AGENCE ZOOM / GETTY IMAGES ZOOM AGENCE Olympiafavorit Miller: „Er macht Sachen, die andere nicht mal denken“

SKI ALPIN „Bin ich wahnsinnig?“ Olympiasieger und Ex-Weltmeister , 36, über Einsichten nach dem Karriereende und den „Glücksfall“ , das Verdrängen der Gefahr und die Last, den österreichischen Helden zu geben

SPIEGEL: Herr Eberharter, in zwei Monaten SPIEGEL: Ist er für die sieggewohn- beginnen in die Olympischen Win- te Skination Österreich eine Be- terspiele. Mit drei Medaillen, unter ande- drohung? rem Gold im Riesenslalom, waren Sie der Eberharter: Er ist ein Glücksfall für große Gewinner der Spiele 2002 in Salt den Skisport. Jeder, der Öster- Lake City. Haben Sie sich schon einen reich die Stirn bietet, ist ein Nachfolger ausgeguckt? Glücksfall. Eberharter: Einiges spricht für den Ameri- SPIEGEL: Oha, jetzt wird man Sie kaner Bode Miller. Wenn er sich die Leich- in Ihrer Heimat als Verräter be- tigkeit des vorigen Winters bewahrt, wird schimpfen. er nur schwer zu schlagen sein. Eberharter: Wir haben den besten SPIEGEL: Der amtierende Weltcupsieger Verband, die beste Struktur, die

verblüfft seit Jahren mit einem eher un- PRESS / ACTION JÜRGEN KIRSCHNER beste Förderung, es ist schwer, uns orthodoxen Fahrstil. abzuhängen. Aber: Wenn immer Eberharter: Man denkt bei ihm immer: Das Stephan Eberharter nur Österreich gewinnt, wird es kann nicht gut gehen. Aber das gehört zu gewann 29 Weltcup-Rennen, darunter bei allen Ab- gefährlich langweilig. seiner Einzigartigkeit. Er macht auf der fahrtsklassikern. Seine Karriere begann mit einem SPIEGEL: Es sei denn, zwei unter- Piste Sachen, die andere Rennläufer nicht Frühstart, als er 21-jährig bei der WM 1991 über- schiedliche Typen wie Sie und mal denken. Er ist immer bereit, an die raschend zwei Goldmedaillen holte. Zurückgeworfen treffen aufein- Grenze zu gehen. von Verletzungen, verlor der Zillertaler zunächst den ander. Ihre Rivalität mit dem SPIEGEL: Woher rührt Millers Stärke? Anschluss, stand dann lange im Schatten seines -Skihelden schlechthin war Eberharter: Bode ist ein Ausnahmekönner. Landsmannes Hermann Maier. Zum Star avancierte allerbeste Unterhaltung. Er besitzt ein irres Körpergefühl, spielt Eberharter erst 2002 mit dem Olympiasieg im Eberharter: Hat das Thema etwa hervorragend Fußball, Eishockey, Golf, er Riesenslalom und dem Weltcup-Gesamtsieg. Nach auch die Deutschen interessiert? kann sogar gut kegeln. So ein Bewegungs- WM-Gold 2003 im Super-G und der Verteidigung SPIEGEL: Natürlich. talent kann man sich nicht antrainieren, des Weltcups trat der Tiroler 2004 zurück. Eberharter: Dann haben wir ja ei- das hat man. nen guten Job gemacht.

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SPIEGEL: Im Duell mit dem „Herminator“ galten Sie über Jahre als der ewige Zweite. Eberharter: Hermann war lange der Besse- re. Das war nie mein Problem. Ich kann die Stärken anderer anerkennen. Aber ich kam mit seiner Art nicht so zurecht. SPIEGEL: Was störte Sie an ihm? Eberharter: Ich weiß noch, wie wir uns oft beim Essen gegenübersaßen und kein Wort miteinander redeten. Ich glaube, Maier lebte irgendwann in einer eigenen Welt. Wegen seiner Erfolge, seines Ruhms war er nicht mehr in der Lage, seine Umwelt zu betrachten, er nahm nur noch sich selbst wahr. Wenn er mal Dritter wurde, dann konnte er nicht sagen: Gut, die anderen waren heute besser. Nein, er sagte: Ich war heute nicht in Form. SPIEGEL: Sie sprechen in der Vergangen- heitsform – heißt das, Maier hat sich ge- ändert? Eberharter: Seit seinem schlimmen Motor- radunfall ist er anders. Ich glaube, er hat gemerkt, dass er auch nur ein Mensch ist.

Er ist heute nicht mehr so verbissen. Er PICTURE PEOPLE hat gelernt, dass es ein Geschenk ist, wenn Österreichischer Nationalheld Maier*: „Er nahm nur noch sich selbst wahr“ man so ein guter Skifahrer ist wie er, und dass es ihm nicht schadet, Kollegen zu re- Eberharter: Der Weltcup ist eine Plattform, Kunstschneepisten gefahren, auf denen ein spektieren. Er gefällt mir heute besser als die man nutzen kann. Jeder tut das auf sei- normaler Skiläufer nicht einen einzigen früher. ne Weise. Aber manchmal finde ich das ein- Schwung ziehen könnte, weil sie so hart SPIEGEL: Muss man ein Egoist sein, um so fach unpassend. Unser Rainer Schönfelder sind. Seither steigt die Zahl der Bänder- hoch zu kommen wie Sie oder Maier? beispielsweise macht es falsch. Das Kas- verletzungen. Man kann zwar mit einer Eberharter: Skirennläufer sind Einzel- perltheater, das der aufführt, kann keiner gewaltigen Oberschenkelmuskulatur die kämpfer. Natürlich muss man nur auf sich mehr sehen. Diese flippigen Klamotten, das Kräfte halten, die bei einer Fahrt durch schauen. Aber man muss den Kollegen wirkt alles aufgesetzt, als hätte ihm ein Ma- eine total vereiste Kurve entstehen – aber nicht gleich als Feind betrachten. Vor der nager geraten: Mach das, dann fällst du auf. dann reißen eben die Bänder. WM-Abfahrt 2003 in St. Moritz habe ich SPIEGEL: Hermann Maier brachte es mit SPIEGEL: Muss man, wie bei der Formel 1, auch mit und Bode Miller der Vermarktung seines Naturburschen- das Tempo drosseln? über die Ideallinie geredet – obwohl wir Images immerhin zum globalen Star und Eberharter: Es wird ja gebremst, indem bei alle um den Titel stritten. saß an der Seite von Landsmann Arnold Abfahrtsläufen langsamere Linien gesetzt SPIEGEL: Schon wieder ein Fall von Landes- Schwarzenegger in der US-Talkshow von werden. Führe man heute in Kitzbühel so verrat. Jay Leno. direkt auf die Mausefalle zu wie ein Franz Eberharter: Ich habe mir nie die Last auf- Eberharter: Ich bezweifle, dass es im Ski- Klammer 1975, würde man an die hundert erlegt, für meine Heimat siegen zu müssen. sport globale Stars, vergleichbar mit Mi- Meter weit fliegen. Das war mir im Prinzip immer wurscht. chael Schumacher oder , über- SPIEGEL: Sind Rennläufer Grenzgänger? SPIEGEL: Skiprofis gelten in Österreich als haupt gibt. Wo kommen denn Hermann Eberharter: Wer ganz oben mitspielen will, Nationalhelden. Wie konnten Sie sich von Maiers Sponsoren her? Aus Österreich. muss auch mal was riskieren. Man kann dem Erwartungsdruck befreien? SPIEGEL: Fehlt dem Skirennsport der inter- eine Kurve einen Meter enger fahren und Eberharter: Der österreichischen Seele ist nationale Markt? damit Zeit gewinnen, oder man lässt eine es herzlich egal, wer am Ende gewinnt. Ob Eberharter: So ist es. Amerika wäre eigent- Zehntelsekunde liegen, kommt dafür aber ein Maier, Strobl oder Eberharter Gold lich der Markt Nummer eins. Bode Miller sicher durch. Das ist die Entscheidung, die holt – Hauptsache, es gibt einen öster- müsste wegen seiner Erfolge in den USA jeder für sich zu treffen hat. Sie trennt Sie- reichischen Sieger. ein Held sein. Aber kaum jemand kennt ger von Verlierern. SPIEGEL: Im Gegensatz zu Hermann Maier ihn dort, weil Skilauf nur als Breitensport SPIEGEL: Denken Siegertypen auch mal an dauerte es bei Ihnen länger, bis die Fans wahrgenommen wird und Weltcup-Ren- die Gefahr? Sie akzeptierten. Die Medien beschrieben nen wie in Lake Louise oder Beaver Creek Eberharter: Sie dürfen es nicht. Als 2001 Sie als sperrigen Typen, der wenig von sich nicht mal live übertragen werden. Silvano Beltrametti in Val d’Isère stürzte preisgibt. SPIEGEL: Am Spektakel kann es nicht lie- und das Rennen für 70 Minuten unterbro- Eberharter: Wenn man in Österreich Renn- gen: Dank der Materialverbesserungen chen war, musste jedem klar sein: Er ist läufer ist, dann gehört dazu, dass jeder al- werden immer höhere Geschwindigkeiten lebensgefährlich verletzt. Man weiß aber les über dich weiß. Ich wollte mir immer erzielt. Heute erreichen Abfahrer Spitzen- auch: Die brechen das Rennen nicht ab. ein bisschen Privatsphäre bewahren. Zum geschwindigkeiten von bis zu 155 Stunden- Du bist am Start, du musst runter. Also Beispiel wer gerade meine Freundin ist. Es kilometern. Wann ist die Grenze erreicht? schiebt man den Gedanken an den Unfall gab Leute, die mir das übel genommen ha- Eberharter: Die Grenze ist der Mensch. Seit beiseite. ben, aber anders hätte ich nicht so lange Mitte der Neunziger wird nur noch auf SPIEGEL: Wie? dabei sein können. Eberharter: Indem man sich einredet: Der SPIEGEL: Inwiefern gehört mediale Insze- * Bei einer Werbeaktion im österreichischen Velden im Beltrametti hat einen Fehler gemacht. Des- nierung heute zum Geschäft? Juni 2004. halb ist er gestürzt. Ich aber mache keinen

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Fehler. Ich fahre einfach runter, ohne Pro- Eberharter: Überhaupt nicht. Es fiel mir bleme, weil ich das kann. schon im Laufe der gesamten Saison SPIEGEL: Beltrametti ist seither quer- 2003/2004 schwer, dem Rennsport jene Be- schnittsgelähmt, und Sie haben das Rennen deutung beizumessen, die notwendig ist, damals gewonnen. um vorn dabei zu sein. Es war eine Quäle- Eberharter: Danach hab ich mich gefragt: rei, vor allem im Training. Wie weit ich Bin ich wahnsinnig? Einer stirbt fast, und weg war vom Rennzirkus, merkte ich nach ich fahre runter, als sei nichts gewesen. dem letzten Rennen. Ich bekam die Kris- Wie sollen die Leute da draußen glauben, tallkugel für den Abfahrtsweltcup, aber dass Rennläufer normale Menschen sind? es bedeutete mir nichts. Das Einzige, was Die denken doch alle, wir sind gefühlskalt. mich froh machte, war das Gefühl: Es ist SPIEGEL: Und? Stimmt das? vorbei. Endlich. Eberharter: Nein. Als mein Mannschafts- SPIEGEL: Wie sehen Sie jetzt als Beobachter kollege Gernot Reinstadler 1991 in Wen- von außen die Zukunft des alpinen Ski- gen tödlich verunglückte, war das für sports? mich ein Schock. Ich war noch ein junger Eberharter: Wir brauchen mehr Helden. Rennläufer, wir hatten unsere WM-Vorbe- Und zwar nicht nur aus Österreich und reitung in Saalbach-Hinter- glemm, und ich wusste nicht, wie es um Gernot stand. Da- mals war gerade Krieg am Golf. Ich wollte beim Früh- stück wissen, was es Neues aus dem Irak gibt. Da sagte mein Trainer: „Ist doch egal heute, der Gernot ist tot.“ In den nächsten Tagen bekam ich bei jeder Trainingsfahrt das Flattern, ich sah ständig Fangnetze auf mich zu- kommen. SPIEGEL: Wie lernt man, die Angst zu beherrschen? Eberharter: Es dauert Jahre. Man beginnt schon als Kind, Selbstbewusstsein aufzubau- en, als junger Rennläufer tas-

tet man sich dann langsam PRESS / ACTION ULMER MARKUS an die Extremsituationen her- Olympiasieger Eberharter (2002): „Das totale Vertrauen“ an – bis man das totale Ver- trauen in das eigene Können hat. Jeder den USA, sondern auch aus Deutschland, muss diesen Prozess durchlaufen. Auch ich Italien, Frankreich, der Schweiz. Deshalb hatte vor meiner ersten Trainingsfahrt in muss der Weltverband reagieren. Er muss Kitzbühel noch ein Gefühl von Todes- Länder bei der Talentförderung unterstüt- angst … zen, die nicht so viel Geld haben. SPIEGEL: … und 13 Jahre danach machten SPIEGEL: Verliert der alpine Skisport sei- Sie auf der „Streif“ das Rennen Ihres nen Rang als Nummer eins im Winter? Lebens. Nach dem Sieg 2004 hieß es, Sie Eberharter: Sind wir noch die Nummer seien kontrolliert über dem Limit ge- eins? Ich glaube nicht. Der alpine Skilauf fahren. ist stark unter Druck. Vorige Saison war ich Eberharter: Das stimmt. Vor dem Rennen Co-Kommentator beim deutschen Fernse- war ich so voll gepumpt mit Adrenalin, hen, da haben die nach einer Übertragung dass ich dreimal innerhalb von 15 Minuten noch vor dem Interview mit dem Sieger auf die Toilette musste. Am Start fühlte ich zum Biathlon umgeschaltet. Das sagt doch mich aufgeladen wie eine Atombombe. Als alles über den aktuellen Stellenwert unse- ich auf die Hausbergkante zuraste, wusste res Sports. ich schon, dass bis dahin alles super lief. SPIEGEL: Haben Sie deshalb den Job beim Trotzdem entschloss ich mich, an dieser ZDF wieder niedergelegt, weil man sich Schlüsselstelle kurz vor dem Ziel eine ra- dort nicht so sehr für die Alpinen inter- dikalere Linie zu fahren. Es war ein Risiko, essiert? ich hätte die Kontrolle verlieren können, Eberharter: Entscheidender war, dass ich aber ich wollte Kitzbühel unbedingt noch mal einer der besten Skifahrer der Welt mal gewinnen. gewesen bin. Wenn ich jetzt mit einer SPIEGEL: Ein Selbstbeweis zum Karriere- Handkamera die Abfahrten runterfahren ende? müsste, um dem Fernsehpublikum zu er- Eberharter: Ich wollte etwas zurücklassen, klären, wo die kritischen Passagen sind, an das sich die Leute erinnern. käme ich mir seltsam vor. Ich glaube, ich SPIEGEL: Ist Ihnen der Abschied vom Welt- brauche noch Abstand. cup schwer gefallen? Interview: Gerhard Pfeil

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