12 JHK 2014 Grashoff S. 157 170.Indd 157 20.01.14 14:48 158 JHK 2014 UDO GRASHOFF

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12 JHK 2014 Grashoff S. 157 170.Indd 157 20.01.14 14:48 158 JHK 2014 UDO GRASHOFF Udo Grashoff Luise Schröter – Verräterin oder Sündenbock? Zur Gestapo- Mitarbeit der kommunistischen Kurierin im Jahr 1935 Die Frau, die 1934/35 als Kurierin der illegalen KPD-Bezirksleitung Halle-Merseburg tätig war, galt nach Kriegsende als eine der schlimmsten Verräterinnen im kommunisti- schen Widerstand. Angeblich – die Schätzungen variieren – verursachte Luise Schröter im Jahr 1935 mehrere 100, mehr als 600 oder sogar 1000 Verhaftungen und lieferte damit große Teile der illegalen KPD Halle-Merseburg der Gestapo aus, wobei sie nicht nur Namen verraten, sondern Genossen in Fallen gelockt sowie bei Gestapo-Verhören Protokoll geführt haben soll.1 In Kiel, wo sie nach 1945 Funktionärin der Vereinigung der Verfolgten des Nazire- gimes (VVN) wurde, wusste man davon nichts, und so reiste Luise Schröter beispiels- weise im Jahr 1946 unter ihrem Mädchennamen Renneberg nach Thüringen, um bei einem SED-Hausfrauennachmittag gegen die Annahme zu argumentieren, im Westen lebe man besser.2 Die hallesche VVN, die zu dieser Zeit eine rege Suchtätigkeit nach NS- Verbrechern durchführte, fand erst im Juni 1948 heraus, wo sich Luise Schröter aufhielt, was daran lag, dass diese erneut geheiratet und den Nachnamen ihres Ehemannes, Sie- gert, angenommen hatte. Sofort begann der VVN-Landesvorstand Sachsen-Anhalt, belastende Zeugenaussagen zu sammeln, und forderte seine Mitglieder mit drastischen Worten auf, über die »Schandtaten« dieser Verräterin zu berichten: »Die Luise Schröder, die heute als Siegert in Kiel verheiratet ist, treibt dort an prominenter Stelle ihr Unwesen. Es wird höchste Zeit, dass wir dieses Krebsgeschwür endlich beseitigen.«3 Auf Grundlage der in Halle gesammelten Zeugenaussagen reichte die VVN Kiel im Oktober 1949 einen Strafantrag wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit bei der dortigen Staatsanwaltschaft ein.4 Soeben waren die beiden deutschen Staaten gegründet 1 Siehe Hallesche Gestapo-Agentin in Kiel verhaftet, in: Freiheit, 4. Oktober 1950, S. 4; 2/Bö [KPD Prag], o. D., in: Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv (im Folgenden: SAPMO-BArch), RY 1/I 2/3/100, Bl. 44. 2 Siehe SED-Frauen sprechen sich aus, Zeitungsausschnitt, o. D. [1946], in: Landesarchiv Schleswig- Holstein (im Folgenden: LASH), Abt. 352 Kiel, Nr. 1122, Bd. I, Bl. 327a. 3 VVN-Landesvorstand Sachsen-Anhalt, Hamersky, an Prorektor der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Prof. Dr. Rudolf Agricola, 3. Juni 1949, in: SAPMO-BArch, DY 55/V 278/4/86, n. pag. Die Schreibweise des Nachnamens variiert in den Dokumenten und wurde hier und in den weiteren Zitaten jeweils wie im Original übernommen. Richtig ist Schröter. 4 Siehe VVN Kiel an Staatsanwaltschaft beim Landgericht Kiel, 19. Oktober 1949, in: SAPMO- BArch, DY 55/V 278/4/86, n. pag. 12_JHK 2014_Grashoff_S. 157_170.indd 157 20.01.14 14:48 158 JHK 2014 UDO GRASHOFF worden – ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt für die Einleitung eines deutsch-deutschen Gerichtsverfahrens. Angesichts dessen mögen die Versuche der ostdeutschen Kommunisten, Luise Siegert unter einem Vorwand in die Meck- lenburger Gegend zu locken und dort zu verhaf- ten bzw. den Prozess nach Halle zu verlegen, 5 Dieses Foto kann aus urheberrechtlichen nicht verwundern. Aber entgegen allen Befürch- Gründen in der Online-Ausgabe des JHK nicht tungen, die »westdeutsche Klassenjustiz« lasse angezeigt werden. NS-Täter ungestraft, stellte der Kieler Staatsan- walt Pries einen Haftbefehl gegen Luise Siegert aus, veranlasste Gegenüberstellungen, holte ein psychologisches Gutachten ein, führte zahlrei- che Zeugenbefragungen durch und ließ keinen Zweifel aufkommen, dass er trotz deutscher Tei- lung ein normales Gerichtsverfahren durchzu- Landesarchiv Schleswig-Holstein Abt. 352.3 1122. Nr. führen gedachte. Als einige der kommunisti- Luise Siegert, geschiedene Schröter. schen Zeugen aus der DDR sich weigerten, nach Aufnahme um 1948. Kiel zu kommen, organisierte Pries Zeugenver- nehmungen in Braunschweig und später sogar am deutsch-deutschen Grenzübergang in Helm- stedt (die dann jedoch durch die DDR untersagt wurden).6 Auch wenn es schließlich zu einem Urteil kam, das die Erwartungen der VVN enttäuschte, steht die Intention des Prozesses, einer Frau Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, die sowohl Opfer als auch Täterin war, nicht infrage. Wer war diese Frau? 1904 geboren, im Süden von Halle in einer deutschnational orientierten Familie aufge- wachsen, trat Luise Schröter mit 22 Jahren der KPD bei. Sie hatte zuvor eine kaufmän- nische Lehre absolviert, als Kontoristin gearbeitet, bereits mit 17 Jahren geheiratet und einen Sohn geboren. Die ehrgeizige Frau engagierte sich in der Arbeitersportbewegung und stieg zur Landesleiterin der »Roten Sporteinheit« im Bezirk Halle auf.7 Zudem war sie im proletarischen Freidenkerverband aktiv; ihr Mann war dort leitender Funktionär. Nach Absolvierung eines Fortbildungskurses wurde sie 1932 Referentin in der Frauenab- 5 Siehe VVN-Landesvorstand Sachsen-Anhalt an Generalsekretariat des VVN, 30. Juni 1948, in: SAPMO-BArch, DY 55/V 278/4/86, n. pag.; Oberstaatsanwalt Halle an Oberstaatsanwalt Kiel, 20. Januar 1950, in: LASH, Abt. 352 Kiel, Nr. 1122, Bd. I, Bl. 29. 6 Siehe Landgericht Kiel, Zeugenvernehmungen, 10. November 1950, in: LASH, Abt. 352 Kiel, Nr. 1122, Bd. I, Bl. 229-236. 7 Siehe Vernehmung Luise Siegert, Kiel, 24. März 1950, in: LASH, Abt. 352 Kiel, Nr. 1122, Bd. I, Bl. 52-55, hier 52. 12_JHK 2014_Grashoff_S. 157_170.indd 158 20.01.14 14:48 LUISE SCHRÖTER – VERRÄTERIN ODER SÜNDENBOCK? JHK 2014 159 teilung des KPD-Bezirks Halle-Merseburg und übernahm im Herbst des gleichen Jahres die Leitung der Abteilung. Abgeordnet zu einem Sondereinsatz, erlangte Luise Schröter zu dieser Zeit einen Überblick über die KPD-Organisation des Bezirks und lernte viele Funktionäre kennen.8 Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten arbeitete sie als Hauptkassiererin der Bezirksgeschäftsstelle der »Volkshilfe« – der Nachfolgeorganisation des verbotenen Freidenkerverbandes in Form einer Bestattungsfürsorge. Am 2. Juni 1933 durchsuchten Gestapo-Beamte das Büro der »Volkshilfe«, verfügten die Schließung und verhafteten Luise Schröter. Weil sie im Auftrag der Reichsleitung des illegalen Freidenkerverbandes den Mietvertrag für das Büro mit einem falschen Namen unterzeichnet hatte, musste sie eine einmonatige Haftstrafe wegen »Urkundenfälschung« verbüßen.9 Anschließend kam sie in das Konzentrationslager Moringen (Niedersachsen), wo sie bis zur Weihnachtsam- nestie 1933 inhaftiert war. Danach kehrte sie zurück nach Halle. Im Sommer 1934 traf sie bei einem Volksfest im Kyffhäusergebiet einen ehemaligen Genossen, der ihr den Kontakt zur illegalen KPD des Bezirks vermittelte. Zu dieser Zeit erlebte die illegale Arbeit der KPD im Kontext der inneren Krise der NS-Herrschaft (»Röhm-Putsch«) einen neuen Aufschwung. Wie groß die Anhänger- schaft der Kommunisten war, zeigen die Stückzahlen der gegen Entgelt verteilten illega- len Schriften. In Halle, Weißenfels, Zeitz und anderen Orten wurden über 1000 Exem- plare abgesetzt.10 Anfang Januar 1935 erhielt die Bezirksleitung Halle-Merseburg erneut 2000 illegale Druckschriften mit der Anweisung zur Verteilung.11 Besonderes Aufsehen erregten zudem anonyme Briefe, die über Neujahr an zahlreiche NS-Funktionäre ver- schickt wurden. Luise Schröter wirkte zu dieser Zeit als Kurierin zwischen der Bezirksleitung und den Unterbezirken, ihr Deckname lautete »Fred«.12 Zu ihren Aufgaben gehörte die Verteilung des illegalen Propagandamaterials. Ende 1934 brachte sie größere Mengen nach Held- rungen, Nordhausen, Querfurt, Sangerhausen, Wittenberg und Wettin.13 Zudem beför- derte sie Briefe und kannte sowohl die lokalen KPD-Funktionäre als auch die Treff- punkte, an denen sie ihre Sitzungen durchführten.14 Das Wiedererstarken der illegalen KPD in der zweiten Jahreshälfte 1934 blieb der Gestapo nicht verborgen. Zunächst trug sie Informationen zusammen, nahm einzelne 8 Siehe Betr. Luise Schröder, Spitzelin, 20. Mai 1935, in: SAPMO-BArch, RY 1/I 2/3/100, Bl. 20. 9 Siehe Lebenslauf Luise Schröter, 19. November 1936, in: LASH, Abt. 357.3, Nr. 4135, n. pag.; Ver- teidiger Paul Paulsen an Oberstaatsanwalt in Kiel, 14. Dezember 1949, in: LASH, Abt. 352 Kiel, Nr. 1122, Bd. I, Bl. 18-23, hier 19. 10 Siehe Tagesbericht Staatspolizeistelle (im Folgenden: Stapo) Halle, 4. Dezember 1934, in: Bundes- archiv (im Folgenden: BArch), R 58/2024, Bl. 109-116. 11 Siehe Tagesbericht Stapo Halle, o. D. [Anfang Januar 1935], in: BArch, R 58/2024, Bl. 162-166, hier 163. 12 Siehe Landgericht Kiel, Zeugenvernehmungen in Braunschweig, 10. November 1950 (Anm. 6), Bl. 230. 13 Siehe Kammergericht Berlin, Urteil gegen Luise Schröter, 3. Juli 1936, in: Landesarchiv Berlin (im Folgenden: LAB), C Rep. 375-01-14 Nr. 19328, Bl. 6-9. 14 Siehe Betr. Luise Schröder, Spitzelin, 20. Mai 1935 (Anm. 8), Bl. 20. 12_JHK 2014_Grashoff_S. 157_170.indd 159 20.01.14 14:48 160 JHK 2014 UDO GRASHOFF Verhaftungen vor, um dann zum entscheidenden Schlag ausholen zu können. Am Sonn- abend, den 26. Januar 1935, stürmten bewaffnete Gestapo-Beamte eine Sitzung von hochrangigen KPD-Funktionären, die in der Wohnung des halleschen Kommunisten Hans Lehnert stattfand.15 Verhaftet wurden der Oberberater für Mitteldeutschland, Albert Kayser, der politische Leiter des Bezirks Halle-Merseburg, Wilhelm Künzler, sowie die erst kurz zuvor von Dresden nach Halle geschickte neue Organisationsleiterin Helene Glatzer. Später wurde behauptet, dass Luise Schröter diese Versammlung organisiert hätte. Das war aber nicht der Fall, vielmehr hatte
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