe... !" Und die "politische Seite" stößt Manchmal habe ich die Hoffnung: "Eines Tages sich mit dem Beruf. Politischer Anspruch als kommt alles raus, und die Spannung, die Lesbe wäre: Offen leben, öffentlich wirksam Situation löst sich von selbst..." werden, gegen das Patriarchat kämpfen (wei• ches sich zum größten Teil in den Köpfen von Männern und auch vielen Frauen befindet).

3. Die Lebenssituation von Lesben und Schwulen 75 "Man kann die Gemeinde Christi mit einern Leib vergleichen, der viele Glieder hat. Obwohl er aus so vielen Teilen besteht, ist der Leib doch einer. Denn wir alle, Juden und Nichtjuden, Sklaven und Freie, sind in der Taufe durch denselben Geist in den einen Leib Christi eingegliedert worden, und wir haben auch alle an demselben Geist Anteil bekommen." Solidaritäts• (I. Kor. 12, 12-13 nach Die Gute Nachricht) 4. erklärung

Als christliche Gemeinde sind wir ein Leib mit Dies ist ein Vorschlag, wie Ihre Solidaritätserklä• vielen Gliedern. Jeder Teil hat seine besonderen rung aussehen könnte. Manche Gemeinden Charismen, die sich in unterschiedlichen Bega­ haben diese Solidaritätserklärung übernommen, bungen und Lebensformen verwirklichen. andere haben sie erweitert und an einzelnen Punkten verändert. 1m folgenden geben wir Durch die Taufe gehören alle ChristInnen unge­ Ihnen zwei ganz unterschiedliche Beispiele von achtet ihrer sexuellen Orientierung zum Leibe Solidaritätserklärw1gen: Christi.

Deshalb ist es unerträglich, wenn homosexuelle Der Kirchenvorstand der Evang.-Luth. Frauen und Männer in der Gesellschaft diskrimi­ Kirchengemeinde SI. Jacobi, Göttingen, niert, von der Kirche ausgegrenzt oder totge­ erklärt: schwiegen werden. Als christliche Gemeinde tragen wir Mitverantwortung für die gesellschaft­ 1. Sexualität gehört zum Menschsein des lichen Bedingungen, in denen Menschen mitein­ Menschen. ander leben. Deswegen machen wir unsere Sie dient nicht nur der Fortpflanzung. Betroffenheit und Sorge für Schwule und Lesben Sie ist eine gute Gabe Gottes, die Menschen öffentlich. Zu diesem Zweck erklären wir: glücklich sein läßt. Sie ist nicht nur in der Ehe zu Hause. Sie verbindet auch Männer mit Männern 1. Sexualität ist ein Teil der Schöpfung und Frauen mit Frauen. Gottes, die in unterschiedlichen Ausprägun• gen - Hetero-, Homo- und Bisexualität• 2. Weil Sexualität zum Menschsein des existiert. Menschen gehört, darf sie niemandem genommen werden, 2. In ihrer jeweiligen Ausprägung kann Alle Menschen haben das Recht, ihre Sexualität in unterschiedlicher Weise Sexualität zu leben. gestaltet werden. Sie ist weder ausschließ• Das heißt nicht, daß alles erlaubt ist. lich auf Fortpflanzung ausgerichtet, noch Sexualität erweist sich gerade darin als hat sie ihren legitimen Ort allein in der Ehe. menschlich, daß ihre Gestaltung verantwor• tet sein will. 3. Jeder Mensch, egal ob homo-, hetero• oder bisexuell, hat das Recht, seine Sexuali• 3. Die sexuelle Prägung eines Menschen ist tät verantwortlich und einvernehmlich zu kein Kriterium für Zugehörigkeit zur leben. Kirche. Wir heißen als Mitglieder und Mitarbeiterlinnen ausdrücklich und ein• 4. Schwule und Lesben heißen wir als schränkungslos alle in unserer Kirche Mitglieder und ohne Einschränkung auch willkommen und laden sie ein, sich aktiv als MitarbeiterInnen ausdrücklich willkom• am Leben unserer Gemeinde/Gruppe/ men; wir laden sie ein, sich aktiv am Leben Kirche zu beteiligen, unserer Gemeinde/Gruppe/Kirche zu beteiligen. 4, Wir setzen uns dafür ein, daß dieses Verständnis von Sexualität auch in unserer 5. Wir setzen uns dafür ein, daß dieses Cesamtkirche anerkannt wird. Verständnis von Sexualität auch in unserer Gesamtkirche anprkannt wird. Göttingen, am 2,8.1993

76 4. Solidaritätserklärung Der Gemeinderat der Katholischen Hochschul­ Zur zweiten These gemeinde (KHG) erklärt: a) Wir begrüßten die ausdrücklich "pluralisti­ Wir haben die fünf Thesen Eures Projektes sche" Sicht sexueller Lebensweisen. "Farbe bekennen" im Gemeinderat diskutiert. b) Wir vermißten in dieser These den Versuch, Wir sind in diesem Prozeß zu der Überzeugung über Abgrenzungen hinaus - "Sexualität ist gekommen, daß wir dem Anliegen von "Farbe weder dies noch das" - Sexualität positiv zu bekennen" und den Thesen zustimmen können. bestimmen.

Unsere Diskussion hat Differenzierungen und Als wichtige Momente des "Lebenswerts Sexuali­ eigene Akzente der Thesen erbracht. Diese tät" wurde in unseren Gesprächen formuliert: Ergänzungen und Akzente sind uns wichtig. Wir Angenommene, gelebte Sexualität verstehen sie jedoch nicht als Vorbehalte zu den - vertieft die Bindung von Partnern; HuK-Thesen. - bedeutet Lebensglück und Lebensintensität; - fördert die umfassende Selbstannahme; Das literarische Genre "Thesen" nötigt zu Verein­ -läßt Liebesfähigkeit wachsen. fachungen; und wir akzeptieren die fünf Thesen als notwendige Reaktion auf die empörende, Zur dritten These ungerechte und entwürdigende, gesellschaftliche und kirchliche Zwangslage homosexueller Die Frage wurde diskutiert, ob das hier geforder­ Frauen und Männer. te Menschenrecht auf die eigene Sexualität um einen Hinweis zu ergänzen sei: "soweit es nicht Würde Im folgenden unsere Differenzierungen zu den und Rechte anderer verletzt"'. Aber gerade auf ersten drei Thesen; den Thesen vier und fünf dem Hintergrund unserer Versuche, den Lebens­ stimmten wir zu, ohne daß Ergänzungen vorge­ wert Sexualität zu beschreiben, schien uns ein schlagen wurden. solcher Zusatz bloß tautologisch.

Zur ersten These Diese erste Diskussion der Thesen von "Farbe bekennen" könnte für unsere Gemeinde ein a) Hier verstärkten wir den Akzent: Sexualität ist Impuls werden, der Frage nach Kirche und nicht nur ein Teil der Schöpfung Gottes, sondern Sexualität möglichst offen nachzugehen. ein fundamentaler Teil der guten Schöpfung Gottes. Karlsruhe, am 24.11.1992 b) Wir stellten fest, daß die getroffene Dreiteilung sexueller Orientierungen das Feld sexueller Lebensformen nicht ausreichend oder unhinter­ gehbar strukturiert. So wurde etwa auf die zölibatäre Lebensweise als Gestalt von Sexualität und auf die Bedeutung der Autoerotik hingewie­ sen.

Zur Sprache kam ein anderer Ansatz zum Ver­ ständnis von Bisexualität, der diese nicht zur Eigenart einer sexuellen Sondergruppe macht, sondern von einer bisexuellen Anlage menschli­ • Anmerkung der Redaktion: cher Sexualität überhaupt ausgeht. Die dritte These wurde mit der vorliegenden Neuauflage des Heftes "Farbe bekennen" auf­ grund mehrerer Anregungen dieser Art modifi­ ziert.

4. Solidaritätserklärung 77 Liste der Unterstützer des Projektes Farbe bekennen und UnterzeichnerInnen einer Solidaritätserklärung Stand November 1993

Evangelische Studentengemeinde Ev.-Lulh. Landeskirche Hannover Katholische Venusberg 4, 53115 Bonn Verein zur Förderung christlicher Kirche Presbyterium der Evangelischen Lebensformen e.V., Klosterhof 18. Trinitatiskirchengemeinde 34346 Hann. Münden-Bursfelde Fachschaft an der Theologischen Adenauerallee 37, 53113 Bonn Fakultät der Albert-Ludwigs­ Kirchenvorstand der LV.-Luth. Cniversität I'reiburg i. Br. Prpsbyterium der Evang. Kirchen­ Kirchengemeinde SI. Jacobi, gemeinde Engers, Klosterstr. 17a, Jacobikirchhof 2, 37073 Göttingen Katholische Studentinnengemeinde 56566 Neuwied-Engers Frauenstr. 3-7, 48143 Münster KOllVen t der TheoJogiestudierenden Fachschaft Evang. Theologie an der der Ev.-Luth. Landeskirche Kath01ische Hochschulgemeinde RJlein. Friedrich-Wilhelms-Lniv. Hannovers - Delegiertenrat ­ Karlsruhe Am Hof 1, 53113 Bonn 1 c/o Anke \IIarholt, Klingen­ Hirschsstr. 103,76137 Karlsruhe 1 teichstr. 18, 69117 Heidelberg Presbyterium der Fachschaft Katholische Theologie Evang. Kirchengemeinde Monheim Evang. Kirche von Westfalen an der RJleinischen Friedrich­ Frohnstr. 4, 40789 Monheim Wilhelms-Lniversität Bonn Presbyterium der Evang. Bodel­ Regina-Pacis-Weg 1a, 53111 Bonn Evangelische Kirchengemeinde schwingh-Kirchengemeinde Köln-Worringen Voltmannstr. 265,33613 Bielefeld Hackenbroicher Str. 59, 50769 Köln Vollversammlung der Studieren­ Studierendenschaft des den der Kirchlichen HochschuJe Evangelische Evang.-Theologischen Studien­ Bethel, BieJefeld hauses Adolf Clarenbilch Landeskirchen Coebenstr. 32-36, 53113 Bonn Ev.-Lulh. Landeskirche in Bayern

Nordelbische Landeskirche Presbyterium der Evang. Kirchen­ Kirchenvorstand der Evang.-Luth. gemeinde Hammerstein Kirchengemeinde SI. Lukas, Der Kirchenvorstand der Ev.-Luth. Schillerstr. 1,42327 Wuppertal München Friedenskirchengemeinde Hamburg-Altona Kreissynode des Evang. Kirchen­ Vereinigung bayrischer Vikarinnen BrunnenJlofstr. 2, 22767 Hamburg kreises an Sieg und Rhein und Vikare, Pfarrerinnen und Postfach 1306, 53703 Siegburg Pfarrer z.A., Pfarrerinnen und Vollversammlung der Studierenden Pfarrer (VBV) des f'achbereiches Evangelische Presbyterium der Evang. Kirchen­ Ansprechpartner: Theologie der Universität Hamburg gemeinde Haarzopf Sebastian Kühnen, Radter Str 79a, 45149 Essen Keferloherstr. 70, 80807 München Fachschaftsrat Evangelische Theologie der Universität Hamburg Evang. Landeskirche 62. Landesversammlung der Sedanstr. 19,20146 Hamburg Berlin-Brandenburg Evang. Land)ugend i. Bayern (EL)) Postfach 20, 91788 Pappenheim Rheinische Landeskirche Evang. Ölberg-Kirchengemeinde Lausitzerstr. 30, 10999 BerJin Ausländische Gemeinden Presbyterium der Evang. Markus­ Kirchengemeinde Düsseldorf Ev. Landeskirche in Würllemberg Niederländische Ökumenische Sand träger Weg 101, Gemeinde 40627 Düsseldorf Vereinigung Württembergischer Gemeindebüros: Vikarinnen und Vikare, falstr. 17, Samariterstr. 27, 10247 Berlin 72135 Dettenhausen Limonenstr. 26, 12203 Berlin

78 4. Solidaritätserklärung 5. Anhang

5.1 Leitfaden für eine persönliche Bestandsaufnahllle

I.eitfaden für eine persönliche Bestandsaufnah­ 1. Welches ist das früheste Erlebnis, das me der eigenen Meinung in sexuellen Fragen als Sie als sexuell ansehen würden? Vorbereitung für die Gruppendiskussion

Dieser Leitfaden folgt einer 1989 erschienenen 2. Welche Botschaft über Sexualität und Studie des Weltkirchenrates zum Thema Sexuali­ über sich selbst gab Ihnen dieses Erleb­ tät und zwischenmenschliche Beziehungen mit nis? dem Titel: Living in Covenant with God and one another (Leben im Bund mit Gott und den 3. Sind die Erinnerungen an die sexuel­ Menschen). Die deutsche Lbersetzung besorgte Christoph Kessler. len Erlebnisse, die Sie seither hatten, positiv oder negativ? Sie sollen im Folgenden nicht als gut oder schlecht (reif/unreif?) eingestuft werden. Viel­ 4. Wie wurden Gefühle in Ihrer Familie mehr sollen Sie über Ihre Sexualität nachdenken, ausgedrückt? insbesondere im 7usilmmenhang mit Ihrem Glauben. offen selten Tue - Zuneigung 000 Tiltsächlich übt jeder Mensch Sexualerziehung - Wut 000 aus oder vermittelt sexuelle Werte. Die Frage ist - Freude 000 nur, welche Werte und wie gut. Wir kommuni­ - Zutrauen 000 zieren nicht nur mit Worten, sondern durch Ausdruck, versteckte Andeutungen, Geisteshal­ tung, Stille usw. Es teilt sich anderen Menschen, Fühlen Sie sich wohl beim Reden über insbesondere Kindern, sehr stark mit, ob man - Freude, sich mit der eigenen Sexualität wohlfühlt oder - Ihren Körper? nicht. 5. Sagen Sie denjenigen, die Ihnen nahe­ stehen oft, selten oder nie, - daß Sie sie lieb haben - daß Sie etwas gut finden (Gedanken, Worte, Taten...) - daß Sie bereit sind, über schwierige persönliche Fragen zu reden und zuzuhören? ..

5. Anhang 79 Sie zu diesen Menschen? Sie getan) Wie stehen 6. Was tun Sie (haben von ihnen geän­ mit Hat sich Ihre Meinung - wenn Sie ein vierjähriges Kind dert, nachdem Sie sie bereits kennenge­ einem anderen Kind beim Doktor­ lernt hatten? spielen finden, Ihre eige­ in Haben diese Veränderungen wenn sich ein 14-jähriges Mädchen nen Prinzipien verändert? einen älteren Mann verknallt, wegen wenn ein 15-jährige(r) Sie all diese Rat 10. Wenn Sie persönlich über Schwangerschaftsverhütung um Erfahrungen nachdenken: fragt, - Welche Erfahrungen haben Ihnen wenn Sie peinliche Fragen zur Sexua­ etwas bedeutet? lität gestellt bekommen? Wie haben sie Ihr Leben bereichert? nunmehr Ihrem Würden diese Ereignisse 7. Haben Sie sich irgendwann in eige­ ablaufen? Würde sich Leben zu einem Menschen Ihres für Sie anders ändern? nen Geschlechts körperlich hingezogen Ihr Verhalten Ereig­ Verhältnis stehen sie zu gefühlt? Denken Sie über dieses In welchem Glauben? nis nochmals nach. Was ist passiert? Ihrem Antworten auf sexuelle Phantasien Es gibt viele Möglichkeiten, Ihre 8. Meinen Sie, daß Sie werden beim sind? Üben Sie obige Fragen zu verwenden. und Träume schlecht die Fragen wissen, wozu die Können Nachdenken über hierbei Selbstbeschränkung? Antworten dienen. Sie sich noch an Träume und Phantasi­ Ihrer Klein­ en erinnern? Eine Möglichkeit ist, die Mitglieder Fragen nach­ gruppe zu bitten, aJleine über die tauschen Sie die zudenken. Beim Gruppentreffen 9. Kennen Sie Menschen, die Erfah­ sich dann darüber aus, jedoch nicht ohne verheiratet zu im - zusammenleben, rungen selbst, sondern Ihre Gedanken seIn, mit dem jeweiligen Thema. zu Zusammenhang ein Kind haben, ohne verheiratet und sein, Entdecken Sie, wo Sie übereinstimmen Differenzen bestehen. in einer patriarchalen Familie lebten welche führ-' aussereheliche Beziehung Standpunkt eine Versuchen Sie, den jeweils anderen ten, zu verstehen und zu respektieren. in einer homosexuellen Partnerschaft zu Sexua­ lebten, Versuchen Sie, Ihre eigene Einstellung Beziehungen geschieden sind, lltat und zwischenmenschlichen schriftlich festzuhalten. wiederverheiratet sind, polygam lebten, sich prostituiert haben oder zu Prosti­ tuierten gegangen sind, Opfer oder Täter in einer gewalttäti­ gen Beziehung waren?

80 5. Anhang 5.2 Heterosexualität - wie kann ich daDlit leben?

Leider gibt es zum Thema Heterosexua­ 7. Waren Sie während Ihres Heterose­ lität nur wenig Literatur. In einer xuellseins Diskriminierungen oder Umfrage wollen wir Sie daher bitten, Verfolgungen ausgesetzt, und wenn ja, die folgenden Fragen sorgfältig wie sind Sie damit umgegangen? zu überdenken und zu beantworten.

Wie fanden Sie andere Heterosexu­ 1. Was hatten Sie über Heterosexuelle 8. elle, mit denen Sie sich austauschen gehört, bevor sie erkannten, daß konnten? Sie eine/r sind? Waren Sie jemals ei­ nem/r begegnet? 9. Wie kommen Sie als Heterosexuel­ 2. Wodurch bemerkten Sie, daß Sie le/Heterosexueller in einer Welt zu­ recht, in der die Menschen überwiegend heterosexuell sind? homosexuell empfinden?

3. Haben Sie Ihren Eltern, Geschwi­ Hatten Sie sich all diese Fragen stern, Kindern, Freunden oder 10. schon einmal gestellt oder sind Bekannten erzählt, daß Sie heterosexuell gar in einer solchen Weise befragt wor­ sind? Wie hat dieses Erzählen den? oder Nicht-Erzählen Ihre Beziehung zu ihnen beeinflußt? Wir wollten Ihnen damit einen Ein­ druck vermitteln, was es heißt, sich 4. Hatten Sie irgendwelche religiösen mit solchen Fragen auseinandersetzen Konflikte als Sie feststellten, zu müssen. daß Sie ein/e Heterosexuelle/r sind? Falls ja, wie haben Sie sie überwunden?

5. Wie haben Therapeuten/innen auf Ihre Heterosexualität reagiert? Haben Sie versucht, Sie zu kurieren? Haben Sie sie ernst genommen?

6. Haben Sie Ihren Arbeitskollegen/ innen von Ihrer Heterosexualität erzählt? Wurden Sie weiterhin akzep­ tiert oder wurden Sie seither gemieden?

5. Anhang 81 5.3 Lieder

Lob Gott getrost mit Singen

1.4elod1e: Evangell9dle6 Iei!ung AG-GomoIndopfojola da< Huf<

1 ---" ~ ~ ---1 .. I .1 r' i' I r' i Irr i D r-'r I -- D r r w-!f du Sc'- ­ -.. i GoI! g

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1-,- I I I V io--"" I r v 2 4 Drum laß dich nicht erschrecken, du lesbisch­ Es gilt, ein frei Geständnis in dieser schwule Schar. schwarzen Zeit, Er wird dir Hilf erwecken und dein selbst ein offenes Bekenntnis trotz allem nehmen wahr. Widerstreit. Wird unsrer Kirch verkünden, daß du sein trotz Kirchenmänners Toben, kommt eigen bist Schwestern seid bereit, und er in allen Ängsten doch dein Erlöser ist. frei Farbe zu bekennen, jetzt ist es an der Zeit.

3 5 Es tut ihn nicht gereuen, was er vorlängst Gott soll'n wir billig loben, der sich aus gedeut: großer Gnad Sein Kirche zu emeuern in dieser schwarzen durch seine milden Gaben uns kundtgegeben Zeit. hat. Wird kräftig sie beleben mit Lila, Rosa, Blau! Er wird uns auch erhalten in Lieb und (Ungläubig gesprochen:) Blau??? Einigkeit Und wird ihr Farbe geben, daß er sie gern und unser freundlich walten hie und in anschau. Ewigkeit.

82 5, Anhang Farbe bekennen

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9 d C F r-~ ~F- -11=p. ~. J\ j J J J~~:= _:=1 ~u ) I FOJ' be be - ken- nen. In j mit - Ien oi - nef - on Weil. I L4 Cl ~ J 44fj2 IJ--=3~~.Ht-~f~~fkg~1~_:~~J-~~~d~_i-~---;~~:'

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7 G As 7 F As 7 G Gls 7 0 G l-@E Q3ßd=;KJ :1f7~~~~§~~~j k2Jj J fJ3 ![J' -d !I I WO • * ge. oe<> Sex und Lust. da I nur ...... us lau .... Frust. ,.. I I !: ) , - - pr' -,j 2 4 Weil der Papst katholisch lebt, und stets nur Ja, die Zeit ist endlich reif, daß jeder sich als nach Maria strebt, Mensch begreif, bleibt Sexualität verboten, und alle kriegen und keiner ist mehr auf der Hut, denn allen schlechte Noten fürs ... macht der Glaube Mut zum... Farbe bekennen, mit Dir, mit Dir, mit Dir, Farbe bekennen, mit Dir, mit Dir, mit Dir, mit Dir mit Dir Farbe bekennen, das Motto einer warmen Farbe bekennen, der Anfang einer Welt. menschlichen Welt.

3 5 Wo die Kirche ängstlich ist und ihren Huch, die ganze Christenheit verbündet sich Herrgott bös vergißt, in dieser Zeit verdrängt sie Lust und Sex zumal in ein gar mit Schwulen, Lesben, jeder Tunte und dunkles Ehetal doch... darum ist in aller Munde... Farbe bekennen, mit Dir, mit Dir, mit Dir, Farbe bekennen, mit Dir, mit Dir, mit Dir, mit Dir mit Dir Farbe bekennen, zum Zeugnis einer lichten Farbe bekennen, der Slogan einer neuen Welt. Welt.

5. Anhang 83 Die MitarbeiterInnen 6. dieses Heftes

Herbert Engel ist evangelischer und katholischer Theologe, wissenschaftli­ cher Dokumentar und Psychothera­ peut. Er arbeitet zur Zeit als psycho­ logischer Berater in der AIDS-Bera­ tungsstelle des Gesundheitsamtes Köln.

Thomas Genetzky ist evangelischer Theo­ loge und Pfarrer in Bielefeld.

Markus Gutfleisch ist Krankenpfleger in Münster.

Helmut Kentler ist Professor für Sozial­ pädagogik in Hannover; er hat in den vergangenen mehr als 10 Jahren maßgeblich die sexualwissenschaftli­ chen, ethischen und theologischen Einsichten der Ökumenischen Ar­ beitsgruppe Homosexuelle und Kir­ che e.V. mitentwickelt und -formu­ liert.

Hiltrud Noll ist Sozialpädagogin und arbeitet als AIDS-Beraterin in der AIDS-Beratungsstelle des Gesund­ heitsamtes Münster.

Andreas Schumann ist katholischer Theo­ loge. Er arbeitet zur Zeit als Alten­ pfleger in Freiburg i. Br. Er ist Mit­ glied des Bundesvorstandes der Okumenischen Arbeitsgruppe Homo­ sexuelle und Kirche e.V.

Leo Volleth ist evangelischer Theologe und Pfarrer in Ismaning.

84 6. Die Mitarbeiterinnen dieses Heftes 7. Literaturhinweise

Bartholomäus, Wolfgang. Glut der Begierde· Drewermann, Eugen. Homosexuelle Auswege oder Sprache der Liebe. Unterwegs zur ganzen ein berufsspezijisches Tabu. In: Eugen Drewer­ Sexualität. Kösel-Verlag. München 1987. mann. Kleriker. Walter Verlag. Olten 1989. S.580-602. Barz, Monika, Herta Leistner, Ute Wild. Hättest Du gedacht, daß wir so viele sind? Kreuz-Verlag. Dunde, Siegfried R. Homosexualität/Homosexuelle Stuttgart 1987. Männer. In: Hans Jäger. Aids und HIV-Infektio­ nen. Kapitel VJII-1. Bell, Alan O. u.a. Der Kinsey Institut Report iiber sexuelle Orientierung und Partnerwahl (deutsch). Frisch, HeJga. "Wilde Fhe" mit kirchlichem Segen? München 1981. GütersJoher Verlagshaus Gerd Mohn. Gütersloh 1990. Bell, AJan O. und Weinberg, Martin. Der Kinsey Institut Report iiber weibliche und männliche Frör, Hans. Homosexualität und NOT/n. Auf der Homosexualität. Gold mann Taschenbuch Nr. Suche nach ethischer Orientierung. In: Theologia 11306. München 1987. Practica, Heft 3+4,1982. S. 100-104.

Bleibtreu-Ehrenberg, Gisela. Homosexualität. Die Frör, Hans. Wie eine wilde Blume. Biblische Liebes­ Geschichte eines Vorurteils. Fischer Taschenbuch geschichten. (Darin: Nachruf, 5.82-91. rine Nr. 3814, a.M. 1981. Auseinandersetzung mit der Einstellung des Paulus zur Homosexualität). Kaiser Traktat 73. Brown, Judith C. Schändliche Leidenschaften. Das Leben einer lesbischen Nonne in Italien zur 'Leit Grau, GÜnter. Und diese Liebe auch. Theologische der Renaissance. Reclam-Verlag. Stuttgart 1988. und sexualwissenschaftliche Finsichten zur Homosexualität. Evangelische Verlagsanstalt. Brown, Peter. Die Keuschheit der Engel. Sexuelle Berlin 1989. Entsagung, Askese und Körperlichkeit am Anfang des Christentums. Hanser Verlag. München und Grossmann, Thomas. Eine Liebe wie jede andere. Wien 1991. Mit homosexuellen Jugendlichen leben und umgehen. Rororo Taschenbuch. Hamburg 1984. Christenrechte in der Kirche (Hg.). Plädoyer fiir die Homosexuellen in der katholischen Kirche. 1984. Grossmann, Thomas. Schwul- na und? rororo Bezug über: Ute Wild, Mithrasstr. 45, W-6000 Taschenbuch. Hamburg 1981. Frankfurt a.M. 50 Harrison, Beverly W. Die neue Fthik der Frauen. Denzier, Georg. Die verbotene Lust. 2000 Jahre Kraftvolle Beziehungen statt blofJen Gehorsams. christliche Sexualmora/. Verlag Piper. München Kreuz Verlag. Stuttgart 1991. und Zürich 1988. Hartmann, Mallhias. Als abartig verdammt - zur Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband, Ordination berufen? Zur Diskussion iiber Landesverband Nordrhein-Westfalen e.V. Homosexualität in DDR-Kirchen. In: Kirche im (Hg.). Was ist Homosexualität? Bezug über: Sozialismus, Heft 3, 1985. Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband, Landesverband Nordrhein-Westfalen e.V., Loher Straße 7, W-5600 WuppertaJ.

7. Literaturhinweise 85 Hirschler, Horst. Homosexualität und Pfarrerberuf. Kittelberger/Schürger/ Heilig-Achnek (Hg.). Was Reihe Vorlagen 28/29, hrsgg. von Eduard Lohse auf dem Spiel steht. Diskussionsbeiträge ZlI u.a. Lutherhaus Verlag. Hannover 1985. Homosexualität und Kirche. Claudius-Verlag. (Eine programmatische Schrift des jetzigen München 1993. Hannoverschen Landesbischofs, die den (Ein umfassender Diskussionsband, in dem ablehnenden Umgang der Hannoverschen Autorinnen und Autoren mit unterschiedli­ Kirche mit schwulen Pfarrern dokumentiert chen Positionen zu Wort kommen: Geschicht­ Wld begründet.) liche Beiträge, Erfahrungsberichte und Anstöße zur theologischen Urteilsfindung.) Hornes, A.M. JACK. Arena Verlag, Würzburg 1992. (In unverkrampft, lockerer Sprache Kokula, llse. jahre des Gliicks, Jahre des Leids. beschreibt das Buch die Schwierigkeiten eines Gespräche mit älteren lesbischen Frauen, 16-jährigen mit der Verarbeitung der Tatsache, Dokumente. Verlag Frühlings Erwachen. daß sein Vater sich von seiner Mutter getrennt Kiel 1986 hat, weil er schwul ist.) Kramer, Hans. Ehe war und wird anders. Homosexualität. Sonderband der Zeitschrift für Patmos Verlag. Düsseldorf 1982. Evangelische Ethik, Band 1, 1987. (Hans Kramer ist Professor für katholische Moraltheologie an der Universität Bochum.) Homosexllalität ulld Glaube. ZlIm Segen berufen. Ein Pastoralbrief. Arbeitsgruppe katholischer Liebe - so rätselhaft und nnbezwingbar. Reihe: Publik homosexueller Seelsorger der Niederlande. Forum extra. Hrsg. Leserinitiative Publik e.V. Hrsg. der deutschen Übersetzung: Christen­ ISBN 3-88095-041-5. rechte in der Kirche eV., Neuß 1989. BesteJl­ adresse: Certrud HaHmann, Römerstr. 90, W­ Micus, Andrea. Schade, daß sie eine Frall ist. 4358 Haltern. Erscheint voraussichtlich Januar 1994 im Bastei-Lübbe Verlag. Hopcke, Robert H.: CG. Jung, jungianer und (Ein Buch über die Frauen schwuler Väter.) Homosexualität. Walter Verlag. SoJothurn und Düsseldorf 1993. Migge, Thomas. Kann denn Liebe Sünde sein. Gespräche mit homosexuellen Geistlichen. homosexllelliieben. Eltern, Söhne, Töchter. Hrsg.: Kiepenheuer & Witsch. KÖ1l1 1993. Gemeinschaft der Selbsthilfegruppen für (Wie gehen katholische Priester mit ihrer Eltern homosexuell liebender Söhne und Homosexualität um7 Interviews mit schwulen Töchter. Düsseldorf, Koblenz 1991. Bestell­ katholischen Priestern.) adresse: Helmut Tibes, Horchheimer Höhe 13,5400 Koblenz Müller, Wunibald. Homosexualität- eine Heraus­ fordentngfiir Theologie und Seelsorge. Josuttis, Manfred.. Der Pfarrer und die Sexualität. Grünewald Verlag. Mainz 1987. In: Manfred Josuttis. Der Pfarrer ist anders. Chr. Kaiser Verlag. München 1982. S. 170-190. Puff, Helmut (Hrsg.). Lust, Angst und Provokation. Homosexualität in der Gesellschaft. Sammlung Kentler, Helmut. Eltem lernen Sexllalerzielnmg. Vandenhoeck. Göttingen und Zürich 1993. Rororo-Taschenbuch Nr. 7440, Neuauflage 1988. Rauchfleisch, Udo (Hg.). Homosexuelle Männer in Kirche und Gesellschaft. Patmos Verlag. Düssel­ Kentler, Helmut (Hg.). Oie Menschlichkeit der dorf 1993. Sexualität. Berichte· Analysen· KOinmentare ausgelöst durch die Frage: Wie homosexuell dürfen Pfarrer sein? Chr. Kaiser Verlag. München 1983.

86 7. Literaturhinweise Schellenbaum, Peter. Homosexualität im Mann. Wiedemann, Hans-Georg. Plädoyer für Männer­ Eine tiefenpsychologische Studie. KöseJ Verlag. freundschaft. Kreuz Verlag. München 1991. Stuttgart und Berlin 1992 (Dieses Buch ist die Neufassung einer früheren Arbeit über die "Homosexualität des Mannes" Weller, Christoph. Kirche und neue Lebensformen. (1980). Klarer und durchgehender als in dieser Offene Kirche-Informationen 1/91, S.17-21 unterscheidet er pathologische Formen der Homosexualität von der "normalen" in keiner Werner, Roland. Christ und homosexuell? Weise durch das Odium einer vermeintlichen Begegnungen und Berichte .. Brendow Verlag. FehlentwickJung belasteten und fixierten Ho­ Moers 1981. mosexualität. Deutlich wird in seiner Arbeit, (Ein wichtiges Buch für eine evangelikal daß es sowohl zwanghafte Formen von Homo­ geprägte ablehnende Haltung gegenüber sexualität als auch zwanghafte Wld pathologi­ Homosexualität.) sche Formen von Heterosexualität gibt. Vor­ kenntnisse in der Analytischen Psychologie Zemann, Rolf. Selbstbewußt schwul? Perspektiven c.e. Jungs sind für die Lektüre dieses anson­ eines selbstbestimmten Lebens als Homosexueller. sten sehr verständlich und spannend geschrie­ Eine qualitative Studie über sechs Lebensläufe benen Fachbuches hilfreich.) schwuler Männer. Wien 1991.

Sexualität - Nackter als nackt komm ich zu dir. Hrsg. I.eserinitiative Publik e.V. Reihe: Publik Forum extra. Oberursel o. J. Kirchliche Stellungnahmen, Strecker, Georg. Homosexualität in biblischer Sicht. Arbeitspapiere, Erklärungen In: Kerygma und Dogma, 28. Jg. Heft 21982, S.127-141. Briefan die Presbyterien vom 18. Dezember 1979. Allgemeine Synode der Gereformeerde Stümke, Hans-Georg/Finkler, Rudi. Rosa Winkel, Gemeinden in den Niederlanden. (Deutsche Rosa Listen. Homosexuelle und "Gesundes (lbersetzung über Projekt Farbe bekennen) Volksempfinden" von Auschwitz bis heute. rororo aktuell Nr. 4827. Hamburg 1981. Biblische Seelsorge an Homosexuellen. Hrsg. von der Konferenz der Bekennenden Gemeinschaf­ Stümke, Hans-Georg. Homosexuelle in Deutsch­ ten in den evangelischen Kirchen Deutsch­ land. Eine politische Geschichte. lands. Ohne Jahreszahl. Kostenlose BesteJJung München 1989. bei der Geschäftsstelle der Bekenntnis­ bewegung "Kein anderes Evangelium", Tessina, Tina. In guten wie in schlechten Tagen. Werthstr. 49, W-5R80 Lüdenscheid. Anregungen für homosexuelle Paare. Hamburg 1991. Denkschrift zu Fragen der Sexualethik. Hrsgg.: von der Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche van der Geest, Hans. Verschwiegene und abgelehnte in Deutschland (EKD). Gütersloher Verlags­ Formen der Sexualität. Eine christliche Sicht. haus Gerd Mohn, Gütersloh 1971. (Kapitel XII. Theologischer Verlag. Zürich 1990. enthält eine Stellungnahme zum Thema Homosexualität.) Wiedemann, Hans-Georg. Homosexuelle in der Kirche - als Pfarrer? In: Theologia Practica, Diakonie und Homosexualität. Eine Handreichung Heft 3+4, 1982 S. 105-112 des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche von Westfalen. Mai 1985. Bezug über: Wiedemann, Hans Georg. Homosexuelle Liebe. Für Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche eine Neuorientierung in der christlichen Ethik. von Westfalen. Landesverband der Inneren Kreuz Verlag. Stuttgart und Berlin 1982. Mission e.V., Friesenring 34, W-4400 Münster.

7. Literaturhinweise 87 Erklärung der Kongregation für die Glaubenslehre zu Projekt "Farbe bekennen" einigen Fragen der Sexualethik. Rom 1975. Hrsg: Sekretariat der deutschen Bischofskonferenz. Membership, Ministry and Human Sexuality. A new Erscruenen in der Reihe: Verlautbarungen des Statement of The United Church of Canada Apostolischen Stuhls I, 1975. Bezug über: by the 32nd General Council. 1984. (Bezug des Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz. Originals und der deutschen Übersetzung bei Kaiserstr. 163,5300 Bonn 1. Projekt Farbe bekennen.)

Bericht der Kommission "Homosexualität und Orientierung zur Erziehung in der menschlichen Pfarrdienst" auf der Synode 1972. Evangelisch­ Liebe. Kongregation fiir das katholische Bildungs­ lutherische Kirche der Niederlande. wesen. 1. Dezember 1983. Hrsg.: Sekretariat der (Deutsche Übersetzung über Projekt Farbe Deutschen Bischofskonferenz, Kaiserstl'. 163, bekennen) 5300 Bonn 1.

Gedanken und Maßstäbe zum Dienst von Homophilen Richtlinien für die Seelsorge an homophilen Men­ in der Kirche. Eine Orientienmgshilfe. Texte der schen. 1979. Bezug über: Bistum Basel: VELKD 11/1980. Herausgeber: Lutherisches Pastoralstelle des Bistums Basel, Baselstr. 58, Kirchenamt der VELKD, Postfach 510 409, CH-4500 Solothurn. 3000 Hannover 51. Schreiben der Kongregation für die Glaubenslehre an Homosexualität . Lesben und Schwule· (K)ein die Bischöfe der katholischen Kirche über die Thema für Theologie und Seelsorge. Mitteilungen Seelsorge für homosexuelle Personen. der Evangelischen Landeskirche in Baden, 30. Oktober 1986. Hrsg.: Sekretariat der Heft 2/1992. Deutschen Bischofskonferenz, Kaiserstr. 163, W-5300 Bonn 1. Homosexuelle in der Kirche? Ein Text der Theologi­ schen Studienabteilung beim Bund der Sinn und Gestaltung menschlicher Sexualität. Hrsg.: Evangelischen Kirchen in der DDR. 1984. Gemeinsame Synode der Bistümer in der Hrsg. und Bezugsadresse: Aktion Bundesrepublik Deutschland. In: Offizielle Sühnezeichen/Friedensdienste, Jebenstr. 1, w­ Gesamtausgabe, Ergänzungsband: Arbeits­ 1000 Berlin 12 papiere der Sachkommissionen. Arbeitspapier: Menschliche Sexualität. Freiburg 1981, (Zur Homosexuelle Liebe. Arbeitspapier für rheinische Problematik der Homosexualität) S. 176-179. Gemeinden und Kirchenkreise. Hrsg.: Evangeli­ sche Kirche im Rheinland, Das Landes­ Stellungnahme des Offentlichkeitsausschusses der kirchenamt, Hans-Böcklerstr. 7, 4000 Düssel• Evangelischen Kirche im RheinIand zur dorf 30. (Auf der Landessynode 1992 entge­ Homosexualität. In: Kirche und gengenommenes Papier, zur Alphabetisierung Sexualstrafrecht. Kreuz Verlag. Stuttgart 1970. der rheinischen Gemeinden in Sachen S.65-100. Homosexualität.)

Kirche - Macht - Sexualität. Memorandum des Kontaktadresse: Bensberger Kreises. 1992 Ökumenische Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche (HuK) e. V. Leben im Bund mit Gott und den Menschen. Eine c/o Büro Seehausen & Sandberg Studie zum Thema Sexualität und zwischen­ Merseburger Str. 5 ··10823 Berlin menschliche Beziehungen. Im Auftrag der 6. ti' 030-789545 99· ~ 030-78711753 Vollversammlung des Ökumenischen Rates [email protected] . www.huk.org der Kirchen. Von Robin Smith. 1989. Teil 2.4: Homosexualität. Nicht authorisierte deutsche Übersetzung Christoph Kessler. Bezug über:

88 7. Literaturverzeichnis