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DEUTSCHE ZENTREN DZG DER GESUNDHEITSFORSCHUNG

Die Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung Gebündelte Erforschung von Volkskrankheiten Impressum

Herausgeber Bildnachweis Bundesministerium Seiten 2, 3, 8, 10, 16, 21, 26, 32, 33, 34, 39: Thinkstock.com; Seiten 4, 24: PT DLR/BMBF; für Bildung und Forschung (BMBF) Seiten 5, 10, 14, 18, 27, 28, 36: Fotolia.com; Seiten 9, 10, 28: istockphoto.com; Referat Lebenswissenschaftliche Forschungseinrichtungen Seiten 12, 15, 22: sciencephoto.com; Seite 20: Universitätsklinikum Heidelberg, 11055 Heidelberger Ionenstrahl-Therapiezentrum; Seite 30: Deutsches Zentrum für Diabetesforschung e.V.; Seite 38: dreamstime.com; Seite 39: Werner Forssmann: Bestellungen The Nobel Foundation, nobelprize.org; Cholera-Expedition Robert Koch, Emil schriftlich an den Herausgeber Adolf von Behring: Wikimedia Commons, wikipedia.org; Seite 40: Paul Ehrlich: Postfach 30 02 35 Wikimedia Commons, wikipedia.org; Gerhard Domag: vor 1964, Diario La Razon, 53182 Bonn número aniversario „75 Años“ editado en 1980, en Buenos Aires, Argentina, oder per Wikimedia Commons, wikipedia.org; Myco bacterium tuberculosis-Kultur: Tel.: 01805 – 262 302 CDC/Dr. George Kubica, Wikimedia Commons, wikipedia.org; Ernst Ferdinand Fax: 01805 – 262 303 Sauerbruch: Deutsches Bundesarchiv (German Federal Archive) Bild 183-R45871 / (Festnetzpreis 14 ct/min., höchstens 42 ct/min. aus Mobilfunknetzen) CC-BY-SA, Wikimedia Commons, wikipedia.org; Rudolf Virchow: Wikimedia E-Mail: [email protected] Commons, wikipedia.org; Seite 41: Langerhans-Insel: User Masur, Wikimedia Internet: www.bmbf.de Commons, wikipedia.org; Prof. Harald zur Hausen: Deutsches Krebsforschungs- zentrum in der Helmholtz-Gemeinschaft; Seite 42: Alois Alzheimer: Wikimedia Redaktion Commons, wikipedia.org; Alzheimer-Plaques: User KGH, Creative Commons- Projektträger im DLR, Gesundheitsforschung Lizenz, wikipedia.org; Hans-Gerhard Creutzfeldt, Hans Berger: Wikimedia Commons, wikipedia.org Autor Philipp Grätzel von Grätz

Gestaltung wbpr Public Relations GmbH

Druckerei Möller Druck und Verlag GmbH

Bonn, Berlin 2011

Gedruckt auf Recyclingpapier DEUTSCHE ZENTREN DZG DER GESUNDHEITSFORSCHUNG

Die Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung Gebündelte Erforschung von Volkskrankheiten

GElEItwoRt

Immer mehr Menschen können heute gesund dringend neue Methoden zur Prävention, Diag- und selbstbestimmt leben und alt werden. Das nose und Therapie. Dies stellt die biomedizinische verdanken wir vielen großen Durchbrüchen in Forschung ebenso wie die klinische Forschung und der Forschung und damit verbundenen wichtigen die Patientenversorgung vor neue Herausforde- Verbesserungen in Diagnose und Therapie. Bei- rungen. spielsweise können heute mittels eines einfachen Bluttests Herzinfarkte schnell und einfach diag- Die Deutschen Zentren der Gesundheitsfor- nostiziert werden. Das ist die Voraussetzung für schung stellen sich diesen Herausforderungen. eine erfolgreiche Behandlung. Die Sterblichkeit Sie sind das Herzstück des Ende 2010 von der Bun- von Infarktpatienten wurde so um rund ein Drittel desregierung beschlossenen Rahmenprogramms gesenkt. Auch Patienten mit einem Tumor an der „Gesundheitsforschung“ und sollen die Gesund- Schädelbasis hatten noch vor wenigen Jahren nur heitsforschung in Deutschland weiter entwickeln geringe Chancen auf Heilung. Durch die Ionen- und zukunftsfähig machen. Insgesamt wird es therapie liegt sie heute bei 70 bis 90 Prozent. Trotz sechs dieser Zentren geben, die nach Abschluss der solch hervorragender Entwicklungen müssen wir Aufbauphase jedes Jahr mit insgesamt mehr als weiter intensiv forschen. 200 Millionen Euro gefördert werden. Zwei Deut- sche Zentren der Gesundheitsforschung arbeiten Die Häufigkeit von klassischen Alterserkran- bereits seit 2009: das Deutsche Zentrum für Neuro- kungen wie der Demenz, aber auch von Schlag- degenerative Erkrankungen (DZNE) und das Deut- anfällen, Osteoporose, Herz-Kreislauf-Erkrankun- sche Zentrum für Diabetesforschung (DZD). Vier gen, Diabetes und nicht zuletzt von zahlreichen weitere Zentren sollen im Jahr 2011 ihre Arbeit auf- Krebserkrankungen wird in den nächsten Jahren nehmen: das Deutsche Zentrum für Herz-Kreis- zunehmen. Denn die Bevölkerung wird immer lauf-Forschung (DZHK), das Deutsche Zentrum für älter. Hochrechnungen zufolge wird in Deutsch- Infektionsforschung (DZIF), das Deutsche Zentrum land im Jahr 2050 jeder Dritte 65 Jahre oder älter für Lungenforschung (DZL) und das Deutsche Kon- sein. Angesichts dieser Entwicklung brauchen wir sortium für Translationale Krebsforschung (DKTK). Geleitwort

Biomedizinische Forschung findet in Deutsch- Die Förderung der translationalen Forschung land einerseits an den 36 medizinischen Fakultä- in der einrichtungsübergreifenden Zentrenstruk- ten mit den dazugehörigen Universitätskliniken, tur ist weltweit einzigartig. Viele Länder verfolgen andererseits an den rund 90 außeruniversitä- mit Interesse, wie sich die deutsche Forschung in ren Forschungseinrichtungen statt, die sich auch diesem Feld neu aufstellt. Damit eröffnen die Deut- oder ausschließlich mit der Gesundheitsfor- schen Zentren der Gesundheitsforschung auch schung beschäftigen. Die Gesundheitsforschung neue Möglichkeiten, sich besser in internationale in Deutschland gehört zu den leistungsfähigsten Zusammenhänge einzubringen. weltweit. Deutsche Forscherinnen und Forscher sind wichtige Partner in internationalen Projekten. Mit den Deutschen Zentren der Gesundheits- Immer wieder werden sie mit angesehenen For- forschung ist ein neues Förderkonzept verbunden. schungspreisen ausgezeichnet. Um neue Ergebnisse der Grundlagenforschung in den Kliniken zu etablieren, braucht es Zeit. Das Diese Kompetenz ist eine der Stärken der deut- erfordert eine langfristige Förderperspektive, die schen Gesundheitsforschung. Die große Aufgabe nur im Rahmen der institutionellen Förderung besteht nun darin, diese Kräfte zu bündeln. An den realisierbar ist. Dabei wird der Bund 90 Prozent der Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung Mittel bereitstellen, die beteiligten Bundesländer beteiligen sich deshalb die besten Wissenschaft- 10 Prozent. Daneben bleibt die projektbezogene lerinnen und Wissenschaftler der Universitäten Förderung der Gesundheitsforschung erhalten. mit ihren Universitätskliniken, der Max-Planck- Gesellschaft, der Helmholtz-Gemeinschaft, der Die Zentren strukturieren nicht nur die Förder- Leibniz-Gemeinschaft, der Fraunhofer-Gesellschaft landschaft neu. Sie stärken auch die Gesundheits- und der Ressortforschungseinrichtungen. Univer- forschung sowohl qualitativ als auch quantitativ. sitäre und außeruniversitäre Gesundheitsforscher Zwischen 2011 und 2014 stellt das BMBF insgesamt arbeiten eng zusammen, ohne die Autonomie der 5,5 Milliarden Euro für die Förderung der Gesund- einzelnen Einrichtungen zu beschneiden. heitsforschung in Deutschland zur Verfügung. Diese Investition wird sich medizinisch und auch Die Deutschen Zentren sind deshalb dezent- volkswirtschaftlich rechnen. Denn eine bessere ral aufgebaut. Sie haben mehrere Standorte, die Prävention und Therapie von Krankheiten erhöht entlang gemeinsamer Forschungsprogramme nicht nur die Lebensqualität und die Lebenserwar- und Projekte kooperieren und hierfür ihre Stär- tung der Patienten, dadurch lassen sich langfristig ken zusammenführen. Starre Grenzen zwischen auch zusätzliche finanzielle Belastungen für jeden Institutionen werden überwunden. Alle beteilig- Einzelnen und für das gesamte Gesundheitswesen ten Partner und Einrichtungen wirken dabei auf vermeiden. gleicher Augenhöhe im Geiste guter Kooperation zusammen. Innovative Forschungsergebnisse der Gerade weil die Deutschen Zentren der Gesund- biomedizinischen Grundlagenforschung werden heitsforschung auf Dauer angelegt sind, sind sie so schneller in relevante präventive, diagnostische auch in der Lage, auf veränderte Rahmenbedin- und therapeutische Maßnahmen überführt. Es gilt: gungen – sei es nun in der Gesundheitsforschung Neues Wissen muss möglichst schnell in die ärztli- oder im Gesundheitsbereich – dynamisch zu che Praxis gelangen. reagieren. Neuen Entwicklungen und Herausfor- derungen kann sowohl durch veränderte Schwer- Die Gesundheitsforschungszentren schaffen die punktsetzung in der Forschung als auch durch Voraussetzungen, um Volkskrankheiten aus neuen neue Standorte Rechnung getragen werden. und ganz verschiedenen Blickwinkeln zu betrach- ten. So können Lücken in der Forschungskette bis Um zu gewährleisten, dass die Zentren an der hin zur wirtschaftlichen Verwertung geschlossen Spitze des wissenschaftlichen Fortschritts arbei- werden. Der Weg vom Forschungsergebnis bis zur ten, begleiten hochrangige, international besetzte Anwendung beim Patienten wird verkürzt. Dies Beratergremien ihre Arbeit. Diese internationalen bedeutet konkret: Das krankheitsbedingte Leid Expertinnen und Experten spielen eine entschei- vieler Menschen wird spürbar gelindert. dende Rolle bei der Sicherung der Qualität der Geleitwort

jeweiligen Forschungsprogramme. In regelmäßi- gen Abständen werden die Zentren zudem durch ein externes und ebenfalls international besetztes Gutachtergremium evaluiert. Dies geschieht im Blick auf die wissenschaftliche Exzellenz und die strategischen Ziele.

Bereits während der Aufbauphase der Zentren soll die Priorität auf die wirtschaftliche Verwer- tung von Forschungsergebnissen und die Koope- rationen mit Unternehmen der Gesundheitsbran- che gesetzt werden. Neue diagnostische Verfahren oder therapeutische Ansätze müssen breit gestreut werden, um ihre volle Wirksamkeit entfalten zu können. Eine effiziente translationale Forschung erfordert deshalb auch die Einbindung privater Unternehmen. Die Voraussetzungen dafür sind in Deutschland mit seiner leistungsfähigen Gesund- heitswirtschaft sehr günstig.

Mit den Deutschen Zentren der Gesundheits- forschung bilden wir neue Forschungsstrukturen, um die wichtigsten Volkskrankheiten wirksamer bekämpfen zu können. Damit wird die Gesund- heitsforschung in Deutschland noch attraktiver für die besten Forscherinnen und Forscher aus dem In- und Ausland. Und sie lässt für viele Bürgerinnen und Bürger den Wunsch Wirklichkeit werden, ein langes erfülltes Leben in Gesundheit zu führen.

Prof. Dr. Annette Schavan, MdB Bundesministerin für Bildung und Forschung

Die Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung

Die Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung

Deutsches Zentrum für Deutsches Konsortium für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) Translationale Krebsforschung (DKTK)

Deutsches Zentrum für Deutsches Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) Diabetesforschung (DZD)

Deutsches Zentrum für Deutsches Zentrum für Lungenforschung (DZL) Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE)

Inhalt 1

Inhalt

Herz-Kreislauf-Forschung Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Unfälle auf den Hauptverkehrsstraßen des Körpers ...... 2 Das Deutsche Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung ...... 5

Infektionsforschung Infektionserkrankungen: Alles andere als ein Problem von gestern ...... 8 Das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung ...... 11 lungenforschung Lungenerkrankungen: Probleme an der Grenze zwischen Blut und Luft ...... 14 Das Deutsche Zentrum für Lungenforschung ...... 17

Krebsforschung Krebserkrankungen: Auf dem Weg zur personalisierten Onkologie ...... 20 Das Deutsche Konsortium für Translationale Krebsforschung ...... 23

Diabetesforschung Diabetes: Der Zucker spielt verrückt ...... 26 Das Deutsche Zentrum für Diabetesforschung ...... 29 neurodegenerative Erkrankungen Neurodegenerative Erkrankungen: Massensterben im Gehirn ...... 32 Das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen ...... 35 was früher war ...... 38 2 HERZ-KREIslAuF-FoRscHunG Herz-Kreislauf-Forschung 3

Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Unfälle auf den Hauptverkehrsstraßen des Körpers

„Das Herz ist der schlüssel der welt und des lebens“, schrieb novalis 1798 in den teplitzer Fragmenten. In der modernen biomedizinischen Forschung ist das Herz zwar nicht mehr so metaphorisch aufgeladen. Als Zentralorgan des Herz-Kreislauf-systems nimmt es aber weiterhin eine herausgehobene stellung ein. Herz-Kreislauf-Erkrankungen, wie etwa die koronare Herz- erkrankung, stehen ganz oben in den Krankheitsstatistiken. Die Forschung zu Herz-Kreislauf- Erkrankungen ist deswegen ein zentrales Betätigungsfeld der biomedizinischen wissenschaft.

Herz-Kreislauf-Erkran- kungen liegen in vielen statistiken vorn Das Herz-Kreislauf-System funktioniert so gut, dass der Menschheit bis ins 17. Jahr- hundert hinein gar nicht klar war, dass es so etwas wie einen Blutkreislauf überhaupt gibt. Heute wissen wir, dass Herz und Blutkreislauf mit zuneh- mendem Alter und speziell bei körperlich passiver Lebens- weise sehr wohl Schwierigkei- ten machen können. In der glo- balen Todesursachenstatistik der WHO stehen zwei wich- tige Herz-Kreislauf-Erkrankun- gen, die koronare Herzerkran- kung und die zerebrovaskuläre Gefäßerkrankung, mit insge- Das Herz als Pumpe: Ausdauernd samt 13 Millionen Todesfällen auf den Plätzen eins und wartungsfrei und zwei. Auch in Deutschland stehen die Herz- Kreislauf-Erkrankungen bei den Todesursachen an Rein funktional betrachtet ist das Herz eine Pumpe, erster Stelle. Etwa vier von zehn Todesfällen gehen die in jeder Minute vier bis sechs Liter Blut durch darauf zurück, mehr als 350.000 pro Jahr. Daten des den Kreislauf befördert. Das sind rund 7.000 Liter Statistischen Bundesamts zufolge war im Jahr 2008 am Tag. Um das zu schaffen, schlägt das Herz etwa jede siebte Entlassdiagnose in deutschen Kranken- 60 bis 90 Mal pro Minute – ein ganzes Leben lang. häusern eine Herz-Kreislauf-Erkrankung. Auch das lässt sich hochrechnen: Rund drei Milli- arden Herzschläge hat ein achtzigjähriger Mensch Die häufigsten Herz-Kreislauf-Erkrankungen am Ende seines Lebens hinter sich. Jeder Herzschlag pumpt das Blut in ein weit verzweigtes System aus Das Spektrum der Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist Blutgefäßen, die die Organe mit Sauerstoff und breit. Zu den wichtigsten Erkrankungen gehört die Nährstoffen versorgen. Diese Arterien und Venen Atherosklerose, die „Verkalkung“ der Blutgefäße. Sie hätten bei einem Menschen mit durchschnittlicher kommt an unterschiedlichen Stellen vor. Ist das Herz Körpergröße eine Gesamtlänge von rund 100.000 betroffen, reden Fachleute von koronarer Herzer- Kilometern, wenn sie einfach hintereinander krankung. Am Bein wird von peripherer arterieller gelegt würden. Verschlusskrankheit und im Gehirn von zerebrovas- kulärer Gefäßerkrankung gesprochen. Die Orte sind 4 Herz-Kreislauf-Forschung

unterschiedlich, die Folgen überall ähnlich: Gefäß- veränderungen führen zu Durchblutungsstörungen an den betreffenden Organen. Im schlimmsten Fall kommt der Blutfluss zeitweilig komplett zum Still- stand. Das Resultat ist im Gehirn ein Schlaganfall, am Herzen ein Herzinfarkt und am Bein ein Geschwür, das eine Amputation nach sich ziehen kann.

Außer den atherosklerotischen Gefäßerkran- kungen gibt es noch zahlreiche andere Herz-Kreis- lauf-Erkrankungen. Aus einer Infektion mit Viren kann sich beispielsweise eine Entzündung des Her- zens entwickeln, eine Myokarditis. Sie macht sich für Betroffene durch Herzstolpern und Luftnot bemerkbar. Genetische Faktoren können dazu füh- ren, dass das Herz sich im Laufe des Lebens struktu- rell verändert und nicht mehr optimal pumpt. Eine solche „Herzinsuffizienz“ kann auch die Folge vie- ler anderer Herz-Kreislauf-Erkrankungen sein. Vor allem dank der Entwicklung moderner Katheterverfahren hat die Herz-Kreislauf-Medizin enorme Fortschritte gemacht. Die häufigste Herz-Kreislauf-Erkrankung ist der Bluthochdruck, einer der wichtigsten Ansatzpunkte für die kardiovaskuläre Prävention. Circa 20 Millio- Um das Problem der Herz-Kreislauf-Erkran- nen Menschen sind in Deutschland davon betroffen. kungen in den Griff zu bekommen, ist es im Sinne Ein über Jahre hinweg hoher Blutdruck kann für der Prävention außerdem wichtig, Patientinnen fast alle Organe schwerwiegende Folgen haben: Das und Patienten mit erhöhtem Risiko früh zu erken- Risiko von Herzinfarkten und Schlaganfällen steigt. nen und durch gesundheitsbewusstes Verhalten Die Niere kann versagen. Und bluthochdruckbe- dazu beizutragen, dass die Erkrankungen glimpf- dingte Blutgefäßschädigungen im Auge können lich ablaufen oder gar nicht erst auftreten. Auch bis zur Erblindung führen. hier gibt es eine ganze Reihe von Fragen, die die Forschung noch klären muss: Können genetische Prävention und therapie als Besonderheiten dazu genutzt werden, Patientin- Herausforderung für die Forschung nen und Patienten mit einem erhöhten Risiko zu identifizieren? Ist es möglich, mit moderner Bild- Die Grundlagenforschung und die klinische Wis- gebung Veränderungen am Herzen oder an den senschaft haben auf dem Gebiet der Herz-Kreislauf- Blutgefäßen früh zu erkennen und damit zeitiger Erkrankungen viel erreicht. Der Anstieg der Lebens- zu behandeln? Wie lassen sich nach einem Herzin- erwartung in den Industrienationen in den letzten farkt oder Schlaganfall erneute Ereignisse effekti- dreißig Jahren ist wesentlich eine Folge der besse- ver verhindern? Antworten auf diese und andere ren Behandlung von Patientinnen und Patienten Fragen zur Herz-Kreislauf-Prävention gibt es bisher mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Doch gelöst ist nur ansatzweise. das Problem damit noch lange nicht, wie die Statis- tiken zeigen. Sowohl im Bereich der Pharmakothe- rapie als auch bei den interventionellen Verfahren und bei den kardiovaskulären Implantaten können in den nächsten Jahren Fortschritte erwartet wer- den. So dürften in Zukunft beispielsweise immer mehr Eingriffe an Herzklappen ohne offene Ope- ration erfolgen. Und der Einsatz von Stammzellen könnte für die Therapie von Patientinnen und Pati- enten mit Herzinfarkt oder Herzinsuffizienz ganz neue Möglichkeiten eröffnen. Herz-Kreislauf-Forschung 5

Das Deutsche Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung

Herz-Kreislauf-Forschung braucht interdisziplinäre Zusammenarbeit und groß angelegte stu- dien. Im Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung finden wissenschaftlerinnen und wissenschaftler optimale Voraussetzungen für ihre Forschungsprojekte. 26 Einrichtungen an sieben standorten tun sich zusammen, um durch gemeinschaftliche Forschung die Prävention, die Diagnostik und die therapie voran zu bringen. Das Zentrum gibt dabei Raum für breit ange- legte Forschungsprojekte und ermöglicht es, innovative Ansätze besser umzusetzen.

sieben standorte unter einem weitere Fortschritte eher in kleinen Schritten zu (virtuellen) Dach erwarten. Dazu benötigen wir immer größere Studien, Patientenregister und Biomaterialbanken. Über 120 angesehene Expertinnen und Experten Das lässt sich in einem Zentrum sehr viel besser bündeln an den sieben Standorten des Deutschen umsetzen als in Einzelinstitutionen, die technisch Zentrums für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) und finanziell oft ausgelastet sind.“ ihre Kompetenzen. Gerade bei den kardiovasku- lären Erkrankungen ergebe ein bundesweit ange- Das Spektrum der Fachrichtungen im DZHK legtes Zentrum viel Sinn, betont DZHK-Koordi- reicht von der Kardiologie und der Neurologie nator Professor Dr. Thomas Eschenhagen vom über Chirurgie, Pharmakologie und Pathologie bis Universitätsklinikum Eppendorf: „Weil hin zur Kinderheilkunde. „Wir bringen damit ganz die Forschung hier schon viel erreicht hat, sind unterschiedliche Schwerpunkte der Herz-Kreislauf- Medizin zusammen und bauen so eine leistungs- fähige Wissenschaftsinfrastruktur auf, die auch international sichtbar sein wird“, so Eschenhagen.

sechs säulen für eine ganzheitliche Forschung

Die Standorte und Einrichtungen, die sich im Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung zusammen tun, legen sechs gemeinsame For- schungsprogramme auf. Die Programme widmen sich den Themen Gefäßerkrankungen, erbliche und entzündliche Herzerkrankungen, Herzver- sagen, Herzrhythmusstörungen, kardiovaskuläre Prävention und bildgebende Verfahren des Her- zens. Jeweils mindestens zwei Standorte arbeiten bei Forschungsprojekten aus diesen sechs Berei- chen eng zusammen.

Zusätzlich wird es übergreifende Forschungs- initiativen geben, an denen möglichst alle Stand- orte des Zentrums beteiligt sind und die auch Mit- tel für Kooperationen mit externen Institutionen bereitstellen. „Das bietet uns beispielsweise die Möglichkeit, auch in Deutschland große klini- sche Herz-Kreislauf-Studien zu initiieren, um neue Medikamente oder invasive Therapien zu evaluie- ren. Solche Studien kennen wir sonst vor allem aus

Die traditionelle EKG-Untersuchung auf dem Fahrradergometer ist Nordamerika, wo es bereits eine entsprechende auch heute noch Standard in der Herz-Kreislauf-Diagnostik. Studieninfrastruktur gibt“, so Eschenhagen. 6 Herz-Kreislauf-Forschung

DZHK konkret: was soll erforscht werden? Viele chancen für junge wissenschaft- lerinnen und wissenschaftler • Kardiomyopathien: Über die molekularen Grundlagen von angebo- Einen großen Mehrwert bringt das DZHK für junge renen und entzündlichen Herzerkrankungen, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die in den Kardiomyopathien, ist noch relativ wenig der Herz-Kreislauf-Forschung eigene Akzente set- bekannt. Offene Fragen gibt es hier zum Bei- zen wollen. So wird es spezielle Programme geben, spiel hinsichtlich des Zusammenspiels zwischen um Wissenschaftlerinnen zu fördern. Promotions- der individuellen genetischen Ausstattung und stipendien unterstützen den Nachwuchs bei den Umweltfaktoren wie Ernährung oder Virusin- individuellen Karriereschritten. Standortübergrei- fektionen. Um das systematisch anzugehen, sind fende Fortbildungsprogramme fördern den Aus- Gewebeproben von möglichst vielen Patientin- tausch zwischen den Arbeitsgruppen. „Insgesamt nen und Patienten nötig. sind Nachwuchstalente künftig nicht mehr so stark wie bisher an die eigene Einrichtung gebunden. • German Prevention study: Sie können die Infrastruktur aller Standorte nut- Im Bereich der Präventionsforschung soll am DZHK zen“, betont Eschenhagen. Ein Vehikel dazu sind ein international wettbewerbsfähiges Forschungs- die Core Facilities, die es auch an anderen Zentren programm gestartet werden, das mit den großen geben wird und die jeweils spezielle Methodiken Programmen der Briten, der Skandinavier oder vorhalten. Die jungen Forscherinnen und Forscher auch der Niederländer mithalten kann. Ein wich- können mit ihren Projektbudgets dann entweder tiger Bestandteil ist die German Prevention Study. wie Zunftgesellen zu den jeweiligen Core Facili- Dabei handelt es sich um eine große Kohorte von ties reisen. Oder sie schließen mit Gruppen vor Ort Menschen mit hohem kardiovaskulärem Risiko, Kooperationsvereinbarungen. bei denen Lebensstilfaktoren sowie molekulare, klinische und laborchemische Faktoren in Bezug gesetzt werden sollen zum Auftreten kardiovas- kulärer Erkrankungen im Langzeitverlauf.

• Pflaster fürs Herz: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des DZHK an den Standorten Göttingen und Ham- burg entwickeln die regenerativen Therapien in der Kardiologie, konkret die Behandlung mit Stammzellen beim Herzinfarkt, weiter. Ein Ansatzpunkt dabei ist es, künstliches Herzge- webe zu erzeugen, das direkt auf die bei einem Herzinfarkt betroffenen Areale aufgenäht oder aufgeklebt werden könnte.

• MicroRnA-therapien: Ein neuer Ansatz in der Herz-Kreislauf-For- schung, der bei Patientinnen und Patienten mit Herzinsuffizienz oder auch Herzinfarkt zum Einsatz kommen könnte, ist die Behand- lung mit kurzen „Nukleinsäure-Schnipseln“, den microRNAs. Mit Hilfe dieser Moleküle lassen sich ganze Genprogramme gezielt abschalten oder herunter regulieren. An den DZHK-Standorten München und wird untersucht, ob sich mit solchen microRNA-The- rapien krankhafte Umbauprozesse des Herzge- webes („Remodelling“) verhindern lassen. Herz-Kreislauf-Forschung 7

Das Deutsche Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung

Hamburg / / lübeck

Universitätsklinikum Hamburg/Eppendorf Asklepios-Klinikum St. Georg, Hamburg Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Kiel Christian-Albrechts-Universität Kiel Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Lübeck Universität zu Lübeck Greifswald

Standortkoordination Universitätsmedizin Greifswald Professor Dr. Thomas Eschenhagen Ernst-Moritz-Arndt Universität Greifswald Institut für Experimentelle Pharmakologie und Toxikologie Universitätsklinikum Hamburg/Eppendorf Standortkoordination Professor Dr. Stephan B. Felix Klinik für Innere Medizin B/Kardiologie Universitätsmedizin Greifswald

Göttingen

Universitätsmedizin Göttingen MPI für Experimentelle Medizin, Göttingen MPI für Biophysikalische Chemie, Göttingen MPI für Dynamik und Selbstorganisation, Göttingen Berlin / Postdam Georg August-Universität, Göttingen Max Delbrück Centrum für Molekulare Medizin, Berlin Deutsches Primatenzentrum, Göttingen Charité – Universitätsmedizin, Berlin Standortkoordination Deutsches Herzzentrum Berlin Professor Dr. Gerd Hasenfuß Assoziierte Partner: Abteilung Kardiologie und Pneumologie Deutsches Institut für Ernährungsforschung, Potsdam Universitätsmedizin Göttingen Robert-Koch-Institut, Berlin

Standortkoordination Professor Dr. Vera Regitz-Zagrosek Frankfurt am Main / Mainz / Bad nauheim Direktorin des Institute of Gender in Medicine, Charité Campus Mitte Goethe-Universität, Frankfurt am Main Professor Dr. Walter Rosenthal MPI für Herz- und Lungenforschung, Bad Nauheim Direktor des Max Delbrück Centrums für Molekulare Medizin, Berlin-Buch Kerckhoff Klinik, Herz- und Thoraxzentrum, Bad Nauheim Johannes Gutenberg-Universität, Mainz

Standortkoordination Professor Dr. Andreas Zeiher Zentrum der Inneren Medizin Medizinische Klinik III Goethe-Universität Frankfurt/Main

München / Martinsried

Heidelberg / Mannheim Technische Universität München und Klinikum München Rechts der Isar Universitätsklinikum Heidelberg Ludwig Maximilians-Universität München und Klinikum der Universität München Universitätsklinikum Heidelberg, Klinikum Mannheim Helmholtz Zentrum München – Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ), Heidelberg MPI für Biochemie, Martinsried

European Molecular Biology Laboratory (EMBL), Heidelberg Standortkoordination Standortkoordination Professor Dr. Stefan Engelhardt Professor Dr. Hugo Katus Institut für Pharmakologie und Toxikologie Abteilung Innere Medizin III Technische Universität München Universitätsklinikum Heidelberg 8 InFEKtIonsFoRscHunG Infektionsforschung 9

Infektionserkrankungen: Alles andere als ein Problem von gestern

Als in der Mitte des 20. Jahrhunderts die Antibiotika zunehmend Verbreitung fanden, hielten manche das thema Infektionskrankheiten in Bezug auf den Menschen schon für erledigt. Heute ist klar, dass das eine Fehleinschätzung war. nicht nur sind Infektionskrankheiten in vielen weniger entwickelten ländern der Erde noch immer das größte Gesundheitsproblem. Auch in den Industrienationen stellen Bakterien, Viren und Pilze als Krankheitserreger nach wie vor eine wesentliche Bedrohung dar.

Mikroorganismen: lebensgrundlage listet die WHO allein fünf Infektionserkrankungen und Bedrohung oder Infektionsgruppen auf: Infektionen der unte- ren Atemwege, Durchfallerkrankungen, HIV/AIDS, Mikroorganismen sind bei weitem die häufigsten Tuberkulose und Neugeboreneninfektionen. Allein Lebewesen auf der Erde. Der menschliche Körper an HIV/AIDS sterben weltweit pro Jahr rund zwei ist beispielsweise voll von Bakterien. Auf dem Men- Millionen Menschen. Etwa 1,5 Millionen Opfer for- schen und im Menschen gibt es mehr Bakterien, als dert die Tuberkulose. Und die ist für rund der Mensch Körperzellen hat. In aller Regel leben eine Million Todesfälle pro Jahr verantwortlich. In die Menschen und ihre Begleiter in Symbiose mitei- Deutschland steht bei den tödlichen Infektionen nander. Die Mikroflora im Darm und auf der Haut die Lungenentzündung im Vordergrund: Mehr als erfüllt teilweise wichtige Funktionen. Einige Mikro- 21.000 Menschen starben daran im Jahr 2008. organismen verursachen aber auch Krankheiten, und viele davon sind lebensbedrohlich. Die moderne Medizin schafft neue nischen

Viren sind die wichtigsten Erreger von Infekti- Infektionskrankheiten stehen in weniger ent- onen der oberen Atemwege. Sie sind für Durchfal- wickelten Ländern und speziell in vielen tropi- lerkrankungen und für viele „Kinderkrankheiten“ schen Ländern ganz vorne auf der medizinischen verantwortlich und verursachen außerdem einige Agenda. Aber auch in den Industrienationen sind schwere Krankheiten wie die Virushepatitis oder sie keineswegs ausgestorben. In den letzten Jah- AIDS. Bakterien können unter anderem Wund- ren musste die Medizin lernen, dass sie Infektio- infektionen, Durchfälle sowie Lungen- und Hirn- nen wieder mehr Aufmerksamkeit schenken muss. hautentzündungen auslösen. Parasiten, die teil- Einer der Gründe dafür ist, dass die moderne Hoch- weise mit bloßem Auge sichtbar sind, stellen als leistungsmedizin neue Lebensräume geschaffen Erreger von Erkrankungen wie Malaria oder Bil- hat, an die sich Keime anpassen. Eine wichtige harziose nach wie vor eine Herausforderung dar. Nische sind die Krankenhäuser und hier speziell Seltener sind systemische Pilzinfektionen, die vor die Intensivstationen. Dort können sich robuste allem bei eingeschränkter Immunabwehr auftre- ten können.

Infektionen dominieren noch immer die wHo-statistiken

Die Entdeckung des Penicillins durch den schotti- schen Bakteriologen Alexander Fleming im Jahr 1928 brachte der Medizin eine entscheidende Waffe im Kampf gegen bakterielle Infektionen. Die aktuel- len Krankheitsstatistiken der Weltgesundheitsorga- nisation WHO belegen, dass das Problem dadurch aber nicht gelöst wurde. Unter den zehn häufigs- ten Todesursachen weltweit (ohne Verkehrsunfälle) 10 Infektionsforschung

Bakterienstämme etablieren, die unempfindlich eintausend Todesopfer gefordert hat. SARS – eine sind gegen viele Antibiotika. Es wird geschätzt, atypische Lungenentzündung – wurde zuerst in dass in Deutschland pro Jahr 10.000 bis 20.000 der chinesischen Provinz Guangdong beobachtet. Menschen an Krankenhausinfektionen sterben. Kurz darauf traten dann im 10.000 Kilometer ent- Mindestens eine halbe Million Menschen infiziert fernten Großraum Toronto mehrere hundert SARS- sich pro Jahr mit Krankenhauskeimen. Das Spekt- Infektionen auf, die teilweise tödlich verliefen. Im rum reicht von Wundinfektionen über Atem- und Nachhinein stellte sich heraus, dass viele der ersten Harnwegsinfekte bis zur Sepsis („Blutvergiftung“). kanadischen SARS-Patienten im selben Hotel unter- gebracht waren und die Erkrankung dann mit dem Auch der Einsatz medizinischer Gerätschaften Flugzeug nach Kanada gebracht hatten. kann Infektionserreger begünstigen. Bei mangeln- der Hygiene sind beispielsweise Beatmungsmaschi- Infektionen mit langzeitwirkung nen mit ihren zahlreichen Schläuchen ein poten- zieller Lebensraum für Krankenhauskeime. Auch Wer von Infektionen redet, denkt meist an plötz- die moderne Pharmakotherapie trägt dazu bei, dass lich auftretende Erkrankungen, die einige Tage Infektionserkrankungen neue Angriffspunkte fin- oder Wochen anhalten und dann wieder verschwin- den: Immer mehr Menschen bekommen Medika- den. Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Einer mente, die das Immunsystem abschwächen, etwa der Gründe, warum Mikroorganismen in den letz- nach Organtransplantationen oder bei schweren ten Jahren auch für die medizinische Forschung chronisch-entzündlichen Erkrankungen. Für die wieder sehr interessant geworden sind, sind die Betroffenen sind diese Arzneimittel sehr wichtig. Sie Folgen, die manche Infektionen haben können. So bergen aber das Risiko, sich eine Infektionserkran- kennen Krebsexpertinnen und -experten heute mit kung zuzuziehen, auf die ein intaktes Immunsystem dem Leberkrebs, dem Gebärmutterhalskrebs und ohne Probleme reagiert hätte. dem Magenkrebs zumindest drei häufige Tumorer- krankungen, an denen Infektionen mit Viren oder schnelle Verbreitung in der ganzen welt Bakterien ursächlich beteiligt sind. Bei anderen Krebsformen wird das diskutiert. Auch einige chro- Noch eine andere Errungenschaft der Moderne nisch-entzündliche Erkrankungen könnten Lang- spielt Krankheitserregern in die Hände: In einer zeitfolgen von Infektionen sein. Welt, in der die Reise von einem Erdteil in den ande- ren zu einer Frage von Stunden geworden ist, fällt es auch Mikroorganismen leichter, sich auszubrei- ten. Beispiele dafür gibt es mittlerweile eine ganze Menge. Am bekanntesten wurde die SARS-Epide- mie, die in den Jahren 2002/2003 weltweit etwa

In Zeiten des Massentransports haben es neue Krankheitserreger leicht, sich auszubreiten. Die Lungenentzündung SARS gilt als Prototyp für eine solche „neue Seuche“. Aber auch traditionelle Keime bleiben auf der Agenda. Infektionsforschung 11

Das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung

Infektionen sind für die Medizin auch im 21. Jahrhundert eine der zentralen Herausforderungen. wie lassen sich die großen Infektionskrankheiten am besten eindämmen? was tun, wenn Keime immer unempfindlicher gegen Medikamente werden? was sind die besten Präventionsstrate- gien? Diesen und anderen Fragen wollen die Forscherinnen und Forscher des Deutschen Zent- rums für Infektionsforschung nachgehen – in 27 Einrichtungen an sieben standorten.

Infektionen vermeiden und bekämpfen Sehr relevant in unseren Breiten sind die drei Schwerpunkte zu Infektionen mit Staphylokokken Die Forschung auf dem Gebiet der Infektionser- und mit gram-negativen Bakterien sowie zu Infekti- krankungen ist vielfältig. Moderne molekular- onen von Menschen mit eingeschränktem Immun- genetische Verfahren helfen dabei, zu klären, system. „Hier geht es natürlich um die Entwick- wie bestimmte Krankheitserreger die Zellen und lung von neuen Antiinfektiva, aber auch darum, Organe des menschlichen Körpers schädigen. wie immunsupprimierte Patientinnen und Patien- Epidemiologische Studien und klassische Feld- ten besser vor Infektionen geschützt werden kön- forschungen geben Auskunft über die Ausbrei- nen“, betont Professor Dr. Sebastian Suerbaum von tung einzelner Keime, ihrer Wirtsorganismen der Medizinischen Hochschule Hannover. Die Suche und Überträger. In der pharmazeutischen Infek- nach neuen Antiinfektiva ist für das DZIF so wichtig, tionsforschung geht es vor allem darum, neue dass ein eigener Forschungsschwerpunkt eingerich- Antibiotika zu identifizieren. Und die Präventi- tet wird. Schließlich erhält auch das Querschnitt- onsforschung konzentriert sich einerseits auf die thema „Immunkontrolle und Immunisierung“ Eindämmung lokaler Epidemien, andererseits einen eigenen Schwerpunkt. auf die Entwicklung effektiver und sicherer Impfstoffe. DZIF konkret: was soll erforscht werden?

In Deutschland war die Infektionsforschung • Virushepatitis: bisher stark fragmentiert. Das Deutsche Zentrum In einem standortübergreifenden Projekt wol- für Infektionsforschung (DZIF) bringt über 150 len sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft- Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an sie- ler des DZIF der Suche nach neuen antiviralen ben Standorten zusammen. „So können wir unsere Medikamenten gegen die Hepatitis C und die Aktivitäten bündeln und die Stärken der unter- Hepatitis D widmen. „Hier greifen die Grundla- schiedlichen Einrichtungen für groß angelegte genforschung zu den Viren und die Erprobung gemeinsame Forschungsprogramme nutzen“, möglicher Wirkstoffe eng ineinander“, so Profes- betont Professor Dr. Dirk Heinz vom Helmholtz- sor Dr. Hans-Georg Kräusslich vom Universitäts- Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig. klinikum Heidelberg. Eine wichtige Teilaufgabe besteht darin, Zellkulturmodelle zu entwickeln, Elf schwerpunkte von AIDs bis tuberkulose um die Erreger und mögliche Medikamente bes- ser untersuchen zu können. Das DZIF hat elf Schwerpunkte definiert, in denen sich besonders wichtige Forschungsfragen stellen. • Infektionen nach organtransplantation: Da sind zum einen die großen Infektionserkran- Patientinnen und Patienten mit Spenderorganen kungen HIV/AIDS, Malaria, Virushepatitis und sind eine Hochrisikogruppe für Infektionen, weil Tuberkulose sowie die Erkrankungen des Magen- sie Medikamente einnehmen, die das Immunsys- Darm-Trakts, die jeweils viele Millionen Menschen tem blockieren. „Am DZIF wollen wir untersuchen, betreffen. Ein weiterer Forschungsschwerpunkt wann genau im Verlauf nach einer Transplanta- kümmert sich um neue Infektionserkrankungen, tion bestimmte Infektionen auftreten und wie die oft von Tieren auf den Menschen überspringen diese sich auf die Funktion des Organs auswirken“, („Zoonosen“). Das Dengue-Fieber, die SARS-Erkran- betont Professor Dr. Ingo Autenrieth vom Universi- kung und die Schweinegrippe gehören in diese tätsklinikum Tübingen. Dadurch können vielleicht Kategorie. Verhaltensmuster empfohlen werden, mit denen das Risiko von Infektionen gesenkt werden kann. 12 Infektionsforschung

Köln / Bonn

Rheinische-Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und Universitätsklinikum Bonn Universität zu Köln und Universitätsklinikum Köln

Standortkoordination Professor Dr. Achim Hoerauf Institut für Medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Parasitologie Universitätsklinikum Bonn Professor Dr. Martin Krönke Institut für Medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene Universitätsklinikum Köln

Für die Forschung mit gefährlichen Krankheitserregern sind Labore nötig, in denen unter streng kontrollierten Bedingungen gearbeitet wird.

• neue Antibiotika: Besonders deutlich wird der Nutzen der Zentren- Im Bereich der Staphylokokkeninfektionen gibt bildung für die deutsche Infektionsforschung im es große Schwierigkeiten mit resistenten und Bereich der Hochsicherheitslabors, in denen mit multiresistenten Erregern. Die Antibiotika-Pipe- gefährlichen Krankheitserregern unter streng lines sind weitgehend ausgetrocknet. Im DZIF kontrollierten Bedingungen gearbeitet wird. Diese sollen deswegen auf Basis der Infektionsmecha- besonderen Labors werden ins DZIF integriert und nismen neue Wirkstoffkandidaten identifiziert können von allen Partnern genutzt werden. So muss und bis in die ersten Phasen der klinischen Prü- nicht jede Einrichtung selbst den enormen Auf- fung gebracht werden. Interessant sind hier vor wand schultern, den ein solches Labor erfordert. allem Naturstoffe, die in der Pharmaforschung vernachlässigt wurden. Denn 80 Prozent aller Auch im Bereich der Nachwuchsförderung stellt Antibiotika basieren auf Naturstoffen. das DZIF attraktive Angebote zur Verfügung. Pro- motionsstipendien werden ergänzt durch spezi- Gemeinsame Infrastruktur macht elle Programme, die es infektiologisch tätigen Ärz- Infektionsforschung effektiver tinnen und Ärzten erlauben, klinische Arbeit und Forschung besser zu verbinden. Außerdem wird in Bei der Suche nach neuen antiinfektiven Medika- Kooperation mit relevanten infektiologischen Fach- menten müssen teilweise viele Millionen Kandida- gesellschaften die DZIF-Akademie aufgebaut. Sie tenmoleküle erprobt werden. Um das zu erleichtern, bietet strukturierte und zertifizierte Ausbildungs- baut das DZIF eine gemeinsame Antiinfektivaplatt- und Trainingsprogramme, die den Nachwuchs bei form auf. Sie soll einerseits die an unterschiedlichen der weiteren Karriere unterstützen und die Bedeu- Einrichtungen existierenden Substanzdatenban- tung der Infektiologie als eigenständige wissen- ken verknüpfen, andererseits neue Substanzen aus schaftliche und klinische Disziplin unterstreichen. Screening-Projekten des DZIF aufnehmen und den Einrichtungen zur Verfügung stellen. Infektionsforschung 13

Das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung

Hamburg / lübeck / Borstel

Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf Universität Hamburg Universität zu Lübeck Heinrich Pette-Institut für Experimentelle Virologie Forschungszentrum Borstel

Standortkoordination Professor Dr. Rolf Horstmann Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin Hamburg Professor Dr. Stefan Ehlers Abteilung Molekulare Infektiologie Forschungszentrum Borstel

Hannover / Braunschweig

Medizinische Hochschule Hannover Köln / Bonn Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover Rheinische-Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Twincore Institut für Experimentelle und Klinische Infektionsforschung GmbH und Universitätsklinikum Bonn Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung Universität zu Köln und Universitätsklinikum Köln Leibniz-Institut Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen Technische Universität Braunschweig Standortkoordination Professor Dr. Achim Hoerauf Standortkoordination Institut für Medizinische Mikrobiologie, Professor Dr. Sebastian Suerbaum Immunologie und Parasitologie Institut für Medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene Universitätsklinikum Bonn Medizinische Hochschule Hannover Professor Dr. Martin Krönke Professor Dr. Dirk Heinz Institut für Medizinische Mikrobiologie, Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung Immunologie und Hygiene Braunschweig Universitätsklinikum Köln

Gießen / Marburg / langen

Justus-Liebig-Universität Gießen Philipps-Universität Marburg Paul-Ehrlich-Institut Langen Technische Hochschule Mittelhessen

Standortkoordination Professor Dr. Trinad Chakraborty Institut für Medizinische Mikrobiologie Universität Gießen Professor Dr. Stephan Becker Institut für Virologie Heidelberg Universität Marburg

Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und Universitätsklinikum Heidelberg Deutsches Krebsforschungszentrum

Standortkoordination Professor Dr. Hans-Georg Kräusslich Department für Infektiologie Universität Heidelberg München Professor Dr. Klaus Heeg Technische Universität München und Klinikum Rechts der Isar Department für Infektiologie Universität Heidelberg Ludwig-Maximilians-Universität München und Klinikum der Universität München Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr

Standortkoordination tübingen Professor Dr. Dirk Busch Eberhardt Karls Universität Tübingen Institut für Medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene TU München Universitätsklinikum Tübingen Professor Dr. Ulrike Protzer Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie Institut für Virologie TU München/Helmholtz Zentrum München Standortkoordination Professor Dr. Ingo Autenrieth Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene Universitätsklinikum Tübingen Professor Dr. Peter Kremsner Institut für Tropenmedizin Universität Tübingen 14 lunGEnFoRscHunG Lungenforschung 15

Lungenerkrankungen: Probleme an der Grenze zwischen Blut und Luft sie sind die großen unbekannten unter den häufigen Erkrankungen des Menschen. Kaum jeman- dem würden auf die Frage nach den wichtigsten Volkserkrankungen spontan die Erkrankungen der lunge einfallen. Dabei gehören lungenerkrankungen in nahezu allen Bereichen der inneren Medizin zu den spitzenreitern: bei den Infektionen, bei den tumorerkrankungen, in der Intensiv- medizin. Die biomedizinische Forschung hat sich der lungenkrankheiten deswegen in den letzten Jahren mit wachsender Intensität angenommen.

Achtzig Quadratmeter für den Gasaustausch dioxid an die Luft abgegeben wird. Die Fläche, die für diesen Gasaustausch zur Verfügung steht, Der Mensch muss atmen. Das ist für uns selbstver- ist groß: Ein lungengesunder Mensch verfügt über ständlich. Das Organ, das uns mit der lebensnot- etwa 300 Millionen Alveolen mit einer Gesamt- wendigen Luft versorgt, ist die Lunge, genauer: die oberfläche von circa achtzig Quadratmetern. beiden Lungen, die sich rechts und links im Brust- korb befinden. Wenn wir atmen, bewegen wir die lungenerkrankungen: Eine globale Muskeln in der Umgebung des Brustkorbs: das Herausforderung Zwerchfell und die Muskulatur zwischen den Rip- pen, am Bauch und in den Flanken. Die Muskeltä- Erkrankungen der Lunge werden dann bedrohlich, tigkeit vergrößert den Brustkorb und damit das wenn sie den Austausch von Sauerstoff und Kohlen- Volumen der Lungen. Es entsteht ein Unterdruck, dioxid in relevantem Umfang beeinträchtigen. Das der frische Luft durch Mund oder Nase nach innen kann auf unterschiedliche Art und Weise passie- zieht. Auf ihrem Weg durch Nase, Mund und Bron- ren: Bronchien können verlegt sein und keine Luft chien wird die Luft angefeuchtet und erwärmt. mehr durchlassen. Die Wand der Alveolen kann sich krankhaft verändern und den Gasaustausch beein- Das für den Menschen Entscheidende passiert trächtigen. Die Durchblutung der Lunge kann Prob- am Ende der Atemwege, wo die sich baumartig ver- leme bereiten. Entsprechend breit ist das Spektrum zweigenden Bronchien in ein filigranes Konstrukt der Erkrankungen, die unter dem Begriff Lungener- aus kleinen Lungenbläschen übergehen, Alveolen krankungen zusammengefasst werden. genannt. Durch die Wand der Alveolen, die nur eine einzige Zellschicht dick ist, diffundiert der Sau- In ihrer Gesamtheit sind Lungenerkrankun- erstoff aus der Atemluft ins Blut, während Kohlen- gen eine der großen Geißeln der Menschheit: Die WHO führt unter den zehn häufigsten Todesursa- chen in ihrer globalen Statistik allein vier Lungen- oder Atemwegserkrankungen auf. Weltweit stirbt jeder fünfte Mensch daran, rund zwölf Millionen Menschen pro Jahr. Auch in Deutschland sind Lun- generkrankungen häufig: Nach Angaben des Statis- tischen Bundesamtes ist jeder achte Todesfall dar- auf zurückzuführen. Jede 15. Entlassdiagnose in deutschen Krankenhäusern war im Jahr 2008 eine Erkrankung der Atemwege. Lungenerkrankungen sind nicht nur häufig, sie sind auch sehr teuer: Die European Respiratory Society schätzt, dass dadurch allein in Westeuropa jährlich über 100 Milliarden Euro direkter und indirekter Krankheitskosten anfallen.

Über 300 Millionen Lungenbläschen bilden beim gesunden Erwachse- nen die Grundlage für die Aufnahme von Sauerstoff und die Abgabe von Kohlendioxid. 16 Leung nforschung

Von A wie Asthma bis Z wie Zysten

Lungenerkrankungen sind im Bewusstsein vieler Menschen längst nicht so präsent wie etwa Herz- Kreislauf-Erkrankungen. Zu Unrecht: Der Lungen- krebs, das „Bronchialkarzinom“, ist die häufigste Krebserkrankung bei Männern. Die Mukoviszidose ist in der westlichen Welt die häufigste angebo- rene Stoffwechselerkrankung. Die Lungenentzün- dung („Pneumonie“) gilt global als eine der wich- tigsten zum Tode führenden Infektionen. Und die Lungenerkrankung im Maximalstadium des aku- ten Versagens („Atemnotsyndrom“) ist die Todesur- sache Nummer eins auf Intensivstationen.

Bekannter sind die beiden wichtigsten chroni- schen Lungenerkrankungen: An Asthma bronchi- ale erkrankt in Deutschland jeder zehnte Erwach- sene. Bei Kindern liegt die Quote sogar noch höher. Das Risiko, im Laufe des Lebens an einer chronisch- Dank medizinischer Forschung und innovativer Medizinprodukt- obstruktiven Lungenerkrankung („COPD“) zu designs lassen sich heute viele Lungenmedikamente mit Hilfe von erkranken, ist ähnlich hoch. Beim Asthma leiden Geräten inhalieren, die auch Kinder problemlos bedienen können. die Betroffenen unter anfallsweiser Atemnot, die im Extremfall lebensbedrohlich sein kann. Bei der COPD wird die Luft über Jahre hinweg zunehmend versitären und außeruniversitären Einrichtungen knapper, so lange, bis schon einfachste Tätigkeiten große Forschungsgruppen etabliert, die sich der nur noch mit Luftnot zu bewältigen sind. Erforschung von Lungenerkrankungen anneh- men. Sie haben der deutschen lungenmedizini- Das Lungengewebe kann auch in seiner Grund- schen Forschung in den letzten Jahren internatio- struktur gestört sein. Das ist bei den parenchyma- nal zunehmend Aufmerksamkeit gebracht. So sind tösen Lungenerkrankungen der Fall, wie sie bei pneumologische Forscherinnen und Forscher in rheumatischen Leiden oder als Folge der unge- Deutschland unter anderem weltweit führend bei schützten Arbeit mit Asbest auftreten können. Bei der Erforschung des Lungenhochdrucks. diesen Formen der Lungenerkrankung wird zar- tes Lungengewebe durch Narbengewebe ersetzt. Fachleute sprechen von Lungenfibrose. Schließ- lich machen bei gar nicht so wenigen Menschen die Blutgefäße der Lunge Probleme: Genauso wie es einen Bluthochdruck im Körperkreislauf gibt, gibt es auch einen Bluthochdruck im Lungenkreis- lauf. Auch bei diesen Erkrankungen wird die Luft zunehmend knapper. Alltagstätigkeiten werden immer anstrengender.

Auftrieb für die lungenforschung

Im Zuge der Tuberkuloseepidemie im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert hat sich die Lun- genmedizin in Deutschland weg von den univer- sitären Forschungseinrichtungen und hin in Rich- tung der damals zahlreichen Lungenheilstätten verlagert. Mittlerweile haben sich an vielen uni- Lungenforschung 17

Das Deutsche Zentrum für Lungenforschung

Die Molekularbiologie, die stammzellmedizin und die moderne Biotechnik eröffnen für die For- schung zu lungenerkrankungen spannende Betätigungsfelder. Für Patientinnen und Patienten könnten sich daraus neue therapieoptionen entwickeln. Am Deutschen Zentrum für lungen- forschung werden künftig wichtige Forschungsaktivitäten zusammengeführt. 18 Einrichtungen an fünf standorten kooperieren, um die Erforschung von lungenerkrankungen weiter voran zu bringen.

Gesucht: Ganz neue Ansätze für wesentliche um lungentypische Krankheitsprozesse übergrei- therapeutische Fortschritte fend untersuchen zu können. Gerichtet werden soll der Blick zum einen auf entzündliche Prozesse, die Für Patientinnen und Patienten mit Lungenerkran- bei infektiösen und nicht-infektiösen Lungener- kungen ist das Spektrum an Therapien im Vergleich krankungen gleichermaßen Bedeutung haben. zu vielen anderen Erkrankungsgruppen derzeit Reparaturprozesse, die es der Lunge bei einigen noch relativ überschaubar. „Uns stehen aber große Erkrankungen ermöglichen, sich fast komplett zu therapeutische Fortschritte bevor. Die Lungenfor- regenerieren, sind ein zweiter Fokus. Schließlich sol- schung dürfte sich in den nächsten Jahren rapide len auch Proliferationsprozesse untersucht werden, entwickeln“, betont Professor Dr. Werner Seeger die bei gutartigen und bösartigen Lungenerkran- von der Universität Gießen, den das Deutsche Zen- kungen vorkommen und die den an filigrane Struk- trum für Lungenforschung (DZL) als Gesamtkoor- turen gebundenen Gasaustausch schwer beein- dinator benannt hat. Gesucht sind dabei qualitativ trächtigen können. neue Behandlungsmethoden, die deutlich über das hinaus gehen, was im Moment therapeutisch zur DZl konkret: was soll erforscht werden? Verfügung steht. „Ansatzpunkte dafür hat die pneu- mologische Grundlagenforschung der letzten Jahre • Gezielte therapien: geliefert. Hier müssen wir weiter arbeiten und par- Ein Schwerpunkt des DZL sind Untersuchungen allel dazu versuchen, diese Erkenntnisse in neue mit großen Patientenkohorten. Mit den assoziier- Therapien zu überführen, die möglicherweise ganz ten Krankenhäusern und Ambulanzen, die über anders aussehen werden als das, was wir bisher aus 30.000 Lungenpatientinnen und -patienten ver- der Lungenmedizin kennen“, so Seeger. sorgen, bietet das Zentrum dafür optimale Vor- aussetzungen. „Eine wichtige Kohorte betrifft Drei Blickwinkel auf die lunge beispielsweise COPD-Patienten, bei denen es darum gehen wird, neue Kandidatengene für Das DZL bringt über 170 Wissenschaftlerinnen und innovative Therapien zu identifizieren“, so See- Wissenschaftler und deren Arbeitsgruppen aus 18 ger. Bestandteil dieser Suche ist das so genannte universitären und außeruniversitären Forschungs- Deep Phenotyping, also eine genaue Beschrei- einrichtungen an fünf Standorten zusammen. Ins- bung von Subgruppen der COPD-Erkrankung für gesamt acht Krankheiten oder Krankheitsgruppen eine gezieltere Therapie. stehen im Zentrum des Interesses: Asthma und All- ergien, die chronisch-obstruktive Lungenerkran- • Reverse Remodelling: kung (COPD), die zystische Fibrose (Mukoviszidose), Die Grundlagenforschung hat in den letzten Jah- die Lungenentzündung, die diffus-parenchymatö- ren viel Wissen darüber zusammengetragen, wie sen Lungenerkrankungen, der Lungenhochdruck, sich die Blutgefäße der Lunge beim Lungenhoch- das Atemnotsyndrom und der Lungenkrebs. druck strukturell verändern. Neue Therapiean- sätze, die darauf abzielen, die Umbauprozesse „Zwischen den unterschiedlichen Erkrankun- in der Blutgefäßwand rückgängig zu machen, gen gibt es eine Reihe von Überschneidungen bei sollen am DZL in klinischen Studien der Phasen den zugrunde liegenden Mechanismen der Schä- II und III untersucht werden. „Wenn wir Erfolg digung“, betont Seeger. Das DZL hat für seine For- haben, können wir bei der pulmonalen Hyper- schung deswegen drei Hauptperspektiven definiert, tonie irgendwann von einer echten Heilung 18 Lungenforschung

Durch die Zentrenstruktur stehen jungen Forscherinnen und Forschern viel mehr Möglichkeiten offen, eigene Projekte voran zu bringen.

sprechen“, betont Seeger. Mehr noch: Die Arbei- Gezielte nachwuchsförderung in ten könnten auch für andere Erkrankungen von der lungenforschung Blutgefäßen relevant werden. Seeger: „Wir wol- len den Lungenhochdruck zu einer Prototyper- Um den wissenschaftlichen Nachwuchs im Bereich krankung für das so genannte Reverse Remodel- der Lungenforschung zu fördern, wird das Deut- ling machen, die Rückentwicklung krankhafter sche Zentrum für Lungenforschung zahlreiche Gefäßveränderungen.“ Angebote schaffen. Dazu gehören Methodologie- Workshops, Austauschprogramme und die Mög- • Die Biohybridlunge: lichkeit zur Teilnahme an Winter- oder Summer- Patientinnen und Patienten mit Lungenerkran- Schools. Eine zentrale Rolle kommt im Bereich der kungen im Endstadium können heute nur durch Nachwuchsförderung der DZL Lung School zu. Lungentransplantation oder durch externe Sau- Dabei handelt es sich um eine bundesweite Platt- erstoffversorgung (extrakorporale Membranoxy- form für Doktorandinnen und Doktoranden sowie genierung, ECMO) gerettet werden. Eine neue Postgraduierte, die den Nachwuchsforscherinnen Option könnten „Ersatzlungen“ sein, die appa- und -forschern unabhängig vom jeweiligen Stand- rative Technik und Biotechnik vereinen. Wichtig ort optimale Bedingungen für Forschung und Kar- ist hierbei die Stammzellforschung: Sie kann jene riereplanung bietet. Der DZL Lung School sollen Zellen liefern, aus denen sich die hochspeziali- alle in DZL-Projekte involvierten Doktorandinnen, sierten Endothelzellen heranzüchten lassen, die Doktoranden und Post-Docs der beteiligten Ein- für eine Biohybridlunge nötig sind. richtungen angehören. Es handelt sich um eine bis dato einmalige Plattform des Informationsaus- tauschs und der organisierten Zusammenarbeit im Sinne der translationalen Forschung bei Lungener- krankungen, die Verständnis für unterschiedli- che Herangehensweisen wecken und gemeinsame Lösungsstrategien fördern soll. Lungenforschung 19

Das Deutsche Zentrum für Lungenforschung

Airway Research centre north (ARcn) lübeck / Kiel / Borstel / Großhansdorf

Forschungszentrum Borstel Universität zu Lübeck Christian Albrechts-Universität Kiel Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Campus Kiel und Campus Lübeck Krankenhaus Großhansdorf, Zentrum für Pneumologie und Thoraxchirurgie

Standortkoordination Professor Dr. Peter Zabel Medizinische Klinik III Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Campus Lübeck und Forschungszentrum Borstel Biomedical Research in Endstage and obstructive lung Disease Hannover (BREAtH) Hannover

Medizinische Hochschule Hannover Fraunhofer Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin (ITEM), Hannover Leibniz-Universität Hannover Forschungsstelle für Gesundheitsökonomie

Standortkoordination Professor Dr. Tobias Welte Klinik für Pneumologie Medizinische Hochschule Hannover

universities of Gießen and Marburg lung centre (uGMlc) Gießen / Marburg / Bad nauheim

Justus-Liebig-Universität Gießen Philipps-Universität Marburg Universitätsklinikum Gießen und Marburg Universities of Gießen & Marburg Lung Center MPI für Herz- und Lungenforschung, Bad Nauheim

Standortkoordination Professor Dr. Werner Seeger Abteilung für Innere Medizin II, Pneumologie Justus-Liebig-Universität Gießen Universities of Gießen & Marburg Lung Center

translational lung Research centre Heidelberg (tlRc-H) Heidelberg comprehensive Pneumology center (cPc-M) München Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum Universitätsklinikum Heidelberg für Gesundheit und Umwelt Thoraxklinik Universitätsklinikum Heidelberg Ludwig Maximilians-Universität München Deutsches Krebsforschungszentrum Universitätsklinikum LMU München European Molecular Biology Laboratory, Heidelberg Technische Universität München Standortkoordination Klinikum Rechts der Isar der TU München Professor Dr. Marcus A. Mall Asklepios-Klinikum München-Gauting Klinik für Kinderheilkunde III Universitätsklinikum Heidelberg Standortkoordination Professor Dr. Oliver Eickelberg Institut für Lungenbiologie Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt 20 KREBsFoRscHunG Krebsforschung 21

Krebserkrankungen: Auf dem Weg zur personalisierten Onkologie

Krebserkrankungen gehören zu den größten Herausforderungen, denen die Medizin gegenüber steht. sie sind die zweithäufigste todesursache in den Industrienationen. weil Krebs (auch) eine Alterserkrankung ist, wird die Zahl der Patientinnen und Patienten im Zuge des demographi- schen wandels weiter zunehmen. um den Krebs einzudämmen, kämpft die Forschung an vielen Fronten. Bei einigen Krebsarten wurden große Fortschritte erzielt. Bei vielen anderen stehen Durchbrüche noch aus.

Über 400.000 neue Krebserkrankungen Krebs ist häufig. Im Jahr 2009 erkrankten in pro Jahr Deutschland circa 450.000 Menschen neu an Krebs. Etwa halb so viele starben daran. Damit ist Krebs Wohl kaum eine andere Krankheit ruft so viele für jeden fünften Todesfall in Deutschland verant- Ängste hervor wie Krebs. Die Vorstellung, dass wortlich. Aktuellen Daten des Robert Koch-Insti- sich im Körper Zellen unkontrolliert ausbrei- tuts zufolge liegt das Risiko, innerhalb von fünf Jah- ten und vermehren, ohne dass der Mensch etwas ren an einer der zehn häufigsten Krebsformen zu davon bemerkt, ist schwer zu akzeptieren. Krebs erkranken, bei Menschen, die sechzig Jahre und gilt bei vielen Menschen als die „tödlichste“ aller älter sind, bei über zwanzig Prozent. Lässt man den Erkrankungen. Doch so pauschal ist das nicht häufigen weißen Hautkrebs außen vor, dann sind richtig. Unter dem Oberbegriff „Krebs“ verbergen die drei am weitesten verbreiteten Krebsformen sich viele Dutzend bösartiger Tumorerkrankun- bei Männern der Lungenkrebs, der Darmkrebs und gen. Bei einigen von ihnen sind die Überlebens- der Krebs der Prostata. Bei Frauen sind es der Brust- chancen schlecht. Mit anderen Krebserkran- krebs, der Darmkrebs und der Lungenkrebs. Diese kungen dagegen können Menschen teilweise drei Tumore machen beim Mann die Hälfte und bei jahrzehntelang leben. der Frau 40 Prozent aller bösartigen Tumorerkran- kungen aus.

Durchbrüche und Fehlschläge

„Gegen Krebs kann man nichts machen“, das ist ein oft gebrauchter Satz. Richtig ist, dass die Krebsmedi- zin in den letzten zwanzig Jahren bei einigen Krebs- formen enorme Fortschritte gemacht hat. Eine Leu- kämie bei Kindern ist heute kein Todesurteil mehr. Bei etwa acht von zehn Betroffenen kann die Krank- heit geheilt werden. Bestimmte Blutkrebsformen im Erwachsenenalter sind durch die moderne Arz- neimitteltherapie zu chronischen Erkrankungen geworden. Eine 50jährige Frau, bei der Brustkrebs diagnostiziert wird, hat heute eine doppelt so hohe Überlebenschance wie ihre Mutter, wenn sie im gleichen Alter erkrankt wäre.

Richtig ist aber auch, dass es andere Krebsfor- men gibt, bei denen sich längst nicht so viel ver- bessert hat. Vor allem Patientinnen und Patienten mit metastasierten Krebserkrankungen der soli-

Alle Krebserkrankungen haben in den Chromosomen des Menschen ihren den Organe haben nach wie vor eine schlechte Pro- Ursprung. Ohne Genveränderungen gibt es kein unkontrolliertes Zellwachstum. gnose. Auch Krebserkrankungen, die an chirurgisch 22 Krebsforschung

schwer erreichbaren Stellen des Körpers liegen oder Fachleute schätzen, dass sich durch Prävention die spät erkannt werden, sind weiterhin ein Prob- und gezielte Früherkennung jede zweite bis dritte lem. Bösartige Tumore des Gehirns und der Krebs der Krebserkrankung vermeiden ließe. Bauchspeicheldrüse gehören in diese Kategorien. Eine wichtige Rolle spielt das Verhalten jedes Die Krebsbehandlung wird immer stärker Einzelnen. Der Verzicht auf Zigaretten verringert personalisiert das Krebsrisiko deutlich, vor allem, aber nicht nur in der Lunge. Für mehrere Krebserkrankungen ist Die Krebsforschung der letzten zwei Jahrzehnte nachgewiesen, dass regelmäßige körperliche Bewe- hat das Verständnis der unterschiedlichen Krebs- gung einen gewissen Schutz bietet. Auch die Ernäh- formen deutlich verbessert. Über die genetischen rung scheint an der Entstehung von Krebserkran- Veränderungen, die in ihrer Summe zu einer bös- kungen beteiligt zu sein. artigen Krebserkrankung führen, weiß man heute teilweise recht detailliert Bescheid. Das hat bei eini- gen Krebserkrankungen bereits Konsequenzen für die Therapie. Die Pathologie analysiert heute Krebsgewebe mit molekularbiologischen Metho- den und kann aus den Ergebnissen Empfehlun- gen für jene Behandlungen ableiten, bei denen die Ansprechraten am größten sind.

Beim Brustkrebs beispielsweise suchen Patho- loginnen und Pathologen nach Rezeptoren für bestimmte Hormone und Wachstumsfaktoren, weil das Aufschluss darüber gibt, ob Therapien sinnvoll sind, die diese Hormone und Wachstums- faktoren gezielt blockieren. Beim Darmkrebs wird heute in vielen Fällen routinemäßig nach Genmu- tationen gesucht, die Auskunft darüber geben, ob bestimmte Antikörpertherapien funktionieren oder nicht. Insgesamt wird die Arzneimittelthera- pie beim Krebs also immer stärker auf die individu- elle Situation abgestimmt.

Parallel dazu werden auch die Krebschirurgie und die Bestrahlungstherapien immer präziser. Gebärmutterhalskrebs ist häufig die Folge einer Virusinfektion. Im Bild: eine Krebszelle im Gebärmutterhals unter dem Elektronenmikroskop. Chirurginnen und Chirurgen wissen heute besser als früher, wie sie möglichst viel Tumorgewebe ent- fernen, ohne die Funktion des Organs zu sehr ein- zuschränken. Und in der Strahlentherapie werden Die medizinische Forschung hat bei einigen die Bestrahlungen heute so geplant, dass das umge- Krebsvarianten ganz erheblich zur Prävention bei- bende Gewebe möglichst geschont wird. getragen. So lässt sich bei Frauen das Risiko, Vorstu- fen eines Gebärmutterhalskrebses zu entwickeln, Herausforderung Prävention durch eine Impfung gegen humane Papillomviren stark reduzieren. Eine Impfung gegen Hepatitis B Ist eine bösartige Krebserkrankung erst einmal schützt außer vor der Leberentzündung auch vor ausgebrochen, dann ist häufig eine aufwändige Leberkrebs, der als Folge dieser Infektion auftre- und teure Behandlung unter Einbeziehung unter- ten kann. Schließlich dienen Früherkennungsmaß- schiedlicher medizinischer Fachdisziplinen erfor- nahmen dem Schutz vor schweren Krebsverläufen. derlich. Viel besser wäre es, wenn es gar nicht erst Beim Darmkrebs, beim Brustkrebs und beim Haut- so weit kommt. Tatsächlich ist es möglich, Krebs- krebs wird die Früherkennung in Deutschland von erkrankungen zumindest teilweise vorzubeugen. der Gesetzlichen Krankenversicherung erstattet. Krebsforschung 23

Das Deutsche Konsortium für Translationale Krebsforschung

Erfolgreiche Krebsforschung ist ohne den intensiven Austausch zwischen ganz unterschied- lichen Fachrichtungen undenkbar. Krebsforschung findet deswegen oft an großen Zentren statt, die in den usA teilweise mehr als 10.000 Mitarbeiter haben. Das Deutsche Konsortium für translationale Krebsforschung orientiert sich an solchen Großforschungszentren, ohne die föderalen strukturen der deutschen Forschung aufzugeben. An acht standorten kooperieren zwanzig Einrichtungen.

sieben Programme im Kampf scheibe für die Krebsforschung gedacht. So wird ver- gegen den Krebs mieden, dass Projekte doppelt bearbeitet werden.

„Eine Kernaufgabe in der Krebsforschung besteht In Ergänzung dazu gibt es technisch ausgerich- darin, ständig die Ergebnisse der Grundlagenfor- tete Plattformen, um Methodiken zu harmonisie- schung auf neue Ansätze zur Prävention, Diagnos- ren, die an allen Zentren verfügbar sein müssen. tik und Behandlung von Krebserkrankungen hin zu Das macht die im DKTK erhobenen Daten vergleich- überprüfen“, betont Professor Dr. Otmar D. Wiestler, barer. Außerdem erarbeitet das DKTK ein gemein- Sprecher des Deutschen Konsortiums für Translati- sames Regelwerk, das es Wissenschaftlerinnen und onale Krebsforschung (DKTK) und Vorstandsvorsit- Wissenschaftlern von allen Standorten ermöglicht, zender des Deutschen Krebsforschungszentrums in Methoden zu nutzen, die nicht überall verfügbar Heidelberg. An den acht Standorten des DKTK sind sind. Dazu zählen Anlagen für die Produktion von künftig über 160 namhafte Wissenschaftlerinnen Antikörpern, Hochdurchsatz-Technologien für das und Wissenschaftler mit ihren Arbeitsgruppen die- Genomscreening und große Rechenzentren für die sem „translationalen“ Gedanken verpflichtet. Bioinformatik.

Um ihn mit Leben zu erfüllen, wurden sieben DKtK konkret: was soll erforscht werden? Forschungsprogramme definiert, an denen sich immer mehrere Standorte beteiligen sollen. Im Ein- • Diagnostik: zelnen will man sich am DKTK um Signalwege in Am DKTK werden Instrumente entwickelt, um der Krebsentstehung, um die Molekulardiagnostik, zunächst bei Patientinnen und Patienten mit um Krebsimmunologie und Immuntherapien bei Hirn-, Bauchspeicheldrüsen- und Prostatatu- Krebs, um Stammzellen, um Strahlentherapie und moren die komplette Sequenzierung des indi- Bildgebung, um das Phänomen der Behandlungs- viduellen Erbguts als Basisuntersuchung zu resistenz und um Prävention und Früherkennung etablieren. Damit wird es möglich, bei jedem kümmern. Tumorpatienten individuell zu analysieren, wel- che Signalwege im Gewebe gestört sind und Gemeinsame Plattformen bündeln die Kräfte gezielte Therapien auszuwählen.

Erleichtert wird die gemeinschaftliche Forschungs- • strahlentherapie: arbeit durch mehrere Forschungsplattformen. Mit der Protonen- und Schwerionentherapie „Eines der wichtigsten Ziele des DKTK ist es, einen steht in Deutschland seit Kurzem ein ganz neuer permanenten Fluss von Projekten zu haben, die aus strahlentherapeutischer Ansatz zur Verfügung. der Grundlagenforschung in die klinische Prüfung „Diese Strahlung hat einige Eigenschaften, die gehen“, so Wiestler. Für den Informationsaustausch sich grundsätzlich von der bisher eingesetz- sorgt eine „Clinical Communication Platform“. Sie ten Photonenstrahlung unterscheiden“, erklärt dient einerseits der Rekrutierung von Patientin- Wiestler. Im DKTK soll die neue Bestrahlungsme- nen und Patienten für große klinische Studien mit thode systematisch evaluiert werden. „Wir wol- Aufbau einer Biobank und eines klinischen Krebs- len auf diesem Gebiet weltweit führend werden“, registers. Andererseits ist sie als Informationsdreh- so Wiestler. 24 Krebsforschung

• tumorstammzellen: Attraktive Angebote für den Bei vielen Krebsvarianten kann es auch nach Jah- wissenschaftlichen nachwuchs ren noch zu Rezidiven kommen. Ein Grund sind Tumorstammzellen, die die Ersttherapie über- Krebsforschung führt nur dann zum Erfolg, wenn standen haben und im Körper schlummern. For- unterschiedliche Disziplinen an einem Strang zie- scherinnen und Forscher des DKTK nehmen die hen. Einer breit gefächerten Nachwuchsförde- Biologie dieser Tumorstammzellen genau unter rung kommt deswegen eine besondere Bedeutung die Lupe. Am Beispiel Blutkrebs suchen sie nach zu. „Wichtig ist es vor allem, junge Medizinerin- Methoden, die Tumorstammzellen zu mobili- nen und Mediziner mit einer gewissen klinischen sieren, um sie zugänglicher für Therapien zu Erfahrung in die Krebsforschung zu holen“, betont machen. Wiestler. Speziell für diese Nachwuchsgruppe soll am DKTK eine „School of Oncology“ aufgebaut • Immuntherapie: werden. Auf der anderen Seite werden Forscherin- Das körpereigene Immunsystem dient nicht nur nen und Forscher mit naturwissenschaftlichem der Abwehr von Infektionen. Es kann prinzipiell Hintergrund stärker an die translationale For- auch die Ausbreitung von Tumorerkrankungen schung herangeführt. Dazu wird unter anderem verhindern. Um das Immunsystem bei Krebser- ein Stipendienprogramm entwickelt. krankungen zu aktivieren, werden zunehmend Tumorimpfungen erprobt, die eine spezifisch gegen den Tumor gerichtete Immunreaktion auslösen. Am DKTK wird unter anderem eine T-Zell-Impfung bei Nierenkrebs evaluiert.

• Prävention: Im Bereich der Krebsprävention geht es unter anderem darum, Maßnahmen zu finden, mit denen die Menschen stärker als bisher zu Vorsor- geuntersuchungen motiviert werden können. Ein Ansatz besteht darin, bei der Darmkrebsvor- sorge besonders gefährdete Personen gezielt anzusprechen.

Moderne Krebsforschung spielt sich längst nicht mehr nur in Reagenz- glas und Petrischale ab. Heute werden Tumore mithilfe vieler Millio- nen Datensätze analysiert und bewertet. Ohne leistungsfähige Com- puter und moderne Biostatistik wäre das unmöglich. Krebsforschung 25

Das Deutsche Konsortium für Translationale Krebsforschung

Berlin Essen / Düsseldorf Charité Universitätsmedizin Berlin Universitätsklinikum Essen der Universität Duisburg Essen Heinrich Heine-Universität Düsseldorf Standortkoordination Professor Dr. Reinhold Schäfer Standortkoordination Comprehensive Cancer Center Charité Professor Dr. Martin Schuler Universitätsmedizin Berlin Westdeutsches Tumorzentrum Universität Essen

Frankfurt / Mainz Dresden Universitätsklinikum Frankfurt am Main Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main der Technischen Universität Dresden Georg-Speyer-Haus, Frankfurt Max Planck-Institut für Molekulare Zellbiologie und Genetik Krankenhaus Nordwest, Frankfurt Helmholtz Zentrum Dresden-Rossendorf Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität, Mainz Standortkoordination Standortkoordination Professor Dr. Michael Baumann Tumorzentrum Dresden Professor Dr. Hubert Serve Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Tumorzentrum Rhein-Main-Klinikum Technische Universität Dresden Universität Frankfurt

Heidelberg

Deutsches Krebsforschungszentrum Universitätsmedizin der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg München Nationales Centrum für Tumorerkrankungen, Heidelberg Ludwig-Maximilians-Universität München Assoziierter Partner: Paul Ehrlich-Institut, Langen Technische Universität München Assoziierter Partner: Universität zu Köln Standortkoordination Standortkoordination Professor Dr. Wolfgang Hiddemann Professor Dr. Otmar D. Wiestler Ludwig-Maximilians-Universität Deutsches Krebsforschungszentrum, Heidelberg München Professor Dr. Josef Puchta Deutsches Krebsforschungszentrum, Heidelberg

tübingen Universitätsmedizin der Eberhard-Karls-Universität Tübingen Freiburg Fakultät für Lebenswissenschaften der Eberhard-Karls-Universität Tübingen

Universitätsmedizin der Standortkoordination Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Professor Dr. Klaus Schulze-Osthoff Max Planck-Institut für Immunbiologie Comprehensive Cancer Center Universität Tübingen Standortkoordination Professor Dr. Oliver G. Opitz Comprehensive Cancer Center Universitätsklinikum Freiburg 26 DIABEtEsFoRscHunG Diabetesforschung 27

Diabetes: Der Zucker spielt verrückt

Bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts hinein war der Diabetes mellitus, die „Zuckerkrank- heit“, eine vergleichsweise seltene stoffwechselstörung. seither allerdings haben sich die lebensgewohnheiten vieler Menschen deutlich geändert. Der Diabetes ist dadurch zu einer Volkskrankheit geworden – mit zahlreichen Folgeerkrankungen. Für die Diabetesforschung ist deswegen nicht nur die Behandlung, sondern vor allem auch die Prävention ein wichtiges Betätigungsfeld.

Zucker – lebenswichtig und lebensgefährlich

Ohne Zucker kann der Mensch nicht leben. Die Glukose, der Traubenzucker, ist die wichtigste kurzfristige Energiequelle des Organismus. Zur Energiegewinnung wird Glukose im Körper mit Hilfe von Sauerstoff vollständig in Wasser und Koh- lendioxid zerlegt. Dabei entstehen große Mengen Adenosintriphosphat (ATP), die universelle „Ener- giewährung“. Mit keinem anderen Nährstoff kann der menschliche Körper in so kurzer Zeit so viel Energie bereitstellen wie mit der Glukose.

Vor allem das Gehirn ist abhängig von Glukose. Die Wirkung des Hormons ist aber eingeschränkt. Rund die Hälfte der Glukose, die unser Körper ver- Das Auftreten speziell von Typ-2-Diabetes korreliert braucht, schöpft das Gehirn ab. Glukose ist aber mit der modernen Lebensweise: Bewegungsmangel nicht nur lebensnotwendig. Zuviel Glukose im Blut und bestimmte Ernährungsgewohnheiten erhöhen ist gleichzeitig gefährlich. Zuckermoleküle können das Risiko deutlich. mit vielen anderen Molekülen chemisch reagieren. Die Produkte, die dabei entstehen, schädigen im Es ist deswegen kein Wunder, dass die Zahl der Laufe der Zeit die Organe. Vor allem unsere Blutge- Menschen mit Diabetes stark zugenommen hat. In fäße reagieren sensibel auf zu viel Zucker. den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts lag die Häu- figkeit des Diabetes mellitus bei unter einem Pro- Weil die Glukose als Energieträger so wichtig, zent. Heute bewegt sich die Quote in Richtung zehn gleichzeitig aber auch potenziell gefährlich ist, hat Prozent. Und es werden mehr: Nach Schätzungen die Natur Mechanismen hervorgebracht, mit denen der Vereinten Nationen wird sich die Zahl der Men- die Zuckerkonzentration im Blut innerhalb gewis- schen mit Diabetes weltweit von derzeit 250 Millio- ser Grenzen konstant gehalten wird. Eine wichtige nen bis zum Jahr 2025 auf dann 380 Millionen erhö- Funktion erfüllt dabei das Hormon Insulin, das in hen. In Deutschland leben nach WHO-Daten sechs den Betazellen der Bauchspeicheldrüse produziert bis acht Millionen Menschen mit Diabetes. Jedes wird und den Blutzucker absenkt. Jahr treten rund 270.000 Neuerkrankungen auf.

Von einer Rarität zur Volkskrankheit Zuckerkrank ist nicht gleich zuckerkrank

Patientinnen und Patienten mit Diabetes mellitus Diabetes ist ein Oberbegriff für unterschiedliche haben Schwierigkeiten, den Blutzuckerspiegel kon- Störungen des Zuckerstoffwechsels. Der vergleichs- stant zu halten. Das kann unterschiedliche Ursa- weise seltene Typ-1-Diabetes ist eine Autoimmuner- chen haben. Beim Typ-1-Diabetes produziert die krankung, bei der das Immunsystem des Körpers Bauchspeicheldrüse nicht genug Insulin. Bei ande- die insulinproduzierenden Zellen angreift. Dadurch ren Diabetesformen, vor allem beim Typ-2-Diabe- geraten die Insulinproduktion ins Stocken und der tes, ist die Insulinproduktion zunächst noch intakt. Zuckerstoffwechsel außer Kontrolle. 28 Diabetesforschung

Der mit einem Anteil von etwa 95 Prozent viel häufigere Typ-2-Diabetes ist die Folge einer kom- plexen Interaktion zwischen Umwelteinflüssen, Lebensstil und Genen. Die Zunahme der Diabetes- häufigkeit in den letzten Jahrzehnten betrifft vor allem den Typ-2-Diabetes. Unter den weiteren For- men von Diabetes ist der Schwangerschaftsdiabetes von zunehmender Bedeutung. Er tritt in den Indus- trienationen bei jeder zwanzigsten schwangeren Frau auf und ist ebenfalls mit Lebensstilfaktoren assoziiert.

Bei Diabetikern sollte eine regelmäßige Untersuchung der Augen stattfinden.

Daten der Deutschen Diabetes-Union zufolge entwickeln mehr als zehn Prozent aller Menschen mit Diabetes eine diabetische Augenerkrankung („Retinopathie“). Bei ähnlich vielen Patientinnen und Patienten entsteht als Folge des Diabetes eine Erkrankung der peripheren Nerven („Neuropa- thie“). Jeder Dreißigste hat nach vielen Jahren Dia- beteserkrankung schwere Nierenschäden. Und auch das Risiko von Herzinfarkten, Schlaganfäl- Bei etwa jeder zwanzigsten schwangeren Frau wird ein Schwanger- len und Durchblutungsstörungen in den Beinen schaftsdiabetes diagnostiziert. erhöht sich.

Die Diabetesforschung weiß mittlerweile, dass Die Prävention dieser und anderer Diabetes- diese grobe Einteilung nicht die ganze Wahrheit komplikationen ist sowohl medizinisch als auch ist. Speziell der Typ-2-Diabetes ist keine einheitliche gesundheitsökonomisch geboten. Denn Patien- Erkrankung. Er dürfte sich in Zukunft anhand unter- tinnen und Patienten mit Folgeerkrankungen des schiedlicher genetischer und metabolischer Para- Diabetes verursachen mehr als viermal höhere Kos- meter weiter unterteilen lassen. In jedem Fall ist ten für die Gesetzliche Krankenversicherung als der Diabetes sehr viel komplexer als angenommen: durchschnittliche Versicherte. Ohne Folgeerkran- Außer der Bauchspeicheldrüse sind Leber, Muskeln kung liegen die Kosten dagegen nur etwa ein Drit- und Fettgewebe an der Regulation des Zuckerstoff- tel höher. Gezielte Prävention lohnt sich also für die wechsels beteiligt. Unterschätzt wurde bisher auch Betroffenen und für das Gesundheitssystem. die Bedeutung des Gehirns, das über Suchtverhal- ten und Sättigungsmechanismen bei einem Teil der Betroffenen zur Diabetesentstehung beiträgt.

Herausforderung Prävention

Der Diabetes ist nicht nur eine Herausforderung für Grundlagenforschung und klinische Forschung, sondern auch eine Herausforderung für Versor- gung und Versorgungsforschung. Hier geht es vor allem darum, durch Früherkennung, rechtzeitige Behandlung und effektive Prävention langfristige Komplikationen des Diabetes zu verhindern. Diabetesforschung 29

Das Deutsche Zentrum für Diabetesforschung

Molekularbiologische Methoden und klinische Marker erlauben es zunehmend, bei Menschen mit Diabetes mellitus oder hohem Diabetesrisiko subgruppen zu bilden. wie die optimale Prävention und therapie bei den Betroffenen jeweils aussieht, ist Gegenstand intensiver For- schung. Im Deutschen Zentrum für Diabetesforschung e.V. bündeln fünf führende Forschungs- einrichtungen ihre Kräfte, um gemeinschaftlich innovative Projekte voranzubringen, die für jeden alleine zu groß wären.

Forschen für eine Zukunft ohne Diabetes Abhängigkeit von Biomarkern und weiteren indi- viduellen Faktoren zu untersuchen“, sagt Profes- Zivilisationskrankheiten wie Fettstoffwechselstö- sor Dr. Dr. Hans-Ulrich Häring von der Universität rungen, Übergewicht oder Diabetes mellitus wer- Tübingen. den in Deutschland noch immer häufig als ein Pro- blem der anderen abgetan. Dabei ist Deutschland DZD konkret: was wird erforscht? längst ähnlich betroffen von diesen neuen „Epide- mien“ wie die USA oder Indien, Länder, die in die- • Klinische studien zur Prävention sem Zusammenhang meist als erstes genannt wer- und Behandlung: den. Um die Diabetesforschung in Deutschland Für die Deutsche Prädiabetes-Studie, die unter voran zu bringen, haben sich fünf renommierte der Koordination des Paul-Langerhans-Instituts Forschungsinstitutionen im Juni 2009 zum Deut- der Universität Tübingen an allen Standorten schen Zentrum für Diabetesforschung e.V. (DZD) durchgeführt wird, konnten bisher 800 Proban- zusammengeschlossen. „Wir bringen im DZD dinnen und Probanden gewonnen werden. außeruniversitäre Forschungszentren und Univer- In dieser Studie wird die Wirksamkeit unter- sitäten auf einer institutionellen Basis zusammen. schiedlicher Präventionsprogramme unter- Nach jetzt zwei Jahren hat sich eine neue und sehr sucht, und zwar bei Menschen, bei denen eine intensive Form der Zusammenarbeit entwickelt“, Veränderung des Lebensstils wahrscheinlich betont Professor Dr. Martin Hrabé de Angelis vom nicht ausreichen würde, um einer Diabeteser- Helmholtz Zentrum München. krankung erfolgreich vorzubeugen. In einer weiteren klinischen Studie, der Deutschen Dia- Gesucht: Ansätze für eine betes-Studie, wird der Verlauf der Erkrankung gezielte Prävention bei derzeit 500 neu diagnostizierten Patientin- nen und Patienten verfolgt. Dies soll zukünf- Für die deutsche Diabetesforschung ist das ein tig eine individualisierte Behandlung und eine Glücksfall, wie Professor Dr. Michael Roden vom Früherkennung von Spätfolgen ermöglichen. Deutschen Diabetes-Zentrum Düsseldorf erläutert: Weiterhin werden in Dresden und München „Weil Grundlagenforscher und klinische Forscher Impfstrategien für Typ-1-Diabetes entwickelt durch die enge Kooperation viel genauer über die und klinisch evaluiert. Aktivitäten in den unterschiedlichen Einrichtun- gen informiert sind, können die Erkenntnisse aus • Epidemiologie: Diabetesmodellen schneller in präklinische und Die Auswirkungen von Umwelt, Lebensstil und klinische Forschungsprojekte umgesetzt werden.“ Genen auf die Entstehung des Diabetes wer- den in großen Bevölkerungsstudien untersucht. Einen Schwerpunkt bildet dabei die Entwick- Ziel ist es, verlässliche Biomarker für die Früh- lung individualisierter Präventionsstrategien. So erkennung und Verlaufsbeobachtung zu iden- ist beispielsweise seit Kurzem bekannt, dass kör- tifizieren und die Aussagekraft des am Standort perliche Betätigung bei einigen Menschen weni- Potsdam entwickelten Deutschen Diabetes- ger stark diabetespräventiv wirksam ist als bei Risiko-Tests weiter zu verbessern. Ein Diabetes- anderen. „Das DZD erlaubt es uns jetzt, große kli- register soll zukünftig aussagekräftige Zah- nische Studien durchzuführen, um die Effektivi- len zur Häufigkeit von Diabetes mellitus in tät unterschiedlicher Präventionsmaßnahmen in Deutschland liefern. 30 Diabetesforschung

Moderne Analysestraße zur Bestimmung Mit Hilfe von DNA-Chips kann die Aktivität einzelner Gene untersucht werden. von Biomarkern.

• Molekulare Mechanismen im Diabetesmodell: Internationale Berater, intensive Die weltweit einzigartige Diabetes-Mausklinik, nachwuchsförderung die gemeinsam vom Helmholtz Zentrum Mün- chen und dem Deutschen Institut für Ernäh- Um die Zusammenarbeit zwischen den am DZD rungsforschung in Potsdam aufgebaut wurde, beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissen- trägt dazu bei, die molekularen Grundlagen der schaftlern so intensiv wie möglich zu gestalten, Krankheitsentstehung aufzuklären. Anhand der wurde begonnen, ganze Forschungsgruppen zwi- Diabetesmodelle können Wissenschaftlerinnen schen den Standorten auszutauschen. Speziell für und Wissenschaftler des DZD die Wirkmechanis- den wissenschaftlichen Nachwuchs wird derzeit men von Diabetestherapien in Abhängigkeit von ein eigenes, zentrumsweites PhD-Programm ent- genetischen Faktoren untersuchen. wickelt. Auch auf die internationale Einbindung der Forschung wird viel Wert gelegt: Ein mit inter- • Erhalt der Betazellfunktion: nationalen Koryphäen besetztes Advisory Board Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler evaluiert die Projekte des DZD in regelmäßigen der Universität Dresden und anderer Stand- Abständen. „Was wir merken, ist, dass unser Zen- orte suchen gemeinsam nach Wegen, die Funk- trum aufgrund seiner ungewöhnlichen Struktur tion der Betazellen und damit die körpereigene von Forschungsförderungsinstitutionen im Aus- Insulinproduktion zu erhalten. Unter anderem land mit großem Interesse verfolgt wird“, betont erforschen sie die Entwicklungsbiologie der Professor Hrabé de Angelis. Betazellen von der Stammzelle bis zum fertigen „Insulinproduzenten“, um so neue Wege für innovative Therapien zu finden. Diabetesforschung 31

Das Deutsche Zentrum für Diabetesforschung

Potsdam

Deutsches Institut für Ernährungsforschung Potsdam

Standortkoordination Professor Dr. Dr. Hans-Georg Joost Wissenschaftlicher Vorstand Deutsches Institut für Ernährungsforschung (DIfE) Düsseldorf

Deutsches Diabetes-Zentrum Düsseldorf

Standortkoordination Dresden Professor Dr. Michael Roden Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden Wissenschaftlicher Vorstand Deutsches Diabetes-Zentrum Düsseldorf Technische Universität Dresden Standortkoordination Professor Dr. Michele Solimena Direktor des Paul Langerhans-Instituts Dresden Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Technische Universität Dresden

München

Helmholtz Zentrum München tübingen Standortkoordination Eberhard-Karls-Universität Tübingen Professor Dr. Martin Hrabé de Angelis Standortkoordination Direktor des Instituts für Experimentelle Genetik Helmholtz Zentrum München – Deutsches Professor Dr. Dr.h.c. Hans-Ulrich Häring Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt Ärztlicher Direktor der Medizinischen Klinik IV Eberhard-Karls-Universität Tübingen 32 nEuRoDEGEnERAtIVE ERKRAnKunGEn Neurodegenerative Erkrankungen 33

Neurodegenerative Erkrankungen: „Massensterben“ im Gehirn

Die Vorstellung, im Alter das Gedächtnis zu verlieren oder verhaltensauffällig zu werden, ver- ursacht bei vielen Menschen unbehagen. In einer alternden Gesellschaft ist die Demenz eine der großen Herausforderungen für die biomedizinische Forschung und für die sozialsysteme. Auch bei anderen Erkrankungen wie etwa der Parkinson-Erkrankung sterben nervenzellen im Gehirn ab. warum das bei einigen Menschen passiert, bei anderen dagegen nicht, ist bisher weitgehend unklar.

wenn das Gehirn zu schnell altert bekannt. Bei weiteren 100.000 könnte die Erkran- kung vorliegen, ohne dass sie bisher diagnostiziert Mit zunehmendem Alter nimmt die Funktion vie- worden wäre. ler Organe des Menschen ab. Das Gehirn und das Nervensystem sind da leider keine Ausnahme. Wie Einiges spricht dafür, dass das erst der Beginn bei anderen Organen gibt es auch beim Gehirn einer Entwicklung ist, die in den kommenden Jahr- einerseits den „normalen“, schleichenden Funk- zehnten epidemische Ausmaße annehmen könnte. tionsverlust, mit dem der Mensch bis ins höchste Wenn es bei Prävention und Behandlung keine Alter zurecht kommen kann, weil er die Defizite Veränderungen geben sollte, dann dürfte die Zahl durch Erfahrung ausgleicht. Der Funktionsverlust der Patientinnen und Patienten mit neurodegene- des Gehirns kann aber auch krankhafte Ausmaße rativen Erkrankungen bis zum Jahr 2050 allein als annehmen, wenn Nervenzellen in einem Maße Folge des demographischen Wandels und der wei- absterben, das nicht mehr ohne Weiteres kompen- ter zunehmenden Lebenserwartung auf drei Millio- sierbar ist. nen oder mehr ansteigen.

Tritt das auf, sprechen Expertinnen und Exper- Der ort der Erkrankung entscheidet ten von neurodegenerativen Erkrankungen. Es über die symptome handelt sich dabei um eine relativ heterogene Gruppe von Erkrankungen, die überwiegend in Neurodegenerative Erkrankungen werden oft erst der zweiten Lebenshälfte auftreten. Gemeinsam ist dann diagnostiziert, wenn sie sich bereits in einem ihnen, dass mehr Nervenzellen zugrunde gehen, fortgeschrittenen Stadium befinden. Das Gehirn als mit zunehmendem Alter eigentlich zu erwar- kann viele Schäden für lange Zeit kompensieren, ten wäre. Dieses „Massensterben“ kann in speziel- ohne dass das im Alltag auffällt. Welche Symptome len Regionen des Gehirns auftreten, wie etwa bei die Betroffenen im Laufe der Zeit entwickeln, hängt der Parkinson-Erkrankung. Es kann aber auch das davon ab, wo genau die Nervenzellen absterben. ganze Gehirn oder große Teile davon betreffen. Das ist bei der Demenz der Fall.

Eine Epidemie in wartestellung

Neurodegenerative Erkrankungen sind schon heute alles andere als eine Seltenheit. Genaue Zahlen sind schwer zu ermitteln, weil es sich um Erkrankungen handelt, die die Patientinnen und Patienten nicht zwangsläufig ins Krankenhausführen. Fachleute gehen davon aus, dass derzeit in Deutschland min- destens eine Million Menschen mit einer Demen- zerkrankung leben. Nach Angaben der Deutschen Parkinson-Vereinigung ist darüber hinaus bei etwa 150.000 Menschen eine Parkinson-Erkrankung 34 Neurodegenerative Erkrankungen

Bei der Parkinson-Erkrankung sind Nervenzel- len betroffen, die den Botenstoff Dopamin produ- zieren und die unter anderem für die Bewegungs- steuerung benötigt werden. Entsprechend wirken Patientinnen und Patienten mit Parkinson steif, oder sie zeigen auffällige Muskelbewegungen wie etwa einen Tremor. Die geistigen Funktionen dagegen sind intakt. Anders bei der Demenz. Hier lassen die geistigen Fähigkeiten zunehmend nach, etwa das Gedächtnis und die Orientierung. Auch die Persönlichkeit verändert sich.

Ganz anders sind die Symptome bei der amyotro- phischen Lateralsklerose, einer schweren Erkran- kung, die im mittleren Erwachsenenalter beginnt. Hier sterben Motoneurone ab, jene Nervenzellen, die die Muskulatur unmittelbar steuern. Das führt zu schwerwiegenden Lähmungen, die lebensbe- drohlich werden, wenn sie die Atemmuskulatur betreffen. Die Huntington-Erkrankung schließlich ist eine erbliche neurodegenerative Erkrankung, Elektronenmikroskopische Aufnahme von Nervenzellen. Sie kommuni- zieren miteinander über ihre langen Ausläufer, die Dendriten und Axone. die meist im vierten Lebensjahrzehnt ausbricht. In diesem Fall machen aber vor allem jene Zellen Pro- bleme, die den Botenstoff Glutamat produzieren. Typisch dafür sind „ausladende“ Bewegungen, die Auf die Versorgung kommt es an! an einen ekstatischen Tanz erinnern. Früher spra- chen die Menschen bei dieser Erkrankung deswe- Forschung im Bereich neurodegenerativer Erkran- gen von „Veitstanz“. kungen bedeutet mehr als „nur“ molekulare Biome- dizin. Neurodegenerative Erkrankungen sind nicht Forschen für eine frühere Diagnose nur eine medizinische, sondern vor allem auch eine und eine gezieltere therapie soziale Herausforderung. Wenn Demenzen oder Parkinson-Erkrankungen immer häufiger werden, Auch wenn bei den meisten neurodegenerativen dann müssen sich die ambulante Medizin und vor Erkrankungen bekannt ist, was im Gehirn passiert, allem auch die ambulante Pflege darauf einstel- so ist heute noch weitgehend unklar, warum es pas- len. Wie das am besten geschehen sollte, ist bisher siert. Die Neurowissenschaft versucht deswegen, nur ansatzweise klar. Hier setzen Versorgungsfor- möglichst detailliert zu klären, welche molekula- schungsprojekte an, die die Situation der Patien- ren Prozesse letztlich den Zelltod bei neurodege- tinnen und Patienten und ihre Probleme im Alltag nerativen Erkrankungen verursachen. Klinisch ist erfassen. Gesucht sind Lösungen, die es den Betrof- das sehr relevant: Zum einen kann die Forschung fenen erlauben, so lange wie möglich in ihrem sozi- zu den molekularen Mechanismen der Neurode- alen Umfeld zu verbleiben. Neurodegenerative generation zur Entdeckung neuer Biomarker füh- Erkrankungen sind keine Frage der Akutversor- ren, die eine frühe Diagnose erleichtern. Das ist die gung, sondern eine Herausforderung für die lang- Grundvoraussetzung für präventive Behandlungen, fristige Betreuung. die das Absterben der Nervenzellen künftig mögli- cherweise verhindern können. Zum anderen liefern die durch die neurobiologische Forschung aufge- deckten Krankheitsmechanismen auch mögliche Angriffspunkte für neue Medikamente. Neurodegenerative Erkrankungen 35

Das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen

Am Deutschen Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen versuchen wissenschaftlerinnen und wissenschaftler, Erkenntnisse der modernen neurobiologie in neue Ansätze zur Diagnose und Behandlung von neurodegenerativen Erkrankungen umzusetzen. Auch die Erforschung neuer Pflege- und Versorgungskonzepte ist ein wichtiger schwerpunkt.

Ein Zentrum der Exzellenz nerativen Erkrankungen Nervenzellen absterben und Synapsen verschwinden“, betont Nicotera. Zum Das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative anderen sollen frühe Diagnosemöglichkeiten ent- Erkrankungen (DZNE) ist ein Zentrum der Exzellenz, wickelt werden, um die Prävention neurodegene- das herausragende Forschung an neun Standorten rativer Erkrankungen zu verbessern. „Ganz wichtig in Deutschland bündelt. Mit besonderem Augen- ist für uns außerdem die Frage, wie die Versorgung merk auf die Rekrutierung von internationalen Wis- und die Pflege von Patientinnen und Patienten ver- senschaftlerinnen und Wissenschaftlern soll das bessert werden können und wie wir Angehörige bei DZNE eine der weltweit führenden Forschungsein- der Betreuung besser unterstützen können“, betont richtungen auf dem Gebiet der neurodegenerativen Nicotera. Erkrankungen werden. DZnE konkret: was wird erforscht? „Das DZNE bietet optimale Voraussetzungen für die translationale Forschung bei neurodegenerati- • ursachenforschung: ven Erkrankungen“, betont der wissenschaftliche Zahlreiche Standorte gehen im DZNE der Frage Vorstand DZNE, Professor Pierluigi Nicotera. „Die nach, warum Nervenzellen bei der Alzheimer- Struktur als Helmholtz Zentrum gibt uns Planungs- Demenz absterben und welche Rolle dem bei sicherheit für Forschungsprojekte, für die gerade Alzheimer-Kranken im Gehirn nachweisbaren bei Erkrankungen wie Demenz oder Parkinson Eiweiß Amyloid beta zukommt. häufig ein langer Atem nötig ist. Die Einbindung der universitären Forschung wiederum bedeutet • Altern als Risikofaktor für für das DZNE eine enorme klinische Expertise und neurodegeneration: bringt einen besseren Zugang zu den Patientinnen Es ist nach wie vor unklar, welche Verbindung und Patienten.“ zwischen dem Altern und der Neurodegene- ration besteht. Mögliche Faktoren könnten neun standorte, vier schwerpunkte metabolische und kardiovaskuläre Störungen beinhalten. In Bonn werden die molekularen Zwei Jahre nach seiner Gründung hat das DZNE Mechanismen, die das Einsetzen von Neuro- über 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Da es degeneration im Alter begünstigen, untersucht. derzeit noch keine krankheitsverändernden The- rapien für neurodegenerative Erkrankungen gibt, • Genvarianten bei Parkinson: müssen neue Strategien und Therapien entwickelt Als Teil eines internationalen Forschungskon- werden. Um translationale Forschung bestmöglich sortiums haben DZNE-Wissenschaftlerinnen umzusetzen, verfolgt das DZNE vier Forschungs- und -Wissenschaftler aus Tübingen fünf neue schwerpunkte: Grundlagenforschung, klinische Genvarianten identifiziert, die sich auf das Forschung, Bevölkerungsstudien und Versorgungs- Risiko einer Parkinson-Erkrankung auswirken. forschung. Damit gibt es jetzt elf Genvarianten, die mit die- ser Erkrankung in Zusammenhang stehen. Neue Ansätze zur Entwicklung von Medikamen- ten, die die Kognition verbessern, sind unbedingt • Versorgungsforschung: auf das Verständnis der normalen neuronalen Kom- Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler munikation zurückzuführen. „Zum einen geht es des DZNE aus Rostock und Greifswald stellen in darum, besser zu verstehen, warum bei neurodege- einer Pilotstudie die Versorgung Demenzkran- 36 Neurodegenerative Erkrankungen

ker durch ihre Angehörigen in den Mittelpunkt. Ein leuchtturm der Forschung, der auch Untersucht werden soll, inwieweit die gezielte international wahrgenommen wird Aufklärung und Schulung von Angehörigen eine vorzeitige Einweisung der Patientinnen und Pati- Zwei Jahre nach seiner Gründung hat das DZNE enten in eine Pflegeeinrichtung verhindert. auch international bereits für Aufmerksamkeit gesorgt. Gemeinsam mit Belgien, Italien, Irland, • Prävention: Großbritannien und Kanada hat das DZNE ein Welche Faktoren die kognitive Leistungsfähigkeit Memorandum of Understanding unterzeichnet, im Alter beeinflussen, wollen Wissenschaftlerin- das darauf abzielt, einheitliche Leitlinien und Tech- nen und Wissenschaftler in Kooperation mit dem nologien für die Erforschung neurodegenerati- Universitätsklinikum Magdeburg untersuchen. ver Erkrankungen zu entwickeln und anzuwen- Probanden bewegen sich auf einem Laufband und den. Desweiteren ermöglicht eine Kooperation mit müssen dabei unterschiedliche Denksportaufga- dem Gladstone Institute in San Francisco (USA) die ben erfüllen. Diese Studie könnte Ansatzpunkte Zusammenlegung von Forschungsgebieten, um so für gezielte Präventionsempfehlungen liefern. die Entwicklung neuer Therapien beschleunigen zu können. Dass das DZNE über die Grenzen hinweg • Bevölkerungsstudien: als attraktives Forschungszentrum wahrgenommen In Bonn wird der Aufbau einer Kohorte aus wird, zeigt der hohe Anteil internationaler Wissen- 30.000 Personen geplant. Alle Personen werden schaftlerinnen und Wissenschaftler. Jeder Vierte detailliert über mehrere Jahre untersucht, um kommt derzeit aus dem Ausland. An einzelnen frühe Biomarker und Risikofaktoren der Neuro- Standorten ist es sogar jeder Zweite. degeneration zu identifizieren.

Moderne Verfahren haben die Diagnostik von Hirnerkrankungen revolutioniert. Heute geht es darum, degenerative Veränderungen durch Bild- gebung oder Biomarker früh zu erkennen, um Zeit für präventiv wirksame Therapien zu gewinnen. Neurodegenerative Erkrankungen 37

Das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen

Rostock / Greifswald

Universität Rostock Universitätsklinikum Rostock Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Universitätsklinikum Greifswald

Standortkoordination Professor Dr. Stefan Teipel Klinik für Psychiatrie Universitätsklinikum Rostock

Göttingen

Universitätsmedizin Göttingen Berlin Georg-August-Universität Göttingen Charité Universitätsmedizin Berlin Standortkoordination und weitere Kooperationspartner Professor Dr. André Fischer Standortkoordination Universitätsmedizin Göttingen Professor Dr. Dietmar Schmitz Neuroscience Research Center Charité Universitätsmedizin Berlin witten Magdeburg Private Universität Witten/Herdecke Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg Standortkoordination Universitätsklinikum Magdeburg Professor Dr. Sabine Bartholomeyczik Leibniz-Institut für Neurobiologie Magdeburg Department für Pflegewissenschaften Universität Witten/Herdecke Standortkoordination Professor Dr. Emrah Düzel Institut für kognitive Neurologie und Demenzforschung Universitätsklinikum Magdeburg Bonn / Köln / Jülich

Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Universitätsklinikum Bonn Dresden Universität zu Köln Technische Universität Dresden Forschungszentrum caesar Universitätsklinikum Karl Gustav Carus Forschungszentrum Jülich Standortkoordination Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte Professor Dr. Gerd Kempermann Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns Centrum für regenerative Therapien (CRTD) Max-Planck-Institut für Neurologische Forschung TU Dresden

Standortkoordination Professor Dr. Dr. Pierluigi Nicotera DZNE Bonn

tübingen München Eberhard-Karls-Universität Tübingen Universitätsklinikum Tübingen Ludwig-Maxilimians-Universität München Gemeinnützige Hertie-Stiftung Technische Universität München Klinikum Rechts der Isar der TU München Standortkoordination Klinikum der LMU München Professor Dr. Thomas Gasser Hertie Institut für Klinische Hirnforschung Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum Universität Tübingen für Gesundheit und Umwelt Standortkoordination Professor Dr. Dr.h.c. Christian Haass Adolf-Butenandt-Institut Ludwig-Maximilians-Universität München 38 wAs FRÜHER wAR

„Wenn ich etwas weiter sah als andere, so deshalb, weil ich auf den Schultern von Giganten stand“,

schrieb Isaac newton im 17. Jahrhundert. Er bezog sich dabei auf die wissenschaftlichen Vorarbei- ten anderer, auf die er bei der Formulierung seiner Prinzipien der Mechanik aufbauen konnte. Auch die Forscherinnen und Forscher in den Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung stehen auf den schultern von Giganten. Zu vielem, was wir heute in der Medizin für selbstverständlich erachten, hat die deutsche Forschung ganz wesentlich beigetragen. Was früher war 39

Was früher war

Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Auch im 19. Jahrhundert beschäftigten sich Der siegeszug des Herzkatheters deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft- ler übrigens schon mit dem Herz-Kreislauf-System. Im 20. Jahrhundert hat die deutsche Forschung Der Tübinger Physiologe Karl von Vierordt entwi- wesentliche Beiträge zur Bekämpfung der Herz- ckelte 1855 die Sphygmographie, mit der der arte- Kreislauf-Erkrankungen geliefert. Bereits im Jahr rielle Puls aufgezeichnet werden konnte. Das Ver- 1929 erprobte der Chirurg Werner Forßmann, ein fahren war eine der Grundlagen für unsere heutige Assistent von Ferdinand Sauerbruch, in einem Form der Blutdruckmessung. Selbstversuch einen Herzkatheter. Forßmanns Methode ist aus der Kardiologie heute nicht mehr wegzudenken. Die bahnbrechende Arbeit wurde 1956 mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Infektionserkrankungen: Medizin belohnt. Der Kampf gegen die Keime

Auch im weiteren Verlauf blieb Deutschland In wenigen anderen Feldern waren deutsche in Sachen Herzkatheterforschung ein produk- Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler so tives Pflaster. Der deutsche Kardiologe Andreas einflussreich wie im Bereich der Forschung zu Grüntzig entwickelte im Jahr 1977 das Verfahren Infektionskrankheiten. Der Berliner Robert Koch der perkutanen transluminalen Koronarangio- entdeckte nicht nur im Jahr 1882 den Tuberkulose- graphie (PTCA), also die Ballondilatation an den bazillus, sondern ein Jahr später auch den Erreger Herzkranzarterien. Sie kommt heute in der Akut- der Cholera. therapie beim Herzinfarkt zum Einsatz und hat unzähligen Menschen das Leben gerettet. Der allererste Medizinnobelpreis überhaupt wurde im Jahr 1901 an den Infektiologen Emil von Im Jahr 1964 erhielten der Deutsch-Amerika- Behring verliehen. Behring hatte im Jahr 1890 ner Konrad Emil Bloch und Feodor Lynen vom Max das Diphtherie-Heilserum entwickelt, ein klares Planck Institut in München einen weiteren Nobel- Serum, das aus dem Blut von mit Diphtherie infi- preis für Arbeiten, die die Versorgung von Herz- zierten Pferden gewonnen wurde. Es war die erste Kreislauf-Patientinnen und -Patienten nachhal- spezifische Therapie gegen die Diphtherie. tig beeinflussten. Die beiden Forscher entdeckten biochemische Mechanismen im Zusammenhang Das Diphtherieheilserum war nur die erste einer mit der Regulierung des Cholesterin- und Fettstoff- ganzen Reihe von antiinfektiösen Therapien, die aus wechsels – einer der wichtigsten Ansatzpunkte für Deutschland kamen. Der Chemiker und Arzt Paul präventive Therapien. Ehrlich führte im Jahr 1909 das heute nicht mehr ein-

Robert Koch und seine Begleiter auf der Deut- Werner Forßmann Robert Koch schen Cholera-Expedition in Ägypten 1883. Emil Adolf von Behring 40 Was früher war

gesetzte Salvarsan gegen die ein. Salvarsan tion ist. Im Jahr 1905 erhielt er dafür den Nobelpreis ist eine Arsenverbindung und damit noch kein Anti- für Physiologie oder Medizin. Koch entwickelte biotikum im modernen Sinne. Entdeckt worden war auch einen Glyzerinextrakt der Tuberkulosebazil- der Syphiliserreger Treponema pallidum übrigens len, das Tuberkulin. Es war ursprünglich als Thera- erst vier Jahre vorher, durch den deutschen Zoologen pie gedacht, funktionierte aber nicht. Zusammen Fritz Schaudinn und den Hautarzt Erich Hoffmann. mit dem Franzosen Charles Mantoux nutzte der Bonner Arzt Felix Mendel das Tuberkulin für die Ent- Ein echtes Antibiotikum aus der Klasse der wicklung eines Hauttests auf Tuberkulose, der noch Sulfonamide entdeckte der in Brandenburg heute eingesetzt wird. geborene Pathologe und Bakteriologe Gerhard Domagk, der bei Bayer mit dem Farbstoff Pron - Eng verknüpft mit der deutschen Lungenfor- tosil (Sulfamidochrysoidin) arbeitete und des- schung ist auch der Name Ernst Ferdinand Sauer- sen antibakterielle Wirksamkeit im Jahr 1935 bruch, einer der bedeutendsten Chirurgen in der beschrieb. Vier Jahre später erhielt er dafür den ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sauerbruch kon- Nobelpreis für Physiologie oder Medizin. struierte im Jahr 1904 eine Unterdruckkammer, die die Lunge bei operativen Eingriffen am Brustkorb daran hinderte, in sich zusammen zu fallen. Später wurde stattdessen ein Überdruck von innen an die lungenerkrankungen: Lunge angelegt. Nach diesem Prinzip funktioniert Eine Entdeckung, die die welt veränderte noch heute die Beatmung bei Intubationsnarkosen.

Die Geschichte der Lungenforschung ist über viele Jahre fast gleichbedeutend mit der Geschichte der Tuberkulose. Der Bamberger Arzt Johann Lukas Krebs: Von der Zellularpathologie zur Impfung Schönlein erkannte im Jahr 1839, dass die Tuberku- lose eine eigenständige Krankheit ist. Er war auch Zu den grundlegenden Meilensteinen der medizi- wesentlich an der Entwicklung von Auskultation nischen Forschung im Allgemeinen und der Krebs- und Perkussion beteiligt, zwei Standardmethoden forschung im Besonderen zählt die Entwicklung der klinischen Untersuchung von Patientinnen und der Zellularpathologie durch den Berliner Arzt Patienten mit Lungenbeschwerden. Rudolf Virchow in der zweiten Hälfte des 19. Jahr- hunderts. Nach Virchows Tod beschäftigte sich der Am 24. März 1882 beschrieb Robert Koch erst- Chemiker und Bakteriologe Paul Ehrlich Anfang mals das Mycobacterium tuberculosis und zeigte des 20. Jahrhunderts mit der Hemmung des Zell- damit, dass die Tuberkulose eine bakterielle Infek- wachstums. Ehrlich prägte den Begriff Chemothe-

Nahaufnahme einer Mycobacterium tubercu- losis-Kultur, welche die Kolonienmorphologie Paul Ehrlich Gerhard Domagk des Organismus aufzeigt. Ernst Ferdinand Sauerbruch Was früher war 41

rapie, der damals aber nicht für Krebserkrankun- der Krebstherapie nicht mehr wegzudenken sind. gen reserviert war und von Ehrlich vor allem für Zusammen mit zwei Kollegen erhielt Köhler für chemisch hergestellte Substanzen gegen Infekti- seine Arbeit 1984 den Medizinnobelpreis. onserreger benutzt wurde. Zur selben Zeit wie Köhler arbeitete der Krebs- Schon Jahre vorher, im Jahr 1896, setzte der forscher Harald zur Hausen zunächst in Erlan- Radiologe Leopold Freund zum ersten Mal Rönt- gen, später in Freiburg und Heidelberg. Schon genstrahlen für die Beseitigung von Gewebewu- 1976 äußerte er den Verdacht, dass humane Papil- cherungen ein: Ein Jahr nach der Entdeckung der lomaviren an der Entstehung des Gebärmutter- Röntgenstrahlen durch Wilhelm Conrad Röntgen halskrebses beteiligt seien könnten. In den Jahren bestrahlte und beseitigte Freund bei einem Patien- danach konnte er das zweifelsfrei belegen. Mittler- ten einen großen behaarten Leberfleck. weile gibt es mit der HPV-Impfung eine erste spe- zifisch zur Tumorprävention entwickelte Impfung. Nichts mit Krebs zu tun hatte der Medizinno- Zur Hausen erhielt im Jahr 2008 den Nobelpreis für belpreis, den der Arzt, Biochemiker und Physio- Physiologie oder Medizin. loge Otto Heinrich Warburg im Jahr 1936 verliehen bekam. Die Auszeichnung erfolgte für Arbeiten im Zusammenhang mit der Erforschung des Ener- giestoffwechsels der Zellen. Doch Warburg hat Diabetes: Von der langerhans’schen Insel auch in der Krebsmedizin Bleibendes geschaffen: bis zum Insulin Er konnte zeigen, dass Tumorzellen einen auffäl- lig hohen Glukoseverbrauch haben. Das machen Das blutzuckersenkende Hormon Insulin wird in den sich Krebsmedizinerinnen und -mediziner heute Betazellen der Bauchspeicheldrüse produziert, die zunutze, wenn sie Tumorgewebe bei der Positro- dort kleine Gewebehäufchen bilden. Entdeckt hat nenemissionstomographie mit Hilfe von Glukose diese Zellhaufen im Jahr 1869 der Berliner Pathologe bildlich darstellen. Paul Langerhans. 24 Jahre später wurden sie ihm zu Ehren „Langerhans’sche Inseln“ genannt. In den 70er und frühen 80er Jahren arbeitetet der Freiburger Biologe Georges J. F. Köhler in der Schon im Jahr 1903 extrahierte der deutsche Krebsgrundlagenforschung und beschäftigte sich Kinderarzt und Internist Georg Ludwig Zülzer ein dabei unter anderem mit der Fusion von Blutkrebs- Extrakt aus der Bauchspeicheldrüse von Kälbern, zellen mit B-Lymphozyten. Aus solchen so genann- das den Blutzucker senken konnte. Im Jahr 1906 ten Hybridomzellen konnten erstmals monoklo- rettete er damit das Leben eines Patienten im dia- nale Antikörper hergestellt werden, die heute aus betischen Koma. Nach der Entdeckung des Insulins

Fluoreszenzmikroskopie einer Langerhans- Insel: Betazellen (grün), Alphazellen (rot), Rudolf Virchow Paul Langerhans Zellkerne (blau). Professor Harald zur Hausen 42 Was früher war

durch kanadische und rumänische Wissenschaft- Wenig später, im Jahr 1920, veröffentlichte ein ler startete am 31. Oktober 1923 in Deutschland die weiterer deutscher Nervenarzt einen Fachartikel industrielle Produktion von Kälberinsulin für die über eine neurodegenerative Erkrankung, für die Diabetestherapie bei den Farbwerken Hoechst. er später seinen Namen hergab. Hans-Gerhardt Creutzfeldt untersuchte eine Patientin, die zufäl- Die Details des Zuckerstoffwechsels waren ligerweise erneut in der Klinik von Alois Alzhei- damals noch gar nicht bekannt. Der deutsch-briti- mer behandelt wurde und beschrieb ihre Erkran- sche Wissenschaftler Hans Adolf Krebs entdeckte kung, die später als Creutzfeldt-Jakob-Krankheit im Jahr 1937 den Citrat-Zyklus und damit den wich- (CJK) in den Lehrbüchern auftauchen wird. Heute tigsten biochemischen Stoffwechselweg, den unser wird davon ausgegangen, dass CJK durch infektiöse Körper nutzt, um aus Glukose Energie zu gewinnen. Eiweißpartikel ausgelöst wird, Prionen genannt. Im Jahr 1953 erhielt Krebs den Nobelpreis für Phy- Die viel häufigere Prionenerkrankung der Schafe, siologie oder Medizin. Der Citrat-Zyklus wird noch die Scrapie, wurde schon 1759 beschrieben – von heute oft Krebs-Zyklus genannt. dem deutschen Tierarzt Johann Leopoldt.

1963 konnte der Chemiker Helmut Zahn einen Auch bei der neurologischen Diagnostik wurde weiteren Erfolg für die deutsche Diabetesfor- im deutschsprachigen Raum viel geleistet. Dem schung einfahren. Als Erstem weltweit gelang ihm Neurologen Hans Berger gelang im Jahr 1924 in Aachen die chemische Synthese des Insulins. Er die Aufzeichnung des ersten Elektroenzephalo- brauchte dafür über zweihundert Synthesestufen. gramms (EEG) – heute eine Standardmethode. Später, nämlich 1942, war es mit dem Wiener Karl Theo Dussik wiederum ein Neurologe, der die erste dokumentierte Ultraschalluntersuchung in neurodegenerative Erkrankungen: der Medizin vornahm: Er bildete einen Seitenven- Viele deutsche namen trikel des Gehirns ab.

Eine der berühmtesten Patientinnen der gesamten In den letzten Jahren haben sich Wissenschaft- Medizingeschichte litt an einer neurodegenerativen lerinnen und Wissenschaftler aus Deutschland Erkrankung. Auguste Deter aus Frankfurt am Main unter anderem bei der Entwicklung so genannter wurde im Jahr 1901 dem Breslauer Psychiater und Brain-Computer-Interfaces (BCI) weltweit einen Neuropathologen Alois Alzheimer vorgestellt. Er war Namen gemacht. Mehrere Arbeitsgruppen sind in der erste, der anhand von Auguste Deters Sympto- diesem Bereich ganz vorn mit dabei. men die später nach ihm benannte Demenzerkran- kung Morbus Alzheimer detailliert beschrieb.

Alois Alzheimer Feingeweblicher Schnitt mit Alzheimer-Plaques Hans-Gerhard Creutzfeldt Hans Berger

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