Berlin-Führung MARTIN Mit FOTOS
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Bernd Schüngel Spuren des Verbrechens – Spuren des Überlebens Gedenkstätten um den Hackeschen Markt Vorbemerkung: Berlin, die Hauptstadt des Nazistaates, war auch die Hauptstadt des Wider- stands gegen ihn. Nirgendwo in Deutschland hat es so viel aktiven Wider- stand gegeben, nirgendwo forderte er so viele Opfer wie in Berlin. Nirgendwo wurden im Verhältnis so viele Verfolgte, vor allem Juden, versteckt wie hier, unter Lebensgefahr auch der Versteckenden. Nirgendwo sonst in Deutsch- land erzwangen Frauen mit öffentlichen Demonstrationen die Freilassung ihrer jüdischen Männer wie in der Berliner Rosenstraße, und in keiner anderen Stadt wurde in der Kristallnacht die SA von einem Polizeioffizier daran gehin- dert, eine Synagoge niederzubrennen. In keiner anderen deutschen Stadt oder Region konnte sich der Ungeist der Nazis so schwer im öffentlichen Raum, aber auch in vielen privaten Räumen durchsetzen, konnte das braune Milieu so wenig zum herrschenden Milieu werden wie in Berlin. „Bei den Reichstagswahlen von 1930 und 1932 waren die Ergebnisse der NSDAP in Berlin durchweg deutlich schlechter als im Reichsdurchschnitt. ... Berlin war auch in der Endphase der Republik noch immer eine ´rote´ Stadt, in der SPD und KPD zusammen mehr als die Hälfte aller Stimmen erhielten. ... Mit dem Stimmzettel ist Berlin ... von den National- sozialisten bis 1933 nicht erobert worden. ... Trotz der erfolgreichen ´Gleichschaltung´ des öffentlichen Lebens – schon im März 1933 wurde ein besonderer Staatskommissar für die Reichshauptstadt eingesetzt – blieb Ber- lin unter nationalsozialistischer Herrschaft eine innerlich gespaltene Stadt“ (Reinhard Rürup, S. 92). Bei der letzten freien Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus 1929 wurde die KPD die stärkste Fraktion. 2 Plakat der KPD zur Reichstagswahl März 1933 Aber auch in Berlin haben große Massen dem Hitler zugejubelt, und auch in Berlin hat die Mehrheit 12 Jahre lang weggesehen. Auch in Berlin unternahm die Justiz nichts gegen die sofort nach dem 30. Januar 1933 einsetzenden schweren Rechtsbrüche der Nazis. Das Preußische Kammergericht, diese „große, alte und stolze Institution brach ruhmlos vor den Nazis zusammen“ (Sebastian Haffner, S. 152). Und auch in Berlin gab es die niederträchtigste und feigste menschliche Tat: die Denunziation. 1. Widerstandsgruppe um Herbert Baum Wir treffen uns am – ziemlich heruntergekommenen – Gedenkstein für die Gruppe Baum am Lustgarten, Ecke Karl-Liebknecht-Straße. Gedenkstein Gruppe Herbert Baum Berlin-Lustgarten 3 Herbert Baum, geb. 1912 als Kind einer deutsch-jüdischen Familie, Elektriker, 1932 KJVD, ab 1940 Zwangsarbeiter bei Siemens & Schuckert. Nach der Übergabe der Macht an die Nazis 1933 sammelte er überwiegend jüdische linke Jugendliche um sich – zeitweise gehörten dieser „Gruppe Her- bert Baum“ bis zu 100 Jugendliche an, darunter auch Ehepaare wie Herbert und Marianne Baum, Martin und Sala Kochmann (Gedenktafel in der Gipsstr.). Tätigkeit der Gruppe: politische Studien und Debatten, Flugblätter, Unterstüt- zung von Zwangsarbeitern, Hilfe beim Untertauchen. 18. Mai 1942: Angehörige der Gruppe unternehmen einen Sprengstoffan- schlag auf die NS-Ausstellung „Das Sowjetparadies“. Sofortige Verhaftung des Großteils der Gruppe, wahrscheinlich durch Verrat. Hinrichtung von 28 bzw. 34 Mitgliedern. Langjährige Haftstrafen für etwa 50 Mitglieder der Grup- pe. Herbert Baum selbst starb in der Haft – durch Mord oder durch Suizid. Am 28./29. Mai 1942 wurden in einer „Vergeltungsaktion“ 500 Berliner jüdi- sche Männer verhaftet, von denen die Hälfte sofort erschossen und die ande- re Hälfte ins Konzentrationslager gebracht wurde. Ehrengrab für die Ermordeten der Gruppe Baum auf dem jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee. Dort gibt es eine Herbert-Baum-Straße. 4 Gedenktafel Gruppe Baum Friedhof Berlin-Weißensee 5 2. Die Frauen von der Rosenstraße Über die Friedrichsbrücke, vorbei am Standort der durch Bomben zerstörten Garnisonskirche und am Denkmal für Ernst Litfaß, natürlich eine Litfaß-Säule, erreichen wir die Rosenstraße. Wir verweilen am Denkmal Block der Frauen, das an den Protest von Frauen gegen die Deportation ihrer als jüdisch gelten- den Männer erinnert. Rosenstrasse Denkmal der Frauen 27. Februar 1943 – „Fabrikaktion“ von SS und Gestapo. Verhaftung der noch verbliebenen Juden, Sammellager „zur Durchschleusung“. Darunter ca. 2000 „nichtarische“ Partner aus „Mischehen“, die „aussortiert“ und hier in ein Ge- bäude der Jüdischen Gemeinde verbracht wurden. Bereits am Abend dieses 27. Februars sammelte sich eine Menschenmenge vor dem Gebäude: Frauen und Angehörige der Inhaftierten. Fortsetzung der Proteste in den folgenden Tagen. Es waren immer einige 100 Protestierende. Ergebnis: Rückholung von 25 bereits nach Auschwitz deportierten Mische- hen-Juden. Dann Entlassungen nach und nach. Wahrscheinlich kamen alle der ca. 2000 Verhafteten nach und nach frei. Strittig ist unter Historikern, ob diese Mischehen-Juden nicht ohnehin wieder frei gelassen werden sollten oder ob ihre Freilassung auf den Druck der pro- 6 testierenden Angehörigen hin erfolgte. Für die moralische Wertung des Pro- testes ist dies aber ohne Bedeutung. Rosenstrasse Protest der Frauen. Litfaßsäule 3. Alte Synagoge Von der Rosenstraße zweigt die Heidereutergasse ab. Dort befand sich die Alte Synagoge, was eine Informationstafel dokumentiert. Erbaut 1712 – 1714 als erste zentrale Synagoge der Jüdischen Gemeinde Berlins, als „Große Synagoge“ bezeichnet. Bausumme unbekannt, keine fi- nanzielle Unterstützung der Regierung. Gebaut im Stil der einfachen Kirchen- bauten unter FW I. Sophie Dorothea, die Frau des Königs, nahm an der Ein- weihung teil. Einbau einer Frauenempore im Rahmen eines umfassenden Umbaus durch den Architekten Eduard Knoblauch 1854/1855. Nach der Einweihung der 7 Neuen Synagoge in der Oranienburger Str. 1866 blieb die Alte Synagoge das Gotteshaus der Orthodoxen Gemeinde. Keine Zerstörung in der Pogromnacht vom 9./10. November 1938, wohl we- gen der geschützten Lage inmitten von Häusern – Brandgefahr. Oder deshalb nicht, weil die Immobilie bereits vorher von der Deutschen Reichspost „er- worben“ worden war. Völlige Zerstörung durch Bomben im 2. Weltkrieg. 4. Blindenwerkstatt Otto Weidt Über den Hackeschen Markt gelangen wir zur Rosenthaler Straße. In einem der vielen alten Gewerbehöfe befindet sich die Blindenwerkstatt Otto Weidt. Otto Weidt, geb. 1883 in Rostock und gestorben 1947 in Berlin, als junger Mann engagiert in der anarchistischen Arbeiterbewegung (Proudhon, Ba- kunin, Kropotkin, Erich Mühsam ...). Weidt war Pazifist. Nicht im WK I wegen eines Ohrenleidens. Später auch weitgehend erblindet. Anfang der 1940er Jahre eröffnete er die Blindenwerkstatt in diesen Räumen. Er schaffte es, dass seine Werkstatt als „wehrwichtiger Betrieb“ anerkannt wurde. Otto Weidt 8 „Es gelang Weidt durch gute Beziehungen, Bestechung, Passfälschung und mit Unterstützung von Hedwig Porschütz seine größtenteils jüdischen Mitar- beiter zu versorgen und zunächst vor den einsetzenden Deportationen zu schützen. Zu ihnen zählten Inge Deutschkron, Hans Israelowicz und Alice Licht. Die 1922 geborenen Zwillinge Anneliese und Marianne Bernstein konnte er bei Hedwig Porschütz unterbringen. Sie nahm beide in ihre kleine Wohnung auf, versorgte sie und sicherte ihr Überleben. Unter großem Aufwand organisierte Otto Weidt die Versorgung von wenigs- tens 25 Menschen, die im Ghetto Theresienstadt inhaftiert waren, mit Le- bensmittelpaketen, die unter Verwendung zahlreicher fingierter Absender ge- schickt wurden. Von den bedachten Personen überlebten drei; die anderen wurden im Herbst 1944 ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert und dort ermordet. - Die Familie Horn versteckte er in einem Hinterraum sei- ner Werkstatt, bis sie nach neun Monaten von einem jüdischen Gestapo- Spitzel verraten wurde“ (Wikipedia). Gedenkstätte Blindenwerkstatt Otto Weidt 9 Exkurs: „Vom Abtransport in die Todeslager blieben zunächst diejenigen ver- schont, die mit einem Nicht-Juden verheiratete waren. Andere fanden die Möglichkeit, unterzutauchen und sich so dem Zugriff des Verfolgungs- apparates zu entziehen. Aber auch das gelang nur, wenn ihnen ´Arier´ dabei halfen. Von den 5.000 Berliner Juden, die diesen gefährlichen Weg wählten, überlebten etwa 1.200 bis 1.400. ´Die Wiener sind da!´ Diese Schreckensbotschaft ging kurz vor dem Weihnachtsfest 1942 durch alle jüdischen Kreise der Reichshauptstadt. Wiener SS-Männer un- ter der Führung von Ernst Kaltenbrunner sollten der angeblich zu nach- lässigen Berliner Gestapo ´nachhelfen´. (Ernst Kaltenbrunner wurde am 30. Januar 1943 als Nachfolger Heydrichs zum Chef des Reichssicher- heitshauptamtes ernannt – und am 16.10.1946 in Nürnberg hingerichtet.) Kaltenbrunner und seine Mordhelfer jagten die Berliner Juden mit kalter, zynischer Berechnung. Bei ihrer Suche nach ´U-Booten´- so nannten sich die untergetauchten Juden selbst – fand die SS Unterstützung durch ´Greifer´. Diese Bezeichnung trugen jene Juden, die als Spitzel der Ge- stapo getarnte und untergetauchte Juden aufstöberten und verrieten. Ein besonders berüchtigter Spitzel war die ´Ordnerin der SS´, Stella Küb- ler. Diese Frau und ihr zweiter Mann Rolf Isaaksohn arbeiteten so ´erfolgreich´, dass ganze Judentransporte auf ihr Konto gingen“ (Hans-Rainer Sandvoß, S. 169). 10 Ernst Kaltenbrunner, gehängt am 16. Oktober 1946 in Nürnberg 5. Gedenkstätte „Stille Helden“ Seit 2018 in der Stauffenbergstraße 13-14, 10785 Berlin, Gedenkstätte Deut- scher Widerstand, 3. Etage, Im selben Hof befindet sich die Gedenkstätte „Stille Helden“. Sie