Interterritoriale Politik und Konfessionalisierung. Die Hessen-Kasseler Reaktionen auf die Rekatholisierung in den benachbarten geistlichen Territorien*

Holger Th. Gräf

Vorbemerkung Das seit Mitte der 1970er Jahre zunächst unabhängig voneinander von Wolfgang REINHARD und Heinz SCHILLING in sozialwissenschaftlicher Fortführung der ZEEDENschen „Konfessionsbildung“ entwickelte Paradigma der „Konfessionali- sierung“ gehört seit vielen Jahren zu einem der am intensivsten und in letzter Zeit auch sehr kontrovers diskutierten Forschungsansätze in der internationalen Frühneuzeitforschung.1 Ohne an dieser Stelle auf die Fragen nach dem angemes- senen Verhältnis von Mikro- und Makrohistorie, von Etatismus und Kommuna- lismus oder die paradox anmutenden Zusammenhänge zwischen Konfessionali- sierung sowie staatlich-gesellschaftlicher Modernisierung und Säkularisierung eingehen zu wollen, ist es zur wissenschaftlichen Standortbestimmung des vorliegenden Beitrages notwendig, zunächst zwei Feststellungen zu treffen: – Erstens wird im folgenden davon ausgegangen, dass die Konfessionalisie- rung nicht nur „eine mit beachtlicher Regelmäßigkeit durchlaufende Frühphase moderner europäischer Staatsbildung“2 war, sondern auch als konstitutiv und –––––––––– * Bei dem vorliegenden Beitrag handelt es sich um eine erheblich erweiterte und mit Anmerkungen versehene Version eines Vortrages, den ich am 21. Mai 1998 in Hildes- heim auf der von Prof. Dr. Barbara Bauer geleiteten Tagung über „Rekatholisierung und katholische Kultur“ gehalten habe. Die seither erschienene einschlägige Literatur wurde, soweit wie möglich, eingearbeitet. 1 Vgl. zuletzt etwa die von Heinrich Richard SCHMIDT und Heinz SCHILLING in: HZ 264, 1997, S. 639-682 und 265, 1997, S. 675-691 geführte Debatte. Als Beispiel für die Schär- fe der Auseinandersetzung verweise ich nur auf die Rezension von Wolfgang REINHARD zu Heinrich Richard SCHMIDT in: ZHF 22, 1995, S. 267-269 und Martin DINGES zu Heinz SCHILLING (Hg.): Kirchenzucht und Sozialdisziplinierung im frühneuzeitlichen Europa, in: Ius Commune 22, 1995, S. 393-395. – Zum Spektrum der Forschung vgl. die Litera- turberichte von Heinz SCHILLING: „Konfessionsbildung“ und „Konfessionalisierung“, in: GWU 42, 1991, S. 441-463 und 779-794 und DERS.: Konfessionelles Zeitalter, in: GWU 48, 1997, S. 350-370 hier besonders S. 360-361, 618-627, 682-694 und 748-766; GWU 52, 2001, S. 346-371 sowie die drei Tagungsbände Heinz SCHILLING (Hg.): Die refor- mierte Konfessionalisierung in Deutschland – Das Problem der „Zweiten Reformation“ (SVRG 195), Gütersloh 1986; Hans-Christoph RUBLACK (Hg.): Die lutherische Konfes- sionalisierung in Deutschland (SVRG 197), Gütersloh 1992 und Wolfgang REINHARD und Heinz SCHILLING (Hg.): Die katholische Konfessionalisierung (SVRG 198), Güters- loh 1995 und jetzt auch Anton SCHINDLING und Walter ZIEGLER (Hg.): Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung, Bd. 7: Bilanz – For- schungsperspektiven – Register, Münster 1997. 2 Wolfgang REINHARD: Zwang zur Konfessionalisierung? Prolegomena zu einer Theorie des konfessionellen Zeitalters, in: ZHF 10, 1983, S. 257-277, hier S. 257.

Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte (ZHG) Band 107 (2002), S. 105-129 106 Holger Th. Gräf charakteristisch für das aus der zerfallenen res publica christiana sich herausbil- dende europäische Mächtesystem der Neuzeit zu gelten hat.3 In den Jahrzehnten zwischen dem Augsburger Religionsfrieden und dem Dreißigjährigen Krieg kam der Konfession im Bereich der Außenpolitik als propagandistischem Argumen- tionsarsenal wie als Faktor in der zeitgenössischen Wahrnehmung des Staaten- systems neben den dynastischen und eher säkularen machtpolitischen Interessen eine stilbildende Bedeutung zu.4 Mit Hilfe der Konfession erhoffte man neue Verbindlichkeiten in den auswärtigen Beziehungen und eine Berechenbarkeit des Verbündeten wie des politischen Gegners zu erreichen: Die Konfession stieg auf zum „härteste[n] vinculum ... stabiliendi foederis“, wie es der hessische Landgraf Wilhelm IV. (1532-1592, reg. ab 1567) 1578 formulierte.5 Zu einem dauerhaften Leitfaktor internationaler Politik konnte die Konfession indes nicht werden. Zum einen ließen sich die religiös-theologischen Absolutheitsansprüche der Konfessionalisten in der realen Politik nicht durchhalten; zum anderen war der Konfessionsstaat keine archaische Theokratie, sondern eine frühmoderne Staatsform, in die die Kirche samt ihrer Theologen strukturell und institutionell integriert war. Mit der Symbiose von Territorialmacht und kirchlicher Erneue-

–––––––––– 3 Vgl. hierzu Heinz SCHILLING: Formung und Gestalt des internationalen Systems in der werdenden Neuzeit – Phasen und bewegende Kräfte, in: Peter KRÜGER (Hg.): Kontinuität und Wandel in der Staatenordnung der Neuzeit. Beiträge zur Geschichte des internationa- len Systems, 1991, S. 19-46; Holger Th. GRÄF: Konfession und internationales System. Die Außenpolitik Hessen-Kassels im konfessionellen Zeitalter (QFHG 94), Darmstadt und Marburg 1993, hier vor allem S. 27-36, 306-309 und 331-345 und künftig Heinz SCHILLING: Konfessionalisierung und Staatsinteressen. Internationale Beziehungen 1559-1659; erscheint als Band 2 des von Heinz DUCHHARDT und Franz KNIPPING heraus- gegebenen Handbuchs der internationalen Beziehungen. 4 Vgl. zum Überblick Holger Th. GRÄF: Bündnissysteme der Neuzeit – Strukturelle Bedingungen der Außenpolitik von der italienischen bis zur europäischen Pentarchie, in: Historicum, Winter 1996/97, S. 22-26; oder, als Fallbeispiel, DERS.: Gestaltende Kräfte und gegenläufige Entwicklungen im Staatensystem des 17. und 18. Jahrhunderts: Die Republik der Vereinigten Niederlande als Macht des Übergangs, in: Peter KRÜGER (Hg.): Das europäische Staatensystem im Wandel (Schriften des Historischen Kollegs, Kollo- quien 35), München 1995, S. 11-25. – Den Zusammenhängen zwischen Konfessionalisie- rung und der Herausbildung einer frühneuzeitlichen professionalisierten diplomatischen Elite bin ich in einigen kleineren Fallstudien nachgegangen. Vgl. Holger Th. GRÄF: The Collegium Mauritianum in - and the Making of Calvinist Diplomacy, in: Sixteenth Century Journal 28, 1997, S. 1167-1180; DERS.: Die Kasseler Hofschule als Schnittstelle zwischen Gelehrtenrepublik und internationalem Calvinismus. Ein Beitrag zu den institutionen- und sozialgeschichtlichen Grundlagen frühneuzeitlicher Diplomatie, in: ZHG 105, 2000, S. 17-32 und vergleichend DERS.: Das Europäische Mächtesystem, in: Olaf MÖRKE und Michael NORTH (Hg.): Die Entstehung des modernen Europa. Lang- fristige Entwicklungen in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft, 1600-1900 (Wirtschafts- und sozialhistorische Studien 7), Köln u. a. 1998, S. 11-24 sowie DERS.: Funktionsweisen und Träger internationaler Politik in der Frühen Neuzeit, in: Klaus SCHLICHTE und Jens SIEGELBERG (Hg.), Strukturwandel internationaler Beziehungen. Zum Verhältnis von Staat und internationalem System seit dem Westfälischen Frieden, Festschrift für Klaus Jürgen Gantzel, Wiesbaden 2000, S. 105-123. 5 Guillaume GROEN VAN PRINSTERER (Hg.): Archives au correspondance inédite de la maison d’Orange-Nassau, 13 Bde., Leiden 1835-1860, hier Serie I, Bd. VI, S. 427, Land- graf Wilhelm, Brief an de Traos, Friedewald 31. Juli 1578.

Die Hessen-Kasseler Reaktionen auf die Rekatholisierung 107 rung seit der Reformation wurden Religion und Kirche in gewisser Weise – im Hegel’schen Sinne – in der Sphäre des modernen Staates „aufgehoben“.6 – Zweitens muss betont werden, dass im folgenden – vom Thema vorgege- ben – in erster Linie „etatistisch“ argumentiert wird. Wenngleich es weniger um originär diplomatie- und politikgeschichtliche Fragen geht, sondern eher um die strukturgeschichtlichen Bedingungen und Voraussetzungen von Außenpolitik im konfessionellen Zeitalter, ist darauf zu verweisen, dass Konfessionalisierung auch in diesem – auf den ersten Blick staatlich-politischen – Bereich „mikrohis- torisch“ untersucht werden kann und muss. Eine Frage, die hier im Vordergrund stehen sollte, zielt etwa auf die konfessionelle Perzeption von internationaler Politik auf der Ebene des Reiches oder Europas durch die damaligen Zeitgenos- sen allgemein wie des politisch-militärischen Konkurrenten oder Partners im besonderen.7

Die politische ‚Großwetterlage‘

Nach dem Augsburger Religionsfrieden war das Einvernehmen und das Vertrauen zwischen katholischen und protestantischen Reichsständen nie groß genug, als dass man frei von Angst vor gegenseitiger militärisch-gewalttätiger Bedrohung gelebt hätte.8 Das Treffen zwischen dem französischen König Karl IX. (1550- 1574, reg. ab 1560) und seiner Mutter Katharina de Medici (1519-1589) mit der spanischen Königin Elisabeth (1545-1568) in Bayonne im Jahre 1565 sowie die Vorgänge in Frankreich und in den Niederlanden – Hugenottenkriege und Schre- ckensregiment des Herzogs von Alba – hielten diese Angst wach und ließen auch die Optimisten und erklärten Anhänger der Augsburger Friedensidee aufmerken.9 Als ab den frühen 1570er Jahren aus der Sicht der protestantischen Reichs- stände die gegenreformatorischen „Kräfte“ besonders in den geistlichen Territo- rien als Folge des Tridentinums zur Offensive übergingen, schienen sich ihre –––––––––– 6 Vgl. zu den damit angesprochenen langfristigen Entwicklungslinien immer noch Ernst- Wolfgang BÖCKENFÖRDE: Die Entstehung des modernen Staates als Vorgang der Säkula- risation, in: Säkularisation und Utopie, Ebracher Studien, Ernst Forsthoff zum 65. Ge- burtstag, Stuttgart 1967, S. 75-94 und, am konkreten Beispiel, Karlheinz BLASCHKE: Wechselwirkungen zwischen Reformation und dem Aufbau des Territorialstaates, in: Der Staat 9, 1970, S. 347-364. 7 Vgl. die Fallstudie Heike SCHERNECK: Außenpolitik, Konfession und nationale Identi- tätsbildung in der Pamphletistik des elisabethanischen England, in: Helmut BERDING (Hg.): Nationales Bewußtsein und kollektive Identität (Studien zur Entwicklung des kol- lektiven Bewußtseins in der Neuzeit 2), Frankfurt a. M. 1994, S. 282-300. 8 Allerdings finden sich auf territorialer Ebene und besonders in den paritätischen Reichs- städten Beispiele für einen funktionierenden modus vivendi der Einwohner verschiedener Konfession, vgl. Heinz SCHILLING: Aufbruch und Krise. Deutschland 1517-1648, Berlin 1988, S. 260-61; Paul WARMBRUNN: Zwei Konfessionen in einer Stadt (Veröff. des Inst. für Europäische Geschichte Mainz 111: Abt. für Abendländische Religionsgeschichte), Wiesbaden 1983, bes. S. 388; die langfristigen soziokulturellen und gesellschaftlichen Implikationen untersucht Etienne FRANÇOIS: Die unsichtbare Grenze. Protestanten und Katholiken in Augsburg 1648-1806 (Abh. zur Geschichte der Stadt Augsburg 33), Sig- maringen 1991. 9 Erich MARCKS: Die Zusammenkunft von Bayonne. Das französische Staatsleben und Spanien in den Jahren 1563-1567, Straßburg 1889.

108 Holger Th. Gräf diffusen Ängste zu konkretisieren.10 Ihren politischen Gegenmaßnahmen begeg- neten die Katholiken wiederum voller Mißtrauen. Eine von den Zeitgenossen kaum mehr wahrgenommene und daher kaum steuerbare Spirale der Angst hatte sich somit in Gang gesetzt. Sobald sich die Protestanten zu politischen Unterre- dungen zusammenfanden, hatten die geistlichen Fürsten und besonders die Dom- und Stiftsherren „einen solchen terrorem [...] als ob wir ihnen neue Herren [...] für Bischöfen [...] armatis praecibus zu präsentieren und einzuführen vorha- bens gewesen.“11 Der Natur der Sache nach mussten die Konfessionsparteien in den geistlichen Territorien aufeinanderprallen, mussten hier die Konflikte zuerst aufbrechen.12 Denn zum einen wurde durch die Religionspolitik einiger gegenre- formatorischer Bischöfe die „Declaratio Ferdinandea“ in Frage gestellt. Zum anderen versuchten besonders die Katholiken, teilweise aber auch protestanti- sche Mitglieder des jeweiligen reichsritterschaftlichen Stiftsadels, den protestan- tischen Grafen und Fürsten durch die verschärfte Interpretation des „Geistlichen Vorbehalts“ (Reservatum Ecclesiasticum) den Zugang zu den bei den nachgebo- renen Adelssöhnen begehrten Dom- und Stiftsherrenstellen zu verwehren.13 Landgraf Wilhelm von Hessen-Kassel erkannte dies in aller Deutlichkeit und befürchtete, dass durch den Ausschluss der augsburgischen Konfessionsver- wandten von den Stiften und Prälaturen die Fürstentümer unter den Kindern zerrissen würden und die evangelischen Fürsten bald vber Ihren notturfftigen vnd[er]halt nichts vbrigs habenn würden.14 Hessen-Kassel war von diesen Konflikten weniger durch Interessen an kirchlichen Pfründen selbst als vielmehr durch seine direkte Nachbarschaft zu wichtigen geistlichen Territorien betrof- fen.15 Im Norden und Nordosten grenzte es direkt an Kurkölner, Paderborner und Kurmainzer (Eichsfeld) Gebiet. Im Südosten stieß es an die Fürstabtei , im Süden und Südwesten mittelbar an Kurtrier, Kurmainz und das Bistum Würzburg.16 Gerade diese Nachbarn, besonders Daniel Brendel von Homburg –––––––––– 10 Zusammenfassend Horst RABE: Reich und Glaubensspaltung. Deutschland 1500-1600, München 1989, S. 332-349 und S. 491 die Literaturangaben u. a. zu den einzelnen geist- lichen Territorien. 11 Landgraf Wilhelm, Brief an Landgraf Philipp II., 2. Oktober 1573, zit. nach Senta SCHULZ: Wilhelm IV., Landgraf von Hessen (1532-1592), phil. Diss. Univ. München, Leipzig 1941, S. 137, Anm. 309. 12 Zum Überblick Walter ZIEGLER: Die Hochstifte des Reiches im konfessionellen Zeitalter, in: Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 87, 1992, S. 252-281. 13 Gudrun WESTPHAL: Der Kampf um die Freistellung auf den Reichstagen zwischen 1556 und 1576. Phil. Diss. Marburg 1975, S. 18-25; Georg SCHMIDT: Der Wetterauer Grafen- verein. Organisation und Politik einer Reichskorporation zwischen Reformation und Westfälischem Frieden (VHKH 52), Marburg 1989, S. 259 ff., S. 288 ff. 14 StA MR, Best. 17 I, Nr. 2108: Landgraf Wilhelm, Brief an seine Räte auf dem Regens- burger Reichstag, Kassel 20. August 1576. 15 SCHULZ: Wilhelm IV. (wie Anm. 10), S. 133 f. 16 Die Reichsabtei Hersfeld stand seit Mitte des 16. Jahrhunderts so stark unter landgräfli- chem Einfluss, dass hier gegenreformatorische Strömungen keine Rolle spielen konnten und nur Anhänger des Protestantismus in den Konvent aufgenommen wurden, bevor Landgraf Otto, erstgeborener Sohn des Landgrafen Moritz, 1606 zum Administrator ge- wählt wurde. Christoph von ROMMEL: Geschichte von Hessen, 10 Bde., Kassel 1820-58, hier Bd. V, S. 514 ff. und Bd. VI, S. 324 f.

Die Hessen-Kasseler Reaktionen auf die Rekatholisierung 109

(1522-1582, reg. ab 1555) in Mainz, Julius Echter von Mespelbrunn (1545- 1617, reg. ab 1573) in Würzburg und Balthasar von Dernbach (1548-1606, reg. ab 1570) in Fulda, gehörten zu den ersten geistlichen Reichsfürsten, die eine prononciert gegenreformatorische, im Geiste des Tridentinums stehende Politik betrieben.17 In ihrem außen- und reichspolitischen Handeln gegenüber deren gegenrefor- matorischen Bestrebungen folgten die Landgrafen drei Handlungsmustern. · Der erste Typus wird anhand des Verhältnisses zu Fulda, Kurmainz bzw. Eichsfeld und Würzburg deutlich. Landgraf Wilhelm versuchte, durch rein diplomatische Interzessionen den Bestand bzw. die Ausweitung des Protestan- tismus in diesen bereits früh von der Gegenreformation erfassten Gebieten zu sichern. Ansonsten strebte er gutnachbarliche Beziehungen zu den geistlichen Fürsten dieser Territorien auf der Basis des Augsburger Religionsfriedens und der Reichsverfassung an. Er konnte dabei zweierlei voraussetzen: Zum einen auf die reichsfürstliche Solidarität, die katholische wie protestantische Fürsten in der Sorge um das Wohl und den Frieden im Reich sowie ihrer Territorien zusam- menarbeiten ließ.18 Zum anderen wirkte das aus dem Mittelalter übernommene und bis ins 20. Jahrhundert wirksame, besondere Verhältnis der deutschen Reichskirche zu Rom auch in der Gegenreformation. Es resultierte in einer verstärkten Wachsamkeit des hohen Klerus gegenüber einer Bevormundung durch den Papst, in der Furcht vor einer durch kritiklose Übernahme des Triden- tinums begründeten Entmündigung in konfessions- und religionspolitischen Fragen und in einer oft spürbaren Reserve gegenüber den Nuntien.19 · Der zweite Handlungstypus manifestiert sich in der Haltung Hessens in den Konflikten, die während der 1580er Jahre in den großen rheinischen Hochstiften Köln und Straßburg aufbrachen.20 In beiden Fällen waren vom ersten Moment –––––––––– 17 Zu Mainz: Adalbert DÖLLE: Erzbischof Daniel Brendel von Homburg und die Gegenre- formation auf dem Eichsfeld, in: Ludwig LENHART (Hg.), Aus Kirche, Kunst, Leben. Festschrift für Johannes Stohr, Bd. 2., Mainz 1960, S. 110-125 und Alexander JENDORFF, Reformatio Catholica. Gesellschaftliche Handlungsspielräume kirchlichen Wandels im Erzstift Mainz, 1514-1630 (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 142), Münster 2000; zu Würzburg: Hans-Eugen SPECKER: Die Reformtätigkeit der Würzburger Fürstbi- schöfe Friedrich von Wirsberg (1558-1573) und Julius Echter von Mespelbrunn (1573- 1617), in: Würzburger Diözesan-Geschichtsblätter 27, 1965, S. 29-125. – Vgl. jetzt auch die einschlägigen Beiträge in: Anton SCHINDLING und Walter ZIEGLER (Hg.): Die Territo- rien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung, Bd. 3: Der Nordwesten, Münster 1991 und Bd. 4: Mittleres Deutschland, Münster 1992. 18 Vgl. etwa Friedrich MERZBACHER (Hg.): Julius Echter und seine Zeit, Würzburg 1973, S. 37 ff. zu dessen Reichs-, Liga- und Territorialpolitik. Der Mainzer Kurfürst von Dalberg wurde wegen seiner neutralen Politik im Kölner Krieg von den Nuntien verdächtigt, ebenfalls den Übertritt zum Protestantismus zu planen. Franz PETRI und Georg DROEGE (Hg.): Rheinische Geschichte, Bd. 2, Düsseldorf 1976, S. 88. 19 Vgl. etwa Joseph HANSEN (Bearb.): Nuntiaturberichte aus Deutschland 1572-1586 nebst ergänzenden Aktenstücken, 3 Abteilungen, hier bes. Abt. III, Bd. 1: Der Kampf um Köln 1576-1584, Berlin 1892. 20 Hier wird nur die Position und Politik Hessens im Kölner Krieg beschrieben. Zum aus hessischer Sicht weniger ergiebigen Straßburger Kapitelstreit Aloys MEISTER: Der Straß- burger Kapitelstreit 1583-1592, Straßburg 1899; Karl WOLF: Der Straßburger Kapitel- streit und der Wetterauer Grafenverein, in: Nass. Ann. 68, 1957, S. 127-155; zuletzt zu-

110 Holger Th. Gräf an europäische Dimensionen erkennbar: Spanien und die Niederlande engagier- ten sich in Köln, Frankreich zeigte reges Interesse an den Straßburger Vorgän- gen. „Das alte, erprobte Bündnis Rom-Madrid-Brüssel-München, verstärkt diesmal durch eine wohlwollendere Haltung Habsburgs und durch eine größere Geschlossenheit und Entschiedenheit der katholischen Fürsten des Reiches“21, ließ bei Landgraf Wilhelm rasch die Angst vor einer gegenreformatorischen Weltverschwörung wachsen. Sein Hauptanliegen war daher der unbedingte Erhalt des Augsburger Religionsfriedens. Er befürchtete, „daß mit der Verlet- zung des Religionsfriedens fremde Potentaten ins Reich gereizt“22 würden. · Ein dritter Typus hessischer Politik angesichts der Gegenreformation zeigte sich schließlich im Verhalten gegenüber Paderborn. Hier lag der Höhepunkt der konfessionellen Konflikte zeitlic h später. Dadurch handelte Landgraf Moritz (1572-1632, reg. 1592-1627) gewissermaßen im Wissen um die Niederlagen oder zumindest die fruchtlosen Bemühungen seines Vaters im Kampf gegen die katholische Reform. Seiner im Vergleich zu Wilhelm IV. stärkeren Neigung zum politischen Calvinismus und seinem Naturell entsprechend, reagierte er zudem bedeutend aggressiver. Darüber hinaus ließ ihn das Engagement der Spanier zugunsten des Paderborner Bischofs, Dietrich von Fürstenberg (1546- 1618, reg. ab 1585), befürchten, dass sich eine offensive, von Madrid bzw. Rom gesteuerte Gegenreformation in direkter Nachbarschaft der Landgrafschaft etablieren könnte. Die Hoffnung, einen hessischen Prinzen als Koadjutor in Paderborn einzusetzen, also ein dynastisches Interesse, dürfte die Bereitschaft des Landgrafen zu einer riskanteren Politik zusätzlich gefördert haben.23

Fulda

Die ersten Konflikte brachen in Fulda auf, wo Fürstabt Balthasar von Dernbach, selbst als Protestant erzogen und protestantischer Hoffnungsträger, auf gegenre- formatorischen Kurs gegangen war. 1571 hatte er die Jesuiten berufen und war gegen unbotmäßige Domkapitulare und Landstände vorgegangen.24 Letztere –––––––––– sammenfassend RABE: Reich (wie Anm. 10), S. 376-378. Wichtige Quelle für die Positi- on von Moritz in diesem Konflikt: Christoph VON ROMMEL (Hg.): Correspondance inédi- te de Henri IV., Roi de France et de Navarre avec Maurice-le-Savant, Landgrave de Hes- se, Paris 1840, bes. die Briefe Nr. 8, 10, 12, 16 und 22. 21 Günther VON LOJEWSKI: Bayerns Weg nach Köln. Geschichte der bayerischen Bistums- politik in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts (Bonner historische Forschungen 21), Bonn 1962, S. 360. 22 SCHULZ: Wilhelm IV. (wie Anm. 11), S. 164. 23 Die Hoffnung Landgraf Wilhelms, seinen Bruder Georg 1585 zum Administrator zu machen, von der Volker PRESS ohne näheren Beleg spricht (vgl. Volker PRESS: Hessen im Zeitalter der Landesteilung (1567-1655), in: Walter HEINEMEYER (Hg.): Das Werden Hessens (VHKH 50), Marburg 1986, S. 276), war wohl ohne Berechtigung, denn am 5. Juni wurde Dietrich von Fürstenberg „concorditer et quasi per inspirationem [...] eligitur in episcopum et principem eiusdem ecclesiae“, in: Alfred BRUNS (Bearb.): Die Tagebü- cher Kaspars von Fürstenberg, 2 Bde. (Veröff. der Hist. Komm. für Westfalen 19, West- fälische Briefwechsel und Denkwürdigkeiten 8), Münster 1985, hier Bd. I, S. 233. 24 Grundlegend Berthold JÄGER: Das geistliche Fürstentum Fulda in der Frühen Neuzeit: Landesherrschaft, Landstände und fürstliche Verwaltung (Schrr. des Hess. Landesamtes

Die Hessen-Kasseler Reaktionen auf die Rekatholisierung 111 riefen Landgraf Wilhelm IV. um Schutz und Hilfe an. Der Landgraf erkannte die Möglichkeit, durch Unterstützung der bedrängten protestantischen Landstände die Fürstabtei wieder dem ehemals starken hessischen Einfluss zu öffnen. Er instruierte seine Räte in diesem Sinne und forderte sie auf, zu helfen, „wie wir [...] einen Fuß ins Stift Fulda hinein füglichen bringen möchten [... was] vors erste nicht ein böser Stein im Brett sein und zur Okkupierung anderer Gelegen- heiten wohl dienlich sein sollt.“25 Zu diesem Zweck fertigte Wilhelm im Okto- ber 1573 zusammen mit Brandenburg-Ansbach und Kursachsen eine Gesandt- schaft an den Fuldaer Abt ab.26 Balthasar befand sich zu diesem Zeitpunkt in einer Position der Stärke und hatte festen Rückhalt bei Kaiser und Reichshof- rat.27 In seinem Antwortschreiben an die fürstliche Gesandtschaft überging er Landgraf Wilhelm völlig, den er wegen der Grafschaft Ziegenhain als seinen Lehnsträger betrachtete. Landgraf Wilhelm machte sich die Missachtung seiner fürstlichen Person in der Korrespondenz mit den fuldischen Landständen zunut- ze. „Weil der Abt also vermessen sich gegen uns erzeigt, so nehme uns [...] viel weniger Wunder, daß er auch seinen Dechant, Kapitel zusamt Ritter und Land- schaft [...] so gering achte [und nicht darauf Rücksicht nehme,] daß Dechant und Kapitel mit ihm concurrentem iurisdictionem haben.“28 Im Gegensatz zu seiner sonst beachteten Haltung in konfessionell geprägten Ständekonflikten, etwa in den Niederlanden oder in Frankreich, wo Landgraf Wilhelm die Oranier und die Hugenotten stets an ihren schuldigen Gehorsam gegenüber der Obrigkeit erin- nerte, ermunterte er die fuldischen Stände zum Widerstand gegen den in seinen Augen selbstherrlich auftretenden Abt.29 Wilhelms Ziel war die Kopplung der Kräfte des renitenten Kapitels und der protestantischen Ritterschaft, die Absetzung Dernbachs und die Neuwahl eines ihm genehmen Abtes. Das Kapitel distanzierte sich bald darauf von Landgraf Wilhelm und den protestantischen Landständen, denn bei einem Abt mit hessi- scher Rückendeckung stand die damals geübte Mitregierung des Kapitels eben- falls zur Disposition. Landgraf Wilhelm schwenkte daher im Laufe des Jahres 1575 gänzlich auf die konfessionelle Argumentationsschiene ein und führte zur Stärkung der Position der protestantischen Landstände die erst ein Jahr zuvor im Dresdner Archiv gleichsam wiederentdeckte30 Declaratio Ferdinandea an.31 In der Zwischenzeit war dem ehrgeizigen Dernbach jedoch ein Meister im eigenen –––––––––– für Geschichtliche Landeskunde 39), Marburg 1986; Otto SCHAFFRATH: Fürstabt Baltha- sar von Dernbach und seine Zeit, Fulda 1967 und Bernhard DUHR: Geschichte der Jesui- ten in den Ländern deutscher Zunge im XVI. Jahrhundert 1, Freiburg 1907, S. 128-133. 25 Landgraf Wilhelm, Brief an die Kasseler Räte, 6. August 1573, zit. nach SCHULZ: Wilhelm IV. (wie Anm. 11), S. 136; vgl. auch SCHAFFRATH: Fürstabt (wie Anm. 24), S. 20 ff. 26 StA MR Best. 4f Fulda 83 und 1188. 27 JÄGER: Fürstentum Fulda (wie Anm. 24), S. 39. 28 Zit. nach SCHULZ: Wilhelm IV. (wie Anm. 11), S. 140; vgl. auch ROMMEL: Geschichte, Bd. V. (wie Anm. 16), S. 504, Anm. 28. 29 SCHULZ: Wilhelm IV. (wie Anm. 11), S. 141. 30 Hugo MORITZ: Die Wahl Rudolfs II., der Reichstag zu Regensburg (1576) und die Freistellungsbewegung, Marburg 1895, S. 21. 31 RABE: Reich (wie Anm. 10), S. 348 und WESTPHAL: Freistellung (wie Anm. 13), S. 180 ff., S. 229 ff.

112 Holger Th. Gräf konfessionellen Lager erwachsen. Nach Rückversicherung mit Julius Echter von Mespelbrunn zwangen Kapitel und Landstände Abt Balthasar zur Resignation zugunsten des Würzburger Bischofs.32 Diese Ereignisse trafen Landgraf Wilhelm überraschend und völlig unvorbe- reitet: „Das[s] ein kra der anderen die augen ausbicken und ein jesuiter den andern verfolgen solte, solchs dünkt uns [...] nicht wol gläublich zu sein.“33 Dem Landgrafen war sofort bewusst, dass ihm der mächtige und nicht weniger als Dernbach einer gegenreformatorischen Politik verpflichtete Echter von Mespel- brunn als Nachbar noch unbequemer werden konnte. Er zögerte daher nicht, dem abgesetzten Fürstabt „zu Wiedererlangung des Stifts Fulda nach Möglic h- keit die hilfliche Hand“ zu bieten34 – gesetzt den Fall, Dernbach beließe seine Untertanen bei ihrem protestantischen Glauben! Nicht zuletzt fürchtete Landgraf Wilhelm in dieser Situation wohl auch um seine Position im eigenen Territori- um. Die fuldische Ritterschaft stand in engen Beziehungen zum hessischen Adel, was unter Umständen der landgräflichen Politik hinderlich werden konnte – reichsfürstliche Solidarität gegenüber ihrer unruhigen Ritterschaft dominierte hier also die konfessionelle Solidarität bzw. neutralisierte den Konfessionsunter- schied. Mittlerweile hatte Kaiser Maximilian II. (1527-1576, reg. ab 1564) einen kai- serlichen Sequester eingesetzt, der das Stift solange verwalten sollte, bis der rechtliche Austrag zwischen den Landständen und dem Fürstabt vor den Reichs- gerichten abgeschlossen war.35 Zunächst bestimmte der Kaiser den Deutsch- meister Heinrich von Bobenhausen (um 1514/15-1590) als Administrator, der dem Würzburger Bischof nahe stand und anfangs gegenüber den Protestanten eine gemäßigte Politik verfolgte. So beließ er etwa die von Echter von Mespelbrunn eingesetzten protestantischen Beamten in ihren Ämtern.36 Diese Jahre einer geschwächten Landesherrschaft konnten jedoch weder die fuldischen Landstände noch die interessierten protestantischen Nachbarterrito- rien nutzen. Im Gegenteil – die Gegenreformation gewann an zusätzlichem Boden.37 Zwei Jahre nach dem Regierungsantritt Bobenhausens musste Land-

–––––––––– 32 JÄGER: Fürstentum Fulda (wie Anm. 24), S. 43 f. und Heinrich HEPPE: Die Restauration des Katholizismus in Fulda, auf dem Eichsfelde und in Würzburg, Marburg 1850, S. 134- 145. 33 August KLUCKHOHN (Hg.): Briefe Friedrichs des Frommen Kurfürsten von der Pfalz mit verwandten Schriftstücken, 2 Bde. Braunschweig 1868-1872, hier Bd. 2, S. 959 f., Land- graf Wilhelm, Brief an Kurfürst Friedrich, Kassel 3. Juli 1576. 34 Landgraf Wilhelm an Dr. Canis (= Heinrich Hund), 13. September 1576, zit. nach SCHULZ: Wilhelm IV. (wie Anm. 11), S. 149. – Bereits im Juli hatte Landgraf Wilhelm, ob aus nachbarschaftlicher Courtoisie oder politischem Kalkül, Anton Winter, seinen ver- trauten Kammersekretär, zur Hochzeit von Balthasars Schwester mit dem eichsfeldischen Oberamtmann von Stralendorf abgefertigt; dazu SCHAFFRATH: Fürstabt (wie Anm. 24), S. 142 und StA MR Best. 4f Fulda 104 und 111. 35 JÄGER: Fürstentum Fulda (wie Anm. 24), S. 47 f. und MORITZ: Wahl Rudolfs II. (wie Anm. 30), S. 412-418. 36 Ebd., S. 50, Anm. 261 und Heinz NOFLATSCHER: Glaube, Reich und Dynastie. Maximili- an der Deutschmeister (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens 11), Marburg 1987, S. 212. 37 DUHR: Geschichte, Bd. I (wie Anm. 24), S. 132 f.

Die Hessen-Kasseler Reaktionen auf die Rekatholisierung 113 graf Wilhelm resigniert feststellen, dass er in dessen „Erzeigung und Gebahrung in Religionssachen wenig Differenz oder Unterschiede bisher gespürt“ hatte.38 Bobenhausen folgte dabei wesentlich dem Druck des Kaisers. Erzherzog Maximilian (1558-1618), der Bruder des Kaisers, wurde 1585 Ko- adjutor Bobenhausens im Deutschmeisteramt und gleichzeitig Administrator in Fulda. Er griff die ursprünglich umsichtige Politik seines Vorgängers auf. Als Habsburger – die in der Regel eine ritterschaftsfreundliche Politik trieben – und dank seiner moderaten Haltung gelang ihm ein Spagat und er erwarb sich rasch das Vertrauen der fuldischen Ritterschaft wie der umliegenden protestantischen Fürsten.39 Landgraf Wilhelm versuchte daraufhin, über gutnachbarschaftliche Beziehungen mit dem Administrator und über die Reichspolitik (Freistellungs- forderungen auf den Reichstagen) den Protestantismus in Fulda weiter zu erhal- ten bzw. zu fördern.40 Den Landständen selbst, besonders der Stadt Fulda und der Ritterschaft ge- genüber verhielten sich die Landgrafen künftig reserviert41 – nicht zuletzt, weil deren Annäherung an Kurfürst August von Sachsen (1526-1586, reg. ab 1563) und deren Unterstützungsgesuch an Jacob Andreae (1528-1590) keinen Zweifel mehr an der innerkonfessionellen Position der Fuldaer Protestanten zuließen.42 Weniger gut durchschaubar war hingegen die Konfessionspolitik des Deutsch- meisters bzw. seiner Statthalter in Fulda. Sie beließen zwar die Jesuiten in ihrer Stellung und hinderten auch nicht deren Tätigkeit, sprachen sich aber in aller Deutlichkeit gegen die 1594 durchgeführte Visitation durch den päpstlichen Nuntius aus.43 Darüber hinaus blieben bis um 1600 wichtige hohe Ämter in Fulda mit Protestanten besetzt, wie etwa das Vizekanzleramt 1576 bis 1598 mit Johann Volpracht (gest. nach 1598).44 Als das Statthalteramt nach dem Tode des protestantischen Eustachius Schlitz, gen. von Görz (1557-1597), verwaist war, fiel die Wahl zwar auf einen katholischen Deutschordenskomtur. Erzherzog Maximilian stellte ihm aber den protestantischen Karl von Dörnberg (1543- 1608) als Berater zur Seite, einen fuldischen Lehnsträger, der im Dienste Land-

–––––––––– 38 Landgraf Wilhelm, Brief an Landgraf Ludwig, 17. Januar 1579, zit. nach SCHULZ: Wilhelm IV. (wie Anm. 11), S. 151; JÄGER: Fürstentum Fulda (wie Anm. 24), S. 70. 39 NOFLATSCHER: Maximilian (wie Anm. 36), S. 213 f. – In den 1590er Jahren schickten sogar einige evangelische Ritterfamilien ihre Sprösslinge in das Jesuiten-Seminar in Ful- da; ebd., S. 216 f. 40 Vgl. StA MR Best. 4f Fulda 135 und 208 sowie Rommel: Geschichte, Bd. V (wie Anm. 16), S. 509 f. 41 So konnte Landgraf Moritz dem Kaiser 1603 glaubhaft versichern, dass sich die fuldische Ritterschaft mit ihm in keinem geheimen, gegen den Abt gerichteten Verständnis befin- de; ROMMEL: Geschichte, Bd. VII (wie Anm. 16), S. 155 mit Anm. 105. 42 HEPPE: Restauration (wie Anm. 32), S. 150 f. 43 NOFLATSCHER: Maximilian (wie Anm. 36), S. 214 und ROMMEL: Geschichte, Bd. VII (wie Anm. 16), S. 152 ff. mit Anm. 100. 44 NOFLATSCHER: Maximilian (wie Anm. 36), S. 215; hierzu zuletzt Johannes MERZ: Beziehungsgeflechte von Eliten als Indikator religiöser Entwicklungslinien. Die Städte der Fürstabtei Fulda im 16. Jahrhundert, in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschich- te 45, 1993, S. 213-258, hier S. 224 f. und 239 f.

114 Holger Th. Gräf graf Wilhelms stand und 1587 hessischer Gesandter in Dänemark und Holstein gewesen war.45 Die guten, sich fast freundschaftlich entwickelnden Beziehungen zwischen Kassel und Fulda46 wurden ab 1602 zunehmend belastet. Ein Urteil des Reichs- hofrates restituierte damals Abt Balthasar, der einen rigiden gegenreformatori- schen Kurs einschlug. Landgraf Moritz interzedierte zwar einige Male zugunsten protestantischer Untertanen,47 sah allerdings deutlich die Grenzen seiner Einwir- kungsmöglichkeiten. Nach dem Tod Dernbachs schwenkte er sofort wieder auf eine Linie ein, die den politischen Ausgleich suchte und die die gemäßigte Stände- und Konfessionspolitik des neuen Abtes, Johann Friedrich von Schwal- bach (1567/68-1622, reg. ab 1606), weitgehend unkommentiert ließ.48 Stattdes- sen nutzte er die guten Beziehungen zum neuen Abt, um die Grenzstreitigkeiten mit Fulda, besonders um Stadt und Amt Vacha, zu bereinigen. Landgraf Moritz gelang es 1611, zwei Drittel dieser Herrschaft, die sich bisher bloß als Pfand- schaft in hessischer Hand befunden hatten, in seinen Besitz überzuführen.49

Eichsfeld

Fulda war nicht das einzige geistliche Territorium in der Nachbarschaft Hessens, das von gegenreformatorischen Bestrebungen erfasst wurde.50 1574 visitierte der Mainzer Erzbischof Daniel Brendel von Homburg in Begleitung zweier Jesuiten das mainzische, aber seit Jahren weitgehend protestantische Eichsfeld.51 Ritter- schaft und Städte des Eichsfeldes, besonders Duderstadt, wandten sich daraufhin an den Erzbischof/Kurfürsten und baten um die Zusicherung freier Religions- ausübung. Stärker als in Fulda waren hier Adelsfamilien betroffen, die nicht nur mit der hessischen Ritterschaft versippt waren, sondern darüber hinaus enge –––––––––– 45 JÄGER: Fürstentum Fulda (wie Anm. 24), S. 211, Anm. 368; NOFLATSCHER: Maximilian (wie Anm. 36), S. 213 und StA MR Best. 4f Holstein 131. 46 ROMMEL: Geschichte, Bd. VII (wie Anm. 16), S. 154 f., Anm. 104; StA MR Best. 4f Fulda 192. 47 SCHAFFRATH: Fürstabt (wie Anm. 24), S. 148 f.; StA MR Best. 4f Fulda 203, 205, 212, 213, 215 und 216. 48 JÄGER: Fürstentum Fulda (wie Anm. 24), S. 75-81. 49 ROMMEL: Geschichte, Bd. VII (wie Anm. 16), S. 155 f.; JÄGER: Fürstentum Fulda (wie Anm. 24), S. 86, Anm. 431, S. 107, Anm. 538 und StA MR Best. 4f Fulda 241 (Ver- tragskopie von 1611). 50 Selbst in Würzburg, obwohl nicht in direkter Nachbarschaft zu Hessen(-Kassel) gelegen, setzte sich Landgraf Wilhelm für die Protestanten ein, allerdings ohne merklichen Erfolg. Dieser Fall wird hier nicht weiter betrachtet. Vgl. dazu SCHULZ: Wilhelm IV. (wie Anm. 11), S. 151-157; Götz VON PÖLNITZ: Julius Echter von Mespelbrunn. Fürstbischof von Würzburg und Herzog von Franken, 1573-1617 (Schriftenreihe zur bayerischen Landes- geschichte 17), München 1934, passim und HEPPE: Restauration (wie Anm. 32), bes. S. 186-193. 51 HEPPE: Restauration (wie Anm. 32), S. 79 ff., und vor allem Anton Philipp BRÜCK: Das Erzstift Mainz und das Tridentinum, in: Georg SCHREIBER (Hg.), Das Weltkonzil von Trient, Bd. II. Freiburg 1951, S. 193-243, hier S. 228 mit älterer Literatur und DUHR, Ge- schichte, Bd. I (wie Anm. 24), S. 110 f. Zum Eichsfeld zuletzt Arno WAND: Reformation, katholische Reform und Gegenreformation im kurmainzischen Eichsfeld (1520-1648), Heiligenstadt 1998.

Die Hessen-Kasseler Reaktionen auf die Rekatholisierung 115

Verbindungen und Dienstverhältnisse zu Landgraf Wilhelm unterhielten.52 Der Landgraf interzedierte daher sofort zugunsten der Eichsfelder Protestanten53, während die Kurfürsten von Sachsen und der Pfalz nur halbherzig Unterstützung gewährten. So war es der hessische Rat Bernhard von Keudell (1548-1607), der die Supplik der Eichsfelder Ritterschaft dem Regensburger Reichstag vorlegte.54 Die kaiserfreundliche Haltung Kursachsens machte aber ein wirkungsvolles und gemeinsames Vorgehen der protestantischen Stände unmöglich. Landgraf Wilhelm musste schließlich, wie alle anderen Reichsstände, den Reichsabschied anerkennen und die geforderte Türkensteuer entrichten, ohne Terrain für die Eichsfelder gewonnen zu haben.55 Bis zum Tode Brendels von Homburg 1582 verebbte auch der Protest Land- graf Wilhelms zugunsten der Glaubensgenossen auf dem Eichsfeld. Er übte nicht zuletzt deshalb zunehmende Zurückhaltung, weil sich in den strittigen Grenzfragen mit Mainz eine Lösung abzeichnete. Sie konnten im Merlauer Vertrag 1582 auch endgültig geklärt werden.56 Mit dem Nachfolger Br endels von Homburg, Wolfgang von Dalberg (1537-1601, reg. ab 1582), kam „noch einmal ein Vertreter der kirchlichen Vermittlungspartei“ auf den Mainzer Erzbi- schofsstuhl.57 Gegenüber dem Drängen Roms berief er sich unbeirrt auf den Augsburger Religionsfrieden und die nötige Rücksichtnahme auf die protestanti- schen Fürsten seiner unmittelbaren Nachbarschaft. Im Verlaufe des Kölner Krieges bewahrte er strikte Neutralität und entzog sich den Forderungen Bayerns und Spaniens. Eine besondere Rolle kam in dieser Politik dem lutherischen Mainzer Hofmeister Hartmut von Kronberg (vor 1517-1591) zu. Er war der Schwager des verstorbenen Erzbischofs Brendel von Homburg, und sein Sohn,

–––––––––– 52 HEPPE: Restauration (wie Anm. 32), S. 86 f, Anm. 1, Unterschriften unter die ritterschaft- liche Petition an den Kurfürst von Mainz von 1575. Darunter findet sich etwa Bernhard von Keudell, der ab diesem Jahr als Rat in der Kasseler Kanzlei diente (vgl. Franz GUNDLACH: Die hessischen Zentralbehörden, 3 Bde., hier Bd. 3: Dienerbuch (VHKH 12), Marburg 1930, S. 125 f) und später wichtige diplomatische Aufgaben erledigte, etwa als Gesandter auf dem Reichsdeputationstag zu Worms (ROMMEL: Geschichte, Bd. V (wie Anm. 16), S. 287, Anm. 37) und bei den Torgauer Verhandlungen 1591 (Friedrich VON BEZOLD (Hg.): Briefe des Pfalzgrafen Johann Casimir mit verwandten Schriftstü- cken, 3 Bde., München 1882-1903, hier Bd. III, Nr. 542 und 673). Johann von Linsingen wurde 1605 Geheimer Rat von Landgraf Moritz (ROMMEL: Geschichte, Bd. VI (wie Anm. 16), S. 621, Anm. 288) und diente ebenfalls mehrfach als Gesandter, etwa 1608/09 auf dem polnischen Reichstag (StA MR Best. 4f Preußen 171 und 174); vgl. auch die Beispiele bei JENDORFF: Reformatio (wie Anm. 17), S. 246 ff. und bes. 281 ff. 53 HEPPE: Restauration (wie Anm. 32), S. 88 f.; ROMMEL: Geschichte, Bd. V (wie Anm. 16), S. 505 f. 54 HEPPE: Restauration (wie Anm. 32), S. 93; vgl. auch das Mahnschreiben Landgraf Wilhelms an den Kurfürsten von Kursachsen und den Herzog von Braunschweig, Kassel 8. Sept. 1576; KLUCKHOHN: Briefe (wie Anm. 33), Bd. II, S. 999; vgl. auch StA MR Best. 17 I, Nr. 2108, Landgraf Wilhelm an seine Räte auf dem Regensburger Reichstag, 20. Aug. 1576. 55 WESTPHAL: Freistellung (wie Anm. 13), S. 240 ff. 56 Friedrich P. KAHLENBERG: Konsolidierung und Arrondierung des Territorialstaates in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Der Merlauer Vertrag von 1582 zwischen Hessen und Mainz, in: HessJbLG 14, 1964, S. 123-198. 57 BRÜCK: Erzstift (wie Anm. 51), S. 231 ff.

116 Holger Th. Gräf

Johann Schweikhard (1553-1626), wurde 1604 Kurfürst von Mainz.58 Obwohl sich die Kasseler Landgrafen gelegentlich für die mainzischen Glaubensgenos- sen einsetzten, gab die moderate Politik Dalbergs und seines Nachfolgers Kron- berg keinen Anlass zu ernstlichen Auseinandersetzungen. Ihre Integrität als Reichsfürsten blieb aus Kasseler Sicht erhalten. Noch 1608 schlossen Mainz und Kassel einen Vertrag, der einige Dörfer in der hessischen Grafschaft Eppstein vom mainzischen Kirchenpatronat befreite. Im Gegenzug überließ Landgraf Moritz dem Kurfürsten die Pfarrgiften dreier Dörfer im Amt Amöneburg, ob- wohl deren Einwohner mehrheitlich dem Protestantismus zuneigten.59

Köln

Bereits Hermann von Wied (1477-1552, reg. ab 1515) hatte in den 1540er Jahren versucht, das Erzbistum Köln zu säkularisieren. Aufgrund seiner vor- nehmen Stellung und seines Gewichts im Kurfürstenrat war die Frage der kon- fessionspolitischen Option Kurkölns reichspolitisch von höchster Wichtigkeit. Die seit den späten 1560er Jahren fortgesetzten Kämpfe in den Niederlanden und die damit zusammenhängende Destabilisierung am Niederrhein machten Kurköln zu einem zentralen Thema der europäischen Diplomatie.60 Als Erzbischof Salentin von Isenburg (1532-1610, reg. ab 1567) 1577 zu- rücktrat und eine Neuwahl anstand, konkurrierten zunächst zwei Kandidaten mit eindeutig gegenreformatorischem Programm: Der Straßburger Bischof Johann von Manderscheid (1538-1592, reg. ab 1569) und der Wittelsbacher Herzog Ernst (1554-1612), Bischof von Freising und Hildesheim. Von beiden, so ver- mutete Landgraf Wilhelm, würden die „Kur und Fürsten Augsburgischer Kon- fession [...] wenig Vorteil vermerken“ dürfen.61 Der päpstliche Nuntius, die kaiserlichen Kommissare und die Gesandten des spanischen Königs sowie des Brüsseler Statthalters favorisierten Ernst von Bayern als Nachfolger Isenburgs, da er allgemein als eine Speerspitze der Gegenreformation galt.62 Schließlich wurde Ende 1577 überraschend Gebhard Truchseß von Waldburg (1547-1601) zum neuen Erzbischof gewählt. Konfessionelle Überlegungen der protestanti-

–––––––––– 58 Vgl. künftig Alexander JENDORFF: Der Mainzer Hofmeister Hartmut (XIII.) von Kron- berg(1517-1591): Kurfürstlicher Favorit oder Agent des erzstiftischen Politiksystems, in: Michael KAISER und Andreas PECAR (Hg.): Der „Zweite Mann im Staat“ (Beiheft zur Zeitschrift für Historische Forschung), erscheint Berlin Ende 2002. 59 ROMMEL: Geschichte, Bd. VII (wie Anm. 16), S. 149 sowie Konzept und Abschrift des Vertrages in StA MR Best. 4f Mainz 392. 60 Vgl. immer noch unübertroffen Max LOSSEN: Der Kölnische Krieg, 2 Bde., Gotha 1882 und München/Leipzig 1897; PETRI/DROEGE: Rheinische Geschichte, Bd. II (wie Anm. 18), S. 83-99; ROMMEL: Geschichte, Bd. V (wie Anm. 16), S. 523 ff. und zur europäi- schen Einbindung LOJEWSKI: Weg nach Köln (wie Anm. 21); letzter Überblick bei RABE: Reich (wie Anm. 10), S. 374 ff. 61 Landgraf Wilhelm an Kurfürst Ludwig von der Pfalz, 25. Mai 1577, zit. nach SCHULZ: Wilhelm IV. (wie Anm. 11), S. 151. 62 PETRI/DROEGE: Rheinische Geschichte, Bd. II (wie Anm. 18), S. 84; LOSSEN: Krieg, Bd. I (wie Anm. 60), S. 550 ff.

Die Hessen-Kasseler Reaktionen auf die Rekatholisierung 117 schen Domherren spielten bei dieser Wahl keine Rolle – Waldburg stammte aus einer katholischen Familie und unterhielt beste Beziehungen zu den Jesuiten.63 Entsprechend dieser Konstellation war die Bereitschaft Landgraf Wilhelms gering, den ersten Gerüchten um einen Übertritt Waldburgs zum Protestantismus und dessen tastenden Versuchen zur Kontaktaufnahme positiv zu begegnen.64 Nachdem ruchbar geworden war, dass Gebhards Säkularisationsabsichten mit seinem Verhältnis zur Stiftsdame Agnes von Mansfeld (gest. nach 1601) zu- sammenhingen, kamen Landgraf Wilhelm zudem Zweifel an der persönlichen Integrität des Erzbischofs. Daher wollte er zunächst „explorieren, ob dem Bi- schof principaliter um die Religion oder nur allein um die Braut zu tun sei.“65 Als im November 1582 eine kurkölnische Gesandtschaft Landgraf Wilhelms Haltung ergründen sollte, ging es im wesentlichen um zwei Fragen: Erstens sollte der Kurfürst mit der „Fortsetzung der Religion und Abstellung der Meß und anderer Mißbräuche“ fortfahren, und zweitens könnte der Kurfürst, sollte er bei diesem Werk angefochten werden, mit Rückendeckung aus Kassel rech- nen.66 In der Beantwortung der zweiten Frage berief sich Landgraf Wilhelm auf die nötige Rücksprache mit den anderen protestantischen Fürsten. Er betonte aber die unbedingte Privatheit der Religionsentscheidung, wie er sie bereits gegenüber Wilhelm von Oranien (1533-1584) verfochten hatte.67 Allerdings traf er bei dem Kölner Erzbischof die hellsichtige Unterscheidung zwischen einer „privaten“ und einer „hohen Person“.68 Da Waldburg offenbar die Falschheit der papistischen Lehre erkannt habe, solle er als Privatperson keinesfalls in der Annahme der evangelischen Lehre zögern „und nichts dissimulieren. Aber mit solchen hohen Personen [wie er als Erzbischof eine sei] hätte er [der Landgraf] eine andere Meinung, denn da hieße es, omnia ad aedificationem Ecclesiae facienda.“ Deshalb solle er seine Gewissensentscheidung so lange als möglich „heimlich und [seine] Mitcollegas in suspenso“ halten, Veränderungen in Pre- digt und Liturgie solle er äußerst bedächtig vornehmen. Zu einer direkten Hilfs- zusage ließ sich Landgraf Wilhelm nicht bewegen. Wie so oft, wurde dieses Verhalten in der Kölnischen Sache fehlgedeutet und dem stets zögerlichen Charakter des Landgrafen zugeschrieben. Denn insgeheim hoffte er, dass sich „die großen Herrn aus Sachsen, Brandenburg und Braun- schweig, die, weil sie auch Stift in ihren Händen, Ursach genug haben, dem Bischof [Waldburg] in der Sachen beizustehen“69, zu gemeinsamem Handeln

–––––––––– 63 Der Kasseler Kanzler Dr. Reinhard Scheffer meinte, Waldburg sei ein „williger und fast größer papist als der von Freisingen (Ernst von Bayern) selbst“. Scheffer, Brief an Heint- zensberger, 4. November 1577, zit. nach SCHMIDT: Grafenverein (wie Anm. 13), S. 298 f. 64 Vgl. Landgraf Wilhelm, Brief an Kurfürst August von Sachsen, 13. Oktober 1582; BEZOLD: Briefe, Bd. II (wie Anm. 52), S. 13. 65 Landgraf Wilhelm, Brief an Pfalzgraf Johann Casimir, 15. November 1582, zit. nach SCHULZ: Wilhelm IV. (wie Anm. 11), S. 162. 66 LOSSEN: Krieg, Bd. II (wie Anm. 60), S. 91. 67 Vgl. Petrus Johannes BLOK (Hg.): Correspondentie van en betreffende Lodewijk van Nassau en andere onuitgegeven documenten, Utrecht 1888, S. 162-166. 68 Folgendes nach SCHULZ: Wilhelm IV. (wie Anm. 11), S. 160. 69 Landgraf Wilhelm, Brief an Pfalzgraf Johann Casimir, 15. November 1582, zit. nach SCHULZ: Wilhelm IV. (wie Anm. 11), S. 163.

118 Holger Th. Gräf aufrafften. Er musste jedoch bald feststellen, dass sich die lutherischen Fürsten von Waldburg distanzierten.70 Landgraf Wilhelm konnte und durfte sich in dieser Situation nicht weiter ex- ponieren. Waldburgs Lage wurde zunehmend prekärer, da eine wirksame Hilfe auch von den Niederlanden nicht zu erwarten war. Er blieb allein auf die Unter- stützung der Westerwälder Grafen und des Pfalzgrafen Johann Casimir (1543- 1592, reg. ab 1575) angewiesen.71 Allerdings verschaffte Landgraf Wilhelm dem Kölner Erzbischof erhebliche Bargeldmittel, indem er verpfändete Güter des Stiftes Corvey, auf die er als dessen Schutzherr rechtlichen Zugriff hatte, heim- lich von Köln kaufte.72 Trotz seiner nach außen gezeigten Zurückhaltung war Landgraf Wilhelm ei- ner der wenigen Reichsfürsten, welche die Bedeutung der Entscheidung am Rhein für den gesamten Protestantismus richtig einschätzten. Um stets aus erster Hand über die politischen und militärischen Vorgänge informiert zu sein, schic kte er seinen französischen Sekretär und engen Vertrauten Antoine de Traos (gest. nach 1590) im Dezember 1582 nach Köln.73 Dieser blieb dort bis November 1583 und versorgte Wilhelm mit aktuellen Nachrichten und Lagebe- richten, führte auch heimliche Verhandlungen mit Waldburg.74 Es ist für die Bedeutung, die der Landgraf der Kölner Sache beimaß, bezeichnend, dass er den international versierten, weltgewandten und ihm persönlich verpflichteten de Traos für diese Aufgabe auswählte und keinen seiner hessischen Räte. Nach SCHULZ ist es zuvorderst auf dessen Berichte zurückzuführen, dass sich Land- graf Wilhelm ab Januar 1583 zugunsten Waldburgs engagierte.75 In der Tat beteuerte de Traos gegenüber seinem Dienstherren, dass der Kölner Kurfürst diesen Handel nur aus religiösen Gründen auf sich genommen hätte und „In summa, omnia in Cels. S. sapiunt vere christiana, zu geschweigen was I. Ch. Gn. sonstet für herlic he naturae dotes an sich hat, quae illum pariter et vere regalem et christianum principem reddunt.“76 Er gab sich keine Mühe, das Verhältnis Waldburgs mit Agnes von Mansfeld zu verschleiern, und räumte ein, dass „I. Ch. Gn. alle tage so familiariter [...] mit der von Mansfeld [...] umgehet, das meniglich in den Gedanken geraten, als das sie ihre junkfrauschaft nit mehr zu verlieren habe.“77 Solche Äußerungen konnten zwar nicht die persönlichen Zweifel Landgraf Wilhelms ausräumen, doch stellte er sie hintan und entfaltete Anfang Januar eine rege Korrespondenz, um die deutschen Protestanten zu einem gemeinsamen Handeln zu bewegen und um vor allem ausländische –––––––––– 70 Kurfürst von Sachsen und Brandenburg, Brief an Landgraf Wilhelm vom 17. Dezember 1582, in: BEZOLD: Briefe, Bd. II (wie Anm. 52), S. 33. 71 SCHMIDT: Grafenverein (wie Anm. 13), S. 339-348, bes. S. 341 f. 72 LOSSEN: Krieg, Bd. II (wie Anm. 60), S. 594, Anm. 1; SCHULZ: Wilhelm IV. (wie Anm. 11), S. 163. 73 Zu de Traos vgl. GRÄF: Konfession (wie Anm. 3), S. 253. 74 Vgl. seine Briefe an Landgraf Wilhelm in: BEZOLD: Briefe, Bd. II (wie Anm. 52), Nrn. 47, 57, 63, 67, 104, 163, 211, 215, 224, 225, 226 und 233. 75 SCHULZ: Wilhelm IV. (wie Anm. 11), S. 167 und LOSSEN: Krieg, Bd. II (wie Anm. 60), S. 116. 76 De Traos, Brief an Landgraf Wilhelm, Bonn 13. Januar 1583, in: BEZOLD: Briefe, Bd. II (wie Anm. 52), S. 52. 77 Ebd., Anm. 1.

Die Hessen-Kasseler Reaktionen auf die Rekatholisierung 119

Beteiligung an den Kölner Wirren zu verhindern, denn – so seine berechtigte Sorge – „Landfried, Kammergericht und andere wohlgemachte Konstitutiones“ helfen nicht gegen fremdes Kriegsvolk.78 Als das Kölner Domkapitel im Mai 1583 Herzog Ernst von Bayern zum neu- en Erzbischof wählte, nachdem Waldburg zuvor offiziell zum reformierten Bekenntnis übergetreten war und Anfang Februar Agnes von Mansfeld geheira- tet hatte, deutete alles auf einen militärischen Konflikt hin. Genau dies wollte Landgraf Wilhelm verhindern, denn dadurch wäre den Spaniern, die Herzog Ernst unterstützten, der Anlass zu einem weiteren Vorstoß ins Reich gegeben worden.79 Er lehnte deshalb jede militärische Unterstützung Waldburgs und dessen Allianzpartners Johann Casimir rundweg ab.80 Er gab die konfessionelle Solidarität auf und startete eine breite Kampagne zur Mobilisierung katholischer wie protestantischer Fürsten für den Erhalt des Augsburger Religionsfriedens. Es war für ihn „eine Schande, daß es nunmehr dahin gerät, daß von beiden Teilen die ausländischen Nationes ad devastationem imperii herinnen geführt wer- den.“81 Obwohl er gegenüber seinem Bruder Ludwig IV. von Marburg (1537- 1604, reg. ab 1567) bereits im November 1582 orakelte, „sollten wir den von Bayern [...] zum Nachbarn bekommen, [so] würde dasselbig uns nicht wenig beschwerlich vorfallen“82, akzeptierte er rasch den Wittelsbacher und erkannte die Rechtmäßigkeit seiner Wahl an. Für Waldburg hatte er dagegen nur noch Spott übrig – der „mehr igne cupidinis agitirt [...] als religionis [...] und zu seiner madonna“ gekrochen sei.83 Landgraf Wilhelm gab deshalb keineswegs seine protestantische Überzeu- gung auf, denn man habe „30 Jahre unterm Religionsfrieden in gar guter Ruh und Frieden in Teutschland gesessen“, und jeder wisse, wie „bitter und abscheu- lich der Krieg“ sei.84 Diese irenische Grundhaltung billigte er den katholischen Reichsständen ebenso zu wie seinen protestantischen Fürstenkollegen. Nicht bei den katholischen Reichsständen lag für ihn die wahre Gefahr für den Protestan- tismus, sondern ganz klar beim Papst, gegen dessen Praktiken und Anschläge man selbst „dem Religionsfrieden [...] vollkömmlich nicht vertrauen“ könne.85 Dafür sei die gesamtprotestantische Union vonnöten, die nur entstehen könne, wenn „das Pfaffengezänk und die Disputationen beiseite gestellt und alle für einen Mann stehen würden.“86

–––––––––– 78 Zit. nach SCHULZ: Wilhelm IV. (wie Anm. 11), S. 170. 79 Zum Folgenden SCHULZ: Wilhelm IV. (wie Anm. 11), S. 173 ff. 80 BEZOLD: Briefe, Bd. II (wie Anm. 52), S. 117, Landgraf Wilhelm an die Pfalzgrafen Johann Casimir und Johann, Kassel 20. Mai 1583; SCHULZ: Wilhelm IV. (wie Anm. 11), S. 178. 81 Landgraf Wilhelm, Brief an Erzbischof Wolfgang von Mainz, 5. Juli 1583; zit. nach SCHULZ: Wilhelm IV. (wie Anm. 11), S. 173. 82 Ebd., S. 161. 83 BEZOLD: Briefe, Bd. II (wie Anm. 52), S. 173, Nr. 233, Anm. 2, Landgraf Wilhelm, Brief an Landgraf Ludwig, 8. Oktober 1583. 84 Landgraf Wilhelm, Brief an Pfalzgraf Johann Casimir, 15. November 1582; zit. nach SCHULZ: Wilhelm IV. (wie Anm. 11), S. 161 f. 85 DERS., Brief an den Administrator zu Magdeburg; ebd., S. 178. 86 DERS., Brief an Kurfürst Ludwig von der Pfalz, 7. Juli 1583; ebd., S. 175.

120 Holger Th. Gräf

Paderborn

Noch für die 1560er und 1570er Jahre ist in Paderborn ein starker hessischer Einfluss auf das Kapitel und die Bischofswahlen zu beobachten.87 Landgraf Wilhelm gelang es bei der Bischofsneuwahl 1568 allerdings nicht, seinem Bruder Landgraf Georg (1547-1596, reg. ab 1567) die Administration Pader- borns zu verschaffen.88 Immerhin profilierte er sich als Schutzherr der Paderbor- ner Protestanten. So nahm er bereits 1568 den aus Paderborn vertriebenen protestantischen Pfarrer Hoitband in Kassel auf.89 Der neue Bischof Graf Johann von Hoya (1529-1574, reg. ab 1568) ebenso wie der päpstliche Nuntius Kaspar Gropper (1519-1594) waren sich bewusst, dass das Bistum Paderborn abermals nur knapp „dem Rachen des hessischen Landgrafen und anderer benachbarter häretischer Fürsten entrissen“90 worden war. Bischof Johann zog aus dieser Situation eine staatspolitisch kluge Konsequenz: Bekannte er sich einerseits klar zum Tridentinum, beteuerte er andererseits gegenüber Landgraf Wilhelm aus- drücklich seine Bereitschaft, sich als Landesherr auf die Seite der Augsburgi- schen Religionsverwandten zu stellen, sollten die Spanier im Reich einen Reli- gionskrieg provozieren.91 Diese Politik stieß jedoch auf den Widerstand der strikt gegenreformatorischen Fraktion im Stift. Es ist daher kaum verwunderlich, dass die altgläubigen Kapitulare und der Papst den Paderborner Bischof stärker anfeindeten als Landgraf Wilhelm.92 Für Wilhelm war Bischof Johann gewis- sermaßen ein Wunschkandidat, weil er sich darauf verlassen konnte, dass dessen Episkopat die politische Gegenreformation in Paderborn bremsen würde. Nach Hoyas Tod 1574 setzte der Landgraf daher alles daran, die Wahl des Kölner Erzbischofs Salentin von Isenburg in Paderborn zu verhindern und unterstützte dessen Gegenkandidaten.93 Die Kurie erzielte jedoch einen Teilerfolg, indem sie den Kölner Erzbischof durch die geschickten Verhandlungen Groppers zumin- dest als Administrator durchsetzen konnte. Unter diesem wurden Pläne in An- griff genommen, die den Geist des Tridentinums atmeten und 1577 in der Eröff- nung eines Gymnasiums gipfelten.94

–––––––––– 87 Zum traditionell starken und in der Reformationszeit noch intensivierten hessischen Einfluss im westfälischen Raum vgl. Robert STUPPERICH: Hessens Anteil an der Refor- mation in Westfalen, in: HessJbLG 18, 1968, S. 146-159. 88 Vgl. Testament, in: Friederich Christoph SCHMINCKE (Hg.): Monimenta Hassiaca, 4. Teil, Cassel 1750, § XXV, S. 602 f. und ROMMEL: Geschichte, Bd. V (wie Anm. 16), S. 518. 89 ROMMEL: Geschichte, Bd. V (wie Anm. 16), S. 511-13; Alois SCHRÖER: Die Kirche in Westfalen im Zeichen der Erneuerung (1555-1648), 2 Bde., Münster 1986, hier Bd. I, S. 136 f. 90 Wilhelm Eberhard SCHWARZ (Bearb.): Die Nuntiaturkorrespondenz Kaspar Groppers nebst verwandten Aktenstücken 1573-1576, München 1898, Nr. 131. 91 StA MR Best. 4f Paderborn 25, Bischof Johann von Hoya, Brief an Landgraf Wilhelm, Dringenberg 25. November 1569, vgl. dazu auch Lorenz LEINEWEBER: Die Paderborner Fürstbischöfe im Zeitalter der Glaubenserneuerung, in: Westfälische Zeitschrift 67, 1909, S. 115-200 und zuletzt SCHRÖER: Kirche, Bd. I (wie Anm. 89), S. 139 ff. 92 SCHRÖER: Kirche, Bd. I (wie Anm. 89), S. 142 ff. 93 Ebd., S. 156 und StA MR Best. 4f Paderborn 20. 94 SCHRÖER: Kirche, Bd. I (wie Anm. 89), S. 157 ff.

Die Hessen-Kasseler Reaktionen auf die Rekatholisierung 121

Von Isenburgs Abdankung im gleichen Jahr bedeutete einen erheblichen Rückschlag für die Gegenreformation, denn mit Herzog Heinrich von Sachsen- Lauenburg (1550-1585), der bereits seit 1567 Bischof von Bremen war, kam ein lutherischer Administrator nach Paderborn, der in klandestiner Ehe lebte. Auf- grund der Empfehlungen Isenburgs hatten aber weder die strikt gegenreformato- rischen Kapitulare noch der Kaiser, der ihn ohne päpstliche Admissio mit den entsprechenden Regalien belehnte, Bedenken gegen ihn anzumelden.95 Landgraf Wilhelm war besonders erfreut96, da ihm Herzog Heinrich für seine Unterstüt- zung bei der Kandidatur von 1574 verpflichtet war. Der Landgraf erinnerte ihn Ende 1577 daran, seine Zusage zu erfüllen und die Augsburgische Religion in Paderborn nicht zu behindern.97 In den folgenden Jahren war der Sachsen-Lauenburger jedoch mit der Reichspolitik vollauf beschäftigt und trat in näheres Einvernehmen mit dem Kölner Erzbischof Truchseß von Waldburg. Dementsprechend wurde nun das Domkapitel Träger der gegenreformatorischen Politik. Besonders der neue Dompropst Dietrich von Fürstenberg, der ebenfalls 1577 sein Amt angetreten hatte, galt als „Schlüsselfigur der Katholischen Reform in Paderborn.“98 In den nächsten Jahren stärkten mehrere aus Rom heimkehrende Germaniker die gegenreformatorische Fraktion im Kapitel und 1580 wurden in Allianz mit der Kurie gegen Bischof Heinrich die Jesuiten nach Paderborn berufen.99 Als sich nach der Niederlage Waldburgs im Kölner Krieg auch die Position des Paderborner Bischofs merklich verschlechterte, erwirkte das Domkapitel die völlige Übernahme des Gymnasiums durch die Jesuiten. Nach dem plötzlichen Tod Bischof Heinrichs 1585100 offenbarten sich im Verlaufe der üblichen Vor- verhandlungen zur Neuwahl rasch die Versäumnisse Landgraf Wilhelms in den vorangegangenen Jahre. Er hatte sich zu stark auf die Person des Lauenburgers verlassen und verpasst, sich wirksamen Einfluss im Domkapitel zu verschaffen. Eine protestantische Administration oder gar einen Bischof vom Zuschnitt Heinrichs von Sachsen-Lauenburg durchzusetzen, lag jetzt weit außerhalb des Möglichen. Um zu verhindern, dass Paderborn ebenfalls in die Hände des Wittelsbachers Ernst von Bayern fiel, unterstützte Landgraf Wilhelm daher Dietrich von Fürstenberg. Dessen Wahl am 5. Juni 1585 war zu einem Gutteil der Vermittlungstätigkeit des hessischen Abgesandten Eckbrecht von der Mals- burg (um 1525-1587) zu verdanken, der die widerstreitenden Kapitulare hinter ihrem Dompropst vereinigte.101 –––––––––– 95 Ebd., S. 180 ff. 96 Vgl. seinen Briefwechsel zur Wahl Herzog Heinrichs, StA MR Best. 4f Paderborn 18. 97 ROMMEL: Geschichte, Bd. V (wie Anm. 16), S. 520 mit Anm. 39; SCHRÖER: Kirche, Bd. I (wie Anm. 89), S. 182 f. und Ludwig KELLER: Die Gegenreformation in Westfalen und am Niederrhein, 3 Teile, Leipzig 1881-1895, hier Teil I, S. 554 f. und Aktenstücke 602- 604. 98 SCHRÖER: Kirche, Bd. I (wie Anm. 89), S. 183. 99 Ebd., S. 183 f., S. 188 und KELLER: Gegenreformation I (wie Anm. 97), S. 555 und Aktenstücke 616 und 617; DUHR: Geschichte, Bd. I (wie Anm. 24), S. 136-143. 100 Zu Gerüchten über einen eventuellen gewaltsamen Tod, für den die Jesuiten verantwort- lich seien, vgl. ROMMEL: Geschichte, Bd. V (wie Anm. 16), S. 521, Anm. 40. 101 StA MR Best. 4f Paderborn 43 und Bericht von der Malsburg an R. Scheffer und H. Herbergen in Kassel, Elsingen 20. Mai 1585, in: KELLER: Gegenreformation II (wie

122 Holger Th. Gräf

Die letzten Jahre der Regierungszeit des Landgrafen waren durch eine weit- gehende Einvernehmlichkeit mit Paderborn gekennzeichnet. Dietrich von Fürs- tenberg erlangte durch seine harten Auseinandersetzungen mit der Kurie und den Germanikern seines Kapitels, die in der vorübergehenden Exkommunikation des von ihm favorisierten Dompropstes Melchior von Plettenberg und einiger Kano- niker gipfelten102, eine gewisse Glaubwürdigkeit als ein auf die reichsfürstlichen Freiheiten bedachter Politiker. Er versäumte indes nicht, im Innern die Gegenre- formation voranzutreiben, besonders um seiner unbotmäßigen Landstände Herr zu werden.103 Ähnlich wie in Fulda führte diese Politik zum zeitweiligen Zu- sammenschluss von Domkapitel, Landadel und Städten. Nachdem 1590/91 niederländische Truppen das Fürstbistum heimgesucht hatten, musste Fürsten- berg noch einmal die Privilegien der Landstände und die Kapitulationen bestäti- gen, um die Bewilligung einer Steuer zu erhalten, die aus der Kontributionsfor- derung der Niederländer resultierte.104 Im Laufe der nächsten Jahre verschärften sich die Gegensätze zunehmend. Der Bischof trieb die Gegenreformation weiter voran, während der weitgehend protestantische Adel und die Bürger immer deutlicher die Forderung nach Freistellung der Religion formulierten. Bereits 1593 wurde der Plan eines Schutzbündnisses zwischen den Paderborner Landständen und dem Landgrafen diskutiert, allerdings ohne Erfolg.105 Wie in den meisten anderen auswärtigen Angelegenheiten zu Beginn seiner Regierungszeit verhielt sich Moritz äußerst zurückhaltend und setzte weiterhin auf gutnachbarliche Beziehungen zum Fürstbischof von Paderborn. Dadurch gelang es ihm noch 1597, lange bestehen- de, gegenseitige territoriale Ansprüche auszugleichen und die Landesgrenze definitiv festzulegen.106 Durch die zusehends rücksichtsloser werdende Politik Fürstenbergs war der Bruch indes unvermeidlich. Als im März 1599 nach dem Einmarsch der Spanier in Westfalen die protestantische Marktkirche in Paderborn geschlossen wurde, ersuchte die Stadt Landgraf Moritz um Hilfe.107 In einem ausführlichen Interzes- sionsschreiben rief dieser Fürstenberg auf, sich nicht dem Druck der Spanier zu

–––––––––– Anm. 97), S. 421 f. und Aktenstück 405. Rebus sic stantibus kann ich die oben angeführ- te Behauptung von PRESS: Landesteilung (wie Anm. 23), S. 276, Landgraf Wilhelm habe die Administration für seinen Bruder Georg gewollt, nicht nachvollziehen. – Vgl. auch SCHRÖER: Kirche, Bd. II (wie Anm. 89), S. 110 f. 102 SCHRÖER: Kirche, Bd. II (wie Anm. 89), S. 113; dagegen die Zusammenhänge nur unklar erfassend Keller: Gegenreformation II (wie Anm. 97), S. 426 f. 103 Umfassend dazu Karl HENGST: Kirchliche Reformen im Fürstbistum Paderborn unter Dietrich von Fürstenberg (1585-1618), (Paderborner theologische Studien 2), Paderborn 1974; zuletzt SCHRÖER: Kirche, Bd. II (wie Anm. 89), S. 111-121. 104 KELLER: Gegenreformation II (wie Anm. 97), S. 428 f. und Aktenstücke Nr. 416 und 417; BRUNS: Tagebücher, Bd. I (wie Anm. 23), S. 421 f. 105 StA MR Best. 4f Paderborn 61. 106 StA MR Best. 4f Paderborn 62 und 70; zur Vermittlungstätigkeit Landgraf Ludwigs IV. ebd., 48 und ROMMEL: Geschichte, Bd. VII (wie Anm. 16), S. 162 f. 107 Zum Folgenden, allerdings eher apologetisch zugunsten von Landgraf Moritz, Adolf BENKERT: Landgraf Moritz und die Reformation in Westfalen, in: ZHG 47, 1929, S. 57- 84; KELLER: Gegenreformation II (wie Anm. 97), S. 433-453 und Aktenstücke Nr. 435, 437, 438 und 440.

Die Hessen-Kasseler Reaktionen auf die Rekatholisierung 123 beugen, sich „die alte teutsche, des lieben Vatterlands Libertet, Mann und Freiheit angelegen sein“ zu lassen und, um der Erhaltung des „so theuer erwor- benen Religionsfriedens“ willen, die protestantischen Kirchen wieder zu öff- nen.108 Selbstbewusst und barsch wies Fürstenberg Landgraf Moritz darauf hin, dass er beabsichtige, „die ererbte catholische Religion wiederumb [...] in vorigen Schwang“ zu bringen und dass Moritz es wohl auch mißbilligen würde, wenn in seinem „Fürstenthumb wider die angenommene Augsburgische Confession einige Aenderungen [vorgenommen würden] zu geschweigen in dergleichen Religionssachen von Andern [... ihm] Ziel oder Maß“ vorgeschrieben werden würde.109 Für den Landgrafen, der anscheinend zunächst noch auf guten nach- barlichen Willen gehofft hatte, war dies ein deutlicher Affront. Nachdem die Bürger Paderborns mit Unterstützung des hessischen Aufgebotes, das in Ric h- tung Rees unterwegs war, die Öffnung der protestantischen Kirche erzwungen hatten, zögerte Moritz nicht, sich als evangelischen Helden feiern zu lassen.110 Doch schon nach Abzug der Truppen mussten die Paderborner wiederum beim Landgrafen um Schutz ansuchen, der jedoch mit seiner Niederrhein-Expedition vollauf beschäftigt war. Indes spielte Fürstenberg den Rat und die Bürgerschaft geschickt gegeneinander aus und ließ sich vom Magistrat nach neunmonatiger Belagerung die Eingriffsmöglichkeit in städtische Angelegenheiten zusichern. Während so die völlige Unterwerfung der Stadt Paderborn in greifbare Nähe rückte, schlug der protestantische Stiftsadel Landgraf Moritz vor, das Bistum einem hessischen Prinzen zukommen zu lassen.111 1603 versuchte Fürstenberg, die beiden „Scharfmacher“, den Stadtrichter Liborius Wichard und besonders den Stadtsyndikus Dr. Wolfgang Günther (um 1578-1628), aus dem Amt zu jagen. Bürgerschaft und Rat einigten sich daraufhin rasch und versuchten wie- derum, hessische Unterstützung zu mobilisieren. Dem Landgrafen versprach man dafür erneut, sich im Falle einer Sedisvakanz für die Sukzession eines hessischen Prinzen einzusetzen.112 Am 16. April 1604 lehnte Landgraf Moritz aber jegliche Unterstützung der Stadt Paderborn ab und verwies auf das zu hohe Risiko eines solchen Unterfangens, zumal nicht voll mit Kapitel und Adel zu rechnen sei.113 Dennoch waren die nächsten Tage ausgefüllt mit Verhandlungen zwischen den hessischen Gesandten Dr. Johannes Antrecht (1544-1607), Her- mann von der Malsburg (1570-1636) sowie Otto von Starschedel (gest. nach 1611) – Letztere waren enge Vertraute des Landgrafen114 – und den Paderborner Ständen.115 Schließlich kam es am 23. April 1604 zum Abschluss eines Schutz- –––––––––– 108 KELLER: Gegenreformation II (wie Anm. 97), S. 503-505, Landgraf Moritz an Bischof von Paderborn, Gudensberg 8. April 1599, hier S. 504. 109 Ebd., S. 506, Bischof von Paderborn an Landgraf Moritz, Schloss Neuhaus 18. April 1599 und StA MR Best. 4f Paderborn 76. 110 BENKERT: Landgraf Moritz (wie Anm. 107), S. 63; ROMMEL: Geschichte, Bd. VII (wie Anm. 16), S. 163 f. 111 StA MR Best. 4f Paderborn 79. 112 KELLER: Gegenreformation II (wie Anm. 97), S. 535, von der Malsburg an Starschedel, Leher (?) 25. März 1604. 113 KELLER: Gegenreformation II (wie Anm. 97), S. 546 ff. – Vgl. auch die Proposition Landgraf Moritz' für den Landtag vom 2. Mai 1604, StA MR Best. 73/15. 114 Zu Antrecht und Starschedel vgl. GRÄF: Konfession (wie Anm. 3), S. 393 und 403. 115 StA MR Best. 4f Paderborn 85 und 89 ff.

124 Holger Th. Gräf vertrages in Kassel, den die Abgesandten der Paderborner Ritterschaft sowie der Städte Brakel, Lügde und Steinheim unterzeichneten. Paderborn selbst war sieben Tage zuvor im Handstreich von bischöflichen Truppen genommen wor- den. Der Schutzvertrag richtete sich ausdrücklich gegen auswärtige Aggresso- ren, besonders gegen „spanisches mutinierendes Kriegsvolck“, jedoch nicht gegen den Bischof.116 Eine solche Klausel war doppelbödig, denn die Truppen, die im Auftrage des Bischofs die Stadt eingenommen hatten, waren zumeist spanische Söldner. Vieles deutete nun auf eine militärische Entscheidung hin, zumal der Land- graf an der paderbornischen Grenze eine kleine Streitmacht zusammengezogen hatte.117 Einen Tag nach Unterzeichnung des Schutzvertrages fertigte er Star- schedel und Malsburg mit der Instruktion ab, dem Bischof eine beiderseitige Abrüstung vorzuschlagen und im Falle einer Ablehnung eindeutige Drohungen auszusprechen.118 Fürstenberg besaß jedoch die bessere Ausgangsposition. Er konnte sowohl auf den Kaiser als auch auf spanische Unterstützung zählen. Außerdem hatte er deutlich gemacht, dass es „nicht um die Unterdrückung des evangelischen Bekenntnisses, sondern um die Niederwerfung einer politischen Rebellion [...] ging.“119 Damit nahm er dem Landgrafen jede moralische oder konfessionell begründete Handhabe zu einem bewaffneten Eingreifen. Im übrigen hatte der Bischof erreicht, was er wollte: Er war im Besitz Paderborns und vollzog das Strafgericht an den Magistraten. Der konfessionell gepolte Kampf um die städtische Autonomie war zugunsten des katholischen Fürsten entschieden worden. Fürstenberg zeigte sich jetzt Moritz gegenüber scheinbar kompromissbereit, denn er brauchte Zeit, um die Früchte dieses Sieges einzu- bringen.120 Der Landgraf wusste um seine Nachteile gegenüber der Position des Bi- schofs und beließ es bei militärischen Drohgebärden. Als kurz darauf das Ge- rücht auftauchte, der Bischof wolle in Paderborn eine Zitadelle errichten, spitzte sich die Situation nochmals zu. Wiederum gelang den interessierten protestanti- –––––––––– 116 SCHRÖER: Kirche, Bd. II (wie Anm. 89), S. 120 datiert den Abschluss des Schutzvertra- ges auf den 23. April und die Einnahme Paderborns auf den 26. April 1604, also 3 Tage nach der Unterzeichnung, und illustriert damit die tragische Vergeblichkeit dieses Ak- tes. Allerdings wird er dabei offenbar Opfer der in der Tat verwirrenden Datierungen in den Akten und der Literatur. Denn die Unterzeichnung fand am 23. April alten Stils statt, also am 3. Mai neuen Stils, und die Unterwerfung der Stadt am 26. April neuen Stils, also dem 16. April alten Kalenders. Demnach fand die Unterzeichnung 7 Tage nach und nicht 3 Tage vor der Unterwerfung statt. Dies erklärt auch die Tatsache, dass kein Vertreter Paderborns den Vertrag unterzeichnete und dies erst später nachgeholt wurde. Vgl. KELLER: Gegenreformation II (wie Anm. 97), S. 550 ff., Starschedel an Landgraf Moritz, Trendelburg 17. April (alten Kalenders) 1604, worin er bereits von der Überrumpelung Paderborns berichtete, und ebd., S. 569 ff. zum Schutzvertrag vom 23. April/3. Mai 1604. 117 ROMMEL: Geschichte, Bd. VII (wie Anm. 16), S. 168 f. 118 KELLER: Gegenreformation II (wie Anm. 97), S. 574 ff., Instruktion für Starschedel und Malsburg, Kassel 4. Mai 1604 und BENKERT: Landgraf Moritz (wie Anm. 107), S. 75 ff.; vgl. auch das Schreiben der Kasseler Räte an die beiden Gesandten, in dem sie diese auf- fordern, Landgraf Moritz über die militärischen Risiken aufzuklären; KELLER: Gegenre- formation II (wie Anm. 97), S. 577 f., Kassel 7. Mai 1605. 119 SCHRÖER: Kirche II (wie Anm. 89), S. 120. 120 Zum Folgenden KELLER: Gegenreformation II (wie Anm. 97), S. 454 ff.

Die Hessen-Kasseler Reaktionen auf die Rekatholisierung 125 schen Ständen kein konzertiertes Vorgehen. Während der niederrheinisch- westfälische Kreis Moritz ausdrücklich zur Entlassung seiner Truppen aufforder- te, ermunterte ihn der Kurfürst von der Pfalz zum bewaffneten Schutz der Paderborner Protestanten.121 Die Kasseler Räte empfahlen dagegen dringende Zurückhaltung, eine Abstimmung mit anderen Ständen und die Einhaltung des Rechtsweges.122 Denn der Bischof habe mit „keinem standt des Reichs, sondern allein mit seinen selbst eigenen Vnderthanen in der Stadt Paderborn zu thunn“, und sollte der Bischof tatsächlich eine Zitadelle errichten, rieten sie, um dem Eindruck vorzubeugen, „alß ob vnser g[ra]f vnd Herr allein wegen hierunder gesuchten privat interesse dem Bischoff hierin zusetzen wollte“, den Bischof von Minden sowie Nassau, Schaumburg, Bentheim und Lippe dahin zu bewe- gen, daß sie „am Kayserlichenn Cammergericht ... [ein] ... Mandatum demolito- rium ausbrechtenn.“ Landgraf Moritz hatte keine andere Wahl, als den Empfeh- lungen seiner Räte zu folgen. Der Gesandte in Prag, sein Halbbruder Philipp Wilhelm von Cornberg (1553-1616), war damit beschäftigt, die bisherige Vor- gehensweise seines Herrn zu entschuldigen.123 Er hatte allerdings wenig Erfolg, zumal sich die reichspolitische Position des Landgrafen mit dem Beginn des Marburger Erbstreites just in diesem Moment erheblich komplizierte.124 Während die Paderborner Hilfsgesuche an die Generalstaaten und die Hanse- städte richteten125, versuchte Wolfgang Günther, den Landgrafen zum direkten Eingreifen zu bewegen. Im August schickte er ihm aus Herford seine „Relatio historica“, in der er die Paderborner Vorkommnisse ausführlich schilderte.126 An dem Schreiben, das geflohene Paderborner Bürger im Dezember 1604 aus Hofgeismar an den Landgrafen richteten, war Günther wahrscheinlich ebenfalls beteiligt.127 Moritz, durch die Marburger Frage gebunden, hielt sich zurück, nahm aber zahlreiche vertriebene Paderborner auf. Der bedeutendste war zwei- felsohne Dr. Günther, der später zum Rat und engsten Vertrauten des Landgra- fen aufstieg. In dieser Position schuf er sich durch seine rigorose Innen- und Außenpolitik viele Feinde in Kassel und endete nach Moritz’ Rücktritt auf dem Richtplatz.128 Eine weitere wichtige Persönlichkeit war Johann von der Burch –––––––––– 121 Niederrheinisch-westfälischer Kreis, Brief an Landgraf Moritz, Hamm 22. Mai 1604 und Kurfürst Friedrich IV., Brief an Landgraf Moritz, Heidelberg 25. Juni 1604; KELLER: Gegenreformation II (wie Anm. 97), Nr. 486 und 491. 122 Folgende Zitate aus StA MR Best. 4d 176, Bedenken der Kasseler Räte vom 8. Juni 1604 und StA MR Best. 4f Paderborn 84. 123 KELLER: Gegenreformation II (wie Anm. 97), Nr. 484. 124 BENKERT: Landgraf Moritz (wie Anm. 107), S. 83. 125 StA MR Best. 4f Paderborn 87. 126 KELLER: Gegenreformation II (wie Anm. 97), Nr. 493, Dr. Günther an Landgraf Moritz, Herford 1. August 1604 und Klemens HONSELMANN: Der Kampf um Paderborn 1604 und die Geschichtsschreibung, Münster 1969, S. 74 ff., zuerst erschienen in: Westfälische Zeitschrift 118, 1968, S. 229-338. Zu Wolfgang Günther vgl. künftig Holger Th. GRÄF: „Vndt also ex mente, animo & ore nostro nachgeredt haben magk ...“ – Der Generalau- dienzierer Wolfgang Günther und Landgraf Moritz von Hessen-Kassel, in: KAISER und PECAR,“Zweite Mann“ (wie Anm. 58). 127 HONSELMANN: Kampf (wie Anm. 126), S. 75 und KELLER: Gegenreformation II (wie Anm. 97), Nr. 500. 128 Vgl. Wilhelm GROTEFEND: Der Prozeß des landgräflichen Rats Dr. Wolfgang Günther (1627-28), in: Hessenland 12, 1898, S. 226-28, 270-72, 288-90 und 298-301.

126 Holger Th. Gräf

(1567-1644), der bereits 1592 von London aus mit Landgraf Moritz korrespon- dierte. 1606 gehörte er zu den Gesandten der Paderborner Ritterschaft, die dem Landgrafen den Schutzvertrag überbrachten.129 Das Ansehen des Bischofs von Paderborn war durch seinen Erfolg derart ge- stiegen, dass er die Rekatholisierung kräftig vorantreiben konnte.130 Auf sein Drängen kündigten schließlich die Städte Paderborn, Lügde, Brakel und Stein- heim sowie die Ritterschaft den Schutzvertrag mit Hessen einseitig auf.131 Vereinzelt interzedierte der Landgraf zwar noch zugunsten von Paderborner Protestanten, besonders von Joachim von Büren, dem Führer des protestanti- schen Adels. Abgesehen davon hielt sich Moritz mit Einmischungen in das Bistum aber bis 1611 zurück.132 Bis zu diesem Jahr hatte sich die Position Dietrichs von Fürstenberg trotz der Erfolge in seinen gegenreformatorischen Bemühungen aufgrund der Konflikte mit dem Domkapitel um die Wahl eines Koadjutors deutlich verschlechtert. Während der Papst, ein Teil des Domkapitels und die Jesuiten Herzog Ferdinand von Bayern (1577-1650, reg. ab 1612) favorisierten, wollte der Fürstenberger seinem Neffen diese Stellung verschaf- fen.133 Dr. Günther, der mittlerweile in hessische Dienste getreten war, schlug Moritz vor, die Stadt Paderborn im Handstreich zu nehmen und den jungen Landgrafensohn Philipp (1604-1626) zum Koadjutor wählen zu lassen.134 Graf Johann VII. von Nassau-Dillenburg (1561-1623, reg. ab 1606), der Schwieger- vater des Landgrafen, bestärkte ihn zusätzlich in diesem Vorhaben. Ein militäri- sches Abenteuer war indes dem Landgrafen entschieden zu riskant. Er machte sein Engagement von der Hilfszusage der evangelischen Unionsstände und vor allem der Generalstaaten abhängig und hoffte stattdessen, die Kapitulare durch eine große Gesandtschaft für die Wahl seines Sohnes zu gewinnen.135 Dieser Versuch blieb erfolglos: Im Februar 1612 wählte das Domkapitel einstimmig Ferdinand von Bayern zum Koadjutor. Der Landgraf zog sich daraufhin enttäuscht aus den Paderborner Angelegen- heiten zurück.136 Erst als sich die Paderborner Stände 1615 mit einem Hilfsge- such an die beiden Gegner des Landgrafen im protestantischen Lager, den Grafen Wolrad IV. von Waldeck (1588-1640, reg. ab 1607) und Landgraf

–––––––––– 129 StA MR Best. 4f Paderborn 100; StA MR Best. 4a 39, 145 und ROMMEL: Geschichte, Bd. VII (wie Anm. 16), S. 170; vgl. auch seine Kurzbiographie bei Gräf: Konfession (wie Anm. 3), S. 394 f. 130 DUHR: Geschichte, Bd. II, 1 (wie Anm. 24), S. 37 ff. 131 SCHRÖER: Kirche, Bd. II (wie Anm. 89), S. 120 f. und Keller: Gegenreformation II (wie Anm. 97), Nr. 530, Vertrag zwischen Bischof Dietrich und der Ritterschaft, Neuhaus 10. Juni 1608. 132 Vgl. StA MR Best. 4f Paderborn 107, 111, 112 und 119 sowie KELLER: Gegenreformati- on III (wie Anm. 97), Nr. 579, J. von Büren, Brief an Landgraf Moritz, Büren (ohne Tag) Juni 1609. 133 SCHRÖER: Kirche, Bd. II (wie Anm. 89), S. 130 ff. 134 Vgl. den Briefwechsel Günthers mit Landgraf Moritz und besonders mit Otto von Starschedel in: KELLER: Gegenreformation III (wie Anm. 97), Nrn. 590-608. 135 Ebd., III, Nr. 607; Landgraf Moritz an Graf Johann von Nassau, Kassel 13. Aug. 1611 und ROMMEL: Geschichte, Bd. VII (wie Anm. 16), S. 173 mit Anm. 127. 136 Vgl. BENKERT: Landgraf Moritz (wie Anm. 107), S. 82 f.

Die Hessen-Kasseler Reaktionen auf die Rekatholisierung 127

Ludwig V. (1577-1626, reg. ab 1596) in Darmstadt, wandten137, wurde auch Moritz wieder aktiv. Er zog jedoch aus der 1604 und 1611 vergeblich erhofften Unterstützung durch die deutschen Protestanten die Konsequenzen. Im Gegen- satz zur Politik seines Vaters, die darauf zielte, eine ausländische Beteiligung an derartigen Konflikten zu verhindern, lud er jetzt die Generalstaaten von vornher- ein zu einer militärischen Beteiligung ein und versuchte so, den Paderborner Konflikt gewissermaßen zu internationalisieren.138 Spätestens an dieser Stelle ist der endgültige Wendepunkt in der hessischen Reichs- und Außenpolitik zu sehen. Aus Enttäuschung über die mangelnde konfessionelle Solidarität seiner Glaubensgenossen im Reich und nicht zuletzt aus Wut über seine dynastie- und territorialpolitischen Misserfolge stellte der Landgraf den Reichsfrieden und das Augsburger System zugunsten ausländi- scher, internationaler Unterstützung zur Disposition. Dieses Vorgehen verur- sachte zwar bei den weiterhin auf die Reichsverfassung schwörenden lutheri- schen Ständen geradezu einen Schock; die Niederländer waren jedoch nicht bereit, den 1609 mit Spanien geschlossenen Waffenstillstand zu brechen. Moritz lehnte nach deren Absage gegenüber den Paderbornern jede Hilfeleistung ab und beschränkte sich weiter auf Interzessionen zugunsten von Einzelpersonen.139

Resümee

Die Landgrafen in Kassel beobachteten die kirchliche Erneuerung in ihren geistlichen Nachbarterritorien wachen Auges. Bereits Wilhelm IV. reagierte sensibel und aufmerksam, wenn sich die Gegenreformation im Reich und be- sonders in seiner direkten Nachbarschaft regte. Vor allem, wenn im Hintergrund eine Teilnahme bzw. Einflussnahme von Madrid oder Rom ruchbar oder auch nur vermutet wurde, führte dies zu raschen Interzessionen aus Kassel. Die Beispiele Fulda, Köln und Mainz zeigen, dass seine Politik dabei vorrangig am Erhalt des status quo interessiert war. Die reichsfürstliche Solidarität erwies sich in der Regel als tragfähiges Fundament für einen lebensnotwendigen Minimal- konsens zwischen Wilhelm und seinen geistlichen Nachbarn. Das schloss eine hessische Interessenpolitik jedoch nicht aus, wie der Fall Fulda zeigt. Grundsätz- lich hielt sich Landgraf Wilhelm aber an die Grenzen, welche die Reichsverfas- sung seinem Handeln steckte. Es überrascht im Rückblick kaum, dass Wilhelm mit dieser Politik wenig Erfolg hatte und den Vormarsch der Gegenreformation nirgends aufhalten konnte. Das faktische Scheitern seines Vaters und die Aufweichung des Reichsfrie- denssystems vor Augen, inaugurierte Landgraf Moritz gegenüber Paderborn eine neue Politik, der massive Drohgebärden und militärische Gewaltanwendung –––––––––– 137 Vgl. KELLER: Gegenreformation III (wie Anm. 97), Nr. 627 und 629; Paderborner Protestanten an Graf Wolrad von Waldeck, o. O. 28. Februar 1615 und Landgraf Ludwig V., Brief an Bischof von Paderborn, Darmstadt 16. März. 1615. 138 Ebd., Nr. 631, Landgraf Moritz, Brief an J. Zobel, Woltersdorf 15. November 1615 (Nebeninstruktion für dessen Gesandtschaft in die Niederlande) und StA MR Best. 4f Paderborn 137; dagegen BENKERT: Landgraf Moritz (wie Anm. 107), S. 84, Anm. 5. 139 ROMMEL: Geschichte, Bd. VII (wie Anm. 16), S. 175 f.; BENKERT: Landgraf Moritz (wie Anm. 107), S. 83 f. und StA MR Best. 4f Paderborn 134.

128 Holger Th. Gräf nicht fremd waren. Im Falle Paderborns wird aber auch deutlich, wie stark das Engagement der Spanier, also die internationalen Implikationen der gegenrefor- matorischen Politik des Paderborner Bischofs, den hessischen Landgrafen umtrieb. Denn gegenüber Fulda und Mainz erlaubte die Kasseler Politik bis in die 1610er Jahre wenigstens in Teilbereichen eine noch durchaus einvernehmli- che Zusammenarbeit. Mit der Durchsetzung der konfessionell bestimmten Perzeption des internati- onalen Systems kam es zu einer Verdichtung der internationalen Beziehungen. Dies hatte schwerwiegende Folgen für die hessische Politik.140 Zwar ist für die Regierungszeit Landgraf Wilhelms und für die ersten Regierungsjahre seines Nachfolgers grundsätzlich festzuhalten, dass innerhalb des Reiches die dynasti- schen Strukturen und die traditionellen interterritorialen Beziehungen zusammen mit der Augsburger Friedensordnung das Reichsgebiet gegenüber den großen westeuropäischen Konfessionskriegen noch weitgehend abschotteten und die Reichsfürsten zu konfessionsneutraler bzw. suprakonfessioneller Politik anhiel- ten. Mit der konfessionell bestimmten, im Bewusstsein der Zeitgenossen vollzo- genen Kopplung der Gegenreformation im Reich mit der spanisch dominierten politischen Gegenreformation in Europa verlor das Augsburger System jedoch langsam seine immunisierende Wirkung. Der Reichsverband öffnete sich gewis- sermaßen dem säkularen Kampf um die Gestalt des europäischen Mächtesys- tems.141 Die konfessionell gepolte, dualistische Sicht des internationalen Sys- tems sorgte dafür, dass die Konfession auf der europäischen Ebene und sukzes- sive auch auf der Reichsebene zusehends zur wichtigsten Ordnungskategorie der landgräflichen Politik aufstieg. Die daraus resultierende Selbstfestlegung Hes- sen-Kassels ab den späten 1580er Jahren musste längerfristig zwingend von der reichsfürstlichen Solidarität wegführen. Das heißt, die Politik im verdichteten, konfessionell gepolten internationalen System perforierte das Subsystem des Reiches. Diese übergeordneten Vorgänge und Prozesse im Bereich der „großen“ Politik und Diplomatie sind für die Fragen der Rekatholisierung und der katholischen Kultur im 16. und 17. Jahrhundert zu berücksichtigen. Will man Möglichkeiten, Stoßrichtung und Tragweite der Rekatholisierung und Ausbildung einer spezifisch katholischen Kultur abschätzen, müssen die Veränderungen im religiös- kirchlichen Bereich stets im Kontext ihrer staatlich-politischen Voraussetzungen und Implikationen gesehen werden, denn – wie Winfried SCHULZE formulierte – „die internationale und die religiöse Konkurrenz stehen nebeneinander.“142 Frei-

–––––––––– 140 Vgl. dazu GRÄF: Konfession (wie Anm. 3), S. 201 ff. und DERS.: Die Mauritianische Außenpolitik, 1592-1627, in: Heiner BORGGREFE u.a. (Hg.): Moritz der Gelehrte – ein Renaissancefürst in Europa. Katalog zur Ausstellung der Staatlichen Museen in Kassel und des Weserrenaissance-Museums Schloß Brake, Eurasburg 1997, S. 101-140 und DERS.: Collegium Mauritianum (wie Anm. 4), S. 1179-1180. 141 Vgl. zum Überblick Heinz SCHILLING: Konfessionalisierung und Formierung eines internationalen Systems während der Frühen Neuzeit, in: Hans R. GUGGISBERG und Gott- fried G. KRODEL (Hg.): Die Reformation in Deutschland und Europa (ARG Sonderband), Gütersloh 1993, S. 583-605. 142 Wilfried SCHULZE: Gerhard Oestreichs Begriff „Sozialdisziplinierung in der frühen Neuzeit“, in: ZHF 14, 1987, S. 265-302, hier S. 293.

Die Hessen-Kasseler Reaktionen auf die Rekatholisierung 129 lich – auch dies ist zu bedenken – führte diese Konkurrenz nicht nur zu gegensei- tiger Feindschaft und vor allem nicht nur zu Abschottung und Ausgrenzung.143 Ähnlich wie sich heute konkurrierende Firmen einer bestimmten Branche beo- bachten und erfolgreiche Betriebsstrukturen und Geschäftsmethoden imitieren, ließen sich die damaligen Zeitgenossen durchaus auch vom Erfolg des politischen und konfessionellen Gegners faszinieren. So dürfte es wohl auch kein Zufall gewesen sein, dass Moritz das Jesuitenkolleg in Fulda besichtigte und seine Gattin, die überzeugte Calvinistin Landgräfin Juliane (1587-1643), und der hessi- sche Obrist und Diplomat Caspar von Widmarckter (1566-1621) auf ihrer Rück- reise von Den Haag im August 1619 ausgerechnet der Jesuiten Kirch und Collegi- um in Paderborn einen Besuch abstatteten.144

–––––––––– 143 Diesen Austauschprozessen zwischen den Konfessionskulturen bin ich probeweise unter Anwendung des Kulturtransferkonzeptes nachgegangen; vgl. Holger Th. GRÄF: „Interna- tional revisited“ oder europäische Transferleistungen im konfessionellen Zeit- alter, in: Thomas FUCHS und Stefan TRAKULHUN (Hg.): Das eine Europa und die Vielfalt der Kulturen. Beiträge zur Kulturtransfer- und Kulturvergleichsforschung in Europa 1600-1850, erscheint Berlin 2003. Die Betonung auf die konfessionsspezifischen Unter- schiede legt Heinz SCHILLING: Confessionalism and the Rise of Religious and Cultural Frontiers in Early Modern Europe, in: Eszter ANDOR und István György TÓTH (Hg.): Frontiers of Faith. Religious Exchange and the Constitution of Religious Identities 1400- 1750, Budapest 2001, S. 21-35. 144 Murhardsche Bibliothek Kassel 4° Ms. Hass. 66[2,fol. 236-241. Zur Reise GRÄF: Außen- politik (wie Anm. 140), S. 112.