Radikaler Aderlass Der Kulturnation V

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Radikaler Aderlass Der Kulturnation V DIE WARTE P E R S P E C T I V E S Vue hebdomadaire sur les arts et les idées | Das Feuilleton am Donnerstag ❖ ❖ 31. Januar 2013 ❖ Nummer 4|2390 ❖ GESCHICHTE Themenjahr „Zerstörte Vielfalt“ in Berlin „Die Silberkammer der Dynastie“ D'Haus Lëtzebuerg-Nassau an d'Geschicht vum Grand-Duché vum Jeff Baden ............................................ 2 Radikaler Aderlass Gefährliche Töne im „Frozen War“ Isoliertes Berg-Karabach blüht auf von Hans Haider ........................................ 4 der Kulturnation NS-Machtergreifung vor 80 Jahren Am 30. Januar 1933 demontierte sich Deutschland selbst Die Katastrophe wäre vermeidbar gewesen von Albert H.-V. Kraus .......................... 6 „Algérie française“ gescheitert Luxemburger in Algerien und Mali von Bodo Bost ............................................ 13 ❖ SCIENCES Nouvelles sciences Que reste-t-il du propre de l'homme? par P. Jean-Jacques Flammang ....... 12 ❖ RELIGION In dankbarer Erinnerung Camille Fournelle (1909-2012) von Jean Malget ........................................ 10 ❖ LITERATUR / LYRIK Pièce et nouvelles de E.-E. Schmitt Mystère des rencontres imprévues par Jean-Rémi Barland ........................... 3 L'univers de la bande dessinée Ce n'est pas conter qui compte, c'est l'histoire par Ann Zabus .......................................... 16 ❖ RUBRIKEN D'ailleurs Croire pour mieux vivre par Sirius ........................................................ 3 Sub sensum La prière par Félix Molitor ........................................ 3 Rätselkolumne Wer ist gemeint? von Christian Schnitzler ........................ 5 Hören statt lesen Zwei neue Hörbücher von Walter Gauer .................................... 10 ❖ IMPRESSUM Fackelzug durch das Brandenburger Tor am 30. Januar 1936: „Der Siegeszug durch das BT wie am 30. Jan. 1933“ Redaktion: Albert Lanners, lautete die Unterschrift zu diesem Bild im „Völkischen Beobachter“. Tatsächlich war jedoch der Fackelzug 1933 verantwortlicher Redakteur wesentlich kleiner und bescheidener ausgefallen, als diese Inszenierung glauben machen wollte. Adresse: Die Warte / Luxemburger Wort L-2988 Luxembourg, (© Stiftung Deutsches Historisches Museum) T. 49 93-569 SEITE 8 6 DIE WARTE Donnerstag, den 31. Januar 2013 ❖ Nummer 4|2390 Zweiter Weltkrieg Die Katastrophe wäre vermeidbar gewesen Versagen der Demokraten und Pazifismus des Westens ermöglichten Hitlers Verbrechen Dr. Albert H.V. Kraus Am Abend des 30. Januar 1933 – vor jetzt 80 Jahren – feierten Tausende Nationalsozialisten mit einem großen Fackelzug in Berlin die Ernennung ihres „Führers“ Adolf Hitler (1889- 1945) zum Reichskanzler. Vier Wochen später brannte der Reichstag. Es war der Auftakt zu Die perfekte Polit- einer rabiaten Verfolgungsjagd, show vom 21. die im ganzen Reich mehr als März 1933: Am „Tag von Pots- zehntausend Hitlergegner traf: dam“ verneigt Linkspolitiker, bürgerliche De- sich der seriös mokraten, dazu Schriftsteller wirkende Reichs- und Publizisten. Zugleich hob kanzler Hitler me- dienwirksam vor eine Notverordnung des Reichs- dem populären präsidenten „bis auf weiteres“ Reichspräsidenten die verfassungsmäßigen Grund- Hindenburg. rechte auf. Sie blieb bis Kriegs- (Commons.wikime- dia.org, Bundes- ende 1945 in Kraft. archiv Bild 183-S 38324, Foto: Theo ehn Jahre nach dem Reichstags- Eisenhart) brand protestierten in München ZStudenten der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ gegen die braune Dikta- teuren der Weimarer Republik Zwie- bevor sie der greise Reichspräsident kuläre Berliner Fackelzug von SA, SS tur. „Hitler ist ein Massenmörder“ pin- tracht gesät („Erfüllungspolitiker“) Hindenburg ihrem Todfeind Hitler und „Stahlhelm“ am Tag der Kanzlerer- selten sie an Häuserwände, „Nieder und die Beziehungen Deutschlands zu auslieferte. Unter Anwendung von Ter- nennung ließ den SBZ-Kommentator mit Hitler!“. Die Geschwister Hans seinen Nachbarn vergiftet. Den Repu- ror und Gewalt beseitigte Hitler den „eine starke Verwurzelung“ der Hitler- (*1918) und Sophie (*1921) Scholl blikfeinden rechts und links diente das Rechtsstaat und „zerriss“ – wie ein Regierung im Volke vermuten. (beide hingerichtet 1943) und ihre verhängnisvolle Paragraphenwerk als NSDAP-Plakat (1938) jubelte – „Zug Mitverschworenen, darunter der Medi- Aufhänger ihrer antidemokratischen um Zug“ das „Diktat von Versailles“. Braune Beruhigungspillen zinstudent Willi Graf (1918-1942) aus Gesinnung. Begleitet von schönfärberischen Saarbrücken, bezahlten ihren Protest Zu den außenpolitischen Belastun- Friedensreden setzte der braune Dikta- Das „Presse-Echo der Ernennung Hit- mit dem Leben. gen der Weimarer Demokratie (1919- tor seine imperialistischen Ziele um: lers“ verzeichnete in aller Fairness Er war nach Im Rückblick erkennen wir: Weder 1933) wegen umfänglicher Gebietsver- Wehrpflicht und Wiederaufrüstung unterschiedliche Urteile. Die „Deut- Paul Sethe „das die Kanzlerschaft Hitlers noch der luste, der Abtrennung des Saargebiets, 1935/36, Rheinland-Besetzung 1936, sche Allgemeine Zeitung“ sprach größte Verhäng- Zweite Weltkrieg (1939-1945) sind der Besetzung des Rheinlands und der Eingliederung Österreichs und des Su- skeptisch von einer „gewagten und nis der deut- schicksalhaft über Deutschland und ungeklärten Reparationshöhe gesellten detenlandes 1938. Und die westlichen kühnen Entscheidung“, die keinen schen Geschich- die Welt gekommen. Der Weg dahin sich nicht minder belastende innenpo- Demokratien in Paris und London? Sie „verantwortungsbewussten Politiker“ te“: Adolf Hitler, war gesäumt von menschlichen Schwä- litische Faktoren. Die meisten Deut- nahmen Hitlers Vertragsbrüche hin, jubeln lasse. Der sozialdemokratische der „Terrorist „Vorwärts“ verwies auf die offenkun- des Jahrhun- chen, politischen Fehlern, gravieren- schen trauerten dem Kaiserreich nach verharrten in pazifistischen Bekundun- den Fehleinschätzungen und Verbre- und verharrten in innerer Distanz zur gen, übten sich in Beschwichtigung dige Verfassungsfeindlichkeit der derts“. Hier die neuen Regierung (31.1.1933). Todesmeldung chen. Republik. und taten – nichts! des britischen Dies zeigte etwa die Direktwahl des Ausgangspunkt Versailles Saar- und Blieszeitung Dass mit dem Regierungswechsel „Daily Mirror“. populären Weltkriegsgenerals und zu Hitler ein Systemwechsel eingesetzt (Google-Bilder, Der Straffrieden von Versailles (1919) „Siegers von Tannenberg“ (1914), Paul „Kaltschnäuzig“, so der Historiker hatte, war für die Zeitungsleser noch Urheber unbe- hatte die Deutschen verbittert („Heer- von Hindenburg (1847-1934) zum Hans-Peter Schwarz, hätten London kannt) nicht zu erkennen. Der aus Alsenz in los! Wehrlos! Ehrlos!“), unter den Ak- Reichspräsidenten (Amtszeit: 1925- und Paris Hitlers Vertragsbrüche und der Pfalz stammende neue Innenmi- 1934). Hindenburg war ein glühender die Unterdrückung fremder Völker nister Dr. Wilhelm Frick (1877-1946, Monarchist. Tragisch auch das durch hingenommen, wenn nur der große hingerichtet) verabreichte bei einer „billiges Taktieren“ „dogmatischen Krieg vermieden wurde. So bestärkten Pressekonferenz laut SBZ (1. 2. 1933) Starrsinn“ und „Scheu vor Kompro- die Westmächte Hitlers Gewaltbereit- Beruhigungspillen: Die neue Regie- missen“ – so die liberale „Frankfurter schaft und begünstigten wider Willen rung lege Wert auf die freie Meinungs- Zeitung“ – verursachte Scheitern der den Marsch in den Weltkrieg. Das äußerung und beabsichtige nicht, Par- Großen Koalition unter Hermann Mül- Kalkül des Sowjetdiktators Josef Stalin teien zu verbieten oder mit Artikel 48 ler (SPD) am 27. März 1930. (1879-1953) beschleunigte den Weg zu regieren. ins Verderben. Proteste statt Taten Wie erlebten nun die Leser der in Drei Tage später meldete die SBZ Noch verfügten die demokratischen der Region Neunkirchen – St. Wendel bereits das Verbot des sozialdemokra- Parteien über 285 Mandate im Reichs- weitverbreiteten „Saar- und Blies-Zei- tischen „Vorwärts“ (für drei Tage) und tag gegenüber 66 der rechten und tung“ (SBZ) die Anfänge der national- einer SPD-Kundgebung in Berlin. In linken Extremisten. Die September- sozialistischen Herrschaft vor 80 Jah- der gleichen Ausgabe beteuerte Hitler wahl 1930 brachte den Schock: 107 ren? Dieses in der Hüttenstadt Neun- gegenüber angloamerikanischen Pres- Mandate für die Hitlerpartei statt vor- kirchen erscheinende Blatt rühmte sich severtretern seine auf Mäßigung und her 12! Das Parlament dankte nun ab, im Untertitel als die „aelteste und Harmonie angelegte Grundeinstel- außerstande, handlungsfähige Regie- gelesenste Zeitung des nordöstlichen lung: Er habe „niemals eine Brandre- rungen zu bilden. Fortan regierte der Saar-Industriegebietes“. de“ gegen fremde Staaten gehalten Reichspräsident mit Notverordnungen. Zwar war das Saargebiet seit 1920 und im übrigen liebe „niemand mehr Seit Juli 1932 verfügten Nationalso- von Deutschland abgetrennt und für Friede und Ruhe“ als er. Sein einziges zialisten (230 Sitze) und Kommunisten 15 Jahre einer Regierung des Völker- Ziel sei die deutsche Gleichberechti- (89 Sitze) über die absolute Mehrheit bundes unterstellt worden. Doch be- gung mit anderen Nationen (SBZ im Reichstag (608 Sitze). Die Wähler obachtete man das Geschehen „im 4.2.1933). Ein Wolf im Schafsfell hatten die Republik bereits abgewählt, Reich“ mit wachen Augen. Der spekta- hatte gesprochen. ̈ Donnerstag, den 31. Januar 2013 ❖ Nummer 4|2390 DIE WARTE 7 Weg des Unheils ren war, machten sich unter den Verlie- erheben, um einem Angriff Hitlers Wi- Was von den Bekenntnissen führender rern düstere Vorahnungen breit. derstand zu leisten, antwortete Kommu- Nationalsozialisten zur
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