Volker Mall : Entarte t ? 1 Musik in der Zeit des Nationalsozialismus

Die Bedeutung des Themas für den Unterricht Jede herrschende Macht birgt in sich ein totalitäres Potential - eine Tendenz, die Mö glichkeit einer (sei es rationalen, sei es gefühlsmäßigen) B er ufung auf eine außerhalb ihres Machtbereichs liegen- de Urteilskraft zu verstellen. Historische Perioden relati - ver Freiheit ergeben sich dort, wo der Widerstand gegen diese Tendenz in ver schiede nen Formen eine gewisse Stetigkeit erlangt. Gewon- nen wird d e r Kampf jedo ch nie. Demokratie ist - anders als es immer gelehrt wird - kein System , sondern eine ständig sich wan delnde Form von Widerstand ... Eine totalitäre Tendenz zieht ständig Gefügig keit an sich, und ständig mu ss ihr Widerstand entgegengesetzt wer den ... ( John Be rger in der F rankfurter Rundschau 12.1. 19 95)

Die Forderung, da ss Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung ... Jede De- batte über Erziehungsideale ist nic htig un d gleichgültig diesem einen gegenüber, da ss Auschwitz s ich nicht wiederhole. Es war die Ba rbare i, gegen die alle Erzie hung geht. ... Man mu ss die Mechanismen erkennen, die die Menschen so machen, da ss sie solcher Taten fähig werden, mu ss ihnen sel bst die se Mechanismen aufzeigen und zu verhindern trachten, da s s sie abermals so werden, indem man e in a llge meines Bewu ss tsein jener Mechanismen erweckt . ... Ich f ü rchte, durch Maßnahmen auch einer noch so weit gespannten Erziehung wird es sich kaum verhinder n lasse n, da ss Schreibtischmörder nachwachsen. Aber, da ss es Mensch en gibt, die unten, eben als Knecht e das tu n, wodurch sie ihre eigene Knechtschaft verewi gen ... dagegen lä ss t sich doch durch Erziehung und Aufklärung ein Weniges unternehmen. … (Theodor W.Adorno, Erzie- hung nach Auschwitz in: Stichworte, Kritische Modelle 2, Frankfurt 1969) Historisch - politische A ufkläru ng mu ss also erhellen, was Massen von Deutschen vor 1933 daz u gebracht hat, Hoffnunge n in den NS zu setzen; was sie nach 1933 zur Loyalität gegen ü ber der fa- schisti schen Herrschaft veranla ss t hat, und welche Eigenschaften des Dritten Reiches vielfa ch auch jenen Zeitgenossen als sympathisch galten, die terroristisc hen Maßnahmen des damalig en Systems durchaus Vorbehalte entgegenbrachten. (Arno Klönne: Jugend im Dritten Reich, M ü nchen 1995/1982 , S. 11) Es war und ist nicht einfach, die Themen Nationals ozialis mus und Holocaust im Unterricht zu be- handeln. War f ü r die 68 er noch ein zentraler Teil des Gener ationenkonflikts die Vermutung, die Eltern könnten an dem Schrecklichen beteiligt gewesen sein, Zuschauer , Mitläufer oder Täter ge- wesen sein, so ist es f ü r die heutigen Ju gendlichen Geschichte, die sie zwar nicht gleichg ü ltig lä ss t, sie interessi ert und ber ü hrt, aber ohne Schuld - und Betroffenheitsge f ü hle, wie wir sie als Nach- kriegsgeneration empfunden haben. Um aus der Geschichte lernen zu können - falls das ü b erhaupt mög lich ist - , mu ss man sie erst kennenlernen. Die S ch ü ler sollen ver stehen le rnen - ohne mora- lisch zu verurteilen - , aus welchem Hori zont heraus damals gehandelt wurde. Ohne eine Auseinanderset zung der Lehrenden mit ihren eigenen familiären und bio graphischen Bezügen zum Thema geht es nicht. Es wäre allerdi ngs naiv zu glauben, dass geschichtli che und politi sche Aufklärung neue Verführbarkeit verhindern könne.

1 Erika Ker n , H elm uth Kern , Volker Mall: Entartet? Ku nst und M usi k in der Zeit de s N ationalsozialismus , St uttga rt 199 7 . E n de 2018 wurde n Schüler - , Lehrer h eft un d C D a us d em Verlagsprogra mm ( Klet t) geno mmen . Ein Nachdruck ist ni cht mögl ich, da die Rechte fü r das Layout beim Ver lag liegen. Hier wird das Materi a l neu zu sam men ges tellt, m it dem Schwerpunkt „ Musik “ . Als „ Ersatz “ für die CD sind Links zu youtube angegeben. Dazu auch : Volker Mall mit Erika und Helmuth Kern. En tartet? In: Die Un terr ichtspra xis. Beilage zu „bildung und wi ssensc haft“ der Gewerkschaft Erzieh ung und Wissenscha ft Baden - Württemberg. 1998. 32.Jahrgang. He ft 3. S.17 - 24.

1 Das Thema ist lästig. Der Überdru ss ist unverkennbar . ... Geschichte wiederholt sich n icht, a ber es wiederholen sich Konstellationen, in denen gesellscha ftlich produzierte Nöte al te Ideologie n wie - derbeleben, die Menschen dazu verf ü h ren, Rezepten von gestern nochmals zu trauen. Unversehens leben wir in einer Situation, in der die Erforschu ng der Vergangenheit eine Form des Widerstands geworden ist. (Hans Weber: Betroffenheit und A u fklärung in : Hans Weber (Hrsg.), Musik in der Emigration 1933 - 1945, Stuttgart 1994 S. 6ff.) Wenn zum Beispiel ju nge Menschen mit kühnem Flammenschwert daherkomme n und a ufzählen, wer alles in Nazi - Filmen als Schauspieler mitgewir kt hat, sage ich: Pa ss nur auf, in welc hen Situa- tionen du dich opportunistisch und feig e verhältst, wo du die Augen zu drückst und nicht hins chauen magst . ... Das fängt ja schon damit an, wie man si ch im beruflichen und gesellschaftlichen Umfeld aufführt, we lche Blödheiten man begeht . Schauen Sie mal, wie leicht man dazu verführt werden kann, irgendwo mitzumachen, wo menschliche Schicksale zur Farce desavouiert werden. Das müs- sen keine Nazi - Fi lme sei n, da genügen schon üble Fernsehproduktionen. (Erika Pluhar in Fifty, Juli/Au gust 199 7, Hamburg, S .17f.)

Ein „Zuviel“ ist schädlich: Es darf nicht sein, da ss an den Schu len die nazistische n Verbre chen auf eine Weise in den Vorder- grund ger ü ckt wer den, di e bei der jungen Generation einen Widerstand gegen ihre Beha ndlung im Un terri cht herv orruft. Ein Zu viel wäre genauso schädlich, wie es ein Zuwenig ist. (Heinz Galinski, ehemaliger Vorsitzender des Ze ntralrates der Juden in Deutschland in einem Int erview mit dem Rheinischen Merkur, 28.10.1988, S.8)

1 Avantgarde c o ntra Re stauration 2 Die Auftaktseite Avantgarde contra Tradition soll mit collage ar tig zusammengestellten Beispielen das breite kulturelle Sp ektrum vor 1933 und dabei v.a. in der Weimarer R epublik d eutlich mac hen, die ein Kaleidoskop deutscher M öglichkei ten ( Sontheimer) mit kaum versöhnbaren Widerspr ü chen und schroffen Gegensätzen war : A uf der einen Seite die Bespöttelung der Tra dition - auf d er ande- ren Seite ihre Historisie rung . Inmitten der expr essioni stischen Krise, der allgemeinen Desorientierung und des Auftriebs unbekannter Kräfte übernahm die Historie die doppel te Aufgabe, de r Gegenwartsflucht als Asyl und dem Willen zur Zukunft als Ene rgie quelle zu dienen. Was auch in buntem Wechs el der Ge gen- wart zuge f ü hrt wurde und sich zum Teil in einer Bewegun g auswirken konnte: Spätwerke Bachs und altdeutsche Lieder, Händel - Opern und Mus ik der Gotik, niederländische Polyphonie und Spielmusik des 18 . Jahrhun derts - darin stimmen alle Erscheinung en ü berei n, da ss sich in ihnen die Abkehr von einer vermeintlichen ‚Romantik’ kundgab. Man mied die Tradition der Väter, u m von den Ah nen zu lernen . .. . Eine der ersten Parolen des neuen Historismus war der Ru f nach ‚Gemein schaftsmusik’. Mit ihm protestierte eine jüng ere Generation gegen die artistische Grundhaltung des über lieferten Musiklebens, dessen Schwerpunkt sich in die berufsmäßige Spezia- lisierung des Virtuo sen, das Aufgebot eines riesigen Orchester - un d Chorapparats und den immer stärker von ökonomisc hen Geset zen beherrschten Konzert betrieb verlagert hatte. Dem stell te die Jugend - Laienbewegung das Ideal des gemeinsam musizierenden K reises entgegen , in dem der einzelne aktiv und selbstverantwortlich am G anzen mitzuwirken hatte. ( Heinrich Besseler: Die M u- sik des Mittelalters und der Re naissance. In: H an db u ch der Musikwi ss ensch aft . Hrsg.von Ernst B ü cken, Potsdam o.J. (19 31), S.18 ff ; zit iert nach Funkkolleg Musikgeschichte 10, S.106 )

Der breite Fächer des politischen Lebens der Weimarer Republik enthielt alles, w as das 19. Jahr- hundert an politischen Kräf ten entbunden ha tte: Revolutionäre und Reaktionäre, de mokratiefeind - liche Altliberale und fortschrittliche Neoliberale, vorwiegend an klerikaler Kulturpo litik interes- sierte Katholiken und in völkische Id een verr a nnte Protestanten, gemäßigte Sozialdemo kraten und

2 Schüle r heft S. 4 f.

2 nicht vö llig reformunwillige Ko nservative, Ver teidiger des unsozialsten Kaptalismus mit unge zü gel- tem Gewinn - und Ausbeutungsstreben und bescheidene re Anwälte des Kapitalismus, die ihn durch soziale und int e rventionistische Maßnahmen von sein en Ausw ü chsen und Unge r echtigkeiten befrei- e n wollten, Fana tiker des F ü hrerprinzips und Menschen, die allein auf die Automatik der Instituti- onen vertrau ten, ohne d arauf zu achten, da ss auch Institutionen aus Me nschen b estehen, Militaris- ten und Pazifi sten usw., usw. (Kurt Sont heim er: Weimar - ein deut sches Kaleidosko p , in: Wolfgang Rothe (Hrsg.): Die deutsche Literatur in der Weimarer Republik, Stuttgart 1974, S.12)

Der Vielfalt der politischen Gruppen und Strömungen entsprach das wid e rspr ü chliche geistige und kulturel le Leben. B estimmend wa r auch in diesem Bereich, da ss die beherrsc hende Wil helminische Kultur ihren F ü hrungsanspruch hatte preisgeben m ü ssen, ohne da s s es den neuen Kräften des Liberalismus, der Aufklärung und de s Ration a lismus gelungen wäre, ihrerseit s herrschend zu werden. So gab es mythisches Philoso phieren neben posi tivistischem Ratio nalismus, Marxismus neben Or- ganizismus . . .usw. Hinzu kam, da ss da nk der mythisch - irrationalen Fluchtwege des Geisteslebens die pessi mis t ischen, zivilisationsfe indlichen Tendenzen ger ade unter de r Weimarer Republik be- so nders stark wurden . . .. Zwar lä ss t sich nach weisen, da ss fast alle neuen Stilelemente in Literatur und Kunst schon vor Beginn der Weimarer Republik auftauchen, aber er st die K r iegszeit und die Re publik konnten ihnen dank d es freien Ra ums, den sie allen geist igen Bestrebungen gab , zu volle- rer Entfaltung verhelfen. Die Vielseitigkeit und Vielfalt des geistige n und kul turellen Lebens schuf eine Atmosphäre gesteigerter Sens ibilität ; der Eindruck des Ungebändigten, des Chaos, de r eben durch diese Vielfalt hervorge rufen wurde, förderte andererseits die Empfin dung und Vorahnung eines Endes, eines Niederganges . . .. F ü r die erst in den späten zwanziger Jahre n aufkom m enden N atio nalsozialisten, welche die reakti- onären Konser v ativen durch eine brisan te Mischung aus perfe kter Massenbeherrschung und Irra- tiona lismus ü bertrumpften, war die ‚November - Republik’ das deutsc he Schandmal schlechthin. Aus den ideologischen Hauptbe w egungen der Epoche, dem Sozialismus und dem Nationalismus , destil lierten sie unter Ausn ü tzung der insti- tutionellen Schwächen und der Liberali tät des Weimarer Regimes, unterst ü tzt von einer weltweiten Kata strophe des kapitalistischen Systems, ein t r ü bes, a b er schäumendes Gebräu von massenwirksa- men Parolen, dessen Ingredi enzien sie nicht einmal selbst erfund en, sondern aus den Sudelk ü chen irrationaler völkischer Ideologen ent- lehnt hatten. (Sontheimer S.1 2 ff. )

F ü r die eine Seite dieses breiten Spektu ms stehen exemplarisch das Zitat von Kaiser Wilhelm II. (1901 ) : D ie Kunst soll mithelfen, erzieherisch au f das Volk einzuwirken, sie soll auch den unteren Ständen nach harter Mühe und Arbeit die Möglichkeit geben, sich an den Idealen wieder aufzu richt en. Das sei ab er nur m ö glich, ( … ) wenn Kuns t d ie Han d dazu bietet, wenn sie erhebt, statt dass sie in den Rinn s tein niedersteigt.

Außerdem F id us ’ Li cht gebet ( https://www.dhm.de/archiv/ausstellungen/wahlverwandtschaft/reform.htm ) u nd Deutsches Weih e lied ; f ü r die andere Seite das Bi ld von der Eröffnung der Ersten internationalen Dada - Messe ( https://de.wikipedia.org/wiki/Erste_Internationale_Dada - Messe ) Sch w itte rs Urs ona te und Hausmanns Plakatgedicht , Sc hulh offs In futurum und das Gedicht von George Grosz.

3 Schul hoff s „Fünf P ittoresken“ für Klavier (Dresden, 18.8.1919) tragen folgen de Widmung: Dem Maler und Dadaisten George Groß in Herzlichkeit zu eigen! Er stellte sein em Werk den Text von George Grosz vo r an: Welten! Fluten ! Ihr taumelnden, torkelnden Häuser!! ! Cake – walkt am Horizont! ! Ihr Negermelodie n Lieblich wie Ellins Blauau gen – – Welten, Ströme, Erdteile ! Australien, du Sonnenland ! Afrika mit deinen dunklen Ur – Ur – Urwäldern , Amerika m it deiner D - Zug - Kultur , Welten – ich rufe, schreie!! ! Wacht auf, ih r ehrf urchtbuckelnden Blaßgesichter!! ! Ihr Hundesöhne, Materialis ten , Br otfresser, Fleischfresser, – Vegetarier ! ! Oberlehrer, Metzgergesellen, Mädchenhändler ! --- - ihr Lumpen!! ! Denkt: mei ne Seele is t zw eitausend Jahre alt ! !!! Triumph !! ! Gott, Vater, So hn --- - Aktiengesellschaft.

I m Herbst 1921 reiste Kurt Schwitter s mit R aoul Hausmann un d Han nah Höch nach Prag. Dort trug Hausmann sein phonetisches Ged ic ht mit d er Anfangszeile „fmsbwtäzäu“ vor, das Sch witters zu seiner Ursonate anregte. Erst 1926 war diese Sonate in der F as sung, wie sie 1932 veröffentlicht wurde, fer t ig. Be i vielen Vor träg em zwisch en 1926 und 1932 wurde sie ve rbessert und veränder t. URSONATE (Aus schnitt ) Introducción: Fümms bö wö t ää zää Uu, pögiff, 1 k wii Ee. Oooooooooooooooooooooooo , 6 dll rrrrr beeeee bö dll rrrrr beeeee bö fümms bö, (A) rrrrr beeeee bö fümms bö wö, 5 beeeee bö fümms bö wö t ää, bö fümms bö wö tää zä ä, fümm s bö wö tää zää Uu: primera parte: tema 1: Fümms bö wö tää zää Uu, 1 pögiff, Kwii Ee. t ema 2: D edesnn nn rrrrr,

4 Ii Ee, mpiff tillff too, tillll, Jüü Kaa? e rklärungen zu meiner ursonate die sonate besteht a us vier sätzen, einer einleitung. einem schlu ss , und einer ka denz im vierten satz. der erste satz ist ein rondo mit vier hauptthemen, die in diesem text der sonate beson ders bezeic h- net sind ... kurt schw itters

Hans Arp schrieb dazu 1925 : Mit welch hinreiße ndem Schwung sang, trillerte, fl ü sterte, schnarrte, jubelte e r seine Urlautsonate, bis die Zuhörer aus ih rer grauen Haut fuhren. Er zischte, sauste, flötete, gurrte, buc hstabierte. Es gelan gen ihm ü berm enschliche, verf ü hrerisc he, sirenenhafte Klänge, aus d enen eine Theorie entwickelt werden könnte ähnlich derje nigen der Dodekaphoniker.

Das Deut sche W eihe lied von Ernst Leibl (Text) und Walther Hensel (Melodie) (1919), a bgedruckt u.a. i n: Wohlauf Kamerade n , Kassel 1934, S.22 f. , Das Aufrecht Fähnlein (Hrsg. Walt her Hense- ler), Eger/Leipzig 1923, S.32 . H ie r h ttps://www .geheugenvannederland.nl Text der Un terze ile: Das Lied, entstanden aus der Not der Deutschböhmen im Grenzlande, erklang zum ersten Male a m P fi ngst sonnta g 1919 in de r Stadt - Kirche zu Waltsch bei Karlsbad

Mit dem Deutsch e n Weihelied wird einmal die Ju- gendb ewegung thema tisiert, zum andren sol l deu tlich werden, da ss es die F ü hrerideo logie lange vor dem Nationalsozialismus gab . D ie kul ture ll e Traditi on des F ü hrer - Myth os re icht bis in die ro mantisch - konservative Vorstellungsw elt des 19. Jahrhunderts zur ü ck. Sie stellt dem demokrati- schen Herrschaf tsmod ell der Französischen Revoluti- on ... das deutsch - germanisch heroisierte Volksf ü hrer- t um ent g ege n. (Peter R eichel: D er schöne Sche in des Dritten Reiches, M ü nchen, 3 ´ 1996, S.144) Nic ht nur in der Jugendbewegung war m an davon ü berzeugt, da ss es keine wa hre G emeinschaft gibt oh- ne einen, der sie anf ü hrt und ihr Sinn und Richtung gibt . (Kurt S onth ei me r, Antidemo kratisches Denken in de r Weimarer Republik, M ü nchen 1978, S.215) In der Weimar er Republik wurde die F ü hrersehnsu cht zu einer Er scheinung des Zeitgei stes, der auch viele Demokraten anhingen. So entwarf z.B. der sozialde- mokratische Journa l ist un d Politiker Theodor Hau- bach, spä ter ein Opfer des Widerstandes, das Modell eines F ü hrersta ates. Vor allem Mussolini faszinie rte in Deutsch land auch viele demokr atisc he Intel l ektuelle. Hitler ließ sich parteiintern schon seit 1921/22 - wohl in Anlehnu ng an M ussolinis T itel Duce - F ü hrer n enne n. 1934 erhielt dieser Namen Verfassungsrang: Bis 1939 „F ü hrer und Reichskanzler“, danac h nur noch „F ü hrer“ als Partei - , Reg ierun gs - , Staatschef und Oberster Befehlshaber der Wehrmacht. ( Dazu Han s Jochen Gamm: Der braune Kult, Hambu rg 1962, S .24 ff. )

Mus ikalisch bewegt sich das Deutsche Weihelied zwischen C horal und Marsch in Moll; alter t ü- m elnd, dem Text entsprechend, der ja ein G ebet ist, das Versmaß: Nibelungenzeile, eine Art ver-

5 k ü rzte f ü nf zeilige Schweifreimstr ophe mi t dem Reimsch ema a( x)b aab ähnli c h der siebenzeiligen Lutherstrophe. Schl ü sselworte sind: nachtbeladen, verraten und verkau ft (Dolch stoßlegende), lichtes Volk, Held , Morgenrot; Allit e rationen in Wehr/Waffen, Haupt/Herz /Hand.

Walter Hensler (1887 - 1 956), d er eigent lich Julius J aniczek h i eß, hatte 1911 den deutsch - böhmischen und mährisch - schles ischen Wan dervogel mitbegr ü ndet. 1 923 veranstaltete er die erste Singw oche in der Schönhengster Waldsiedlung Finkenstein. M it Hilfe des Fin kensteiner Bundes war er i n ganz Deut schland und i n vielen L ändern Europas tätig. Die b ü ndische Jugend bestand aus zw ei unterschiedlichen Richtun gen, v on denen die eine an den Wandervogel a nkn ü pfte, der v.a. in Österreich und den Sudetengebieten Anhänger hatte und schon vor de m Kri eg neben le bensreformeri schen ant isemitische, nationali stische und völkische Tenden- zen hatt e. Auf der anderen Seite die Freid eutschen, wie etwa der Wyneken - Krei s , die Akademische Frei schar und der Jungwandervogel, die der Weimarer Republik eher po siti v ge gen ü berstan den, sich f ü r die Refor m der Sozialarbeit und Pädagogik einsetzten und sich teilw eise in sozialistischen Par teien u nd in der Arbeiterbewegung engagiert en. Die erste Richtung gilt, da ss völkisch - nationalistische oder na tionalsozialistische V orst ell ungen hi er einen g ü nst igen Bode n vorfanden, auch wenn viele B ü ndische aufgrund einer ande ren Men ta- lität und andrer persönli cher Verhaltensweise n, als sie in de r NSD AP vorherrschten, der NSDAP als Organisation skeptisch gegen ü berstanden . (Arno Klönne : Ju gen d im Dri tten Reich, M ü nchen 19 9 5 , Köln 1982, S. 101) Nach der Macht ü bernahme gab es kaum Opposition, manche versuch ten nach der Gleichschaltung der B ü nde die H J zu unterwandern, viele, vorher noch gegen den Nationalsozialism us eingeste llte B ü nde li e fen ei nfac h ü ber und traten gemeinsam oder einzeln in die NSDAP ein. Einige wenige trafen sich noch heimlich bis wei t in die spä te n dreißiger Jahre. Aus solchen Grupp en en tstand die Weiße Rose. Eine Massenbewegung als Vorbereitung des faschi stischen Staa tes ist abe r nicht denkbar oh ne länger fristige Herk ü nfte, ohne Tradi tionen, ohne tiefverwurzelte Kontinuitäten gesellschaftlichen B e wu ss tseins und politischer Leitvors tellu ngen. .. . ohne Zweifel ge hörte die Jugendbewegung zu jenen St römungen in der deutsche n So zia l - und Geistesgeschich te, die D ispositionen bereitstellten, also Denkweisen, Leitbilder und Le bensformen, an die der Fasch is mus ankn ü pfen, die er zum Teil int egrie ren konnte und die einen erheblichen Teil seiner ‚idealistisc hen’ Seite ausmachten. K on - gr ue nzen deuten schon in den „jew eiligen Schl ü sselwortern“ an: „F ü hrer und Gefolgschaft, V ol k und Reich, Ehre und Treue 3 , Bl ut und Boden , Nation und Sozialis- mus , Vol ksgemeinschaft. (Klönne S.109) Die Haltung weiter Teil e der Jugen dbewegung gegen ü ber mo dern er Musik wird in Hans Br euers Vor wort zur 10. Auflage des Zupfgei genhansl (1913 ) deutlic h : Und kein Neutöner wird jenen um- f assen den Ton in seiner Brust mehr fi nden, der an das große Ganze klingt, der es mitreißt zu ein em mächtige n, einstimmigen Li ede ... . Schaut doch die Neutön er an, wa s sie fertigbringen! Ist das volk s- t ü mlich? - Seht unsere W a ndervogelsänger und was sie Eigene s brachten!

Die 1 919 komponierten F ü nf Pittoresken f ü r Kla- vier (in: Erwin S chulhoff, Vier Klavierkom positio- nen op.10, op. 13, op. 21, op. 31, Ries & Er ler, Ber-

3 Ehre - Anf ang un d Ende unseres ganzen Den ken s und Handelns ( Rosen b erg) - gehör te i n de r ge samt en NS - Literatur zu d en am m eisten geschätzten Begriffen. Unsre Ehre die hei ßt Tr eu e w a r die Lo sung d er SS, d ie heute von Neo naz is wi e der „benützt“ w ird.

6 lin 1991, S.61 ff. , https://www.youtube.com/watch?v=AZVezITW3AY ) hat Erwin Schulhoff „dem Maler und Dadaisten George Gro ß“ gewi dmet. (Georg Groß änder te seinen Namen im September 1916 in George Grosz). Georg e Grosz’s Gedicht zitier t er auf de m Tite lblatt der Klavi erausgabe (s.o.) . Es ist einer von Grosz’s Gesängen, die dieser seit 1910 schri eb, 1917 abgedruckt in der im Mal ik - Verl ag erschienenen Zeitschrift N eue Jugen d , die das Exotische des alltäglichen Lebe ns mit stup e nd realistisch er Einbild u ngsk raft besingen (W alter Mehring). Die For derung Dadas nach Erneueru ng der Ausdrucksmittel in ei ner Weise, die mit dem Bild u n gs- ideal des o rdnungslieb enden B ü r gers“ nichts m ehr gemein habe (Raoul Hausmann), setzte Schu l- hoff hier u nmittelbar und in kompos itori scher Weise radikal um. Die Satzbezeich nungen „Foxtrot t“, „Ragt ime“, „One - Step“ und „Maxixe“ verwe isen darauf, da ss hier d ie Sphäre der hohen Kunst und abendländischen Tradition verlassen wird. Das Aufgreifen amerik anischer Tanzmusik war mit Sicherhei t m it von Gr osz inspiriert. (T obias Widmaier, Colonel Schulhoff, Musi k d ada, in: NZfM 3, 1994 S.1 7) Damals wurde das Aufgreifen von Tanz - und Jazzmusik ( futuristische Neg ertöne ) als Prov o kation verstanden, was sich heute kaum noch nach v oll ziehen lä ss t. Der drit te Satz fällt völlig aus dem Rahmen und zeigt Schulhoff als Dada - Exzentriker : Späße mit Pausenzeichen, lachen den und weinend en Sonnen, Ausrufungs - und F ragezeich en, Schl ü s seln, fal- schen Taktangaben (3/5, 7/10) , eine Generalpause/Marsc hallpause - eine weite re Hommage an George Grosz, der als eine r der Veranstalter der E r sten internatioalen Dada - Messe 1920 mit „Mar- schall G .Grosz“ g e zeichnet hatte ; schließlich d ie vorangeste llte A nweisung Tutto il canzone con es pres sion e e sentimento ad libitum, sempre, s in al fine!

2 Die Kultu rpolitik des NS - Staa ates 4

Synopsis kulturpolitische r Maßn ahmen des NS - Staates 1930 Erster Versuch eines Jazzverbots durch Wilhelm Frick, natio nalsozialistischer thüringischer Volks- bi ldungsminister: Ver fü gung gegen die Neg erkultur , Verbot von Jazzband - und Schlagz eug - Musik, Negertänzen, Negerge s ängen , Negerstücken. 1933 13. März: Erlaß über die Einrichtung des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda 7. April: Verabschied ung des Gesetzes zu r "Wiederherstell ung des Ber ufsbeamte ntums"; ermög- licht die Au sschließung von po litisch mißlie b ige n Personen und 'Nichtariern' aus Beamtenbe rufen. 11. April: Schließung des Berliner Bauhauses durch Göring 10. Mai: Öffentliche Bücherverb rennung in den Haup t - und Uni versitä tss tädten des Reiches (in auf Veranlas sung von Goebbels) 22. September: R e ichsku lturkammergesetz: Einrichtung der Reichsmusikkammer, der Reichskam- mer der bildenden Könste , Verbot des F ü hrens von ausländischen oder ausländisch klin g enden Decknamen Sp äts ommer: In deutsche n Jugendherbergen Jazzve rbot 1934 25. April: Nichtarie rf r agebogen der Reichsmusikkammer 4.Juni: Zusammenschlu ss der Deutschen Bühne und des Kampf bundes för deutsche Kultur zur " NS - Kulturgemeinde Ros enbergs 28. N ovember: Verordnung des Re ichspr äsidenten Zum Schutze von Volk und S taat : Gesetzliche Grundlage d afür, da ss im Dezember von 40 offiziellen Stellen sind allein für 1934 4100 Druck - schriften verboten sind

4 Schülerheft S. 6 ff .

7 1935 12. Oktober: Hadamovsky - Erlaß f ü r den Rundf unk: "Verbot des Nigger - J azz " 193 6 26. Mai : Verordnung über den Absta mmungsnachwe is von Mitglie de rn der Reichskulturkammer 27. November: Verbot der Kunstkritik, Verordnung des "Kunstbe richts" durch Goebbels Dezember: Goebbels meldet: Reichskult urkammer "j udenrein" 1937 Januar: B egr ündung der Zeits chrift Die Kunst im Dritte n Reich durch Rosenberg 30 . Ju n i: Beauftragung des Präsidenten der Reichskammer der bildenden Künste, Ziegler, mit der Vorbereitung einer Aus stellung Verfallskunst seit 1910 1 8. Juli : Eröffnung der ersten Großen De utsc hen Kunst ausstel lung in München 19. Ju li: Eröffnung der Auss tellun g Entartete Kunst in Mün chen 18. Dezember: Anordnung über unerwünschte und schädliche Musik erste Swingtanz - Verbote 1938 22. - 29. Mai: Reichsmusikt age in Düsseldorf , dabei am 24.Mai: Erö ffnu ng der A usst ellung Entarte- te Musik 5 3 1. Mai: Gesetz über die Einz ie hung von Erzeugnissen entarte ter Kunst 5. November: Juden dürfen an Darbietungen der deutschen Kul tur nicht mehr teilnehmen 1939 20. März: Ver b rennung des unverwertbaren Bestands bes chl ag nahmte r Kunstwerke in Berlin 1. Augu st: Das Spiele n "jüdischer" Ta nz - und Unterhaltungsmusik wird mit Berufsverbot geahndet 1. September: Verordnung über außerordentlicher Rundfunkmaß nahmen : Das absichtlic he Abh ö- ren ausländischer Sender ist verbot en . Erste Li ste unerwünschter musikalischer W erke 1. November: 'Arisc he ' Organisten dürfen bei jüdischen Trauer feiern nicht mehr mitwirken. 1941 15. November: Die Aufführung von Werken polnischer, englischer, f ranzösisc her und russischer Komponisten ist w ähr en d des Kr ieges untersagt, ausgenommen Cho pin und Bizets Carmen. 19 44 28. Juli: Eröffnung der letzten Großen Kunstausstellung in M ü nchen

E inige der wichtigsten politische n Daten und Hinweise zur Juden verfo lgung 27.2. 19 33 Reichstagsbrand 28.2. 19 33 Veror dnu ng zu m Schu t z von Volk und Staat: zur Abwe hr ko mmunistis cher staatsge fä hr- dender Gewaltakte . Wenige, aber allumfassende Vollmach ten erlauben die Verfolgung von Ein zel- personen und Inst itutio n e n, die nicht das geri ngste mit eine m k ommunistischen Ansc hl ag z u t un haben. 24.3. 19 33 Ermächtigungsgesetz ( G esetz zur Behebung der Not von Volk und Staat ): die Reichsre- gierung wird ermächtigt, Gesetze ein schließlich Verfassungsänderungen auch oh ne Re ichsta g zu besch ließen . 7.4. 19 33 Gesetz zur Wiederherstellung des Be r ufs beamtentums : mit dem Arierparagraphen und weiteren Bestimmungen ermöglicht es die Entlassung oder R ü ckstufung mißliebiger Be amter und linientreuen Ersatz. 30 000 Beamte verlo ren i hren P o s ten, zuerst meist Jud en und Ko mmuni sten. Nach dem Deutsch en Beamte nge setz vom 27.1.1937 reichte dann der bloße Verdacht oder nicht ganz angepasste Haltung f ü r die Entfernung aus dem Dienst.

5 Diese Ausstellung wurde 1988 durch Albrech t Düml in g u nd Peter G i rth r eko nstr uiert. Der Ausstellungskata log is t 1993 in der dritten, verbe ss erten un d w e sentl ich er we i terten Form er schiene n : Entartete Mus ik. Dokume ntation und Kom m e nt ar, D üsseld orf 1988 . Da z u gibt es eine auf vier CDs angebotene Ton do- kumen ta tio n Entar tet e Musi k mit Reden zum Thema von Nazi - Gr ößen u nd vielen Musikbeispi e len. (PO OL - Musikpr o d uktio n, Ber l in )

8 Ju ni/Juli 1933 „Selbstauflösung“ aller Parteien auße r der NSDAP S eptember 1935 Verk ü nd igung der N ü rn berger Gesetze auf dem R eichspa rte itag 9.11. 19 38 Reichs pogrom nacht 13.3. 19 38 Anschlu ss Österreichs 15.3. 19 39 Besetzung der Tschechoslowakei durch deutsche Tru ppen, Böhmen und Mähren zum Reichsprotektorat erklärt 23 .8. 19 39 Nicht a n griffspakt 1.9. 19 39 Üb e rf al l auf Polen . M it dem Einmarsch i n Warschau am 1.10. 19 39 ist der Krieg gegen Polen beendet und es folgen die ersten Judendeportationen dorthin. Ab 28.10. 19 39 ist das Tragen des Judensternes Pflicht. Sommer 1941 Beginn der Endlö sung 6 . bis 16 . 12. 19 41 der Ostf eld zug bleibt vor Moskau stecke n 3 1.1. b is 2. 2. 19 43 Stalingrad

Judenverfolg ung Der Antisemitismus aus rein gefühlsmäßigen Gründen wird seinen letzten Ausdruc k finden in der Form von Pogromen. Der Antisemitismus d er Vernunft jedoch mu ss führe n zur pla nmäßi gen ge- setzlichen Bekämpfung und Be seitigung d er Vorrechte des Juden, die er nur zum Unterschied der anderen zwischen uns lebenden Fremden besitzt (Fremdeng e se tzgebung). Sein letztes Ziel aber mu ss unverückbar die Entfernung der Juden üb erhaup t sein . (Hitle r am 16.9.1919 an seinen Führu ngs offizier bei d er Reichswehr)

Staatsbürge r kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blu- tes ist, ohne Rüc k sicht auf Konfession. Kein Jude kann daher Volks genosse sein . (Aus d e m v o n Hitle r am 24.2.1920 im Hofbräuhau s v erkündeten Pro gr amm der NSDAP)

Hätte man zu Kriegsbeginn und während des Krieges einmal zwölf - oder fün f zehntausend dieser heb räischen Volksverderber so unter Giftgas gehalten, wie H underttause nde unserer allerb e s ten d eutsch en Arbeiter aus allen Schich ten und Berufen es i m Felde erdulden mu ss ten, dann wäre das Millione n opfer der Front nicht vergeblich gewesen. (Hitler: Mein Kampf )

Die „Entfernung“ der Juden begann mit dem Gesetz zur W iederherste llung des Be rufsbe a m t e n- tum s, na ch dem Nicht a rierfragebogen 19 34 folgten 1935 di e Nürnberger Gesetze, di e z. B. sog. rassische Mischehen verboten, 1936 der A b stammungsnachweis von Mitglieder n der R eichskultur- kammer; ab 5.11. 19 38 ist Jude n die Teiln ahme an kut u rellen V e ranst alt u ngen jeglicher Art verbo- ten. Eine ne ue Qualitä t erhielt die Judenverfolgung nach der Reichs p ogrom nacht vom 8. zum 9.November 1938. Bei diesem großangelegten un d gut organisierten Pogrom wurden jüdische Wo h nungen ge plündert, e twa 7500 Ges chäfte z erstör t, 1 7 1 Synagogen niedergebrannt, mindeste ns 100 Jud en ermordet und mehrere zehntausend verhaftet, von denen viele in Konzentrationslagern verschwanden. In der Folge gab es eine Fülle von Erlassen, die Juden z.B. die Ben utzung öffe ntli- cher Ver kehrsm i t tel, G rüna n lagen, Parkbänken, den Besitz von Ra dio s usw. ve rboten. Im Sommer 1941 schließlic h beginnt die Endlösung .

Adolf Hitlers Rede auf der Kulturtagung 1935 Ich bin daher überzeugt, dass wenige Jahre nationalsozialistischer - Volk s - und Staatsführung dem de utsc hen Volk gerade auf dem Gebiet der k ult urellen Leistungen mehr und Größeres schen ken werden als die letzten Jahrzehnte des jüdischen Regimes zusammengenomme n. (...) Die Kunst muss um ein solches Ziel zu erreichen auch wirkli ch Verkünderin des Erhabene n un d Schönen und damit Trägerin des Nat ürl ichen und Gesunden sein. ist sie dies, dan n ist für sie kein Opfer zu groß . Und ist sie dies nicht, dann ist es schad e um jede Mark, die dafür ausgegeben wird. Denn dann ist sie nicht ei n Element des Gesunden und dami t - des Aufbaues und Fortlebens, son-

9 d ern ein Zeichen der Degeneration und damit de s Verfalls. Was sich uns als sogenannter "Kult des Primitiven" offenbart, i st nicht der Ausdruck einer naiven unverdorbenen Seele, sondern einer durch und durch korrupten und krankhaften Verkommenheit. Wer die Bil der und Skulpturen - um nur ein besonders krasses Beispiel zu erwähnen unserer Dada- isten, Kubisten und Futuristen ode r eingebildeten Impressionisten mit dem Hinweis auf eine primi- tive Au sdrucksgestaltung entschuld igen will, der hat wohl keine Ahnung, da ss es nicht die Aufgabe der Kunst ist, den Me nschen an seine Degenerationserscheinungen zu erinnern, als vielmehr den De generationserscheinungen durch den Hinweis auf das ewig Gesunde und S chöne zu begegnen. Wenn die se S orte von Kunstverderbern sich anmaßt , d as "Primitive" im Empfinden eines Volkes z um Ausdruck bringen zu wollen, dann ist jedenfalls unser Volk seit einigen Jahrtausenden über die Primitivität solcher Kunstbarbaren schon längs t hinausgewachsen. Es lehnt die sen Unfug nicht nur ab, sondern es h ält die Fabrikanten entweder für Schwindler o der Irrsinnige! Beide aber haben wir im Dritten Reich nicht mehr die Absic ht auf das Volk loszulassen!

Joseph Goebbels Rede Ich habe seit der Machtergreifung der deuts chen Kunstkritik vier Jahre Zeit gelasse n s ich nach na- tional - sozialistischen Grundsät zen auszurichten. Da auch das Jahr 1936 keine befriedigende Besse- rung der K unstkritik gebracht hat, untersage ich mit dem heutigen Tage endgültig die Weiterfüh- rung der Kun stkr itik in der bisherigen Form. Anstell e d er bisherigen Kunstkritik wird ab heute de r Kunstbericht gestellt, an die Stelle des Kunstkritikers tritt der Kunstsc hriftleiter. Der Kunstbericht soll weniger Wertung als vielmehr Darste llung und damit Würdigung sein . (... ). Er verlangt Bil- dung, Takt, ans tändige Gesinnung und Respekt vor dem küns tlerischen Wollen. ( ... ) Das Amt des Kunstschriftleiters wird in der Beruf sliste der deutschen Presse an eine besondere Genehmigung geknüpft s ein, die wiederum abhängig i st v on dem Nachweis einer wirklich ausre ich enden Vorbil- dung auf dem Kunstgebiet, auf dem der betreffende Schriftleiter künftig tätig sein will. ( ... ) Nur Schrif tleiter werden in Zukunft Kunstleistungen besprechen können, die m it der Lauterkeit des Herzens und der Gesinnung des National s ozialiste n s ich der Aufgabe unterziehen. ( Joseph Goeb bels: 3. Jahrestagung der Reichskulturkammmer, in: Völkischer Beobachter, 2 8.11.1936 )

Wir haben nichts zu tun mit einer Musik, die ähnlich den Beispielen der entarteten bild enden Kunst verstandesmäßig konstrui ert u nd nic h t erlebt ist. Wir wollen auch nic hts Neues um jeden Preis, s ondern nur dort, wo wir es erwarten können, daß wir dem Volke damit etwas Wertvolles schenken. Wenn wir so oft von den ewigen Werten deutscher M usik sprechen, so bringen wir damit zum Aus- dr uck, d a ß das zeitlose Sc haffen eines Bee thoven, Bach, Mozart uns im mer erbaut, und daß sie das in ih r en Werken gefu nden haben, was der gesunde und echte deutsche Mensch immer verstehen und föhlen wird. (Obergebi etsf ü hrer Karl Cerff bei der Eröffnung d er R eichsm u s ikta ge in Stuttgart am 11.11.193 7) 6 Bei d en Reichsmusikta ge n der HJ in Stuttgart 1937 - den Begriff übernah men ein Jahr später die Reich smusiktage in Düsseldorf - wurd e in e iner Feierstunde in der Stuttga rte r Liederhalle der Leipziger Thomaner cho r in die H J „überführt“ und damit „gleichg eschaltet“. Karl Cerff, d am als Obergebietsführer und Leiter des Kulturamts der HJ, sagte in einer Rede, die HJ woll e durch diese Maßnah me das Erbe Bachs pflegen. Cerff wur de schon als F ü nfzehnjähriger 1922 Mitg lie d der SA , war von 1928 bis 1931 HJ - F ü hrer in Heidelberg, ab Mai 193 3 in der Reichsjugendf ü hrung tätig, ab 1941 Leiter des Hauptkulturamts der Reic hsprop a gand aleitung.

6 Sch ülerheft S.7

10 Das Bild vom neu en Deu tschland 7 Weltausste llu ng Paris 1937, deutscher Pavillon ( https : //de.wikipedia.org/wiki/Weltfachausst ellung_Paris_1937 )

Die deut sc he Kunst - Erbe Griechenlands Wenn man nach unseren Vorfahren fragt, müs sen wir imm er auf die Griechen hinweisen. Wir m ü ss ten … ankn ü pfen an das römi- sche Weltreich und an die griech ische An ti ke . (Hitler 1942) Die Olympiade 193 6 bot dazu die Gelegenhe it. In Leni Rief en- stahls Ol ympiade - Film Olympia - Fest der Völker , Fest der Schönheit verwande ln sich bezeichnenderweise zu Begin n h elle- nische Götter gest alten und Olympiakäm p fer in germanis che Dis- k us - und Speerwer fer.

Musikwissen scha ftler griffen mit d en Begriffen E thos, deuts ches Ethos, männliches Ethos in verfä lschender Weise auf die seit Platon überlieferte Ethos - Lehre der Musik zu rück, die u.a. be- stim m te Tonarten und mus i kalischen Chara ktere al s besonders nützlich für die Staa tser ziehung herausgeste llt hatte, mit dem Ziel, die Musik für staatliche Zwecke zu ve reinnahmen. Da ss z.B. Egk und Orff die Diatonik bevorzugen, lä ss t sich au ch so erklären.

Au f einem Gebiet mindes t ens haben die Bemühung e n der NS - Führung zu beachtlichen Erf olgen geführ t, als es n ä m lich darum ging, die neue Ästhetik u nters Volk zu bringen und Musikhören und Musik machen so zur Gewohnhei t we r den zu lassen, da ss sich selbst noch in entlegenen Dörfern ei n Bedürfnis nac h Tonkun s t herausbildete. Eine komplizierte M otivkette ma g derar tige Bemühu n gen veranla ss t haben; aber - wie in anderen autoritären Gemeinwesen - gab es dar ü berhin aus einen ganz summarischen Grund, das Volk sozusagen ‚un ter Musik zu setzen‘ un d es auf dies e Weise übe r die Realität des Alltags im Reic h hinwegzuführ en und eine ‚Kollektivierung‘ per Tonkunst ei n zulei ten. Die Musikwi s senschaft verwies beredt auf Platon, als es galt, die neue NS - Musikpolitik zu erklären und da durch zu rechtfertigen, da ss man ber ühmte Vo rlä uf er und geistige Väter präsen- tie r te: Überall, wo ein e in nere Geschlossenheit herrscht, ist die Mu sik fest in das Staatswesen eingeglie- dert und wird al s Ausdruck de r volksgebundenen Seele a ls geistiger Träger des Staates und der V o lksgemeinscha ft gewer te t. Deshalb wird sie gefördert, gepf legt und als Volksgu t vo n fre m den Einflüssen geschützt ... Vert iefung des deutschen Geistes in der Musik ist Aufgabe der verantwo rtlichen Führer. Dann hat auch die Musik die S tellung im deutschen Leben wiedergew onnen, d ie sie in früheren Jahrhunder- ten scho n hatte und kann d as L eben durchdringen, wie einst dem alten Gr iechen seine Musik nicht l‘art pour l‘ar t bede utet ha t, sondern Ku nst der Gemeinschaft - Eth os politikon. ( Karl Gu stav Fellerer: Musik und Politik. DTZ XX X/ 7,1933, S. 103 f. )

Auf di e „Verwandts chaft“ zwischen Griechen und Deuts chen weist der Reichserziehungsminister Bernhard Rus t bei der Eröffnung des musischen Gymnasiums in Frankfurt/M am 12. 7.1939 hin : Wenn Faust un d Helena sich vermählen, so ist da s nach d er strengen Gesetzgebung u nsres Reich es keine Mischehe. Deutscher Drang nach Unendlichkeit und edle helleni sche Sinnlichkeit entsprin- gen dem gleichen Blute, wurzeln in dem S chicksal nordisch - arischer Herkunft. D i e Einrichtung dieses und eines zwei ten mu s i schen Gymnasiums in Leip zi g 1941 war von Hitler sel bst angereg t wo r den.

7 Schül erheft S. 8 ff .

11 Bei seiner Rede auf der Kulturtagung des Reichspart eitages 1938 nahm Hitler nach der Architektur, d er Malerei und Bildhauerei auch zur Mus i k und den got tbegnadeten Musikern S tellung : S icher aber ist, da ss die Musik al s grö ßte Gestalterin von Gefühlen und Empfindungen anzuspre- chen ist, die das Gemüt be we gen, und da ss sie am w e nigs t en geeignet erscheint, den Verstand zu b efriedigen. … Ob es s ich aber um die Baukunst h a ndelt, od er um di e Musik, um Bi ldhauere i oder Malerei, eines soll man grundsät z lich nie außer acht lassen, jede wahre Kunst mu ss ihren Werke n den S t empel des Sch ö nen aufprägen. Denn das Id eal für uns al le hat in der Pflege des Ge sunden zu liegen. Alles G e s unde aber a llein ist richtig und natürli c h, alles Rich tige und Natürliche ist damit schön.

Die enthistorisierenden und idealisierenden Z ü ge , wie s i e in ewige Werte, zeitloses Scha f fen deu t- lich werden, übernahm der Nationalsozial ismus von der b ürgerlichen I deologie . N eu is t der Ras- sismu s, der hie r z.B. in ges und anklingt: ästhetische Fragen werden wie biologisch - medizinisc he behandelt (und umg ekehrt) . Für Hitler war Musikalität Ausdruck ei nes tiefen Gef ühlslebens, sein Vorbild war das romantische Musikhör en : im Ko n z er tsaal - und nicht nu r dort - s ollte das Den ken durch Gefühle ersetzt werden. Nichts ist mehr geeignet, den kleinen Nörgler zum S chweige n zu bringen als die ewige Sprache der gr oßen Kunst . (H itler auf dem Nürnberger Pa rteitag 1935).

Pr o spekt der Orge l in der Luitpoldhalle in Nür nbe rg https://www.google.de/s earch?q=Orgel+i n+der+Luitpoldhalle

Das Dritte Reich profitierte v.a. in seiner ‚Feierge sta ltung‘ von nichts so sehr wie von den sak ralen Assoziationen und kultischen Re sten der Musik und der musikalischen Veranstaltungen. Die Orgel ist das totale Instrum ent des totalen Staates. Sie symbolisiert einerseits - dank der Verwandtschaft mit Albert S PEERS Monumentalbauten - die monum entale M acht des Reiches, ja, si e repräsentie rt das mächtige Reich und seine untergeordneten Glieder, sofern sie selbst ein ‚Gesamt musikreich‘ ist. Die Orgel symbolisiert andererseits die Gemeinschaft, aber natürlich nic ht mehr die Gemeinde, sondern jene i rrationa le Größe, die nicht wie die Gesellsch aft aus Individuen besteht, sondern nur als Ganzes, als Volk eine Einheit bildet. Aufg abe der großen Orgel ist es, dem Volksgenossen emo- tional die Botschaft zu verkünden: Du b ist nichts, dein Volk ist alles. (Ri ethmülle r, Funkkolleg Mu- sikgesch ichte , Mainz 1988, S.21)

Deutsche Mu sik Das deuts ch e Wesen man ifestiert sich ang eblich in d er Inne rlichkeit, die der Deutsche dem Rest der Menschheit vo r aus habe. Als fe insinnig und kultu rbewu ss t w i rd das deutsche Gemüt gep riesen. Die deu tsche Seele wi rd beschworen. ( Ernst Loewy : Li t eratur unt er m Hakenkreuz , Berlin - L ichterfelde , 1969 , S.45) Da ss de uts che Musik einen eigenen Nationalcharakter habe und sich auszeichne durch S eelenti e fe, gut en Geschmack, Empfindungsreichtum, N atürlich keit, Wahrheit, Tiefe usw. und im Geg e n sa tz stehe zum le eren Tongeklingel der I taliener (u nordentlich, leicht sinnig) stünde, zur Glätte und ober- flächlichen Systematik der französischen Mu sik, ist ein Vorurteil, d as s chon im 18. Jahrhundert entstand . Der Mu sikwissenschaftler Hans Joachim Moser s tellt i n seinem Musiklexikon ( 2‘ Berlin 1 943, S.192) fest, d ie Deu t sche n h ätten von jeher in der Musik eine ‚Sprache‘ gesehen, die vor allem vom Rel igiösen und Dichterische n he r dasjenige Irrationale ausspric ht, was oberhalb von Begriff und Wort st eht, so da ss In nigkeit und Ernst ihr n ationales G rundgepräge ausmach en. Gegenübe r der artistisch - technischen Freude der Romanen am restlosen Gelingen des ‚W ie‘ betont der Germane i n de r Musik das inhaltliche ‚Was‘, i st sogar gegen allzu glatt virtuoses Gel ingen ar gwöhnis ch ablehnend .

12 Beei nflusst w oh l von Spengler, der die als „Ze rg liedern“ abqualifizierten Grundsätze rationaler Begriffsbildung, Intersubj ektivität und Überprüfbarke i t zugunsten von „Erfühlen“ und „Erl eben“ a b lehnt, fordert die NS - Musikwi ssenscha ft: Abe r über dem Wissen und E rkennen ste ht der Glaube an ei ne sinnvolle Ordnung der Kunst nach den Gesetzen des Blutes, den Wurzeln unsres Seins . D as unbeirrbare Fühlen und Ah n en der Dinge, das den Suchenden l eitet, i st ein fester Baugrund . (W.Boe ttiche r : Zur Er kenntnis von Rasse und Volkstum in der Musik. Berlin 1939, S.229). Der Komponist hat sich einem Publikum anzupassen, das nur aurale Libidostillung v e rlange und keinen Musik - Verstand‘ besitzen müsse, also nichts weiter a ls bee indruckt werden wolle. Nicht von Muskhören ist die Rede, sond e rn von einem Befriedigungsritual, und dies zu Recht, denn ‚wer nur fühlen will - oder sol l - mu ss nicht hören‘. Dahint e r steckt die Konze ption von der Tonkunst als Helferin der Regi erung bei Indokt rinierun g und Lenkung des Volke s, und sie schlo ss vieles von Bach und erst recht die letzten Qu artette Beethovens von dieser Nutzung aus; aber als he ilige klas- sische Werke litte n sie nicht darunte r. ( Fred K.Prieberg: Musik im NS - St aat, Fra nkfurt 198 9, S.114 )

Aufk lärungsfein dlicher Irre alismus war typisch für Teil e des deutschen Bürgertums und der deut- schen Intelligenz seit der zweiten Hälfte des 18.Ja hrhunderts. Sie waren unfäh i g es zu begreifen , da ss Rationalismus und Empirismus die natü rlichen Ve rbündeten einer mit der Unt erdrückung unvereinbar en Gesellschaftsor d nung waren. (Ar nold Hauser: Sozial geschichte der Kunst und Lite- ratur München 1972, S.632 ) So komplex und wiedersprüchlich die Spätroma ntik war: Sie bevorzugte - w ohl nich t nur in der spätere n völkisch - nationalen Wer tung - das Irrationale, das ‚Organische‘ , das Ge wachsene, G ewor- dene. Geschi chte wurde organisch verstanden, Volk war kein sozialer , sondern ein naturhistorischer Begriff. Mit ihrem apolitischen Innerlich keitskul t entwic kelte sie ei n e sich antikapitalistisc h geben- de Aversion gegen die Demokr a tie.

Das Or ganisch - Gewa chs ene : Der Be gri ff des Orga nischen ... ist aus der ro mantisc hen Staatsphilosophie überkommen; aller- dings erfuhr er seine eigentliche Biologisierung erst im späteren neu n zehnten Jahrhundert, nac h- dem die moderne Naturwissenschaft die Vorauss etzu ngen dafür geschaffen hat t e. Die Folg e war eine Entleerung des r ational en Sinngehaltes, der sich mit diesem Begriff noch verb inden mochte. Erst im autoritären De nken die ses Jahrhu n derts sank er schließlich zum bloßen Schlagwort herab. ( Ernst Loewy S. 69 )

Zusammen m it der Herausbi l dung des V orurteils vom typischen Cha rakter deutscher Musik ent- stand der Mythos von der Weltherrscha ft der deutschen Musik („ewige Werte deutsch er Musik “ ), der sich v.a. in der Wie ner Klassik festigte und durch das g anze 19. Ja hrhundert bi s heute fort- wir k t. Aus dem nationalen wurde schließli ch ein rassisches Vorurteil. So sagte Adolf Seifert, der 1940 e in Literaturverze ichnis vorlegte, mi t dem er Deutsch l ands Stellung als erste Musi knation „wissen- schaftlich“ unte r maue rn wollt e, 1933 in eine r Gastvorlesung an der Stu ttgarter Musikhochschule: W ohl gab es Zeiten, wo Völker sich in der Art ihrer Musikschöpfu ng ähnlich waren, aber das lag daran , da ss d ie nord i s che Rasse als Oberschicht ei ne rassische Brücke bildete. Diese B rücke bl ieb nicht dauer nd, eine Entfre m dung bilde te sich zwischen anderen Vö lkern un d uns, die wir durch unseren hohen nordischen Blutsante il führend wurden . (Musik und Rasse. AMZ LX/ 50, 15.1 2 .1933, S.621)

13 Die wahre deu tsche Kunst 8 Aus Hitlers Rede zur Er öffnung der Großen De utschen Kunstaus stellung im Haus der Kunst, Mün- chen 1937 : Ich möchte daher an dieser Stelle heute folgende Feststellu ng treffen: Bis zum Machtantritt des Nation alsozialismus hat es in Deutschland ei ne sogenannte "moderne" Kunst ge geben, d .h. also, wie e s schon im Wesen dieses Wortes liegt, fa st jedes Jahr eine andere. Das nationalsozialistische Deutschland abe r will wied er eine "deutsche Kunst", und diese soll un d wird wie alle schöpferi- schen Werte e ines Volkes eine ewige sein. Ent behrt si e aber eines so lchen Ewigkeitsw ertes für un- ser Volk, da nn ist sie au ch heute ohne höhe ren Wert . … Es ist oft die Frage gestel lt worden , was denn nun "deutsch sein" eigent lich he iße. Unter allen De- finitionen, die in Jahrhunderten und von vielen Männe rn darüb er aufgestellt worden sind, sch eint mir jene wohl am wü rdigsten zu s ein, die es überhaupt nicht versucht, in erster Linie ei ne Erklä- r ung abzugeben als vielmehr ein Geset z aufzu stellen. Das schönste Gesetz aber, das ich mir für mein Volk auf dieser Welt als Aufgabe seines Lebens vorzuste llen vermag, hat schon e in großer Deu tscher einst ausgesprochen: "Deutsch sein, heißt klar se in." Das aber würde besagen, daß deutsch sein damit logisch und vor allem auch wahr sein h eißt . … Ob jemand ein starkes Wol len hat oder ein innere s Erleben, das m ag er durch sein Werk und nicht durch schwatzharte Worte beweisen. Überhaupt interessiert uns alle vie l weniger das sogenannte Wollen als das Kön nen …. Dieser Menschentyp, den wir erst im vergangenen Jahr in den Olympi schen Sp ielen in seiner strah- lenden, st olzen, körperlichen Kraft und Gesundh eit vor der g anzen Welt in Erscheinung treten sa- hen, die ser Mensc hentyp, meine Herren prähistorischen Kunsts totterer, ist der Typ der neuen Zeit, und was fabrizieren Sie? Mißgestal tete Krü ppel und Kretin s, Frauen, die n ur abscheuerregend wirken können, Män ner, die Tier en näher sind als Menschen, Kinder, die, we nn sie so leben wür- den, geradezu als Fluch Go ttes em pfunden werden müßte n

„ K lassische“ Komponisten wurden instrumentalisert 9 Viele „klass ische“ Komponi sten wurden instrument alisert und entsp rechend interpretiert bzw. u m- gedeutet und so für die pol itische Pro paganda mi ss braucht. Die Stilisierung und Idealisierung von Musikerbi ographien hatt e schon im neun zehnten J ahrhu n dert begonnen. Man glau bte, den ‚groß en Meistern‘ alle Eige nschaft en andicht en zu müssen, die man für Tu genden hielt. .. um sie dann zu moralis chen Leitbildern machen zu können ... (Wol f gang Hil- desheimer: Mozart, Frankfurt 1979, S.116) So nen nt z.B. Richard Benz (1884 - 1966) urspr ünglich Kunsth istoriker, Verfasser e iner Ar t deut- sche r Musikgeschichte Die Stunde der deutsche n Musik (Jena 1 927) seine Betrachtungen über deutsche Komponisten D i e ewigen Meister (Jena 1935 ) und schreibt im Vorwort (S. 3) : Wohl kei- nem andern Volk außer dem deutschen ist e s beschieden, da ss es zu jed er Stunde in einen heiligen Kreis ewig er Meister ein zutreten verma g , die ihm in überirdischer Spr a che sein innerstes See len- t um künden.

J.S. Bach war ja bereits im 19. Jahrhundert zum Gründer vater der Musik und Hel den nationaler G eisteshaltung stilis iert wo rden. Im D ritten Reich wandelte sich d ieses nationale Element aus de m wi lhelminisch en Erbe zum völkischen. Allerdings war die In dienstnahme nicht so einf ach: für Massenkundgebungen w ar er eh er ungeeignet und gerad e die Polyphonie entzieht sich ja eh er ei- ne m leichten Zuhören. Wichtiger als sei ne „konfessionel l kirchlichen Bind ungen“ war jetzt seine deutsche Abstammung. Richa rd Be nz z.B. gibt seinem Bachkapitel in Die ewigen Me ister de n Titel Bachs deutsche Sendung und stel lt fest: Er ist der einzige große Meis ter damals, wie später Beethoven, der nicht nach Italien geht , der die m odische Ausbildung durch die südliche Wand e r ung verschmäht . ... In ihm t ritt noch einmal das

8 Schülerheft S. 10 f. 9 Schülerheft S.11

14 r e i n e nordis che Erbe machtvoll zu Tage. (S.24) Die Reichsstelle zur Förderu ng des deuts chen Schrifttums empfahl: Bach - A ufführungen nicht im Gott esdi enst, nicht im Konzertsaal, aber in Feierstunden. (Pr ieberg S.350 f.) In seinem Aufsatz Bach und der deutsch e G eist (in: Zeitschrift für Deutsch kunde 1941, S.330 ff.) stellt Muthesi us fest , da ss sich der nordische Unendlichkei tsdrang n icht in die g e fälligen Schran- ken romanischer Form einfügen kann u n d Bach in der Polyphonie eine L ösung gefunden habe; die Poly pho nie sei die unüberbietbare, ewig g ü lt ige Ver wirklichung nordisch germanis cher Ge istesa rt im deutschen Volk . Bekanntli ch geht die Entwic klu ng der F uge in Süddeutschland (Pachelbel, Kerll) auf das Variati- onsricercar Frescoba l dis zur ück, Scheidt stützte s i ch auf Sweelinck (+1621 in Amsterdam), bei dem sich wie bei Giovanni Gabrie li (+16 13 in Venedig) das einthemige Ricercar findet .

Immer wie de r taucht auch - entsprechend ausgeschmückt und erweit ert - Forkels auf Wilhelm Frie- de mann zurückgehe n der Bericht v on Bachs Besuch bei Friedrich II. in Pot sdam 17 47 auf, wo der König, dem Sti l des A ltmeis ters selbst kompositorisch benac hbart, ihn mit höc hs ter Ausze ichnung empfing (H.J. Moser: Musikgesc hichte in hundert Leben s bildern, Stutt gart 3 ´ 1958, S. 337). Und Ba ch setzt sich hin und spielt. Stumm laus chen die Hingerissenen über so viel Geist u nd Ge- wa ndtheit . ... zwei Könige in ein em gewe ihten Augenb li ck nebene inander! Welche Stunde! (Der fünfte E vangeli st, das Leben von J.S.Bach, dem Volk erzählt von Karl Hesselb ac her (1871 - 1943), Pfarrer und Volksschr if t stel ler, Stuttgart 5 ´ 1934, S.89)

Georg F r iedric h Händel Während der Händel - R enaiss ance der zwanz iger Jahre (bi s 1930 ware n elf Opern wiederbelebt wor den) dient en Hän dels Opern - häufig mit einer a bstrahierten Szenerie symboli sti sch inszeniert - u.a. a ls Waf fe gegen die naturali s tischen Wagneri nszenieru ngen. Eine nationalistische N euint erpre- tation ha tte es daneben zum ersten mal 1914 gegeben, als Judas Maccabäus zu Der Feldherr umge- schrieben wurde. Bei den Händel - Festspielen zu m 2 50. Geburtstag 1935 in H alle wurde das fortge- setzt, der Kosm opolit Händel wu rde „heimgeholt“. In einer Re de am Vorabend beze ichnete Rosen- b erg Händel als einen deutschen Wikinge r . In der N acht vom 22. auf den 23. Februar fa nd vor der Händel - Statue auf dem Marktplatz eine Massenkun dge bung statt, zu der auch Hitler er wartet wur- de, der allerdings seinen Schlaf au f d er Reise von B erlin nach Mün chen nicht unterbrechen wollte. ( nach Christ opher Hogwoo d: G eorg F riedrich Händel , Stuttgart/Weimar 1992 ) Da sich die geistlichen Ora tor ien weg en „ihrer Textinhalte“ nicht eignete n, wurd en sie umgeschri e- ben: aus Judas Maccab äus wurde nun Heldenvo lk und s chließlich gar Wilhelmus von Nassauen , aus Jephta wurde Das Opfer , aus Israel in Ägypten wu rde Opfersieg von Walstatt .

( Der Musikschriftsteller Paul Neubert ver langte 1936 eine Ne udichtu ng Bachscher Kantatent exte ; die NS - Ku lturge meinde förderte die Neubearb eitung von M ozar t - Opern, um den von dem jüdi- sch en Librettisten da Ponte gesc hri ebenen Text zu arisieren und von „semitischen Floskeln“ zu bef re i en. )

Ludwig v a n Beethoven Adol f Hitle r, Her mann Göring un d Josef Goebbels - um nu r die promi nentesten zu nenne n - liebten und verehrt en die Sinfonien und Ouvertüren Bee thovens nicht nur, sondern zä hl ten sie zu den hei- l igsten Gütern der Nation. In die sem Sinn wurde es den ansonsten von den Nat ionals ozialisten zu- n ächst noch tolerie rten o der als ein e Art kulturellen Gettos sogar geförderte n j üdischen Kultur- bünden ausdrückli ch verb o ten, Beethoven zu spi el en. Umgekehrt wurde 1938 die Gründung eines Beethov en - Orchesters der Hitlerjugend gefor dert, d amit ‚ ganz Deutschla nd, jeder deutsche Junge , jedes BDM - Mädel dann zumind est einmal im Leben die Nä he dieses Titanen gespürt hat‘ . (Geck/Schleuning: „Geschrieb en auf Bonaparte“ Rei nbek 1989, S.348 f.)

15 Am 26. Mär z 1927 schrieb Alf red Rosenberg im „ Völkisc hen Beo bachter“ zum 1 00.Todestag Beeth ovens: Einen Tag l ang wollen wir uns g estatten, an der größten Herzenserweiterung teilzu- nehmen im Bewu ss tsein, da ss der Deu ts che Beethoven über alle Völker des Abendlandes hin aus- ragt und den be sten unter ihnen a ls ein Zentrum echter Schöpf erkraft gilt. Dan n aber wollen wir daran denken, da ss Beet hoven für uns den treibe nden Willen zu deutscher Gest altung abgeben kann und mu ss . D enn wir leben heute in der Eroica des deu t schen Vo lkes.

Richard Wa gner Den größten Ausdruc k gab d er Führer sein er Verehrung für Ric hard Wagner und sein Werk aber da durch, da ss er den Namen de s Meisters durch die Bestimmung der ‚Meistersinger von Nür nb erg‘ zum Festspiel de r Reichsparteitage f ü r alle Zei ten mit der Stadt der Reichsparteita ge verb and. (R ichard Wilhelm Stock 1938. in: ror oro Sachbuc h Meiste r singer S.201 ) Als Hitler 1935 beim Reic hsparteitag der Freiheit im R athaus eintraf, erklang der Wach auf - Chor aus de n Meiste r singern. Am Abend gab es ei ne Meistersinger - G ala unter der Leit ung von W ilhelm Furtwän gler; Hitler saß zwi sc hen Winif red Wagner und dem „Fr a nkenführer“ Julius Streiche r, der maßgeblich am Z u standek ommen der Nürnberger Gesetz e beteiligt war.

Wagne r wurde schon in den Zwanzigerjahre n als Gewährsmann von kämpferischen Antisem ite n angerufen. Sein Jude n tum in der M usik von 18 50 fand als eine völk i sche Bekenntnisschrift gro ße Verbreitung und Nachahmung im Dritten Reich. Kritik an seinem Werk führte er auf jüdische Konsp iration zurück un d schlug wild zur ück: Der J ude hat n ie eine eigen e Kunst gehabt, daher nie ei n Le ben von kunstfähigem Gehal te . (Richard Wagner, Die H au ptschriften Stuttgart /Kröner 1956, S.124 f.) Wir müssen die Periode des Judentums in der modernen Mus ik geschichtli ch al s die der volle nde- ten Unpr oduktivitä t, der verko mmenen Stabilität bezeic h nen . (S. 129). Wagner überließ die Interpretation des mehr de utigen Schlusses dies er Schrift dem Leser: Gemeinschaftlich mit uns Mensch zu werden, heißt für den J uden aber zu a llernä chst soviel al s: au f hören Jude zu se in. (S. 136 ) Für die Nationalsozialisten war das eindeutig: Sie versta nden es nicht als gesellsch af tliche Emanzipation, wie von Wagner vielleicht ja gemeint, sondern als Ver- nichtung. Ungeschieden lieg en darin zusam men d er Marxsche Ged anke v on de r gesellsc haftlic hen E ma n zi- pation der Juden als de r Ema nzipation der Gesellschaf t vom Profitmotiv, für das si e symbolisch einst e he n, und der von der Vernichtung der Juden selber . … Der Wagnersche Antisemitismus ve r- sammelt all e Ing redienzien des später en in sich . ... Von se inen id eologischen Nachfahren unte r- sch eidet er sich dabei nur, in dem er die Vernichtung der Re ttung gleichsetzt. ( Adorno: Versuch über Wagner, München 1952/1964, S.23f.) Im Gegensatz zu der offi zie l len Wagner - For schung, die dami t so z usag en das Kapi tel Wag ners An- tisemistismus abschließt , ist D as Judentum in der Musi k der Ausgangspunkt der ant is emitistischen Hetzsch riften von Wagner, die sich dann im La u fe der folgenden Jahrzehnte bis zu den sog enann- ten - von Wagner selbst deklar ierten - Reg ener a tions schrift en vo n 1879 bis 1881 hinziehen wi rd un d die dann besonders in d er Regeneration s schrift Erk en ne dich selbst von 18 81, Visionen vor- gibt, die in erschreckender Weise selbst an die Vision Hitlers in der Endlösung doch vorwegneh- mend wirkt. (Go ttfried Wag ner in der Sendung Herrn Hitlers Religi on von Petrus van der Let 12 ‚ 19 96 in 3sat). In Heldent um und Christentum - im zehnten Band seiner Werke, die später den Sammeltitel Rege- nerationsschriften erh ielten - verwei st Wag ner auf die R assenthe ori e Gobinaeus, mit de m er im Alter befreundet war. D ie weiß e Rasse , deren Vorzug der Intellekt sei, die m it Her a k l es/Siegfried H eldennaturen besitze, ohne Lügen, frei, wahrhaftig, und stolz, werde verdorben durch Vermi- schu ng. Die Bege gnung mit den R öm ern, dem lateinisch en S emi tenreich verderbe sie. A uch das Blut d es Christentums (sei) verderbt ... das Blut d es Erlösers selbst. ( Wagner S.413)

16 Der Generation der Väter und d er offiziellen Wagnerforschung wirft der Urenkel Got tfried Wagner ( Wer nicht mit d em Wolf heult , Auto biog rap hische Aufzeichnungen ei nes Wagner Ure nkels, Köln 1997 ) nicht nur Verführbarkeit un d Mittäterschaft vor, sondern v.a. ihre Verdrängungs - und Ver- harmlosungspraxis. So ist z.B. Das Juden tum in der Musi k in der Ausg abe 19 56 nicht ab gedruckt; weil die in uns e rer jüngeren Vergangenh eit ausgiebig m i ss brauchte Kam p f schrift ‚Das Judentum in de r Musik‘... durchaus m ehr auf dem Boden subjektiver Aversion, denn objektiver Beobac h tung gewachsen is t, vor allem ab er, da sie sei t ihr em Erschein e n weit mehr Unheil und Ver wirrung als Klärung eine s rassischen P roblems gestift et hat, sehen wir davon ab, s ie in diese Neuauflage zu übernehmen. (Ernst Bücken als Herausgeber, S.129) Und so wurde eine Ausstel lung, die 1997 anlä ss lich des 100. Geburtstag es von Winifred Wagne r gepla nt war, kurzfristig abge sagt, weil die Gestalt der lieben, verehrten Wini (Wi ni fred, die Frau Siegfri ed Wagners), die ja bekanntlich mit Hitler befreundet war, noch nicht genügend e rforscht sei. O b nun Wagner der Pr ophet und H it ler sein Vollstrecker war (J oachim Köhler) oder ob die Frage z utri fft: Was kann Wa g ner dafür, da ss Hitler ihn mochte ? ( Bundespräside nt Walter Scheel 1976 im Fe stspielhaus Bayreuth zit. nach Erich Kuby : Die Welt ist mir schuldig, was ich bra u che . Zei t- magazin 4.2. 19 83 S.18) ; - o der ob man mit Rudolf Au g stein relativiert: Hät te es Richard Wagner und se in Bayreuth nie ge- geben, so hätte Adolf Hitlers Weg dennoch nach Auschwitz - Birkenau geführt (Spiegel Ti tel Sieg- fried, Lohengrin, Parsifa l - Hitler? 3 0/ 19 97 S.154 ff.) und w ie er die E ntwickl ung dem ver heeren- den Zeitgeist anlast e t: Hitler liebte nicht nur Wagners Musik, er kannte di e thematischen Inhalte sein er Bühnenwerke und seine theoretischen Schriften - ob er sie nun richtig oder falsch verstand , wenn er s agte: Die Werk e Wagners s chli e ße n alles in s ich, was der Nationalso zia lismus erst rebt . Er sah in Rienzi , in dem Germanenkul t und Gralsorden vorgezeich ne t waren, ein Vorbild, wollte ein Volkstribun oder Polti- ker wie Rienzi werden. Die bei den Nür nberg er Parteitagen ge spielte Rienzi - Ouve rt ü re wurde zur heimlichen Hymne d es Dri tten Re i ches. Und auch d er Fest - und Weihespielchar akter der NS - Parteiveransta lt ungen hat Wagners Bühn e zum Vorbild. In Mein Kampf b e richtet Hitler, da ss er als Zwölfjähriger zu m erstenmal den Lohe ngrin sah und gren ze nlos bege istert war. Er sah ihn zehnma l und kon nte als Erwachs ener das Libretto fast ganz auswendig.

Zitate aus Lohe ng rin: König Heinrich (d er Vogeler): Der Not des Reiches seid von mir gemahnt! Soll ich euch ers t der Dr angsal Kunde sa gen, die deut sches L and so oft aus Osten traf? ... mit wil den Drohen r ü stet sich der Feind. Nun ist es Zeit, de s Reiches Ehr zu wahren; ob O st, ob West, das gelte allen gleich! Was deutsches Land heißt, stelle Kampfesscharen, dann sc hmäht woh l niemand mehr das deu t sche Reich! (Reclam Te xtheft S.12f . ) Nun soll des Reiches Fei nd sich nahn, w ir wollen tapfer ihn empfah n: aus seinem öden Ost dahe r soll er sich nimmer wa gen mehr! Für deutsches Land das deutsche Schwert! So sei des Reiches Kraft bewä hrt! (Reclam S. 53) Loheng rin: Na c h Deutschla nd sollen noch in ferns ten Tagen des O stens Horden si egreich nimmer ziehn! (Recl am S.58)

Den Tristan wil l er 30 bis 40 - mal gehör t haben .

17 Hitler ließ sich von Winifred Wagner und ihr en Kindern mit dem Vornamen „W olf“ anreden, ging be i Wagne rs als Hau s - und Kinderfr eund ein und aus und sorgte für die finanzielle Unters tü tzung der Festspiele. Wolfgang Wagners Cousin Franz Wilhelm Beidler 1951: Die Festspiele waren mit ihr e m obligaten Zu behör an Welta nscha uung immer ein Politikum hohen Gra des. 1933 ist lediglich die Dr achensaat au fgegangen, die vorher während Jahrzehnten vo r- nehmlich von dort aus gesät worden war. Wenn im Nationalsozialismus überhaupt eine Ideologie, eine Ges i nnung enthalte n ist, so ist es zu einem er schreckend großen Teil Ba y reu ther Ges innung. (Köhler : Wag ners Hitle r . Der Prophet und sein Vollstrecker, M ünchen 1997 , S.19 1 und 451)

Am 7.10.1923 war Hitler Gast in der Villa Wahnfri ed . Winifred Wagner schickte ihm in seine Haft in Landsber g Päckchen ; auch das P apie r für Mein Kampf wurde von Bay reuth geste llt. Wenige Ta- ge nach H itlers Inhaf tierung nach dem B ürgerbräuputsch vom 9.11.19 23 verfa ss te die Familie Wa gn er einen offenen Brief , der so b e gann: Ganz Bayreuth weiß, da ss wir in freundsch aftlicher Beziehung z u Ado lf Hitler stehen. … Seit Jah ren verfolgen wir mit g rößt er innerer Teilnahme und Zu stimmung die aufbauende Ar beit Adolf Hitlers. (Offen er Brief Winifred Wagner s vom 14.11.1923 in Hartmut Zelinsky: Richard Wagner . Ein deutsches Them a , Wien 198 3 S.169 )

Die ersten Bay reuth er Nachkriegsfe sts piele von 1924 w aren e in K ampfappell der ‚Alten K amera- den‘, all er Antidemokraten , Sozialistengegener und M ilitärschwärmer ( Han s Mayer: Richard Wag- n er in Bayreuth, St uttgart 1978 , S.8 1) . Weil die Ju den Bruno Walter, Erich Kleiber, Ott o Klemp erer und Leo Blech als Dirigenten nich t in Fra ge kamen, leite te Fr itz Busch die Meistersing er. (Er war allerdings von der „agress iven, antisemiti schen und nationalistische n Deutschtümelei des „Bay- re ut her Kreises“ (Mayer S. 58) so angewidert, da ss er seine V erpflichtung für 1925 rückgängig macht e und ni e wieder nach B ayreu th kam). Am Sc hlu ss der O per wurde stehend das D eutschland- lied ge sungen. Im Fest spielführer des gleichen Jahres hieß es: Richard Wa gn er ist ein Füh rer zu n ationalem S o zialismus . Nach der Ent lassung im Dezember 1924 wurde Hitler sogar angeboten, als Mitbewo hner in die Villa Wahnf ried einz u ziehen. Unter den folgenden Vo rschlag schrieb Hitler: Der erste brauch bare Entwurf, zur Bearbeitu ng an Dr.Goebbels . 10.8. 1943 Vorschlag 6, nach Vornah me eini ger Änderungen zur Vorlage an den Führ er ang enom- men/Sitzung sberich t vom 14.8.4 3: Sofortig e und bedingungslose Ab schaffung sämtli cher Religions- be kennt - nisse nach dem End sieg . ... Der Führer ist dabei a ls ein Mitte lding zwis chen Erlöser und Befreier hinzust ellen, jedenfalls aber als Gottgesandt er, dem g öttliche Ehren zust ehen. Die vorha n- denen Kirc hen, Kapellen, Tempel u nd Kultstätten d er verschiedenen Religionsb e kenntnisse si nd in Adolf - Hitler - Weihestä tt en umzuwande ln . ... Als Vorbild des Gottgesandt en möge die Figur des Gralsritter Lohengrin d ienen . Dur ch entsprechend e P ropaganda mü ss te die Herkun ft des Führers noch meh r als bisher vers chleiert werden, so wie auch sein künfti ger Abgang einmal spurlos u nd in vollstä ndiges Dunk el zu erfolgen hätte: Rüc kkehr i n die Gral s burg.

Lit eratur : Theodor W . Adorno: Versuch über Wag ne r, Münch en 1952/1964 Winfried Sch ü ler: Der B ayreuther Kreis. Wagnerkult und Kultur reform im Geist vö lkischer Welt- anscha u ung, Münster 1971 Hans - Jür gen Sy berberg: Winfrie d Wagner und d ie Gesc hichte des Hauses Wahnfried von 1914 - 1 975. (Der Dokume n tarfilm v on 1975 le itete eine neue Phase der Hitler - For schung ein.) Han s Mayer: Richard Wagn er in Bayreuth, St uttgart 1978 Brigitte Ha mann: Hitlers Wien, Mün chen 1 996 Gottfried Wag ner: Wer nich t mit d em Wolf heult, Autobiographische Aufze ichnungen eines Wag- ner Ure n k els, Köln 1997

18 Joachim Köhler: Wag ners Hitler . Der Prophet und sein Vollstrecker, M ünchen 1997

Nebe n Wagner lag Hitler v.a . Bruckner , der wie er selbs t aus Oberösterrei ch stammt, am Herzen . Er sah in seinem Schicksal Par allele n zu seinem eigenen: Bruckn e r wurde i n der Haupstadt zu- nächst abgelehnt. Da ss ihn v.a. Han slick kritisiert hatt e, machte ihn für d ie Nazis zum Opfer jüdi- scher Kreise. Als einz ige B üs te der NS - Zeit w urde auf Hitl ers per sönlichen Wunsch 1937 in der Walhalla (erbaut von Ludwig I. von B a yern als Ruhmestempel der Deutsch en ) die vo n Bruckner aufges tellt. Zur feierlich en Enthüllung erklan g das Adagio aus seiner 8. Sinfonie. In einer R ede i n der Walhalla s agte Goe b bels u .a.: A nton Bruckner als der Sohn der österre ichischen Erde ist ganz be sonders da zu berufen, auch in unser er Gegenwar t die unlösliche geistige und seelis che Schicksalsgemeins chaft zu versinnbildli- c hen, die das gesamte de utsc he Volk verbindet . Nur wenige Mo nate sp äter, im März 1938, wurde Österreich „ angeschlossen“. Zum Tag de r Deut- sche n Kunst in München 1937 e rklangen „B ruckner - Fanfaren“ , eine entstellte Dur - Version des Hauptt hemas aus der 3.Sinfoni e. Es gab Bruckner - Feie rn u nd Bruckner - Feste. 1943 wurde in Linz d as Reichs - Bruckner - Orchester gegründet , eine Elite junger Musike r und Hoch schulabsolventen. Der Rei chs - Bruckne r - Chor kam dazu, geleitet vom Thoma skantor Günther R a min.

WernerEgk: Olympische Festm usik : https://de. schott - music.com/shop/ pdfviewer/inde x/readf ile/?idx=MTI3NDUw&idy=127450 https://www.last.fm/de/music/Werner+Egk/_/Hymne+aus+der+Olympischen+Festmusik+(Ausschn itt) Werner Eg k (1901 - 1983) war Kapellme ister, Hoc hschullehr er und Musi kfunktionär. 1941 - 1945 leit ete e r d ie Fac h schaft Komponis ten der Reich smusikkamm er, von 1950 an war er Präs ident des (west)d eutschen Komponi stenverba n des. Seine bekanntesten Opern sind Die Zaubergeig e (1935) und (19 38). 1941 komponier te Werner E gk für den Ufafilm Jungens d en Ma rs ch der deutschen Jugen d (Text Hans F ritz Beck mann) (Noten Prieberg S.28 f), in dem es u.a. heißt: Es fähr t ein Schiff au f dem Strom der Zeit in die strahlende Zukunf t hinein. An Bord stehn w i r, die HJ bereit! Kam e rad, ha st Du Mut, reih Dich ein! Der Ko mp onist und Musikkritike r Konrad Boehmer hatte in einer Veröffentlichung E gk als eine der ü be l sten Figuren nationalsozialist ischer Musikpolitik bezeichnet. Egk prozessie rte daraufhin - erfolgr eich - geg en Boehme r, der u.a. nicht behaupten durfte, da ss Eg k 193 6 von Hitler den Auft rag bekommen habe , zu den Olympischen Spielen ein e Fes t musik zu kom ponieren, für di e er später eine G oldmedaille bekam. Die Spruchkammer schrieb allerdings u.a.: Jede r, de r sei ne Leistu ng und sein en Namen dem Natio- nalsozialismus zur Verfügung stellte, ha t damit Schuld auf sic h geladen. Auch Egk kann di eser Vorwurf nicht erspart werden. Noch 1943 lobte Eg k im Völkischen Beobac hter die A usrottung d es Nihilismus und hoffte nach di ese m Gesundungsproze s s ... auf die Vermählung e iner id ealen Politik mit ei ner realen Kunst. ( Albr echt Dümling/ Pe ter Girth S .XXIX ) E gk polemisierte 1947 in seinem Essay Mit Musik g eht alles besser gegen die vo n Goebbe ls ( den er den flink en Doktor nennt ) ‚organisierte‘ M us ik des Nationalsozialis mus, Goebbels ‘ Kitschorgel . Der Essay beginnt mit der woh l ironisch gemeinten Feststellung: Als sich die Parteima schine i m Jahre 19 33 sponta n (!) erhob, um die Macht zu ergreif e n, da er- schollen auch sc hon eine Unzahl natio naler Lieder und Gesänge . ... Mit Musik geht al l es besser, nicht nur die Schiffschaukel, d er Rheindampfer und die Liebe, so n dern auch die Genickschu s s anla- g e un d der We ltkrieg . … Der Aufb ruch der Nation war mit so viel z acki gen Märschen ein geleitet worden, da ss die Lautsprecher heiß liefen von einem una ufhörlichen Fortiss i m o, ... das j edes int el- lektuelle Gewäsch und Geplappere, jeden sch wä chlichen intellektuel len Protest wie ei ne un wider- ste hliche Sturmflut we ggeschwemmt u nd ins tiefe Unterbewu ss tsein der Nat i on weggespült hatte. (Werner Egk - Musik - Wort - Bild, Mün ch en 1960 S.216 ff. ) Er verschwei gt, da ss er zumindest partiel l daran au ch betei ligt war un d z.B. 1 936 geschrieben ha tte:

19 Da he r s ollte in Zukunft alle Mu sik so b eschaffen sein, da ss man sie auf ein er KdF - Veranstaltun g spielen kann u nd sie hier v on allen Volksgenossen als innere Erhebung, Beglückung und Bereiche- rung empfunden wird. (D MW IV/26, 2 7.6.36, S.11, zit. nach Pr ieberg S .27)

Sprachliche Mittel sind z.B . Al literation Kampf, K räfte, Künste , F riede, Freude, Fest. Schlüs sel- worte sind: Ehre, V ate r land, Friede , Freude. ( Fest der Völker war auch der Titel des ersten Teils des Olympiade - Films vo n Leni Rie fenst ahl). Am Anfang ste ht eine Fanfare (Quart, Okt av ) von Hörnern, Trompeten und Posaunen uni sono ge- spielt, der folgende Gesang ist einstimmig , Männer und Fra uen singen unisono. Die rel ativ hohe Melodie ist einfach: Dreiklangsmelodik, Sequenze n; der Tex t ist weitgehend syllabisc h vertont (mit Ausschmückun ge n) , au ffällig ist die Tex tausdeutung bei „e - „wig (Extensio, vgl. daz u „und e - wig“ Haydn, S chöpfung Nr.19); die Taktwechsel 4/4>5/4 si nd eher modisch. Tonart/Harmonik: Es handelt sich um eine n z.T. cho ralar tiger Satz in B - Dur, kadenzharmonisch mit einige n Z usat zdissonanzen (Sexten , Nonen). Die gr oße Besetzung - Sinfonieorc hester mit viel Blech - verstärkt den monumentalen Eindruck.

L it eratur : Benz, Richard: Die ewigen Meister, Jena 1935 Hog wood, Christ opher: G.F. Hän del, Stutt gart/Wei mar 1992 Mu thesius, Ehr enfr ied: Ba ch und der deuts che Geist, in: Zs für Deuts chkunde, 1941 Stock, Richard Wi lh elm: Jüdische Kritikaster über Richard Wagn ers Meistersinger (1938), in: Csampai, Attila und Holland, Die tmar (Hrsg. ): Die Mei s tersinger, Rei nbek 1987, 201 Adorno: Versuch über Wag ner, München Stuttgart 1952/1964

10 „ Die Fahn e hoch, die Reihen fest geschlos sen “

Sondermeldungsfanfare https://www.youtube.com/watch?v =9TeyAPbXJCY

F r anz Liszts politische Ansichte n - am Saint - Simonismus faszinierten i hn v.a. die Vis ion ei ner G emeinschaft, die von wechs else it iger brüderli cher Liebe erfüllt ist, und di e Vorstellung eines K ü n stle rtums, das zwischen Gott und den Mens chen v ermittelt - stießen bei den Nationalsozialisten s icher nicht auf Zustimmung. Er wurde trotzdem aufge führt - bes onders natürlich Les Prelu des . E inen Mi ss klan g gab es, nachdem verbreitet wurd e, da ss Fürstin Car o lyne von Sayn - Wittgenstein, mit der Liszt zusam menlebte, nicht nur „Volljüdin“ gewesen sei, so nd ern sich auch negativ über die Gräfin Marie d‘Agoul t, aus dere n freier Verbindung m it Li szt Co sima, Richard Wagners zweite Frau hervorging, g eä u ßert habe. Die Sond ermeldungsfanfare wurde, weil sie vor den N achrichten a n der Ostfront erklang, auch Ru ss land - Fanfare g e nan nt. Und von dort wurden ja bis E nde 1941, a ls de r Ostfeldzug vor Moskau st ecke nblieb, immer S iege gemelde t. De r Au sschnitt aus Liszts Komposition eign ete sich v.a. we- gen des optimistischen Path os (Andant e maestoso), das in dieser Aufnahme allerdings eher n ach heroischem Krach (so Egk n ach dem Kri eg) kli ngt. Zwar widersprechen Anla ss , Idee und Gest alt

10 Sch ülerh eft S.12 f.

20 des W erk es in f ast jede r Hinsicht dem, was man Fas chi smus in der Musik nennen könnte (Peter Rumm enhöll er : Musik im Nationalsozialismus, in: Kunsthochschule - Faschismus. Berlin 1984, S.172 ff.), im Vo rw ort sch reibt Liszt allerdings: Was a nderes ist unse r Leben, als ei ne Reihenfol ge von Präludien zu jenem u nbe kannten Gesang, dessen erste und feierliche Note d er Tod anstimmt?... Dennoch trägt der Mann nicht lange die woh- lige Ruhe inmitten besän ftigender N atursti mmungen, und ‚wenn der D rommet e Sturmsign al e rtönt‘, ei lt er, wi e immer d er Krieg heißen möge, der i hn in die Reihe der Streitenden ruft, auf den gefahr- v ol len Posten . (Eulenburg - Partitur S.III) Die 34 - ta ktige Einleitung mit motivisch - t hematischer A rbeit w ird ebenso weggelassen w ie der da- r au f folgende lyrisch e T e il . Übrig blei bt allein die Fanfare. Das Path os der markanten, mit Punktierungen und Ton wieder ho lungen marschartig klingende 12/8 - Melodie in C - Dur in relativ tiefer Lage, unisono gespielt vo n Fagotte n Posaunen, Tuba, Cello und Ko ntr aba ss erhält den nöt ige n Gl anz durch d ie Begleitung der auf wärtsg ehen den übrigen Bläser, abgelöst durch schmette rnde S ec hzehnteltriolen und Ac h tel in Tonwiederholungen von Hörnern und Trompeten in T akt 6 und 8, wob ei die Pa uke diesen Rhythmus in T akt 7 und 9, g efolgt von einem W irb el , wiederholt. Die Melodie geht harmo nisc h über a - Moll in Takt 2 zur Subdominante F. T akt 3 und 4 wie de rholt die ersten beiden Takte in F - D ur. Es folgt ei ne Abwandlung von Takt 2 in G - Du r, dan ach e ine Variat i on des Anfangs in C mit einem u m a erweiterten C - Du r D reik lang abwärt s; über As und einen Drei kl ang abwärts in F geht es mit einer A rt Plagalschlu ss zu rück nach C. Die Takte 6 und 7 werden bekräftigend wiederholt, danach kommt abschli eßend der T akt 6 noch zweimal. Dreikl an gsarpeggien i n Staccato - Achteln in V i oline n und Brat sche füllen ha r monis ch und geben den nötigen Klanghintergrund. Das Orchester hat g roße Besetzung mit viel Blech: 3 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 4 Hörne r, 2 T rom pe ten, 2 Tenorposaunen, 1 Ba ss posaune, 1 Tu- ba und Streicher.

K amp flieder Die deut sche Nation ist ebe n drauf und dran, endlich einmal ihren Lebe nsstil zu finden. E s ist der Stil der marschierenden Kolonne, ganz gle ich, w o und zu we lchem Zweck diese Kol onn e auch ein- gesetzt werden mag . (Rosenberg in: Ge staltung der Idee , M ünchen 1936, S.3 03) Im Liede wurde der neue Geist zum ersten Male spürbar. Si ngend schri t ten i n der Kampfzeit die braunen Kolonnen durch die Straße n zur Eroberung d es Vo lkes. Wenn ihr G lei chschr itt auf dem Pflaster d rö hnte, an den gr au en Häuser reihen w ide rhallte, sich ve rstärkte und vergrö ßerte und die junge Man n schaft straffte, si e aufpeitschte zu f reudigem Einsatz, so entlud sich das Bedürfnis zu w e r bend em Rufe in neuen Li e dern, deren Gei st Wil le zu Tat und Hingabe, d eren Worte dröh ne ndes Gelö bnis, de ren Töne Aufruf und Mahnung, deren hin reißender Rhythmus Zucht und Ordnung war. D er harte Ton des ne uen Liedes half der Bewegung von Sieg zu Sieg. (Ri chard Haug: Unser Dank - unsere Pflicht i n: Die M usik - Woche vom 15. 4. 193 8 , S.229).

Hors t - Wessel - L ied 11 Horst Wessel, *1907, wu rde 1926 Mitg li ed d er NSDAP, nachdem er als Schüler und Studen t ge- scheitert war und sich mit der Familie (sein Vater war Pfarrer) überworf en hatte. E r war Fü hrer des SA - St ur m s in B erlin - Friedrichshain. Politik und Stu di um gab er auf, als er sich in eine P rostituierte ve rlie bte und mit ihr eine gemein- same Wohnung bez og. Dort spürte ihn der aus der Haft entlassene Zuhälter Ali Höhler mit Hilf e einiger G enossen aus dem Rotfro nt k ämpfer bund am 14.1. 19 30 auf u nd scho ss ihm i n de n Mund. B erlins damaliger Gauleiter Goebbels mach te a us dem Eifersuchtsdrama einen Anschlag der ‚Kommu ne‘ und berichtete im ‚Angriff‘ täglich über das Befinden des Verwundete n. Die NSDA P machte ihn neben d en To ten des Hitlerputsches vom 9. November 192 3 zu m Blutze ugen der Bew e- gung .

11 Schülerh e ft S.13 . Vgl. d azu : Volker Mall: Wer hat denn eig entlic h wen erschossen? Stundenentwurf zum T hem a Horst - Wessel - Lied und Kälbermarsch . In: Neue Musi kzeitung (nmz) 11/ 19 98

21 Das von Wessel 1927 fü r di e Berliner SA geschriebene Lied wurde erstm als 1929 im Angriff ver- öffentlicht und am 1.3.1930 auf der ersten Seite d es Völkischen Beobachte rs abgedruc kt ( a ls Horst Wessels Gruß an d as kommende Deutsc hl and ). 193 0 wurde es offizielle Parte ihymne. Nach de r „M achtergreifung“ wurde es bei Parteiveransta ltun gen üblich, die erste Strophe an das Deutsch- lan d lied anzuhängen. Reichsi nne nminister F rick erkl ärte das am 1 2.7 . 1933 zur Norm. Hitler leh nte allerdings die o ffizielle „Erhebung“ zur Nationa l hym ne ab. https://www.youtube.com/watc h?v=C_a79Ha8OXM Z u Me lo die und Text: Horst Wessel hat seinen Text zu eine r vorhandenen Melodie geschrieben. In einem Aufsatz hatte 1936 der Musik schriftstel ler Alf red Weidem an n f est gestellt, da ss sie fast ga nz identisc h se i mit einem Le ierkastenlied aus dem 19. Ja hrhundert, da s Peter Cornelius - wie er am 24.Juni 1865 seiner Bra ut mitteilte - in Berlin gehört hatte. (Alfred We i demann: Ein Vorläufe r des Horst - W essel - Lied es? in : Di e Mus ik, September 1936, S. 911 f.) Auf di ese Melodie wurde da s Königsberg - Lied (1918 auf die Ausliefe ru ng des Kreuzers Königs- berg an die Alliierten gedich tet) von der Brigade Ehrhardt und im Wiking - Bund gesungen, dessen Mitg li ed Wessel w ar. Die er sten se ch s T akt e ähneln außerdem der Me lodie des L iede s vom W ild- schütz Jennerwein (Ein stolzer/ E s war ein Sch ü t z in seinen schön sten Jahren . U . a. in: Das große Ha usbuch der Volkslieder, M ü nchen 1978, S.41; oder Neufassung von Wal ter S cherf in: R äuber - und Land sk ne cht sli edert Frankfurt 1981, S. 123 f.) Der Mus ikwisse nschaftle r Müller - Blattau sah 1933 i m Horst - Wesse l - Lied ein ebenbürtiges Pe n dant zur Internationale . E ine musikalische Analyse, die die Dürftigkeit entlarvt, ist wenig sinnvo ll, auch di e häuf ig geäuße rt e Kri tik , da ss die Melodie au sge rechnet an der Textstel le Die Fahne hoch nach unten geht , bringt nich t viel. Allenfalls kann man das Lied mit andren Morit aten ve r gleichen.

Hier war die Melodie, die dem feschen Schwung der In ternational e urtümlich Deuts ch es ent gegen- stellen konnte. ( M üll er - Blattau in M usi k , F ebruar 1 934 ) Zu fragen ist, ob Jens nicht die Mö gl ichkeiten „aufklärerisch gehandhabter Grammatik“ üb er- schätzt: Wenn wir ..., ich schätze, anfa ngs mit Inbrunst, das Horst - We ssel - Lied s angen, dann ließ e r un s a ussingen und den Text ana lysieren. E lfjä hrige H amburger Schüler bei der Exegese de r für heilig er klärten Hymne ; ich werde den Tag nie vergessen, an d em unser Klassenleh rer den Satz „Kame- raden , die Rotfront und Reaktion e r schossen, m arschier‘n im G ei st in un sern Reihen mit“ gram ma- t ikalisch er ledi gte, ind em er di e Frage stellte, wer hier e igentlich wen e rschossen habe, Rotfront die Kameraden oder, was eh er anzunehmen sei, die Kameraden die Rotfr ont. Er, Sprachmeister Fritz, verstünde d en Artikel die al s Nom ina tiv, Horst Wessel hin geg en als Akku sati v. Da mö chten do ch, bitte sehr, wir selber entscheiden, we r hier im Recht sei. Gestorben, ein für allemal, di e Hymne - als Machwe rk erledigt mit Hilfe d er aufklärerischen gehandhabte n Grammatik ! (Walter Jens : Me in L ehr er Ernst Fritz in: M arc el Reich - Ra nick i (Hrsg.) : Meine Schulzeit im Dritten Reich, Köln 1988, S .1 10.)

Zum Fahnensymbol Der braune Kult bedien te sic h des Fahnensymbo ls, wie es vergleichbar in keiner anderen politi- schen B ewegung ges chieht. Wohl v er ma g ke ine zielstrebige Partei au f kräftige Symb ole zu ve rzich- ten . Aber der Nationalsozialis mus ging darü be r weit hinaus; er schuf in der Fahne das zent rale Z eichen und ‚weiht e‘ es. Die Fahne hat ihren Ursprung als Heereszeichen im Felde. D ie aufrecht er ho be ne F ahn e bot den Kämpfern e ine n Orientier ungs punkt, we nn sie i n der Schlacht abgedrängt w urden. Zur Fa hn e hatten sie sich zurückzuwenden, sobald ihre Kräft e nicht mehr au s r eichten. Die Fahne selbst mu ss te von guten Kämpfern gec hützt werde n, damit nicht a uf dem Sc hlachtfeld die weite r e ntfernt fec hten den Verbän de die Richtung verloren oder, wen n das Ze i chen s ank, meinten, die Schlacht sei verloren und m an müs se sich zurückzie hen . ... So umgab die Fahne mit der Zeit

22 eine Glorie ... wurden die Fahnen schlie ß li ch zu Sy mbolen . ... In der Ju gen d wurden dies e Symbole be geister t begrüßt. Man gab ihr bede utungsgeladen e Runen und Hakenkre u ze, wie derentdeckte Bräuche der Vorfahren, geheimni sumwitterte Riten. Aber die Mitte des g e samten Zeremo niells bil- d ete die Fahne, d ie die ju nge Generation freud ig aufnahm u nd d urchs Land t rug. Je tzt hatte man wieder Ideale , d e nen man f ol gen konnte, eine große Aufgabe, für die sich d er Ei nsatz lohnte. (Ha ns Jochen Gamm: Der braune Kult, Hamburg 1962, S.43)

W eitere „Fah nen“ - Lieder : U nsre Fah ne flattert uns voran (T: Baldur von Schirach , M: Hans Otto Borgmann ) s.u. Au f, hebt unsre Fahnen in de n frisc hen Morgenwind (T: W. Zorg, M: Fritz Sotk e ) , Wir Jungen tragen di e Fahne zum Sturm e der Jugend vor (T: E.W . M ü ller, M: Georg Bl u mensaat), Unter der Fahne schreiten wi r (T: M. Ba rtels, M: Bl umensaat), Nu n la ss t die Fahne n f liegen in das große Mo r genro t ( Hans Baum ann)

Vielleicht bez ieht sich Brecht in s eine m Kälberma rs ch auch auf das Lied Der Fü hrer (1934) vo n He rber t Böhme, vertont von Heyden und Erich Lauer (SA - Liederb uch S.119f. ):

Eine Tromm el geht i n Deutsch land um und d er sie schlägt, der führt, u nd die ihm folgen, folgen stumm, s ie sind von ihm gek ür t.

Sie sc hw ören ihm den Fahnenschwur, Gefolgschaft u nd G erich t, es wirbelt ihres Schicksals Spur mit ehernem Gesich t.

Er schr eitet hart de r Sonne z u mit an gespannter Kr aft . Seine Trommel, Deutschla nd, das bist du! Volk, werde Leide nschaft!

Neben de r Fahne war d ie Trommel ein wesentliches Requisit des Ku lts. Es gab die geläufige Vor- stellung vom Fü h rer als dem Trom mler, der d as deutsche Volk in Re ih und Gl ied zwingt. (Ern st Loewy S. 247)

Schwe yk singt den Kälbermarsch i m Prager Militärgefängnis , wo er mit andere n tschechischen Häftlingen auf die Mu s terun g wa rtet, begleitet von einer Militärkapelle, die dr außen das H orst - Wessel - Lied spielt u nd zwar den Refrain zur Melodie di eser Kapelle, die Vor st rophen zum Trom- meln daz wi schen. Tatsächlich hat Ei sl er eine Klavierb eg leitung geschrieben, die wie die andren L iede r im Stück von einem (fiktiven) alten mechanisch en Klavier gespielt werden soll, das im Wirtshau s „Zum Kelch“ steht . A m 24. Juni 194 3 hat B re cht den Schweyk im zwei te n Weltkrieg beendet. Im H in blick auf eine m ög liche Aufführung in New York bega nn Hanns Eis ler schon damals mit der Komposition der Lieder. Er stellte se i ne Arbeit ein, als si ch diese Hof fnung auf eine Auff ühr ung zerschlug. Ein ha l bes Jahr vor seinem Tod be gann Brecht, an eine Auff üh rung des Schweyk d urch das Berli- ner Ensemble zu den ken und beau ftragte , die Kompositionsarbeiten w ieder aufzu- nehmen und zu Ende zu füh ren . Der frü he Tod von Bert Bre cht am 14.8.1956 vereite l te die endgül- tige Ferti gst ellung der Musik. Dies ge sc hah vielmehr im Zu sammenhang mit der Warschauer Ur- a ufführun g im Jahre 1957. Für die westdeutsche Erstaufführung in Frankfu rt hat Hanns Eisler sodan n n och vier Intermezzi für groß es Orchester neu komponi e rt und damit seine Arbe it endgültig

23 abg e schlossen. Di e Entstehungsges ch ichte der Musik zum Schweyk führt also üb er 1 6 Jahre durch die Hotelzimmer von Hollywood, Ber lin, Warsch au und Frank furt. (Aus de m P rogrammhe ft Schweyk im zweit en Weltkrieg des Berli ne r Ensembles/Theater a m Schi ffbauerdamm 1962/63, Prem ie re am 31.12.62, 25 0. Aufführung am 4.5. 19 68)

Der Re frain paro d iert Text und Melodie (mit kleinen Änderungen). V om Text übe rnimmt Brecht: fest gesc hlo s sen, mars chiert mit ruhig f est em Schritt, mar sch iern im Geist in … Reih en mit. Einen neuen Text und ein e neue Melodie e rh alten die Strophen.

Zum Text: Die S troph en d i enen der Beschreibung des Kälberaufzugs und der Ko mmentierung . Dadurch erhält jede S troph e eine ei genartige Doppelf unk tion: die beiden ersten Zeilen geben bildhafte Aus schnitte eines Vorgangs, di e beiden Folg ez e i len enthüllen, welches Los der Met zger den K älbern zugedacht hat. Den drei Aufzugsbeschreibung en folgen j eweils die enthüllenden Komm entare. S o entsteht die fo lge nde Strophenstru k tur: B eschreibung des Aufmars chs: Kommentar: Hinte r der Trommel h er Das Fell für die Tro mmel Trot t en die Kälber. Liefern sie selber.

Si e heben die Hände hoch Si e sind schon blut bef leckt Sie zeigen sie he r. Und sind noch leer.

Sie t ragen ein Kre uz voran Das hat für den ar men M ann A uf blutroter Flaggen ... Einen gro ßen Haken.

Die Kommentarverse sch ließe n jeweils unmittelbar an d ie Beschreibung an und bez i ehen sich stets auf das be schriebene Bild: das Trom me lfell auf die T rommel, die blutbefleckten auf die e rh o be nen H ände, der Haken auf das Kreuz. Solche Pointen geli ngen, weil Brecht im ersten Stroph entei l be- sonde rs charakteristis che Erscheinungen e ines fa s chistischen Aufmarsches fe sthält: die Haken- kreuzfah ne , die zum Hit le rgruß erhobenen Arme (Hände) und die Trom meln an der Spitze des Zu- ges. (Klaus Schuhmann: Der Lyr iker Bertol t Brecht ‚2, M ü nchen - d tv Wi ss.Reihe 4075 - 1974, S.364 )

Das Bild von Kal b und M e tzger, das ja auch in d em Spruch Nur die dümmsten K äl ber wählen i hr e Metzger selber steckt, benützt Brec ht a uch in dem nicht so gelungenen Hitlerchoral : Befiehl d u deine Weg e O Kalb, so oft verletzt De r allertr eusten Pflege des, der das Messer we tzt! De r denen, die sich schind en Ein neues Kreuz er sann...

Auch in dem ji dd ischen Lied Dos Kelbl , bekannter in der e ngli sc hen Fassung On a wagon bound for market (Text Aa ron Zeitlin , Vertonung von Sholom Se cun da) finde t sich das Bild des Ka lbes. https://www.youtube.com/watch?v=1P3hPdw6MCY Zur Mu sik: Di e Strophe begin nt in F - Dur. Die Gesangsti mme hat in de n vielen Synkope n quasi einen falschen Marschrhythm us, der du rc h die etwas schräg klingenden seqenzierten Sprün ge (T akt 6f.) noch auf- fälliger wird. Di e B egleitung beginnt mit den Ak kordtönen in Hal b en, die rechte Hand sc hlägt nach, ab Takt 5 i mitieren sture v ollgriffige A kkorde in Vier teln einen Marsch, gebro chen al le rdings

24 durch „schräge“ Akkorde (E 79>, Em 7, A m 56>, G79 ohne Terz). Der Refrain steh t in C - Dur . Die Mel odie wird et was abgewandelt, wobei v .a. der „falsche“ Schlu ss auffällt - stat t zum c gehts zum Le itton h, der dann auch noch chromatisch abwärts geh t. In der Begleitung entsteht durch den komplementären Wechs el „Achtel - zwei Viertel“ ein durchge hen der aber leicht holpr ige r Sechzehn- telrhythmus , der w ohl eine kleine Tr ommel imi tieren soll. Harmonisch f al len der ü bermäßige Drei- klang (T akt 13) - dadurch geht d i e Mittelstimme von g chromatisch aufwärts - und C7< (T akt 16) a uf; der uni sono - Schlu ss in chromatis ch abwärts g ehen den Vierteln im Forte klingt wie ei n hö hni- scher Kommentar. Er erk l ingt nach der dritten Str op h e im dreifache n Piano und endet abrupt auf de m ti e fen A.

Lit eratur : Funkkolleg Musikgeschichte Weinheim/Mainz 1988 Franz L iszt : L es Préludes , Sinfonische Dichtu ng Nr. 3 , Eulenburg Studienpartituren Nr.449 , L on don/Mainz 1977 Friedemann Bedürf tig : Lexi kon Drittes R e ich , Mü nc hen 1997 Ernst Loewy : Li t e ratur unt er m Hakenkreuz , Berlin - L ichterfelde 1969

Der Li nolschn itt Des deutschen Vo lkes Lied mit einem im Fan faren z u g trommelnden HJler und dem Text Ihr seid meine Jungen, ihr seid die lebenden Garanten Deutsc hlands, ihr se i d das leben- de Deutschland der Z ukunft ( Hitler auf Reichsparteitag der NS DAP 1933 ) hing u.a in Gruppen- räumen von JV und HJ. 12

Im Fanfarenz ug des Deutschen Jung volk s marsc hieren die k ü nftigen Bläser der Wehrmacht, d er Partei und ihrer Gli e der un gen . (W.Stu mme (Hrsg.): M u sik im Volk 1939 . S.36) Im Gege nsatz z um Spielmann szug mit „Q u erpfeifen“ und kleinen Trommel n b esaß der Fanfaren- zug als Musikformation kein Vorbild. 1944 gab es 1400 F anfarenzüge des Jungv olks mit 2 5 000 Musikern . Die Fanfarenz ugor dn ung der R eichsjugendführung enthielt ge naue R e geln über Aufbau , Gliede- rung, S tärke (z.B. 6 Bläser, 3 Trommler), Dienstanzug , Tragew eis e der Instrumente, Zeichenge- bung des FZ - Führers und Ausführungsbewegunge n des Zuges. D er drö hnen de Schl ag der Lands knechtstrommel zwang d urch die Jahrhunderte d ie kriegsl ust i ge n Bursc hen, „de m Kalbf ell“ nachzul aufen... Be i den Fußtruppen war si e noch b is ins 19.Jahrhundert gebräuchlich. Ihre Form ist seitdem flacher geworden bis zur heutige n „kle inen Tromme l“. In der u rsprünglichen Form d er alten „R olltrommel“ be gleitet si e heut e im ei nfachen schwere n Rhythmus d ie Fanfaren k länge der Hitlerjugend und wur de neben Fahne und Fanfare Symbol einer aufbre- chenden Zeit. (Helmut Majewsk i: Der Fanfaren zug, H eft 1, ‚4 1 938, S. 3 un d 14)

„ Es z ittern die morschen Knochen “ 13 Ha ns Baumann (* 22. Apri l 1914 in Amber g ; † 7. N o vember 1988 in Mu rnau ) war ein deutscher Lyriker , Komponist, Volk sschullehrer und N S - Funktionär. Sein bekanntest es Lied, Es zittern di e morschen Knochen, hat te er noch als Jugendlicher in einem katholischen Jugendbund v erfasst. Es wurde 1935 zum Lie d d er Deutschen Arbeitsfr ont und gil t als nunm ehr durch StGB §§ 86 f. verb o tenes Propagandamittel des Nat io- n alsozialismus. Baumanns Erfolge und Tätigkeiten in der Zeit des Nationalsozialismus wirkten zeit seines Leben s na c h. Er wurde gleichwohl nach 19 45, teilweise unter Pseudonym, ein erfolgreicher und internatio- nal anerkannter Kinder - und Jugendbuch a utor und Übersetzer. (wikipedia)

12 Schülerheft S.13 13 S chülerheft S. 14 f.

25 Hans Bau mann er h ie lt zus amm e n mit Adolf Bartels, dem Pioni er d er antisemitischen Lit eratur g e- schichte am 9.11.1 941 den Dietrich Eckart - P reis der Han sestadt Hamburg : In Hans Bau mann sieht d as Preis ric hterko llegium einen de r hervorr agendst en Vertreter der jü nge- ren Dichtergeneration, d e r - selbst aus der HJ hervorge gan g en - der Ju gend des Führers eine gro- ße Anzahl vo n Liedern geschenkt und s ich dar ü ber hinaus vor allem i n seinen We rken „Rüdige r von Beche laren“ und „Alexand er“ als Dram atiker von beachtli chem Kö nnen bewiesen habe. ( Hambur g er Abendblatt vom 8.11.1941 zi t. nach Wulf , Lit eratur und Dicht un g im Dritten Reic h, Frankfurt 1983, S.308 f. ) Wie sch wer die Auf ar beitung der NS - Vergange nhei t auch i n diesem Z usammenha ng war, machen die folgenden drei Texte deutl ich: - An dieser Stelle liegt ein Wo rt f ür Hans Baumann nahe, ja es erweist sich als notwendi g: Seinem Schaffen nach ist er der fruchtbarste Liedersänger sei ner Zeit. Se ine Texte s chre ibt er selbst. Das Viele, da s er he rvorgebracht hat, is t zwar nicht von g leichem Wert; es ist auch Abwegi- ge s da run ter. Aber die Ausstrahlung der menschl ichen Mitte bleibt fast immer wirksam und be- währ t sich nicht zuletzt in der t hematischen Viel falt se iner G e dichte. Und die Kraft der natürl ichen Aussage steht ihm allweil zur Ve rfü gung . So verwundert es nicht, d a ss vie le seiner Lieder - und so- gar einige po litische - sel bst nach dem Kriege in He rz und Mund der Jugend blieben. Sie ver dan- ken ihre Volk läufigk eit der Tatsache, da ss sie sich - ungeac htet alles politisch en Mi ss brauchs - men schlic h bewährten. Wie nahe steht doc h d as folgende Lied („Nur der Freiheit geh ört unser L e- ben“ d.V.) dem Geiste Sc hillers (Wa lle n steins Lager: „Wohlauf, K ameraden, au fs P ferd“). Das ist mehr als ein nationalso z ialist isches Kampflied. Wen ige Textausz ü ge wü rden g e nügen, um den rei- nen Quell fre izu legen, aus dem dieses Freiheitserlebnis entspringt , das wir heute - nach lan ger Zeit po litischer Enthaltsamkeit - wie der nachzuer lebe n vermö gen ... Was würde man jenseits d e s Eise r- nen Vorhanges darum geben, könnte man einen L iedsänger vom Range Hans B a u ma nns sein eigen nennen! (Alexander Süd ow „Das Lied. Ur sprung, Wesen und Wandel“ , Gö t tingen 1962, S.94f.)

- Baumann, Han s, * Amberg 22 .4.1914, wa r Dorfschullehrer. 1 935 gab e r s ein e erste Liedersamm- l ung Bergbauer n weihna cht he ra u s. Seine bekannteste Lie dersam mlu ng ist Die helle Flöte, 1950. Die L ieder von B. werd en von der Jugend gern ge sungen. ( Ullstein Musiklexikon, 3 Fran k furt, o.J. (c a.1965), S. 53. )

- Die schlicht e Form der Tex te und Weisen in den L iedern Hans Baumanns entsp r icht der Konzentration auf das We sentliche, und es gehörte zu seiner b esonderen Begabun g, in beidem Formulierung en zu finden, die die Kinder anspre chen und ihn en Er fahrung en v ermitteln können. (Aus einem Ver lag sprospekt 1994 ) .

Hans Baumann in Schulliederbüchern Unser Liederbuch Ban d 2, A usgab e B, Stuttgart (Metzle r) 2´ , 1949 enthielt kein einziges Bauman n - Lied; in Band 2 Aus gabe C, 2 ´ 1963 standen I m Wald ist schon der helle Tag S.9, Und die Morgenfr ühe ( die St rophe mit dem Text neue L and e, die wolln wir g e winnen fehlt allerding s!) S. 14, G ute Nacht, Kameraden S .19, Es ge ht eine helle Flöte S.25, In d ie Welt will ich reit en S.41 (mit geändertem T ext ) , Schwer von Garben S.55; außerdem drei von B aum ann überse t zte Lieder. Unser Liede rbuch II A /B ab 1968 - 1971 enthielt noch vi er Baumann - Lieder, in Unser Liederbuch B Mitte lstuf e, 12 ´ 1976 standen no ch zwei, da zu die Texte von drei weitere n. In Unser Lied erbu ch - Obe r stufe (ab 1958 b is ca.1969) stan d im Anhang der Text von vier Lieder n. Inzwisc hen sind Baumann - Lieder - bis au f d ie häufigsten E s geht eine helle Flöte und Im Wald i s t schon der helle T ag - aus de n S chulliederbüch ern verschwunden.

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Tex t: Nibelungenzei le, frei gefüllt, Paarreim, Waise im Refra in (Deut schland) Musik: https://www.youtube.com/watch?v=j - JXLbLDR4g Marschlied in G - Dur , Tonwiederho- lungen, Marschpunkti erunge n, Form R e pris enbar a a b a , t ypisch der pa t he ti- sche Harmo niewechsel in die Subdo- minante zu Be ginn des Refrains. Das Li ed wendet sich v.a. gegen „die morschen Knochen“, die „Alt en “. Di e überwäl tigende Mehrheit der Ju- g end verstand unter der Weimarer Re- pu blik d ie Repub l i k d er Älteren und der Alten. D er Nationalsoz ialismus wandte sich gezielt an die J ugend als eine zugleich dynam i sche und gesell- schaftlich vage Gruppe (Ado rno). De r NS - Schü lerbund (NSS) z.B. wurde bal d z um Schrecken vieler Lehrer. In seine r Zeit schrift Der Auf marsch schre ibt ein Oberpri man er gebieter isch: Macht Platz ihr Alten! Es dr öhnt der Gleichschritt ei ner neuen Generat ion. (Heinz Hö h ne: Die Machterg reifung, Re inbek 198 3, S. 118)

Hohe Nacht der kl aren Sterne Zu dieser Zeit war die T ilgung religiö ser A n spi elungen zu m Be ispiel aus We ihn achtslieder n in vol- lem Gange; alle r dings e rw ies sich in der Praxis, d a ss es einfacher w ar, neue Lieder zu schaffen als alte der p olitische n Tend enz anzupa s sen. Vor die sem Hintergrund ist der - über das En de de s Drit- te n Rei c hes hinausgeh ende - Erfolg von Ha ns Baumanns „Hohe Nacht der klaren Sterne“ z u ver- stehen; hier zehrte der Ersatz so inte nsiv von Melodiefloskeln, Reizw örter und p oetischen Bildern bedonders vorroma nti scher Weihnachtslieder, da ss automatis che Identifi katio n , d er „Schein des Bek annten“, zur bereitwill igen Aufnahme dieses Liedes das m eiste beitrug. Texte und Melodien dieser Ar t folgten der Umdeutung des chr istlichen W eihnachts festes zu m heidnischen Son nen wend - und Geburtsritual. Ende der drei ß ige r Jahre konnt e , „ wer Weihna chtslied er sucht, di e unserer Z eit entsprechen und frei von je de r konfessioneller Haltung sind“, auf mindes tens drei Sammlungen zurückgrei fen: 1.E rn st - Moritz Henning: Nun brennen viel e K erzen. Neue Lieder um die Weihnacht ( L. V oggenrei- ter - V e rla g, Potsdam 1938; 2. Ilse La ng: Tut auf da s Tor. Alte und neue Lieder zur W eihnacht ( Wolfenbüttel 19 39 ) ; 3.Hohe Nacht der klaren Sterne. Ein Weihnac hts - und Wi egenliede rb uch, hrsg. von der RJF ( Wol- fenbüttel 1939). (Prieberg S.348f.). Eine weitere Samm l ung ist „Lied er Zur Weihnachts zei t“ hrsg. Il se Lang, Kallmeyer 1940.

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Der Text mysti fiziert d as Sternenlicht, das Feue r und di e Mütte r. Der Lichtmythos - eine Leer f or- mel, vie ldeu tig und uns pezif isc h, a usf ü llbar mit ganz unterschiedlicher Ide o logie - kommt in Nazi - Liedern sehr häu fig vo r: Immer wand ern wir zu Sternen (Hans Bauma nn) 2 . Imm er wächst a us unsern Träumen, klar und fes t ein h ohes Licht, wachsen aus der Nac h t die M ü he n, d unkelt dieses Fe uer nic ht. 3.Immer sind wir auf dem Wege mitten aus dem Trau m zur Tat immer tragen wi r zu S ternen neues Feuer, neue Saat.

Nur der Fr eiheit g ehör t unser L eb en (Hans Baumann) Frei heit ist das Feu er, ist der helle Schein, solan g sie n och lode rt, ist die W elt ni cht klein.

Wir schauen stumm ins Morgenrot (Hans Baumann) Wir schauen stumm ins Mor genrot , wir trot zen auch der schwersten Not. H och überm Mit tag steht e in Gott, vor ihm verk riecht sic h jeder Spott. Und kommt dem Tag sein A bendro t, f ür u nsre Treue ko mmt ke in T od.

Und die Morgenfrühe, das ist unsere Zeit (Hans Ba u mann) Und die Morgenfrühe , das ist unser e Zeit, wenn die Winde um die Bäume sing en. Die Sonne m acht dann die Täler weit, und d as L e be n, das wird sie uns bringen. Wi e ein bl anke r Ac ker ist die E rd e j etzt, her zu uns, da ss wir die Saat beginnen. Ein Hunger i st in die Augen gesetzt, neue L ande, die wolln wir gewinnen.

Und wenn wir marsch ieren (Walter Gä t tke 1920) Und wen n wir marschi eren, d ann leuchtet ein Licht, das Du n kel und Wol ken strahlend durc h bri cht .

Erde schafft das Neue (Heinrich Spitta) Wir Jungen sc hreiten gläubig, der Sonn e zuge wandt, wir sind ein heiliger Frühling , ins deutsc he La nd. (vgl. Peter Petersen (Hr sg.) : Z ündende Lieder – Verbrannte Musik , Hamburg 1995 , S.161 ff.)

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Text (Hohe Nacht der klaren Sterne) : Viertaktiger Vierzeil er, mit leich tem Anklang an Kirchenli eder (ambrosianis che Hym nenstrophe) allerdings mit Kre u z reim.

Mu sik : https://www.youtube.com/watch?v=hv2aAX6RGFc Die Melodie bewegt sic h bi s auf d e n in der ersten Stroph e textaus deu tend en D - Du r - Dreiklang auf- w ärts (T 12f.) weitgehen d schrittweise, der Rhythmus sc hreitet in Halben pro Tex tsilbe chora l artig, unterbrochen dur ch Viertelmelismen in V orhalte n oder Du rc hgä ngen, gleichmäßig voran. Die hier v o r liegende Begleitung i st ein vi ers timm ige r - nicht immer ganz gelung ener - Choralsat z. Die Durchgänge im Sopran we rden z.T. im Tenor in Sex ten begleite t und es kommen in d en U nter- stimmen noch welche dazu. Es gibt r el ativ viele N e bendreiklänge (sec hsmal h - m oll, zweimal e - moll), die chor alt ypis che Fol ge T - Tp taucht meh rfach auf und der 4 - 3 - Vorhalt darf auch nicht feh- len (T 8).

N S - Jahres kreis Die Einführung der Wintersonn enwende mit Julfest als Weihnac htsersatz gehörte zu d en Versu- c he n des Nation alsozialismus, sich entspr echend dem Kirchenjahr ein eigenes Fe i erja hr z u g e ben. Der 30.1. war d e r Tag der Machtergreifung , der 24.2. der Feiertag der Part ei zur Erinnerung an die Verkündi gung des NSDAP - Programm s, am zweiten Fastens on ntag (R em iniscere) w ar der Heldengedenkt ag , am 20.4 . Führer - Geburtstag, der 1.Mai wa r zum Tag der nationale n Arbeit um funktioniert worden. Es folgte der aus USA ent- lehnte Mutte rtag am zweiten (später d ritten) Maisonntag, die Sommer sonnenwende am 21.6., d er Reichs pa r teitag im September. Anfang Ok tober d er Reichserntedanktag , zu dem bis zu 1 ,5 M illi o- nen Menschen auf den B ü c keberg bei Hameln (bis 1937) kamen; der 9.11. war der Gede nktag f ü r die Blutzeugen der Bew egung . In den Liederbü chern gab es Kapitel, Ja hr kreis o .ä . , die als weltliches Pendant z um Gang durchs Kirchenjahr in den Gesangbüch e r n j etzt dem NS - Jahres lauf fol g te n.

Lit eratur : Irmgard Benzing - V ogt: Vom Kind in der Krippe zum Kind in der Wi ege i n NMZ Dezember/Januar 1 997/98 S.49 f.

Zur Wirkung des Singens Sin gen verspricht, als u nmittelbar e Tätigkeit, als spontanes Verha lte n, den Menschen etwas von jene m Subje k t s ein z urückzugeben, d as die App ar a tur des Le bens ihnen entzog. (Adorno: Zur Mu- sikpä dagogik in: Dissonanzen , Götti n gen 3 ´ 1963, S.115) In einem Intervi ew blickte die 2006 v erstorbene Journalistin und Buchautorin Carola Stern (Jahr- gang 1925) auf ih re Jugend z eit zurück. Die NS - Zeit, währe nd der sie eine überzeugte BDM - Führerin war, stellt sich in ihrer Erinnerun g als regelrechte „Singedikta tur“ dar: Es wur de ständig gesungen. Beim Ummarsch im Dorf, im Zeltlager, beim Lagerfeuer, bei Morgenfeiern. Si e fragte sich noch 50 Jahre nach der NS - Ze it, wer eigentlich einen größeren Eindruck auf uns gemacht hat – Adolf Hi t ler oder Hans Baumann . Als der Maler und Ze ichner Tomi Ungerer (*1931) 1981 zu diese m Thema befragt wurde, sagte er in einem Int erview , das der Hess i sche Rundfunk nicht sendet e , da er es „zu entblös end“ fand : Weil diese Lieder in mich hineingespritzt wo rd en sind wie eine D roge. S ie wissen, wenn ma n Hero- in nim mt, d as bleibt noch ein ganzes Jahr im Blut. Und wenn man unter den Nazis aufgebrach t worden ist , dann b leibe n diese Naziliede r noch für z wanzig, dre ißig Jahre im Hirn. (Priebe rg S.242) Ähnliche Erf ah rungen machte der Dichte r Ludwig Harig (*19 27):

29 Wenn wi r, ei ngeschworen auf die Parte i linie , vor feierlicher Fahnenkul is se standen und das Lied „Nur de r Freih e it ge hö rt unser Leben“ sangen, set zten Kurt u nd Fritzchen beim Refrain i hre Fan- faren an, und be i den Worten „Freihe it is t das Feuer“ erschal lte eine pol yphon e Stimme, umspi elte die M e lodie des Liedes und verklang in d en Lüften über dem Hexenturm . ... Wir hi e lten un s an den Händ en , schlugen d ie Augen au f und plärrten, doch aben ds sangen wir „Die klei ne Stadt will schlafen gehn “ und glaubten, „H ei mat, deine S ter ne“ würde einst e in Volks lie d w erden. So jemand wie wir so ll te imstande gewesen sein, das Net z ausei n ander zu reißen, in da s wi r verfloch ten w a- ren? (Ludwig Harig: Zusammenr eißen, auseinanderreiße n in: Marcel Reich - Ranicki (Hrsg.) : Meine Sch ulzeit im Dritten Reich, Köln 1988 . S. 2 14 u nd 21 7f.)

Viele damal s Junge mög e n i n der Hitlerjuge n d die Art v on Gemeinschaftserlebnissen em pf angen haben, der heute manche Füh rer der Musik be w egung nachtrau ern. Den noc h war jene G emei n- schaft von Grund auf schl echt und falsch, w eil sie die Kräfte von Nä he und Verbundenheit f ür Un- terdrü c kun g und Gewalt mob i lisierte. ( Theodor W.Adorno: Kritik des M u s ikanten in: Dissonanzen Göttingen 3 ´ 19 6 3, S. 64 f .)

Umstritten ist die po l itische Wir kung. Während manche meinen, d as Singen sei eher ein harmloser Zeitver tre ib gew e sen, die oft ve rquasten Te x te seien meist garn i cht verstan den oder nicht bewu ss t wahrgen om m en worden worden, sieht das Ulri ch Günt h er di ff e renzierter: Di e irrati ona l e Wirkung d er Melodie enthob den Sänger d er direkten Reflex ion über den Text. Da abe r jede r Sänger den Tex t ständig n e u a ussprach und dab e i von der m usikalischen Logik des Me- l o die du ktus zwingend geführt wurde, wirk ten der gesun ge n e Text und sei n Inhalt no c h intensive r und nachhaltiger, weil irrat ional sublimiert. Eine zusätzliche Wirku ng wurde dadurch erzielt, da ss in de r Re gel Melodie - und Textstruktu r einander entsprachen. Dadur ch wurde der Text gleichsam eingebr annt. O b wohl a l s o der Text Aus gangspun kt u nd Ziel des Liedes war, brachte die Melod ie ihn zu einer vi elfach gesteigerten Wi rku n g, vo r allem hinsicht lich der Mö g lic hkeit, da ss viel e ihn gleich zeitig singen konnten. Dabei m u s s d ie stimulierende Wirkung des S ingens i n der G r uppe hoch vera nschlagt we r den. (Ulric h Günther: Die Schulmusikerzie hung von der Keste nbergreform bis zum En de de s Dr itten Re i ches, N euwied/Berl i n 1 967, S.154)

Da ss Singen in der Gruppe (z.B. am Lagerfeue r) fa szinierend sein kann, können di e meist e n Schü- l er heute nicht nachvol lzie h en. Wenn man versucht , typische musikali sche Merkma le ausfindig zu machen wi e z.B. eingängige Mel odik, h ä ufig e W ie derholungen d es Refrai ns, der - in d er Subdomi- nante beginnend ( E s zittern die morschen Knochen ) - durch ein e zwe ite Stimme in der Ob e rter z begle ite t werden kann ( Un d die Morge nfrühe ) , „fröhlich er“ Wander - od er Marschch arakte r, wird man alle rdings f est stel le n, da ss das f ür „ande re“ Fahrten - un d Wanderlieder oder ältere Lieder der Jugendbewegung auch z u trifft. Di e wei tau s meisten in der H J ge bräuchl ich en Liederbücher e nthielten e ine Mis chung von L iedern, die zu m größten T eil sc hon in der Jugen dbewegu n g g esun ge n worden ware n... Man ch e in Lied - wi e ‚Die helle Flöte‘, ‚Der h elle Tag‘ oder ‚Die Morgenfrühe‘ von Hans B auman n - hätte ebensogut i n der Jugend bew egung‘ entstehen können, was viele Zeitgenosse n heute auch i mm er wi e der recht fer- tigend beteue rn. ( U lrich G ü n ther S. 58 )

Nach Ostl a nd Deutschl and verstan d sich als ein ‚Volk ohne Raum‘ . ... In Hitlers Phantasie lebte der Ged a nke, im Osten gäbe es gew a l tige Landm ass en, die nur minde rwertig b ev ölkert seie n. Zudem schätzte er vo n seinem Geschichtsunterricht h er d ie d eutsche m ittelalterli c he Ostkoloni sation . ... D arr é intere s sier- ten die agrar - und bevölkerungspolitischen Konseque n zen: Ih m schwebte d ie Bil dung von ‚Ad els- höfen‘ vor . 14 ... Die p olni sche, u kraini sche, russische und sonst i ge Be völkerung sollte das He er d er

14 Walther Da r r é : Neuade l aus Bl ut und Boden (1930) : D i e Bauern (Nährstand) a ls eigentlicher Träger des „gesun d en Staates“, ras s isch reines Blut, da s n ur a uf der Heimat , der Sch olle“ , dem „Bode n “ ge deihe n ka nn.

30 T agel öhner au f den ‚Ad e lshöfen‘ stellen . . .. Eine ern euerte deut sche Ostkolonisation war nicht al- len Volksgenossen s ogleich plau sibel, si e mu ss te daher p rop agandistisch vorbereitet w erden. Ma n wi es auf das Werk der deuts che n O rdensritter hin, deren Aufg abe es wie derzufin den gel t e. (Gamm S.65 ff.)

Wir fordern Land und Boden (Kol onien) zur E rnährung unse res Vo l kes u nd Ansiedlung un seres Bevö l kerungsüber schus ses . ( Programm der NSDAP vo n 1920 ) Volk ohne Raum war d e r Tit el eines Romans von H ans Gr im m (19 26), in d e m es z. B. heißt: De r deut sche Mensch braucht Raum um sich und Sonne über sich und Freiheit in sich, um gut un d schön zu w erd en. Er we ck te illusionäre Hoffnungen, wenn er beh aupt ete, Landmangel sei die Urs a- c he, da ss heute in Deutsc hland di e bes itzlosen Le ute üb erwiegen. ( Wolf gang Rothe (Hrsg.): D ie d eu t sche Lit er atur in der Weim a rer Republik S.316) Verschwiegen wir d dabei, d a ss moderne I ndustries taa ten keine Er wei terung des Agrarg ebie ts brau- chen; d a ss Deutsch land l andwirtschaftl i che Nutzfläc h e erobern müs se, war unsin nig.

Z ur Pro paga nda gehörten die so g. Ostfahre rl ieder . D as al te, au s Flandern stammende, von Walt her Hensel ü bersetzte V olkslied Na c h Ostland wolle n wi r reit en fehl t in ka um einem NS - Lied erbuch.

ht tps://www.youtube.com/watch?v=37Zba3HKHi4

In de n Ostwind hebt die Fahnen Mel odie und Text Hans Ba umann In den Ostwind hebt die Fahnen, D enn im Ostwind stehn sie gut, D ann befehlen sie zum Aufbru c h, Und den Ruf hört uns er Blut.

Denn ein Land gibt uns die Antwort, Und das trägt ein deutsch Gesich t, Dafür habe n wir geblutet, Und drum schweigt der Boden nicht. … ( http://ingeb.org/Lieder/indenost.html )

Es ist so schön Soldat zu sei n https://ww w.yout ube.com/watch?v=wMoJ7Bn_waE

D as Ma rschlied Es ist so s ch ön Solda t zu sein s teht u.a . im Soldatenliederbuch , h e rausgegeben vom General- kom m ando des VII. Arme ekorp s (Zentral verlag der D AP, M ü nche n 1940, S.50f.), als Quelle i s t dort a n gege- ben : Text und Weise nach Aufzeich nungen der Tr upp e .

1 .Es ist so schön, Soldat z u sei n, Rosemarie, nic ht jeder Ta g brin gt Son nen schein, Rosemarie; doch du, du bist m ein Talismann, Rosemarie, du gehst in allem mi r voran, Rosemari e. Solda ten si nd Soldaten in Worten u n d i n T at en, sie kennen keine Lumperei und sind nu r einem Mädel treu. V allerie, vallera, val era lleralle ra, Ro semari e. … …

31 3.In Treue fest f ür i m merdar, Rosemarie, gehn b eide wir zum T raualt ar, Rosem a rie, und reichen uns zu m Bund die Hand, Rosemarie, in T reue fest fürs Vaterla nd, Rosemarie.

... e s g ilt , auch die seeli sche Verfassung der Truppe zu beleben und in ein e ganz bestimmte Rich- tung zu l enken. Dazu geh ört mehr als die bloße Rh ythmisieru ng de s Glei chschritts: dazu be darf e s eines abs olut wirksam en A ppells an das völkische Empf inden d es einze lne n S oldate n. Das hie rfür geeignetste Mittel ist ei ne kernige, leicht fa ss liche oder bereits b ekannt e Melodie im G ewande einer ungekünstelt en, aber w ir kun gsvoll en Instrumentierung . (Lud wig Degele: Die Miltärm usik . Wol- fenb ü ttel 1937, S.197 )

Wie rech te Miltärmusik beschaffen sein s oll, zeigt die Blasmusik. Ihr klarer, k räf tiger Kl a n g duldet keine unechte Ge fühlig keit. Hier h aben sich die volksechten Gat- tungen erhalten: Marsc h , Walze r und bunte R eihe (auf gut deutsch: Potpourri). Das ist die echte Mu sik unserer Volksfeste, n icht d i e durch den Lau tsprecher quäkende Schlag erm usik. In d ie sem Sin ne bedeutet die neu an wachsende Pfl ege der Blasmu sik in der W ehrmacht und in den Forma t io- nen d e r Par tei ein e wirksam e Fö rderung der Musikkultur un seres Volkes. (J o seph Müller - Blattau: Ges chicht e der deutschen Musik, Berlin 1938, S.308 , z it. nach W ulf , Musik im III.Reich S .260)

Hitlers Lieblingsmarsch w ar d er Badenweiler Marsch. Er wurde von Karl F ü rst zu Beginn des Er s- ten Weltkriegs komponiert ; die Idee kam ihm, a ls er im elsäßischen Badenweile r nach e i nem Ge- fecht die Hup en der Sanitätsa uto s hörte.

„ Es geht alles vorüber “ 15 Schlager/ S pielf i lm e 1933 erschienen Propagandafil me wi e z.B . Hitler junge Q uex , SA - Mann Brand , H a n s Westmar , die aller dings kommerziell ein Mi s s erfol g ware n. Goebbel s - wie Hitler ein Kinoliebhaber - verlangte daraufh in aus h andfe s ten ökonomischen Gr ü nden un t erhaltende Filme, die si ch an amerikanischen V orbild ern m it Fred Astaire , Ginger R o gers oder E l e a nor Powell orienti erten. Mit der zu nehme n- de n Vers chärfu ng des Kri eg es spi elte „optimistischer Unte r haltung“ eine imme r größer e Rolle. Das deutsche Tan z - und U nterhaltungsorchester als eine dem Propaganda minist erium zugehörige For- ma tion sorgte für mode r ne T anz - und U - Musik im Rundfunk. Auc h hie r g ab es ökonom isc he Moti- ve : F ü r Sc hallplatten und Filme waren die eroberten Ge biete ei n riesiges, konkurrenzfr e ies Ab s atz- gebiet.

Der Schla ger kam seit Ende der 19 20 er Jah re üb erwiegend aus d em Tonfilm und nicht m e hr wie im ersten Vie rtel des Jahrhund erts a us der Opere tte. Außer den E - u nd U - gab es jetzt spezielle Schla- gerkomponi sten. De r Anteil der Schlage r - an der ü brigen Unte rhaltungsmusik w uchs stä ndig, bis d ie U - Musik schließlich fast g anz von d er Schlagermusik beh errscht wurde. W ichti ger als d ie K om pon isten wur den die Int erpreten , meist singende Filmstars wie Zarah Lea n- der , Marika Rökk, Ilse W erner, W illy Forst , Hans Alber s oder Johannes Heesters . Berl in wa r Ende der zwanziger Jahre u nd anfang s der dreißiger ne ben New York die Sch lager met ropole . Di e Eli te unter den Schlage rtextern und - komponisten waren Juden. Schon einen T ag nach der Machte r gr ei-

15 Schül er heft S. 1 6 f f. https://www.youtube.com/watch?v=B17H7E 4Bsb0

32 fun g k am i n Berl in eine List e heraus, die s ämtliche Namen und P seudonyme „jüdischer“ Schlag er- macher e nthielt. Es fol gten Berufsverbot und Verha ftu ng. F ried ri ch Hollaende r ( Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt ) und Werner R ichard H ey- mann ( Du bi st da s s ü ßes te Mäd el der Welt, Ein Freund, ei n guter F reund, Das mu ss ein Stück vom Himmel se in, Das gi b t‘s nur einmal ) , Wa lter Jurmann und der P ole Broni slaw K ape r (Ninon) g in- g en nac h Hollyw ood, der Russe Mischa Spolansky ( Heute nacht oder ni e ) und Hans Ma y ( Ei n L ied geht um die Welt ) rett et en sich nach London, Ralph Bena tzky g ing in die USA.

Schlager texter Hans Fritz Bec kmann schrieb v.a. für Pe ter Kreuder . Von ihm stam men z.B. die Te xte von Bei dir w ar es immer so schön (1940 ), Ma n mü ss te Klavier spielen könn en (1941) und de r Text z u m Mars ch der deutsche n Jugend aus dem U fafilm „Jung ens“, ver tont von Werner Egk (1941 ). Kr euder/Beckmanns e rster g roßer Erfol g war Ich woll t ich wär ei n H uhn aus dem Film Glückskin- der 1936 mit Lilian Ha r vey und Willy Fritsch . W eit ere Nons enset exte im Film Ich w oll t, ich wär‘ ein H ühnchen , / dann flöge ich nach Mü nc hen oder I c h wollt, ich w är Clark Gable / it Schnurrbar t und mit S äbel .

Auch Kurt Schwitters ve rf a ss te Sch lagertexte w ie z.B. Und wenn die W elten untergeh n/ Bleibt Onkel Heini doc h best ehn/ Denn unser Onk el Heini ha t imme r noch die krummsten B eini/ Der H eini b raucht sich n icht z u bücken/ Es kan n ihn doch k ein Stern er drü cken/ Denn die Sterne sausen s t ets bei Heini/Hindur ch durch seine krummen Beini. (Helmut Fritz: Die Hauptstadt de s Schl a gers, FR 18.4.87 .)

I n Fritz Löhner - Be d a s ( österreich ischer Jude ) Da daistisc hen Foxtrot fin de n s ich Texts tellen wie : Joko hama Dal ai Lama Rama tam a Jong! ... Verträumt er See de r Bauch tut weh es steigt ins B ad d as Weltquadrat ... gema lter Schr ei : Spin at mit Ei … Pro let a risch deutsch und aris ch alles nar- risch Su ms! Er schri eb z.B. Ausgerechnet Bana nen , Wo sind deine Haa re, August? ( Kompo nist Richard Fall), In Nisch ni - No wgo rod (R ichard Fall), Wa s machst du mit d em Knie, lieb er Hans? Bar zum Kroko- dil, I ch hab mein Herz in H eidelberg verl oren (1925 mit Er nst Neub ach, K: Fred Ra y m ond), Du schwarzer Zige uner, Valencia, O Donn a Clara, die Libre ttos zu Friederike ( O Mädch en mei n Mädchen ), Land des Lä chelns (mit Lud w i g He rzer, K: Lehar, Dein is t mein g anzes Herz, Immer nur läche ln, Freunde, d as Leben ist lebe ns wert ), mit Alfred Gün w a ld für Paul Abraham die V orla- gen zu Viktoria un d ihr Husar, Die B lume von Hawaii u nd Ball i m Savoi . Fritz L öhner - Beda wird im M ärz 1 938 in Bad I schl verhafte t, ins K Z Dachau und ku rz darauf, mit seinem Freund Fritz Grünwald, n ach Buch enwald depor tier t . Er schreibt dort Ende 1938 d as Bu- chenwaldlied, Her mann Leopoldi und Herbert Zipp er verton en es. S eine Frau, se ine beide n Töchter und se i ne Sc hwie germ utter sterben im So mm e r 1942 in ei nem Vernichtung slager. Er sel bst wird im Oktob er 1942 nach Auschwi tz - M onowit z, einem Arbeitslager der IG Farben, gebracht , wo er am 4. Dezemb er 194 2 stirb t, entwed er an En tkr äftung od er erschla gen durch SS - Mä n n er.

Ein weite rer jüdischer Text er w ar Robert Gi lbert , der Sohn des Operetten komponisten Jean Gil- bert ( Hoppla! Jet zt k omm ich 1932, Das ist die Lie be der Matrosen 1931, L iebling, mein Her z lä ss t dich g rüßen 193 0, Ein F re und, ein g uter Freun d 1930, Am Sonn t a g wi ll mein S üßer mit mir segel n ge hn 1929, Das gibt‘s nur ei n mal 1931). Er schrieb Texte fü r Ralph Benatzky, We rne r Ric hard Heymann und Robert S tolz. Er floh 1933 nach Österreich, dann 1938 üb er Fra nkreich i n die US A. 1949 kam er nach Eu ropa zurück. Vo n ihm sta mmen u .a. die deutschen Tex t fassungen von „Hello Dolly“ und „My Fair Lady“.

Filmkomponisten

33 Theo Mack eben war neb en Michael Jary und F r anz Grothe ei ner der erfolgreichsten Filmk o mpo- ni s ten. B erühmt wur de er a ls D irigent der Dreigroschenoper . D ie Nacht ist nich t a llein zum Schlafe n da , ein schnel ler Foxtro t , stammt aus dem Film Tanz auf d em Vulkan (1938 ) über den auf rü hrerischen Sc hauspieler D ebure au in Pa ris 1830. In de r letzten S trophe heißt es: Wenn der Morgen endlich graut hinter dunklen S cheiben, und die M ä n ner oh ne Braut be ieinander b leibe n, schmiede n sie im Flüst erton aus Gespräch en Bomben. Rebe llion, Rebelli on in den Katako mben.

Goeb bels ve rhindert e , da ss der Song auf Plat te erschien, obwohl der Verlag sc hon beim Noten- dru ck auf diese letz te S trophe verzichtet hatte. https://www.youtube.com/watch?v=XqzX - uZUtI 4 Gus tav Gründgens sp ielt e den Debu reau . Gründgens di ente bekanntl ich als V orbil d für den ‚Mephi sto‘, den Klaus M an n 1936 im Exil ge- s chr i eben hat . Gustav Gründgens versuchte die Veröffentlich ung die ses Ro mans jurist isch ( Schutz d er Per s önlichkeit srechte ) zu v er hi n dern; der Roman - 1956 im Auf b au - Verlager z um erstenmal in Deutschl and herausgebracht - erschien deshal b er st 1980 in d er B undesrepublik in der edition spangenberg. Der R o man wu r de 1 981 ve rfilmt mit K laus Maria Br a nd auer in de r Ha uptrolle (Regie: I s tvan Szabo ; 1982 Oskar a ls bester ausländi scher Film). Int eressant is t da rin u. a. der (im Roman nicht ent haltene) Besuch von ‚M e phisto‘ - Hendr ik H öfgen - im ne uen Olym pi a stadion, i m Atelie r einer angese h en en Künstlerin (wohl eine Ab bildu n g von Leni Ri efenstahl kom binie rt mit Joseph Thorak) und sein e eine A usstellung e röf f nende Rede über ‚neue‘ Kunst. Höfgen ist kein Nazi, nur ein Schauspieler , abe r als Funkt io nstr äger w ird er schu l dig. Sch e inbar neutra l d ient er dem Re gime als Aushän ges c hild, zeigt, wie kunstoffe n es (schei n bar) i st usw. Theatral isiert w urde der Rom an 1 979 von Ari ane Mnouchkine. Bei ihr wird der 193 3 den Nazis zum Opfer gefal lene Otto Ulrich s/ Hans Ott o Gegenperson zu Höfge n .

In den Schlagertexten ist nach Sta lingr a d e in Um schw u ng zu erkenn en: Durchhalteschlager - Schlage r wurden im Berliner Radioarchiv unter „OP“ abgelegt, das Kürzel für „Op t i misti sche Sa- chen“ - m it dem Wunsch un d der Hoffnung auf ein „Vorüber“, dem Trostve rsuc h Dav o n geht die Wel t nicht unte r und de m Ver sp rechen , da ss es no ch e inen Ausweg gibt: Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehn . Sc hließlich bleibt nur noch die Tra u m welt: Kauf dir einen bunten Luftb a l- l o n .

Ic h weiß es wi rd einma l ein Wunder ge s ch ehn Aus dem Propagandafil m Die große Liebe von Rolf Hansen ( 1942 ) mit Za rah Leander und Viktor Staal in den Hauptrollen Text : , Musik : Michael Jary Bruno Balz wurde 1936 eingesperrt wegen Homose xualität. Eine Pro - forma - Ehe r ette te i h n. Der Text k a nn ambivalent in terpre tiert we rden, wie der Flüsterwitz zeigt: Za r a h Le ander wurd e ins Füherh a uptq uartier verp flichtet , sie mu ss d em F ührer vorsingen: ‚Ich weiß, es wird einmal ein Wunder g e schehn‘. https://www.youtube.com/watch?v=7tUwHsixChA

H e imat deine Stern e

34 https://www.youtube.com/watch?v=bSvaMkszJ1s

A aus dem Fi l m Q uax , der Bruchpilot ( 1941 ) mit Heinz Rühman n . Text : Erich Knauf, Musik : Werner Bochmann Erich Knauf , bis 1933 Lekto r bei de r s oziali stischen Büch ergilde Guten b er g, war 1934 ze hn Wo- che n im KZ Oranie n burg. Sein H e imat deine Stern e war ei ner der meis tge s endeten Titel in dem an jedem Sonntag gesendete n Wunschkonzert für die Wehrmacht . (Das erst e f and a m 1 . 10.1939 statt). Ein weiterer Wuns c h ko n- zert - Dauerb renner (von ihm) w a r Mit Musik geh t a lle s besser . K nauf war m it E. O.Plauen (Er ich Ohls er), dem Erf ind e r von Vater und Sohn und Erich Kästner befreunde t. Nachdem ihre Unterhaltu n gen im Luftschutz keller mitgeschr ieben u n d s ie denu nziert worde n waren, begin g Plauen in der Zelle Selbstmord, Kn a uf wurde am 2. 5. 19 4 4 hingericht et.

Lili Marl een https://www.youtube.com/watch?v=2jlT_Jb2efU

Komponist: Norbert Schultze ( 1911 - 2002 ) war Anfang de r 1930 er J ah r e Pianist be i m Stude nten- kabarett V i er Sch arfric h ter , dann Opernkapellmei ster, Aufnahmeleiter bei Telefunken und ab 1937 freier Komponi s t . Er komponie rte Opern, wie z . B. 193 6 D er schwarze P eter , verschiedene Marschlieder wie z.B . 1 939 Bomben au f Engel lan d fü r den Film F eue r ta ufe (Regie: Han s Bertr am), für den er auch die übrige Mu sik komponierte : das Afrikalied Panzer rollen in Afr ika vor, d as Lied vo m deutsche n U - Bootmann , 19 4 1 das Lied vo m Feldzug im Osten . In den 19 50er - Jah ren w a r sein von ges u ngenes Nimm mich mit , Kapitän ei n g r oße r Erfolg. Es folgte die Musik für e ine Reihe von Fernsehfilmen in den 19 60er - und 19 70er - Jahren.

L i li Marleen war von E lectrola 1939 mi t der relativ unbekannten Bremerhaver Sängerin La le An- d ersen aufge nomm en wor d en, b egleitet v on ein er C ombo mit Freddie B ro cks i eper am Schlagzeug. 1941 wurde es eher aus Versehen mehrfach g e sendet und verbreitete sich r as ch. Di e Alliierten nahmen ba ld englische Ver s ionen von ‚Li li Marleen‘, gesungen von V era Ly nn und Marl ene Diet- ri ch , fü r i hre Str eitkräfte auf. Geg en Kriegse nd e w u rde Lili Marleen im Soldatense nder Calais je- den Abend gespielt.

Lale Andersen Diese blon de , blauäu g ige Friesin , die die ‚arische‘ Idee d e r rassischen Überlegenheit wie keine and re zu verkörp ern schien, fi el bei m R egim e i n Ungnade ... E rst ens war si e als knapp über zwan- zigjährige Berl iner Chansonniere eng mit dem politischen Kabarett der Repub li k verbun d en gewe- sen und hatte im November 1931 s ogar bei der Berliner Au f führung der Op er Mah agonny von Bert Brech t und Kur t We ill mitgewirk t. Da nac h blieb si e ein e recht prominente Angehörige d es Kadeko, in dem sie noch 1938 als Schauspielerin auftrat. Zw ei tens w a r sie bei e inem Aufen thalt in Zürich 1 9 33 die Gelie bte Rolf Liebermanns geword en, de s junge n jü dischen St ud ente n d er K omp ositions- ku nst u nd Verfechter d er a tonalen Musik . ... Lale hätte Liebermann fast geheiratet, doch sie wollte eine unabhängige kü ns tleris c he Karriere einschlag en, was in der e n gs tirnigen Sc hweiz u n möglich war. Zu Beg inn de s natio nals ozialisti sch en R egi mes ha lf sie Lieb ermann , Wertsache n v on j üdi- schen Emigranten über die deutsch - schweizerische Grenze zu schmuggeln. Sie kehrte 1933 i ns Reich zurück und korrespond ierte weiter mit de n emigriert en Freunden, insbesondere m it Kur t Hirsc hfel d, dem kün st leri sch en D ire ktor der Z ürcher S tädtischen B ühn e n. Drittens … .wurde sie zum Opfer ihres eig e nen Erfolgs , . .. Goebbels habe sie um ihre P opu l arität b eneidet . ... Anita Spad a, Hinkels Haupt g elie bte war e ifersüchtig auf die Sänger in und wünscht e i hre Neut ralis ie- r ung. Hin kel verbot im Dezembe r 1941 die P rod u ktion neuer Schallplatten . ... Im September 1942 benutzte man Andersens letzten Brief a n Hirs c hfeld - wie alle üb rigen, die von der Gestapo abg e- fa ngen wo rden waren - als Vorwand, um sie aus dem Un terhalt ungsge sch äft hin a uszudrängen.

35 Eine for mel le Anklag e w e gen Verrats und eine Hafts trafe in einem KZ wurden erwogen; ihre Stim- me verschwand für immer aus dem Programm de s Belgrade r Senders. Im No v ember schrieb die verzweifelte Andersen , es g äbe Gerü cht e, da ss sie Hi nk els Gel i ebte sei und nun von ih rer Nachfo l- ge r in ausgeschaltet werde. Im Mai 1943, als die nach Stalingrad wirksamen Restriktionen l angsam aufgeho b en wurden, durfte Lal e Andersen wiede r öffen tlich a uftreten, doch das Verbot von Li li Marle en blieb b estehen . Wahr- sch e inlich hatte Goebbels s elbs t besc hlo s sen, diese Frau nicht zur Mätyrerin zu machen, denn ihr ältester Sohn diente mittlerwe ile an der Ost f ront, und s ie hatte s chließlich nur p e rsönli che Nai vität und keine politische n Absi chten er ken nen las sen . ... I m Okto ber wurde sie bei einem K on z ert im Su det e nland von einer HJ - Dele gation niedergebr ü llt, die man speziell zu diesem Anla ss dor thin gefa h ren hat t e. Mittlerw eile hatte sie auch einen G estapo - Aufpas ser. (Michael H. Kater: Ge wagtes Spiel, Köl n 19 95, S.337ff . ) W erne r Fassbinder hat Lale An dersen 19 80 i n dem Film Lili Marleen ein Denkmal gesetzt.

Weitere Schlagertitel 1933 bis 1943 Interessa n t ist d abei, wieviel davon na ch dem Krieg „erhalten“ blieb bzw. neu au f gelegt wurde. 1933 D u schwarzer Zig euner, Tause nd r ote Rose n blühn 1 934 Gita rre n s pielt auf , N achts ging das Telefo n, Regentro p fen, Ob blond ob braun, Wie ein Wunder kam die L iebe, Sch ö n ist d ie Liebe im Ha fen, Heu t i st der schönste Tag, Hü a ho alter Sch immel 1936 Heidew itzka Herr Kapitä n, H ofbräu haus, Good y - Goody 1937 Ich steh im Reg en, Ich t anz e m it dir in den Himmel hinein, Die Juliska, Wozu ist die Straße da, Hörst du mein h eimliches Rufen 1 938 Das kannst du nich t a hnen, I Hab die schönen Ma d el, Tango Bolero, Mamatsch i, Ein e Frau wird ers t schö n durc h di e Liebe, Kann den n Liebe Sün de sein, Kor n bl umenblau, Roter Mohn, Tan- go Noturno, Der Wind hat mir ein Lied erzählt 1939 Gute Nacht Mu t ter, Be l Ami, Good by e, Jonny , D ie Nacht ist nicht allein z um Schlaf en da, Nur nicht aus Li ebe weinen 1940 Alo A he, Ch iant i - Lied, Fr ü hling in Sorre nt, Ic h hör so g er n Musik, Die Männer s ind schon die Liebe wert, Einen Walzer für dich und für mich , Wenn ei n junger Mann kommt 19 41 Unter de r roten Laterne, Herz - Schm e rz - Polka, Bei dir war es i mmer s o schön, Ho ch d roben auf de m Be rg, Zwei in einer großen Sta dt, Sie w ill ni cht Blumen und nicht Schokolade 1942 Liebe kleine Schaffnerin, Glocken der Heimat , Wovon k a nn ein Landser denn s chon trä ume n, Durch dich wird diese W e lt erst s chön, Ein Glück, da ss m an sich so verl ieben kann 1 943 Capri - Fis cher (19 4 6 mit R udi Sc hurick e n e u aufgelegt), Zum Absch ied reich ich dir die Hän- de, In der Nacht ist der Mensch nic ht gern a l leine, Morge n wird al les wied er gut

Noten : Von Kopf bis F u ß auf Kino eingestellt... Unverg ängliche Me lodi en d es deuts chen Tonfilms (Wol f- ga ng Schäf er) Si korski Go i n‘ Crazy, The Roaring T wenties, Old Fashion - New Fashion, Evergreens der Ufa - Musikve rlage

CD s : Schlager au s Filmen z.B. auf der CD „ Tanz a uf d em Vulk an“ Neufassungen: T i ll Brö nner & Deuts ches Sy mp honi eorche ste r B erlin: German Songs, minor m usic 21408442 ( 1997 ) Si gi Busch und BuschMusic: The Berlin Songbook, Kla ngrä ume 30240 (v.a . 20er J ahre)

Lit er atur : Mo n ika S perr: Das große Schlagerbuch, München 1978 Fried Poentges: Kleines Evergreenlexikon , O ldersh a usen 1988

36 Rita von de r Grün: Funktio n en und Forme n von Musi ksendu n gen im Rundfunk und Vo lk er Kühn: „Man mu ss d as L ebe n nehmen, wie e s eben ist.. . “, be i de i n: Hei ster/Klein (Hrsg .) Musik und Mu- sikpolitik im faschistischen Deutschland, Frankfurt/M 1 9 8 4. Ma u rus Pach er: “Sehn Sie , das war Berli n - W eltstadt nac h Noten“ , Frankfurt/Berlin 198 7

Gan z D e utschland hört den Führer 16 Go e bbels üb ern ahm die Wah lpropa ganda für die Wahle n im Mär z 1933 . Er sc hrieb a m 3.2. 19 33: Nun ist es l eicht, den K amp f zu führ e n, denn wir könne n alle Mittel des Staates f ür uns in Anspruch nehmen . Rundfunk und P ress e stehen un s zur Verfügu ng. Wir werden ein Meisters tüc k der Agita ti- on l iefern. (Heinz Höhne : Die M achtergreif un g, Rei n bek 1983, S.276) Der Run dfunk mu ss u ns d iese 100 Prozent zusamment rommeln. Und haben wir sie einmal, mu ss der Rundfunk uns diese 100 P roze nt halten, mu ss sie vert eidigen, mu ss sie s o innerl ich durchträn- k en mit dem geistigen Inhal t un ser er Zeit, da ss n iem a n d mehr ausbrechen kann. (Goeb bels a m 2 5 .3.1933) Das neue Agitatio nsmittel des Rundfunks - Go ebbels nannte ihn die ach te Großmacht d es z wa n- z igsten Ja hrhunderts - hatten sich die Na t ionalsoz ial isten rasch angeei gnet und wu ss ten es zu n ü t- z en: Die Rei chs regi e rung setzte dank ihrer V ormach tstell ung in der R e ichsrundfunkgesel lschaft durch, da ss alle gr oßen Wahlreden der Kabinet tsmitglieder vom Ru nd funk über tragen werden mu ss ten. Nic ht neut rale Inform ation wurde gebote n, s ondern Propa- ganda. Außerdem war d er Rundfunk bestens als Massenun- terhal tungsmedium geeig net. Dabe i wurden P r opagand a und Unterhal tun g eng verknüpft : Das Schaff en des kleinen Amusements, de s Tag esbedar fs für die Lang eweile und di e Trü bsal zu pro duz i e ren, wolle n w i r ebenfalls nicht unterdrücken. Man s oll nicht von früh bis spät Gesinnung m a chen. (Goeb b el s, 1933) Der Volksempfänger (auch Gemeinschaftsempfänger ge- nannt) , ein Radioapparat für den Empfang von Mittelwellen- rundfunk und Langwellenrundfunk , wurde im Auftrag von Jose ph Goebbels entwickelt und wenige Monate na ch der Machtergreifung Ado lf Hitlers Ende Januar 193 3 vorgestellt . . Er wurde eines der w ichtigsten Instrumente der NS - Propaganda . (wikipedia)

K unst am Pranger 17 „ Entartet “ ? – Musik (1) 18 En tartet Entartete K u nst und E ntartete Musik geh örten ebenso wie Kult urbol schew is mus zu d e n Neg ati vbe- griffen der N S - P ropa ganda . I m Mittelhochdeutsch en bedeutet art neben angeborene Eigentümlich- keit, Natur, Art und Weise , B e schaffe n h e it auch sch on Herku nft, A bstammung. Es wurde durc h das im 17. Jahrhunde rt aus dem Französisc hen e ntleh nt e, als b io logis ch er Begriff ers t m als von Kant 17 7 5 verwendete Rasse ersetzt, das sich allerdings erst im 19. Jah r hundert einbürgerte. Das Adj ek- tiv ra s si s ch wird ers t 1922 von de r Rassenforsch u ng eingef üh rt. Entartet wird id entisc h mit degene-

16 Schülerhe ft S.17 17 Sc hülerheft S .18 ff . 18 S chülerheft S. 26 ff.

37 riert: Dégé n é ra tion war Ende des 18. Jahrhunderts zu einem wichtigen biologischen, politischen und gesellschaftskritischen Terminus der frz. Aufklär er un d Enzyklopäd isten geworden. Der jüdisc he italienische Anthropologe Cesare Lombroso A rzt, P rofessor für gerichtliche M edizin und Psychi atrie (1836 - 1909 ) führte den naturwissens cha ftlich e n Beg r if f Entartun g für Normabwei- chungen im S inne einer Verschlec hteru ng ein. Unte r Berufung auf seine krimin albiologischen The- sen führten die Nationalsozi aliste n Zwangssterilisationen bei Kriminellen und Geisteskranken durch.

Der Arzt und Kultu r philos o p h Max Nordau (1 849 - 19 23), später neben Herzl einer der führenden Z ionis ten, kn ü pft daran an und stellte da rübe rhin ausgehend 1892 in seinem vielg elesene n B u c h „Ent artung “ fest: D ie Entartete n si n d nicht imm e r Verbrecher, Prostituierte, Anarchisten und er kl ä rte Wahnsinnig e. Sie sind manchmal Schrifts teller u nd Künstler. .. . E inige dieser E ntarteten in der Lite ratur, d er Musik und der Malerei sind in den let z t e n Jah ren außerordentlich in Schw ang g ekommen und we r- den von zahlreichen Verehrern als Sc hö pfer e in er neuen Kunst, a ls He rolde der kommenden Ja h r- hunder te gepriesen. Er ist sich sicher, da ss eine „körperlich e Unte rs uchung“ und „eine Prüfung des Stammba ums “ , be- wei sen würde, da ss die Behaupt ung , die Urhebe r al ler fin - de - siecle - Bewegungen in Kuns t und Li- t e ratu r seien Enta r te te . .. eine Tatsache ist. (B d .1, S .29) Zwar bemühte n s ich zahlreiche Künstler und Autoren um di e Widerlegung seiner Thesen, darunter z.B. G eorge Bernard Shaw, Max Nordau wa r aber mit seinem K ulturpessimismus nicht allein. Dazu d er 2 010 gesto rbene Kulturwissenschaftler Georg Bollenbeck : Das Bildungsbürgertu m, das die Kultur als „ideale Habe“ in der K aiserzeit noch fest in ihren Händen hielt, v erlor di ese langsam beim Ansturm der Moderne um die Jahrhundertwende. Seit damals ertönen di e Kassandr agesänge von der „Amerikanisierung“ und „Entartung“, vom „Kul- turze rfa ll“, „Kulturbo lschewismus“, die in den zw anziger Jahren zunahmen. Mit Oswald Spengler wurde n Kino, Expressionismus, Bo xkämpfe, Niggertänz e als Ausgeburten der „Unfruchtbarkeit“ des großst ädtischen Menschen als „Ende der Kultur“ beschworen. Große Teile d es Bildungsbür- ger tums waren nicht zufällig b ereit, im Nationalsozialismus den Retter deu tscher K ultur zu sehen. ( Georg Bol lenbeck: "Traditio n, Avantgarde, Reaktion". Deutsche Kontroversen um die kulturelle Moderne 1880 - 1945. Frankfurt am Main 1999 . )

D er B egriff entartet t aucht schon vor Nordau hin und wieder auf. So schrieb der Schweizer Kultur- histor iker Jakob Burckhardt in se inem Buch Cultur der Renaissance (1860) , Barock sei eine Entar- tung der Renaissance. B ei der Uraufführung der Kammersinfonie op. 9 vo n Ar no ld Schönber g 19 0 7 beschuldi gte . .. ein R eze n sen t den H o f operndirektor Gustav Mah le r , der Sc hön berg protegierte, das ´ h ohe Protectorat üb er entar tete Musik schon se it längerer Zeit’ zu führ en. ( Eckhard John: Musikbo lschewismus, Stuttgart - We imar 1994 , S.20f. ) Aber ausf ormuliert ha t das v.a. Nord au. Natürlich k ö nn en weder Lombroso noch er für die E ntar- tungskampagn e der NS ve rantwortlich gem acht werden . Dass ausgerechnet Juden die faschisti sche Rassentheorie mitinitiiert haben , ist eine r der absurdeste n i deolog iegeschicht lichen T reppenwitze des vor letzten Jahrhunderts . Die Nationalsozialisten überna hmen den Begri ff. Für sie w ar Kulturverfall die Folg e von R ass e n- verm ischu ng, alles rassisch V ermisc ht e also „enta rtet“. Die Blutsvermischung und das dad ur ch b edin g t e Senken de s Ra s s enn iveaus ist die all eini ge Ursa- c he des Absterbens alter Kulturen. ( Hitler , Mein Kampf 4 00. - 404. Aufl age, München 193 9, S .324)

Kulturbolschewismus - Musikbols chewismus Nebe n „Entartete Kunst“ und „Entartete Musik“ gehörten Kulturbol schewi smus , Musik bolschewis- mus und jüdisch - b olschewistisch zu den Negativbegriffen der NS - P ropaga nda.

38 Der Ausdruck Musikbol schewismus war s chon Anfang 1919 in Berlin in direkter Re aktion au f die deutsche Novemberrevolution entstanden. Er löste den Begriff musik alischer An archismus ab, mit dem u.a. Schönbergs op.19 abqualifiziert worden war. (Jo hn S.3 0 ff.)

Will y P a stor , Kuns t - und Musikkritk er der Berl i ner Tagesze itung Tägliche Rundschau, i st der erste ge wesen , d e r diesen Begriff p oin tiert in die öffentli c he De bat te brach te. (John S.40). An die Öf fentl ichkeit trat der Ausdruck Ku l turbolschew is mus (e rst) in der zweiten Hälfte der z w an- zig er Ja hre. Sein e Urspr ün ge sind vielschichtig. E ine wese ntlich e Wurzel des Schlagwortes bildete - gerade im Hin blick au f d ie Sph äre der Sch önen Künst e - die Pa r ole vo m Kunstb olschewismus, die in den Jah r en nach 19 2 0 ton angebend gewesen war, wenn es um di e ( pol it isch motiv ierte) De n u n- zierung der künstlerisc hen A vantgarde ging. (John S.193) Wolf - Petersen bezeichnet in „Das Sch icksal der Musik von der Antik e bis z u r G ege nwart“ ( Bres- lau 1923 , S. 258f ), der ausführl i chs ten St el lungnahme des George - Krei ses zu Musikfra g en , m ode rne Musik a ls Kult ur bo lschewismus, die den S taat von innen her zersetze und die Verschmelzung von Judentum , Russen tum und Deu tschtum suche . Mitgeprägt hat den Begriff der Berner Architekt Alexander von S enger , der damit seine Koll egen Mies v an de r Rohe, Le Corbusier oder Walter Gropius brandmark en wollte . Wenn der Kapellmeister Klemperer die Tempi anders nimm t als der Kollege Furtwängler, wenn ein Male r in eine Abendröte einen Farbton bringt, den m an in Hinterpommern selbst am hel len Tag nicht wa hrnehmen kann, wenn man für Geburt enregelung ist, wenn man ein Haus mit flachem Dach baut, so bedeutet das ebenso Ku lturbo lschewismus wie die Darstellung eines Kaiserschnitts im Film. Kulturbolschewismus bet re ibt der Schauspieler Chaplin, u nd wenn der Phys iker Einstein behauptet, daß das P rinzip der konst anten Lichtgeschwindigkeit nur dort geltend gemacht werden kann, w o kein e Gravitati on vorhanden ist, so ist da s Kulturbolschewismus und eine Herrn Stalin per sö nlic h erwiesene Gefälligkeit. ( Carl von Ossietz ky : Die Weltbühne, 21. April 19 31 )

Eine ganze Re ihe linker Politiker, v.a. innerhalb des Sp artakusbundes (Rosa Lux emburg , Paul Levi , August Talheimer) und in der Münchner R äterepublik (Kurt Eisner, Erich M ühsam, Ernst Toller) waren bekann tlich Juden. „Ju den sind Kommunisten“ wurde zur subjektiven histor ischen Erfah- rung des national - konservativen und christlichen Bürge rtums in der Weim arer Republik . Von da war e s nicht weit z um Vorurteil, der Kommunismus sei eine jüdische Erfindung .

Im ‚D ritten Reich’ wu rde der Ausdruck Kulturbolschewismus - nun gänzlic h antisemitisch konno- tiert - austauschbar mi t Entartung. Wobei der Begri ff entartet i n offiziellen Verlautbaru ngen v.a. in Ve rbindung mit der Musik eher selt en auf taucht . Ein Aufsatz im Völ kisc he n Beob acht er am 10.2.1933 z.B. h a tte den Titel Bolschewi smus in der Musik , gemeint war in diesem Fall Hermann Reutt ers „Mis sa brevis “ op.22 ( Du rche inand er von ve r w irr ende n Tonfo lgen , musikalische Zügello s igkei t “)

Lit er atur : A lb recht D ü m lin g : Neue M usik als wi ldest e Anarchie in : Dümling/ G irth , S.30 ff. Eckhard Jo hn: Musikbo lschewismus, Stuttgart - We imar 1994

Goebb els benützt de n Begr iff „artfre md“: Allerdings ist es ande rerseits auch eine besonders verantwortungsvoll e Aufg abe des Staates, seiner Ins tanzen und der s tändischen Organisationen der musikalisch Tätigen in Deutschland, jene Auswüchse zu beseitigen, die die Gefahr eine r Über wucherung u nseres musika- lischen Schaff ens mit artfremden Elementen in sich schließen. Hier betätigen sich

39 der Staat u nd seine verantw ortlichen Organe gewissermaßen wie der Gärtner, de r au ch das Un- kraut ausjäten muß , damit die echte Frucht wachsen, r eifen und gedeihe n kann. Das Wachstum selbs t aber ist nicht Sache des Staates, das ist Sac he der Natur. Sie gibt dazu die S onne, den Regen und den Wind, genauso wie das Wachstum der Kunst S ache des Volkstums an sich ist , das es mit innerem Leben und mit ström ender Vitali tät erfüllt . (Josef Goebbel s, Rede bei den Reichsmusiktagen 1938)

„ Enta rtete Kuns t “ , München 1937 19 Otto F r eundlichs G ips skulptur ‚Der neue Mensch’ von 1912 sta nd in d iese r Ausstellung an e xpo n ierter Stelle. D i e negroiden Züge si nd unver kenn bar. Scho n di e europäische Ethnologie de s 19.Jahrh underts verband d as Bi ld des Juden mit de m des Schwa r- z e n. Judenna se , volle Lippen, sch male Nasenwurzel sei en Rass en- merkmale, die auf eine Verwa ndt scha ft h inwies en. Dieses Vorurteil wird von den Nazis au fg egriffen. Ein a ndrer Gipsk opf Otto Fre und- l ichs wur de n e ben Gemälden Otto Muell ers so kommen tiert: Jüd is c he Wüstense hn sucht macht sich Luf t - der Neger wird in Deuts chland zum Rassenid ea l ei ner e ntartet en K unst.

„ Entartet “ ? – Mu s ik (1) 20 Ausstellung Ent ar tete Musik Die Ausstellung Entartete M usik wurde 1938 in Düsseldorf - analog zur Auss tellun g Entartete Kunst ein Jahr v orher - im Rahmen d er Reichsmusiktage eingerichtet. Träger der Re ichsmusiktage unter der Schirmherrschaft von Goebbel s (Präsident der R ei chskulturkammer ) waren die Reichsmu- sik kamm er und die NS - Gemeinschaft Kraft durch Freu de . A ußer der Ausstellung Entart e te Musik gab es für einen engeren Kreis von Fachexperten einen Ko n- gress der Gesellschaft für Musikwissen schaft, bei dem u. a. das Them a Musik und Rasse behandelt wurde. Refer ate hielten u.a. die Musikwissenschaftler - Fried rich B lume (ab 1942 und ab 1949 Hrsg . MGG , 1933 – 1 958 Uni versität Kiel ): Grundsatzreferat „Musik und Rasse: G rundlagen einer musikalischen Rassenforschung“, - Josef M üller - Blattau ( d a mal s Prof an der Uni Freibu rg ) : Das D eutsche in der Musik , 1952 Direk- tor des Staatli chen K onservatoriums Saarbrücken, Bunde sverdienstkreuz 1. Kl asse - Heinrich Besseler ( behauptete im Entnazif izierungsverfahren , habe ihn pe rsön- lich verf olgt , Nationalpreisträger der D DR), - Walter Gerstenberg, ( ab 1937 NSDAP - Mitglied, 1952 - 1970 - außer 1958 - Profess o r für Musik wis- senschaft an der Universität Tübingen) . 21 Blume und Gerstenberg waren bis 2002 Ehrenmitglieder der Verwertungsgese llschaft M usikedi tion .

Aus Goebbels Eröffnu ngsr ede zu den Reichsmusiktagen, die er allerdings erst a m Schlusstag hielt:

19 S chül erheft S.18 und 22 20 Schülerheft S.24 ff. 21 Am 26.5.1 938 referierten im Theme nkreis Die deutsche M usi k (Leitung Josef Müller - Blattau und Arnold Schmitz) Prof. Dr. Josef Müller - Bl attau (Freib urg): Das Deutsche in der Musik Dr. Ha ns - Joachim Th erstappen (Ham burg): Die Musik im großdeutschen Raum Prof. Dr. Ar nold Schmitz (Breslau): Neue Ergebnisse lande sku n dlicher Musikforschung in Schlesien Prof . Dr. Will i Kahl (Köln): Soziolog isc hes zur neue ren r heinischen Musikgeschichte Prof. Dr. Karl Hass e (Köln): Die großen Meister der Musik und das deutsche Volk Dr. Walter Gerstenberg (Köln ): Gemeinschaftsmusik un d Konzert , veröffentlicht: Walter Gerstenb erg: Gemei nschafts- musik und Konze rt in ZfM 105 ( 1938) S.856 - 860.

40 Lassen w ir nun in d ieser festl ichen Stunde noch einmal die Blicke zurücks chweifen auf eine über- wundene Vergangenheit, die uns heute fas t wie ein wüster Traum erscheint. Dass es ei nmal in Deutschland, dem klassischen Lande der Musi k mögl ich war, dass unsere eigene n großen Mei ster durch das Aufführen entstellt und verhöhnt wurden . Dass das Gebiet der deutschen Volksmusik fast ausschließlich von jüdis chen El ementen beherrscht wurde. D ass unsere deutschen Klassiker ver- kitscht und verja zzt wu rden. Dass an die Stelle kl a rer Linienf ührung und zu Herzen gehender Me- lodien die blasse Kons truktionen um das jüdische Experiment traten. Musikfeste der Systemzeit seien eine Generalschau undeutsch er u nd artfremder Musik, bei der sich ein kleiner K reis v on Nichtkönnern mit der jüd i sch bestimm ten so genannten Kritik ge tr o f fen hab e . ... In einem g roßen Ansturm fegte der NS die pathologischen Erscheinungen de s musikali schen j ü- dischen Intellektualismus weg und machte die Bahn frei für das ungehinderte S chaffe n deutscher Musiker und Kün s tler, die j etzt nicht mehr in ständiger Angst zu leben brauchen v or den feigen Angriffen der Asphaltpresse und den Intrigen jüd ischer Ver leger u nd Dirigentencliquen. Die M acht des Judentums ist jetzt auch auf dem Gebiete d er deu tschen Musik gebrochen. ... An die Stel le rei- ner Konstruktionen eines öden atonalen Expressio nismus tritt wieder die künstlerische Intuition als die Quelle des Schöp ferisch en auch in der Musik.

Ums trit ten ist, wie off i ziell d ie Ausstellung Entartet e Musi k war. Fred K. Prieberg beh a uptet , sie sei eher eine „private“ Initiative von Hans Severus Zi egler gewesen , mit Paul Sixt als Partner .

Hans Severus Ziegl er war ein Hitler - Anhänger der ersten Stunde . Au f seinen Vors chlag hin hatte die NS - Jugendorgan isatio n auf dem NSDAP - Parteitag i n Weimar 192 6 den Namen Hitler - Jugend erhalten. Er war stellvertre tender thüringischer Gauleiter und schlug 1930 Paul Schultze - N aumburg al s Direk tor der Kunsthochschule Wei mar, des früheren Bauhauses, vor, der dort noch im gleich en Jahr ein ‚Säuberung’ dur c hführte. 1 933 wurde Ziegler zum Staatsrat und Mitglied der Staat sregierung von Thüringen ernannt. Außer- dem war er Präsident de r Deutsche n Schil lerstiftung und Reichskultu rsen ator . 1935 wu rde er kurz- fristig beurlaubt, da e ine Er mittlung wegen § 175 gegen i hn lief, di e aber niedergeschlagen wurde. Wohl um sich zu verteid igen, war er besonders eifrig in der „Abrechnung“ mit dem, was er für en t- artet hielt. 1936 wurde er Gener alin tendant des D eutschen Nationaltheaters in Weima r und Staatskommissar für die thü r ingischen L andestheater. Nach dem Krieg war er zuerst Privatlehr er, dann Theaterleiter in Essen. Nach seiner Pensionierung ver öffentlich te er B eiträge und Bücher im recht sext remistischen Umfeld und lebte bis zu seinem Tod 1978 in Bayreuth. An „seiner“ A u sstellung b edauerte Ziegler später nur die Illustrationen und die Illustration auf dem Vorderdeckel Broschüre „Abrechnung.“ Pau l Sixt (ge b. 1908 in Stuttgart) war Kapellme iste r, seit 1936 Generalmusikdirektor in Weimar, ab 1938 Leiter der Reichsmusikkamme r im „Gau Th üringen“, 1939 Rektor der Musikhochschule Weimar. Nach dem Zweiten Weltkrieg leitete Sixt zunächst ein Stuttgarter K ammerorche ster un d wurde 1950 Generalmusikdi rekt or in Detmold, wo er bis zu seinem Tode 1964 – unbehe lligt von seiner Vergangenh e it – die Mu siksparte des Lippischen Landestheaters leitete.

In d er Ausstellung sagte Hans Severus Ziegler u.a. in seiner Eröff nungsrede: Was i n der Ausstellung Entartete Mus ik zusammengetragen ist, stellt das Abbild eine s wahr en He- xensabbath und des fri v olsten geis tig - künstlerischen Kulturbolschewismus dar und ein Abb ild des Triumpfes von Untermenschentum, arrogant er jüdischer F rechheit u nd völl iger geistiger Vertrotte- lun g, w obei ich aber gleichzeitig nicht umhin kann, we nigste ns andeutungsweise auch die Nach- wirkung en aufzuzeigen, die im heutigen Musikleben noch immer zu finden, wenn auch allmählich zu verschwinden im Begriff sin d.

41 Ich bek enne mi ch mit einer Reihe führende n mu sikalischer Fachmänner und Kulturpolitiker zu d er Ans chauung, daß die Atonalität als Ergebni s der Zerstörung der Tonalität Entartung und Kultur- bol schewismus bedeutet. Da die Atonalität zudem ihr e Grundlage in der Harmo nielehr e des Juden Arnold Schönber g ha t, so erkläre ich sie für das Produkt jüdischen Geist es.

Be merke nswert war an d iese r Ausst ellu ng vor allem die Technik der Präsentatio n. Bücher, Partitu- ren, Bühnenbild er, Fot o s wurden gezeigt, dazu bös willi ge K arikat uren. S owei t war es eine Schau. Ab er d ie Abschreckung sollte ja auch eine akustische sein. In ei nze lnen Kojen w are n da h er p er Knop fdru ck Schallplatten - Einspielungen der verf em ten Werk e in „ausgewählter Blüt enlese“ abzu- rufen.

Broschüre zur Ausste llung „Entartete Musik“ Die 32seitige Brosc hüre 22 mit der Eröffnungsrede von Hans - Severus Ziegler und vielen Abbild un- gen/ Il lustra tionen zei gt auf dem Umschl a g eine von Ludwig Tersch entworfene Karikatur eines schwarzen Sax ofonspielers. Es ist eine sog. Vo rderdeckelillustr ation, etwa DIN A 6 gr oß, u nd kein Plakat oder Poster, wie m ehrfach immer wieder behauptet wird . Negroide s verb indet sich mit dem Jüdische n : Zu sehen ist ein mit Frack, Fliege, Zylinder und wei- ßen Handsch uhen bekleideter Schwarzer, der d as „Negerinstrume nt“ Saxofon spielt, mi t wul stigen Lippen, breiter Nase, eine m bewusst primitiven Ge- sicht, im Ohr ein Ring, am Rev ers den Da vidsstern statt e i ner Nelke: ein Hinweis auf die angebliche Vorherr- schaft der Juden in der Unterhaltungsmusik und im Jazz. Vorbild wa r wohl die Deckelillus trati on des Kla- vierauszugs von Ernst K reneks Jonny spielt auf von Arthur Stadler 23 : E in Sax ofon spiel ender Neger im sc h warzen Jackett, Hut auf dem Kopf und karierter Hose (mit Nelke im Knopfloch). „Enta rtet“ sei die se Figur, we il hi er Elemente unte r- sc h ie d li ch er Ku l tu r en zusammentreten und si ch vermi- sc h en. Sie sol lte damit als aufreizende r G ege npol zum N azi - I deal ein er r a ssereinen Musik e rkennbar sein. Mit dem Davidss tern, den di eser M u sike r statt einer Nelke im Knopf loch trägt, wollt e sie zugleich eine Er klä ru ng da f ü r geben, wer diese Karrier e zustande b rachte. Sei ne Nobilitier ung, seine G ese lls chaftsfähi gkeit verdank t de r Jazz den Juden: so lautete die These, die der Hetz- zeichnun g zugr u ndel iegt. Vorbil d dieser Karikat ur ist die i n den zwanziger Jahren s e hr po pu lär e Tit e lfigur aus Ernst Kreneks E rfolgsop e r „Jonny sp ielt auf.“ ( Al brecht D ü ml i ng: R eine und u nreine Musik, in: Jazz und So zialges chichte , Z ü rich 1994, S.47f. )

Kreneks v i erte Op er „J o nny spielt auf“ e n tstand 1 925/26, w urde 192 7 in Leipzig uraufgefüh rt u nd war ein Welterfolg. Der Ti te lh e ld, d er schw arz e Ja zzgeiger Jo nny aus Alabama ist al les andre als ein po sit iver Held: er stielt eine Amati - G ei ge und verkauft seine Gelie b te für 1000 F rancs. Er u nd sei n e Musik werden vo n Krenek mit einer Mischung von Fas z ination und Distanz (Düm- lin g) d a r gest ellt. D er e her konservati ve Krenek hatte in seine r Oper di e Kulture n A merika s und Europas gegenüberstel le n woll en; mit „Rassenschand e “ hatte e r n i chts im Sin n, im G egenteil: er

22 Ziegler, Hans Sever us, Entartete Musik. Dü ssel dorf, Völkischer Verlag, [1938]. - Eine Abrechnung. Broschiert mit farbiger Vorderdeckelillustrat ion von Ludwig Tersch. 32 S. – (Faksimile in Dümling/G irth). 23 (1892 – 1937), ös terreichischer Graph iker, Maler und Jou rnalist: „Die A ngst“ 1915

42 war gegen eine dauerhafte Verbindung zwis c hen den Rassen. Ziegler gri ff a u f ein e Kampa gne in Österreich zur Aufführung der Oper an der Wi ener Staa tso per 19 2 8 zurück, bei der die „Nat io nal- soz ialistische Arbeiterp a rtei Gros s - D e utschlands“ auf e i nem Plakat „Jonny spielt a uf!“ ein „Schandwerk ei nes t schechi schen Halbjuden“ nan nte, m it d er eine vo l ksf remde Meute von Ge- schäftsjude n und Freimaure rn die Staat soper z u einer Bedürfnisanstalt i hr er jüd isch - negerischen Perv e rsitäten her a bwürdigen w ill . Der Allgeme ine Richard - Wagne r - Verein schrieb 1927 a n di e „Deuts che Festspielsti ftung Ba y r euth “, man möc h te fast an der Erreichbarkeit de r Hoch ziele, di e de r Meiste r von B ayreuth in seinen Schrifte n dem de utschen Volk vorgezei c hnet hat ver z weifeln, we nn man heute über 50 deutsche Oper nbühnen ein Werk geben sieh t , in de m ein auf wei ße Frauen J a g d ma chender Ne g er als Erbe de s alten Europa, al so auc h als Erb e der Kultur eines Bach, Mo- zart, Beethoven un d Richar d Wagner aufz u treten s ich erdre ist e n darf.

In dieser Ausstellu ng wurden Bücher, Partituren, Bühnenbild er, F otos gezeigt, und auch die böswil- lige Karikaturen, die in der Broschüre abgebild et sin d.

Eini ge der Karikaturen : Entartete Kunst und entartete Musik Hand in Hand. Carl Hofer Jaz zband, Paul Klee musikalische K o mödie

Schönberg … g ehört zu den Kolumbu snat u ren . Er schloß der Musik neue Ausdruckswelten auf … Krämpfe wer- den Kla ng Der jüdische Musi kfreu nd Siegmund Pie sling

Jüdische Operette war Trumpf ! Leo Fall/Oscar Straus. Der großen Familie de r Oper ettenschreibe r jüdischer Ra s se gehören weiter an: Leo Asc her, Leon Jessel, Paul Abraham, Hein rich Berlé, Victor Holländer, Hugo Hirsch, Rudolf Nelson, Mi scha Spolian sky, Edmund Eysler, Georg Jarno und Je an Gilbert.

Juden gegen Wagner Otto Klemperer … seine Inszenieru ng des „ Fliegend e n Hollä nder “ wurde zu einem der größten Skandale der Systemzeit … Otto Klemperer (1885 - 1973) war 1927 bis 1930 mu s ikalische r Leit er des zw e iten Berliner s ta atli- chen Oper n hauses, d er sogenannten Kroll - Oper , führte dor t zeitgenössische Werke auf wie z.B. Hin demiths Oper „Neue s vom Tag e“ 1929) . Außerdem spektakuläre Neueinstudie rungen , so z u- sammen mit Jürge n Fe hling 1929 einen w i l d balladesken, aus exp ression istisc hen E rfahru ngen gestalt eten Fliegenden Hollände r (Ha ns Mayer) auf. Nach der Sch l ießung der Krol l - Oper unter dem Vorwand der schwierige n Fina nzlage wurde er als Dirige n t an die erste Berliner Staatso per, d ie „L inden - Op er“ verset zt und übe r nahm dorthin Inszen ierungen der Kroll - Oper. Be i der Premiere d er dortig en ex perimentel l en Neu insze nier u ng (mit F eh l ing) des Tannhäuser am 12.2 .1933, bei der H itler anwesend war, kam es zu T umulten. Klemperer w urde „b eu r lau bt“ ( kurz zuv or war ihm die Goethe - Medaille ver liehen worden), floh am 4.April 1 9 33 in die Schwe iz und ka m am 14. Oktobe r 1 933 i n Lo s An g eles an. Zu s ammen mit Klemperer wurde a uch fast a llen an deren jüdischen Mit- gliede r n de r Staatsoper zum Sch lu ss de r Spie lzeit 1933 gekü n digt.

Ernst Toch u nd Fra nz Schreker

Ernst Krenek, A nton Webern Dieses Szenenbild zu Schönbergs Irrenhaus - Phantasie „ Die glückliche Hand“ nannte der Bau- häusler Oskar Schlemmer eine Landscha ft!

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Weiter wurden u.a. genannt: Igor Strawinsky, , , Erich W olfgan g Korn- gold. In einzelnen K o jen konnte man per Knopfdruck Schallplatten - Einspielungen der v e rfemten Werke ab rufen. Allerdings gab es wo hl weder ei nen K atalog der Ausstellung noch ein V erzeichnis der dort ab zus piel end en Tonbeispiele . Es g ab Zeitungsberichte und es g ibt Erinnerungen von Zeitzeugen. So der Komponist Jürg Baur 1988: Mit erwartungsvo ller, aber auch k ritischer Neugier besuchten wir, eine klei ne Studentengruppe, die Aus stellu ng "Entartete Musik" und lauschten per Kopfhöre r einz elnen Beispielen der verfem t en Moderne (Ausschnitte aus Opern und Instrumentalwerken von Hind emith, Weill, Kren ek u.a.). Wir war en von diesen "fremden" Klä ngen beein druck t, aber noch nicht fähig, s ie ein zuordnen.

Ausstellung und Reichsmusiktage wa re n wo hl der ‚Führung’ nicht allz u wichtig . Für Hitler war der Eröffnungstag der Reichsmusiktage, d er 22. Mai 1938 in erster Linie Wagn ers 125. Geburtstag, an dem er die E inric htung einer Richard - Wagner - Forsch ungsstätte in Bayreuth anordnete ( Eröffnung 13. 2. 1939 ) . A ußerdem hatte er ja ku r z vorher, am 15. März 1938 auf dem Heldenplatz in Wien dem deutsc hen Volk die größte Vollzugsmeldung seines Lebens mitgeteilt un d als Führe r und Kanzler der deut- schen Natio n und des Reichs... vor der Geschichte nunmehr den E i ntritt seiner Heimat Öster r eich in das Deutsche Reich verkündet. Kriegsvorbereitungen war en inz wischen wohl wichtig er als der Streit um entartete Musik: Der Ge heimb efehl zur Eroberung der Tschecho slowak ei erging am 30. Mai 1938.

Der 1935 von Goebbe ls als Nachfolger von Richard Str a uss eingesetzte Präsident der Reichsmu- sikkammer, Peter Raabe, wei ger te sich, die Eröffnu ngsrede zu halten und fehlte demonstrativ be i den Eröf fnungsfeierlichkeiten . Er k ritisi erte : die Zusammenstellung der zu zeigenden Wer ke dür fe nicht einem Laien übertr a gen werden. Herr Ziegler spielt ganz nett Klavier, das genügt ab er nicht, um über Kunstw erke irgend welch er Art zu Gericht sitzen zu dür fen. Herr Sixt ist aus verschied e- nen G ründen das gefügige Werkzeug des Herrn Ziegler. Ich e r hebe dagegen im Namen der g esam- ten schaffenden und nachschaffenden deutschen Musikerschaft E ins pruch. Auch Richard Strauss distanzie rte sich spöttisch.

Bei d er Eröff nung der Ausstellung waren Herber t Gerigk (als Vertreter von Rosenberg) und der Düssel do rfer OB Dr. Otto erschien e n und , Elly Ney und der Cellist Ludwig Hoel- scher ( 1907 - 1996 ) . Hoelscher war S olist im Abschlus skonzert , galt als einer de r wichtigsten NS - Kün stler und wurde . s päter i n die Gottbegnadeten - L iste 24 aufgenommen Die Zeitung en berichteten zwar von starkem Publikumsintere s se, ein Vortrag ( Atonalität und Ras- se ) musste gar vier mal wiederhol t w erden. Sowohl d ie Ausstellung Entartete M usik als auch die Reichsmusiktage wa ren w eit weniger erfolgreich als die K unstausstellung 1937 i n München. Hauptsächlich wohl w g. der genannten politische n Gründe. Daneben wohl auch , weil sich Entartete Kun st bes ser da rstellen, p räsentieren lässt. Auch die Ankündigung, dass Furtwängler zum Absc hluss die 9. Sinfonie dirig ieren würde, war eine Falschme ldung: Furtwängler kam nicht. Bereits am 14. Juli 1938 wurde die Ausstellung vorzeitig geschlossen , w urde aber an sc hließend in Weima r, München und Wien gezeigt .

24 Die Gottbe gnadeten - Liste war eine 1944 von Goebbels un d Hitler zusammengestellt e Liste, in der 1041 Künstler auf geführt waren, die d em national sozialistischen Regime wichtig erschie nen .

44 „ En t artet “ ? – Musik (2) 25 W ie sollte Musik im NS - S taat auss e hen ? Richtlinine n , wie Musik im NS - S taat auss e hen sol l, gab e s kau m. Das Par t ei p ro gramm der N S DAP von 192 0 en t hielt zur Musik keine Aussage, n ur eine negative Defini tion: Wir f ordern den gesetz liche n Kampf gegen eine Kunst - und Litera turrichtung, die einen zer setzen- den Einflu ss auf u nser Vo lksleben ausübt, und die Schli eßung von V er a ns taltungen, d ie gegen vo r- ste h ende Forde rungen verstoßen. Hitl ers Auss agen zur Musik wie z.B. a uf der Ku lturtagung des Reichsparteitages 1 936 waren e her al lgemein und versc h wommen. Schlagworte wie ew ige We rte, ge sund, echt, klar, deutsc h ware n von älte r en z. T. völk i sch e n Ideologie n en t l ehnt oder stammten aus der Nazi ideologi e allgemein. A bliefern s o l lten die Komponis ten P rodukte, die die Pr opaganda de s Staa tes unterstü tzten , für brei- te Massen geei g ne t sind ; der G ebrauchswert stan d also i m Vor dergrund.

R ei c hs kulturwalte r Hans Hinke l, s o z . Goebbels rechte Hand im Um gan g mit K ünstlern, schär fte den Kü n st lern fo l gendes ( dürfti ge) Programm ein: 1 . Eine aus der Ka meradschaft des V olkes gezeugte, lebensnahe Musik für die nationalsozia- lis tische F eierg esta l tung 2. Ei ne gute de u t sche, leben sbej a hende und kampfesfrohe Unterhalt ungsmus ik 3. Neue Oper n junger d e ut scher Komponiste n, ohn e hier die heitere Muse zu ver gessen 4. Die Pfle ge d e r deutschen Hausmusik

Es g ab Ums etzu nge n dieses Programm s v.a. i n den vielen „K a nt a te n“ für Fes t e und Feierl ichk e iten und heiteren Opern, fast al le läng st vergessen; a llein die „ ne uen Lieder“ lebt en län ger.Bei den Kan- tate n konnte ma n auf die Traditio n de s Barock zurückgreifen: Kant aten - gei stl iche oder weltlic he - zu r Verh errlichung Go t te s oder welt l icher Herrs cher w aren funktionale Musik, geschri eben zu weltlichen ode r geistl i ch e n Trauer - oder Fe sttage n. Um festzustellen , was gebli eben i st , ist ein Blick ins P rogramm der Reichsmusiktag e 193 8 auf- sch lussreich: Paul G raener: Feier liche Stun d e ( Ur aufführung) , Friedrich Zip p : Festliche Musik für Großes Orc he ster 1937, Kur t Lißmann: Kanta t e v om Mensch en , Boris B lacher: Geigenmusik in drei Sä tzen , Paul Lincke : Fra u Luna (mu ss te ausfallen), Cesa r Bresge n: Feiermusik Nr. 1 , Hei n rich Spitta: Mu s ik fü r Streicher 1 937 und di e Ka n ta te Land, mein Land , Werner Eg k: Kantate Natur - Liebe - Tod , Hans Pfit zn er: Ou vertüre zu Käthc hen von Heilbronn u nd Von deut scher Seele , die Opern S implicius Simplicissimus von Hu bert Fr anz , Don Juans letzte s Aben teuer von P au l G rä- ner und A r a bella von Rich a rd Strauss

Die deutsche Musik i n jenen Jahren spiegelt diese Unt e r drückung, diesen Belag erungszustand . ... Es ist in ihr alles ausgespart, was d ie Kunst des Jahrhunderts a usmac ht. Es fehlt ihr an Wah rhaftig k eit, historisch e r G la ubwürdigkei t . Ihr Haupt attr i b ut ist Belanglosigkeit. (Han s - Werner Henze: „Es ist nicht gut, s ich erin nern zu müssen “ . in: Heister/Kle in, Hrsg., Musik u nd Musikpol itik im faschistischen Deutschla nd , Fr ankfurt 1984, S.17f.)

Dur - Moll = germa nisch? De r D rei klang wurd e als „germa nisch e s Element“ in Beschlag genommen :

25 Schülerheft S. 26f.

45 ...wenn die größten Meister der M usik in der Tonalität und aus dem ganz o ffenbar ger manisch en Element d es Dr eiklangs empfunden und gesc ha ffen haben, dann haben wir ein Rech t , die jenigen al s D ile ttanten un d Scharlatan e zu b randmarken, die diese Klanggrun d gesetze über d en Haufen schmeißen .. . wollen . (Ziegler: En tartete Musik S.22 ). Ungeklär t blieb , ob nun Dur ode r Moll nordischer sei. Grego ri anik und Ki rchentonarten wu rden zwa r als „jüdisch“ a bg ele hnt, man v e rsuchte sie zu r e t ten, indem man ihnen „fränkisc h e“ Elemente zu sprach. Besonders g ro tesk war die „wissensc haftliche“ Beschäf ti- gung mit den ver mutlich aus dem e rsten Jahrtausend v. Chr. s ta mmen den, v. a. in Skandinavi en gefun d enen Luren.

To n b ei sp iele auf de r CD Entart e te M u sik - Eine Tondokumentation (Dü mlin g / Girth ) LC 6339: Leopold von S chenken d o rf: Gott sei mit unser m Führer . Hitler - H ymne; Ric hard St rauß : Oly m pische Hymne (1936) für Ch o r und Orchester; Sp itta: Erde schaf ft das Ne ue (H it lercho ra l f ür die Hitler j ugend)

L e x ikon der Juden in der Musik Ende 1935 ersch ien das Nachschlagew e rk Ein m usikalisches Judentum - ABC von Christa M aria Rock u nd Hans Brü ckner . Für das Handbuch der Jud enfr ag e von Theodor Fritsch (Leipzig ‚38, 193 5) ve rf a ss te de r M usikfor- s cher H ans Költ z sc h den Artikel Das Judent um in de r Musik , der au f d rei Se it en jüdische Kompo- n iste n, Operetten - Kompo nisten, Dir igenten , Sä nger, G eiger und andre Instrumen talist en, Pianisten, Musikwissensch a f tler, Päd agoge n , Mu siksc h riftstel l er und - k ritiker, Musik - Agenturen, Musik - Verlage alphabetisch auf lis tet. ( Fa ksim ile in Dümling/Gir th S.77 ff. ) Beide „Werke“ en thielte n v iele Feh ler. Vollständig und ver lä ss li ch dagegen war d as Lexikon der Juden in der M u sik , das - bearbeitet vo n Theo S t eng el (Referent in der RMK) in Verbindung mit dem Musikwissenscha ft ler Her be rt Ger igk (damals Lei ter der Haupts tell e Musik bei m Beauf tra gten des F ührers für die Überwac hung d er gesamten geis tigen und weltan s chaulich en Sc h ulung und Er ziehung de r N S DAP ) - sch lie ßlich 1940 im Berliner Hahnefeldver lag als Veröffentlichung des I nst it uts der NSDAP zur Erfo rschung der Jud enf rage erschi en und Ver ansta ltern und Verfolgern wichti ge Erk enntnisse liefer te als Handhabe zu r schn ellst e n Ausm erz u ng aller irrt üm l ich ver b lie- ben en Reste in unserem Kultur - und Gei stesleben (so im Vorwor t). D ie Ze itschrift des NS - Lehre rbundes nannte 19 3 7 eine Reih e von L ied ern, die vo n Juden vertont oder gedich tet wu r den, die immer noch in Li eder büche rn de r Schul en u nd Gesangvere in e stünde n , a ber nicht mehr gesungen werden sol l ten , darunter „Die Lorelei“ (in v iel en Liederbüc hern wurde n ach 1933 angegebe n „Dichter u nbekann t“) und Wohla uf in Gottes schöne We lt .

Pfitzner Das atonale Chaos … i st di e künstlerische Parallele zu dem Bolschewismus, der dem staatl ich en E u ropa droht. … Das Antideuts che, i n w el cher For m es auch auftr itt, als Atonalität , Inte rnat ionali- tät, Amerikanismu s, deutscher Pazifismus, berennt unsere Existenz, unsere Kulturvon allen Seiten und mit ihr die europäische . … Die Jazzwelt bedeutet N i e d r i g k e i t, die Aharmonik den W a h n s i n n gegenüber ho her Kunstmusik (192 0) 26 Es ist o hne weit ere s klar, da ss di e Rolle, die der völke r feindliche Internationalismus hierbei sp ielt, der nicht nur Staa ten auflö se n will, sondern auch d as innerste L eben der Völker, deren Herz en so zusage n, ver g iftet, nicht unberühr t blei ben durf te. D a ss un d wi e w eit an d er in ternatio na l - b ol - schewistischen Umsturzarbeit die Alljuden beteiligt sind - , da rüb er können gelehrter e Männer al s ich, Politiker und H istoriker, Au fschl u ss geben; zu leug nen ist d iese T atsache n icht .“ (Pfitzner 19 26 )

26 Sc hülerheft S.26

46 Pfitzner hatte a ußerd e m - ebenfa l ls mit d eutl i ch antisem i ti schen, antikommunistischen und chauvi- nistischen Untertö nen - d e n „Entwurf einer neuen Ä sthetik d er Tonkunst“ (Triest 190 7, Leip zig 1 916) und 1917 eine Schmä hsc hr ift „Futuristenge fahr“ gegen Fer uccio Busoni verfa s s t. A u ßer dem wet t erte er gegen d en Jazz: E s ist die Jazz - Foxtrott - Flut, der musikalische Ausdruc k des A m er ikanismus, dieser Gefa hr für Eu ro pa. Dieser tötet die S eele... Gefah r ...der Überschwemmung dur ch die se Welle, die bald das Fes t l and unserer hohen K u nst i n in ternati o nalen Sc hlamm v erwandel t h aben wird. (Gesammelte Schriften 2, 1926, S.11 5 f.) E s gibt kaum einen lebend en deutsc he n Komponisten, der in seinem Gesam twerk ein e so enge und g ült i ge Ve rbi n dung mit dem deutschen W esen eingega ngen is t , wie Han s Pfitz n er. Zu e iner Ze it, da a u ch in der Musik Konjunktur - und Inflationserscheinungen d as groß e Wort führten und die He rr- schaft an sich rissen, blieb er aufrec ht un d konzess ionslos seinen Ide a len t reu, groß im Schaffen, Nachs chaffen und Lehren. Sein W irk en war i mmer Die nst a m Volk. Di e S ache ging ihm über alles. Dem Eigennutz stellte er vorb ildhaft den Gemeinnutz gegenüber . So war Pf itzner ein geistiger W egberei ter d er nation alsozialistisch en I dee e iner Zeit, a l s die NSDAP noc h nicht gegr ündet w a r... ( Fan fare fü r Hans Pf itzn e r, in: Die Mu sik Dezember 1933, S.193f.) 27

DIE THEORETIKER DER ATON ALITÄ T Der älteste ist der Jude Arnold Schönber g … Der „ modernste “ is t Pa ul H indemith (Plakat in der Aus stellu ng Entartete Musik) Wi r h ab en in diesen S ch rittmachern d e r atonal en Be wegung, die paral lele Ersch einung en im Auf- lösungspr o ze ss der Bildende n Künste un d der Dichtun g aufweist, wesent li c he geist ige Urh eber des intellektuellen Konstruktivismus und gefä hrlichs te Zer störer uns eres vo lk s - un d rasse n mä ß ig en Instinkts f ür das K lar e, das Reine und org anisch Ge wachse ne zu sehen und bekämpfen sie von de r höchsten Wa rte des Vol ks tums aus als int er n ationale , wurze llose Scharlatane. (Text auf dem Pla- kat) https://www.yout ube.com/watch?v=c7K0U3cYm6w D ie K lavierstüc ke op.19 ha t Sch önberg 191 1 komponi e rt, die er sten fünf am 19. Febru ar; das letzte w urde unter dem un mittelbaren Eindruck der B eerdi gung Mahle rs am 1 7.6.1911 skizzie rt. D ie K o mpo siti onen diese r frühen A ton alität sin d sehr kurz: Einmal als Rea ktion auf die ri esigen Au s- maße spätroman t ischer Sy mphonik, z um anderen, weil „durc h den Verzicht a uf die trad itio ne llen Mittel der Gliederung “ das „Aufbauen größer er Formen zunäch st un mögl i ch“ war (Schönber g, Ge- sinnu ng oder E rken n tnis, in: U E Jahrbuch 1926 , S.2 8). Ein m ög licher Er s atz „für den E n tfall der tonalen G liederungsbehelfe“ sin d Klangzentren . Hier sind e s zw ei dreistimmige Pianiss i mo - K länge , die zusa mmen ei nen Sechsklan g ergebe n g c ‘f‘ a ‘ fis“h“. Sie werden - i n veränd erten rhythmische n Abständen - drei mal wieder ho lt. Die R ahm en intervall d es ersten K langes, eine große None, und des zweiten, eine k leine Septi me s ind Komplementärinte r valle . Außer dem gibt es im Zusammenklang zwei we iter e N o ne n und Septimen : h“ - c, fi s “ - f‘, a‘ - g, f is“ - g. In T akt 8 er - kli ngt ein sieben st immiger A kko rd , der mit d en beiden i n chroma tischer Gegenbewegun g wandernden Stimmen außer a, b und f alle Töne enthält... (W ie die Zahlen 7 , 9 und 4 nicht nur d ie Inte rval l- s tr uk tur des Stücke s, sonder n auch s eine F orm bestimm en, kann man i n D agmar Schmi dt s ausfü hr- lic he r Analyse n achlesen 28 . Die durc hkonstruierte Kom position wirkt v.a. dur ch ein extr em „ v er- langsamtes melodisches Gescheh en“ (D ag mar Sch midt), nur Takt 7 ist mel odis ch a ng e legt, die völli g zur ückg en ommene Laut s tärke, die melodisc hen K leinsekun ds eufzer in Takt 3 (linke H and) dis“ “ - e““ - dis ““ im vierfachen Piano , die Seufzergeste in T akt 5, wo d er Di skant auf eine Trans po- sition des Qu artenak kordes der linke n Han d si nkt, ein e umgekehrte Seufz erbew egun g d - fis - es in

27 Über seine Ansicht zur Entwickl ung der modernen Mus ik befragt, antwortete Pfitzner: „Egk mich am Orff. “ 28 D a gmar Sc hmidt: Arnold Schönberg, seine Klavierst ü cke op.19 und da s Phäno men des Expr essioni s mus, Balin gen 1993 S.147 ff.

47 Takt 7, und schließ lich am Ende d er ü ber v ie r Okt ave n gestr e ckte Seuf zer, au sge hend von den bei- den An fangsakkorden. Hugo Le ichtentrit t komm t in seiner Analyse zu dem Ergeb nis , da ss op.19,6 melodisch E - oder H - D ur s e i: „Von Atonal i tä t kei ne S pu r“. Der 1. A kkord „A, Fi s, H i st Domina ntsep ta kkord v on E - du r, mit aus g elassener Terz. Noc h ein zweiter Dominantse ptakkord, diesmal ohne Q uint er sche int i m f ü nften Takt: E , D, Gis, zu A - du r geh örig... für das harm o nisc h ge schulte O hr“ sei „die E - Ton alität de s Stückes“ au c h durch Ver sch leierung nicht z u „bese it igen. “ (Hugo Le i chtentrit t: Arnold Sc hönbergs op.19 in: Die M usik 25, März 1933, S.40 7)

H indemith D ie Kontorve rse um Hindemith und Furtwäng ler ist ausreichend do k umen tier t (Prieberg S.61 ff., D ümling /Gir th S.157 ff ., Wu lff SD.85 ff . und 371 ff. u nd Luit g ard S c hader, Hrs g .: Der F a ll H in- demi th, Q u ellen z um Musikunterricht Bd.I, Hindemith - Stiftun g, Blonay 1995) . Sie endete mit Goebbels Rede zum 1.J ahrestag der RK K i m Ber liner Sportpalast am 6.12 .1 934, i n de r er Hitlers Kr itik an Hinde m ith übernah m : Das ist es ja, da ss Ge le genheit n i cht nur Di ebe, sondern auch atonale Musiker macht, die, um der Se nsation zu dienen und dem Zeitgeist nahe zu bleibe n, n ackte Frauen au f d e r Bü hne in obszönsten un d kit sc hig - ge mein sten Szenen im Bade auftrete n lassen und si e dabei zur Verspottun g eines fei- g en G eschle chts , das zu schwach ist, sich dagegen aufzulehnen, mit den mi ss tö nenden Dis s onanzen eines musik alischen Nich tkönnens umgebe n. In H indemiths Oper Neues vom Ta ge nac h ei nem Text des jü dischen Liter a ten Marcell u s Schiffe r , 1929 unter d er Le i tung v on O tto Kl empe r er in de r Berliner Kroll - Oper aufgeführt, sang die Heldin Lau ra - im fl e ischfarbenen Trikot und bede ckt mit Watteschaum in der Badewanne sitzend - ei ne Ar ie zum Lob d er elektrisch en Warmwasser b ereitung.

A rt ikel At onal in M os ers Mus ikle x ikon 29 Da im T e xt die e n tscheide nde Aussage „ Atonal als eine Kulturver fallserscheinung wesen t lic h unte r jüdisch em Vorzeic hen nicht abg edruckt w erde n dur fte, reduzieren sich d ie Unt erschiede da ra uf, da ss der neu e re Artikel sac hl icher i st u nd Aton alität nicht als „ Kulturz e rfal l“ sieht.

E ins habe n Atonalisten, Neutöner, Vierte ltonmenschen usw., soweit sie Ju den sind, für sich: sie gehor c hen einem G eset z ihre r Rasse, indem sie di e harm onische Mehrs ti mmigkeit, die i hn en urfremd is t, folger ichti g zu ze rstöre n suchen. (R ichard Eic he nauer: Mus i k und Ra sse, München 1937, S.302) Heute darf gesagt werden, das s über W ert und U nwert der ‚atonalen M usi k‘ die A kten gesch lossen sind, und zwar mit e ndgültig un d al lgemeinverbin dlic h negativem E rg ebnis ( ...) Der...v ollstä n dige Sch i ff bruch d er at onalen Bew e gung - so weit von einer solchen über haup t die Rede sein kann - ist mit No twendigke it erfolgt , eben wei l de r Versuc h au f eine r - zudem bewu ss ten! - Unna tur beruht: es handelt sich um e inen Versuch mi t untau glich en Mitt eln am untaugli c he n Objek t. MM G Bd 1, Sp a lte 763 (Albert Wellek) Bärenreiter Kas sel 1949

Bela Bar tó k 30 war u nnachgiebi g gegenüber dem "Räube r - und Mörde rsys tem" der Nationalsozia- liste n. Den Rassen - Fragebogen der Wiener Autorenschutzg e se llschaf t ("Si nd Sie de uts ch blütig, ra s senver wandt oder nichtarisch?") ließ er unbeantwortet, denn a r isch fühlte er sich ohnehin nicht. Bar tó k: "Arisch heißt ind oeuropäisch; wir Ungarn sind jedoch finno - u grisch ." Dafür beschwerte er sich am 13. 4 .1938 in ei nem Bri ef an das deuts che A ußenamt , d a ss sei ne Wer- ke 193 8 in der Düsseldorfer Ausstellung "Entartet e Musik" nicht gewürdigt wurden.

29 E bda. 30 S chülerheft S. 27

48 Lit era tur : Joseph Wulf: Musik im Dritt e n R eich, Kapitel Der Fa ll Ha n s P fi t zner S.334 ff. ; Fred K.Prieberg: M usik im NS - St aat, S.2 15 ff. (dort auch Hinw ei se auf den s päteren Konfl ik t, das Sch i cksa l Hans Pf itzne rs im NS - S t aat ); Gottfried Eberle: Hans Pfitzner - Präfaschistische Tendenzen i n s e inem ästhetischen und poli t i- sc he n Leben, in: Hei ster/Klein (Hrsg.): M usik und Mu si kp oli tik im fa schistischen Deu t s chland, Frankf urt/M 1984

„ E ntartet “ – Bildene Kunst 31

J ug e nd im Dritten Reich 32 Schulliederbücher u nd Musikb ücher W ie die Schulmusik erzi ehun g im Dritten den in der Wei marer Republik geschaf fe ne nen Stil in der Volks schule we i t e r führte , so waren auch Schul liederbücher u nd Musikbücher lange noc h ganz von de r Tradition be stimmt und d i e Politik griff v ergl e ichsweise w enig e in. Erst 1941 wu rden neu e Musikbücher für die höher en Sch ulen (vorläufig) z ug elassen, die - wie di e „Deu t sc h e M usik f ür Hö here Schul e n“ - t eilweise an ä l tere Bücher anknüpfte n. Auffällig ist in diesem Buc h neben spez i ellen Liedkapitel n („ V olk und R ei ch“, „ Wehrhaft Volk“) d ie R ed u z ierung auf „deutsche Musik“ . In dem Kapitel „Ern ste s und Hei teres v on den Instr u me n t en und i hren Spielern“ h eißt es in „Die d euts che Musikkunde“ (1942 ) e inem anderen M usikbuch „ für die Höhere S chule“ u.a.: D ie Hobo i sten M it ei nem g uten Marsche meine r Hob oisten ist es mir ein wahre s Verg nügen, mit Europ a dur ch den Mund de r Kan o nen zu sp r ech e n. Fr iedri ch der Gro ß e . Im Kapitel „Leb ensl auf der Miltärmusik “: M it klingende m Spiel zoge n deutsche Trup p en 1914 in den Weltk r ieg ... in de n Ru hestellungen sorgte n si e für Aufmunterung und Erfr ischun g der Gemüter .. . und si eges froh sc hmetterten s i e i hre T romp eten beim Einzu g in d ie eroberten feind li chen Städte ... . Kei n Volk ist so mit seinen Militärmärsche n aufgewachsen u nd gro ß geworde n, w ie d as deut - S che ... D e r Mi litärmarsch reißt nicht nur die K nochen zusammen, s onder n auc h die H erzen. E r is t d a s S oldati sche sc hlechthi n , das bei uns nich t in der Uniform ste ckt, son dern im B lut e. (Hermann Göring). .. . Die deutsche M ilitär m usik wi rd A do lf Hitler, dem Oberste n Bef ehlshaber der Wehrmacht, fü r imm er dankbar sein, da ss e r für die Mu sikmeist er w ü rd i ge Rangve rhält ni sse gesc h affen und sie den Offi zieren gleichg e st ellt ha t. (Die de ut sche Musikku nde 1942 S.54 u nd 63 ff., zit. nach F reia H offm ann: Musiklehrbücher in d en S chulen der BRD, Neuw ied/Berlin 1974 S.1 93 f .)

D er Sack ü berm Kopf Wer in j enen J ah ren auf w uchs, dem wurde der Na t ionalsozi a lis mus wie ei n Sack über d e n Kopf gezogen . ... Wir kannten nur die Welt, in der wir lebte n, und wir hielten sie für nor mal. Um die staatlich ve ror dnete Beschränktheit z u er kennen , mu ss ten vie le Umst ä nde zus a mmenk o mm en: Er- l e bnisse, Me nschen, Büche r . (Georg H e n sel, geb. 1 923: Der Sack überm Kopf in : Marcel Reich - R anicki, Hrs g.: M eine Schul zeit im Drit ten Reich, Köln 198 8)

Faszination Mit zehn trug ic h di e Uniform des J ungvolks , ma c hte Ka rr iere als Ho rdenf üh rer, al s Obe rhorden- füh r er, als Jungensc h aftsführe r, schl ug d ie Trommel im Spielmannszu g , bed iente den Kompa s s

31 Schülerhef t S.28f. 32 Schüler heft S.30 f .

49 beim Gelän de s piel, sammelte mit der Bl echbüchse für WHV und NSV.“ „Aus dem Munde der R it- t erk reuzträger hört en wir n ur d i e Wört er Mut, Risik o, Di sz iplin, a us d em Munde d e r Ju gendoffizie- re die Wört er Ehre, Tr eue, Vaterlan d. Ja, es wär e wohl nötig gewesen, d ie Fäden au se i nanderzu- reißen, doch d er Mythos blies uns sein en Schaum ins Gesicht, wir war en berauscht, wir waren bl ind. Das Na zi pathos bläh te me in e Backe n , ic h krähte d i e Pa rolen lauthal s in alle Wi nde. (Lu dwig Harig, g eb.1927, Zusa m menre ißen, auseinande r reißen in: R ei ch - Ranicki S.214) Ein Vo lk von Führern; ab f ün fzehn, sechzehn bestand d ie Obe rschulklasse fas t nur noc h a us Zug - u nd Fähnlei ns fü h r e rn. (Ma r t in G regor - Dell i n, geb.1926: Di e Angst vor de m „ Andere n“ in: Reich - Ranicki S.19 3 )

H itlerjunge Quex Inhalt d es Film es Der 14 - jährige Heini Völker, ge nannt Quex, Soh n eines ar beitsl o- sen Kommunisten (gespiel t von Heinr i ch George) b eoba chtet heimli ch eine S onnwendfei er der HJ - da b e i sc h on e rklin g t d as Lied Uns re Fahne flat t e rt uns voran - , ist f asziniert, sieht, da ss er abseits steht. Er schlie ßt sich ge gen den Will en seines Vaters de r HJ an, verteilt antisow jetis c he Fl u gblätter, wi rd v on Kommunist en verfol gt und auf einem Spi elpl a t z er s tochen . M i t leuchtenden A ugen, das v e r klärte Gesicht himme l wärts ge- ric htet, h aucht er in den Armen seiner Kam e raden den Anfang des Hit lerjugend - Lie des : ‚U nsre Fahne flattert u ns vo r an‘. ( Peter Rei- che l S. 200). https://www.youtube.com/watch?v=cXDtJ_UtFMg

U nsre Fahn e fl attert uns voran (HJ - Weih e lied ) in Wohla u f K amer aden S. 54 f. Hans Ot t o Borg- mann hat das Li e d komponier t, der Text s tammt von Baldur von Schi rach. Es w urde bei all en F ei- ern des Jungvo lks, der HJ und des BDM g e sun ge n. Re frai n : Uns're F ahne flatter t uns vor an . In die Zukun f t ziehen w ir Mann für M a n n Wir marschiere n für Hitle r Durch Nacht und durch No t Mit der Fahne der Jugen d Für Freiheit und Br ot . Uns're Fahne flatt ert uns voran , Uns'r e Fa hne ist die neue Zeit . Und die Fa hne führt uns i n die Ewigke it ! Ja di e Fahne ist mehr als der To d!

Bei der ‚ W elt uraufführung‘ des Films Hit lerjunge Quex im September 19 33 in M ü nc h en war Hitler anwesend, es gab ein Festprogramm, das von Bru ckners F - Dur - Sin fonie umrahmt wurde und ein e hin r eißend schöne A nsprache des Reich sju gendf ührers , der an das V or bil d des Film s , d en in Berlin e rmordeten Her bert Norkus erinnerte. (Rei chsfilmblat t vom 16.9.19 33, zit. na ch Josep h Wulf, Theater u nd Fi lm i m Dritten R eich, Fra nkfurt 1983 , S.401)

Melodi e: Di e Strophe besteht aus zwei Ac httak tern , die mit variie rt e m Sc hl u ss w iederholt w e r den; die Melod ie imitiert F anfaren, (Quarten, Marschtri olen), Takt 1 und 2 werd en eine Terz h öher se- quenziert. Auc h im R efr ain werden die e rste n acht Takte wieder holt, wo bei w i eder in der Terz se-

50 quenziert wird . Be im zweiten mal wi rd die Me l odi e abg e wande l t und erreicht b ei Ewigkeit m it f‘ auf der Subdominante, einem Ritar dando und ein er Fermate de n emot ionalen Höhepunk t . Te xt: Sc hl ü sselworte: Zuk unft, Nacht , Not, Freiheit, Brot , neue Zeit, Ewig keit. „Die F ahne ist mehr als d er Tod “ und w oh l au c h „die Fah n e führt uns in d ie Ewigkeit“ enthält die Aufforderung an zehn - bis v ierzeh njährig e Jungen, ihr Leben für Hitler zu o p fern, wi e e s im Film ja die Tielf i gur t ut.

Bomben a uf E n g elland - ein Ges chicklichkei tsspi el Das Spiel b ezieht sich auf das Lied für d en Film Fe u ertauf e von Hans Be rtram ( 1939 ) , k ompon iert von Sch ultze, wird Lied d er Luftwa ffe.

O ppositionell Ju gendkultur – D i e Swing kids 33

Kü nstl er schicksale – Zwis c hen Anp assung und W iderstand 34 Emigration/ Exil Gideon Klein , Erwi n Schulhof f, Viktor Ulma nn sind j ü disc h e Kom ponisten, die in KZs ode r Inter- nierungslagern u mk amen . Sie wurden doppelt getroffen: Mit ihr em Tod war au c h ihr We rk weitg e- hen d v ergess e n . Viele de r Emig ranten hatten beim Ver lassen Deuts chla nds eine Odysse e vor sich, ihre Em igratio n gin g über meh r ere S tationen. Ral ph Benat zky ging nach einer Zwischensta tion in der Schweiz , Paul Dessau über Frankreich i n die U SA. Über Carl F lesc h hei ßt es im M G G 35 verharmlo send: 1935 verl egte er seinen Woh n sit z ... nach Londo n . ... Zu Krieg sbeginn siedelte e r nach Holland ... übe r (S . 307 f.) Du rchg angsl änder infolge d e r O kkupation waren Ös terreich (R ichard Tau ber) und die Tsch echo- slowakei: Leo Kes tenberg ver ließ info lge der pol i t i schen Er ei gniss e ... Deu tsc h la nd und gin g nach Prag (MGG S. 8 64) und später nach I srael. Michael Gielen ( *1 927) und Carl os Kleibe r (* 1930) e mig r ier ten mit ihren Vä tern nach Argentinien . Ein Sonderfal l war die doppelte V erfo lgung und Vertreibung erst durch die Nazis und d a n n durch d i e Stalinisten . Kom ponisten , die nicht ins Exil gingen , mu ss ten si ch zwische n Kontro lle und D ekret, e igener G e- w issense ntsch eidung und künstlerischer Vera ntwortung a rr angier en. Oder sie gingen wie Karl Amadeus Hartmann in d i e „in nere E migrat i on “ . H artmann s c h rieb 1962 als Mot to für d ie Ge dan- ken zur Ausstellung Entartete Kunst : Ins Ausla nd gehe ic h nicht , im Vate rl and mu s s ich mich w ie e in Emigrant fühlen - und zwar s ch lechter als ein wirklich er, weil alle Wölfe gegen mich he ulen . Hart mann blie b i n Deutschl a n d , ohne sich anzu passen, betätig te sich in der Wider standsgruppe Neu Beginne n . I n seinen Komposit ionen, d ie nur no ch im Auslan d a u fgeführt wurden, wi rd seine Ab- le hnung deu t lich. Gottfrie d vo n Einem leistete in der Gru p pe „O nkel E mil“ Wide r s t a nd. Sein D e ckn ame in Rut h An- dreas - Fr iedrichs Der Schattenmann ( F rankfurt 19 86 ) ist „ Zweid orf “ (S.299) .

Von de n im Exil gege n das Drit t e Reich geschriebenen Ko mpositionen s eie n hi er ste llvertretend genannt:

33 Sc hül erhef t S.3 2 ff. Vgl . dazu Volker Mall: Swi ngjugend. In: D ie Unterrichtspraxis. Beilage z u „bildung und wissen- schaft“ der G EW Bad en - Württemberg. 1995. He ft 2/3 . S .14f. und Swingjug end. In: MuB. 199 5. Heft 4. S.34 - 37 . Au- ß erd e m v.a. Volker Mall: Swi ngtanzen v erboten, aca demia.edu 2018 34 S chülerheft S .36 ff. 35 Die M usik in Geschichte und Gegenwar t , Kassel/ Basel/ London/ New York/ Prag/ Stuttgart/ Weimar 1949 – 198 6

51 Eisl ers Ka n tate gegen den K rieg , seine Deu t s che S i n foni e , D ess a us Gue rnic a , Schönbergs Ode an Napo leon Buonaparte op.41 (1942) und Ein Üb er leb ender au s Wars ch a u op. 47 (194 7).

Vor al l e m Brechts Gedichte wurd en für anti fas ch isti sche Radiosendungen von ver schied enen Komponisten verton t: Deutsch e s L i e d 193 7 von Eisl er , Das de utsc he Miserere, Lied e iner d eutschen Mutter, In Sturmes- nacht und K älbe rm arsch vo n Dessa u und Eisl er, I n Sturmesn a c ht von Adorno, Dessau u nd Eisler, Und w as b ekam des Soldaten Weib? von Eisle r und Weill.

Zu den in den Konze ntr ations lag e rn entst an denen Lieder und Komposit ionen : Inge Lammel /Güter Hofme y er (Hrsg .): Lieder aus de n f aschi st ischen K n zen trati onslagern, Leipzig 1972 Carsten Li nde (Hrsg.): KZ - Lieder, Sieve rshütten 1 972 Weitere Lit eratur : Milan Kunas „Mu s ik an der Grenze des Lebe ns“, Frank f urt 1 993 ( enth ält eine hervorr agende kommentierte Bibliographie ) , Schr ift e n rei h e Verd rängte M usik, NS - verfo lgte K omponisten, ihre Werke , hrsg. im Auftrag von m usica an i m ata von Hans - Gün te r Klein

Bert Br echt: Üb e r die Bez eic hnung Em igrant en (1937) Immer fand ich den Namen falsch, den man uns gab: Em i gra nten. Das heißt doch Aus w andre r. Aber wi r Wa nderten doch nicht aus, nach freiem Entschluss Wähle nd ein andres Land. Wand erten wir doch auch n icht Ein in ei n Land, dort z u bl eiben, womö glich für imm er Sonde r n wi r flohen. Vertriebene sind wir , Verbannte. Und kein Heim, ein Exil sol l das La nd sein, das uns da aufnahm

B recht war wegen seiner Legende vom toten Soldaten schon 19 23 von Hitler - Anhänge rn auf die s chwarze Li ste ge se tz t worden. Um der droh enden Verha f tun g zu entgehen, floh er eine n Ta g nach dem R e ich stags bra nd über Prag, Wi e n, Z ü r i ch nach D ä ne mark - dort wohn te er von August 1933 bis März 1938 in der Nähe von Svendbor g - , und weiter über Schwe den und Finnland 1941 i n di e USA. De m gegenüber Exil h armlo s eren Begriff Emigration fehlt das Moment des Z w ang s. Br ech t lehnt ihn in d i esem G e dicht, d e m m eistzitierte n de r Svendborger Gedichte, ab, weil er - und mit ihm vie- le ande re - kein „ Auswandere r“ oder „Imm igrant“ se in wol lt e und auf e ine Rückkehr in ei n bef r ei- te s D eutschland hoffte. Zutr effe nd war d er B e griff nu r fü r diejen i gen, d i e nich t m ehr z u rüc k woll- t e n . Musiker kon nten sich zwar besser im Exil a rrangieren, eher Arbeit finden als Schr iftsteller und Sc hausp ieler; viel e v on ihn en fand e n sic h abe r gera de i n den USA nicht zurecht. https://www.youtube.com/watch?v=riHV3xfgmUk

H ans Sahl/Giya K a ncheli: Exil Es ist so gar nich ts mehr dazu zu sagen. Der Staub verw eht. Ich habe meine n Kragen h ochgeschlagen. Es ist schon spät.

52

Die Winde kreischt. Sie hab en ihn be grab en. Es i st so ga r nichts m e hr da zu zu sagen. Zu spät.

Hans Sahl ( 1 902 - 1993), i n den 1920 er Jah ren exponierter linke r Publi z ist, verließ 19 33 Deut sch- l and und fl üchte te über Ma rseille und Lissab on in die USA, w o er nach dem Krieg K o r respo nd ent westd euts che r Zeit ung en wu rde und Th o rnton Wilder, Tennessee Williams, Arthu r Mi ller und Jo hn Osb orne überse tzte. Bis zu sei nem l etzten L ebensjahrzeh nt wurden sein e eigenen Gedic hte, Erzäh- lungen und Theater st ü cke kaum be ac htet. Exil steht in d em er st 199 1 ver öffe ntl ic htem Ge di cht band Wir s i nd di e Letzten. Der Maulwurf . Im Gegens atz zu Brech t ( Das le tzte Wor t ist noch nicht ge- sp rochen ) si n d Sahls Ton und Bilder von Resig natio n geprägt: Sta ub , hochgeschlagen er Kragen , kreis chende Winde . Die Sprach e ist einfach, unp a the tisch. De r Sat z Es ist s o garn ichts mehr dazu sagen wird lei t mot ivi sch wiede r holt, b e vor das Gedicht mit der Ein si cht Zu spä t abbricht. Dem entspr icht die 1995 entstandene Ver tonung von Sahls G ed icht durch Giy a Kanch e l i (od er Gija K antscheli ), ge bo ren 1935 in Georgi en, seit eini gen Ja hren im Exil in Westeuropa. S ie bi ldet d en Abs c hlu ss se iner Kompositio n f ür Sopran , Instrument e und Tonband nach Psalm 23 und Texten von Paul C ela n . (CD Giya K anchel i: Ex il, ECM 15 35, 1995 , Partit ur bei M. P.Bel aieff in F r an k- furt/M.) Die von syntheti schen, vom Ba nd kommenden Effe kten und e inem u nis ono - Pizzikat o des Ko nt r a- basses beg leite te Fl öt enk an tilene des Anfangs, die, ausgehend von d er Quinte g - d den Ambit u s chroma tisc h nach obe n bi s zu m g ausw eitet, wi rd vo n einem f a s t vibratolosen, später verstä rkt mi t Hall versehenen Soloso pran a cap ella i n d er O berquint imitier t, ab Takt 10 begle it et vo n F lö te, Vio- line, Bra t sche (unisono mit der S in gstimme) u nd Cello (i n Quarten zur Altflöte) im drei fachen p ia- no. Mot ivisc he Arbeit - da s Motiv ‚ Quin te plus kleine Sexte ‘ wird in T akt 28 und 29 wi eder au fge- no mmen - , H albton - D oppelgriffe ( T 10 und 28f ), Doppelg ri ff e im Pizzikato in Sexten im dreifa- chen pian o (T 12 u nd 15), mit Fl a g eolett (T 2 4), S echze hnte l co l legno im dreifa chen forte mit c re- scendo so rgen zusammen m it der subtilen Instrumentation f ü große Exp ressivit ä t. In Ta kt 49 f gibt es, bevor das S tück i m vier fachen piano mi t der Quint e c - g endet, den Ank lang e in er As - Dur - Kade nz, die Sa h ls Re signation widerspricht.

Hilde Domin: E x il D er sterbende Mun d müht sic h um da s richtig gespr oc hen e Wor t einer f remd e n Spr ac h e .

Hild e Domin, * 1912 in Köln, wa nder te 1932 nach Ita lien aus, f loh 1939 über P aris nach En gland; d ie Domini kanis che Republ i k 194 0 wurde schließ l i ch das dri t te Asylland. I hre 22jährige A sylzeit nennt s ie „Sp rachodyssee“. E rs t 1951 beginnt si e zu schre ib e n. Das G edicht E xil ist also and ers als bei Bre cht und Sahl erst n ach dem Exil en tsta nden. In den a nd eren Spra chen, die ich s p reche , bin ich gern u n d dankbar z u Gast. Die d e uts c he Sprache war der Halt, i hr ver danken wir, da s s wir die Identität mit uns s el b st bewah ren konnt en. Der Spra- che we gen bin ich auch zuü ckgekommen. (Hilde Domin: Ges ammelte Essays, Frankfurt /M 19 93, S.14) 1 954 r eist e sie erstma l s nach Deuts chland, 1957 b is 1 959 war si e in Frankfurt und l i eß sich schließ- li ch, nach einem Sp anie n aufen th a l t 1961 in Heidelb erg nieder. Di e ‚ Heim kehr ins Wort‘ b ezeichnet s ie als ‚Geburt ih re r zweite n Exis te nz‘; sie nimmt den Künst l ernam en Hilde ‚Domin ‘ (verh. Palm ) an. Lit era tur :

53 H aral d Voge l/Michael Gans: Rose Ausländer - Hilde D omin, Gedichtinte rpre t ationen . B altma n ns- weiler 1996

Weitere Gedi c hte, die das Exi l themati siere n: Brecht : Übe r die Dauer des Exils , An die Nach geb oren en, Die L an dschaft des Exils, A uf der Flucht, Hotelzi mm er 1942, Zu fluch tsstät te , al l e v erton t von Hanns Eisler . Außerde m G ed i chte v on J.R. Becher und Else L asker - Schüler . Bei spiele vo n R omanen: B runo Frank: Der Reis epa ss 1937; Lion Feuc h t wanger: Exi l 1 940; Ann a S eg he rs: Transit 1944, E. M. Rem arque: Arc de Tr io mphe 1946; Vicki Baum: Hotel Sha nghai (1939)

Lit eratur : W.E mme rich/ S .H eil: Lyrik des Exils, S tuttgart 19 85 Alex a nder Stepha n: Di e deutsch e Exi lliteratur 1933 - 1945 , München 1979

Brecht : Die Auswand e run g der Dich ter (Werke Frankfu rt 197 6 , Bd 9, S.495) H om er hatte k ein He im Und Dante mu ss te d a s seine verlassen. Li - Po u nd Tu - Fu irr ten durch Bürgerkrie ge Die 30 M illion en Menschen ver sch lan gen, D em Eu ripides dr o hte man mi t Prozessen Und dem s t e rbenden Sha k espe are hielt man den Mund zu. Den Fr ancois Villon su ch te nicht n ur die Muse Sonder n auch di e Polizei . ‚Der Geliebte‘ g enann t g ing Lukrez in die Verba nnung So He ine, u nd so floh Brec h t unt er das däni sche Stroh d ach.

https://www.youtube.com/watch?v=WOzyCjuFA2o

M ein Vater wird gesucht (Text H ans D ra ch, Vert onung Gerda Kohlmey) Ha ns Dra ch R el ati v wenige Musiker emigrierten in die UdSSR , v. a. weil die Einre isebed ingungen a b 1 934 im- mer schwierger wurden . Die m eisten Em igranten arb e i teten im U m feld d es von P isca tor geleit eten Internationalen Revolut ionä ren Thea terbundes. Es gab v erschi eden e k urz lebige Theaterpro je kte w ie das wolga d eutsche Deu tschen Gebi etsthe ater D nepropetro vs k (1935/36), bei dem der Sc hau- spie ler und A utor Han s Dr a c h arbeitet e . In de r Zeit der Schauproze sse und Massenverhaftungen m u ss t en viele M usiker die Sowjet union verla s s en od er gingen freiwil lig. V on den mir bislang beka nntgeworden en 22 Musiks chaffenden a u s dem Umkreis der deutschen und ös terreichi sche Arb e ite r ( musik)bewe g ung, die ins s owje tische Exi l gegangen waren, sind insge samt 13 aufgrun d fiktiver Verdä chtigu ngen du rch d en NKWD verhaftet word en . ( Musik im Exil, John S.268 ) Unter i h nen Caro la N eher und Ha ns Dra ch. Se chs Verhafte t e wurden an die Nazis ausge liefert . Hans Dr ach war i m s e l ben Abschi e betransp ort wi e Ma rgarete Bu ber - Neumann, die Witwe des e hema ligen ZK - Mitg lieds der KPD, Heinz Neum an n: I n den Männerabtei l ungen b egannen si e zu sing en, mit beso nde rer Be geiste rung das So l o wki - Lied (ein Gu lag - Pendant zu den Moorsold aten A.d . V.) , mit Text v o n einem jungen d eu tschen Sch auspie- ler namens Drach, der mit im Transport war. (Margaret e Bube r - Neu ma nn: Als Gefangene bei Sta- l i n und Hitler . Stuttga rt 1 985, S.1 77 f.) I n Lubl in wurde der Transport von de r Gestapo ü bernommen. Nach einigen T agen in Schwieb u s ging es am 8. März 1940 üb er Frankfurt/Ode r nach Berli n in s Polzeigefän gnis Alexander platz.

54 Ma rg arete Buber - Neumann ka m am 2. August in das KZ R avensbrück. Hans Dra ch kam am 22 .10.1941 vom KZ Sachsen h a usen in das KZ N iederhagen (Wewelsburg) , wo er am 10.12.1 941 starb (fiktive Todesursa che Sebst mord infolge Erhängen s ). (Kir sten John: „ Mein Vater wird gesucht … “ 3´ Essen 1998 , S.177 )

Gerda Kohlmey g eb. Sandber g wurde 1912 in Berlin geboren, emigrierte 1 938 nach P rag, war 1930 Mitglied der Agitpr o pgruppe Rotes Sprachroh r , ging später nach England u nd 1948 in die SBZ; sie arbei tet e bei der DEFA und Radio B e rlin I n ternational und war wohl mit Gunt her Kohl- mey verhe iratet , eine m bek annt en DDR - Wissenschaftler.

B ertol t Br echt: Bücherverbrennung aus Deutsche Satiren (für de n deutsch en Fr ei heitssen d er), Ge sam melte We rke, F ran kfurt 1 96 7, Band 9, S.694 .

Be rtol t Brecht a n Oskar Maria Graf: Als das R egime befahl , Büch er m i t schädlichem Wisse n Öffentlich zu verbrenne n , und allenthalben Ochsen gezwungen , Karren mit Bücher n Zu den Scheiterh auf en z u ziehen , entdec kte ein v er jagter Dichter , ei ner der Be sten , die L iste der Ver br annten s tudierend , entsetzt , dass s eine B ücher verg e ssen waren . Er eilet zum Schreibtisch , zornb ef l ügelt, und schrieb einen Brief an die Machtha ber . Verbrennt m ich, schr ieb e r mit flie g ender F eder , Ver br ennt m ich ! Tut mir das nicht an ! Lasst mich nicht ü br ig ! Hab ich nicht immer die W ahrhei t beri chte t In m e inen Büchern ? Und jetzt, werd ich von euch w ie ein Lügner behandelt ! Ich befehle euch : Verbr ennt mich!

Die 1919 geg rün de te , reakti o näre un d an tisem it is che Deutsche Stu dentensc haft und d as Haup tamt f ür Pre sse und Propaganda der deutschen Studentenschaft o r ganisierten vom 12.Ap ril bis zum 10.M a i 193 3 ein e vierwöchige Akt ion . Am 10 .M ai brann t en die Büch er au f öf fent lichen Plätzen deutsch er Unive rsi tätsstädte . Br echts Ge d ic ht s oll ein Hinw ei s dara uf sei n, da s s ge gen mi ss liebige Liter a tur schon kurz nach der M a chtergreifung u nd lange bevor en tartete Kun st und Musik an d e n Prange r g e s tel lt wu r d en, vor- gega ngen wurd e.

Br echt bezie ht sich in seinem G e dic ht auf den b er ühmt e n P ro t est Os kar Mari a Graf s. N ach dessen V er öffentl ichung am 15.5.1 933 in de r Wie ner „Arbei t e r zeitung“ und in der „Vo lksstimme“ Saar- br ü c k en w urde Graf ausgebürgert und sei n ge samtes Werk ver bo ten.

55 O skar Mar ia Gra f: Verbrennt mich! W ie fast alle li nk sger i c ht e t en, ent schieden sozia list ischen Geist ig en in D eutschland habe auch ich etlic he Segnung e n des neuen Regimes zu spü ren bekommen: Wäh re nd m einer zufälligen Abwese nhe it a us M ünchen erschien d ie Pol iz ei i n me iner d ortigen Wohnung, um mic h zu verhaft en . Si e be s c hlagnah mte einen groß en T eil unwieder br inglich er Ma- nuskripte, mühsam zu samme ngetragene s Q uellenmaterial, meine sä mtlichen Geschäft sp apie re und einen großen Tei l m eine r Bü cher. Das alles h arrt n un der wah rschei nlichen Verbrennung . Ic h habe also me in H e i m, m eine Ar beit und - was viel leicht am sc hl immsten ist - die heimat liche Erd e ver las- sen müs s e n , um dem Konzentrationsl ager zu entgehen. D ie s chönste Überraschung ab er ist mir erst jetzt zute il gewor de n. L aut „Berli ner Börsencourir“ s t ehe ich auf der w eiße n Au t o renlist e des neu- en De utsc hland, und a ll e meine Bücher, mit Aus nahme mei nes H auptwerkes „ W ir sind Gefangene“ werde n empfohlen! Ich bi n al so dazu berufen, einer der Exp onen ten des „neuen“ d eutsch en Gei stes zu se in! Vergebens frage ich mich, womit i ch d i e se S chmach verdient habe. (.. .)...die Ver tr eter di e- ses barbarische n Nationa lismu s, der mit D e utschsein nichts zu, abe r auch gar nichts z u tu n hat, unterstehen sich , m ich als einen ihrer „Ge is tigen“ z u be ansp ruchen , mich auf ihre sog e nan nte weiße Li st e zu s et z e n, die vor dem W eltge wiss en nur eine sc hwarze Liste sein kann! Diese Un ehre habe ich n i c h t verdient! Nach meinem ganzen Leben und na ch m einem ganzen Schreiben hab e ic h da s Recht, zu ver la ngen, da ss m eine Büche r der reinen Flamme des Scheiterhau fe ns ü b e ra n t wortet werden und nic ht i n die blutig en Hände und die verdo r be nen Hirne der braunen Mo r d b anden ge- langen! Verbrennt die Werke des de u tsch en Geistes! Er selber w ird una uslö slich sein, wie e ure Sc hma ch! (Al le ans tändigen Zeitungen w erd en um den Ab dr uck d i es e s Protes tes ersuch t. O skar Maria Graf)

Literatur : Gerhard Sauer (Hrsg.): Die Bücherverb r ennung 2 ´ , Mün ch en/Wie n . 1 983 H. W .H eister, Claudia Maurer Zenck, Pete r Pe ters en (Hrsg.): Musik im Exil, Frankf urt 1993 Horst W eber ( Hrsg.) : Musi k i n der E mi grat ion 1 933 - 1945 Stut tgart/Weimar 1994 Juan Al lende - Blin (Hrsg.): Musi k tradition im Exi l, K öln 19 9 3

Felix N uss baum: Osnabrü ck – Brüs sel - Aus chwitz 36

L eon Jessel : Anhäng e r , Mi tläufer, Opfer 37 Leon Jesse l ist als Mi tläufer, Anh änger und O pfer ein b es o nders tragi sc her Fall . Er war wie viele and e r e Juden in Deutschland „ deutschnationa ler“ G esinnung und s ta nd leichtg läubig den sich mit ä h n li cher Te r m inolog i e ar tik ulie re n den Nati onal sozialisten gegenüber.

Mor genröt e Jess el hat den s krupellose n Goebbels .. . besu cht un d ihm bei dieser Gelegenheit ein e eigene Ko m- position vorg estellt, die er mit der „Giovinezz a“ - Hy mne de s faschistischen Ital i e n v ergli ch und als ein e D euts che Giovinez za v erstanden wissen wollte. Go ebbels soll sich ... begei stert ge äußert ha- ben un d dem Kompo n is ten gew i sse Hoffnungen gema cht haben. U m welche Hymne e s sich dabei handel te, ist unbek annt . . . . Viell e icht war es ... der w u c h tige Mar sc h, de r im J ahr e 19 32 unter d em s ymbolhaften Titel „Morgenrö te“ be i Hein richshofen v eröffen tlicht wurde: ei ng edru ckt is t Jesse ls Z ueignung „Seiner E xzell enz, de m He rrn Minister präsidenten Ben ito Mu ssolini, d em gr oße n Füh- re r Italiens g e wid met.“ D i e wei t ver br eitet e Auff ass ung, Leon Jess el s ei ein ganz unpolitischer M ensch gewese n, ist damit widerl egt. (Albrecht D ü mling : Di e ve rwei gert e Heimat, Düsseldor f o. J. (1992 ) , S. 95 )

36 Schülerh eft S. 38f. 37 Schülerheft S. 40 f.

56

Schwarz waldmädel Eine I nhalts angabe findet sich in ht tps://de.wikipe dia.org/wi ki /Sc hw arzwaldm ä del_(Operette)

In di eser heillosen Lage (der Erste Weltkr ieg wa r 1917 in ei ne kri tische Phase get r e ten A .d. V. ) w ar die un glückliche Liebe e ine s alternd en Domkapellmeis ters zu seine r Haus angestellte n von rü h - ren de r Bedeutungslos igke i t , ka m abe r gerade d e sw ege n de m Bedürfnis nach freundlicher Ablen- kung ent gegen. Die W elt des ‚Sch warzwa ldmädels‘ ... st a n d der st ei nze itl iche n Unmenschlichkeit d es ‚modernen ‘ Gaskrieges als eine altmodi sche W elt voll Li ebe, N ai vität u nd sympathischer mens c h lich er Sc hw ächen ge g en übe r. … Gerade in G renz gebieten und deutschen Ausl andsge mein- de n wurde Jess els Op er ette als Ausge bu r t de uts ch er Volk s tüml ichkei t empfunden . ( Dümling : D ie verweigerte H eimat S.6 2 ff. ) Der „Schw arzwa l dmäde l“ - Erfolg beruht im W esent lichen au f d er v o l ksliedhafte n San gbark e it der Me l o dien. Einprägsam sind sie w egen i hres D reiklangbezu gs, ih rer sy m metrischen Form, de r ei n- f achen Har mo nik, der s tets p aralle l gefü h r t en Orcheste rb egleitung sowie des gerei mten T extes . Wie nur wenige Oper etten melodien ha ben s i c h die aus d em „S chwar z wal dmäd el “ wie Volkslieder verbreitet. (Düml ing , Di e verweigert e He imat S.79) Beispiele: Wi r sind a uf der Walz (Marsch), Flink durch ‘s kl e ine St ädtele, Mä de l aus de m Schwar- zen wald, E s kann e in Bub sein (Marsc h), Mu ss denn die Lieb st e ts Tra gödie sei n (Wal z e r), Ma lwin e ach M alwin e , Erkl i n g e n zu m Tanz e die Geigen (Walz er).

Ende der zwanzige r Jah r e fande n Jessels Werke we niger Reso nanz, und J e s sel sah sic h als Opfer j üdis cher Theaterd i r ektoren. So perfekt hatte er sich die Nazi - P erspekt ive zu eigen gemacht, da ss er sein e e ig ene He rkun ft entwede r nicht m ehr w ahrnah m oder sie gewaltsam zu leugn en s uc h te. … W e nn Jessel ab 1933 bes s e re Chancen für seine Wer k e sa h, so b eweist das, wie sehr er das Jud en- tum mit linkem Kosmopolitismus, ‚D eutscht um‘ dagegen mit National is mu s iden ti fizierte. Ta tsäch- lich e nt spr ach en Wer ke wie ‚Schw arzw aldm ädel ‘, ‚Postmeisterin ‘ und ‚ D e s Königs Nachbar‘ rec h t ge nau den NS - V orste llun g en e iner v o lkstümlichen, nationale n Kunst. (Dümling : Die verweigerte Heimat S. 99 f. ) In der Spielzeit 1933/34 gab es z .B in Nürnberg 2 0 Au ff ühr un g en de s Schw a rzwal dmädel , 19 3 6/37 18. Nach dem 6.Juli 193 7 i s t jedoch keine weitere Auf f ührung na chz uweise n. … I m Ele c trola Kat a- log 1937/38 war Jessel n och mit fünf Tonträgern vertreten ge wesen; diese Aufnahmen ... ge langten n i c h t mehr in den Handel. … Se it Novem ber 19 39 durf te J e sse l mit Ausnahme des ‚Jü disc hen Kul- t urb undes‘ a n keinem Ko nzert , keiner T he a te rvera n stal t ung und keinem Vortrag mehr t eilnehmen . (D ümling : Die verweigerte Heimat S.1 1 0 ff . ) Am 15.12.1941 wurde er wege n Ve rbreitu ng vo n Greuelmä rc hen , H et z e gege n das Reich und Ver- stoßes geg en d as Heimt üc ke - Ges etz von de r G estapo vorgela de n. Ih m w ur de ein Brief vor g el eg t, in dem er 1 939 sein em Libret tisten nach Wien u.a. geschrieben h atte: I ch kann nicht arbe iten in eine r Ze i t, w o Judenhetze m ein Vol k z u ve rnic ht en droht, wo ic h nicht wei ß , wa nn das gra u sige Sc hicksal auch an meine Tür e kl o p fen wird . (Dümling : Die verweigerte Heimat S.12 ) V on der Gestapo wurde Jessel in einem Keller des Polizei - Präsidiums am Alexanderplatz so schwer misshandelt, dass er am 4. Januar 1942 im Jüdischen Krankenhaus Berlin starb. Je s sel s ta rb nicht wegen seiner jüdischen Herkunft, s ond ern wegen einer briefliche n Äuß erung, die als Krit ik am N S - St aa t aufge fa s s t wurd e . ... A ngesic hts Jessels Entwi cklu n g w irkt die ses Ende wie ein gr oteskes Mi ss ve rständnis. ( Dü m l ing S .124)

Bereits am 31 . 6.1 9 45 ga b es in Be r lin die erste Nachkriegsinszen ier ung des Schwarzwaldmädel; f ür 1 945 waren 20 Neueinstud ieru nge n a n ge kün digt. D er e no rme Er folg erklärt sich neb en de r l eichten A ufführbarkeit wohl auch au s de r ungewöhnli- chen V e rbindu ng vo n entspannter U nte rh al tun g und mora l ischer Wiedergutmachung. Manc he Zu-

57 hörer besuchten ‚Schwarz w aldm ädel‘ so mit dem guten G efü hl, da mi t ei nen Schr itt zu r Verg angen- heitsbewältigung ‘ get a n zu habe n. (D ü mling S.127)

Der Fil m Sch wa rzwaldmädel Na c h dem Zw eite n Weltkrieg ha t te es ei ne ganze Reih e sog. Trümmerfilme gegeben. S ie wurden abgelöst durch Heim a tfil me, deren er ster Schwarz wal dm ädel w ar . Das Dreh buch mit sta rk v erände- ter Handlun g sch r ie b Robe r t E. Lüthge, von dem u.a. au ch d as Drehbuch für H i t lerjun ge Qu ex stammt; Reg i e füh rt e H ans Deppe. Der Film wurde am 7.9.1950 in St uttgart in einer „ Galaprem i e- re“ uraufgeführt; 16 Millio nen Zus ch au er h atte er bere its im e rsten Jahr. Sonja Zie mann w ur de mit d i esem Film zum Star . 1963 p rodu zi erten WDR und O R F eine Schwa rzweißfernsehf a ss un g m it Willi Rei c hert . Vielleicht hat der Erfo lg des Filmes 1950 ganz ähnli c he G ründe wie der der Urauf führ ung im Er s- te n Weltk rieg: Ve rdrä ngung d er Kriegs - und Nachk rie gsrealit ä t und Flucht in di e Idylle. F ür eine kurze N ach k r iegs periode hatten die ‚S c hw a rzw al dmädel‘ - Me l odien noch einmal thera- peutisc he Zwecke als Gefühlssurrogat erfü llen können un d die Ill usio n ve rm i tt elt , nach der ‚ Stu nde Null‘ w ieder beim ganz Alte n a nknüpfen zu können . ... Mit dieser Ope r et te konnte man s ich g leic h- zeitig auf bequeme W e is e von der bösen V ergangenheit distanzieren, w ie auch identifikatorisch zu i hr z urückkehren . ... H ier war d ie Wel t n oc h säuberlich in Gut un d Böse ge trennt. Wid erspr üc h e, auf die g e rade das Schic ksal Leon Je s s els hätte aufmerk sam m ac hen könne n, durfte es i n d iese r konflikt l osen ‚Heimat‘ - Welt nicht geb en. (Dümling S.134 f.) Für de n urs prünglich v orgesehenen Ab dr u ck de r N ot e n von Wir s i nd auf de r Walz verweigerte d er Ve rl a g Bir n bach (Lochham) die Zu stimmu ng.

C ar l Orff : Umstritte n, abe r erfolgreich 38 Es ist O rff s his tor isches V erdien s t , mit Werken wie Car min a Burana eine Musik von u nb estr ittener Eigenständigkeit un d mit dem S c hul werk ein pädagogi s ches Instrumentarium m it un i verse ller Ver - wendbarkeit geschaffe n z u haben. Tragisch a ber wa r für ihn, da ss er si c h in n erha lb der pol i tische n Rahmenbedingungen de s D ritten Reiches etablieren m u ss t e, die er ablehnte, die a be r doch se in mensc hliche s Verhalt e n im privaten und so zi ale n B ereic h zum Negativen gepräg t haben. ( Mi ch ael H. Kater, Car l Orf f im Dritten Reich, i n : Vie r telj ah reshefte für Z ei t geschichte 1, 1995, S. 34f.) Katers Veröffentlic hu ng z u Beginn des Orff - Jubiläu ms jahr e r re gt e einiges Au f sehen, ob wohl da s meiste bere its b ek a nnt w ar (Prieberg, Wulf). N eu war ledi gl ich die Info rm ati on über die „Notlüge“ Orffs, er s ei M itbegründe r der Weißen Rose gewesen, üb er die Kater von N e well Jenk in s, v or dem Krieg Privatsc hüle r Orffs , da na c h amerika ni s cher Kult u ro ffizier b e richtet wurd e.

Zusätzlich Informatio n e n: 1. Zur C arm in a Burana : 1 942 rau schte d ie fanatisch nationalsozi alist ische Pian i stin Elly Ney, die Orffs Mu sik schon seit Jahren als un de u ts c h empfand, in Beglei tung v o n Kr ei slei te r Malitz aus einer Vor s te llung in Görlitz , nac hde m sie „Kulturschande!“ g e br üllt hatt e; da s Werk wu rd e vo- rüb ergehen d abg e setzt. (Kater S.13) 2. Z um Schulwe r k Es ist heute noch nicht a bse hbar, was O rff für die ge sa mt e deutsche Musikerzie hung ge r ade in der Z eit der poli tischen Wa nd lung bedeutet. Di e zus amm e nfassende Schrift öff n e t d en Blick in un ge- ahnte un d noch z u entde ckende Möglic h keiten und Gebie te der Mus i kerziehung. (Dr. Bernhard P ayr , Hauptstel lenleiter der Re ic hs leitung der NSDAP z um Einf ü hru ngs heft d es Schulwerk s) 3. Somm er nachtstraum - Musik Sehr ve r ehrter Herr Staatsrat !

38 Schül e rheft S.41

58 Ich empfing mit g roßer Fr eu de die A uftrags erteilung zu einer Musik zu Sh akespeares Sommer- nachtstraum durch Her rn Generalinte ndanten Meißne r, u nd ich danke Ihnen au ßerorde n tli ch für da s wiederum b ewiesene V er trauen. Ich freue mich se h r, die handschriftlic h e Pa rtitur n ach Fe rtig- stel lu ng der A rbeit d er Stadt Frankfurt/Main ü berge ben zu kön n en, denn ich verdanke der S tad t und damit Ihnen, sehr v er eh rt er Herr Oberbürgerm eister, ein e e ntsc he idende künst ler i sche F ör de- rung und bin gl ückli ch, da ss ein weiteres Wer k von mir in Ihre m Theater zu r Auffü h rung ko mmen soll. Mit ergebenen Grüß en Heil Hi t ler! (Orff an Staatsrat Dr .Kr ebs 10.Juni 1938)

Man k an n s i ch darüber streiten , ob Or f fs Kar rier e im Dritten R eich glan zvo ll war, wie Kater be- ha u p t et. In der NSDAP - Füh r u ng wa r Orff noch im Somme r 1 942 ums tritten , weil er gerade auch von N S - Gegnern ge f eiert werde. Allerdings schie n s ein Stelle nwert zu wachse n. 194 2 bekam er einen einmali gen „Staa ts zu sc hu ss “ von zw eitausen d Re ichsmark zugespro chen. D e r deutsche Rundfunk f ü hrte Orff A nfang 19 44 auf e in er Lis te zei tgenössischer Komp o nisten , a uf die der R u nd- funk nicht verzichten möchte . ( Auf diese r Liste stande n u. a. S trauss, Pfitzne r, Furt wäng l er, Eg k, Gen zmer, Ka rl B öhm, K araj an, ). Goeb b els ließ ihn bitten, e i ne Kam pfmu sik für die d eu ts che Wo chensch au zu schreiben. Dem Verl ange n , eine Erg e benheitsadresse an den Führer a b- zuge ben kam er zwar nach, wid mete Hitler aber ei nen Ver s vo n Hölde rl in u nd schri eb d oppeld euti g dazu: An der Schw ell e de s Jahres der En t sc h e idung, D eze mber 1944 .

C a rm in a Bur ana Tro tz des Kahlschlags, der d urch d ie rassis c hen und politischen Verfolgungen auch in de n Reihen der K ompo ni sten betrieben wu rde, ko mpon ier ten di e verb lieben en, so weit sie geduldet und ihre We rk e auf g eführt wurden, w i e eh und j e Musik für den Ko nz ertsaa l und d ie Opernbühne, aber ein b is he u te andaue r nder Welterfolg gelang unter den jüger en ei gentlich nur C arl Or ff ( 1895 - 1982) mi t seine r sz eni sche n Kantat e ‚Car mina B uran a‘. (Albrecht Riethmüller F unkko l leg Musikge- schi c h te S.12) Orff datier te d e n Beginn seiner eigentlichen Kompositions karri e re mit de r Uraufführung der Car- mina und wol lte a lles vorher Kompon iert e, v.a. das der 19 20e r Jahre, in d enen e r aus der Juge nd- be wegun g bz w. Jugendmusikbewegu ng h era u sgewachsen war, b e i seite ge leg t und nic ht m e hr g e l- ten l assen. Vorbild waren Les Noces (191 7 ) von Stra w insky ; Orff komponiert allerdin gs pl akativ er, einfacher. Die Mitt el sind opulen t, die m usi ka lische S ubst anz ist karg ; die Car mina war (und ist) w ohl des- h alb so erfolgreic h , weil si e a uf ei n fac hste un mi ttelbar wirken de Wiederholungsmuster re duzi e rt und dem Ruf der Zeit nach dem Schlichte n und zugle ich Monumental en g e rech t wurde. (Funk kolleg M usi kg eschic ht e)

Dennoch s tel l t sic h ... die Frage, war um Orff es im Dritten R eich ohne k ünst lerische K om pr om isse so weit hat br ingen können . ... Orffs Mu sik m u ss … i rg e ndetwas angehaftet haben, was d ie Na ti o- nalsozialist en ni cht n ur g leichgült ig ließ, so nd ern e inige vo n ih nen, beis pie lswei s e Schirach, ausge- sproc h en a ttr a ktiv fanden. Z wei Faktore n waren es, di e Or f f im Dritten Reich so sehr begün stigten, da ss e r nach de m bald zu erwartenden Tod von Stra uss u n d Pfitzner z um ers ten Ko mpon isten d es Landes h ät te aufs teig en könne n. Zum ein en war en dies gewisse Aspekt e s ei nes S t ils, die m i t der nation also zialistisc he n Mu sikästhetik zufäl lig harmonierten. Zum an deren kam sein S chaffen in einer bestimmten Phase des D ritten Reich es den Neuer ungs be- streb ungen der M ac hthaber ent ge gen, d ie sich im me r au ch als Revolutionäre b egr if fen h a ben; das K u l turleben wa r da von nicht au sg e s chlossen. D ie bis heute fast der Hagiograp hie v e rpflichte t e Schule seiner Verehrer hat gefl issen t lich ver- säum t, die Typol ogie der Or ffschen Mus ik im Hin blic k auf ei ne mögl ich e Konk ordanz mit NS - Topoi

59 zu an al ysier e n. Das Wic h t igste war h ier, strukture ll bet rachtet, di e simp le diatonische Tonalität der O r ffschen K o mpositionen, die die Nationalsozi alist e n im Gegensa tz zur ‚neue n at onalen rass e- fremde n Musik‘ favo ri sierte n . ... F erne r bet on te Orff, gerade in Car min a Bu r ana und Catul l i Car- mina, d a s Elementare , g e rad ezu Primi tive d er musikalischen Formen, das s ich dem Vo l kslied - Ideal der Nationalsoziali sten grad uell annäher te, ei nem Ide al, dem Or ff persönli ch nic ht fe r n e sta nd. Dies e mu s ikal is chen Elemente wurden d urc h ei n en stark akze n t uierten, hä u fig ostinate n R h yth mus gestü tzt, d er an das Stakkato faschi stisc her Militä r trommeln oder den Gleichschritt von M arsc h- sti e feln er innern ko nnte , nicht je doch an den oft p olyrh y t hmisc hen Jazz , de n Orf f und die die Nati- ona l so zia list e n gleichermaß e n verwarfen . . .. Zur Aufr ech t e rhal tung ihr er Mac ht bedienten sich die Nat iona l sozialiste n groß angelegter Inszenierun gen , und zwar im positive n Sinn e zur Mobilisieru ng der Mas s en od er im n egati ven zu i hrer A ble nku ng von einer schmerzh a ft en R e alität. Auch h i e r konnte Or ff eingepa ss t we rden: seine Opern - und Kantatenlibretti hät ten d em letztge n annten Zweck gedient; sie waren oft u nprobl ematische F abeln o d er M ärchen (mit Ausnahme d er ri skant e n Stel len in d er K lu gen ) un d konnten so, wie di e F ilme mit Zarah Lean d e r, über den zunehmend u ne rt rägli- chen Al ltag i m Dritten Reich hinwegtäu schen . ... Orffs I dee vom ‚Musik - Theater‘, das T heatr ali- sche seiner Insz enieru n gen schlechthin, bei denen im Idealf a ll gr oße Orches te r un d C h ö re mitwirk- ten, konnt e i m Zu s ammenhang mit de r primitiv - or ganizistis chen S trukt ur sein er Mus ik Visionen von einem NS - Thi ng stättenkul t heraufbeschwören . (Kater S.34 )

E inige m usikalische Merkma le d er Carmina B urana : Pen t ato nik, K i rc hen tonarten, ak zent uie rter Rhythmus, Bordun, Os ti na t o, Wechsel - und P e ndelklän- g e, Tonwieder holu ng en, O rganum - äh nlic he Klänge, große B e setzun g: 3 Flöten, 2 O boen, Englischhorn, 3 Klarinet ten, 3 Fagott e, 4 Hörner , 3 Tr o mpe ten, 3 Posaun en, Tuba, S chl agzeug , v ier stimmiger Ch or, 2 K lavi ere, und Streicher . O Fo r tuna : modal, arc h a isierende M elodik, gl ocke na rtige Schreitb ässe , Oktaven, Hohlklänge, os ti- n at er Rhythmu s . Das Zweihalbemetrum der Inst rumen te kontr astiert mit dem D r eih albemetrum de r Melodie.

Zu Orf fs h un de rt s tem Gebur t stag 19 95 wurde von W a l ter H aupt d i e Carmina Bur an a als bislang größte Open - air - Musiktheater - Pr oduk tion der Welt, die auf To urn ee geht (Ca r mina Burana Open Air O pera) e nt wicke lt - Produ zent der Ko nzer tver anstalter Franz Abraha m (Da vid Ha ss elho ff, Rol- ling Stones 1995) - mit übe r dreiß ig A kr o b aten, Schaus pi elern und Tän zern, 60 Tec hnik ern und 200 Hel fern und - beim Abschlu ss Jul i 19 9 7 in Stutt g art - den Münchn er Symphon ikern un d dem Phil- harmo nia Chor St u tt ga rt, einer 22 Meter hoh en Th eater m as chin e mit wette r f estem Bühnenunterbau, P roduk tion sk o s ten ca. 3 Mi ll ionen. Vorläu fer dieses S pekt akel s waren u.a . di e szenis chen Inszen ie- rung en d e s am 11.7. 1 975 erstm als vom ZDF ausgestrah lten F ilms von Jean Pierre P o n nell e mit Lucia Popp, H e rm ann P r ey un d John van Kester e n, dem Münchner Rundfunkchor und dem Or- chester des bayri schen Ru ndfunks unte r Ku rt Eichhor n und 199 5 Götz Friedrichs Produkt ion a n der Deut s chen Op er Be r li n. In der Folg e wurde O F ortuna zum Verkaufshi t . 1 996 gab es über 30 CDs - wi e z.B. Super Class ix, Kl assi k Hits, Klassik Pur, Me ga Clas si x , Classi c Generation, Cla ss ic In sti nct - au f denen O Fort un a ein Titel unter a n d eren „Klas s ik Hits“ war. Im Film Ex cali bu r (1981) wir d de r Ausritt von Artus mit se i nen Rittern zum Kampf gegen Mo rdred durch die Musik de r beg eitet. Ex - Do or - M i tglied Ray Manzarek war 19 83 Partner v on Phi lip Glass bei einer Rock b ear bei t u ng der Car m ina . Eine „R oc ke d up - V er sio n“ gab es 1997 von der Gruppe Alie ns , eine T echnoversion von Apotheo- sis . Von Orff s o si c h er n ic ht gewollt , rücken die musik alisch en E i g enschaften zusammen mit d em mys- tisc h ersche inende n un d archaisch wirkende n l a teinische n und mitte lh oc hd e utsche Tex t und d em

60 ‚Sho wcharakter‘ die Carm ina in di e Nähe d er Popmusik, bei der ja auc h „Aufbereit ung“ ( Arra ng e- ment, Sou nd usw.) und Darbi etungs form w ichtiger sind als die mus ikalische Substanz .

Hi nweise für den Einsatz i m Un terricht f inden sich be i R i chard Ewen: O Fort una, i n: Zeitschrift für di e Praxis des M u s iku nterrichts 46, Mai 1996, S.14 ff. Li t erat ur : F . Willnauer (Hrsg.) C.Orff : Carm ina Burana , Mainz 1995 Michael H.Kater: im D ritten Reich (s.o.)

Carola Ne her : Doppelt v erfolgt 39 Da ss sie a us e iner k a tholi sche O rdensschule zum Thea t er durch bra nnte, ist eine L egende, die Caro- la Neher in e inem Zeitun gsart ikel 1926 s elbst in d ie W elt g esetzt hat , um sich zur femme fatale zu stilisieren. T a t sächlich sollte sie na ch dem Bes uch de r Ha ndelssac hul e Lehr er in w erden , arbei tete d ann aber aushilfswei s e von 19 17 bis 1 919 in eine r Bank und nahm neben h e r Sc h auspie lunte rricht. Kl abund widm ete ihr v iele seine r Gedichte, u. a. das Liebeslied in der Harf enjule . Nach Klabunds To d woll te H e rmann Sch erchen Ca ro la Neh er hei raten , w urde von i hr aber abgewiesen . A ls im Ma i 192 9 d ie Dreigroschenope r in etwa s ve rändert e r Fass u n g u nd z.T. neuer Besetzung w ieder in den Sp i elplan des Theaters am Schiffbauerdamm aufg enommen wurde, spiel te C ar ola Nehe r di e Poll y. De nunzie rt in der Ud SSR w u rden C arola Neher und ihr Mann am 1.6. 19 3 6 du rch Gustav von W angenheim. Auf Brechts B ri e f vom M a i 1 937 (Brecht B riefe Bd.1 S .326, Brief 327 ) schrieb Lion Feuchtwanger am 30.5.1937 zur ück: Carola Neher war, w ä h rend ich in Mos kau war, ein ge sp errt . S ie soll i n ein ver rät erisches Komplott i hr es Ma n ne s mitver wickelt se in. Details weiß ich n i cht. In B rec ht - B riefe B d . II, S.992 heißt es al lerdings: Z u Brief 327... Feuchtwanger antwortete am 3 0.V. Einen Brief Brecht s habe er i n Mo skau n icht e rhalt en , au ch kön ne er über d en Ver bleib Carola Neher s k eine näh e re n Ang aben mache n. Daraufhin schr e i b t Brech t no chmal im Juni 19 37: Bei de n sehr b erech tigten Akt i onen, die man den Goebbelsschen Organisati o nen in der USSR ent- gege nsetzt, kan n natürlic h au ch einm al e in Fehlg rif f p assier en . .. . Wenn die N(eher) si ch tatsä c h- lich a n hochver räterischen Umtrie ben b eteil ig t ha t, k ann man ih r nicht helf en, ab er ma n kann vie l- leicht durch einen Hinweis auf ihre große k ünstlerische Begabung e rreiche n, d a ss das Ve rfahren bes ch leun igt un d der Fall b esonde rs geklärt wird . ... Es wäre m ir alle rdings rech t, wenn sie di e s e mei n e Bi tt e ganz v ert raulich b eh andelten, d a i ch we der Mi ss tr a uen gegen die Praxis der Union säen, noch i rgendwelchen Leuten Gel egenhei t ge be n wi ll, solches zu be haup te n. Brech t erkun digte sich au ß erdem am 11. 7 . 19 33 be i Serge j M.Tretjakow, ob er etwas ü ber Car o l a N eher in Er f ahrung brin ge n könnte (Br ief 1 77, S.172) . An Helene Weigel schrieb er aus Moskau ( M ärz/April 1935): Mit de utschen The ater n st eh t es faul. W e nige Sch au spiel e r, nur schle chte, außer der Neher , die ab e r nich t besonders ge schätzt wird. (Ihr Ki n d is t kräfti g, sie selbst zi emlich dick und r echt nervö s ). (Brief 251, S.247f.) Und im April: Abe r hier ist gar nichts lo s mit S piel en. Die Ne her hat übe rh aupt ke ine Chan c en . Tr otzdem wird vom deutschen T he a ter g e sproc he n, eventuell für den Herbst . (Bri e f 2 77 ) Der S cha u spieler Gr ei d besuchte B r echt, aus der U d SSR kommend, im Sommer 1937. Brecht er- kund i gte sich v. a. nach Caro la Nehe r. Ich wu s s te nur, da ss si e ve rur tei lt wo r de n wa r und dann verschwand. Da k annte se i ne Wut auf die- sen ‚schändlichen un d sch a m los en Henke rskne cht Stali n‘ und ‚dieses g anze Pack‘ kein e Grenzen. (Hermann Greid: Der Mensch Brech t , wie ich ihn erlebte. Stockho lm 1 974 , S.4)

39 Schülerheft S . 42 f.

61 Das Schick sa l vo n Caro la Ne h er bli eb lan ge im Dunkeln und s ie selbst war ve rg essen. Unt erschied- liche Dar stel l u nge n g ab es v.a. über ih re Zusammenarbei t mit Brecht und ihren Tod. Margarete Buber - Neumann war Z el lengenossin von Carola Neher i m Ge fän gn is Bu tyrka. Sie üb er- le b te da s KZ R a vensb rück u nd schrieb in ihren E rinnerun gen (M ar garete Bub er - Neumann: Als G efan g e ne bei Stal in und Hitler. - E rstm als M ü nche n 1949 - S tut t gart 1985 S.163 ff. , ): Die Schauspielerin Carola Neher tru g Zuchth auskleidung, und ich m u ss ges t ehen - sie stand i h r gu t . Im Vergl e ich zu den L agerlumpen konn te m an dieses Kostüm g eradezu el egant nennen . ... Carol a w ar am läng sten vo n uns a ll en eing e sperr t. Si e wurde be r eits im Herbst 1936 verhaft et. Sie war nach Sowjetr ussland gegangen, da s ie m it Bre c ht zusammengea rb e ite t u nd gegen de n Na tio- nal sozialismus Ste llung bezogen hatte. S o war sie ge zwungen, 1933 i n die E m i gr a tion zu geh en. In Prag l ernte sie ei nen d eutsch - rum ä nischen Ingenieur kennen. S ie heiratete ihn . Er war Kommunist und wollte nach Sowjet r us sland, um a m so zi alis ti schen Auf bau mitzu arbeiten. Sie f uhren n ach Mos kau, und C arola began n dort, an Rad io und F i lm zu wirke n. Sie und Zen zl Mühsam ware n M ün chnerinnen . ... Sie gingen zu Erich Wo llenberg als ein em Freun d aus der Münchener Ze it. Bei diese r Gelegenhei t gab Wollen berg C arola Neher die Adresse ein es Mos kau er Be kannten, den Carola dan n nach ihrer Ankunft b e s uchte. Das war der Grund z u ihrer Ve rhaft ung. Die A n klage machte sie zu einem t rotzkistischen K urier Wo llenbergs, und man ver ur- te ilte sie z u zehn Jahr en Zuc hthaus . Noc h währ e nd der Untersuchungsh aft in de r Lub janka ha tte Carola eine n Selbstmord versuch u n t e rnommen . .. . Ca rolas größt er Schmerz war di e Trennu n g von ihrem Söhnchen, das s ie bei ihrer Ver haftung als Baby zurückließ . . .. Mein Bett war neben d em von Car ol a. I n diesen we nig en Wochen waren wir F reunde g eworden. Früher hatten wir uns nich t gekannt . N u r auf der Büh n e hatte ich C ar ola ge sehen . ... So m o chten zwölf Tage vergangen sein, als eines Vormitta gs die Klappe herunter fiel : „Klara V a- ter, Betty O lber g und Buber - Nejman Fert i gmachen mit Sac hen!“ Carola w a r nicht dabei. Wi r standen w ie gel ähmt, mit ge sen k t en Köp fen, unfähig, ein W or t zu sage n . ... Als ich Carola umarmte, schluch zte sie: „Ich bi n verlor en!“ Das war das letzt e, w as ich von ihr h ö rte. I ch s ah sie nie w i e- der. Jöre n Serke (Die ver brannt en Dicht e r, Wein heim/Basel 1992, S.16 6 ff.) schreibt : Die S owjets wol l ten die 42jähr ig e zw ingen , nach Deu t schland zurückzugehen und d ort für Moskau a ls Agent in zu arbeiten. Sie we iger te sich. D ie NK W D - Bea mt en l iquidi erten sie da raufh i n am 28. Juni 1 942 du rch Geni ck schu ss . Hans Sahl berichtet in se inen Memo ire n e i n es Mor alist en (München 1 995 /199 0 S.7 4ff . ) ü ber die Beziehung zwischen Caro la Neher und Kla bund, di e „affektgeladen“ gewe sen sei und „h äufig z u he ft igen Auftr i tten und Sz enen, auch in Gegenwa rt dri tter“ ge fü hrt hä tte. Die Geschichte der C arola Neh er, di e so gro ß beg ann und in den Ke rke rn St alins e nde t e, ist so erschütternd, da s s es mir schwerf ällt, si e in Worte zu fassen . ... Arme, lie be, hinre iß en de C arola Nehe r ! D u bi st, wi e so viele ande re, Op fer eine r so zial en Utopie gewo rden, die im Namen der Ba rmher z i gkei t und M enschlichkeit so u nbarm herzig, so grausam mit ihren gläubigst en Anhängern ver fuhr wie die von ihr bekämpfte soz iale Wirkl ichkeit. Du s tand est ei nst s t ra hlen d Nach t für Nacht auf der B ühne und dac htes t nicht an den Tod, du s pie ltest ihn un s nur v or i n viele n Rollen. Jetz t b i st du in der Na c ht verschwunden, aus der ni emand mehr zurüc kkehrt.

Elias Canetti erzählt in Das Augens piel (Frank fu rt 1 988, S .70) , ü ber d as End e der Beziehung zwi- sc hen Herm a nn Sche rchen und Carola Neh er: Sie wollte w eg v o n ihm, er b eschw or sie zu ble iben. Sie wollt e etw a s tun, dieses Leben war ihr zu wenig. Sie w ollte al les stehenlassen, ihre Sch auspielere i, i hren Ru hm , un d ihn , H. , d en sie a ls P o- panz von einem Dirig enten ve rhöhnte. Sie hatt e Verachtu ng für i hn, weil er v o r einem K on zertp ub- likum a uftr at, f ür we n dir igier t e er, da ss ihm der Schweiß heruntertroff, w as für e in Schweiß war das, ei n fa lscher Sch weiß , der n ic ht z ählte, fü r s ie zäh lt e ei n bessarabische r Stud ent, den sie ken- nengelernt hatte, d er sein Leben auf s S p i el setzen w ollte , der nic hts fürch tete, kein Gefä n gnis und keine Erschießung. H. fühlte, da ss es ihr Ernst war, aber er war sic her, da ss er s ie halt en kön ne. Er

62 h a tt e bis j et zt a lles bezwungen, auch jede Fra u, und w enn jemand w egging, so war er es. Er gi n g nur, wan n es ih m pa ss te. Er setzt e all e Mittel e i n sie zum Bleiben zu bewege n. Er drohte ihr damit, da ss er sie einsperren wer de. Er müs se s ie vo r si ch s elber sch ü t z en, si e renn e in ihren sich eren T od. Dies er Stude nt sei niemand , ein grüner Junge, oh ne j e de Lebens er fahru ng. Er be schi mpfte ihn und gab ih r alles zurück, was sie eben noch gegen ihn und sein Dirigieren gesagt hat te. Sie schien uns icher z u werd en, we nn e r etwas ge gen den Studenten a ls Per son sagt e. Sie b ehau p tete, es sei e ine Sach e, die si e e r n st nehme, n icht ihn. Wenn es ein a ndrer wäre, mit einer solchen Sache und ihr so eng verfalle n, würde er nicht w e niger Eind ruck machen. D er K ampf da ue rte die ga nze N a cht. E r woll te sie durch Üb ermüdu ng klein kriegen, sie war von e iner unverwir rbaren Z ä hig k e it und ga b seine r physisc hen Attac ke fl uchend nac h . Schließlich, es wurde sc hon Morgen, glau bte er s ie bezwungen zu haben, den n sie schl ief ein. Er s ah s ie noc h b e f r iedigt a n, b evor er selbst einsch lief. Al s er auf wachte, war si e ver schwunde n und kam ni e wieder. W äh rend Tagen und Woc hen w artet e er auf i h re Rückkehr. Er wartete auf Nachricht, es k am kein Wort. Er wu ss te nicht, wo sie war. K ein Mensch ha tte eine S pur v o n ihr. E r li eß nachforschen und m an fand heraus, da ss auch der St ude nt versc hwunden w ar. S ie war al so , wie sie gedr oht hatte , mit ihm durch g e gangen . Ruth Berlau (Brech ts Lai - tu 2 ´ , Os tberlin 1989 / 1987 , S.135 ff.) schr eibt: Die Hochzei t vo n Weig el un d B rec h t wa r nicht so lustig, wie Hochze iten zu sein pfl egen. Jedenf all s haben sich nicht a l l e darüber g ef reut. B recht s gr oße Verli ebthe it zu di es e r Zeit war Carola Neher. Di e Neher war auf einer To urnee und erfuhr unter wegs , da ss Bre cht gehe ira te t ha t. Br e cht g i ng z um Bahnh of, um sie abzu holen. Ot to M üllereis ert, ein enge r Jugendfreund Brechts , ha tte schne ll noch B lumen gek auft - we il Br echt selbe r nie auf so einen Gedanken kam - und sie ih m im let zten Moment in die Han d ge drückt. De r Blumenst r au ß so llte C a rola Neher beschw ichtigen. Sie h at dem Brech t aber die Blumen um die Oh ren geschl agen und i s t weggegange n. Brecht hat Pfir sichges ichte r sehr ger n gehabt und Carola Neher wa r ungeheuer schö n und za rt und lustig. Sie wu s s te, da ss Brec ht sie lieb t , und sie w u ss te au ch, da ss e r ihre große Sc hauspi elkuns t bewunder t . ... Später ist Ca ro la Ne her mit i hre m M ann in d ie Sowjet union em igri ert und h at in Ge- bi e ten, wo man deutsch versteh t, als Schauspie lerin ge arbeitet. Sie trat mit ihr er zauberh aften Stimm e auch als S äng er i n auf . D ann gehörte sie zu einer Gruppe, die ins Ausland fahren durf te . Ihr Mann - er so l l Trotzkis t g ewesen sein - h at i hr angeb lich Mater i al mitge geben. Es kam zu ei nem Proze ss , übe r den wi r nie etwas Genaues er fahr en konnten . Car ola Ne he r wu r de zu zeh n Jahren Ge fän gnis verurteilt . Auch im Gefä n gnis ko nnte sie weiter Thea ter spi elen, ins zen i e r en und s ing en. . .. In Ko penh agen , zum Beispiel, war ich mit ihm zusammen be im sowjetischen Botschaf ter, den ich schon län ger kannte, Br echt aber n ic ht. A ls er stes - und d as w ar ziemlich peinl ich fü r mich - fr agte er nach Carola Neher, ob ma n nicht f est ste l l en kan n, wo sie ist.

E .J. Au fri cht s c hild ert i n seinem Erinnerungsbuc h 1 966 ( Erzähle, da mit du d ein Recht erweist ) in groß er Breite, w ie die exal ti er te Car ola Ne h er sich gew eigert ha be zu spielen, da ih r die Ro lle zu klein gewesen wäre u nd dies e W ei gerung bekräf ti g t habe, obwo hl Br echt das „ in Ordnun g “ ge- bracht hätte. Au frich ts Bericht gibt nach Mei nung von von Kaulla ein vö llig falsches Bi ld vo n Caro la N eher u n d zug l eich vo n ih re r Bezi e h u ng zu Klabun d - … Sie habe Brech ts von Villon geklaut e Verse n ich t singen könn en und wollen, weil sie d as an ihren M a n n erinnerte , der z.T . dieselb en Villon - Ver se i ns Deutsche überse tzt habe . (G uido von Kau lla: Verbre nn ‘ in sei nem He r zen. Di e S c hauspiel eri n Caro la Neh er und , Freiburg 1984 )

Genaueres und G esi che rtes ist i n J ürgen Sch ebera : Später Ep it aph für Caro l a Neher , in: no tate 1/ 1990 und v.a. in dem Hör funk - Feature von Georg Bec ker Du bist ja e in verfluch te r Deutsc her .

63 W i e mei ne Mut ter C arola Neher starb zu erf ahren, d a s S 2 1991 sendete (Wiederholung am 3 .1. 19 97 ) . 1 9 9 6 erschiene n sch ließlich fast gleichze it i g zwei Sachb ü che r: - Tita Gaehme: Dem Tr aum f olgen, Köln 1996 ; es wert et A rchivmaterial aus d en KG B - A kten a us, da s der Ver fa s s erin von Ge org Becker z ur Ve rfügun g gestellt wurde und Inter vie ws mit ih m ; - Matthi a s Wegn er: Kl abu nd und Caro la Ne her, Reinbek 1996 .

Jorge Semprun hat Carola N eher in seinem Theaterstück Bl eich e Mutter, zar te Schwest e r ( 1995 a uf dem G räbe rfe ld im Sc hlo ss park von Bel ve dere in Weima r uraufgeführt, 1996 in Stu t tgar t na chg e- spielt, i n sze niert vo n M atthias Mer kle ) ein Denkmal g e setzt: Meine Zärtlichkeit rühr t von der Tatsache her, da ss Sie das re inst e Bild Deutsch lands sin d, d as von den z wei Au sgeb ur ten d ieses Jahrhun dert s z erbr ochen wu rde. Das Stück mit Motive n aus Was f ür ein sc h ö ner Son ntag ist Totenklag e und G eiste rgesprä ch g leicherm a ße n: Nach Jahrzehnte n kommt d er letzte Überl ebende von Buch enwa ld, das alter ego de s Aut or s, an de n Et ter sberg z ur üc k, um dort zu sterbe n. Dort trifft Goethe auf Leo Blum; Goet he s I phigen ie - Darste l l erin Co rona Schr öter verw andel t sich in Caro la N eher. In Ariane Mnouchkines Th eatralisi erung des Mephi sto von Klaus M ann gibt es eine C arola Neher n achemp fu n d en e C ar ola M ar tin. Erwin Piscator dr eht e mi t Carola Neher und Lotte Lenya in d er U dSSR nac h Anna S e ghers Novel le seinen Film Der A ufsta nd der Fis c her von St. Barbara , der 1934 in Moskau - unter Aussch lu ss der Öffent lich keit - uraufge führt wu rde . Den St alins c hen S chaup ro zess e n entging Piscato r n ach der Verh af tung Carola Nehers aufgru nd ein er War nung Wi l h e lm Pi ecks.

S eeräuberjenny Da ist d as Lied che n der Serräuber - Jenny, v on Poll y an ihre m Hoch zeitstag vo r getragen. Ei n un- schuldiger Sch erz, er bri ng t bei derart ige n Feste n immer Stimmu n g , und ma n n immt die gut e Ab- sich t für die Tat . ... Darf man auf Feinheiten auf merksam machen, so nebenb ei? W ie sie sel b er ne- benbei scheinen, im Rhyth mus des V ie rviert eltakte s, d e r so leich t zu m Trauermarsch wird. Auch d as fre che Mo ll spr icht a n, das zwische n Chanso n u nd T rauermar sch verbin det, die Gewürze des Harmo nie wechsels, die h übsch ei nschneidene Inter vall - Sekunde be i der Frage: „Töten?“, die un- sä glichen A rp eggien bei „S chif f “ und „Seg el“, der Orgeldrei klang des „ Mi r“, mi t dem das Sc hiff e ntschwindet... D ie Gäs te l a ch en zwar über Jenny s Lied und finden es nett, di e Bürger reagie ren sich ab und helfen de r Dre igrosch eno p er zu einem Erfolg, den i hr Bi erulk, ab er nicht diese star k e Dynamits tell e verdient hät te. De r Ker l der Se eräube rje nny kom mt leider nicht a l s Bote de s Sc hlus- ses und beschi eßt die Stadt (wa s die rev olu tionäre Logik d es Stück es gewesen wäre): es ist den noc h unzuverlässige Musik, di cke L uft im Am üs ement, die sa tte K unst ist h in, die Substanz e rschei nt al s Dreck, im Ab was chz uber u nd in dem, was d ie den kt, d ie davor s teht . (Er nst Bloch: Lied de r Seeräub er j enny in der ‚Dr eigrosch enoper‘ (1929) in : Lit erarisc he A ufsätze, Frankfurt 1965, S.392 ff.)

A na lyse Inhalt: Tra u m von eine m an deren Leben mi t Mach t übe r Leben und To d, Rac he f ür erlittenes Un- r e cht . „ Ana rchi st i sche Re voluti onsballade“ (Schoen er). Melo d ie : in der Strop he: Spre chgesang, kleine Noten werte, kle i ne Terz nach oben (zwei mal wie derholt) zweima l nach ob en sequenziert: Aus druck der Enge , de r Ha ss g ef ühle. im R e frain: sa nglicher, g r ößere Note n we rte, größere Inter valle (gr oße Sext nac h oben!): H o ffnung, Vision. Begleitun g:

64 in der Stro phe: Ostinat o i n Klarinetten und Trom pete (2 S ech zeh nte l, 3 Achtel), b eginnend in c - d oris ch, dann nach es (mit „fa ls chen“ Bässen ) u nd a s u nd schließ l i ch nach fis ( ?). im Refrai n: rez itativartig (‚breit‘), Halbe i n den Bläsern (h - Mo ll, fis, e - Moll), Arpeggi en im Kla- vie r, d as in den Strophen 1 bis 3 all ein, a m S ch lu ss der le tz t en Strophe, di e „m eno mosso (wie ein- langsam er Marsc h“ übe rsc hrieb en i st, zusa m m en mit dem G ong mit einem ( phry gischen) Fis - Akkord ohn e Terz s c hli eßt.

Weill - Ada ptionen gi bt es zuhauf in der Popmusi k u n d im Jazz, angefang en mit Loui s Armst ro ng s Mackie Me ss e r über die Doo rs b is zu Kate Wes tbrook . Lou R eed (V elvet Und ergroun d) nenn t als seine Vorbi lde r : B rekt. An d Ueill, Three Penny , y‘know. Wie hieß n och mal der Song d ar- au s? The blac k f re ighter? No , no. Meint er das S chiff mit d en acht S egeln , auf de m die Seerä u b e r- je nny ents chwinden m öcht e? Th a t‘ s it! One of th e truly w ondr ous songs! schwärm t d er M ann, des sen Stimme eigentlich keine Schwärme rei zulä ss t. Amazi ng! Sein To pko mpliment: I ch w ä re froh , w e nn ich das geschrie ben hät- te. (Zeitmaga zin 1997)

Erw in Schulhoff : Ju de, Avantgardist, Kommunist 40 Er win Sc hulhof f, 1894 al s Sohn eines jüdischen K auf mann s in Pra g gebore n , hatte sehr früh ei n p riva tes Klavierstudium am dortigen Konservatori um au fgenomm en u nd zwischenzeitlich seine Stu dien in Wi en und in Lei pzig fortgesetzt (u. a. in Komposit ion bei Max R eger), kam 1 919 nach D re sden . Dort lernte er u.a. George G r osz (s.o. ) kennen , der ihn mit der Dada - Bewegung in Berüh- rung bra chte. 1924 nach Prag zu rückgeke hrt, setzte er sich als Konzertveranstalter und Pianist rückhaltlos für die Wiener Schule ein und unternahm ausgedehnte Konzer treisen nach Salzburg, Venedig, Genf und Oxford mit Werken der damaligen Avantgarde. Schulhoff interessierte sich fü r alle radikalen Richtungen der Avantgarde, für Dadaismus und Jazz … faszi niert vom Jazz spielte er im Jazzorchester des Prager Theaters mi t und komponierte für d ieses unter dem Pseudonym Petr Hanus. ( https://de.wikipedia.org/wiki/Erwin_Schulhoff . V g l. Tobia s Wi dmaier, Colon el Schulhof f, Musik dada, in: NZfM 3 , 1994 , S.14 ff. ) https://www.youtube.com/wat ch?v=D7UGFTLOQg 0 Esqu isses de Ja zz (WV 90) .. . nach der Rückkehr nac h Pr ag ( A u gus t 1 9 27) begann er m it der Ar beit an einem Zy klus verhäl t- nis m äßig leichter Jazzkompositionen für Kl avier, die er Esquisses de jaz z (W V 90) nannte. S obald er s i e volle ndet h a tt e , sandt e er sie nach Wien, denn er br auchte G eld. Deshal b berücks ich tigt e er b ei der Komp osition sei nes Zyklu s auch die komme rziel le Sei te u n d vertraute darauf, da ss die Uni- versal - Edition die Komposition diesm al n icht z urückweis en würde. D a s Guta chten v om 1 3.Okto b er war tatsä chlich empf ehl end , da die einzelnen Stücke lei ch ter spie l- b ar sei en un d den Chara kte r von Jazztänzen gut e rfa ss ten. S ie s e ie n besonders rhythmisch interes- sant. Allerdings hätten sie als Ganz es v om mus ikalische n Gesichtsp u n kt au s nur g er i ng en We r t . ... Der V erlag verabre d ete mit dem Autor einige Striche u n d f ügte d e n Tit el „Sec hs leicht e Kla vierst ü- cke für die o bere Mittel stuf e “ hi nzu. Schulhoff war einverstanden, und wenig später erschienen di e Es quisses de J azz im Druck. ( J osef B e k : Er wi n Schulh o ff, Leben un d Werk . Verdrä ngt e M usik, Bd.8 1994, S.97 f.) Sc hulh off hält sic h weder harmonis ch noch melodisch an das „ gäng ige “ B lu e s s chema. In der Me- lodie ko mmen a lle 12 T öne vor. „Bluesig“ sind al lenf alls der Rhythmus, die Phrasie r u ng un d das „ f e e ling“. H armonisch be ginnt er in de r l inken Ha n d in F - Dur, rückt chrom ati sch bis E s u nd dann z urück n ach E. Takt 6 - 9 wi ederhol en d e n Anfa ng v a riiert. Da nach wechselt die Be gleitung - jetzt nicht mehr Wechsel bäs se, sondern durchge hende Viert e l - ta ktweise z w ischen A 7 und D.

40 Schülerhef t S.44 f.

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