6 Geschichtsforschung

Peter Fendrich und David Zechmeister Von als Oberamtsstadt abgelöst und politisch in der Diaspora gelandet, kämpf- Hundert Jahre Gröninger Zügle te Markgröningen rund 70 Jahre lang erfolglos um einen Bahnanschluss. Im Wettbewerb mit Rückblick zur Reaktivierung der Bahnstrecke Ludwigsburg – Markgröningen Bietigheim um die Trassierung der „Westbahn“ So lang sie dafür gekämpft hatten, so sehr liebten die Gröninger ihr „Zügle“ auf der vor hundert von Ludwigsburg nach Mühlacker hatte Mark- Jahren eingeweihten Strecke. Ver­geblich protestierten sie 1975 gegen die Ein­­stellung des Personen- gröningen um 1850 trotz günstigerer geogra- verkehrs und wollten sich auch weiterhin nicht damit abfinden. Dass die Stilllegung selbst aus rein phischer Voraussetzungen jedoch das Nach- wirtschaftlicher Sicht ein Fehler war, belegen etliche Untersuchungen. Die Gutachter errechneten alle sehen. Die von Projektleiter Karl Etzel anfangs einen weit und breit uner­reichten ­Kosten-Nutzen-Faktor. So schien die Reaktivierung 1995 bereits auf vorgeschlagene Trassierung durch das Leudels- gutem Wege – und geriet wegen unterschiedlicher Interessen doch auf die lange Bank ... bachtal wäre kürzer gewesen, hätte einen bahn- gerechten sanften Abstieg ins Enztal ermög- licht und keinen teuren Viadukt wie in Bietig- heim erfordert. Kein Wunder, dass die über- gangenen Gröninger „Vetterleswirtschaft“ im Spiel sahen. Tatsächlich war man in Bietigheim bereit, für die Mehrkosten aufzukommen, und stell­te damit die Weichen für einen zukunfts- trächtigen Bahnknoten.

Nebenstrecke mit Eigenbeteiligung Um der Stagnation zu entgehen und um der rückläufigen Bevölkerungsentwicklung zu be- gegnen, ließ der Markgröninger Magistrat um 1890 eine Stichbahn von Asperg nach Mark- gröningen projektieren, erhielt dafür aber kei- ne Genehmigung. Schließlich stellte das „Ko- mitee für Erbauung einer Bahn Ludwigsburg – Vaihingen a. d. E.“ am 1. März 1898 einen An- trag an die Hohe Ständeversammlung in Stutt- gart, eine Schmalspurbahn von Ludwigsburg über Eglosheim, Asperg, Markgröningen, Un- ter- und Oberriexingen, Enzweihingen, Vai- Bild: Nachlass Bräckle Nachlass Bild: hingen an der nach Sersheim mit einer Markgröninger Bahnhofspersonal um Johannes Schöll vor der Lok 1406 der 1916 bis 1918 von der Maschinenfabrik Abzweigung von Enzweihingen über Riet nach Esslingen hergestellten Baureihe T6 (DR-Baureihe 92.0). Auf der Lok stehen zwei Rangierer, Lokführer und Heizer Eberdingen zu bauen. Beigelegt waren ein Kos- Geschichtsforschung 7 Quelle: Stadtarchiv MG, M01, Bü 76

Karte der 1898 projektierten Schmalspurbahn Ludwigsburg – Vaihingen an der Enz entlang , Oberriexingen und Enzweihingen und einem Abzweig von Enzweihingen von Riedbach, Leudelsbach und Enz mit Bahnhöfen in Eglosheim, Asperg, Markgröningen, durchs Strudelbachtal nach Riet und Eberdingen Bild: Wolf-Peter Ebeling

Rolf Müllers originalgetreues Modell vom „Gröninger Zügle” mit einer Lokomotive der würt- tembergischen Wagengarnitur aus Packwagen und drei Plattformwagen war die Attraktion tembergischen Baureihe Tn (ab 1925 bei der Reichsbahn 94.1) und einer zweiachsigen würt- der Ausstellung des AGD-Arbeitskreises Museum 1987 8 Geschichtsforschung

tenvoranschlag über 1.649.000 Mark, eine de- taillierte Rentabilitätsberechnung, die die er- hofften Betriebseinnahmen im Personen-, Gü- ter-, Wagenladungs- und Viehverkehr den er- warteten Betriebsausgaben gegenüberstellte, sowie ein Lageplan der projektierten Strecke entlang von Riedbach, Leudelsbach und Enz. Der Markgröninger Bahnhof war oberhalb der Ölmühle an der Tammer Straße vorgesehen. Nachdem dieser Antrag abgelehnt worden war, beantragten die Kommunen Ludwigsburg, Möglingen und Markgröningen am 23. April

Bild: Haus der Geschichte BW 1908 den Bau einer normalspurigen Staatsbahn (1435 mm) von Ludwigsburg über Möglingen Ludwigsburger Bahnhof 1910 von Süden. Zwischen den Gleisen der Zichorienfabrik Heinrich Franck & Söhne (links) und der Hauptstrecke (rechts) wurde das Gleis der Stichbahn nach Markgröningen eingefädelt nach Markgröningen. Um die „Hohe Königli- che Staatsregierung“ und die „Hohe Ständever- sammlung“ für das Vorhaben zu gewinnen, er- klärten sich die beteiligten Kommunen bereit, für die Staatsbahn den Grund zu erwerben, die Strom- und Wasserversorgung der Bahn- höfe zu finanzieren und pro Kilometer zu- sätzlich einen Baukostenzuschuss von 10.000 Mark einzubringen. Dieser Antrag wurde ge- nehmigt und ab Mai 1914 von der Ludwigsbur- ger Bausektion umgesetzt. Vom Ludwigsburger Bahnhof verlief die 8,35 Kilometer lange Stre- cke etwa einen Kilometer entlang der Nord- bahn genannten Hauptstrecke, um dann in südwestliche Richtung zu verschwenken. Nach 2,5 Kilometern erreichte man bereits den Hal- tepunkt am Osterholz, nach 5,5 Kilometern die „Station“ in Möglingen nordwestlich vom Orts- kern. Ab hier verlief die Strecke in nordwest- licher Richtung. Der Markgröninger Bahnhof Bild: Postkarte, Fundus Zechmeister Postkarte, Fundus Bild: wurde etwa einen Kilometer östlich vom Stadt- Markgröninger Bahnhofsgebäude mit einem Bauwagen kurz vor der Inbetriebnahme am 4. Dezember 1916 kern an der Asperger Straße platziert, um eine Geschichtsforschung 9

Verlängerung im Norden der Stadt für die Die Kosten lagen bei 405.000 Mark für weiterhin angestrebte Durchbindung nach den Grunderwerb und 1.475 Millionen Mark Enz­weihingen offenzuhalten. Die vorgesehe- für den Bau der Trasse mit einer maximalen ne Strecke nach Unterriexingen am Hang des Steigung von 17 Promille und einem minima- Leudelsbachtals entlang soll im schwierigen­ len Kurvenradius von 300 Metern. Zusteige- Gewann Hörnle bereits ausgesteckt gewesen möglichkeiten gab es an der Station Möglin- sein. Die Verlängerung wurde kriegsbedingt gen und am Haltepunkt Osterholz, die nur mit aber nicht weiterverfolgt und danach trotz einem Durchfahrtsgleis versehen waren. Die teilweise erfolgten Grunderwerbs aufgegeben. ersten Züge verkehrten mit lediglich drei Per- Nach einer längeren Unterbrechung infol- sonenwagen vierter Klasse, weil es wegen der ge des Kriegsbeginns konnte der aus Pfaffen- zahlreichen Truppentransporte an verfügbaren hofen hierher versetzte Bahnhofsvorstand Jo- Waggons mangelte. Für die zahlreichen Mark- hannes Schöll am 4. Dezember 1916 den 174. gröninger Berufspendler, die sich bislang früh- Bauabschnitt der Königlich Württembergi- morgens zum gemeinsamen Marsch zum As- schen Staats-Eisenbahnen in Betrieb nehmen. perger Bahnhof trafen, war das Zügle eine gro- Obwohl die Gröninger so lange für einen Bahn- ße Erleichterung. Manche fuhren nun sogar anschluss gekämpft hatten, verzichtete man we- zur Mittagspause nach Hause. gen der inzwischen deutlich spürbaren Auswir- Der Postkutschen-Pendelverkehr zwischen kungen des Krieges auf eine Einweihungsfeier. Markgröningen und dem Asperger Bahnhof Zechmeister David Bild: Eine kurze Rede Schölls vor der ersten regulä- wurde bereits am Wochenende nach der Auf- Der mit einem Anbau versehene Lokschuppen am Ostende ren Abfahrt in Markgröningen war alles. nahme des Bahnbetriebs eingestellt. Auf ihrer des Bahnhofs wurde 2014 abgerissen Bild: Nachlass Bräckle Nachlass Bild: Wikimedia Kjunix, Bild:

Geschmückte Postkutsche auf der letzten Fahrt zum Asperger Bahnhof Württembergische T5, bei der Reichsbahn Baureihe 75.0, Herstellerbild von 1910 10 Geschichtsforschung Bild: Elsbeth Sieb Elsbeth Bild: Zechmeister Fundus Dobbrick, Quelle: E. Bild:

Die Kinder hatten sich zur Abholung des Landrats am Bahnhof eingefunden (Schäferlauf Im Westflügel des Empfangsgebäudes war die Bahnhofswirtschaft untergebracht. Deren 1932). Im Hintergrund grenzt das Toilettenhäuschen an das Empfangsgebäude erste Wirtin war sich selbst der beste Gast. 1935 wurde sie von Maria Ritter abgelöst Quelle: Fundus Zechmeister Fundus Quelle: Quelle: Wilfried Ritter Wilfried Quelle:

Straßen- und Gleisseite des Lagerhauses der Genossenschaft LABAG: in den 1920er Jahren erstellt, 2010 abgerissen Maria Ritter und Söhne vor ihrer Wirtschaft Geschichtsforschung 11

letzten Fahrt am 10. Dezember 1916 war die legte und den gesamten Gebäudekomplex im März schen Staats-Eisenbahnen besiegelt. Durch ei­ stets mit Kutscher und Postillon Ziegler be- 2010 komplett abbrechen ließ. nen Staatsvertrag zwischen Reich und Ländern setzte zweispännige Postkutsche mit Fahnen gingen die Staatsbahnen von Württemberg, Ba- und Reisig geschmückt. Die Bahnhofswirtschaft den, Bayern, Preußen, Sachsen, Mecklenburg Im Westflügel des Empfangsgebäudes war die und Oldenburg in der zum 1. April 1920 ge- Weitere Gebäude im Bahnhofsareal Bahnhofswirtschaft untergebracht. Deren ers- gründeten Reichsbahn auf. Damit erhielten die Im Markgröninger Bahnhof wurden in den Folge- te Wirtin soll selbst der beste Gast gewesen auf der Strecke Ludwigsburg – Markgröningen jahren weitere Gebäude erstellt: nordöstlich vom sein und hielt trotzdem bis 1935 durch. Ab- eingesetzten Tender-Lokomotiven neue Be- Empfangsgebäude ein eingleisiger Lokschuppen gelöst wurde sie von Maria Ritter, die im Ei- zeichnungen. Die ab 1910 von der Maschinen- mit Anbau, westlich ein Toi­lettenhaus, nordwest- senbahnerhaus wohnte und die Wirtschaft bis fabrik Esslingen gebaute T5 wurde fortan als lich jenseits der Gleise ein Eisenbahner-Wohn- 1953 führte. Danach baute sie die Bundesbahn Baureihe 75.0 geführt, die ab 1916 gebaute T6 haus am Maulbronner Weg. Vis-à-vis vom Bahn- zur Übernachtungsstelle um. Das Zugperso- als BR 92.0. Sie wurde nach dem Zweiten Welt- hofsgebäude erstellte die Landwirtschaftliche­ Be- nal des letzten eingehenden Zügles schlief hier, krieg durch die Baureihe 94.1 (ehemals württ. zugs- und Absatz-Genossenschaft ­(LABAG) ei- um dann mit dem Frühzug wieder loszufahren. Tn) als Stammlokomotive abgelöst. Die letzte nen Schuppen und ein großes Lagerhaus. Dessen Wegen der langen „Vorglühzeit“ einer Dampf- hier eingesetzte T6 steht heute im Europapark Laderampe zur Gleisseite lag eine Etage höher als lok blieb dem Heizer nicht viel Schlaf. Rust. Alle Loks wurden im Betriebswerk Korn- die zur Straße an der Nordseite. Nachfolge-Ge- westheim gewartet. Personenzüge bestanden in sellschaften wurden die WÜWA, die WLZ, die Reichsbahnbetrieb von 1920 bis 1949 der Regel aus einer zweiachsigen württember- es durch einen großen Silobau ergänzte, und Mit der neuen Verfassung von 1919 wurde das gischen Wagengarnitur aus drei Plattformwa- schließlich die BayWa, die die Dependance still- Ende der ehemals Königlich Württembergi- gen und einem Packwagen für Stückgut. Bild: Brooksbank, Wikimedia Bild: Quelle: Nachlass Eckart Nachlass Quelle:

Eine württembergische T n (BR 94.1) wurde von 1946 bis 1962 zur hiesigen Stammlokomotive Ausflugsgruppe vor Plattformwagen der Länderbahn-Garnitur (bis 1962) 12 Geschichtsforschung

Bauaufnahme des Bahnhofs­ gebäudes anlässlich des Einbaus eines Luftschutz­ kellers im November 1941. Die hier projektierte Verlängerung des Güter- schuppens auf der Rampe (im Aufriss mit weißem Dach) wurde nie realisiert. Bilder: Reichsbahndirektion Stuttgart Quellen: Staatsarchiv LB Geschichtsforschung 13

Der erste Markgröninger Bahnhofsvor- stand Johannes Schöll wechselte 1925 in den Ruhestand und wurde von Fritz Eitel abgelöst, der jedoch 1933 krankheitsbedingt in Frühren- te ging. Das war die Chance für Schölls Sohn

Hermann, der bislang Fahrdienstleiter zwi- Wild Nachlass Bild: schen Asperg und Tamm war. Trotz Bedenken­ Von Tieffliegern attackierte und ausgebrannte Waggons, im März 1945 abgestellt im Bahnhof Markgröningen wegen seines geringen Alters von 33 Jahren war seine Bewerbung schließlich erfolgreich. 1942 wurde im Untergeschoss des Bahn- hofsgebäudes ein Luftschutzraum eingebaut. Der Plan, den Güterschuppen zu verlängern, wurde nicht realisiert. 1944 fuhren werktags zwischen 5:02 und 0:00 Uhr zwölf reguläre Personenzüge mit Waggons der 3. Klasse in Markgröningen ab. Bis Ludwigsburg waren PKJS, Wikipedia Quelle: sie inklusive zweier Zwischenhalte in Möglin- Fahrplan der Strecke 315c von 1944: von Markgröningen 12 mal pro Werktag in 19 Minuten nach Ludwigsburg gen und am Osterholz 19 Minuten unterwegs. Am 13. März 1945 bombardierten französi- sche Jagdflieger die Lok des aus Markgrönin- gen ausfahrenden Feierabend-Zugs und nah- men die Passagiere unter Beschuss. Es gab 24 Tote, darunter das vierköpfige Zugpersonal, und rund 50 Verletzte, vor allem Beschäftigte der nach Markgröningen ausgelagerten Pro- duktionsstätten von Krone und Porsche sowie einige russische Kriegsgefangene. Wenn die Gattin des Bahnhofsvorstands über ihrer Gar- tenarbeit nicht versäumt hätte, Schöll rechtzei- tig zu wecken, wäre er wohl unter den Opfern gewesen, weil er mit dem Zug zum Bahnschutz nach Kornwestheim hätte fahren müssen. Kurz bevor die Franzosen hier einmar- schierten, verbrannte Familie Schöll hastig al- Bild: Foto Röckle, Quelle: BUND les, was kompromittierend erschien, darunter viele Bahnhofsakten. Rampe, Güterschuppen, Empfangsgebäude, Toilettenhaus und ein langer Bahnsteig 14 Geschichtsforschung

Bundesbahnbetrieb von 1949 bis 1975 Nach dem Zweiten Weltkrieg fuhren die Reichsbahner unter alliierter Aufsicht. Die im September 1949 gegründete Deutsche Bundes- bahn benannte die vormalige Kursbuchstrecke 315 c in 320 h und später in 773 um. 1954 wurde Hermann Schöll befördert und nach Ludwigs- burg beordert. Neuer Bahnhofsvorstand wur-

Bild: Carl Bellingrodt, Quelle Rolf Müller de Kurt Häußermann, der 1961 krankheitsbe- dingt ausschied. Als das Gröninger Zügle 1962 Das Gröninger Zügle, eine T5 mit einer einst königl. württ. Länderbahn-Wagengarnitur, war bis 1962 im Einsatz abgelöst wurde, wirkte die aus einer T5 (Nr. 75.055), drei Plattform- und einem Packwagen be­stehende Standardformation längst wie ein Museumszug und galt mit ihrem aus- schließlich württem­

„A Billetle send S‘ so guat.“

Quelle: Fundus Zechmeister Fundus Quelle: Quelle: Nachlass Fendrich

Fahrplan der Kursbuchstrecke 320 h von 1958 (1944: 315c) mit nur noch acht Zügen pro Werktag (Fahrzeit: 19 min.) Bild: David Zechmeister David Bild: Quelle: Fundus Zechmeister Fundus Quelle:

Diesellok V 100 mit alter Wagengarnitur. Üblich waren zuletzt zwei bis drei Silberlinge RBS-Busse 1998 am Markgröninger Bahnhof, der ab 1975 als Bus-Depot diente Geschichtsforschung 15

bergischen Roll­material als Inbegriff der viel Zuschlag, das originär im Bauzustand erhalte- Busfahrer. Der Rangierraum diente weiterhin besungenen „Schwäbischen Eisenbahn“. An- ne Empfangsgebäude auszuschlachten, nach- zur Abwicklung des Güterverkehrs. schließend setzte die DB meist eine Diesellok dem die DB den regulären Personenverkehr am Im Herbst 1987 präsentierte der Arbeits- V 100 (BR 212) mit zwei oder drei „Silberlingen“ 28. September 1975 trotz damals stark wachsen- kreis Museum des AGD unterstützt durch (n-Wagen) ein. der Bevölkerung in Möglingen und Markgrö- Sammler wie Rolf Müller in der Zehntscheuer Bereits in den 1950er Jahren reduzierte die ningen eingestellt hatte. Vergeblich hatten die eine Ausstellung zur Geschichte der Bahnstre- Bundesbahn den Personenverkehr und setz- damals über 1000 Pendler vereint mit Gemein- cke im Kontext mit benachbarten Schienen- te zunehmend auf Busse. Die Bus-Lizenz hatte derat und Stadtverwaltung eingefordert, dass projekten ab 1836. die DB von dem Unterriexinger Fuhrunterneh- ihr „Zügle” weiterfahren solle. Die Bedienung mer Richard Bangerter erworben. So fuhren in der als Nr. 4831 geführten Bahnlinie wurde auf Sonderzüge zum Schäferlauf den 1970er Jahren nur noch wenige Personen- Bahnbusse umgestellt, die nach der 1993 erfolg- Zusammen mit der Initiative Pro Ermstal- züge. Bahnhofsvorstand Bruno Richter, seit ten Bahnprivatisierung von der Regional Bus bahn organisierte der Ortsverband Markgrö- 1961 im Amt und im Empfangsgebäude wohn- Stuttgart GmbH (RBS) übernommen wurden. ningen des Bund für Umwelt und Naturschutz haft, wurde 1971 befördert und in die Bundes- Die RBS nutzte die frühere Bahnhofswirtschaft (BUND) im Juni 1987 erstmals einen Sonder- bahndirektion Stuttgart versetzt. Seine ehema- noch einige Jahre als örtliche Basis für ihre zugverkehr zum Uracher Schäferlauf. Obwohl lige Stelle wurde nicht wiederbe- setzt. Der hiesige Bahnhof wurde 1960 kostete Im Juni 1987 charterten der BUND-Ortsverband und die erst von Ludwigsburg und zuletzt ein Fahrschein Initiative Pro Ermstalbahn erstmals einen Sonderzug von Bietigheim aus geleitet. Von fürs Gröninger zum Uracher Schäferlauf mit einer Diesellok V 100 Zügle 1,60 Mark (212.247-1) und vier Silberlingen der DB. Die Nachfrage dort bekamen „Bahnliebhaber“ Quelle: Nachlass übertraf alle Erwartungen laut Zeitzeuge Jürgen Richter den Fendrich Bilder: Ulrich Bez und Rolf Müller 16 Geschichtsforschung Bilder: Hilde Fendrich Hilde Bilder:

1991 beim Bahnjubiläum eingesetzter NE81-Steuerwagen VS 220 der WEG Podiumsdiskussion von SPNV-Experten mit BUND-Vertretern beim Bahnhofsfest

vier „Silberlinge“ im Einsatz waren, war der war großartig. Die eingeladenen Abgeordneten, Zug auf der Hinfahrt laut Bahnpolizei zu 200 Kreis- und Gemeinderäte sollten für eine Re- Prozent überbesetzt, weshalb sie ab Metzingen aktivierung des Personenverkehrs mittels der niemanden mehr zusteigen ließ. Bis zur Rück- von der Württembergischen Eisenbahn-Gesell- fahrt pendelte der Zug zwischen Urach und schaft (WEG) vorgeführten NE 81-Dieseltrieb- Metzingen. In den folgenden Jahren wurden wagengarnitur gewonnen werden. WEG-Chef weitere Sonderzüge jeweils zu den Schäferläu- Manfred Aschpalt bekundete großes Interesse fen in Bad Urach und Markgröningen mit ört- an der Wiederaufnahme des Personenverkehrs, lichem Pendelverkehr zwischen der An- und sofern Kreis und Kommunen als Besteller zu- Abreise eingesetzt. sammenfänden. Bürgermeister Rudolf Kürner versicherte, er werde sich von Gegnern nicht Bahnreaktivierung in Sichtweite? beeindrucken lassen: „Ich werde mich hartnä- Zum 75-jährigen Jubiläum der Bahnstrecke ckig für eine Wiederaufnahme des personen- verknüpfte der BUND-Kreisverband Ludwigs- bezogenen Schienenverkehrs einsetzen.” burg seinen Naturschutztag am 15. und 16. Juni Am 15. November 1995 wurde auf Kosten 1991 mit einem Nahverkehrsforum und einem des Herstellers ein neu entwickelter Nieder- Bahnhofsfest, das der BUND-Ortsverband mit flurtriebwagen des Typs Regio-Sprinter von tatkräftiger Unterstützung des Stadtverbands der Rurtalbahn überführt, um ihn der hiesi- für Leibesübungen und des Kulturrings ver- gen Bevölkerung und den Entscheidern über anstaltete. Die Resonanz in der Bevölkerung eine Reaktivierung nahezubringen. Kommu- Geschichtsforschung 17

Beschaffung von sieben Triebwagengarnitu- ren für einen Viertelstundentakt in der Haupt- verkehrszeit und eine maximale Fahrtdauer von 14 Minuten (11 min. schneller als der Bus). Trotz der hohen Investitionen von 25,1 Millio- nen Mark erzielte der projektierte Bahnbetrieb auf der ausgebauten Strecke einen außerge- wöhnlich guten Kosten-Nutzen-Faktor von 6,0. Dieser Wert war dreimal besser als der für den Ausbau des Busnetzes errechnete Faktor 2,2. Das ließ die Markgröninger 1996 hoffen, dass die Reaktivierung alsbald in Angriff genom- men werde. In Möglingen hingegen dämpften Bild: Rolf Müller viele Skeptiker und Lärmbelästigung fürchten- Abholung des Landrats am Sonderzug. 1995 war eine Triebwagengarnitur vom Typ 628/928 der DB im Einsatz de Anwohner die Aufbruchstimmung. Am 20.

nalpolitiker und zahlreiche interessierte Bür- Zuvor war das Ingenieurbüro Brenner & ger konnten sich auf Gratis-Probefahrten nach Münnich beauftragt worden, ein Wirtschaft- Ludwigs­burg und zurück selbst ein Bild vom lichkeitsgutachten zu erstellen. Zur Berech- möglichen Schienennahverkehr der Zukunft nungsgrundlage zählten ein zweigleisiger Ab- machen. Der Andrang war allerdings so groß, schnitt in Möglingen, zusätzliche Halte an der dass sich einige mit der Besichtigung des ste- Möglinger Daimlerstraße, am Osterholz so- henden Zuges begnügen mussten. wie an der Talallee in Ludwigsburg und die Bild: Peter Fendrich Peter Bild:

1995 präsentierte Siemens den neu entwickelten Niederflur-Dieseltriebwagen RegioSprinter von der Rurtalbahn 18 Geschichtsforschung

lingen großer Beliebtheit. Zuletzt wurden mo- derne Dieseltriebwagen vom Typ Regio-Shut- tle eingesetzt. Die letzten Sonderzüge verkehr- ten am 24. und 25. August 2002. Nach einer Trafo-Überführung am 11. August 2003 erklär- te die Bahn die Strecke für unbefahrbar, wo- mit die Zugbestellung für den Schäferlauf 2003 hinfällig wurde. Seither wird der reguläre Bus- fahrplan an den beiden Haupttagen des Schä- ferlaufs um einige Sonderbusse ergänzt.

Bild: Uwe Schnell Uwe Bild: Güterverkehr Letzte Sonderfahrten zum Schäferlauf 2002 mit dem Regio-Shuttle (VT 414 und VT 416) der WEG Bis in die 1960er Jahre war die Bahnstrecke die Lebensader der Markgröninger Wirtschaft. Juli 2000 stimmte der Möglinger Gemeinderat Den alljährlich zum Markgröninger Schä- Zweimal täglich um 11 Uhr und um 15 Uhr roll- schließlich gegen eine Reaktivierung „zum jet- ferlauf vom BUND durchgeführten Pendelver- ten Güterzüge in den Bahnhof und sorgten für zigen Zeitpunkt”. Die darauf vom BUND-Orts- kehr zwischen Ludwigsburg und Markgrönin- rege Betriebsamkeit, wie Ruth Baur, die Toch- verband vorgeschlagene „Schmalspurvariante” gen übernahm 1992 die Stadtverwaltung Mark- ter von Bahnhofsvorstand Hermann Schöll, blieb unberücksichtigt. Diese sah eine Direkt- gröningen mit Fahrzeugen der WEG und 1995 sich erinnert: Zu den Großkunden zählten verbindung ohne Zwischenhalte vor und hätte mit der DB-Triebwagengarnitur der Baurei- die Georg Näher GmbH, die viel Holz bezog ohne große Investitionen mit nur einer Trieb- he 628/928. Die im Stundentakt verkehrenden und „Garbenstrickle“ versandte, die Gerberei wagengarnitur eine Fahrzeit von zehn Minuten Züge konnten teilweise zum Nulltarif genutzt Schütt, die Papiermühle von Friederichs oder und damit einen Halbstundentakt ermöglicht. werden und erfreuten sich vor allem in Mög- die Werkzeugfabrik Keuerleber, die erst in der Hammerschmiede in Talhausen und ab 1958 in Markgröningen produzierte. Dauerkunden waren auch die Domäne auf dem Aichholz- hof und die Kohlehandlungen der WÜWA, der Darlehenskasse, der Gebrüder Gutscher und von Hugo Pehe. Von der Landarmenanstalt, später „Landesheim“ genannt, kamen laut Baur fast täglich drei Mann mit einem Pritschenwa- gen, um Lebens- und Betriebsmittel abzuholen. Zwei zogen an der Deichsel, einer schob hinten. Die Rollfuhr genannte Stückgutauslieferung an Bild: Rolf Müller Firmen, Einzelhändler und Privatkunden wi- Zur Reduktion des Rangieraufwands fuhr die DB Cargo gegen Ende ihre Güterzüge häufig in V60-Doppeltraktion ckelte seit 1917 Friedrich Elser mit seinem Pfer- Geschichtsforschung 19 Bild: David Zechmeister David Bild: Bild: Rolf Müller

Markgröninger Güterschuppen mit befahrbarer Rampe und eigenem Gleis Abzweig des C&A-Stichgleises beim 2014 abgerissenen Lokschuppen

defuhrwerk ab. Nach fast fünfzigjähriger Tä- Große Bedeutung hatte der Bahnhof auch tigkeit übergab diese Gröninger Ikone 1965 die für die Landwirte und die Genossenschaft Rollfuhr an Regina Ritter, deren Schwieger- WLZ, deren 2010 abgerissenes Lagerhaus mit mutter die Bahnhofswirtschaft bewirtschaf- großem Silo einen eigenen Gleisanschluss mit tet hatte. Ritter nutzte einen Kleinlaster Mer- Laderampe hatte. Die saisonal ­genutzte Zucker­ cedes 508. Nach der Einstellung des auch zum rübenverladestation mit Bodenwaage und Rüt- Stückguttransport eingesetzten Personenzug- telband wurde im Zuge der Bahnreform stillge- verkehrs 1975 lieferte sie noch bis 1979 vom As- legt. Der Zuckerrübenverladeverein musste die perger Bahnhof aus Express- und Stückgut aus. Kosten für den Rückbau der Infrastruktur wie Bild: Jürgen Richter Jürgen Bild: Bild: Rolf Müller

Im März 2010 wurde das WLZ-Lagerhaus abgerissen Von den Bauern finanzierte Zuckerrübenverladeanlage mit Rüttelband zur Lösung von Erdkrusten 20 Geschichtsforschung

der Bodenwaage übernehmen und den Trans- port auf Lkw umstellen. Mit der Schließung des C&A-Verteilzen- trums, das über ein eigenes Stichgleis ins be- nachbarte Industriegebiet angeschlossen war, verlor die DB Cargo den letzten größeren Kun- den in Markgröningen. Sie kündigte deshalb an, den regulären Güterverkehr nach Markgrö- ningen zum 27. September 2001 einzustellen. Ein vom Rangier-Team als „Letzter“ ausgewie- sener Güterzug verkehrte am 30. August 2001. Es war die Diesellok 364.935-7 mit einem Gü- ter- und zwei Kesselwagen. Bis 2002 verkehr- ten sporadisch allerdings noch weitere Güter- züge bis zum hiesigen Bahnhof. Zur allerletz- ten Fahrt nach Markgröningen wurde schließ- lich der Transport eines Großtransformators

Bild: Jürgen Richter Jürgen Bild: fürs Umspannwerk bei Pulverdingen am 11. August 2003. Neben dem extrem heißen Som- Am 30. August 2001 wähnte sich das Rangier-Team letzmals in Markgröningen. Ein paar Einsätze gab es aber noch mer soll auch das hohe Gewicht von rund 480 Tonnen dem Schienenstrang geschadet haben.

Finale Stilllegung und Rückbaumaßnahmen Jedenfalls beantragte die Deutsche Bahn AG danach aus Sicherheitsgründen beim Eisen- bahnbundesamt die Stilllegung des Streckenab- schnitts zwischen dem Anschluss des Ludwigs- burger Unternehmens Lotter und dem End- bahnhof Markgröningen. Dieser westliche Ab- schnitt wurde zum 1. Oktober 2005 zwar formal stillgelegt, jedoch nicht entwidmet. Im Falle ei- ner Reaktivierung als Eisenbahn wäre die er- haltene Widmung von Vorteil, weil im Gegen- satz zur Einrichtung einer Straßen- oder Stadt- Bild: Uwe Schnell Uwe Bild: bahn kein zeitraubendes Planfeststellungs­ ver­­ ­ Nach der Überführung eines 480 Tonnen schweren Trafos am 11. August 2003 hieß es „Rien ne va plus!“ fahren nötig wäre. Die Still­legung wurde unter Geschichtsforschung 21

Keltensiedlung am Bahndamm

Auf der Trasse des zweiten Bauabschnitts der Ostum- samt fünf ost-west-orientierten Grubenhäusern und 24 fahrung wurden direkt südlich des vorgesehenen Gruben (davon 11 Trichtergruben). Ein Grubenhaus (Be- Durchbruchs der Gleise Siedlungsreste aus der frühen fund 34) war sehr fundreich, Hermann Beck zählte Latènezeit gefunden. Die dazu gehörige keltische Sied- 1.310 Tonscherben und 1.270 Knochenstücke. Unter lung (ca. 450 v. Chr.) stand sicherlich im Zusammen- anderen wurden „20,5 kg handaufgebaute Keramik hang mit dem keltischen Fürstensitz auf dem Asperg, und 2 kg Drehscheibenkeramik“4 geborgen. Eine Kera- zu dem sie Sichtverbindung hatte. Um den Asperg ak- mikscherbe aus Befund 14 war Bestandteil eines gro- kumulieren sich eisenzeitliche Prunkgräber. „Keine an- ßen Tellers oder einer Platte. Vielleicht wurden auf die- dere Region nördlich der Alpen zeigt bisher ein so ge- ser durchaus hochwertigen Keramik auch Spanferkel häuftes Auftreten an außergewöhnlich prunkvoll aus- serviert. Ob die frühen „Gröninger“ auch schon Schafe gestatteten Grabfunden wie das Umland des Hohenas- hielten? Die Spinnwirtel weisen jedenfalls auf Textilver- pergs.“1 Um den Asperg finden sich jedoch ebenso vie- arbeitung hin. Besonders bemerkenswert ist der Fund le Siedlungsfundstellen. Diese Siedlungsgeschichte zweier Pferdeskelette in einem Grubenhaus (Befund brach in der Frühlatènezeit nicht ab, sondern erreichte 27). Dank der unbürokratischen Nothilfe von Stadtbau- im Gegenteil einen Höhepunkt.2 Die hiesige Ansied- meister Klaus Schütze, die wegen starker Gewitter not- lung war anscheinend eine Neugründung.3 wendig geworden war, konnten diese Funde von Mitar- Wegen witterungsbedingter Unterbrechungen dauerte beitern des Landesamts für Denkmalpflege eingemes- die Grabung des Landesamts für Denkmalpflege von sen und dokumentiert werden. Roswitha Feil Dezember 2004 bis Juli 2005. Unter der Leitung von Wo heute die Ostumfahrung die Bahnstrecke unterbricht, Werner Schmidt bargen Hermann Beck, Roswitha Feil 1 Balzer, 2008, S. 147 3 Balzer, 2008, S.156 fanden sich 2005 keltische Siedlungsreste und weitere ehrenamtliche Helfer den Inhalt von insge- 2 Balzer, 2008, S.149 4 Balzer, 2008, S.154 Bild: Peter Fendrich Bilder: Roswitha Feil

Töpferware aus der Verfüllung eines Grubenhauses Skelette von zwei keltischen Pferdchen Wurde auf der damaligen Speiseplatte Spanferkel serviert? 22 Geschichtsforschung

anderem betrieben, um den Bau des zweiten lerdings verstreichen. Dann vollzog der Ge- Abschnitts der Markgröninger Ostumfahrung meinderat eine Kehrtwende und beschloss, den realisieren zu können. Hierzu wurde der Bahn- Bahnhof zu privatisieren. 2007 kaufte ihn die damm vor Markgröningen auf einem kurzen Familie des letzten Bahnhofsvorstands Bruno Teilstück abgetragen. Aus Rücksicht auf eine Richter, die das Gebäude bis heute bewohnt. mögliche Bahnreaktivierung wurde die Straße Durch die Ausweisung des Neubaugebiets drei Meter tiefer verlegt, als es ihre Trassenfüh- Möglinger Weg und den 2012 erfolgten „Rück- rung erfordert hätte. Damit könnte die Bahn bau“ des C&A-Stichgleises wurde diese Opti- die Straße künftig mittels einer Brücke que- on einer Verlängerung der Bahnstrecke nach ren. Im Zuge von archäologischen Stichproben Schwieberdingen verbaut. Beim inzwischen stieß ein Grabungsteam um Werner Schmidt ziemlich verkommenen Bahnhof Möglingen neben dem zu entfernenden Gleisabschnitt auf entfernte man die Schienen am Bahnübergang, Relikte einer Keltensiedlung, die im Sommer am ehemaligen Haltepunkt Osterholz das zwei- 2005 ausgegraben wurden (siehe S. 23). te Gleis an der Rampe. Im Sinne der erhofften Reaktivierung hatte Gleichzeitig mit der Stilllegung des west- sich die Stadt Markgröningen den Zugriff auf lichen Teilstücks wurde der östliche Restab- den Bahnhof gesichert und das Empfangsge- schnitt, der bis zum Unternehmen Lotter führt, Bild: Peter Fendrich Peter Bild: bäude 1998 samt Güterschuppen und Vorplatz formal in ein Bahnhofsgleis des Bahnhofs Lud- Auch wenn‘s nicht so aussieht, dieses Gleis am ehe­ma­ligen gekauft. Die Gelegenheit, die ganze Bahnstre- wigsburg umgewidmet. Lotter wird bis heute Haltepunkt Osterholz wird noch befahren cke für einen Euro zu erwerben, ließ man al- einmal pro Werktag mit Flüssiggas beliefert. Bilder: Peter Fendrich Peter Bilder:

Westende der zum Bahnhofsgleis umgewidmeten Stichstrecke an der Autobahnbrücke. Hier stoßen die Züge zurück, die täglich die Firma Lotter mit Flüssiggas beliefern Geschichtsforschung 23

25 Jahre Reaktivierungsdiskussion Schwerpunkt der Siedlungsentwicklung lag. Reaktivierung gemäß der Eisenbahnbetriebs- Das beim Nahverkehrsforum 1991 von BUND Meist wurden auch die Reaktivierung des Hal- ordnung (EBO) wäre hingegen für einen Bruch- und VCD vorgestellte Konzept zur Wiederauf- tepunkts beim Gewerbepark Osterholz und/ teil der Kosten und weit schneller zu haben. nahme des Personenverkehrs sah einen täg- oder ein neuer Haltepunkt beim Ludwigsbur- Für rund 20 Millionen Euro könnte man laut lich 15-stündigen Betrieb mit einer Niederflur- ger Wohngebiet um die Talallee vorgesehen. BUND die Strecke fit für einen komfortablen triebwagengarnitur vor, die Ludwigsburg und Seit einigen Jahren wird ein Stadtbahn-Be- Nahverkehrsbetrieb mit ­Niederflurfahrzeugen­ Markgröningen im Halbstundentakt mit zwei trieb gemäß der BOStrab (Straßenbahn-Bau-­ machen – umweltfreundlich mit Hybrid-, Was- Zwischenhalten in Möglingen bedienen soll- und Betriebsordnung) über die ­bisherigen Stre- serstoff- oder Akku-Antrieb. Attraktiv für hie- te. Um diesen Takt realisieren zu können, hät- ckenendpunkte hinaus diskutiert. Im ­Westen sige Pendler wäre die erzielbare Fahrzeit von te man die Strecke sanieren und die teils ma- soll die Stadtbahn bis zum Markgröninger Fest- zwölf Minuten. Eine Stadtbahn mit mehr Zwi- nuell vom Zugpersonal zu betätigenden Bahn- platz, im Osten bis Remseck und optional bis schenhalten wäre dagegen kaum schneller als übergänge automatisieren müssen. Waiblingen geführt werden. Insbesondere mit der Bus in Ludwigsburg. Um den Anhängern Zur Prüfung des Potenzials und der mög- Hochflurfahrzeugen der Stuttgarter Straßen- einer kaum realisierbaren Stadtbahn entgegen- lichen Gestaltung des Personenverkehrs hat bahnen (SSB) erforderte dieses Vorhaben aller- zukommen, hat der BUND eine Verlängerungs- die Öffentliche Hand seit 1992 mehrere Unter- dings hohe Investitionen von bis zu 200 Mil- variante für einen Innenstadtbahnhof auf EBO- suchungen für verschiedene Varianten beauf- lionen Euro für den zweigleisigen Ausbau mit Basis entwickelt. Am anderen Ende der Stre- tragt, die alle sehr gute Wirtschaftlichkeitspro- Oberleitung und Hochflurbahnsteigen sowie für cke hat er zwei Alternativen für eine Durchbin- gnosen ergaben. Alle Pläne beinhalten in Mög- den erforderlichen Grunderwerb. Die vom Ver- dung über Ludwigsburg hinaus vorgeschlagen: lingen einen zusätzlichen Haltepunkt im Os- band Region Stuttgart (VRS) und vom BUND- Die „Reichsstadtbahn“ genannte Variante ver- ten des Ortes, wo seit den 1970er Jahren der Ortsverband Markgröningen vorgeschlagene knüpft die ehemaligen Reichsstädte Grüningen Bilder: Peter Fendrich Peter Bilder:

Empfangsgebäude und Güterschuppen in Markgröningen sind heute in Privatbesitz Straßenseite des verwahrlosten Möglinger Bahnhofs 24 Geschichtsforschung

Vergleich von EBO und BOStrab: Euro erstellt werden. Die Oberleitung liegt im gleichen Reaktivierung der Eisenbahn oder Neubau einer Stadtbahn? Kostenrahmen wie bei der EBO-Bahn, wäre bei zwei Gleisen jedoch doppelt so teuer. Wegen der Streuströ- me sind für die Gleise besondere elek­trotechnische Neben der Reaktivierung als Bahnlinie wurden im Hinblick auf eine noch zu planende Stadtbahn in Maßnahmen wie Isolierung, Erdung und Triebrück- Ludwigsburg verschiedene Varianten als Straßenbahn mit Hochflur- oder Niederflurtechnik zur stromverbindungen erforderlich. Das wird in Bereichen, Diskussion gestellt. Um die Projektideen einschätzen und vergleichen zu können, sollte man wissen, wo die Gleistrasse im Straßenkörper liegt, sehr aufwen- worin sich eine Stadt- oder Straßenbahn von einer Eisenbahn unterscheidet. dig und kostspielig. Insgesamt ergibt sich hier ein erheblicher Neubauauf- 1. Eisenbahn (EBO): 2. Straßenbahn (BOStrab): wand. Basierend auf Vergleichsprojekten muss man mit Alle Fern- und Nahverkehrsbahnen in unserer Region Gesetzliche Grundlage ist die Bau- und Betriebsord- Kosten von 5 bis 10 Mio. Euro pro Kilometer rechnen. verkehren gemäß der Eisenbahn-Bau- und Betriebsord- nung für Straßenbahnen (BOStrab). Eine Planfeststel- Die kalkulatorische Streuung ist deshalb so groß, weil nung (EBO) mit einer Spurweite von 1435 mm (europ. lung nach BOStrab ist erforderlich, Genehmigungsbe- die Anteile der Gleisführung – ob offen oder in der Normalspur). Die Züge fahren im Raumabstand, das hörde ist das Regierungspräsidium. Straßenbahnen Straße – für die Stadtbahnführung in Ludwigsburg und heißt in einem Abschnitt befindet sich nur ein Zug. Dies fahren entweder im Bereich von Straßen nach der StVO, weiter nach Remseck noch nicht bekannt sind. Allein wird in einfachen Fällen durch einen Zugleiter, meistens d. h. mit der hier zulässigen Höchstgeschwindigkeit für für den Abschnitt zwischen den Bahnhöfen von Mark- aber durch ein Signalsystem garantiert (Fahren im Blo- den Straßenverkehr oder auf eigenem Gleiskörper mit gröningen und Ludwigsburg ist mit einer Gesamtsum- ckabstand). Diese Betriebsform ist auch auf einer ein- 70 bis 80 km/h. Straßenbahnen fahren auf Sicht, kön- me von mindestens 50 Mio. Euro zuzüglich Grundwer- gleisigen Strecke sehr sicher. nen also auch dicht hintereinander herfahren. Aller- werbskosten zu rechnen. Für Planung und Genehmi- Zur Reaktivierung der Strecke Ludwigsburg – Markgrö- dings ist pro Richtung ein Gleis erforderlich. Sie haben gungsverfahren, Enteignungen und Bau sind mindes- ningen als Eisenbahn benötigt man kein neues Plan- Bremsverzögerungen wie Straßenfahrzeuge, die bei tens zehn Jahre anzusetzen. feststellungsverfahren, da die Strecke noch gewidmet Schnellbremsungen eingesetzten Magnet-Schienen- Bedingt durch die geringere Geschwindigkeit und zu- ist. Für einzelne Maßnahmen wie zusätzliche Halte- bremsen verursachen jedoch starken Verschleiß an den sätzliche Halte in der Weststadt ist eine Fahrzeit von ca. punkte oder die technische Sicherung von Bahnüber- Schienen. Straßenbahnfahrzeuge dürfen maximal 2,65 20 Minuten vom Bahnhof Markgröningen bis zum gängen, die bislang ohne Bahnschranken nur durch m breit sein. Bei normalspurigen Bahnen beträgt der Bahnhof Ludwigsburg zu erwarten. Umsteigen in Lud- Übersicht gesichert oder inzwischen abgebaut wurden, kleinstmögliche Kurvenradius rund 50 m. wigsburg ist weniger komfortabel und dauert länger sind jedoch einzelne Planfeststellungs- oder Bebau- Die Strecke Ludwigsburg – Markgröningen müsste zum als beim EBO-Betrieb. Dafür punktet die Stadtbahn bei ungsplanverfahren nötig. überwiegenden Teil zweigleisig ausgelegt werden. Dies einigen innerstädtischen Zielen, weil man nicht auf den Wie vergleichbare Projekte zeigen, ließe sich ein EBO- erforderte die Verbreiterung von Brücken und Unter- Bus umsteigen muss. Ludwigsburg verspricht sich von Betrieb auf der hiesigen Strecke in einem Zeitraum von führungen. Wegen der unterschiedlichen Spurfüh- einer Stadtbahn mehr Bindungswirkungen und Einzel- drei Jahren realisieren. Zudem spricht für diese Be- rungskriterien (insbesondere wegen des schmaleren handelsumsätze als von einer reaktivierten Bahnlinie. triebsform ohne Elektrifizierung ein überschaubarer Spurkranzes von 16 mm bei BOStrab gegenüber 26 mm Die avisierte Zielgruppe in Möglingen und Markgrönin- Kostenrahmen von 20 bis 24 Mio. Euro (inklusive zwei- bei EBO) ist eine eigene Trasse erforderlich. Deshalb gen ist jedoch großteils an einer kurzen Fahrzeit inter- er neuer Haltepunkte) sowie ein sehr guter Wirtschaft- wäre der Gefahrgutverkehr zum Werksgelände Lotter essiert, die nur die Eisenbahn bieten kann. lichkeitsfaktor von 6,0. nur noch mit erheblichem Mehraufwand zu realisieren. Rainer Christmann Attraktiv für Pendler sind eine erzielbare Fahrzeit von Straßenbahnen werden mit 650 bis 750 Volt Gleich- 12 Minuten, die guten Anschlüsse im Ludwigsburger strom betrieben. Da Gleichstrom nur über kurze Län- Die ausführliche Fassung mit Beispielprojekten und Bahnhof und nicht zuletzt die mögliche Durchbindung gen eingespeist werden kann, müssten zur Stromver- Zweisystem-Stadtbahn (EBO+BOStrab) findet sich im in Richtung Stuttgart. sorgung mindestens vier Unterwerke à ca. 750.000 Artikel-Archiv bei www. agd-markgroeningen.de Geschichtsforschung 25

und Esslingen und führt über einen neuen Hal- Quellen tepunkt am Kornwestheimer Güterbahnhof mit Bahnakten im Stadtarchiv Markgröningen: M 01, Bü 67, konfliktfreiem Übergang auf die Schusterbahn- 71-76, 400, 407, 848d, 1457, 1606, 1607 Tangente nach Cannstatt, Untertürkheim und Staatsarchiv Ludwigsburg: E 79 II, Bü 493, K 412 IV, DO Esslingen. Die „Strohgäu-“ oder „Landkreis- 7507, 7508, 7509, 7510

bahn“ genannte Variante führt über den Güter- BUND-Ortsverband Markgröningen: Manuskripte- bahnhof Kornwestheim und den Abzweig Salz- Sammlung zum Nahverkehrsforum in Markgröningen weg auf die Strohgäubahn nach Heimerdingen. anlässlich von Naturschutztag und Bahnhofsfest am 15. und 16. Juni 1991. Markgröningen 1991 Beide Varianten wären autonom zu betreiben, müssten also nicht die von der störanfälligen Auskünfte und Erzählungen von Ruth Baur, Rainer ­S-Bahn belegten Gleise nutzen. Christmann, Peter Ebeling, Hilde Fendrich, Rolf Müller, Jürgen Richter, Regina und Wilfried Ritter, für die sich Der Verband Region Stuttgart (VRS) hat die Autoren herzlich bedanken! hingegen eine Durchbindung über die Stutt- garter Panoramabahn nach Vaihingen und über Literatur Böblingen auf der Schönbuchbahn nach Det- Balzer, Ines. Die Erforschung der Siedlungsdynamik im tenhausen in die Debatte eingebracht. Abwei- Umfeld des frühkeltischen Fürstensitzes Hohenasperg, Überwucherte Gleise am Möglinger Bahnhof chend davon hat die SPD-Fraktion in der Re- Kr. Ludwigsburg, auf archäologischen und naturwissen- Bild: Peter Fendrich schaftlichen Grundlagen. In: Frühe Zentralisierungs- und gionalversammlung eine Durchbindung nach Urbanisierungsprozesse. Zur Genese und Entwicklung Feuerbach und bestenfalls zum Stuttgarter frühkeltischer Fürstensitze und ihres territorialen Um- Hauptbahnhof vorgeschlagen. landes. Stuttgart 2008 Investitionen in Infrastruktur fielen bei all Keck, Heinz: Die Entwicklung der Bahn. In: 1200 Jah- diesen Varianten vor allem auf dem stillgeleg- re Markgröningen 779 bis 1979, Band 1. Markgröningen ten Abschnitt zwischen Lotter und Markgrö- 1979, S. 92–94 ningen an. Hier müsste der Gleiskörper gene- Markgröningen – das Bild der Stadt im Wandel der Zeit. ralüberholt und in Möglingen ein zweispuriger Hg. v. AGD Markgröningen. Markgröningen 1969, S. 83ff

Abschnitt für Zugbegegnungen sowie ein neuer Markgröningen – Menschen und ihre Stadt. Durch die Haltepunkt an der Daimler­straße eingerichtet Stadtbrille, Band 6, hg. v. AGD Markgröningen. Mark- werden. Außerdem wären Bahnübergänge und gröningen 2000, S. 328ff

eine Brücke über die Ostumfahrung zu erstel- Mihailescu, Peter-Michael u. Matthias Michalke: Verges­- len. Im noch befahrenen östlichen Abschnitt sene Bahnen in Baden-Württemberg. Stuttgart 1985, S. 164f wäre der Investitionsbedarf geringer. Neben der Scharf, Hans-Wolfgang: Die Eisenbahn im Kraichgau. Überholung von Gleisen und Übergängen ­fiele­ Eisenbahngeschichte zwischen Rhein und . Frei- hier die Einrichtung eines Haltepunkts an der burg (Breisgau) 2006 Schillstraße an, der den Gewerbepark Oster­ Stempel, Gerald: Eine Übersicht über die Möglichkeiten Galeriewald und Bahnübergang am Osterholz holz und das Wohngebiet Talallee erschließt. der Bahnreaktivierung der Ex-KBS 773 Ludwigsburg – Bild: Peter Fendrich Markgröningen. Möglingen 2008