Belarus- Analysen
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NR. 19 17.12.2014 belarus- analysen http://www.laender-analysen.de/belarus/ BELARUS UND DIE UKRAINE-KRISE ■■ ANALYSE Wachsende Angst vor Souveränitätsverlust Die belarussische Außenpolitik im Zeichen des Ukraine-Konflikts 2 Andrej Fjodarau, Minsk ■■ UMFRAGE Umfragen zur Ukraine-Krise 6 ■■ ANALYSE Unter Schock: Die belarussische Wirtschaft im Kontext des Ukraine-Konflikts 11 Robert Kirchner, Berlin ■■ STATISTIK BIP, Wechselkurs, Im- und Export 14 ■■ DOKUMENTATION Zur Lage ukrainischer Flüchtlinge in Belarus 17 ■■ CHRONIK 1. Oktober bis 10. Dezember 2014 21 IBB Internationales Forschungsstelle Osteuropa ► Deutsche Gesellschaft Bildungs- und Begegnungswerk an der Universität Bremen für Osteuropakunde e.V. Mit finanzieller Unterstützung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) BELARUS-ANALYSEN NR. 19, 17.12.2014 2 ANALYSE Wachsende Angst vor Souveränitätsverlust Die belarussische Außenpolitik im Zeichen des Ukraine-Konflikts Andrej Fjodarau, Minsk Zusammenfassung: Russlands aggressive Politik gegenüber der Ukraine hat bei der belarussischen Führung erkennbare Ängste ausge- löst, dass der Kreml mittelfristig auch die Souveränität von Belarus bedrohen könnte. Um dieser Gefahr zu begegnen, müsste das offizielle Minsk durch ernsthafte Reformen die Voraussetzungen für eine substantielle Verbesserung der Beziehungen zum Westen zu schaffen. Bisher beschränken sich die belarussischen Bemühungen jedoch auf die rheto- rische Unterstützung für die neue ukrainische Führung im Konflikt mit Russland. Dies hat sich vorerst als nicht aus- reichend für die erhoffte Normalisierung der Beziehungen zur EU erwiesen. ie russische Aggression gegen die Ukraine hat die In der Vergangenheit ist es der belarussischen Füh- Dbisher in Europa geltende Ordnung, der zufolge rung freilich durchaus gelungen, Russland bei seiner keine gewaltsame Aneignung von Gebieten anderer Politik im postsowjetischen Raum die blinde Gefolg- Staaten erfolgt, in Frage gestellt. Mit seinem Vorge- schaft zu verweigern. Insbesondere erkannte Belarus hen hat Moskau unmissverständlich demonstriert, dass nicht die Unabhängigkeit von Abchasien und Südosse- es nicht die Absicht hat, sich an geltende internatio- tien an. Dieses Mal ist die Loyalität des engsten Bünd- nale Vereinbarungen zu halten, und diese nach eigener nispartners für den Kreml jedoch wesentlich wichti- Willkür interpretiert. Dementsprechend alarmiert rea- ger. Zudem hat Belarus inzwischen deutlich weniger gierte die internationale Staatengemeinschaft. Beson- Widerstandsmöglichkeiten. Denn infolge der schwie- ders hoch ist die Besorgnis verständlicherweise bei den rigen wirtschaftlichen Lage sowie der verschlechterten in Russlands Nähe gelegenen Staaten. Ungeachtet der Beziehungen zum Westen hat sich die Abhängigkeit von besonderen Beziehungen, die das offizielle Minsk mit Moskau in den letzten Jahren erheblich erhöht. Deswe- Moskau verbinden, stellt Belarus in dieser Hinsicht gen sind die Bemühungen der belarussischen Führung, keine Ausnahme dar. Für das Land hat sich vielmehr mit ihren Äußerungen zur Ukraine-Krise sowie durch die ohnehin nicht einfache außenpolitische Lage, in der ihre Kontakte zur Kiewer Führung eine unabhängige es sich in den letzten Jahren befand, nochmals erheb- Position zu demonstrieren, nicht mehr als der Versuch, lich verkompliziert. eine gute Miene zum bösen Spiel zu bewahren. Rhetorische Eigenständigkeit Angst vor Inkorporation Aus den diesjährigen Reden Aljaksandr Lukaschen- Gleichzeitig ist die wachsende Angst des offiziellen kas lässt sich deutlich erkennen, dass ihm die um die Minsk vor einer drohenden Inkorporation durch Russ- Ukraine entstandene Situation Unbehagen bereitet. Bis- land unverkennbar. Während der letzten Monate hat weilen konnte sogar der Eindruck entstehen, dass er Lukaschenka mehrmals seine Besorgnis geäußert, dass eine klare Gegenposition zum Kreml einnimmt: So das ukrainische Szenario sich in Belarus wiederholen hielt Lukaschenka, als Putin die neue Kiewer Führung könnte. Bei seiner Jahresansprache vor der National- ignorierte, aktiv den Kontakt; als Moskau die Födera- versammlung am 22. April betonte er die Bereitschaft, lisierung der Ukraine verlangte, trat Minsk für ihre ter- die staatliche Souveränität und Unabhängigkeit mit ritoriale Integrität ein und als der Kreml mit »Freiwilli- allen verfügbaren Mitteln zu verteidigen. Monate später gen« und Waffen die Separatisten unterstützte, rief der wurde er noch deutlicher, indem er davon sprach, dass belarussische Präsident dazu auf, diese zu bekämpfen. die prorussischen Terroristen und Kämpfer im Falle Allerdings beschränkte sich die Eigenständigkeit der eines Misserfolgs in der Ostukraine sich Belarus vor- belarussischen Politik lediglich auf die Rhetorik. In der nehmen könnten. Und am 17. Oktober erklärte Luka- Praxis verhielt sich das offizielle Minsk hingegen durch- schenka gegenüber russischen Lokaljournalisten, dass gängig loyal zur Politik des Kremls. Besonders deutlich Russland imperiale Ambitionen verfolge. Zugleich ver- zeigte sich dies daran, dass Belarus in der UN-General- urteilte er scharf alle Anschuldigungen, dass in Bela- versammlung gegen die Resolution über die territoriale rus die russischsprachige Bevölkerung diskriminiert Integrität der Ukraine stimmte und die Stationierung werde, und beauftragte die Sicherheitsorgane, entspre- zusätzlicher russischer Luftstreitkräfte auf belarussi- chende Äußerungen umgehend zu unterbinden. Wie schem Gebiet erlaubte. zurückhaltend die belarussische Führung panslawis- BELARUS-ANALYSEN NR. 19, 17.12.2014 3 tische Bewegungen im eigenen Land betrachtet, zeigt an die Oberfläche treten, und zwar in noch deutlicher sich auch daran, dass dem Belarussischen Slawischen Form. Hierfür sprechen folgende Annahmen: Komitee seit 2011 die Umwandlung in eine politische 1. Im Zuge des fortschreitenden Integrationsprozes- Partei verweigert wird. ses der EAWU wird sich Belarus einem Ansturm Diese Maßnahmen bieten jedoch keine Garantie, finanzstarker russischer Wirtschaftskreise gegen- dass die Gefahr gebannt werden kann. Denn es wäre übersehen, die sich die besten einheimischen Unter- naiv zu glauben, dass eine russische Aggression gegen- nehmen aneignen möchten. über Belarus genau nach dem ukrainischen Szenario 2. Sobald Moskau die Vormachtstellung in der Wirt- erfolgen wird, d. h. unter dem Vorwand, die Interes- schaft übernommen hat, kann die russische Füh- sen der russischsprachigen Bevölkerung zu verteidigen. rung auch die belarussische Außen- und Innenpoli- Sollte Moskau dieses Ziel verfolgen, kann es für eine tik praktisch vollständig bestimmen. Da der Westen Aggression jeden beliebigen Vorwand nutzen – bis hin die EAWU als ein antieuropäisches Projekt wahr- zum Vorwurf des in Belarus bestehenden Demokratie- nimmt, kann Belarus zudem jegliche Annäherung defizits. Die von Lukaschenka geäußerte These, dass die an die EU vergessen. Russen im Falle einer Putinschen Aggression auf der 3. Eine echte Wirtschaftsunion impliziert die Delega- Seite der Belarussen kämpfen würden, kann nicht über- tion beträchtlicher Vollmachten an die supranatio- zeugen. Vielmehr gibt es ausreichend Gründe das Gegen- nale Ebene. Autoritäre Herrscher verzichten jedoch teil anzunehmen, nämlich dass die von Lukaschenka so in der Regel ungern auf den Alleinherrschaftsan- gepriesenen belarussischen Streitkräfte nicht einmal ver- spruch in ihren Ländern. Die Wirtschaft stellt hier suchen würden, einem Einmarsch aus dem Osten Wider- keine Ausnahme dar. stand zu leisten. Für diese Annahme spricht, dass viele Aus diesen Gründen sind neue heftige Konflikte zwi- Belarussen in Russland keinen Aggressor sehen und es schen den EAWU-Mitgliedern zu erwarten. Erste Anzei- in den staatlichen Strukturen zahlreiche verdeckte Agen- chen hierfür gibt es bereits. Am 11. November verlangte ten gibt. Hinzu kommen der enorme Einfluss der rus- Lukaschenka öffentlich, die einheimischen Produzen- sischen Fernsehsender sowie die Bereitschaft zahlrei- ten mit allen Mitteln zu verteidigen, auch entgegen den cher »asozialer Elemente« für ein geringes Entgelt die Integrationsabsprachen. Wenig später stoppte Russland Rolle der hiesigen »Tituschki«, wie die Schlägertruppen fast den gesamten Import von Lebensmitteln aus Bela- des ehemaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch in der rus. Es ist offensichtlich, dass eine Wirtschaftsunion Ukraine genannt werden, zu übernehmen. unter derartigen Rahmenbedingungen nicht funktio- nieren kann. Sollten die bestehenden Widersprüche wei- Konfliktbehaftete Integration ter zunehmen und einen kritischen Punkt überschrei- Das zentrale Instrument, mit der Wladimir Putin der- ten, wird die EAWU das gleiche Schicksal erleiden wie zeit seine geopolitischen Ziele verfolgt, ist die Eurasi- alle anderen bisher von Russland initiierten Integrati- sche Wirtschaftsunion (EAWU). Zwar bestreitet der onsgebilde. In diesem Falle steigt die Wahrscheinlich- russische Präsident öffentlich, dass er die Absicht ver- keit, dass Russland auch gegenüber Belarus auf gewalt- folge, mit Hilfe der EAWU die UdSSR wiederherzu- same Szenarien zurückgreift. stellen. Gleichzeitig strebt der Kreml jedoch erkennbar danach, der EAWU einen supranationalen Charakter Alternative Partner zu geben. Dies zeigt sich beispielsweise an dem hartnä- Angesichts dieser wachsenden Gefahr ist Belarus zuneh- ckigen Bemühen, in den Gründungvertrag Absprachen mend auf äußere Unterstützung angewiesen. Es wäre über konkrete Bausteine für einen politischen Überbau falsch zu sagen, dass die belarussische Führung diesen