Leitthema

Nervenarzt M. Martin2 ·H.Fangerau2 ·A.Karenberg1 DOI 10.1007/s00115-016-0144-7 1 Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, Universität zu Köln, Köln, Deutschland © Springer-Verlag Heidelberg 2016 2 Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Düsseldorf, Deutschland Neurologie und Neurologen in der NS-Zeit: Auswirkungen und Folgen von 1945 bis heute

Eine „Strategie“ im Umgang mit der NS- schahen unter Mitbeteiligung führender (1980 bis heute) wiederum lässt sich VergangenheitderMedizinbestandlange Repräsentanten der verfassten Ärzteschaft insbesondere durch den Abschied von Zeit darin, dass die Vertreter der orga- sowie medizinischer Fachgesellschaften der Zeitzeugenschaft14 [ ], symbolische nisierten Ärzteschaft in Deutschland die und ebenso unter maßgeblicher Beteili- Erinnerungsereignisse und einen Per- Meinung vertraten, es hätte eine durch gung von herausragenden Vertretern der spektivwechsel beschreiben, im Rahmen die Politik erzwungene „Gleichschal- universitären Medizin sowie von renom- dessen statt einer Struktur- und System- tung“ der Medizin, ihrer Organisationen mierten biomedizinischen Forschungsein- geschichtsschreibung eine Hinwendung und Institutionen gegeben. Medizinische richtungen [8]. zu den betroffenen Menschen (Tätern Verbrechen seien nur von einer kleinen wie Opfern) erfolgt. Zahl einzelne Ärzte begangen worden, DerUmgangmitdernationalsozialis- AuchderNeurologeundHirnforscher die zudem noch eher randständigen For- tischen Vergangenheit in den Jahrzehn- Jürgen Peiffer (1922–2006) hat in seiner schungsvorhaben nachgehangen hätten ten nach 1945 ist jedoch nicht einfach kritischen Auseinandersetzung mit der und persönlich besonders grausam und durch eine (späte) Revision der alten Geschichte des eigenen Faches und den unmenschlich veranlagt gewesen wä- Apologie gekennzeichnet. Vielmehr ist KrankentötungenbasierendaufKriterien ren [44]. Die absolute Mehrheit der der Umgang mit der Vergangenheit selbst wiedenInteressenunterschiedlicher„Al- Ärzte hätte sich der Standesethik gemäß schon Gegenstand zeithistorischer Ana- terskollektive“ [41, S 358] bzw. dem Ge- verhalten. Auch die Festschrift der Deut- lysen gewesen, die einige grundsätzliche nerationenwechsel oder dem Wandel des schen Gesellschaft für Neurologie zum Veränderungen im Diskurs seit 1945 re- politischen Umfeldes für die Nachkriegs- 75-jährigen Jubiläum aus dem Jahr 1982 konstruierenkonnten. NachNorbertFrei rezeption mehrere Phasen ausgemacht, fasste die NS-Zeit auf dreieinhalb Seiten und anderen Autoren lässt sich (zumin- dievonder„Verdrängung“unddem„kol- unter der Überschrift „Jahre des Wider- dest die bundesdeutsche) Auseinander- lektiven Schweigen“ in der Nachkriegs- stands“ zusammen. Die Vertreibung und setzung mit der NS-Vergangenheit im zeit über erste Ansätze der „Aufarbei- Ermordung der jüdischen Kolleginnen Allgemeinen und der Medizingeschichte tung“ durch Fachvertreter in den 1970er undKollegenfanddarinmitkeinem im Besonderen im Wesentlichen in vier und 1980er Jahren bis hin zu einer zu- Wort Erwähnung ([47]; . Infobox 1: Phasen einteilen [14, 54,S.41f.]: nehmenden Differenzierung und „Pro- Lipman Halpern; . Abb. 1). Auf Phase I (1945–1949), die durch fessionalisierung“ der Forschung seit den Es sollte Jahrzehnte dauern, bis von juristische Verfolgung und „Entnazifi- 1990er Jahren durch (Medizin-)Histori- offizieller Seite diese Sichtweise revidiert zierung“ einiger herausragender „Täter“ ker reichen [40, 41,S.331ff.].Pfeiffer,der wurde. Auf dem Deutschen Ärztetag gekennzeichnet war, folgte eine Phase II selbst in der Nachkriegszeit an Präpara- 2012 wurde die sog. „Nürnberger Er- (1950er Jahre), in der eine weitreichende ten geforscht hatte, die, wie er erst später klärung“, verabschiedet, in der es u. a. Amnestierung von NS-Tätern und die erfuhr, aus dem Kontext der Kranken- heißt: Integration ehemaliger NS-Anhänger und Behindertenmorde stammten (vgl. Im Gegensatz zur weit verbreiteten An- das Bild bestimmten. In einer Phase III unten), hat hinsichtlich der Auseinan- nahme ging die Initiative für die gra- (1960er/1970er Jahre) wurde langsam dersetzung mit der NS-Zeit für den Be- vierendsten Menschenrechtsverletzungen Kritik an der herrschenden „Schluss- reich der Neurowissenschaften Pionier- nicht von politischen Instanzen, sondern strich-Mentalität“ laut. Diese Kritik arbeit geleistet. von den Ärzten selbst aus. Die Verbre- zeigte sich besonders in der herausra- Im Folgenden kann es indes nicht um chen der NS-Medizin waren auch nicht genden medialen Schilderung beson- eine umfassende Darstellung der Aufar- die Taten einzelner Ärzte, sondern sie ge- derer Fälle und wurde noch verstärkt beitung der Geschichte der Neurologie durch die 68er-Bewegung. Die Phase IV im Nationalsozialismus gehen. Vielmehr

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Infobox 1 Lipman Halpern (1902–1968) Studium der Medizin in Königsberg; Promotion in Königsberg 1928 und erste Assistentenjahre an der dortigen „Psychiatrischen und Nervenklinik“. Frühen Arbeiten zur Elektrophysiologie der Muskeln und zum Parkinson-Tremor folgte ab 1930 eine enge Zusammenarbeit auf dem Gebiet der höheren Hirnfunktionen mit Kurt Goldstein, der in diesem Jahr eine neurologische Abteilung am Krankenhaus Moabit in Berlin eröffnete. Möglicherweise aufgrund von Goldsteins Schicksal (Goldstein wurde 1933 inhaftiert, misshandelt und musste emigrieren) entschloss sich Halpern 1934 zur Emigration über Zürich nach Palästina; dort leitete er ab 1938 am Hadassah-Krankenhaus der Hebräischen Universität Jerusalem eine neurologische Poliklinik, ab 1941 eine neuropsychiatrische Abteilung und wurde so zu einem entscheidenden Begründer der modernen Neurologie in Israel. In dieser Zeit publizierte er in deutscher, englischer und französischer Sprache zu Stirnhirnsyndromen, Aphasie, Gleichgewichtsstörungen, Störungen der Augenmotilität und psychiatrischer Epidemiologie. Nach längeren Vorstudien legte er eine Monographie zum seltenen Syndrom der sensomotorischen Induktion bei einseitiger Gleichgewichtsstörung vor, das bis heute in der neurologischen Literatur gelegentlich als Halpern-Syndrom bezeichnet wird. Für die ersten Medizinabsolventen seiner Universität entwarf er 1952 einen „Eid des hebräischen Arztes“, der einerseits Anleihen bei seinem hippokratischen Vorbild und der Schriftkultur des so genannten Ostjudentums nimmt, andererseits die Bedürfnisse einer jungen medizinischen Fakultät widerspiegelt und bis heute in Israel eine große Rolle spielt. Seine späteren Berufsjahre waren vom Ausbau der Neuropsychiatrischen Abteilung in Jerusalem, weiteren Studien zur höheren Hirntätigkeit und zahlreichen Ehrungen durch die internationale Neurologengemeinschaft geprägt. Zülch zitiert ihn mehrfach in seinem Band „Der Stand der Neurologie in der Medizin und ihre Zukunft“ von 1969 [68]. Lipman Halpern gehört heute zu den in Deutschland weitgehend unbekannten Emigranten, die frühzeitig vor den Nationalsozialistenflohen und unter schwierigsten Bedingungen an ihrer neuen Wirkungsstätte eine nicht zu überschätzende Aufbauarbeit leisteten. Sein Vater, Rabbiner einer orthodoxen Gemeinde in Białystok, starb 1941, als deutsche Soldaten 2000 Männer und Frauen in der Synagoge einschlossen und das Gebäude in Flammen setzten. Lipman Halpern kehrte nie nach Deutschland zurück. Zwar sprach er mit seiner Ehefrau Deutsch; seine Kinder sollten die deutsche Sprache nicht mehr erlernen. Literatur: [12, 38, 68].

zwei Verwaltungsfachleute. Kernstück der Anklage waren medizinische Expe- rimente, die an KZ-Häftlingen verübt worden waren [58]. Die Komplexe der Abb. 1 9 Lipman „Euthanasie“ und der Zwangssterilisati- Halpern untersucht on traten demgegenüber etwas in den einen Patienten aus Hintergrund bzw. wurden fast nicht dem Jemen (frühe diskutiert [9,S.10ff.].Dieregionalen 1950er Jahre; Bild- quelle: aus Privat- Ärztekammern entschieden, eine Beob- besitz, mit freundl. achterkommission nach Nürnberg zu Genehmigung der entsenden, die den Prozess verfolgen Familie Feinsod, Hai- und dokumentieren sollte. Der weitge- fa) hend unbekannte Nervenarzt Alexander Mitscherlich (1908–1982; . Abb. 2)wur- sollen im Sinne eines Überblicks einige, de gebeten, die Kommission zu leiten, fürdieNeurologiewichtigeThemen,Vor- „wohl auch, weil sich kein renommierter gänge und Diskussionen der Jahre nach älterer Kollege dafür fand“ [16, S. 18]. 1945 näher vorgestellt werden, die für Im Jahr 1949 erschien die abschlie- den Umgang der Neurologie mit ihrer ßende Dokumentation des Prozesses NS-Vergangenheit kennzeichnend sind. „Wissenschaft ohne Menschlichkeit“ in DarüberhinaussollandenBeispielendes einer Auflage von 10.000 Exemplaren, Umgangs mit Präparaten von „Euthana- die den bezeichnenden Untertitel „Me- sie“-Opfern sowie insbesondere der Dis- dizinische und eugenische Irrwege unter kussion um die Frage der „umstritte- Diktatur, Bürokratie und Krieg“ trug. nen“ Eponyme die nicht abgeschlosse- Mit Mitscherlich fungierte der Medi- ne Auseinandersetzung nachgezeichnet zinstudent Fred Mielke als Herausgeber. werden. Im Vorwort resümierte die „Arbeits- gemeinschaft der westdeutschen Ärzte- 8 Abb. 2 Alexander Mitscherlich (Bildquelle: kammern“, es sei nun erwiesen, „dass Universitätsarchiv Heidelberg, mit freundl. Ge- Nürnberger Ärzteprozess und nehmigung) FIAT-Berichte nur ein verschwindend geringer Teil der Standesangehörigen die Gebote der Vom 9.12.1946 bis zum 20.08.1947 fand Menschlichkeit und der ärztlichen Sitte der „Nürnberger Ärzteprozess“ statt verletzt hat. Diese wenigen Personen [9]. Von den 23 Angeklagten waren waren entweder SS-Ärzte und hohe 20 Ärzte (eine Ärztin), einer Jurist und Staatsbeamte oder Sanitätsoffiziere (...)

Der Nervenarzt Zusammenfassung · Abstract

Nervenarzt DOI 10.1007/s00115-016-0144-7 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

M. Martin · H. Fangerau · A. Karenberg Neurologie und Neurologen in der NS-Zeit: Auswirkungen und Folgen von 1945 bis heute

Zusammenfassung Dieser Beitrag behandelt die Auswirkungen 5. Internationalen Kongress für Neurologie Wandel von der Fremd- zur teilweisen Selbst- der „NS-Neurologie“ auf das Fach von 1945 protestierten, sich die neu gegründeten zuschreibung historischer Verantwortung mit bis heute. Chronologisch werden dabei in Fachgesellschaften DGN und DGPN jedoch sich. Aktuell wird international der Umgang der aktuellen Literatur im Wesentlichen geschlossen hinter Hallervorden stellten. mit neurologischen Eponymen, die einen vier sich überlappende Abschnitte abge- (3.) Die beginnende Kritik am systematischen Zusammenhang mit der NS-Zeit aufweisen, grenzt: (1.) In die Phase der juristischen Verschweigen medizinischer Verbrechen besonders diskutiert. Wir gehen davon Verfolgung und „Entnazifizierung“ fällt der im Nationalsozialismus kennzeichnet die aus, dass zukünftige Forschungen zu einer Nürnberger Ärzteprozess, bei dem keine sich dritte Phase, in der die Neurologie durch weiteren Ausdifferenzierung des historischen so bezeichnenden Neurologen angeklagt das Auffinden inkriminierter Hirnschnitte an Forschungsstandes führen und u. a. die waren. (2.) Während des anschließenden verschiedenen Max-Planck-Instituten in den aktuellenDebattenumForschungsethik Prozesses der weitreichenden Amnestierung Fokus geriet. (4.) Ab den 1980/1990er Jahren beleben werden. und Integration ehemaliger NS-Anhänger in setzte eine Rekonstruktion und Aufarbeitung den 1950er Jahren ist auch für die Neurologie medizinischer Verbrechen im Nationalso- Schlüsselwörter eine Kontinuität der Eliten nachzuweisen. In zialismus durch (Medizin-)Historiker ein. Geschichte der Neurologie · Medizin im das Jahr 1953 fiel die sog. Lissabon-Affäre, Der zeitliche Abstand zu den Ereignissen Nationalsozialismus · Ethik der Neurowissen- als v. a. niederländische Fachvertreter gegen und der erfolgte Generationenwechsel in schaften · Eponyme · Deutsche Gesellschaft die Teilnahme Julius Hallervordens am der deutschen Ärzteschaft brachten einen für Neurologie

German and neurologists during the Third Reich: the aftermath

Abstract The article discusses the consequences for scandal, when chiefly Dutch representatives medicine’s Nazi past in a professional way, neurology as a discipline which resulted protested against the participation of Julius which resulted in a noticeable increase of from neurologists’ participation in the HallervordenintheInternationalCongress knowledge. Additionally, a new generation of crimes committed under National Socialism of Neurology. The newly founded societies, scholars provoked a change of mind insofar (NS). Chronologically, the current literature the German Society for Neurology (Deutsche as they recognized medicine’s responsibility distinguishes mainly four overlapping Gesellschaft für Neurologie, DGN) and the for the crimes committed between 1933 and stages: (1) a first phase was characterized German Society for and Neurology 1945. We expect that future historical research by legal persecution and “denazification”, (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und will further elucidate the history of neurology which was also the time of the Nuremberg Neurologie, DGPN), unanimously supported during the NS regime and have consequences doctors’ trial in which no neurologists were their member. (3) The next period was for our current understanding of research on trial. A detailed documentation of the characterized by a nascent criticism of the ethics. trial for the German medical profession was prevailing attitude of covering up the crimes published by Alexander Mitscherlich. (2) In the committed by physicians during the Nazi Keywords subsequent practice of wide amnestying and period. The discovery of incriminating brain Neurology/history · Neurosciences/ethics · reintegration of former Nazi followers during sections at various Max Planck Institutes Biomedical research/history · Eponyms · the 1950s, neurologists were no exception brought neurology to the focus of the debate. as its elite continued in their positions. (4) Since the 1980s and 1990s historians (of The year 1953 was the year of the Lisbon medicine) have been systematically examining

Von etwa 90.000 in Deutschland tätigen Der Ursprung dieser Zahlenangaben Buch„verschwand“vomMarktundselbst Ärzten haben etwa 350 Medizinver- blieb spekulativ – Mielke hatte auf dem große Bibliotheken erhielten keine Be- brechen begangen (...) Die Masse der Ärztetag 1948 von einer „verschwindend legexemplare. Mitscherlich kommentier- deutschen Ärzte hat unter der Diktatur geringen“ Zahl, „etwa 300 bis 400 Ärzte“, te dies rückblickend: des Nationalsozialismus ihre Pflichten gesprochen [25]–sietauchteindesinden Nahezu nirgends wurde das Buch be- getreu den Forderungen des Hippokra- folgendenJahrzehntenimmerwiederauf, kannt, keine Rezensionen, keine Zuschrif- tischen Eides erfüllt, von den Vorgängen denn sie eignete sich „hervorragend, eine ten aus dem Leserkreis; unter den Men- nichts gewusst und mit ihnen nicht in vermeintlich klar identifizierbare kleine schen, mit denen wir in den nächsten zehn Zusammenhang gestanden. Der Prozess- Gruppe verbrecherischer Einzeltäter der Jahren zusammentrafen, keiner, der das verlauf hat ferner einwandfrei bewiesen, übergroßen Mehrzahl unschuldiger Me- Buch kannte. Es war und blieb ein Rätsel daß die ärztlichen Berufskörperschaften diziner gegenüberzustellen“[15]. Die Pu- – als ob das Buch nie erschienen wäre [33, völlig unbeteiligt waren“ [32,S.V]. blikation von Mitscherlich und Mielke S. 15]. stieß indes auf kollektives Schweigen, das

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richtung der Alliierten, die den Entwick- lungsstand der deutschen Forschung und Entwicklung gegen Ende des Krieges er- mitteln sollte. Deutsche Wissenschaftler wurden beauftragt, Übersichtsbeiträge zu den während des Krieges durchge- führten Forschungsarbeiten abzufassen. Bis 1948 wurden 88 Berichte, die FIAT- Reviews, publiziert. Für den Bereich der Neurologie wurden die entsprechenden Darstellungen (Neurologie 1. Grundla- gen; Neurologie 2. Nervenkrankheiten; Neurologie 3. Grenzgebiete und tech- nische Methoden; . Abb. 3) von Georg Schaltenbrand (1897–1979) herausgege- ben und im Rahmen der Reihe „Natur- forschungundMedizininDeutschland 1939–1946“ publiziert. „Von amerikani- scher Seite bestand“, so Jürgen Peiffer, „besonderes Interesse an der vorbild- lichen neurochirurgischen Versorgung Hirn- und Rückenmarksverletzter und deren Organisation in den Wehrmachts- lazaretten“([37],S.730).ImVorwortzum ersten Band teilt Schaltenbrand mit, er Abb. 3 9 Titelblatt sei „durch FIAT gebeten“ worden, „einen „FIAT-Berichte“,Bd. Sammelband über die deutsche Neuro- Neurologie (1948; logie der Kriegsjahre herauszugeben“, Bildquelle: Diete- rich’sche Verlags- um die „durch die Unterbrechung der buchhandlung, mit wissenschaftlichen Beziehungen beding- freundl. Genehmi- ten Lücken in den Bibliotheken (...) gung) aufzufüllen“ [43]. Zu den Auswirkun- gen der nationalsozialistischen Politik Was genau dahinter steckte, ob gar dardwerk in der 19. Auflage mit weit heißt es bei Schaltenbrand weiter: „Nach die Verbandsspitze in irgendeiner Weise über 100.000 Exemplaren vor. 1933 fand eine tiefgreifende Verände- direkt oder indirekt involviert war, blieb rung statt. Gezwungen oder freiwillig umstritten [42,S.68ff.]. Die Nachkriegszeit verließ uns der größte Teil unserer Kol- Nach Freimüller war die Wahrheit » legen (...)“. Gewisse Bereiche wurden „banaler und bezeichnender für das ver- fokussierte auf Einzeltäter und auffällig ausgespart, so sucht man die gangenheitspolitische Klima der 1950er Exkulpationsfiguren Namen Spatz und Hallervorden im Jahre: Sowohl die 10.000 Exemplare, die Kapitel zur Hirnforschung vergeblich. die Kammern für den Verkauf an die InderNachkriegszeitsetztesichzunächst Auch dass ausgerechnet diese beiden Ärzte erworben hatten, als auch 1500 also eine Sichtweise durch, die einer Fo- Forscher als Mitarbeiter an dem Pro- Buchhandelsexemplare lagen wie Blei in kussierung auf einzelne Täter und Ex- jekt beteiligt waren, spricht nicht gerade den Regalen – und wurden schließlich kulpationsfiguren, etwa im Kontext von für die Auffassung von Peiffer, wonach wohl zum großen Teil vernichtet“ [17, Menschenversuchen in den Konzentrati- „eine Aufarbeitung der deutschen wis- S. 129 f.]. Dies sollte sich, beginnend onslagern, das Wort redete. Die medizi- senschaftlichen Leistungen zwischen mit der Neuauflage unter dem Titel nische Forschung im „regulären“Alltags- 1933 und 1948 in den FIAT Reviews of „Medizin ohne Menschlichkeit: Doku- betrieb an Hochschulen und Instituten German Science“ erfolgte [37, S. 730]. mente des Nürnberger Ärzteprozesses“ war kein Thema juristischer Verfolgung Vielmehr steht der Bericht im Kontext im Jahr 1960, ändern. Im Kontext des und fand auch in der öffentlichen Dis- der vorherrschenden „Rechtfertigungs- sich wandelnden Umgangs mit der Ver- kussion – soweit es überhaupt eine gab strategie“ jener Zeit. „Zentraler Punkt gangenheit stieg die Nachfrage in den –nichtstatt. dieses Diskurses war“,nach Mitchell Ash, folgenden Jahrzehnten kontinuierlich Einen Ansatzpunkt hierfür hätten „die Rede von der ,reinen Grundlagen- an, und heute liegt das Buch als Stan- die „FIAT-Berichte“ bieten können. Die forschung‘ als Kern einer Solidar- und Field Information Agency war eine Ein- Vergessenskultur. Voraussetzung für die

Der Nervenarzt Infobox 2 Walt(h)er Birkmayer (1910–1996) Der österreichische Neurologe erlangte als Mitentdeckerder wirkungsvollen L-Dopa-Therapie beim Parkinson-Syndrom seit den frühen 1960er Jahren weltweite Bekanntheit. Erst jüngste Forschungen haben das volle Ausmaß seiner Unterstützung für die rassenhygienische Agenda der NS-Machthaber und gleichzeitig seine eigene Ambivalenz aufgedeckt. Nach dem Studium der Medizin in Wien und der Promotion 1936 begann Birkmayer eine wissenschaftlich ambitionierte Laufbahn an der dortigen Nervenklinik bei Otto Pötzl. Parallel dazu verfolgte er energisch eine Karriere in zunächst noch illegalen NS-Organisationen: 1932 bis 1936 Mitglied der SA, 1933 der NSDAP, 1936 bis 1939 der SS, des NS-Ärztebundes u. a. m. Nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 wirkte er u. a. als Hauptstellenleiter beim Rassenpolitischen Amt der NSDAP-Gauleitung Wien und erhielt nach der Vertreibung jüdischer Kollegen eine Assistentenstelle.1938 publizierte er einen Vortrag zur „Vererbung der Nervenkrankheiten“,der in seinen politischen Folgerungen deutlich über die Forderungen des GzVeN hinausging, und setzte sich ein für die Sterilisation von Personen „who have fallen prey to any kind of addiction, have criminal or perverse tendencies“ [7, S. 169]. Als 1939 seine „jüdische Großmutter“ entdeckt und Birkmayer damit in der NS-Terminologie zum „Mischling 2. Grades“ wurde, bedeutete dies für seine Karriere in Hochschule und Partei einen herben Rückschlag. Kurz nach Beginn des Zweiten Weltkriegs meldete er sich zur Wehrmacht, wo er vom Unter- zum Ober- bzw. Stabsarzt der Reserve und Abteilungsarzt aufstieg. Möglich machte dies 1941 eine persönliche Entscheidung Hitlers, dass Birkmayer „weiter als Vorgesetzter verwendet und befördert“ werden könne und Hitler „nach Abschluß des Krieges bei voller Bewährung über die Gleichstellung mit deutschblütigen Personen entscheiden“ werde. Ab 1942 leitete Birkmayer ein Lazarett für Hirnverletzte in Schwechat; 1944 wirkte er als neurologischer Gutachter in einem Sondergerichtsprozess mit. Nach Kriegsende wurde er als „radikaler Nationalsozialist“ kurzzeitig inhaftiert und verlor seine berufliche Stellung. In diversen Eingaben an die Behörden stellte er – wie viele andere – sich und seine Familie nun als Opfer des NS-Regimes dar, reinigte seine Publikationsliste von den stark ideologisch gefärbten Arbeiten und begann wieder als Arzt zu arbeiten und zu veröffentlichen. Als die juristische Verfolgung Anfang der 1950er Jahre durch eine zunehmende Reintegration früherer NS-Anhänger abgelöst wurde, konnte er 1954 die Habilitation im Fach Neurologie abschließen und im gleichen Jahr eine Position als Primararzt eines Pflegeheims in Wien-Lainz übernehmen; 1963 erfolgte die Ernennung zum Universitätsprofessor. Im Alter erlangte er Bekanntheit als populärer Fernseharzt in der Sendung „Seniorenclub“. Literatur: [7].

ner „Korrumpierung“ von „reiner Wis- fehl höherer Instanzen hätten widerset- senschaft“ durch eine ihr wesensfremde zenkönnen[16,S.51].Esentwickeltesich „Ideologie“ nicht mehr erzählbar ist. Viel- eine ausgeprägte Tendenz zur teilwei- mehr gilt es, gerade diese lang tradierte sen oder völligen Exkulpation von (mut- Redeweise selbst auf ihre historische Funk- maßlichen) NS-Verbrechern. Selbst be- tion, das heißt als diskursive Ressource im reitsVerurteilteprofitierteninden1950er historischen Geschehen zu begreifen; denn Jahren von „einer regelrechten Begnadi- gerade die Rede von einem „Missbrauch“ gungswelle“ [52, S. 108] im Kontext ei- der „reinen Grundlagenforschung“ erwies ner „weiten Schlussstrichmentalität“ [34, sich als äußerst funktional im neu zu S. 60]; . Infobox 2:Walt[h]erBirkmayer; gestaltenden Zusammenspiel von Wissen- (. Abb. 4). schaft und Politik nach 19453 [ , S. 309]. DieLissabon-Affäreunddie Bei dem Nürnberger Ärzteprozess sa- Kontinuität der Eliten ßen keine Hochschulmediziner auf der Anklagebank, auch in den Folgejahren In der Publikation von Mitscherlich wurden sie nur selten vor Gerichten für und Mielke wurde aus dem Kreis der Verbrechen im Nationalsozialismus zur belasteten Neurologinnen und Neu- Rechenschaft gezogen. Den Wenigen, die rologen bzw. Hirnforscherinnen und in den fünfziger Jahren überhaupt vor Hirnforscher lediglich Julius Hallervor- Abb. 4 8 Walt(h)er Birkmayer (Bildquelle: [6, Gericht erscheinen mussten, wurde zu- den erwähnt, wobei aus dem Anklage- S. 160–191]) meist der sog. „Verbotsirrtum“ zugebil- Dokument L-170 zitiert wurde, wonach ligt. Den Ärzten wurde dabei zugestan- Hallervorden Organe von „Euthanasie“- Formulierung und Durchsetzung dieser den, sich über die Rechtswidrigkeit ihrer Opfern erhalten habe (vgl. den Beitrag Redewarenzwei(...)diskursiveTeilvor- Taten nicht bewusst gewesen zu sein. Ins- von Martin, Karenberg und Fangerau gänge: eine Entpersonalisierung des Ge- besondere in Fällen der Kinder-„Eutha- „Neurologie und Neurologen in der NS- schehens vor 1945 und eine Externalisie- nasie“ waren Justiz und Gesellschaft be- Zeit: Hirnforschung und Euthanasie“ rung der Verantwortung dafür danach“ reit, den Behauptungen der Angeklagten, in dieser Ausgabe von Der Nerven- [3, S. 325]. Diese Argumentationslinie ist für die Kinder „nur das Beste gewollt“ arzt). Sofort nach Bekanntwerden der in der neueren Forschung längst entkräf- zu haben, zu folgen. Zudem wurde sei- in Nürnberg erhobenen Anklagen hat- tet worden. Ash mahnt diesbezüglich: tens der Verteidigung immer wieder auf te Hallervorden bereits am 11.02.1946 Und wir wissen auch, dass diese Bezie- die juristische Konstruktion der „Pflich- an den Präsidenten des Internationalen hungsgeschichte als die Geschichte ei- tenkollision“ verwiesen, der zufolge sich Gerichtshofes geschrieben: die Angeklagten nicht gegen den Be-

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Mit dem Verfahren der Euthanasie habe zum anderen, eine Annahmepflicht der reits1954hattesicheineseparatepsychia- ich niemals das Geringste zu tun gehabt, Gehirne zu betonen. Das waren die bei- trische Fachgesellschaft als Nachfolgerin ich habe es stets verurteilt, und würde, den zentralen Argumentationslinien, auf des Deutschen Vereins für Psychiatrie, wenn ich damals noch Irrenarzt gewesen die sich auch andere Forscher beriefen. die Deutsche Gesellschaft für Psychia- wäre, mein Amt niedergelegt haben (zit. Damit wurde eine Separierung der „rei- trie und Neurologie (heute Deutsche Ge- nach [35, S. 46]). nen“Forscher von den Tätern ermöglicht sellschaft für Psychiatrie und Psychothe- und weitgehend akzeptiert. Gleichzeitig rapie, Psychosomatik und Nervenheil- Als die erste Fassung der Dokumenta- verschwand das Thema „Nationalsozia- kunde) formiert. Um dennoch einen in- tion von Mitscherlich und Mielke unter lismus“ zunehmend aus dem Blick der tensiven Austausch zwischen Neurolo- dem Titel „Das Diktat der Menschen- Öffentlichkeit bzw. wurde erfolgreich genundPsychiaternsowieangrenzen- verachtung“ 1947 erschien, wandte Hal- verdrängt. Die organisierte Ärzteschaft der Fachgebiete zu gewährleisten, wurde lervorden sich am 25.07.1947 in einem ihrerseits lenkte die Aufmerksamkeit im selben Jahr der Gesamtverband Deut- ausführlichen Brief an Mitscherlich. Da- auf andere Themen: Der 51. Deutsche scher Nervenärzte unter dem Vorsitz des rin heißt es u. a.: Ärztetag 1948 erklärte die Tätigkeit von Kölner Neurochirurgen Wilhelm Tönnis Mitscherlichs Kommission mit dem (1898–1978; . Abb. 5) gegründet [10]. In InIhremBuch(...)hattenSieesfürrich- Abdruck des Berichts für beendet, im der „sowjetisch besetzten Zone“ waren tig befunden, meiner zu erwähnen, und Mittelpunkt standen das Berufsrecht, ab 1947 erste Regionalgesellschaften für ich möchte mir dazu eine Bemerkung er- die Lage der Ärzteschaft sowie insbe- Psychiatrie und Neurologie entstanden, lauben. Die Tatsache, dass ich Gehirne sondere die ärztliche Versorgung der die 1956 zur Gesellschaft für Psychiatrie von Kranken untersucht habe, die durch Bevölkerung im Nachkriegsdeutschland und Neurologie in der DDR zusammen- das „Euthanasie“-Verfahren getötet wur- [25]. gefasst wurden [29]. den, trifft zu, ebenso auch ungefähr die Auf internationaler Ebene waren Zahlenangabe. Aber nach der Art der Standesvertreter offensichtlich ebenfalls Darstellung und in diesem Zusammen- Man unterschied den „reinen“ » bereit, einen „Schlussstrich“ unter die hang muss der Leser den Eindruck er- Forscher vom Täter Vergangenheit zu ziehen. Hallervorden halten, als ob ich mit diesem Verfahren nahm an Fachkongressen 1950 in Paris einverstanden gewesen sei, – und das war Das Weiterbestehen der im National- und 1952 in Rom (wo er auch ein Referat ganz und gar nicht der Fall. Ich hatte zu- sozialismus gegründeten „Gesellschaft hielt) teil. Als Hallervorden zum 5. Inter- erst nur gerüchteweise davon gehört und deutscher Neurologen und Psychia- nationalen Kongress für Neurologie in es nicht glauben wollen. Als ich dann spä- ter“ (GDNP) wurde nach Kriegsende Lissabon 1953 eingeladen wurde, gab es ter erfuhr, dass hier eine systematische gerichtlich bestätigt. Vorsitzender der erstmals Proteste, insbesondere seitens Aktion vorlag, war ich entsetzt und habe Neurologischen Abteilung blieb der seit der niederländischen Neurologen, die daraus keinen Hehl gemacht; wenn mir 1935 amtierende Heinrich Pette. Als sich explizit auf das Dokument L-170 dies in meiner Anstaltstätigkeit zugemutet im Oktober 1950 durch 38 Vertreter des Nürnberger Prozesses beriefen. Die worden wäre, hätte ich ihr wohl entsagt. der Neurologie, Psychiatrie, Neurochir- Niederländer drohten mit Boykott, falls Im Übrigen war durch Protest an den Tat- urgieundPathologiedie„Vereinigung Hallervorden teilnehme, und es entwi- sachen nichts zu ändern, wie Ihnen wohl Deutscher Neuropathologen“ gegrün- ckelte sich diesbezüglich eine heftige bekannt sein wird (...) Die Worte „auf det wurde, wählte man Hallervorden Kontroverse. Wunsch“ können zwar richtig verstanden zu ihrem Vorsitzenden. Zu den Grün- Die deutschen Kollegen unterstützten werden, nämlich als Ausdruck meines dungsmitgliedernzähltenu. a.auchSpatz Hallervorden. In der Fachzeitschrift Der Willens, das Material zu verwerten, aber und Schaltenbrand [36]. Im Jahr 1950 Nervenarzt publizierten im April 1953 der Leser, der doch von all diesem nichts gründeten Pette, Viktor von Weizsäcker die „Gesellschaft Deutscher Neurologen weiss, muss den Eindruck mitnehmen, als (Heidelberg), Georges Schaltenbrand und Psychiater“ und die „Deutsche Ge- ob ich den Tod dieser unglücklichen Op- (Würzburg), Paul Vogel (Heidelberg), sellschaft für Neurologie“ (jetzt unter fergewünschthätte(...)InderVornahme Oskar Gagel (Nürnberg), Hans Robert dem Vorsitzenden Schaltenbrand) eine dieser Untersuchungen eine Billigung oder Müller () und Gerhard Döring gemeinsame Erklärung, dass „alle Vor- gar Unterstützung der verbrecherischen (Hamburg) die „Deutsche Gesellschaft würfe gegen Herrn Hallervorden nicht Handlungen zu suchen, würde also nicht für Neurologie“ als Fortführung der zutreffen“und„dieGesellschaftsichohne den Tatsachen entsprechen (zit. nach [35, 15 Jahre zuvor aufgelösten Gesellschaft jede Einschränkung vor die Persönlich- S. 46 f.]). Deutscher Nervenärzte. Erster Vorsit- keit ihres anerkannten und geschätzten BiszumEndeder1940erJahrebestand zender wurde wieder Pette, der auch Mitgliedes“ stellt [54, S. 255]. Hallervordens Rechtfertigungsstrategie den ersten Kongress 1952 in Hamburg Hugo Spatz schrieb im Zusammen- im Kern darin, zum einen die Forschung leitete. hang mit der sog. „Lissabon-Affäre“ am an Opfergehirnen zuzugeben, da er sie ZunächstordnetesichdieneueGesell- 25.03.1953 an Leo Alexander: als legitim im Sinne eines wissenschaft- schaftnochunterdemDachderGDNP Es ist nicht wahr, dass Hallervorden die lichen Erkenntnisstrebens betrachtete, ein, die indes 1955 aufgelöst wurde. Be-

Der Nervenarzt hischen Menschenversuchen beruhten. Hinsichtlich der deutschen Hirnfor- schung ging es, etwa in der Zeitschrift The Lancet,insbesondereumdiePrä- parate von „Euthanasie“-Opfern ([39, zu Österreich s. [6]). Allerdings ver- stummten diese Diskussionen auch bald wieder und die Präparatesammlungen verschwanden in universitären Lager- räumen. Oder aber man verschleierte die Herkunft der Hirnschnitte, anhand derer weiterhin gelehrt und geforscht wurde. So war die umfangreiche Sammlung von Hirnpräparaten, die unter Hallervorden am Kaiser-Wilhelm-Institut für Hirn- forschung in Berlin-Buch entstanden war, noch während des Krieges mit dem Umzug des Instituts in das hessische 8 Abb. 6 Leo Alexander (Bildquelle: [23]) Dillenburg verbracht worden. Bei sei- Abb. 5 8 Wilhelm Tönnis (Bildquelle: [1,S.1–3]) nem Besuch dort hatte Leo Alexander da beide wieder in die Nähe der NS- (. Abb. 6) im Juni 1945 die Sammlung GehirnederEuthanasieopfer,wiebehaup- Euthanasie gerückt wurden“ [54, S. 253]. – die größte und bedeutendste ihrer Art tetwird,vonsichausangeforderthat. Hallervorden zog nach Kenntnisnah- weltweit mit über 110.000 Präparaten Wahr ist, dass sie ihm in seiner Eigen- me der niederländischen Vorhaltungen [46] – besichtigt und sie als intakt, zu- schaft als zuständiger Prosektor mehrerer seinenVortragzurückundauchSpatzsah gänglich und katalogisiert beschrieben Irrenanstalten zugewiesen wurden. Ich von einer Teilnahme ab. Auf nationaler (. Abb. 7). habe der Untersuchung der Gehirne aus Ebene blieben beide Forscher weiterhin Nach Kriegsende ging die Sammlung folgenden Gründen zugestimmt: hoch anerkannt. Hallervorden war seit andasneugegründeteMax-Planck-Insti- 1949 Abteilungsleiter beim Max-Planck- tut für Hirnforschung in Gießen, das spä- 1. Es war die einzige Kontrolle gegenüber Institut (MPI) für Hirnforschung in Gie- ter nach verlegt wurde. Haller- der Durchführung der Euthanasie-Aktio- ßen;1956wurde ermitdemGroßenBun- vorden, Spatz und andere bzw. deren Stu- nen,diewirdamalsschon(...)abgelehnt desverdienstkreuz ausgezeichnet. Spatz denten und Assistenten arbeiteten weiter haben. war von 1948 bis 1957 als Leiter des MPI mit den Präparaten, wobei letzteren de- für Hirnforschung in Gießen wieder der ren Herkunft in der Regel nicht bekannt 2. Die Verweigerung hätte die Existenz des unmittelbare Vorgesetzte von Hallervor- war. Als der Historiker Götz Aly 1983 Instituts bedroht. den [55]. 1952 erhielt er für hervorragen- die Sammlung einsehen wollte, antwor- de wissenschaftliche Arbeiten auf dem tete man ihm zunächst, man habe „von 3. Durch die Verweigerung wäre ein ein- Gebiet der Neurologie die Wilhelm-Erb- Herrn Professor Hallervorden weder Ge- maliges Gehirnmaterial vernichtet wor- GedenkmünzederDGN.Seit1975wurde hirne und Präparate noch Schriftstücke den und der Wissenschaft verloren gegan- dernachihmbenannteHugo-Spatz-Preis übernommen, die mit der ,Euthanasie‘- gen [35,S.47f.]. der Deutschen Gesellschaft für Neurolo- Aktion in Zusammenhang stehen“. Nach gie für hervorragende Forschungsergeb- einigem „Hin und Her“ ließ man ihn Das war die oben genannte Argumen- nisse auf dem Gebiet der Hirndurchblu- dann doch die schriftlichen Unterlagen tation,inderenMittelpunktdieBetonung tung und des Hirnstoffwechsels verge- der Sammlung sehen. „Die Akten wa- deswissenschaftlichenFortschrittsstand. ben. Nach Hinweisen eines designierten ren“, so Aly, „zum Teil später gesäubert Wenn Spatz indes von einer Kontrol- Preisträgers auf das Wirken von Spatz und die interessanteren verborgen wor- le hinsichtlich der „Euthanasie“ spricht, im NS wurde der Preis 1999 in Adolf- den (...) Kaum hatte ich die Akten in ergibt dies – wie Topp schlussfolgert – Wallenberg-Preis umbenannt [59]. der Hand, stieß ich auf Hunderte von nur dann einen Sinn, wenn es tatsäch- Schriftstücken, die durch ihre Numme- lich einen direkten Zusammenhang von Zum Umgang mit Präparaten rierung, die Art der Sektion, Todesort Diagnosestellung und Selektion der be- von „Euthanasie“-Opfern und Todesdatum, ohne Weiteres Opfern troffenenPatientengegebenhat(s. oben). der einschlägigen Mordaktionen zuzu- „Auch wenn Spatz den eigentlichen Sinn Zeitgleich zum Nürnberger Ärzteprozess ordnen waren“ [2, S. 139 f.]. seiner These verschwieg“, darauf weist 1946/1947 kam es zu einer international Tatsächlich hatten erste gut recher- Topp hin, „belastete er indirekt sich selbst geführten Debatte um den Umgang mit chierte Berichte gerade von Götz Aly und Hallervorden mit diesem Argument, Forschungsergebnissen, die auf unet- für großes Aufsehen gesorgt, wie Paul

Der Nervenarzt Leitthema

institutionell, über die politische Zäsur von 1945 hinweg thematisiert [54].

Zum Umgang mit Eponymen

Zu dieser Thematisierung gehört auch die Diskussion um „belastete“ Eponyme. EponymesindinderMedizinüblichund haben eine lange Tradition [60, 63]. Ins- besondere in den Vierteljahrhunderten vor und nach 1900 wurden zahllose Epo- Abb. 7 9 Präpara- tesammlung am nyme vergeben. Seit einigen Jahrzehnten Kaiser-Wilhelm-In- ist diese Praktik allerdings stark rückläu- stitut in Berlin-Buch fig und macht der Tendenz zu beschrei- (Bildquelle: [4]) bendenBezeichnungenoderAkronymen (ADHS, ALS etc.) Platz. Eponyme sind Weindling in einem Aufsatz zum Um- Nürnberger Erklärung des Deutschen TeilderProzesse,soderWissenschaftsso- gangmitanatomischenPräparateninden Ärztetages aus dem Jahr 2012 und ist der ziologeRobertMerton,dieinderWissen- Jahren 1988 bis 1992 beschreibt [57]. Sie bisherige Endpunkt einer Entwicklung, schaft Ruhm und Anerkennung signali- wurden von der Studentenschaft wie von die Sascha Topp als Übergang von der sieren. Häufig sind sie weit geläufiger – den Medien aufgegriffen, in internatio- „Externalisierung zur Internalisierung“ weil einfacher zu merken – als die da- nalenwissenschaftlichenPublikationsor- der NS-„Euthanasie“ in das Selbstbild hinterstehenden Syndrome. Auf der an- ganen wie Nature fanden Diskussionen der Gruppe beschrieben hat. Gemeint deren Seite ist oft zwar über das Epo- statt und es gab sogar politische Impli- ist damit der Wandel von der Fremd- nym der Name einer Krankheit und ihrer kationen bis hin zu einer Anfrage Israels zur Selbstzuschreibung historischer Ver- Entdecker/Beschreiber bekannt, der da- an den damaligen Bundeskanzler Hel- antwortung [54, S. 318 ff.]. Freiwillig zugehörige historische Hintergrund aber mut Kohl. Auch international angesehe- wurde in Medizinerkreisen nach dem nicht. Besondere Bedeutung kommt die- ne Wissenschaftler wie der Anatom Wil- Krieg die NS-Vergangenheit nicht the- sem Aspekt zu, wenn die mit einem Epo- liam E. Seidelman hatten sich für einen matisiert. Ließ sich dies nicht umgehen, nym geehrten Personen an verbrecheri- würdigen Umgang mit den Präparaten etwa durch Anstöße von außen, so fand schen oder unethischen Praktiken be- ausgesprochen und dies 1989 in einem eine marginale, oberflächliche Ausein- teiligt waren, etwa während des Natio- öffentlichen Aufruf publik gemacht [46]. andersetzung statt. Vereinzelt bestanden nalsozialismus. Ein aktueller Beitrag im Weindling verweist in diesem Zusam- kritische Haltungen von Mitgliedern der Journal of Clinical Neuroscience kommt menhang auf einen besonderen Aspekt: Gruppe, die aber eher ungern gesehen zudemSchluss,dieseBezeichnungensei- Die Max-Planck-Gesellschaft habe auf wurden. Hintergrund für die Abwehr- en „Names of infamy: Tainted eponyms“ internationalen Druck eine schnelle Bei- haltung war das Interesse am Ansehen [56]. setzung der Präparate in die Wege gelei- der Gruppe. Die zentralen Strategien FürdenUmgangmit„belasteten“Epo- tet, wodurch die Rekonstruktion der Op- bestanden in der Ausklammerung einer nymeninderMedizinfindensichim feridentitäten zu einem erheblichen Teil Mitverantwortung an den Verbrechen Wesentlichen drei Argumentationslini- verhindert wurde [57]. Laut Aly hatte der sowie die Betonung des Selbstbildes der en. Die erste verlangt die Abschaffung al- damalige Direktor Wolf Singer geäußert: weitgehend unpolitischen Wissenschaft- lerEponyme,worunterdamitgegebenen- „Man weiß gar nicht, was man alles im ler, die durch politische Instanzen zu falls auch „Opfer“-Eponyme fielen. Die Keller hat“ [2, S. 131]. In einer aktuellen bestimmten Maßnahmen gezwungen zweite fordert die Abschaffung der „Tä- Stellungnahme heißt es diesbezüglich, in wurden. Ausgelöst durch externe Fak- ter“-Eponyme, was eine „Bereinigung“ den 1980er Jahren „entdeckte“ die neue toren (Skandale, politisch-gesellschaftli- der Geschichte bedeuten würde und zu- Generation von Max-Planck-Direktoren ches Klima, vgl. oben) veränderte sich demdasProblemder„Grauzone“mitsich deren Existenz dank der Forschungen auch die Haltung innerhalb der Gruppe: brächte, denn häufig lassen sich Perso- von externen Historikern. Diese Hirn- protektionistische Beharrungstendenzen nen nicht eindeutig der einen oder ande- schnitte wurden 1990 in einer offiziel- schwächten sich ab, kritische Positionen ren Seite zuordnen. Drittens wird für die len Zeremonie auf dem Waldfriedhof in und Forschungen wurden zunehmend Beibehaltung des Jetztzustandes plädiert, München beerdigt, wo die Max-Planck- akzeptiert bzw. gefördert. Es kam zu verbunden mit einer verstärkten Aufklä- Gesellschaft ein Mahnmal zum Geden- Identifikationen mit verfolgten Kolle- rung und Betonung des historischen Ur- ken an die Opfer errichtete [28, 45]. gen. Der Blick richtete sich auch auf die sprungs bzw. einer medizinhistorischen Eine derartiger Versuch, „umfassende Opfer und es wurden jetzt auch Kon- bzw. -ethischen Kontextualisierung. Eine Transparenz“ herzustellen, zielt in Rich- tinuitäten im Denken, personell und ähnliche Problematik ergibt sich bei der tung der eingangs des Kapitels zitierten späteren Verwertung wissenschaftlicher

Der Nervenarzt Infobox 3 Hans-Gerhard Creutzfeldt (1885–1964) Studium der Medizin in Jena, Rostock und ; 1909 Promotion. Im Jahr 1920 habilitierte er sich in Kiel und arbeitete als erster Assistenzarzt an der dortigen „Psychiatrischen und Nervenklinik“. Im gleichen Jahr und kurz vor dem Hamburger Neurologen beschrieb er die nach beiden benannte Erkrankung. 1924 wechselte er als erster Oberassistenzarzt an die Berliner Charité zu Karl Bonhoeffer und leitete das dortige hirnanatomische Laboratorium; im folgenden Jahr wurde er zum außerordentlichen Professor ernannt. 1938 wurde Creutzfeldt auf den Kieler Lehrstuhl für Neurologie und Psychiatrie berufen und übernahm gleichzeitig die Leitung der dortigen Nervenklinik, die er bis 1954 innehatte. Creutzfeldt trat nie der NSDAP bei. Seine politische Haltung wird als „reserviert, aber nicht unterschiedslos ablehnend“ beschrieben, er galt als „deutsch-national“.Er war als Anwärter des Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebundes registriert sowie förderndes Mitglied der SS und stellvertretender ärztlicher Beisitzer im Erbgesundheitsobergericht Berlin. Seine Haltung zu den NS-Verbrechen gegen psychisch Kranke ist zwiespältig. Er lehnte Zwangssterilisationenin Pflichtgutachtennicht grundsätzlich ab und nahm in Kauf, dass chronisch Kranken, wenn sie zur Langzeitbehandlung unvermeidbar in Landeskrankenhäuser verlegt wurden, nach dem NS-„Euthanasieprogramm“ die Überführung in Tötungsanstalten drohte. Tatsächlich wurden von 605 aus seiner Klinik verlegten Patienten 135 deportiert, davon sind nachweislich 65, wahrscheinlich aber mehr als 100 Opfer der Krankenmorde geworden. Er selbst sei, wie er in einem Brief vom 30.10.1945 schrieb, „ein entschiedener Gegner der Irrenmorde“ gewesen, habe dies auch in seinen „Vorlesungen zum Ausdruck gebracht“ und „in engeren und weiteren Kreisen aus diesem Standpunkt keinen Hehl gemacht.“ Nach dem Krieg enttarnte Creutzfeldt 1954 gegenüber Behördenkreisen den in Schleswig-Holstein unter dem falschen Namen „Dr. Fritz Sawade“ als Gerichtsgutachter arbeitenden, ehemaligen medizinischen Leiter des „Euthanasie“-Programms Werner Heyde (1902–1964). Der Gerichtspräsident reichte Creutzfeldt das Schreiben zurück, ohne gegen Heyde vorzugehen. Letztlich schreckte Creutzfeldt davor zurück, gegen Heyde polizeilich Anzeige zu erstatten. Literatur: [18, 61, 62].

ner dreiteiligen Aufsatzserie zu „Neuros- Wegen der Rolle Hallervordens wäh- cience in Nazi Europe“ nicht immer zu rend der NS-Zeit [20, 24] ist erstmals eindeutigen Urteilen [64–66]. Kondziella im Jahr 2003 von Shevell vorgeschlagen hat in einem Überblick zu dreißig neu- worden, die Erkrankung (basierend auf rologischen Eponymen „associated with ihrem Pathomechanismus) als Pantothe- the Nazi Era“ publiziert [27]. Diese Wort- natkinase-assoziierte Degeneration oder wahl offenbart, dass auch er sich über als Neurodegeneration mit Eisenablage- die Schwierigkeiten im Klaren ist: Im rung im Gehirn (engl. NBIA-Syndrom Text unterscheidet er u. a. Täter, Kolla- – „neurodegeneration with brain iron borateure, Opfer, Emigranten oder Per- accumulation“) zu bezeichnen [49]. Der sonen mit „ambivalenten Rollen“. Julius Begriff setzt sich in den letzten Jahren Hallervorden (Spatz wird fast nie eigens immer mehr durch bzw. es finden sich thematisiert) wird in allen Beiträgen zur Formen wie „NBIA (obsolet: Hallervor- Problematik der Eponyme als besonders den-Spatz-Syndrom)“ [50]. eindringliches Beispiel für einen Täter angeführt (. Abb. 9). » Der Begriff „NBIA“ setzt sich immer mehr durch Hallervorden-Spatz-Syndrom

Das „Hallervorden-Spatz-Syndrom“ ist Leo Alexander hatte bereits 1949 im eine seltene neurodegenerative Erkran- renommierten New England Journal of Abb. 8 8 Hans-Gerhard Creutzfeldt (Bildquelle: kung mit Eisenablagerungen im Gehirn, Medicine über den unethischen Umgang [5]) die erstmals 1922 von Julius Haller- Hallervordens mit Gehirnen von „Eutha- vorden und Hugo Spatz beschrieben nasie“-Opfern berichtet (s. oben). Eben- Ergebnissen bzw. Publikationen, die das wurde. Basis für ihre Forschung waren so wurde international über Hallervor- Resultat unethischer Forschung darstel- Kinder, bei denen nach ihrem Tod Ei- den diskutiert anlässlich des Nürnberger len [11]. senspeicherungen im Globus pallidus Ärzteprozesses bzw. der „Lissabon-Af- Eine von unterschiedlichen Autoren und in der Substantia nigra zusammen färe“ 1953 (s. oben). Doch offensichtlich vorgenommene Einordnung in Katego- mit einer neuronalen Degeneration ge- wollte man, so Harper in seiner Analyse, rien wie Täter, Opfer, Protestierer [53] funden werden konnten [19]. Obwohl die Verbrechen vergessen und neu anfan- erscheint nicht zielführend, da eindeuti- seiteinigenJahrenhochumstritten, gen. In den einschlägigen Handbüchern ge Zuordnungen nicht zu gewährleisten hält sich das Eponym bis heute unter [13, 30] finden sich Einträge zum Haller- sind. So wird beispielsweise Creutzfeld „G23.0 Hallervorden-Spatz-Syndrom: vorden-Spatz-Syndrom, allerdings ohne einmal als Protestierer [53], ein anderes Pigmentdegeneration des Pallidums“ in jeden Hinweis auf deren Rolle während Mal als „ambivalent“ [27]eingeschätzt der international maßgeblichen Klassi- des Nationalsozialismus [21]. In dem (. Infobox 3: Hans-Gerhard Creutzfeldt; fikation ICD-10 (Version 2013). fachbezogenen Standardwerk „Neurolo- . Abb. 8). Auch Zeidman kommt in sei-

Der Nervenarzt Leitthema

auf den ethischen und historischen Hin- Korrespondenzadresse tergrund des Eponyms. Dabei konnten sie einen absteigenden Trend feststellen: Prof. Dr. A. Karenberg von 87,5 % aller Aufsätze der Jahre 1990 Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, bis 1999 auf 43,4 % in den Jahren 2000 Universität zu Köln bis 2010 [50, 67]. Die Autoren stellen Joseph-Stelzmann-Straße 20, 50931 Köln, Deutschland indes die berechtigte Frage, warum es [email protected] so lange bis zu einer Wahrnehmung der SchwierigkeitderEhrungderbeidenFor- scher durch ein Eponym gedauert hat, Einhaltung ethischer Richtlinien insbesondere angesichts der seit langem bekannten Rolle Hallervordens während Interessenkonflikt. M.Martin,H.Fangerauun- der NS-Zeit. dA. Karenberg geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Eponyme dürfen nicht Dieser Beitrag beinhaltet keine von den Autoren » durchgeführten Studien an Menschen oder Tieren. unreflektiert benutzt werden Abb. 9 8 Hugo Spatz mit Hirnpräparat (Bild- The supplement containing this article is not sponso- quelle: [22]) red by industry. Auch wenn Hallervorden und Spatz ihre neuropathologische Beschreibung schon gical Eponyms“ sucht man die Namen Anfang der 1920er Jahre publizierten, Literatur Hallervorden und Spatz vergeblich [26]. bleibt ihre Ehrung im Eponym angesichts Die erst allmählich einsetzende Dis- ihresweiterenWirkensim Nationalsozia- 1. SchürmannK,PertuisetB (1979)ObituaryWilhelm Tönnis,1898–1978.ActaNeurochir46(1):1–3 kussion über die Eponyme verlief analog lismus problematisch. Gerade weil die 2. Aly G (2013) Die Belasteten. „Euthanasie“ zu den allgemeinen Veränderungen in Vergabe von Eponymen in der Medi- 1939–1945. Eine Gesellschaftsgeschichte. Fischer, der „Vergangenheitsbewältigung“. She- zin traditionell mit Reputation verbun- FrankfurtamMain 3. Ash MG (2014) Ressourcenaustausche. Die KWG vells Artikel „Racial hygiene, active den wurde, so lässt sich die Forschungs- und MPG in politischen Umbruchzeiten – 1918, euthanasia, and Julius Hallervorden“ literatur der letzten Jahre zusammenfas- 1933, 1945, 1990. In: Hoffmann D, Kolboske B, aus dem Jahr 1992 [48]folgtenzahl- sen, dürfen sie nicht unreflektiert benutzt RennJ(Hrsg)„DemAnwendenmussdasErkennen vorausgehen“. Auf dem Weg zu einer Geschichte reiche weitere Beiträge zu Hallervorden werden. Eine komplette Streichung aller der Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft. in der internationalen Literatur. Harper wieaucheineselektiveStreichungvon EditionOpenAccess,Berlin,S281–314 hat bereits 1996 in einem Aufsatz für Tätereponymen wäre allerdings ahisto- 4. Bielka H (2002) Geschichte der Medizinisch- BiologischenInstituteBerlin,2.,überarbeiteteund The Lancet unter dem Titel „Naming of risch – und zwar unabhängig von den be- erweiterteAuflage.Springer,Berlin syndromes and unethical activities: the schriebenen Schwierigkeiten, die damit 5. Wolf JH, Foley P (2005) Hans Gerhard Creutzfeldt case of Hallervorden and Spatz“ explizit verbunden sind. In diesem Sinne schreibt (1885–1964): a life in neuropathology. J Neural Transm112(8):I–XCVII die Thematik angesprochen21 [ ]. She- Shevell: 6. Czech H (2014) Abusive medical practices on vell und Peiffer wollen die Verdienste “euthanasia” victims in Austria during and after Eponyms represent a means of convey- Hallervordens nicht abstreiten („Julius World War II. In: Rubenfeld S, Benedict S (Hrsg) ing honor and immortality to practitio- Human Subjects Research after the Holocaust. Hallervorden’s important contribution ners(...)weasphysiciansarenotaprofes- Springer,Chamu.a.,S109–125 to the practice of neuropathology over 7. Czech H, Zeidman LA (2014) Walther Birkmayer, sion given to honouring mass murderers. a long career cannot be underestima- Co-describer of L-Dopa, and his Nazi connections: The time has come to abandon the term victimorperpetrator.JHistNeurosci23:160–191 ted“.).Sie verweisen aber auf dessen Nähe “Hallervorden-Spatz-syndrome” [49]. 8. Deutscher Ärztetag Nürnberger Erklärung zur „Euthanasie“ sowie die Tatsache, dass 2012. http://www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/ er bis weit in die Nachkriegszeit hinein Aber die Namen und damit die Ta- Soziale_Verantwortung/Appell_Deutscher_ Aerztetag_2012.pdf.Zugegriffen:15.Juli2015 wissenschaftliche Publikationen auf der ten ihrer Träger einfach zu streichen, er- 9. Ebbinghaus A, Dörner K (Hrsg) (2001) Vernichten Basis von Hirnpräparaten von Opfern scheint nicht als probate Lösung. Letzt- und Heilen. Der Nürnberger Ärzteprozess und verfasst hat [51]. Ähnlich argumentiert lich kann man nur jenen Autoren zu- seineFolgen.AufbauTaschenbuch,Berlin 10. Eisenberg U (2007) Zwischen Emanzipation und Franklin G. Miller, der am Beispiel Hal- stimmen, die den eingangs beschriebe- Integration. Neurologie im geteilten Deutschland lervordens das Thema „Research and nen dritten Weg im Umgang mit den (1945–1990). In: Kömpf D (Hrsg) 100 Jahre complicity“ erläutert hat [31]. Eponymen propagieren: die Verbindung Deutsche Gesellschaft für Neurologie. DGN, Berlin, S48–54 Zeidman und Pandey haben den Ge- von alter und neuer Bezeichnung. Da- 11. Fangerau H,KrischelM(2011)DerWertdesLebens brauch der „unqualifizierten“ Bezeich- mit wird klar signalisiert, dass in diesen und das Schweigen der Opfer. Zum Umgang mit nung „Hallervorden-Spatz-Disease“ an- Fällen eine Beschäftigung mit den histo- den Opfern nationalsozialistischer Verfolgung in der Medizinhistoriographie. In: Westermann hand einer Medline-Analyse für die Jahre rischen Zusammenhängen dringend an- S, Kühl R, Ohnhäuser T (Hrsg) NS-„Euthanasie“ 1990 bis 2010 quantifiziert. „Unqualifi- gezeigt ist. und Erinnerung. Vergangenheitsaufarbeitung – ziert“ meint dabei: ohne jeden Hinweis

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