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Aus der Rille

Frank Zappa (1940–1993) «Enfant Terrible» oder geniale Parodie des «American Way Of Life» Ein Beitrag von Thomas König

Wohl kaum ein Musiker, Komponist und Gesamtkünstler galt er zunächst als Aussenseiter, als des letzten Jahrhunderts war in so vielen unterschiedli- eher introvertiert und er hatte nur chen Musikstilen und Musikrichtungen verankert, wurde wenige Freunde. Aber bereits ab aber von seinen unzähligen Fans meist nur eindimensio- 1951 war sein Interesse für Musik nal wahrgenommen. Er war ein genialer musik-medialer geweckt, er hatte seinen ersten Auf- Multiakteur, ein politisch-gesellschaftlicher Provokateur tritt als Schlagzeuger in einer Schul- und ein kulturell besessener Workaholic mit enormer band. Er machte schon erste Kom- Reichweite. Wer hat den Überblick, oder wer kann über- positionen unter anderem für ein haupt seiner Gesamtpersönlichkeit gerecht werden? Hier Fahrrad als Schlagzeug. Als erste der Versuch einer Annäherung oder besser gesagt einer gebrauchte Schallplatte kaufte er ungefähren Gesamtschau aus der Optik eines Satelliten- sich «The Complete Works Of Ed- blicks, denn nur wenn man ihm nicht zu nah kommt, hat gar Varèse Vol. I» Besonders ange- man noch einigermassen den Gesamtfokus, auch wenn tan hatte es ihm das Stück «Ionisa- wohl die Würze und die Wahrheit seines Mysteriums im tion» – ein Werk für 13 Schlag- Detail liegen. zeuge. Er war von diesem Stück derart begeistert, dass er sich mit dem geschenkten Geld auf einen nächsten Geburtstag ein Fernge- spräch mit dem Komponisten Edgar Varèse wünschte, das er auch führen konnte!

In der Fussnote der Varèse-Plat- tenhülle wurden auch die Komponis- ten Béla Bartók, Igor Stravinsky und Anton Webern erwähnt, für die er sich umgehend ebenfalls zu interes- sieren begann. Er befasste sich als Teenager intensiv mit Musiktheorie und schrieb klassische Stücke für Or- chester. Es wurde bei ihm bereits dann zu seiner persistierenden Prä- ferenz, Musik für Orchester zu kom- ponieren. Eigentlich betrieb er von nun an andere musikalische Akti- vitäten primär um das nötige Klein- geld für seine eigentliche musikali- sche Leidenschaft zu erwirtschaften. Zum Geburtstag ein Telefongespräch mit Edgar Varèse Seine Leidenschaft kostete ihn aber und das ist nachhaltig teilweise sehr viel Geld. Mehrfach hat er in grossorchestrale Projekte in- Unzählige Facetten an multikulturellem Schaffen bestimmten das Leben vestiert, die nicht zu Stande kamen. des leider viel zu früh verstorbenen Bürgerschrecks, welcher am 21. De- Das lag auch an seinem Missver- zember 1940 in Baltimore (Maryland, USA) geboren wurde. Gemäss sei- ständnis über Orchester und deren ner Autobiografie (The Real Book von 1989) sind seine Vor- Musiker. «Das primäre Interesse ei- fahren sizilianischen, griechischen, arabischen und französischen Ur- nes Orchestermusikers ist seine sprungs. In seiner Schulzeit, die er in Lancaster (Kalifornien) verbrachte, Rente. Für die Musik interessieren sie

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Frank Zappa (1940–1993)

sich einen Scheiss», war eine seiner ein Konzert zu geben und drei Tage Von «The Blackouts» über Erkenntnisse aus der Zusammenar- Aufnahmen zu machen. Es kam «The Omen» und die erste beit mit Orchestern im Jahr 1976. nichts Gutes dabei heraus. Beim Filmmusik zum Studio Z. Vor allem die mangelnde Bereit- Konzert wurde ein Teil der Musiker schaft, neue Techniken zu lernen, die weggelassen; bei den Aufnahmen 1958 versuchte Frank Zappa nicht an einem Konservatorium ge- versuchte man mit verschiedenen di- erstmals mit Rock’n’roll-Bands seinen lehrt werden, frustrierte Frank. gitalen Bearbeitungen zu retten, Lebensunterhalt zu verdienen, da er «Wenn du einem Orchestermusiker was zu retten war. Alleine zum bereits von zu Hause ausgezogen ein neues Stück gibst, wird seine Stück «Strictly Genteel», einer Auf- war und auf eigenen Füssen zu ste- spontane Antwort sein: «Igitt!». Das nahme von knapp sieben Minuten, hen versuchte. Seine erste Band wurde ja von jemandem geschrie- meinte Frank: «Sie machten so viele hiess «The Blackouts» aus der später ben, der noch lebt.» Die Unbeweg- Fehler und spielten so schlecht bei «The Omen» wurde. Neben Gitarre lichkeit der Musiker, die Bürokratie, diesem Stück, dass wir 40 Schnitte und Schlagzeug lernte er auch Vi- die Gewerkschaften und die Rie- benötigten um das Gröbste zu ka- braphon, Orgel und Klavier zu spie- senkosten beschäftigten ihn perma- schieren. Wir verwendeten jeden len. So konnte er sich als Barpianist nent. Ständig drehten sich die Pro- verdammten Trick beim Mischen». seine kargen Einkommensquellen et- bleme um diese Bereiche, er schien Ihn störte in England speziell die was aufbessern. Nachdem er eine vehemente Frustrationstoleranz Bar, bzw. das Pub bei den Kon- 1959 zu dem Film «Run Home» und zu besitzen, denn er gab niemals zertsälen. Er meinte zum Desaster: 1962 zu «The World's Greatest Sin- auf. «Ich mache das aus zwei Grün- «Die Bar war gut bestückt und effek- ner» die Filmmusiken komponiert den: Erstens, weil ich die Musik tiv». Kein Wunder, dass er sich stark und eingespielt hatte, konnte er sich hören will, und zweitens, weil ich für Synthesizer, Musikcomputer und 1963 sein so genanntes Studio Z in bescheuert bin», meinte er dazu. das Synclavier-System interessierte Cucamonga leisten. In dieser Zeit Die Philharmoniker von Oslo willig- und als einer der Ersten kräftig zu spielte er in zahllosen lokalen ten ein, seine Kompositionen zu nutzen begann. Davon aber später Bands und schaffte sich auch als spielen, aber sie wollten nur zwei mehr… professioneller Produzent mit einer Tage proben; Zappa sagte ab. Die starken Affinität zu einer hohen Auf- Wiener Symphoniker planten eine Gehen wir zeitlich wieder zu- nahmequalität einen guten Namen. aufwändige Koproduktion mit Rund- rück: Ab 1955 erlernte er das Gi- Das Bürgertum im spiessigen Pro- funk, Fernsehen und der Stadt tarrenspiel. Damit war die Voraus- vinznest nahm aber die Aktivitäten Wien; als das Projekt von den Wie- setzung gegeben, um mit Rockmu- im und um das Studio Z mit Arg- nern abgesagt wurde, hatte Frank sik die benötigte materielle Basis für wohn war. Bald machte die Polizei schon über 100’000 Dollar inves- seine Interessen zu schaffen. das Studio Z infolge wahrgenomme- tiert. Auch mit einem holländischen ner Beischlafgeräusche und angebli- Orchester und einem privaten Pro- cher sexueller Perversio- jekt für ein Konzert am Lincoln Jazz nen dicht. Zappa wurde Center, das ja heute von Wynton zu zehn Tagen Haft verur- Marsalis geleitet wird, hat Frank teilt und erhielt zudem die weiteren Schiffbruch erlebt. «Kom- interessante Bewährungs- ponisten haben keine Gewerk- auflage, mit keiner unver- schaft», befand Zappa, «und die heirateten Frau unter 21 Musiker-Gewerkschaft macht ihnen Jahren in Kontakt zu tre- das Leben mit eingeschränkten Pro- ten, ausser in Anwesen- bezeiten etc. tatsächlich schwerer». heit eines Erziehungsbe- Noch einmal versuchte er es in Eng- rechtigten. Etwa zwei land mit dem London Symphony Or- Jahre später verkaufte chestra unter Kent Nagano. An- Frank das Studio Z in- fangs 1983 verzichtete das Orches- folge der verschiedenen ter auf einen Teil seiner Ferien und Querelen und zog nach war bereit 30 Stunden zu proben, Los Angeles.

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Frank Zappa (1940–1993)

Über den Underground zu den Mothers

1964 schloss er sich der Band Soul Giants an. Er war fasziniert vom Gitarrensound und der Spiel- weise von Johnny Guitar Watson und auch von Matt «Guitar» Mur- phy. Da sich Frank jedoch mehr und mehr mit seinen Kompositionen durchzusetzen begann und der ur- sprüngliche Soul-Stil der Band ver- schwand, nannte sich die Band neu «The Mothers». Frank wurde als Gitarrist der Band auch deren Chef. Ihre Musik zeichnete sich speziell durch ver- schiedene Beats und Breaks, so- wie ständigen Rhythmus- und Takt- wechsel aus. Beim Auftauchen neuer Stücke in den Hitparaden machten «The Mothers» schräge und entstellte Parodien daraus, die bei ihrem Publikum sehr gut anka- men. Diese provozierende Spielart Band in «» Mitmusikern eine sehr breit abge- der Mothers und ihr garstig-freaki- bestand, erreichte mit den guten Be- stützte Anhängerschaft, denen der ges Erscheinungsbild trugen zum stei- ziehungen zu den Radiostationen, Freejazz alleine oder auch die mo- genden Subkultur-Mythos und der Be- dass deren Musik dort viel gespielt derne E-Musik zu elitär und die gän- kanntheit im Underground bei. wurde. Mit ihrer Mischung aus gige Rockmusik mit ihren Allerwelts- Rock’n’roll der 50er-Jahre, zahlrei- texten zu abgedroschen und zu bie- Mit Verve zu «Freak Out» chen sozialkritischen Texten und viel der erschienen. Trotzdem mussten und zur eigenen Familie Gelächter und Gestöhn wurden die die «Mothers Of Invention» Ende «Mothers Of Invention» innert kür- der 60er-Jahre dicht machen. Es Nach einer Phase intensivster zester Zeit zur Kultband der Under- kam zu wenig Geld herein, die Un- Auftritte gelang 1966 mit dem ers- ground-Szene von Los Angeles. kosten von Franks Arbeitsweise wa- ten Doppelalbum in der Rockge- Und dank den erfolgreichen Platten ren enorm. 1969 heiratete Frank schichte der kommerzielle Durch- und geografisch immer weiter aus- Gail Sloatman, mit der er zwei bruch. «Freak Out» wird überra- gedehnten Tourneen begann sie zu- Söhne (Dweezil und Ahmet Redan) schenderweise vom renommierten nehmend an Bekanntheit zu gewin- und zwei Töchter (Moon Unit und Jazzlabel Verve herausgebracht. nen. In den nächsten drei Jahren er- Diva) hatte. Dort hat man die überragende Ge- schienen fünf weitere Schallplatten nialität von Frank Zappa früh er- der Band. Das musikalisch ver- oder der Auf- kannt. Der Jazz wird Frank auch mischte Konglomerat aus Elementen stieg vor dem Fall künftig immer begleiten. Legendär des Free-Jazz und Klangstrukturen ist sein Ausspruch über den Jazz: und Kompositionsprinzipien zeit- Sein erster Film «200 Motels» er- «Jazz is not dead, it just smells genössischer Komponisten – und schien 1971 nach nur kurzer Dreh- funny». Das Jazzlabel Verve, wel- das alles ummantelt von Rock- und zeit, und als Soundtrack ein Dop- ches aus kommerziellen Gründen Rock’n’roll-Musik – brachten Frank pelalbum dazu. Er handelt vom tur- auf einer Namensänderung der und seinen ständig wechselnden bulenten Leben einer Rockband in

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Frank Zappa (1940–1993)

diesen Jahren. Frank Zappa war Sein ganzes Gehabe war im Prin- für konnte man den Versuch des so- aber zu dieser Zeit auch wieder mit zip ein Auflehnen gegen die verlo- genannten PMRC (Parents Music einer Band unterwegs, auch in Eu- gene Moral der amerikanischen Resource Center) sehen, das sich ropa. Ich durfte ihn in London erst- Gesellschaft und erst recht gegen unter anderem für eine verstärkte mals live erleben. Als Konzert war deren Regierung, aber nie eine Ab- Zensur in der Musik einsetzte. Da- das Gebotene völlig anders als lehnung von Eigenschaften wie gegen protestierte Frank Zappa das, was ich aus dem Jazz oder Fleiss, Ausdauer, Engagement oder nicht nur persönlich beim damali- Rock kannte. Viele Stücke wirkten Begeisterung. gen amerikanischen Präsidenten Ro- improvisiert und trotzdem war ein nald Reagen oder in Kongress-Hea- klarer roter Faden erkennbar. Es Bei einem Auftritt mit dem «Lon- rings, sondern eben auch in seinen gab unheimlich anspruchsvolle Ar- don Rainbow Orchestra» wurde er Texten. Er attackierte hierbei be- rangements mit stark vertrackten von einem Zuschauer in den Büh- wusst alle gesellschaftlichen Sexual- Skalen und ständigen Rhythmus- nengraben gestossen. Dabei wurde Tabus mit möglichst vielen porno- wechseln. Das muss für die Mitmu- er schwer verletzt, war dann im Roll- grafischen Elementen und er zielte siker ein verdammt harter Job ge- stuhl unterwegs; zudem vertiefte mit seinen schmutzig-ordinären Tex- wesen sein. Für mich sind deshalb eine Kehlkopfverletzung seine ten bewusst auf den sittlichen Sau- auch die vielen Wechsel der Beset- Stimmlage dauerhaft. berkeitswahn, der ja speziell in den zungen besser verständlich. Es mit USA auf eine heuchlerische Art ge- diesem genialen Workaholic länger Etwas später, bei seinem legen- lebt wurde und leider heute noch durchzuhalten, war geradezu ein dären Auftritt am Jazzfestival in wird, die nicht einmal vom Vatikan Ding der Unmöglichkeit. Wenn Montreux, begann das alte Casino überboten werden kann. man heute weiss, dass er locker 15 zu brennen. Sowohl das Gebäude Stunden und mehr pro Tag musiziert wie auch die gesamte Musikanlage und komponiert hat und dabei im- der Band wurden ein Raub der mer mit dem guten Beispiel voran- Flammen. Musikalisch verewigt schritt, so macht dies erklärlicher, wird dieses denkwürdige Ereignis dass viele Mitmusiker diesen Ar- mit dem Stück der britischen Rock- beitsrhythmus nicht durchhielten. So band Deep Purple «Smoke On The hatte er manchmal fast parallel meh- Water». rere Bands. Die meisten Musiker brauchten immer wieder Auszeiten, Die verschiedenen Tatorte kamen aber nach Erholungsphasen des musikalischen Work- gerne wieder zu ihm zurück. Im Un- aholics terschied zur Szene pflegte Frank seine Mitmusiker mit einer Jahres- Ab Mitte der 70er-Jahre bildete gage zu bezahlen, was aber auch er für seine Bands verschiedene Line- bedeutete, dass sie dem Herrn und ups mit bekannten Musikern wie Die verschiedenen schlechten Er- Meister zur Verfügung stehen muss- beispielsweise , Ray fahrungen mit der Musikindustrie ten. Mit diesem eher kapitalistischen White, Mike Keneally und Ike Wil- veranlassten Zappa zur Gründung Grundsatz gelang es ihm aber sehr lis. Er selbst gastierte in dieser Zeit der Barking Bumkin Gesellschaft gut, die gewünschten Musiker zu als Gitarrist oder als Produzent un- und eines eigenen Versandhandels, verpflichten. Erstens war es eine ter anderem bei den Monkees, Fra- um die Kontrolle über die eigenen Auszeichnung, bei Frank zu spielen ternity Of Man oder auch bei John Produktionen zu behalten und sich und dazu zu gehören, und zweitens Lennon. 1986 spielte er einen Dro- von den gierigen und dubiosen Plat- war doch diese vorhandene materi- genhändler in der Krimi-Serie Miami tenfirmen unabhängiger zu ma- elle Sicherheit ein für viele Musiker Vice. chen. Zunächst unterstützte ihn im unbekannter, aber bald geschätzter Management des ganzen Geschäf- Zustand. Der Eindruck des flippigen Seit Mitte der 80er-Jahre nahm tes seine Frau Gail. Um dem boo- Hippies mit einem das bürgerliche seine immer schon vulgäre und sex- menden Bootleg-Geschäft den Gar- Leben ablehnenden Habitus bezogene Sprache eine noch ver- aus zu machen, griff er zu einem täuschte bei Frank Zappa gewaltig. schärftere Form an. Als Grund hier- genialen und einzigartigen Schach-

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Frank Zappa (1940–1993)

zug. Er überspielte kurzerhand die Nach dem Prost die Pros- Modern wieder orchestrale E- Mu- am meisten angebotenen Bootleg- tata und der viel zu frühe sik. Er, der nie ganz zufrieden sein aufnahmen zuerst auf LP und später Abgang konnte, meinte: «Ich habe nie eine auf CD und editierte zwei in ge- jederzeit so exakte Aufführung für wöhnlichem Karton hergestellte Bo- Nach diesen Feierlichkeiten diese Art von Musik erlebt, die ich xen («Beat The Boots» Vol.1+2) wel- überlegte sich Frank Zappa ernst- mache. Die Hingabe der Gruppe che den wertvollen Inhalt umhüllten. haft, aufgrund der für ihn kaum er- ist atemberaubend.» Das komplette Musikalisch tritt zu dieser Zeit die träglichen Missstände in der ameri- Ensemble Modern aus Frankfurt war Gitarre mehr und mehr in den Hin- kanischen Innen- und Aussenpolitik zuvor zwei Wochen zu Frank nach tergrund. Er sass jetzt tage- und für das Präsidentenamt zu kandidie- Los Angeles gereist, hatte zwei Wo- nächtelang hinter dieser neuen, mu- ren. Er war zum Beispiel auch Kultur- chen geprobt und erlebte so seine sikalisch multipotenten Höllenma- attaché der Tschechoslowakei unter Arbeitstechniken hautnah. Anschlies- schine namens Synclavier. Das Vaclav Havel. Was früher schon bei send gab es in Frankfurt, Berlin und «New England Digital Synclavier Musikern wie Louis Armstrong oder Wien sieben je 90-Minütige Kon- System» war ein mächtiges inte- Dizzy Gillespie diskutiert wurde, zerte mit 19 Stücken von Frank griertes Klangerzeugungs- und Mu- hatte bei Frank einen viel ernsteren Zappa. Der Erfolg beim Publikum sikproduktionssystem. In den 80er- und seriöseren Hintergrund: Er war enorm. Die produzierte CD Jahren wurden die Prinzipien der wollte das Schulsystem verbessern, wurde zu einem Meilenstein der Firma LED weiterentwickelt. Es konn- kämpfte für ein gerechteres Ge- Musikgeschichte. Ein neuer Weg für ten praktisch alle auf der Welt vor- sundheitssystem und war sowieso seine musikalische Zukunft war vor- handenen Geräusche, Musiktöne, für ein sozialeres und saubereres gespurt. Aber leider verlieren sich Tierlaute etc. gespeichert und ge- Land. Er hatte Kontakt zu Jimmy Car- die Spuren im Sand… Frank Zappa sampelt werden. So konnte Frank ter und später auch zu Al Gore. Er stirbt am 4. Dezember 1993 in Lau- sein musikalisches Expressionsspek- griff aber bei Missständen gnaden- rel Canyon, Kalifornien. trum gewaltig erweitern. Das Sys- los Politiker beider amerikanischer tem kostete am Schluss bis zu Lager an. Speziell attackierte er 400.000 $, konnte mit bis zu 32- «Dicky Tricky», also Präsident Ri- stimmigem Stereosampling reprodu- chard Nixon und später Präsident zieren und beinhaltete ein digitales Ronald Reagan. Leider erkrankte er 16-Spur-Harddisc-Recording-Sys- aber gegen Ende des Jahres 1991 tem. Konkurrent war Fairlight CMI. an einem spät diagnostizierten Gespielt wurde es am Schluss mit Prostatakrebs. In der folgenden Zeit einer anschlagsdynamischen 76er- erlebte er noch ein weiter steigen- Holztastatur. Anfangs der 90er- des Interesse sowohl an seiner Rock- Jahre verschwand das System wie- wie auch an seiner E-Musik. Für der infolge deutlich leistungsfähige- sein künstlerisches Schaffen, das bis rer und bedienungsfreundlicherer zu diesem Zeitpunkt über 60 veröf- Computer, welche bei diesen Instru- fentlichte Studio- und Live-Alben, so- menten zu einem extremen Preiszer- wie etliche Filme umfasste, wird Die W-Fragen geben zu fall führten. Nebst Frank Zappa ar- Zappa am 19. Februar 1992, wenig Antworten beiteten u.a. auch folgende Musi- schon arg gesundheitlich gezeich- ker und Gruppen mit dem Syncla- net, mit dem «Lifetime Achievement Natürlich kann man jetzt fragen, vier: , Genesis, Award» des «Los Angeles Music ob es an seiner Lebensweise lag, Michael Jackson, Kraftwerk, Pink Award» geehrt. Der Krebs schwäch- dass Zappa so früh gehen musste? Floyd, Sting und Stevie Wonder. te ihn jedoch so weit, dass er bei Zur Lebensweise nur so viel: Frank Die Alben «Francesco Zappa» und der Live-Aufführung seiner Komposi- war ein Kettenraucher «Smoking is «» wurden nur noch tion «Yellow Shark» mit dem Frank- eating for me» pflegte er zu sagen. mit dem Synclavier produziert. Für furter Ensemble Modern im Jahr Aber Alkohol und vor allem Drogen letztere Solo-Platte erhält er 1987 1993 das Dirigentenpult verlassen waren bei ihm kaum ein Thema. den Grammy für das beste Rock-Ins- musste. Der Kreis schliesst sich hier. Musiker mit Drogenproblemen oder trumentalalbum. Frank machte mit dem Ensemble exzessivem Alkoholgenuss waren

AAA-Bulletin Ausgabe Sommer & Herbst 2007 6 nicht lang bei ihm angestellt. Er lebte als Workaholic ist, möchte ich gerne einige Stichworte und persönliche immer etwas gestresst, trank viel Kaffee, ernährte sich Bemerkungen zu den aus meiner Sicht wichtigen Wer- aber sonst immer gesund. Er schlief sicher zu wenig ken Zappas aufführen. Die Auswahl ist rein subjektiv, und jettete bis zu seinem Krankheitsausbruch viel sie soll oder kann dem Zappa-Neuling vielleicht helfen herum. Zudem war er natürlich in seinen jüngeren Jah- auf den Geschmack zu kommen. ren sehr stark den Belastungen des Tourneelebens aus- gesetzt. Wie dem auch sei, sterben müssen wir be- kanntlich alle. Frustrierend ist in seinem Fall auch die «Man kann sich im Leben nur auf die Tritte Tatsache, dass es alleine für das Synclavier über 500 verlassen – alles andere ist ein Bonus!» Kompositionen gibt, die er nicht vollenden konnte. Das tönt von Frank Zappa geradezu pessimistisch. Posthum wird Zappa 1994 in die «Down Beat Cri- Gerne möchte ich an verschiedenen Platten stichwort- tics Hall Of Fame» aufgenommen, 1995 in die «Rock artig aufzeigen, wo er meiner Meinung nach Streichel- and Roll Hall of Fame». Seiner Familie hinterlässt er ein einheiten verdient hat und wo es sich lohnt reinzuhören. riesiges Privatarchiv mit Tausenden von Stunden an Ton- und Bildmaterial. Davon wird seit über 10 Jahren im- mer wieder etwas veröffentlicht. Die Exklusivrechte lie- gen vertraglich bei Rykodisc. Das ist die Firma, bei der Frank noch zu Lebzeiten praktisch alle seine Aufnah- men remastered hat und die seine Alben neu heraus- brachte. Einen Asteroiden bezeichnete man zu seinen Ehren mit «(3834) Zappafrank». In Deutschland, im Ostsee- badeort Bad Doberan findet seit 1990 jährlich die «Zappanale» statt, das grösste Zappa-Festival weltweit. Neben früheren Mitmusikern treten unzählige Zappa- Coverbands, zappaeske und von Zappa beeinflusste oder beeindruckte Musiker auf.

Auch in der Region Basel gibt es unter der Leitung von Dave Mundscheidt eine hervorragende Gruppe mit Namen «Fido», so benannt nach dem berühmten Hund, der wie ein roter Faden durch die Kompositio- nen von Frank zu Beginn der 70er-Jahre läuft, und der bei den Liveauftritten der Band mit George Duke immer präsent ist. Übrigens apropos Hund: Mein Hund, den Freak Out (1965) ich zu Hause bei meinen Eltern hatte (1972–82), eine Eines der ersten Konzeptalben der Rockgeschichte, Tee- herrliche Mischung von Berner Sennenhund, Deut- nagerschmalz paart sich mit Improvisationen, 12-minüti- schem Schäfer, Rottweiler und Ungarischem Hirten- ges Chaos bei «Return of the Son of Monster Magnet», hund, hiess, obwohl er ein Männchen war, Zappa. Doppel-LP mit nicht auf Harmonie bedachter Auflistung amerikanischer Nichtigkeiten, die mit einer Slapstick- Zappas Sohn Dweezil lässt die Kompositionen sei- Kanone zerstört wird. nes Vaters weiterleben. Er ist selbst ein hervorragender Gitarrist und hat mit dem Projekt «Zappa plays Zappa» (1966) im Sommer 2006 halb Europa wieder zappaverrückt Kabarettistische Persiflage in wesentlich kontrollierterer gemacht und vor allem eine neue Generation junger Form, auf «The Duke of Prunes» mit wildesten Jazzrock- Fans, die Frank Zappa noch nicht kannten, für die Mu- improvisationen, bei «Brown Shoes Don't Make It» geht sik seines Vaters sensibilisiert. es um sexuell gehemmte, fette Ratsherren, die sich nach In Berlin gibt es neu ab dem Sommer 2007 eine minderjährigen Mädchen sehnen. 400m lange Strasse, die nach Zappa benannt wird. Es gibt in dieser Strasse ein Gebäude, in dem mehr als We’re Only In It For The Money (1967) 100 Bands ihre Proberäume haben. Erstes Meisterwerk, Cover ist Nachbildung von Sgt. Anstelle einer kompletten Discografie, die am besten Pepper’s Cover der Beatles, er wurde aber von John unter «www.ottosell.de/zappa/disogr.htm» aufgeführt und Paul nicht belangt; Stücke gegen verhasste Spies-

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Frank Zappa (1940–1993) Waka Jawaka und The Grand Wazoo (1972) Neue Phase mit genialem und einflussreichem Rock- jazz, instrumentale Kapriolen auf höchstem Niveau, die serwirklichkeit, Vergackeierung der grassierenden Flo- Bläser versuchen auf «The Grand Wazoo» die fiktiven wer-Powerbewegung im Stück «Absolutely Free», Un- Stadtmauern zum Einstürzen zu bringen… freiheit der Welt entsteht aus einer prüden und verloge- nen Erziehung (Wilhelm Reich), ein wildes Kaleido- Overnite Sensation (1973) skop, hier trifft es zu. Der Jazzpianist George Duke bringt enorm viel Swing und Drive in die Band mit seinen Keyboards, es rockt (1967) enorm, «Dinah-Moe-Hum» beinahe schon pornografi- Keine Songs vorhanden, reines Konglomerat von Bub- sche Präsentation des Säfteaustausches, musikalische blegum-Rock, Schubiduh-Musik und schrägen Geräu- Ohrfeigen für prüde Zuhörer. «Camarillo Brillo», «Dirty scheffekten, ähnliche Hassliebe wie bei John Zorns Love» und «I'm The Slime» zielen alle unter die Gürtelli- Collagearbeiten. nie…, was für ein Album!

Ruben and the Jets (1967) (1974) Endlich ein kommerzielles Album, besteht ausschliess- Auf der ersten Seite wird musikalisch beschrieben, was lich aus Rock’n’Roll-Schmachtfetzen. Hundepisse in den Augen gestrauchelter Eskimos an- richten kann, «Don't Eat The Yellow Snow», besonders Uncle Meat (1969) wenn Sie sich mit den Robbenschlächtern anlegen, Basiert auf intendiertem Film, der erst Jahre später bizarre Texte mit unvergänglicher Musik, ein weiteres kommt, Urbesetzung der Mothers mit dem neuen Sa- tolles Stück ist «Stink Foot», da geht es um die Gerüche, xofonisten , ironische Reise durch die die entstehen, wenn Füsse nach Monaten aus Turn- Welt aus dem Blickwinkel eines fantasievollen jugend- schuhen befreit werden. Frank gelingt es hier gera- lichen Delinquenten. dezu, einen olfaktorischen Faktor in seine Musik zu bringen, man schaut sich beim Musikhören an und ist (1969) nicht sicher, ob hier stinkende Füsse im Raum sind, ge- Nächstes Meisterwerk, sehr geschlossen wirkendes radezu magisch! Jazzrockalbum, fast nur Instrumentals, fast alles neue Musiker; Gaststar: und die Violinis- Roxy & Elsewhere (1974) ten Jean-Luc Ponty und Sugar Cane Harris, Toptitel: «It Sehr feines Live-Doppelalbum, es gibt die sehr seltene Must Be a Camel». Urversion des Albums mit einem zusätzlichen Stück, welches infolge Zensur für die nächsten Pressungen und Weasels Rip- rausgeschnitten wurde, wichtigste Stücke sind: «Pen- ped My Flesh (1971) guin in Bondage»,« Cheepnis» und «Pygmy Twylyte» Zwei Alben nachgereicht mit Musik der alten Mothers, (Schreibweise in Ansätzen wie bei den späteren Rap- viele gute Gitarrensoli von Frank, geniale Stücke sind: pern), hier jodelt Napoleon Murphy Brook, dass sie im «Eric Dolphy Memorial Barbecue» und «My Guitar Berneroberland neidisch werden… Wants To Kill Your Mama». One Size Fits All (1975) Chunga's Revenge und Filmore East June Brock-Duke-Thompson-Besetzung läuft zur Hochform (1971) auf; endlose, aber feine Soli auf «Inca Rod», «Can’t Af- Neu dabei sind die Ausnahmekomiker und Sänger Flo ford No Shoes», die amerikanische Sozialpolitik lässt & Eddie ( und ), die mit grüssen, Johhny Guitar Watson schaut vorbei auf «San ihren anspruchsvollen Wortspielen die Zuhörer fordern Ber’dino» und «Andy», Frank läuft auf Deutsch zur und unterhalten. Hochform auf mit dem Stück «Sofa».

200 Motels (1971) (1976) Doppelalbum über das Tourneeleben einer Rockband – Mit Captain Beefheart feiert Frank auf seine Weise die es gibt auch einen Film davon – geniale Persiflage, 200-Jahrfeier der USA, auf «Muffin’Man» spielt sich Jimmy Carl Blacks Darstellung als «Lonesome Cowboy» Frank Knoten in seine Gitarrenfinger, eines seiner be- muss man gesehen haben. Ringo Starr spielt mit. sten Gitarrensoli ist hier auf Vinyl verewigt.

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Zoot Allures (1976) Joe’s Garage (1979) Neu mit dem Schlagzeuger Terry Bozio, quälendes, sa- Eine Fast-Rockoper in drei Teilen, wobei der erste Teil distisches «The Torture Never Stops», Frank fällt es im- eindeutig der beste ist. Böse Stücke wie «Catholic mer schwerer, sich in seinem gesellschaftlichen Korsett Girls» und «Crew Slut» werden von «Why Does it Hurt zu bewegen. When I Pee?» und dem «Stick It Out» auf Teil 2 noch pornografisch übertroffen, bei letzterem singt Frank wie- Live In New York (1977) der auf Deutsch, aber wenn ich es hier nicht schreibe, «Titties'n'Beer»: Frank versucht sich auf dem Niveau et- was er singt, müssen wir keinen Jugendschutz in unser welcher Rockfans zu bewegen. Bei «The Illinois Enema Heft einbauen. Hören ist ja nicht verboten… Bandit» geht es um authentische Klistierexzesse eines bösen Verbrechers; bei «The Purple Lagoon» klingen Shut Up’n Play Yer Guitar (1980) die Soli wie tuberkulös, so dass man gar nicht mehr ge- Reines Gitarrenalbum auf drei LPs: Hier zieht Frank alle sund werden möchte, dieses Stück gibt es in einer Sa- Register seines Könnens. turday Night Live Version mit einem John Belushi (aus Blues Brothers Film) als Samurai und Leiter der Band. Tinseltown Rebellion (1981) Tolles Doppelalbum mit dem Supergitarristen Steve Vai. (1978) Aus Restmaterial verschiedener Bands aus den 70er (1981) Jahren mit «Greggary Peccary» einer Art «Peter und der Liederreigen, der an alte Zeiten erinnert, «Harder Than Wolf»-Erzählung, Fortsetzung des älteren «Billy The Moun- Your Husband», «Gobelin Girl» und vor allem «Cone- tain» ab dem Album «Just Another Band from L.A.» head» zeigen alte Qualitäten.

Orchestral Favorites (1979) Ship Arriving Too Late To Save a Drowning Verschiedene Zappakompositionen, arrangiert für Low- Witch (1982) Budget-Orchester. Ein persönlicher Favorit, zuerst geht es um das Vergnü- gen einsamer Lastwagenfahrer, Zappas reizende Toch- Sleep Dirt (1979) ter Moon singt als «Valley Girl» einen herrlichen Unsinn, Mischung alter und neuer Bandmitglieder mit tollem «Drowning Witch» und «Teenage Prostitute» sind wie- Drive, erste Sahne ist «Regyptian Strut». der sozialkritische Meisterstücke.

Sheik Yerbouti (1979) The Man From Utopia (1983) Glanzstück der Bozzio/O`Hearn-Besetzung; «Bobby Hassgesang gegen kokainschnupfende Deppen, die Brown» wird zum Kassenschlager, ebenfalls «Dancing unser Leben bestimmen, absolute Kitschlieder wechseln Fool», wo sich Frank nach seinem Unfall über sich sich ab mit Jazzstücken, hier zupft Frank genial seine selbst lustig macht: «…one of my legs is too short…» sechs Saiten. das politisch inkorrekte «Jewish Princess» oder über die Homosexualität in «Broken Hearts Are For Assholes», (1984) dieses Album beeindruckt nachhaltig. Entsteht nach der Zusammenarbeit von Frank mit Pierre Boulez, beeinhaltet mit «Whipping Post» eine herzzer- reissende Allman-Brothres-Coverversion.

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