26 „Ich weigere mich, irgendeinem sind hierjanicht inHollywood“ Plattenfirmen-Chef Weize: Plattenfirmen-Chef Markt zuzuarbeiten,wir 2/2008 KulturSPIEGEL 2/2008

FOTO: ENVER HIRSCH AUGEN AUF UND DURCH

Wie wurschtelt man sich durch die Krise der Musikbranche? Mit Idealismus und Cleverness, wie zwei kleine Labels beweisen.

VON CHRISTOPH DALLACH

In Vollersode, wo die Plattenfirma Bear Family Records in ei- machen. Diesen Tonfall musste sich auch gefallen nem umfunktionierten Bauernhof residiert, wird es nur laut, lassen, den Weize am Telefon zusammenstauchte, weil der mit wenn Traktoren über die Feldwege knattern oder Kühe auf die einem CD-Text nicht rüberkam. Der Text kam dann doch sehr Weide trotten. Das Krachen der kollabierenden Musikindustrie schnell. schallt nicht bis hierher. Um Netzpiraterie, MP3-Files und Flat- 1975 hat der ehemalige Weinhändler und Country-Musik-Lieb- rates und sonstige Feinde des CD-Verkaufs schert sich auf die- haber Weize Bear Family gegründet. Die Firma ist so was wie ein sem Gehöft, rund 40 Kilometer nordöstlich von Bremen, kein gallisches Dorf im vom Internet zerfledderten Musikuniversum. Mensch. Für sie scheinen andere Gesetze zu gelten als für den Rest der In- Hier gibt Richard Weize den Ton an, ein 62-Jähriger, der in sei- dustrie: Statt sich um den Fortbestand der CD zu sorgen, pro- ner wie angewachsen sitzenden, massiven Jeans-Latzhose, aus- duziert Weize weiter unbeeindruckt die massiven, oft bleischwe- gewaschenem T-Shirt, grauem Vollbart und Zopf auch auf einer ren Multi-CD-Boxen im LP-Format von Künstlern wie Johnny Ranch in Texas nicht weiter auffallen würde. Weize redet gern Cash, The Beatles, , , , Wil- Tacheles. Dann poltert er los, was alles „dämlich“ sei und dass lie Nelson, Caterina Valente oder den Everly Brothers. So was wie man ja „bekloppt“ sein müsse, um diesen Job hier überhaupt zu Internet-Downloads bietet Bear Family gar nicht an. Ist nicht

KulturSPIEGEL 2/2008 27 28 Ihr Künstlerstamm reichtIhr Künstlerstamm Montevideo undPerth Redenz, Schulte: von Potsdam bis Thinner-Chefs Thinner-Chefs 2/2008 KulturSPIEGEL 2/2008

FOTO: DOMINIK MENTZOS Er stimmte die Angestellten mit Kaffee und Kuchen milde, marschierte in die Archive und wühlte sich durch verstaubte Protokolle.

nötig, die Boxen werden auch so weltweit verscherbelt. Sanie- Worte in Zeiten der Restrukturierungen und des Personalabbaus, rungspläne? Personalabbau? Digitale Promotion? Kopierschutz? in denen Plattenfirmen nur noch von Juristen oder Kaufleuten Doch nicht bei Weize. gelenkt zu werden scheinen – so wie der altehrwürdige Musik- Denn hier ist nicht von irgendeiner Provinzklitsche die Rede, die konzern EMI, der dieser Tage von einem Investmentkaufmann sich mühsam über Wasser hält, sondern von einer märchen- geführt wird. Leute wie Weize, besessene, egomane und leiden- haften deutschen Erfolgsgeschichte. Die Tonträger-Boxen aus schaftliche Musikliebhaber, die diese Industrie in den fünfziger Vollersode stehen von Los Angeles bis Tokio in den Regalen, und und sechziger Jahren mal groß machten, sind in diesem Jahr- Bear Family Records gilt global als erste Adresse für CD-Wie- tausend sehr rar. derveröffentlichungen. David Fricke, der Großkritiker des ame- Früher flog Weize mehrmals pro Jahr in die USA, oft verbrachte rikanischen „Rolling Stone“,ist glühender Bear-Family-Verehrer, er dort Monate bei legendären Labels wie Capitol. Er stimmte An- und sein Kollege Robert Hilburn feierte Weizes Boxen in der gestellte mit Kaffee und Kuchen milde, marschierte in die Archi- „Los Angeles Times“ als „Rolls-Royce“ der Szene. Johnny Cash ve und wühlte sich akribisch durch verstaubte Aufnahmeproto- ließ ausrichten, dass seine Lieder nie besser aufbereitet worden kolle und Tonbänder. Immer wieder entdeckte er Aufnahmen, an seien, auch Meister wie Bob Dylan oder Lou Reed sind Bear- die die Künstler sich selbst kaum erinnerten, so wie die deutsch- Family-Fans und -Sammler. sprachigen Songs von Johnny Cash. Er lebe mit diesem Job halt seine Jugend nach, sagt Weize: „Aber Von der Erosion des Musikgeschäfts spürt man auf Weizes Bau- ich gehöre nicht zu denen, die meinen, dass früher alles besser ernhof, in dessen Scheunen seine aberwitzig umfangreiche Plat- war!“ Auf jeden Fall versorgt er überwiegend seine Altersgenos- tensammlung lagert, nichts. Der Laden läuft gut, auch wenn die sen, deren Jugend also bereits einige Jahrzehnte zurückliegt, mit Auflagen von Bear-Family-Tonträgern überschaubar sind. Vier dem Soundtrack ihrer ungestümen Tage. Das Firmenrepertoire großformatige Dean-Martin-Boxen, jeweils gefüllt mit sechs bis umfasst Country-Klänge alten Schlages wie Bob Wills and His acht CDs sowie aufwendigen Büchern, kosten mehr als 150 Euro Texas Playboys oder die Sons of the Pioneers. Dazu kommen und gelten als Bestseller, weil sie insgesamt rund 3000-mal ver- Rock’n’Roll, Blues, Soul, aber auch Filmmusiken, Schlager und kauft wurden. Kabarett oder eine 11-CD-Box mit jüdischer Musik aus der Zeit Im riesigen Virgin Megastore am New Yorker Times Square gibt des Nationalsozialismus. Musik aus der ersten Hälfte des ver- es beispielsweise eine ganze Wand voll mit den Boxen aus Vol- gangenen Jahrhunderts haben Weize und seine Mitarbeiter aus lersode. Aber der Absatz von CDs wird auch für Bear Family im- den Archiven gehoben, klanglich grundrenoviert und neu ver- mer schwieriger. Über 20 Prozent weniger Musik als 2006 wur- packt. Aber Bear Family produziert nicht nur aufwendige Boxen, de im Weihnachtsgeschäft 2007 in den USA verkauft. In Deutsch- sondern auch einfache CDs, die dann mit opulenten Booklets land sank der Umsatz der Branche im vergangenen Jahr um und gutem Klang punkten. 5 Prozent. Mit den einstürzenden CD-Umsätzen verschwinden Auch wenn bei seiner Plattenfirma „so vier bis fünf Leute“ mit- die Plattenhändler; kleine Läden stehen unter dem gleichen arbeiten und beim angegliederten Musikversand noch mal „so finanziellen Druck wie große Ketten. In Amerika musste 2006 um die 20“, ist Bear Family vor allem eine One-Man-Show. Tower Records schließen, in Deutschland ist die Wom-Kette auf „Hier entscheide ich allein. Ich kümmere mich wenig um die sieben Läden geschrumpft, in Großbritannien rutschte HMV in Kosten und weigere mich, irgendeinem Markt zuzuarbeiten, wir eine schwere Krise. Schon vor dem Weihnachtsdebakel wurde ge- sind hier ja nicht in Hollywood“, dröhnt der Boss. Erfrischende munkelt, dass Wal-Mart und Best Buy, zwei der wichtigsten

KulturSPIEGEL 2/2008 29 Tower-Records-Laden in Los Angeles (2006): Bald sind die Orte weg, an denen man stundenlang Platten hörte

Plattenhändler der USA, die Verkaufsflächen für CDs drastisch Die Alben werden mit ausdruckbarem, aufwendig designtem reduzieren wollen. Cover und ohne Kopierschutz geliefert. Weizes Prestige-Boxen stellten Plattenläden schon immer vor Thinner haben sich auf Electro-Dub, Ambient und andere sanf- das Problem, wo sie die sperrigen Dinger hinpacken sollten. Lo- te Spielarten von Techno und House spezialisiert. Die Firma ist gistische Probleme, die Versandhäuser wie Amazon oder Weizes damit in jeder Hinsicht das Gegenmodell zu Bear Family. So lebt Mail-Order (www.bear-family.de) nicht haben. Aber mit den Bear Family von den Restprodukten der Industrie – eine fried- Geschäften stirbt die Beratung. Bald sind die Orte weg, an denen liche Koexistenz sozusagen. Thinner dagegen ist der ultimative man einst stundenlang Zeit totschlug, Platten hörte, irres Zeug Alptraum der Branche. Der Feind schlechthin. mit anderen Hobbyexperten schwatzte oder Bands gründete. Einige tausend Netlabels gibt es mittlerweile weltweit – Tendenz „Jemand der 60 plus ist, wird in einem Elektrogroßmarkt vom steigend. Thinner, das in diesem Jahr sein zehnjähriges Bestehen Lärm der CD-Abteilung doch gleich wieder rausgejagt“,sagt Wei- feiert, gilt als bestes seiner Zunft. Gerade wurde es zum wieder- ze. In der Nähe des gesetzlichen Rentenalters ist er nun auch holten Mal und zu Recht von den Lesern des Fachblatts „De:Bug“ angekommen und tritt langsam kürzer. Einen Nachfolger gibt es mit großem Abstand zum „Netlabel des Jahres“ gewählt. bei Bear Family nicht. Seine Kinder hätten daran „kein Interes- „Das Internet hat viele Möglichkeiten geschaffen, Musik zu ent- se“,und alle anderen möglichen Kandidaten würde er mit seinem decken und zu vertreiben, ohne dass ein riesiger finanzieller Meckern vertreiben, bevor sie eingearbeitet wären, sagt er. Druck entsteht“, sagt Sebastian Redenz, 26, der mit Ole Schulte In ein paar Jahren werden Tonträger, also CDs, nach Meinung vie- bei Thinner die Regie führt. ler Fachleute ausgestorben sein. Das US-Fachorgan „Business Weil alles, was umsonst zu haben ist, grundsätzlich unter Schrott- Week Online“ verkündete bereits für dieses Jahr „Bye-bye, CDs“. Verdacht steht, mühen sich die Thinner-Betreiber, die Daten- Für die Jungs, die sich mit ihrem Label in einem halbrenovier- flut, die ihnen von Musikern aus aller Welt per E-Mail zugeleitet ten Büro im Frankfurter Nordend eingerichtet haben, spielt die wird, zu filtern. Überhaupt scheint es ja ein Rätsel, warum talen- ganze Tonträger-Geschichte sowieso keine Rolle mehr. Bei ihrer, tierte Künstler ihre Werke verschenken sollen. Und was hat ein nun ja, „Platten“-firma namens Thinner hängen keine gerahm- Unternehmen wie Thinner davon, mit durchaus großem Auf- ten goldenen Tonträger an der Wand, stapeln sich keine Rezen- wand gratis coole Popmusik unters Volk zu bringen? sionsexemplare für Journalisten. Hier stehen Computer auf im- Der Treibstoff der Thinner-Macher ist ein Mix aus Idealismus, provisierten Tischen und ein paar Ledersessel zwischen weiß- Neugier und Hoffnung. Alle sind ehrenamtlich an Bord: Pro- getünchten Wänden. Alles scheint ein wenig improvisiert. Sie grammierer, Grafiker und die Juristin. Das funktioniert, weil sie bekämen eigentlich nie Besuch, sagt Ole Schulte, 27, fast ent- ein anderes Standbein haben, das Geld bringt, außerdem verste- schuldigend: „Bei uns läuft eben alles über das Netz, über die hen sie sich als Netzwerker, die sich, wenn möglich, gegenseitig Computer.“ unter die Arme greifen. Ole Schulte, der mal als Musiker namens Thinner ist ein sogenanntes Netlabel. Eine Firma, die ihre Mu- Veer zu Thinner kam, betreibt nebenher mit dem Label-Grafiker sik ausschließlich über das Internet in Form von herunterlad- die Designagentur Schultzschultz. Sebastian Redenz, der das baren Dateien verbreitet (www.thinner.cc). Radikal anders und Label mitaufgebaut hat, gilt mittlerweile als Profi für Internet- neu ist hier, wie bei den meisten anderen Netlabels, dass die Lie- Pop-Strukturen. Als Dozent an der Popakademie in Mannheim

der, neumodisch auch Tracks genannt, nichts kosten. Mehr noch: bereitet er den Musikernachwuchs auf die neue Medienwelt vor, KRUG MATTHIAS FOTO:

30 2/2008 KulturSPIEGEL in der immer weniger Menschen für Tonträger bezahlen und auch die Ein- nahmen aus Konzerten Umsatzlöcher nicht stopfen. Wie man trotzdem überleben kann, hat Redenz im vergangenen Jahr in Mün- chen der versammelten Chefetage von Sony BMG erläutert. Auch andere ge- wichtige Entscheidungsträger der alten Musikindustrie haben Kontakt mit den Thinner-Vordenkern aufgenommen. Nicht nur den Vertrieb, auch ihren Künstlerstamm, der von Potsdam über Montevideo bis nach Perth reicht, haben die Frankfurter dem technischen Fort- schritt zu verdanken. Der macht es mög- lich, dass in Kellern oder Wohnzimmern rund um die Welt für wenig Geld er- staunlich professionell Musik program- miert werden kann. Alben von Künst- lern, die sich krill.minima oder Das Kraftfuttermischwerk nennen, werden in den ersten vier Wochen nach Ver- öffentlichung im Durchschnitt bis zu 4000-mal runtergeladen. Eine Auflage, die vergleichbare Platten kaum errei- chen. Der größte Hit des Labels ist ihre Jubiläums-Compilation namens „100“, die nach zehn Tagen bereits 6000-mal heruntergeladen wurde. „Wir haben ungewöhnliche Ideen und arbeiten enorm kostensparend“, sagt Ole Schulte. So langsam dämmert den Thinner-Betreibern aber, dass sie bei aller Euphorie zu lange zu viele gute Einfälle verschenkt haben. Ab diesem Jahr wollen sie sich mehr Ge- danken ums Geldverdienen machen. Bislang kann man schicke T- und Sweatshirts mit dem Firmenlogo von der schnieken Thinner-Website ordern. Auch Entwürfe für Künstlerverträge la- gern in den Schubladen. „Bislang läuft alles über Vertrauen“, sagt Schulte. Aber der große Wurf soll ein Lizenz- vermittlungsprogramm werden, das gerade entwickelt wird. Es soll Werbe- agenturen und ähnlichen Unternehmen mit ein paar Klicks zu passenden Tech- no-Klängen für Filme verhelfen – Blub- ber-Beats für Winterstimmungen sozu- sagen. Vielleicht wollen sie sich sogar mal an Tonträger wagen. Aber keine CDs. „Über Vinyl-Platten könnte man mal nachdenken“,sagt Ole Schulte grin- send, denn „die werden immer cool sein“.

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