Frauenautbruch: Visionen, Anspriiche, Widerstande

Berichte vom 6. Louise-Otto-Peters-Tag 1998

LOUISEum 10

Sammlungen und V eroffentlichungen der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft e. V. Leipzig . 1

Herausgegeben von der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft e. V. Leipzig

Redaktion: Johanna Ludwig und Nina PreiBler

c/o Johanna Ludwig Fritz-Siemon-Str. 26/011 04347 Leipzig Inhalt

Ein Wort zuvor 4 Johanna Ludwig

Katharina von Bora (1499-1552) 6 Louise Otto

Katharina von Bora. 10 Nonne - Protestantin - Idea!Hausfrau Dr. Jutta Jahn

England und Louise Otto-Peters' ,Schlo/3 und Fabrik": 19 Ahnlichkeiten und Kontraste Dr. Carol Diethe

Lied eines deutschen Madchens 30 Louise Otto

, Weckt auf das Volk, das nicht mehr schlafen mag!" 32 Zur zeitgenossischen Bedeutung der Gedichte Louise Otto-Peters' zur Revolution 1848 Dr. Christel Hartinger

Erinnerung an Helene Lange anlaf3lich ihres 150. Geburtstages 40 Dr. Else Sauer

Zum 75 . Geburtstag von Frau Dr. Else Sauer 46 Prof Dr. Hans-Jurgen Arendt

Mannerreaktionen aufFrauenfortschritt. 50 Zum Beispiel: Dr. Paul Mobius und Elsa Asenijeff RitaJorek

Weibliche Jugendliche in Ostdeutschland- 63 Perspektiven fur die Geschlechterverhaltnisse in der BRD? Dr. Uta Schlegel

Frauentraditionen im Leipzig von heute 72 GenkaLap6n

Was gibt uns die Beschaftigung rnit Louise Otto-Peters heute? 75 Podiumsgespriich

Anhang: Bisherige Veroffentlichungen der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft 4

Johanna Ludwig (Leipzig)

Ein Wort zuvor

Das Thema des 6. Louise-Otto-Peters-Tages ,Frauenaufbruch. - Visionen, Anspriiche, Wider­ stande" vermochte Vortrage und Diskussionen in einem historisch groBen Zeitrahmen zu biindeln- vom widerstandlerischen Verhalten der 1499 geborenen Nonne Katharina von Bora iiber den Frauenaufbruch in der Revolution 1848/49 bis zu den Problemen der Frauen unserer Tag e. Erstaunlich, wie tragfahig sich dabei das Gedankengut von Louise Otto-Peters wiederum erwies. Im Konkreten betraf das den Vortrag von Dr. Jutta Jahn iiber die Bora, mit dem ubrigens das Katharina-von-Bora-Jahr seine erste vorfristige Veranstaltung erlebte. Louise Otto-Peters hatte in ihrem Buch "EinfluBreiche Frauen aus dem Volke" schon 1869 iiber die Nonne und spatere Frau Martin Luthers ein Portrat geschrieben, moglicherweise das erste aus der Feder einer Frau. Wir stellen es an den Anfang dieses Heftes. Das Ende bildet der Aufiuf, der anlaBlich des 150. Jahrestages der Veroffentlichung der ,Adresse eines Madchens" am 20. Mai 1848 in der ,Leipziger Arbeiter-Zeitung" im Mai 1998 emeut von Leipzig ausging und auf aktuelle Anliegen der Frauen in der Gegenwart aufmerksam machte. Zahlreiche Frauen und auch Manner unterstiitzten ihn mit ihrer Unterschrift. Hervorzuheben ist, daB auch nach der Tagung ,Frauen in der Revolution von 1848/49", die im April vorigen Jahres gemeinsam mit der Gleichstellungsbeauftragten der Leipziger UniversiUit stattgefunden hatte, noch einmal bedeutende Frauenforscherinnen nach Leipzig kamen, so Prof. Dr. Carola Lipp, Gottingen, die iiber ,Emotionale Erhebung und neue Geschlechter­ beziehung 1848/49" sprach1 und Dr. Carol Diethe, London, die neue Aspekte zum Roman ,SchloB und Fabrik" einbrachte. Mit den bisher kaum untersuchten Gedichten von Louise Otto-Peters aus den Tagen der Revolution von 1848/49 beschaftigte sich Dr. Christel Hartinger, Leipzig. An Helene Lange, die im Revolutionsjahr geboren wurde, erinnerte Dr. Else Sauer, Leipzig, Nestorin der Frauenforschung in Leipzig. Ihre Verdienste wiirdigte Prof. Dr. Hans-Jiirgen Arendt, Leipzig, anlaBlich ihres 75 . Geburtstages. Der Frauenfortschritt, der sich im vorigen Jahrhundert von Leipzig ausgehend Bahn brach, rief Befurworter und Gegner auf den Plan. Rita Jorek, Markkleeberg, behandelte dieses Thema am

1 Der Beitrag von Carola Lipp ,1848/49- Emotionale Erhebung und neue Geschlechterbeziehung?" wurde in den Band Frauen in der burgerlichen Revolution von 1848/49 aufgenommen, da er urspriinglich auf der Tagung zu diesem Thema im April vergangenen Jahres vorgetragen werden sollte - jetzt erschienen in der Schriftenreihe des Bundesministeriums fur Familie, Senioren, Frauen und Jugend. 5

Beispiel von Eisa Asenijeff und Paul Mobius.2 Erschiitterung loste der Vortrag von Esther Martin-Jonas iiber das Schicksal Leipziger Jiidinnen in der NS-Zeit aus. 3 Den Bezug zur Gegenwart brachte die Sozialwissenschaftlerin Dr. Uta Schlegel ein, die sich mit den Perspektiven der Geschlechterverhaltnisse in der BRD beschaftigte. Auf Frauentraditionen in Leipzig von heute ging Genka Lapon, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Leipzig, ein. Wie aktuell die Gedanken von Louise Otto-Peters sind, bestatigte nicht zuletzt das Podiumsgesprach, bei dem Erfahrungen der Beschaftigung mit ihr in Hockenheim, MeiBen, 4 Annaberg-Buchholz, WeiBenfels und natiirlich Leipzig dargelegt und diskutiert wurden . Im Rahmenprogramm des 6. Louise-Otto-Peters-Tages berichteten u. a. Aussiedlerinnen aus RuBland und der Ukraine von ihrem Leben in der alten und neuen Heimat. Beate Klemm steuerte Erfahrungen ihres Wirkens als Sozialarbeiterin in den USA bei.

2 Interessanterweise wird bereits in der 2. Nurnrner des 1. Jahrganges der Vereinszeitschrift , Neue Bahnen" irn Zusammenhang rnit dem Bericht iiber den 120. Geburtstag von Pestalozzi aufDr. Paul Mobius eingegangen. Er hatte irn Auftrag des Leipziger Lehrervereins iiber , die Forderungen der Gegenwart an die Bildung der Frauen" gesprochen. , Auch er betonte, dafi unter den Fragen der Gegenwart die der Frauenbildung einen der ersten Pliitze einnehme. Auch er erinnerte 'an die doppelte Stellung, die das Weib entweder als Gattin und Mutter innerhalb der Familie oder aufierhalb derselben als Nichtverheirathete dem Staate und der Gesellschaft gegentiber einnirnrnt' - aber er vergillt nachher gewissennafien die letzteren, indem er die Frauen nur auf den Beruf der Ersteren vorbereitet wissen will, wenn auch in wtirdigerer Weise, als es bisher geschehen. Aus der Oeffentlichkeit will er die Frauen niimlich so sehr verbannen, da6 er es selbst, obwohl er Ausnahmen zuUillt, als 'Gesetz' festzuhalten wtinscht, 'daB die Schriftstellerei nicht der Frau, sondem nur dem Manne gebiihre. ' Wer das nicht selbst gehOrt oder gelesen wie wir, wird wohl gar nicht fur moglich halten, dafi dergleichen wirklich noch gedacht und gesagt werden kann - inde6, es ist geschehen in Leipzig, in der Stadt des Fortschrittes und im Jahre des Heils 1866." Zitiert nach , Neue Bahnen", 1. Jg. , Nr. 2/1866. 3 Der Vortrag steht uns leider nicht zur Ver:fugung. 4 Die Wiedergabe erfolgt in leicht gektirzter Fassung. 6 Louise Otto-Peters Katharina von Bora (1499-1552)1

Katharina von Bora ward am 29. Januar 1499 geboren. Ihre Mutter war eine geborene von Haugwitz und obwohl sie einem alten Adelsgeschlecht angehorte, doch in keinen glanzenden Umstanden, wahrscheinlich auch fiilh verwittwet. Sie glaubte daher fur ihre Tochter am besten zu sorgen, wenn sie dieselbe einem Kloster iibergeben, denn Kloster waren damals die hauptsachlichsten Versorgungsanstalten fur arme Fraulein, und man hielt es immer fur besser, die Tochter Braute des Himmels freiwillig werden zu lassen, als sie der Gefahr auszusetzen, gar keinen Brautigam oder vielleicht nur einen einfachen Biirgersmann als Freier zu finden. Man glaubte der Wiirde eines alten Adelsgeschlechtes nichts zu vergeben, wenn man die Tochter dem Kloster weihte, im Gegentheil, man machte sie dadurch noch zu einer Heiligen; im Kloster konnte sie auch studiren oder mit der Nadel arbeiten, je nachdem sie es grade vorzog, aber aui3en im Leben der Welt ward es immerhin ungebiihrlich gefunden, wenn eine Frau sich den Wissenschaften widmen wollte, und fur Geld zu arbeiten, gait erniedrigend; standesmaBige Partieen fanden sich fur arme Frauleins selten und die Stande waren so streng geschieden, da/3 es einen Biirgerlichen zu heirathen fur entwiirdigend gait und auch schon fast gar nicht vorkam, da/3 die Stande sich ehelich und gesellig vermischten. Die Nonnenkloster waren also, wie gesagt, die bequemste Versorgungsanstalt und so brachte man Katharina in fiilher Jugend in das Kloster Nimptschen bei Grimma in Sachsen. Aber als die anbrach, drang ihr Licht auch in die Kloster, Luthers Schriften wurden eingeschmuggelt, von Frauen wie von Mannern verschlungen. Katharina vertiefte sich in diese Schriften und es ging ihr wie Tausenden: sie kam erst dadurch zu dem Begriff der unwiirdigen Lage, in welcher sie sich befand. Ja, waren die Kloster noch gewesen, was sie urspriinglich sein sollten: geweihte Statten, darinnen in stiller Betrachtung, in Andacht und Gebet dem Himmel zu dienen- aber in den meisten herrschte ja nur ein Formeldienst, der das Heilige nur profanirte, statt es zu preisen, herrschte statt schwesterliche Eintracht Zank und Streit, statt christlicher Liebe Tyrannei und Sclaverei, statt Tugend und Zucht Verbrechen und Unzucht- und gerade Luthers Worte deckten ja alle die eingeschlichenen Mii3brauche aufund nun mui3ten edle Seelen wie Katharina je eher je lieber wiinschen, Statten zu verlassen, die so wenig in Wahrheit das waren, was sie der Idee nach sein sollten.

1 Wiederveroffentlichung anHilllich des 500. Geburtstages Katharina von Boras. Aus: Privatgeschichten der Weltgeschichte, Band IV: Einjluf3reiche Frauen a us de m Vo/ke, geschildert von Louise Otto. Leipzig 1869, S. 66-72. 7

Als sie nun in Luthers Schriften las: es sei Niemand verbunden, wider Willen im Monchs- oder Nonnenstande zu bleiben und als sie sich femer daraus iiberzeugte, daB dies nicht der rechte Weg sei, zu einem gottwohlgefalligen Leben und als sie selbst sich imrnermehr begeisterte fur die neue Lehre, da faBte sie mit einigen anderen Nonnen den Plan zur Flucht aus dem Kloster. Sie schrieben darum heimlich an einen ihnen bekannten Ratsherren Leonhard Koppe in Torgau, sie aus dem geistlichen Zwinger befreien zu helfen. Dieser lieh denn auch am 4. April 1523 ihr und noch acht andem Nonnen den nothigen Beistand zur Flucht. Katharina von Bora ging darauf nach , wo sie im Hause des Biirgermeisters Reichenbach freundliche Zuflucht fand. Hier lemte sie Luther kennen. Er hatte die Wartburg verlassen, wohin ihn sein furstlicher Gonner vor seinen Gegnem gefliichtet, hatte sie verlassen, trotz des Abrathens Spalatins, trotz des entgegengesetzten Willens des aus Freundschaft fur ihn zu angstlich besorgten Kurfiirsten, trotz aller Achterklarung, die der Kaiser zu Niimberg gegen ihn erlieB und war nach Wittenberg geeilt, der Bilderstiirmerei zu wehren, welche Karlstadt veranlaBt hatte. Hier stellte er durch eifriges Predigen die Ordnung wieder her, und dem Kurfiirsten Friedrich, welcher wegen seiner Entweichung eine Erklamng von ihrn forderte, schrieb er in einem muthigen Briefe im Gefuhle der ganzen Wiirde seines Werkes: ,er kehre unter einem viel hoheren Schutze wie den seinen zuriick." In Wittenberg vollendete er nun die Uebersetzung des neuen Testaments, schrieb mehrere, die Reformation fordemde Schriften und lieB 1524 das erste evangelische Gesangbuch drucken. In demselben Jahre legte Luther auch die Monchskutte ab. Mitten in diesem bewegten eifrigen Wirken mochte er wohl ein edles deutsches Madchen, das seinen Lehren folgend, den Muth gehabt hatte, was sie als recht erkannt hatte, auch zu thun, und vor der Welt zu bekennen mit Freuden begriiBen; aber er dachte nicht an Liebe und wenn sie in seinem Herzen war, so hatte er doch noch nicht gelemt, auf die Stimrne desselben zu horen. Er empfahl Katharina durch Spalatin an Friedrich den Weisen, daB dieser fur sie sorgen moge, ja er warb sogar brieflich bei ihr fur den Doctor Kaspar Glatz. Aber Katharina wies diesen Antrag zuriick. Es wird von Einigen erzahlt, sie habe dabei gesagt, daB sie entweder gar nicht, oder nur Luther selbst heirathen werde - daB sie es ihm in 's Gesicht gesagt habe, ist denn doch zu bezweifeln, moglich aber, daB sie es zu Andem gesagt hat. Sehr wahrscheinlich ist aber auch, daB die Zeitgenossen die Gliickliche beneideten, die der groBe Reformator zu seiner Gemahlin wahlte, wie daB sie es sich anderseits nicht denken konnten, daB er, der Monch, auch in dieser Beziehung selbst thue, was noch keiner gethan oder thun durfte: ein Weib zum Traualtare fuhren, - so daB man sich bemiihte, iiber Katharina und seine Werbung allerhand Anecdotchen in Umlaufzu setzen. Am 13 . Juni 1525 fand Luthers Hochzeit mit Katharina von Bora in Wittenberg statt, der Monch und die Nonne besiegten das Vorurtheil, in dem man sie erzogen und besiegelten den 8 emen Satz der Reformation: daB das Gehibde der Ehelosigkeit kein Gott besonders wohlgefalliges sei, durch ihre Vereinigung am Altare. Der Stadtrath zu Wittenberg schenkte Luther dazu einen Ehrenwein und die dasige Universitat verehrte ihm einen silbernen Becher zum Hochzeitsgeschenk. Das gliickliche Familienleben, das Luther mit ihr fiihrte, ist bekannt. Obgleich er stets in arrnlichen Vermogensumstanden lebte, pries er sich doch oft selbst , durch seine Katharina reicher als ein Krosus". Sie gebar ihm drei Sohne: Johann, Martin und Paul und drei Tochter und gab ihr noch in seinem Testamente vom Jahre 1542 das ZeugniB, daB sie als ein fromrnes treues und ehrliches Gemahl ihn allezeit lieb und werth gehalten." Bekanntlich starb Luther auf einer Reise, die er im Interesse seiner Freunde, der Grafen von Mannsfeld gemacht, in Eisleben am 18. Februar 1546. Den heimischen Heerd in Wittenberg und seine Gemahlin hatte er am 24. Januar desselben Jahres verlassen, doch waren seine drei Sohne bei ihm. Man kann sich Katharina's Jammer denken, als man am 22. Februar nur seine Leiche wieder nach Wittenberg brachte. Vor den Thoren Wittenbergs waren alle Professoren und Studenten der Universitat versamrnelt, der Rath und die ganze Biirgerschaft. Mit groBer Feierlichkeit wurden die theuren Ueberreste in die SchloBkirche gebracht und dort hielt Dr. Bugenhagen eine riihrende Predigt. Ihm folgte Dr. Philipp Melanchthon in lateinischer Rede an die Universitat sich wendend. Der Eindruck, welchen der Tod des groBen Reformators hervorbrachte, war iiberall gleich - tief, iiberwaltigend, unerrneBlich! Das Volk fuhlte und wuBte, daB sein edelster Wohlthater, sein Schirm und Hort, sein Vater und Erzieher geschieden sei. Deshalb flossen die Zahren so bitter und heiB in Eisleben, deshalb stromten bei der Ueberfahrt der Leiche nach Wittenberg aus allen Ortschaften zu beiden Seiten des Wegs die Einwohner herbei, urn ihren Schmerz zu klagen und die theuren Ueberreste zu segnen. In jedem Dorfe, in jeder Stadt wurden die Glocken gelautet und Manner und Frauen, Greise, Jiinglinge und Kinder gingen schluchzend dem Leichenwagen entgegen. Nicht blos Familien und Gemeinden waren in Trauer versunken­ es war eine wahrhaftige allgemeine Landestrauer - als Bugenhagen in seiner Predigt weinend ausrief iiber der Leiche Luthers: , Wer ist jetzt unser Hort, unser Vater! Wir sind verlassen, verwais't!" - da brach die ganze Versarnrnlung in einer Schrei der Verzweiflung aus. Das Volk stiirzte nieder auf die Kniee vom Schmerz zerrissen - es fiihlte was es verloren. Wie tief muBte es nicht erst seine Wittwe fuhlen! Sie hatte mit ihm hochbegliickt, aber in einfachster Hauslichkeit gelebt. Er widmete ja all' sein Thunder groBen Idee, der er diente, er konnte weder etwas zuriicklegen, noch anders als mit der groBten Sparsarnkeit leben, urn sich und die Seinen zu erhalten - ein Haring und ein Trunk Bier war oft sein ganzes Mittagsmahl gewesen- und nun lieB er seine Wittwe in Diirftigkeit zuriick. Und sie hatte das Schicksal der 9 rneisten Wittwen! Irn Moment ihres grof3en Verlustes, der ein Verlust fur das ganze deutsche Yolk war, karnen ihr Viele rnit Theilnahrne und Mitgefuhl, rnit Trostworten und Versprechungen entgegen - aber dann fragte bald Niernand rnehr nach ihr und die treue Gattin des grof3ten deutschen Mannes seiner Zeit rnuf3te sich irn Alter ki.i.rnrnerlich behelfen. Als Kaiser Karl V. am 23 . Mai 154 7 Wittenberg einnahrn, zog Luthers Wittwe erst nach Magdeburg, dann nach Braunschweig, doch kehrte sie schon irn folgenden Jahre 1548 nach Wittenberg zuri.ick und blieb dort bis 1552 die Pest daselbst ausbrach und sie veranlaf3te, rnit ihren Kindern nach Torgau zu gehen. Sie hatte bis dahin ihre Existenz in der traurigsten Lage nur davon gefristet, daf3 sie Kostganger an ihren Tisch nahrn, meist Studenten. Da die Universitat urn der Pest willen nach Torgau verlegt ward, ging sie darurn auch dahin, karn aber schon krank an und starb nicht lange darauf am 20. December 1552. 10

Jutta Jahn (Halle)

Katharina von Bora. N onne - Protestantin - Jdea!Hausfrau. Eine Biographie als Spiegel alter und neuer Lebensentwtirfe und als Indiz weiblicher Lebensform in Wendezeiten

Der 6. Louise-Otto-Peters-Tag mit seinem Hauptthema: ,Frauenaufbruch - Visionen, Ansprii­ che, Widerstande" bietet mir die Moglichkeit, Sie auf einen historisch schon entfernten Frauenaufbruch aufmerksam zu machen - auf die Frauen der Reformation und auf eine ihrer bekanntesten Vertreterinnen. Katharina von Bora ist durch ihren Ehemann seitens der klassischen Historiographie der Gunst teilhaftig geworden, wenigstens mit ihren biographischen Eckdaten aufgehoben worden zu sein. Ein Vorzug, den nur ganz wenige der Frauen dieser Zeit erfuhren. Das gibt uns die Moglichkeit, die Bora anHilllich ihres 500. Geburtstags am 29.01.1999 stellvertretend fur alle diese Frauen als eine Personlichkeit der Reformation zu ehren. Und ein zweites verbindet dieses Thema - Frauen der Reformation und Katharina von Bora - noch mit der Veranstalterin und ihrer N amensgeberin. Louise Otto-Peters hat 1869 in der Reihe Privatgeschichte der Weltgeschichte, Bd IV, EinflujJreiche Frauen aus dem Volke, S.66-72, auch eine biographische Skizze der Bora verfa/3t. Ihre kleine Arbeit ist relativ nuchtern im Stil im Vergleich zu den oft recht verklarten Schilderungen der Bora/Luther-Beziehung in den Schriften ihrer Zeitgenossen, und sie halt sich an die Fakten. Mir fiel auf, daf3 diese engagierte Kampferin fur Frauenrechte bei der Aufzahlung der Kinder des Paares die mannlichen Kinder mit Namen benennt, die weiblichen jedoch nur summarisch angibt. Auch dass die weiblichen Biographien insgesamt unter Privatgeschichte gefaf3t werden, zeigt ihre Eingebundenheit in den Kontext der damaligen Geschichtsbewertung; fur uns heute ein nachdriicklicher Hinweis, aufmerksam gegeni.iber gewohnter Tradierung zu sein. Ich mochte nun entlang der Biographie der Katharina von Bora, der Ehefrau Luthers, gleichsam am Lebensweg der Exponentin der Frauen dieser Zeit, zeigen, wie Anspri.iche und Visionen fur das eigene Leben ihre Durchsetzung suchen, zum Teil auch finden, aber auch auf WidersHinde gegen den prototypischen Lebensentwurf der Bora, auch von Frauen massiv formuliert, hinweisen. Das heif3t, die Aktionen und Reaktionen von Frauen beztiglich der Entscheidungen, vor die die Reformation sie stellt, sind so verschieden, wie die sozialen Zusammenhange und die individuellen Situationen, aus denen sie erwachsen. Sie entfalten sich im Rahmen der Moglichkeiten, die diese gesellschaftliche Wendezeit den Frauen gibt. 11

Bereits in den Epochen des Mittelalters machen sich Veranderungswillen und neuer Lebensanspruch von Frauen im Zusammenhang rnit Reformbestrebungen in und neben der Kirche deutlich, gemaf3 dem Motto: Ecclesia semper reformanda. Und so findet man aktive Frauen, die die Nonnengemeinschaften in die kirchlichen Strukturen driicken - ich verweise in diesem Zusammenhang nur auf die Zisterzienserinnen, die lange gegen die Minimalfestlegung ihres Ordens kampften. Man findet aktive Frauen bei den auBerkirchlichen Ketzer-bewegungen der Katharer und Waldenser. Auch hier sind sie zahlreich vertreten. Ebenso schaffi die Beginenbewegung neue Lebensmoglichkeiten fur Frauen. Jetzt hat die Reformation viele Frauen bewegt, sie veranlaBt, sich einzurnischen in die Auseinandersetzungen urn rechte Lehre und rechtes Leben. Die Reformation, die als innerkirchlicher Reformversuch begann und rnit der Herausbildung dreier Konfessionskirchen endet, stellt fur die Frauen einen bedeutenden Einschnitt dar, denn durch sie kristallisiert und reduziert sich fur Frauen das Hauptproblem auf die Primarfrage: Welches ist der gottgefalligste Stand fur Frauen? Der Stand der Heiligen Jungfrau, der Nonne und Braut Christi, wie es die alte Kirche bestimmte und der hohes gesellschaftliches Ansehen genoB, oder der Stand der Hausfrau und Mutter - die Frau als Gehilfin des Mannes - wie es die Reformatoren, alien voran Luther, formulierten? Die Quasi-Heiligung des Ehestandes ist u. a. eme theologische Konsequenz aus Luthers Verstandnis der Schopfungsgeschichte: Gott gab Eva dem Adam zur Frau und Gehilfin - darnit ist es die erste gottlich initiierte und biblisch festgeschriebene EheschlieBung und einziges Lebensmuster fur Mann und Frau. Und die Bestimmung der Frau zur Gehilfin legt fest, daB er der Macht- und Entscheidungstrager und sie auf ihn bezogen ist. So wird im Hausfrauenmodell die Frau gehoht und untergeordnet zugleich. Gehoht, weil der Berufsstand der Hausfrau ihre hochste und gottliche Bestimmung ist, und konsequent untergeordnet wird sie als Gehilfin ihrem Eheherrn. Ablehnen muB Luther monastisches Leben, das Klosterleben, da es die Durchfuhrung des gottlichen Auftrages vom Zusammenleben von Mann und Frau verhindert und darnit wider gottlichen Gebots ist, aber auch als eine Form von Werkgerechtigkeit, glaubte man doch, sich rnit diesem besonders heilig verstandenen Leben sein Himmelreich zu verdienen. Das heiBt, Nonne oder Hausfrau zu sein, ist eine Frage des rechten Glaubens und der rechten Lehre, verbunden rnit dem rechten Leben, rnit alien Konsequenzen auch fur Auferstehung und ewiges Leben. Ein Frage von hochster Brisanz. Die Biographie der Bora macht diese zeitgemaBen Konfliktfelder deutlich und laBt darnit im Individuellen AllgemeingU:ltiges aufscheinen

Am 29. Januar 1499, ein Jahr vor der Jahrhundertwende, wird Katharina von Bora geboren. Als ihr Geburtsort gilt Gut Lippendorf, Besitz des Hans von Bora, der in der einschlagigen 12

Literatur auch als ihr Vater benannt wird. 1 Wie viele Madchen ihres Standes ist sie fur ein klosterliches Leben bestimmt. Vor 1505 bereits im Augustinerinnenkloster St. Klemens m Brehna als Pensionistin, ist s1e seit 1508 im Zisterzienserinnenkloster Marienthron m Nimbschen bei Grimma, wo ste 1515 als Nonne dem Konvent beitritt. Sie erhalt die konventionelle Ausbildung - Lesen, Schreiben, Singen, Handarbeit, sicher auch Kenntnis in Wirtschaftsfuhrung und Krankenbetreuung und Latein. Diesen klaren Lebensplan durchbricht sie mit ihrer Flucht aus Nimbschen in der Nacht vom 6. zum 7. April 1523, der Osternacht. Zwolf Nonnen fliehen in dieser Nacht, drei Frauen geraden Wegs nach Haus, neun der Fluchtgefahrtinnen kommen uber Torgau am Dienstag nach Ostern nach Wittenberg, unter ihnen Katharina von Bora. Die Bora ist also seit ihrem 5. Lebensjahr im Kloster. Zwar beginnt ihr Aufenthalt sehr frtih, die Mutter war verstorben, der Vater heiratete wieder - aber doch insofern normal, da es tiblich war, die kleinen Madchen des Adels aber auch des Patriziats zur Erziehung und Ausbildung in ein Kloster zu geben. Dies schloB nicht unbedingt den endgtiltigen Eintritt ein. Bei der Bora scheint aber mit dem Wechsel von Brehna nach Nimbschen der ProfeB, die Aufuahme zur Konventnonne, geplant worden zu sein. Hier ist sie auch unter Verwandtschaft, die Abtissin ist eine Tante mtitterlicherseits; eine Mitnonne, Muhme Lehne, stammt aus der Familie des Vaters. Der Klostereintritt der Sechzehnjahrigen ist noch ganz im Sinne eines traditionellen Lebensweges fur hohere Tochter. Doch die Schriften Luthers, dessen Thesenanschlag zwei Jahre nach der Schleiernahme der Bora die Reformation einleiten, erreichen auch die Nimbschener Nonnen. Es ist unbekannt, wie die Bora und die jungen Frauen, mit denen sie das Kloster verlaBt, Kenntnis reformatorischer Schriften bekamen. Sicher ist man, daB im Vorfeld der Flucht der Fluchtplan mit Luther besprochen wurde, mehr noch, er hatte den fluchtwilligen Nonnen alle Untersttitzung zugesichert. Leonhard Koppe, der Fluchthelfer, war kein Abenteurer, sondern wtirdiger Ratsherr und Fernhandler aus Torgau und zum Zeitpunkt der Flucht bereits tiber 60 Jahre alt. Seine Mutter war eine geborene von Amsdorf, und er war also mtitterlicherseits mit Luthers engem Freund, Nikolaus von Amsdorf, verwandt. Dies laBt eine Zusammenarbeit bei der Organisation der Flucht vermuten. Moglicherweise, so meine Unterstellung, hat Luther die Flucht sogar angeregt, denn nachdem aus den Monchsklostern die Monche vielfach entwichen, braucht er auch Nonnen, die seine These von dem unhaltbaren Klosterstand ebenso fur das weibliche Geschlecht bestatigen. Daher vielleicht sein starkes Engagement in dieser Angelegenheit. Die Flucht war dennoch lebensgefahrlich, ging sie doch tiber das Gebiet des

1 Dazu gibt es aktuelle Forschungen von Wolfgang Liebehenschel, der eine neue Geneaologie der Bora erarbeitet hat. 13 reformationsfeindlichen Herzogs Georg von Sachsen. 2 Die das Kloster verlassenden Nonnen fuhren somit eine Abstimmung mit FOJ3en durch.3 Der M ut und das Widerstandspotential im Hinblick auf ,Fliehen oder Bleiben" fur Nonnen zeigt sich in beiden Richtungen. Nonnen, die wie die Bora in reformationsfeindlichen Gebieten das Kloster verlassen, riskieren ihr Leben, geben ihren materiellen und ideellen Besitzstand auf, gehen mittellos in eine ungesicherte Zukunft, deren einzig mogliche und richtige Form die Ehe ist - sie brauchen einen Ehemann. Vor diesem Problem stehen entlaufene Monche nicht, die sehr schnell Aufhahme in die Strukturen der sich herausbildenden evangelischen Kirchen finden. Doch auch die Nonnen, die von der Richtigkeit ihres Standes Oberzeugt sind, Oberschreiten die ihnen von der Gesellschaft gewiesenen Grenzen, indem sie durch Verweigerung und unter Einsatz ihres theologischen Wissens in mtindlicher und schriftlicher Form offentlich mannliche Autoritaten, wie stadtische und furstliche Obrigkeiten, in deren Sakularisierungsbestrebungen zurtickweisen. Als Beispiel sei hier Caritas Pirckheimer und ihr Einsatz fur das Ntirnberger Clarissenkloster genannt. Unter den Klosterfrauen fmden si eh viele, die durchaus nicht bereit sind, si eh aus der V ormundschaft einer weiblichen Abtissin und aus dem Leben in einer Klostergemeinschaft befreien zu lassen, urn sich der Autoritat eines Ehemannes unterzuordnen. Zurilck zur Bora und urn es nochmals herauszustellen: Die Flucht der Bora ist em selbstbestimmter, mutiger Schritt, fuhrt er sie doch in eine ihr unvertraute, vollig neue Lebenssituation. Sie ist rechtlich ungesichert, bisher hatte das Kloster die Vormundschaft Ober sie, auch der Vater war gestorben, die Familiengilter liegen im reformationsfeindlichen Gebiet. Mit Kutte und Sandalen war sie gegangen, was sie bekommen soll, ist nicht zu erkennen. Ihre Entscheidung mul3 getragen gewesen sein von der tiefen Uberzeugung, das Richtige zu tun, vom Vertrauen auf die Richtigkeit der neuen evangelischen Lehre. Die Bora hat sich gegen das Kloster entschieden. Nun mul3 sie heiraten, sie hat keine andere Alternative. 1523 war die Flucht. Zwei Jahre spater ist Katharina von Bora immer noch in Wittenberg, wahrscheinlich im Hause der Familie Lucas Cranach d. A. -die ehemalige Nonne somit noch immer unversorgt. Heiraten wilrde sie schon, aber doch nicht jeden. Luther, der sich seit Ankunft der geflohenen und von den Wittenbergern freundlich begrtil3ten Nonnen urn deren weiteren Weg sorgt - schliel3lich waren es seine Schriften gewesen, die die Frauen zu diesem radikalen Bruch veranlal3ten -, hat ihr bereits einen Heiratskandidaten vorgeschlagen: Dr. Glatz, ehemals Rektor an der Universitat und jetzt Pfarrer in Orlamtinde, also keine so schlechte Partie. Den lehnt sie ab. Sie lal3t ihn durch Nikolaus von Amsdorf wissen, sie wilrde Amsdorf oder ihn, 4 Martin Luther, heiraten. Das ist 1524 . Auch dies, die Benennung der potentiellen

2 Nach dem Reichsrecht stand auf die Entfiihrung von Nonnen die Todesstrafe. Wegen dieses Deliktes liefi der Herzog 1524 einen Heinrich Kellner aus Mittweida, Sohn einer angesehenen Familie, enthaupten. 3 lch verwende bewuBt diesen vielgebrauchten Ausdruck aus unserer Wendezeit. 4 Wie ungewohnlich und auch unakzeptabel dieser Schritt der Bora auch in spateren Reflektionen dieser Situation wahrgenommen wird, zeigen folgende Interpretationen: 14

Ehekandidaten, ist ein Indiz fur die Selbstbestimmtheit, fur das Widerstandspotential der Bora. Und mutig, bedenkt man ihre Situation, heute wtirde man emanzipiert sagen. Und sie hat ihre eigenen Vorstellungen. In der fur Frauen ungewohnlichen gesellschaftlichen Situation - in gesellschaftlichen Umbriichen als ehemalige Nonne und ohne Eltern - kann sie selbst entscheiden. Sie entscheidet sich fur Luther, sicher auch aus ihrem StandesbewuBtsein heraus, denn er ist der bedeutendste Junggeselle ihrer Umgebung. 1525, am 13 . Juni, heiraten Katharina von Bora und Luther, auch fur Luthers Freunde sehr uberraschend. Ihr gemeinsamer Wohnsitz ist das ehemalige Augustinerkloster, das sogenannte Schwarze Kloster in Wittenberg. Ab nun ist die Bora, die Lutherin, vielfach gefordert. Sie ist Mutter - als die Mutter ihrer eigenen Kinder und der verwandtschaftlichen Ziehkinder, - als mutterliche Pflegerin und Krankenbetreuerin ihrer Farnilie, ihrer Gaste, - den Pestkranken gegenuber, die in ihrem Hause von ihr versorgt werden. Sie ist Hausfrau - als Managerin emes Wirtschaftsbetriebes, der fast alles, was von der Familie und den zahlreichen Gasten verzehrt und benotigt wird, in eigener Herstellung liefert, - als Managerin einer Tagungs- und Lehrstatte rnit angeschlossenem Internat und Pension rnit Mittagstisch, - als Professorengattin und Gastgeberin nationaler und internationaler Gaste von Rang und Stand. Und sie muB es aushalten, sich und ihre Ehe rnit Martin Luther - die einer entlaufenen Nonne und eines ehemaligen Monches - als haufiges Ziel massiver offentlicher Spott- und Schrnah­ schriften zu finden, sich wegen dieser Heirat in der Offentlichkeit personlich beleidigen zu

1872 beschreibt Friedrich Coldeway im Christlichen Volksblatt (VI, Nr. 36/37, 1. 9.) die Situation folgender­ mafien: , 00 . Aber den (Kaspar Glatz) will Katharina durchaus nicht nehmen. Klagend kommt sie zu Amsdorf, Luthers Freunde und bittet ihn, diesen auf andere Gedanken zu bringen. Wiirde Amsdorf freilich oder Luther sie zur Gattin begehren, so wolle sie sich nicht weigem. Man hat diesen Ausspruch der Katharina in Zweifel gezogen, aber, meine Herrsch., wenn sie diesselbe auch gethan hat (wie ich denn der Meinung bin, dafi sie sie gethan hat), so diirfen sie diese naive, nach unserem Begriffe unweibliche Offenheit ihr nicht so sehr iibel nehn1en. Andere Zeiten andere Sitten! Es war dazurnal des Freiherrn von Knigge nutzbringendes Buch iiber den Umgang mit Menschen noch nicht erschienen." In einer Festschrift zum 400. Ehejubilaurns Luthers von 1925 (S . 8) meint der Pfarrer Wi1he1m Weichelt:

, 00 . Ein anderer, der si eh urn sie bewarb, war Dr. Caspar Glatz. Der hiitte Katharina gern zum Eheweibe, aber den wollte Katharina nicht. Sie soli deshalb einmal zu Luthers vertrautem Freund Amsdorf gegangen sein und ihm erkliirt haben, den Dr. Glatz niihme sie auf keinen Fall; ja wenn er oder Luther selbst urn ihre Hand anhielten, dann wiirde sie sich nicht weigern. Es ist aber sehr unwalrrscheinlich, dafi Katharina diesen Schritt getan."

Roland Bainton in Frauen der Reformationszeit (1995, S. 19), findet folgende Erkliirung: , 00 0 Luther (bot) Kiithe an, den Dr. Glatz zu heiraten. Kathe wollte ihren Wohltiiter nicht vor den Kopf stollen, deshalb wandte sie sich an Dr. Amsdorf mit der Bitte urn Verrnittlung. Sie bat ihn, Luther wissen zu lassen, sie werde auf keinen Fall Dr. Glatz heiraten. Sie sei aber gern bereit, ihn, Dr. Amsdorf, oder Luther selbst als Ehemann in Betracht zu ziehen. Vermutlich kam sie auf diese beiden, weil sie mit ihnen stiindig Umgang hatte und davon ausging, beide kamen aufgrund ihres Alters fur eine Ehe ohnehin nicht in Frage. Luther war immerhin 16 Jalrre alter als sie." 15 lassen. Auszuhalten hat sie auch die Vorstellung einer alten Volkssage, dai3 einer Verbindung von Monch und Nonne der Antichrist entspringe.5 Katharina von Bora erweist sich, wie wir wissen, als tatkraftige energische Person, die den Ehestand als Bestimmung lebt und fur Luther unentbehrliche, unermi.idliche Hausfrau und Gefahrtin ist. 6 Von den sechs Kindern des Paares (*1526 Johannes, *1527 Elisabeth, *1529 Magdalena, *1531 Martin, *1533 Paul, *1534 Margarethe) sterben Elisabeth bereits 1528 und Magdalena 1542. In den Jahren zwischen 1535 und 1544 ist Katharina von Bora beschaftigt mit Umbauarbeiten im Schwarzen Kloster, in Anspruch genommen von Grundsti.ickserwerb und der Bewirtschaftung, u. a. der Gi.iter in und urn Wittenberg und Zolsdorf, urn der Familie und dem Unternehmen im Schwarzen Kloster eine solide wirtschaftliche Grundlage zu geben. Am 18. Februar 1546 stirbt Luther. Wie besonders und wie wichtig ihm Katharina von Bora war, zeigt u. a. auch Luthers Testament, wo er sie, entgegen den damaligen Gesetzlichkeiten, als Vormund der Kinder einsetzt. Eine Eigenmachtigkeit Luthers, die die Gesellschaft seiner Zeit nicht akzeptiert, die Witwe und die Kinder bekommen Vormunde. Im Schmalkaldischen Krieg mui3 Katharina von Bora mit ihren Kindern vor den kaiserlichen Truppen fliehen, so 1546 nach Dessau und Magdeburg und 154 7 erneut nach Magdeburg sowie nach Braunschweig. In den Kriegshandlungen werden die Besitztiimer von Luthers Witwe mehrfach beschadigt, sie fuhrt Prozesse urn die Familiengiiter, kann sich aber in den Jahren 1548-1551 wieder etwas wirtschaftlich stabilisieren. 1552 ist sie mit ihren Kindern erneut auf der Flucht, diesmal vor der Pest in Wittenberg. Bin Unfall kurz vor den Toren Torgaus, ihrem Fluchtziel, schwacht ihre bereits angegriffene Gesundheit so sehr, dai3 sie nicht mehr vom Krankenlager aufsteht. Katharina von Bora stirbt am 20. Dezember 1552 in Torgau . . Am 21 . Dezember wird sie in der Kirche St. Marien in Torgau beigesetzt. An der Ehe der Bora mit Martin Luther mochte ich noch auf einiges verweisen, was gegen die Vereinnahmung der Lutherin als Prototyp der ideal en Ehe-, Hausfrau und Pfarrfrau spricht, fur den sie die spateren Jahrhunderte, in extremis das 19., reklamierten. In den Tischreden sagt Luther i.iber seine Heirat: ,Wenn ich vor vierzehn Jahren hatte heiraten wollen, dann hatte ich mir Ave von Schonfeld, die jetzige Frau des Basilius Axt, ausgesucht. Die meine habe ich

5 Dafi die Reformation ganz anders hatte verlaufen konnen, wenn die Bora ein behindertes Kind bekommen hatte, kann man sich ansatzweise vorstellen. Sie muB seelisch sehr stark, glaubensstark gewesen sein. 6 Wie wichtig sie auch war, urn den stets kriinkelnden Luther zu stabilisieren, wuBten schon die Zeitgenossen: Wolfgang Capito 1536 an Luther: , 1st sie (Katharina) doch dazu geschaffen, deine Gesundheit aufrecht- . zuerhalten, so dafi du umso langer der Kirche, die unter dir geboren ist, d. h., allen die auf Christus hoffen, zu dienen vermagst." Und im 20. Jahrhundert schreibt ein Theologe: , ... Der Doctorissa, wie sie seine Tischgenossen nannten, ist es nachst der Gnade Gottes zu danken, dafi er (Luther) trotz vieler Krankheitsfalle der Christenheit so lange erhalten blieb." Ein Lob aus Mannermiindern. Zitiert nach dem Festvortrag von Elisabeth Moltmann-Wendel, anHilllich der Eroffnung des Kathmina von Bora-JubiHiums mn Reformationstag 1998. Dieser Aufsatz erscheint demnachst in der Reihe Tagungstexte der Ev. Akademie SA. 16

(damals) gar nicht geliebt; ich hatte sie immer in Verdacht, sie sei hochmutig." Ein Indiz, daB auch Luther die Selbstbestimmtheit der Bora durchaus als ambivalent erschien. Beide Ehepartner, Luther wie auch Katharina von Bora, schlieBen die Ehe auf der Grundlage ihres Glaubensverstandnisses. Sie ist, so hatte es Luther formuliert, ein gottliches Gebot und einzig , rechte" Lebensform fur Mann und Frau. Der Beruf der Hausfrau, der einzige den Luther in seinen theoretischen Schriften den Frauen bestimmt, ist Katharina von Bora, so scheint es, Berufung. Den , Morgenstem zu Wittenberg" nennt Luther seine Hausfrau. Friihes Aufstehen ist der ehemaligen Nonne selbstverstandlich, fast zwanzig Jahre Lebensrhythmus, eingebunden in den Takt der Gebetsstunden von der Mette his zur Komplet, haben sie gepragt. Der sich standig vergroBemde Haushalt, das ,Untemehmen Schwarzes Kloster", fordem ihren vollen Einsatz. Sie tut es sicher gem, denn sie bemiiht sich stets, auch den Grundbesitz der Luthers zu mehren. Das Haushalten selbst erfordert wie jeder Berufsstand zu dieser Zeit hohes Fach- und Erfahrungswissen. Bei der Ausbildung der Madchen im Haushaltsberuf sind ,Erfahrung und gesunder Menschenverstand Formen berufsqualifizierenden Wissens und Konnens analog zu den mannlichen Berufsstanden."7 Man ist sich dariiber einig, daB die gesamte Okonomie dieses Untemehmens in der Leitung der Bora lag. Von den Zeitgenossen wird schon damals die relative Selbstandigkeit in der Wirtschaft seitens Katharina beklagt. Man wirft ihr vor, Luther zu zwingen, in diesem groBen, lauten Haus arbeiten und leben zu miissen. Dabei wird iibersehen, daB die Bora prognostisch im Familiensinne Besitz anschaffi, denn beide hatten die Ehe mittellos begonnen, aber jetzt eine Nachkommenschaft zu versorgen, und das muBte standesgemaB sein. Als Luther starb, war er einer der reichsten Manner in Wittenberg - ein Ergebnis der Leistungen und untemehmerischen Erfolge der Bora. Dies hatte Luther auch so akzeptiert. Es entsprach seiner Vorstellung, daB die Frau im Hause und der Mann auBerhalb fur die Familie tatig ist. Diese Ehe aus dem Glauben, so konnte man fur beide formulieren, ist wohl auch der Grund, dass die Bora sich nie theoretisch zu Glaubensfragen geauBert hat, jedenfalls nicht schriftlich. Was sie bei den Tischreden, an denen sie nachweislich teilgenommen hat, geauBert hat, wurde nicht aufgeschrieben. 8 Fur Luthers Zeitgenossen schien die Sache nicht so eindeutig. Er muBte sich wohl mehrfach gegen den Vorwurf, seine Frau wiirde in seine Theologie hineinreden, wehren. Dberliefert ist von 1544 die Notiz, daB er ihr im Hause alle Macht lieBe, in seiner Theologie aber hatte sie keine Macht. Weitere Indizien fur die starke Personlichkeit der Bora geben Luthers Testament und Tod.

7 Wunder, Heide: , Er ist die Sonn, sie ist der Mond. " Frauen in der Fruhen Neuzeit, Mtinchen 1992, S. 131. 8 Allerdings gibt es Hinweise, dafi ihre Worte einem der Scholaren in den Mund gelegt worden seien. Dazu liegen noch keine Untersuchungsergebnisse vor. Man kann gespannt sein. 17

1542 hat Luther sein Testament aufgesetzt, 1546 stirbt er in Eisleben, seinem Geburts- und nun auch Sterbeort. Die Lutherin ist mit 47 Jahren Witwe und steht in Verantwortung fur ihre Tochter Margarethe, zwolf Jahre alt, und ihre drei Sohne, Hans zwanzig, Martin funfzehn, Paul dreizehn Jahre alt. ,Hart erschrocken und in groBer Betriibnis (ist sie) gewesen" bei der Todesnachricht. In der deutschen Trauerpredigt von Bugenhagen und der lateinischen Melanchthons bei der Beerdigung Luthers wird die Witwe des Reformators mit keinem Wort erwahnt, obwohl wir heute noch aus seinen Briefen und aus seinem Testament erkennen, wie wichtig sie ihm war. Ignoriert wird auch sein Wunsch, festgelegt im Testament, Katharina von Bora zum Vormund ihrer beider Kinder zu machen. 9 Luther uberschatzt hier seine Moglichkeiten. Die geltenden Gesetzlichkeiten lieBen dies nicht zu. Seine Formulierung, daB ,die Mutter fur ihre Kinder der beste Vormund sein werde", implizierte dies auch fur alle anderen Mutter. Hier lieB man ihn nicht reformieren. ,Nach langen zahen Verhandlungen gab Katharina klein bei und erhielt ihren Bruder Hans, Luthers Bruder Jakob und den Wittenberger Burger Reuter zum Vormund. Auch den Leibarzt MatHius Ratzeberger akzeptierte sie, da er zu ihrer V erwandtschaft gehorte. Melanchthon und Caspar Cruciger dagegen waren Mitvormunder der Kinder." 10 Als Witwe ist die Bora angestrengt bemuht, das Erworbene zu erhalten und zu mehren. So setzt sie sich auch gegen und unter Umgehung mannlicher Autoritaten, wie beispielsweise den Kanzler Briick, durch; und erreicht auf direktem Weg beim Kur:fursten, daB sie ein Grundstuck, in dem Fall Gut Wachsdorf, dazupachten kann. Sie versucht, den Betrieb der Burse, des Studentenwohnheims aufrechtzuerhalten, und denkt gar nicht daran, sich auf einen bescheidenen Witwensitz zuriickzuziehen, wie ihr u. a. auch Briick es aufdrangen will. Im Schmalkaldischen Krieg wird sie stark gebeutelt, dennoch gelingt ihr ein neuer kleiner Aufschwung. Gebrochen wird sie in ihren Ringen urn ein selbstbestimmtes, selbstandiges Leben im wahrsten Sinne des Wortes durch einen Bruch der linken Huftschaufel, den sie sich 1552 auf ihrer Flucht nach Torgau zuzieht. Diese Art Bruch war damals unheilbar. Selbst heilpraktisch versiert, wird sie wohl gewuBt haben, daB sie sich in ~orgau, KatharinenstraBe 11, in ihr Sterbebett legt. Ungebrochen allerdings im Glauben und, in heutige Sprache ubersetzt, uberzeugt von der Richtigkeit ihres eigenverantworteten Lebensweges, sind aus ihren letzten Lebenstagen die Worte uberliefert: ,Ich will an meinem Herrn Jesus kleben, wie die Klette am Kleid."

Zusammenfassend mochte ich folgendes herausstellen: Katharina von Bora hat wie viele Frauen der Reformationszeit eine eigene selbstbestimmte

9 Immerhin hiitte Hans, der Alteste, mit 20 Jahren juristisch korrekt bereits der Vormund der Mutter sein konnen. 10 Treu, Martin: Katharina von Bora, Lutherstadt Wittenberg 1996, S. 72. 18

Entscheidung in der fur Frauen ebenso existentiellen und lebenswichtigen Frage getroffen, welches die richtige, heilsame Lehre und damit die richtige Lebensform ist. Fur Frauen gab es nur die Entscheidung zwischen Hausfrau und Nonne als gottgefalligste Art, daB sei hier nochmals betont. 11 Aufgrund ihrer Lebensform als Nonne entschied sie mutig und glaubensstark, das Kloster zu verlassen und in eine von ihr zu beschreibende Zukun:ft zu gehen.12 Ihre Heirat rnit dem Reformator stellte ste mitten ms Zentrum der reformatorischen Auseinandersetzungen. Auszuhalten und zu verkraften hatte sie die negative Boulevardpresse; keine Frau ist soviel geschmaht und beschimpft worden wie sie. Ein Wagnis war diese Heirat auch hinsichtlich des Ausganges der Reformation. Die Aussicht auf eine Biographie als ewige Exulantin und Verfolgte und vielleicht auch hinzurichtende Ehefrau des Hauptketzers hatte sie allemal. Ihre Ehe rnit Luther war wohl im beiderseitigen Einverstandnis eine Art Modell fur den rechten evangelischen Hausstand, fur die Gewaltenteilung des Hauses - die Frau im Haus, der Mann in der Welt; der Mann die Versorgungsmacht, die Frau die Leistungsmacht. Dennoch legen die Quellen, gegen den Strich gelesen, nahe, daB sie ihm auch eine geistige Partnerin war und Luther ihre Meinung schatzte. (Was schon damals die Zeitgenossen nicht schatzten, siehe u. a. Tischreden, Leichenpredigten.) Sie war bemuht, den idealen Ehestand zu leben, sie war aber bedeutend mehr als die Idealhausfrau. Gegen alle Widerstande setzte sie sich als Managerin und Untemehmerin des Untemehmens Schwarzes Kloster durch, auch nach dem T ode Luthers und ohne seinen mannlichen Schutz. In dieser gesellschaftlichen W endezeit hatte sie noch und schon Moglichkeiten fur eigene Entscheidungen, die in der Korrektur durch die protestantischen Theologen, ihren Mann eingeschlossen, und spater in der FOlie der Hausvaterliteratur, im schnell festgeklopften Hausfrauenideal nicht mehr moglich waren. Die autoritaren Grenzen waren ganz schnell wieder luckenlos. Insofem bleibt sie auch ein Modell dafur, wie irnmer m Wendezeiten, Wte immer bei Frauenaufbruchen, neue, auch utopische gesellschaftliche Lebensformen von Frauen antizipiert und gelebt, aber nicht gesellschaftlich eingefordert werden. Sie miissen von uns Nachgeborenen muhsam aus dem einaugigen Geschichtsbild herausgegraben werden, und so verweist uns der Blick in die Geschichte wieder aufunsere eigene gesellschaftliche Realitat.

11 Die Frauen, die im katholischen Glauben Hausfrauen waren oder wurden, standen im Wertebewufitsein ihrer Konfession unter den Heiligen Jungfrauen, den Nonnen. 12 Es gibt keine Hinweise darauf, daB Katharina von Bora sich je negativ iiber ihre Klosterzeit geaufiert hat. Das unterstiitzt die Vermutung, daB es sich tatsl:lchlich urn eine Entscheidung aus Glaubensgrundsatzen heraus handelte. 19

Carol Diethe (London)

England und Louise Otto-Peters' ,SchloB und Fabrik": Ahnlichkeiten und Kontraste

Das wahrhaft Bemerkenswerte an Louise Otto-Peters' Roman SchlojJ und Fabrik ist das Jahr seiner Veroffentlichung: 1846. Im Vorjahr war der Osten Deutschlands von einer schweren Millemte heimgesucht worden, und der Aufstand der schlesischen Weber lag zwei Jahre zuriick. 184 7 sollte Europa eine weitere Hungersnot heimsuchen, die zum Ausbruch von Revolutionen auf dem ganzen Kontinent beitrug, wobei Deutschland keine Ausnahme bildete. Die Brotunruhen von 1847 in Berlin bildeten den Auftakt fur die explosionsartige Ausbreitung des Radikalismus in ganz Deutschland. Wir haben alle von den Diskussionen in der Paulskirche und den Debatten uber ein Groi3- oder Kleindeutschland und ihrer schliei3lichen historischen Losung im Bismarckreich gehort. Die einzige Groi3macht in Europa, an der die revolutionaren Unruhen vorbeigingen, war paradoxerweise Groi3britannien, trotz der Hungerkatastrophe von 1846/47 in Irland. Und doch war England das Land, in dem die Industrielle Revolution ihren Anfang genommen hatte, in dem auch die sozialen Konsequenzen der Industrialisierung zuerst zum Ausdruck kamen. Dort brachen die Ludditen, die englischen Maschinensttirmer, 1806 in die Fabriken ein, dmt wurden Kinder im Fabriksystem schon seit dem zweiten Jahrzehnt des Jahrhunderts schandlich ausgebeutet. Die Lebensbedingungen wurden weiter durch die marktverzerrenden Konsequenzen der Corn Laws, der Getreidegesetze, verschlimmert, die verhinderten, dai3 billiges Importgetreide ins Land gelangte - sie wurden erst 1846 gestrichen. Wiihrend der 1830er Jahre iihnelte das Schicksal der Arbeiter in den nordenglischen Baumwollstadten, vor allem Manchester, dem der Fabrikarbeiter in Felchners Untemehmen, der Fabrik im Titel von Louise Ottos Buch. Alle von Otto angesprochenen Mii3stande - Hungerlohne, Kinderarbeit, Mangel an Wohnunterki.inften, sanitiiren Einrichtungen und medizinischer Versorgung - waren der Alltag in den Industriestiidten Groi3britanniens. In den 1840er Jahren war die Lage der Arbeiter so katastrophal geworden, dai3 ernsthafte Anstrengungen zu ihrer Verbesserung unternommen wurden, wahrend die Industrialisierung in Deutschland noch so neu war, dai3 die Situation noch langst nicht den Tiefpunkt erreicht hatte und genug ins Bewui3tsein der Bevolkerung gedrungen war, urn Verbesserungen unumgiinglich zu machen. Einer der Griinde dafur, dai3 es in England 1848 nicht zu einem revolutioniiren Ausbruch kam, lag in der Verabschiedung der Reformakte von 1832, die zwar langst nicht liberal war, aber einige der schlimmsten Mii3briiuche und Anomalien des Wahlrechts beseitigte. Das gab den Menschen die Hoffnung, dai3 Veranderungen moglich waren, ohne dai3 es zu der Art von 20

Gewalt kam, wie Louise Otto ste beschreibt. Der Reformakte folgte 183 3 das erste Fabrikgesetz, das wenigstens einige der Probleme der armen Industriearbeiter ansprach. Es wurde zum Beispiel versucht, den Arbeitstag der Kinder zu verki.irzen. Wie das Wachstum der Chartistenbewegung in der Klasse der Heimarbeiter seit 1838 demonstrierte, konzentrierten die Englander ihre Reformhofihungen weiterhin auf die Wahlurne. Als das Leben in den hungrigen Vierzigern noch schwerer wurde, bestanden die Chartisten auf der Reform des Wahlrechts, urn eine bessere Vertretung im Parlament zu gewinnen. Der Chartistenbewegung fehlten letztlich jedoch die Zahne, und ihr letzter Versuch, das Parlament mit einer Petition unter Druck zu setzen, endete in einer Farce, als die Droschke mit der Petition im Londoner Verkehr steckenblieb. Es ist eine Ironie des Schicksals, daB Friedrich Engels seine Lage der arbeitenden Klasse in England im Jahr 1845 veroffentlichte, urn die deutsche Offentlichkeit vor den potentiellen Auswiichsen des ungezi.igelten Kapitalismus zu warnen, daB er im selben England aber politische Zuflucht fand, urn zusammen mit dem exilierten Karl Marx 1848 in London das Manifest der kommunistischen Partei zu schreiben. Auf den moglichen EinfluB von Engels' Werk auf Louise Ottos Roman werde ich spater noch zu sprechen kommen. An dieser Stelle soll der Hinweis geniigen, daB Louise Otto einen klaren Begriff vom Kommunismus hatte - zwei J ahre vor der Veroffentlichung des Pamphlets, das zum Griindungsdokument der Bewegung werden sollte. All das soll nicht bedeuten, daB die britische Oberschicht keine Angst vor dem Radikalismus hatte, noch daB GroBbritannien so etwas wie eine liberate Utopie darstellte - davon konnte keine Rede sein. Die Polizei war durchaus in der Lage, auffriedliche Demonstranten das Feuer zu erofihen, wie das sogenannte Peterloo-Massaker 1819 in Manchester gezeigt hatte. Der groBe Unterschied bestand darin, daB es in GroBbritannien keine Zensur gab. Personen wie Marx konnten ihre Ansichten ungestort vortragen, ohne von der Geheimpolizei belastigt zu werden. Politische Agitatoren konnten Versammlungen veranstalten, ohne daB irgend jemand hinterher eingesperrt wurde. Die Gewerkschaften, die sich nach der Jahrhundertmitte entwickelten, wurden toleriert. Das heiBt nicht, daB man sich vor politischen Agitatoren nicht furchtete, wie man in den zahlreichen Beschreibungen in den Werken liberal eingestellter Autoren in den 1840er Jahren nachlesen kann. Bei Elizabeth Gaskell in Mary Barton (1848), Benjamin Disraeli in Sybil, or The Two Nations (1845), Charles Kingsley in A/ton Locke, Tailor and Poet (1850) und Charles Dickens in Hard Times (1854) schwingt durchweg Furcht und Unsicherheit mit, wenn sie die Versuche linksgerichteter Agitatoren beschreiben, die industrielle Arbeiterklasse zu mobilisieren. Bei diesen Autoren signalisiert der Begriff ,Kommunismus" ebenso wie bei Louise Otto eine Denkweise, mit der sie sich nicht identifizieren konnen. Eine Unterscheidung zwischen Sozialismus und Kommunismus wird kaum getroffen - die in jener Zeit in ihrer spateren Scharfe auch gar nicht gegeben war. 21

Man kann also sagen, daB es aus der Sicht der Autoren fur die extremen Lehren des Kommunismus keine Rechtfertigung gab, wie groB das Leiden der Armen auch immer war. Die zensierten Passagen in Louise Ottos Buch, die mehrheitlich dem Thema des Kommunismus gewidmet waren, batten ironischerweise den Zweck, den Kommunismus zu widerlegen. 1 Der scharfsinnige Gustav Thalheim findet den Kommunismus ganz einfach ,wahnsinnig" (S .F., S.248). Otto verfolgt dabei die Absicht, die junge Kapitalistenklasse vor den gefahrlichen Konsequenzen zu wamen, die ihre Vemachlassigung und ihr MiBbrauch der Arbeiter zeitigen wtirden. Die Zensurbehorde in Zwickau hatte kein Auge fur solche Subtilitaten und hielt es daher fur notwendig, daB die anstoBigen Pas sag en entfemt wurden.2 Man vergleiche die Situation in GroBbritannien, wo Ober- und Mittelschicht der 1840er Jahre den Kommunismus ebensosehr furchteten, es eine o:ffizielle Zensur, wie gesagt, aber nicht gab. Der Autor wurde zum offentlichen Mahner und Quasi-Zensor in einer Person, in der Hoffimng, die Leser aus ihrer Gleichgiiltigkeit gegeniiber den beschriebenen MiBstanden zu riitteln. Aus dieser Motivation heraus beschreibt Dickens den Gewerkschaftsagitator Slackbridge in Hard Times als eine damonische Figur, miBgestaltet und stark schwitzend. 3 Seine eifemde Rede halt er in einem iiberhitzten Raum, wo er samtliche anwesenden Fabrikarbeiter in seinen Bann zieht, mit Ausnahme von Stephen Blackpool, der sich weigert, der Gewerkschaft beizutreten und deshalb als Streikbrecher geschnitten wird. 4 In Louise Ottos Roman wird die kommunistische Botschaft aufunpersonliche Weise, per Briefiibermittelt, aber die Wirkung ist die gleiche: der verfuhrte Wilhelm stiirzt in eine geistige Verwirrung, in der ein halb verdauter Kommunismus sich nur verworren als Rache an den Fabrikbesitzem ausdriicken kann (S.F., S. 313), und Franz Thalheim, das Sprachrohr der Autorin selbst, reagiert mit Kopfschiitteln. Wenn man Zolas Behandlung des gleichen Themas im erst 1885 veroffentlichten Germinal vergleicht, wo Etienne Lantier die wahre Botschaft des Kommunismus nur halb versteht5 und seine Kollegen in einen ruinosen Streik fuhrt, wird sofort deutlich, wie progressiv Louise Ottos Buch im Rahmen der deutschen Literatur ihrer Zeit war. Allein die Tatsache, daB sich Louise Ottos Themen mit denen eines Disraeli oder Dickens vergleichen lassen, gibt ihr einen Vorsprung von mehreren Jahrzehnten vor anderen deutschen Schriftstellem. Erst die naturalistischen Dramen Gerhart Hauptmanns wie Die Weber (1893),

1 Siehe Notiz der Autorin: Louise Otto, Sch/oft und Fabrik, hrsg. von Johanna Ludwig, Leipzig 1996, S. 162. Im folgenden im Text zitiert als S.F. mit Seitenzahl. 2 Die Einze1heiten der Eingriffe der Zensur finden sich in: Mit den Muth'gen will ich's ha/ten, Beucha 1996. 3 Charles Dickens: Hard Times, Harmondsworth 1969 [1854], S. 270 ff. 4 Raymond Williams schreibt zur Position des Autors in Hard Times: ,As a whole response, Hard Times is more a symptom of the confusion of industrial society than an understanding of it . . ." [Als gobale Reaktion stellt Hard Times eher ein Sympton ftir die Verwirrungen der Industriegesellschaft als ihr Begreifen dar.] zit. nach: Raymond Williams, Culture and Society 1780-1950, Harmondsworth 1963 [1958], S. 107. 5 Lantiers Position verschlimmert sich noch dadurch, daB er selbst seine eigenen Bildungsmiingel erkennt. Siehe Emile Zola: Germinal, [Englisch] iibersetzt und hrsg. von Leonard Tancock, Harmondsworth 1954, S. 222 u. 425. 22

wo das Elend der schlesischen Weber in den 1840er Jahren dargestellt wird, erlauben echte Vergleiche innerhalb der deutschen Literatur. In Die Weber sind die namenlosen ,Hande", die die Maschinen zerbrechen und das Haus des Fabrikeigentiimers stiirmen, ehe sie sich dem Geschaft des Pliinderns zuwenden, die Erben der ,wilden Rotten" in SchlojJ und Fabrik. Nachdem sie die hochmodernen englischen Maschinen in der Wollfabrik zerstort haben (S.F., S. 297), die Louise Otto als Felchners ganzen Stolz beschreibt und in die er sein Kapital versenkt hat, dringt der Mob schlie13lich in sein Haus ein. In einer Furie wilder Rachewut macht sich hier ,der schrecklichste Vandalismus .. . geltend" (S .F., S. 316). Felchner macht sich auf die Flucht, genau wie Dreissinger in Hauptmanns Drama; aber im Gegensatz zu Dreissinger vernachlassigt Felchner die Sicherheit seiner Tochter, die im Kugelhagel der Miliz urns Leben kommt. Die Feuerkraft der Miliz markiert auch das Ende von Die Weber . Louise Otto war nicht die einzige fiuchtbare Schriftstellerin im Deutschland ihrer Zeit, sie war aber eine der wenigen, die ein politisches Programm hatten. Wir miissen uns daran erinnern, wie ungewohnlich es fur eine Autorin in den 1840er Jahren war, sich in ihren Werken mit den Unterschichten zu befassen. Es stimmt zwar, daf3 Fanny Lewald fur ihren kurzen Roman Auf roter Erde (1850) landliche Figuren niederer Herkunft wahlte und ein radikales Thema in Angriff nahm; sie ging aber wed er auf ihre korperliche Arbeit no eh auf die Lebensbedingungen im Friihkapitalismus ein. Spater im 19. Jahrhundert sollte es zwar einige Romane weiblicher Autoren in deutscher Sprache geben, die Themen von sozialem Interesse aufgriffen - zum Beispiel Das Gemeindekind (1877) von Marie von Ebner-Eschenbach - bei keinem geht es aber urn das Geschick der armen lndustriearbeiter. Das einzige vergleichbare Prosastiick ist Bettina von Arnims Dies Buch gehort dem Konig (1843), das Goethes Mutter, ,Frau Rat", arglistig liberale Ideen in den Mund legt. Bettina entwickelte ein noch direkteres politisches Engagement fur den Weber Wilhelm Schloffel, der ihr im Mai 1844 eine Liste der notleidendsten schlesischen Weber geschickt hatte, die die Grundlage ihres geplanten Armenbuchs bilden sollte, obwohl sich dieser Plan zerschlug, als Schloffel im darauffolgenden Juni festgenommen wurde. In Grof3britannien hatte sich eine andere Tradition etabliert; dort gab es so viele prominente weibliche Autoren, daf3 die mannlichen Schriftsteller dies allmahlich als Herausforderung empfanden. Der Liste gehort die unvergleichliche George Eliot an, deren Middlemarch, a Study of Provincial Life (1871/2) ausfuhrlich auf die Lage der landlichen Armen eingehen wiirde; andere sind die Bronte-Geschwister und natiirlich Jane Austen, deren subtile Portraits von Frauen des Landadels in der deutschen Literatur kein Aquivalent haben. Keine dieser Schriftstellerinnen befaf3te sich mit der Not in den Industriestadten, sondern sie konzentrierten sich auf die urenglische Welt des Gentleman. Lediglich Elizabeth Gaskell, mit den Schriftstellerkollegen Dickens, Disraeli und Kingsley, unternahm den Versuch, die Stimme fur das Industrieproletariat zu erheben. 23

Durch ihre Beschreibung der hofischen Gesellschaft, die Elisabeth in Schlol3 Hohenthal umgibt, dem herrlichen Landsitz, der durch seine unmittelbare Nachbarschaft den Felchner-Konzem relativiert, liefert Louise Otto das Gegenstiick zu Pauline, der Tochter des neureichen Kapitalisten Felchner, der in eine Welt des geschmacklosen Luxus fur das Wohlbefinden seiner Tochter angehauft hat. Vielleicht ist die Beschreibung der eleganten Umgebung und der in Hohenthal vorherrschenden hofischen Gefuhle zu positiv, im Gegensatz zur grellen Vulgaritat von Paulines Wohnraumen und der Engstirnigkeit ihres Vaters und Bruders. Die Botschaft triffi aber ins Schwarze: die Reichen verschliel3en ihre Augen vor dem Leid der Armen auf eigene Gefahr. Wir erfahren, dal3 den in Mul3e verzehrten Mahlzeiten in Hohenthal Spaziergange im Park vorausgehen oder folgen, wahrend in Felchners Haus das Essen in aller Eile hinuntergeschlungen wird. In Felchners taglichem Leben gibt es keine Trennung zwischen Geschaft und Vergniigen - alles ist Arbeit, wahrend die Familie Hohenthal jeden mil3trauisch beaugt, der iiber kein Einkommen aus Kapitalvermogen verfiigt - fur sie ist alles Freizeit. Fur Herm von Hohenthal stellt eine Jagd einen anstrengenden Vormittag dar; seine Frau mul3 mit ihren Emotionen kampfen, damit sie nach aul3en ein stets gepflegtes Aul3eres einhertragen kann. Otto zeigt uns allerdings, dal3 die idyllischen Zeiten heroischer Faulheit und finanzieller Gleichgiiltigkeit vorbei sind. Dies zeigt sie besonders klar durch die Weigerung Elisabeths, den dekadenten Freier von Aarens zu akzeptieren, den ihre Eltem gewahlt haben. In Szariny findet Elisabeth einen liberal en Geist, der gut zu ihrem Idealismus pal3t. 6 Die Autorin mag fur Fortschritt und Veranderung Partei ergreifen, aber nicht ohne ein gewisses Bedauem, wie wir beim Rechtsstreit urn den Wald von Hohenthal sehen. Das Ergebnis ist, dal3 Herr von Hohenthal seine Baume Felchner iiberlassen mul3, der sie prompt als industriellen Brennstoff abholzen lal3t. Der Roman bezieht sich standig auf die landliche Idylle aul3erhalb des Fabrikgelandes. Die liebliche Naturlandschaft von Hohenthal veranlal3t die Hauptpersonen des Romans wiederholt, in lyrischen Beschreibungen zu schwelgen, die im krassen Gegensatz zum allgemeinen Ton des Buches stehen. Wie Otto kontrastiert auch Gaskell ihre Beschreibungen der notleidenden Armen mit Portraits der faulen Reichen. Als Frau eines unitarischen Pfarrers und somit bemiiht, religiose Propaganda zu machen, zitiert sie in Mary Barton die biblische Parabel von Dives und Lazarus, urn ihrer Botschaft Gewicht zu verleihen. Mary Barton spielt sich in Manchester ab, wo Gaskell fast die ganze Zeit ihrer Ehe verbrachte. In diesem Roman versucht sie, die Armen fur sich selbst sprechen zu lassen, indem sie ihnen Dialekt in den Mund legt. Wie Otto setzt sie auch Gedichte ein, urn ihren Gefuhlen Ausdruck zu geben, und wie Otto spinnt sie eine

6 Fiir wertvolle Einsichten in Elisabeth von Hohenthals Charakterisierung bin ich Johanna Ludwig zu Dank verpflichet. 24

Liebesaffare zwischen SchloB und Fabrik: in ihrem Fall ist Henry Carson, der Sohn des Fabrikbesitzers, hinter Mary her, der Tochter eines Fabrikarbeiters. In Ottos Roman ist die Handlung andersherum angelegt; dort ist Pauline, die Tochter des Fabrikbesitzers, in den Arbeiter Franz Thalheim verliebt. In keinem der beiden Romane findet die Liebe ihre Erfullung. In Mary Barton heiratet Mary am Ende allerdings einen Mann aus ihrer eigenen Klasse. Da ein Leben in Manchester fur die beiden nach allem, was vorgefallen ist, unmoglich ist, wandem sie nach Amerika aus, ein Ende des Romans, das dem von Fanny Lewalds Auf roter Erde stark ahnelt. Otto laBt ihren Roman mit einer Katastrophe fur die Familie Felchner zu Ende gehen.7 In ihrem vielleicht besten Roman, North and South (1855) kontrastiert Gaskell den Wohlstand von Sudengland mit der Armut, unter dem das neue Industrieproletariat in Milton leidet, einer von ihr erfundenen nordenglischen Stadt in der Nahe von Manchester. North and South enthalt eine geradlinige Liebesbeziehung zwischen Margaret Hale, der Tochter eines fiiiheren Pfarrers, und John Thomton, dem Sohn eines Fabrikanten. Obwohl Margaret Hale noch wenige J ahrzehnte vorher gesellschaftlich uber Thomton gestanden hatte, haben die neureichen Industriellen einen rapiden gesellschaftlichen Aufstieg durchgemacht, und Margaret ist nun keine angemessene Partie fur John Thomton. Und doch findet diese Liebesgeschichte ein gluckliches Ende, wahrend Pauline und Franz in Ottos Roman dem Tod geweiht sind. Gaskell fuhrt uns sowohl in North and South als auch in Maty Barton in die Hauser der Fabrikarbeiter, aber nicht in die Fabrik, wovor Otto nicht zuruckschreckt. Georg Felchner fuhrt seine Besucher stolz durch sein Werk, wobei er die neuen Maschinen aus England beschreibt, die zusammen mit einem englischen Ingenieur geliefert wurden, der ihren Betrieb uberwacht (S.F., S. 175). Otto fuhlt, sie musse nur das Wort ,englisch" aussprechen, urn Arbeitskonflikte heraufzubeschworen. In England muBte man praziser sein: dort war es das Wort ,Manchester". Diese Stadt knisterte aber so von Spannung und Aufregung, daB die 8 Geschaftsleute sich fur besser hielten als die Aristokratie , ganz ahnlich wie Felchner selbst in SchloB und Fabrik. Seine Feindseligkeit und Verachtung gegenuber Herm von Hohenthal kommen nicht von ungefahr: sie sind typisch fur diesen neuen Menschentyp. Louise Ottos Themen in SchlojJ und Fabrik sind in vieler Hinsicht identisch mit denen von Friedrich Engels, der zwanzig Jahre lang in der Fabrik seiner Familie in Manchester kaufmannisch tatig war. Er wuBte zu jener Zeit noch nicht, daB er den Rest seines Lebens in England verbringen WO.rde. Engels beschrankte sich darauf, Elend und MiBbrauche prazise und knapp zu beschreiben, wie wir gleich sehen werden, wahrend Gaskell die literarische Verarbeitung wahlte. Es kann zwar nicht bewiesen werden, es gibt aber ausreichend Hinweise

7 Das Ende ist eigentlich zu melodramatisch, als dafi es den Begriff tragisch verdienen wiirde. 8 ,Ein Teil der Aufregung von Manchester lag darin, dafi hinter Rauch und Elend eine neue Klasse von Geschaftsleuten zu entstehen schien, die energisch, hart und stolz waren und voller Verachtung auf die alte Aristokratie hinabschauten - und doch in mancher Hinsicht selbst eine Aristokratie konstituierten . . ." zit. nach: Asa Briggs, Victorian Cities, Harmondsworth 1968 [1963], S. 78. 25 in Schloj3 und Fabrik fur die Rechtfertigung der Spekulation, daf3 Louise Otto Engels' Die Lage der arbeitenden Klasse in England gelesen haben konnte, die 1845 erschien, als sie an ihrem Roman arbeitete. Engels beschrieb die Elendsquartiere, in denen die Industriearbeiter von Manchester wie auch der anderen Industriestadte vegetieren muf3ten, als ,schmutzige 9 Locher" , die Arbeiter seien zerlumpt und schlecht genahrt und in Stoffe gekleidet, die fur ihre Tatigkeit und Lebensbedingungen denkbar ungeeignet seien, ,im Gegensatz zu den Herren in 10 wollenem Tuch" . Louise Otto triffi diese Unterscheidung, indem sie sich standig uber den Gegensatz zwischen der reichen Kleidung der Adligen in Hohenthal und den Lumpen der Fabrikarbeiter verbreitet. Felchner haf3t, wie wir gesehen haben, die Adligen wie die Pest und kleidet sich folglich so schabig wie seine Arbeiter. Seine Tochter Pauline wird jedoch als Dame erzogen und kleidet sich entsprechend. Die beste kontrastierende Behandlung des Themas ,Kleidung" entwickelt Louise Otto beim Vergleich der Bruder Gustav und Franz Thalheim. Gustav, dessen Bildungsweg ihn his zum Doktorat gefuhrt und der als Lehrer in einer Klosterschule fur Madchen gearbeitet hat, steigt zum Privatlehrer fur die Sohne der Aristokratie auf Wir erleben mit, wie aus dem Armen der Besitzer eines vollen Kleiderschrankes wird, und amEnde des Romans tritt er auf wie ein edler Herr. Franz war nicht Nutznief3er einer formellen Bildung, und seine Kleidung wird als zwar sauber, aber schabig beschrieben. Gustavs Plan, seinen Bruder aus der Armut zu retten, kommt zu spat:

Franz ist bereits in die Arbeiterrevolte verwickelt und nun sogar ber~it, Gewalt in Betracht zu ziehen: , Wir wollen ein groj3es Brudervolk werden, bruderlich die Arbeit teilen, bruderlich den GenujJ, und hat man uns jetzt mit Gewalt unglucklich gemacht, warum sollen wir nicht versuchen, durch Gewalt gliicklich zu werden?" (S .F., S.150) Engels lenkt die Aufmerksamkeit auf viele Aspekte, die Gaskell in beiden angesprochenen Romanen literarisch behandelt - und vergessen wir nicht, daf3 Engels und Gaskell zur gleichen Zeit in Manchester wohnten. Er konstatiert - und verrat dabei vielleicht die Vorurteile des Beobachters aus der Mittelschicht - daf3 die Manner aus der Arbeiterklasse zu viel tranken und zu viel ihrem Geschlechtstrieb nachgingen; aber, so polemisiert er wieder und wieder, angesichts ihrer elenden Lebensumstande sei gar nichts anderes zu erwarten, fur sie seien nur die billigsten sinnlichen Freuden erreichbar. 11 Otto und Gaskell beziehen sich beide auf den Alkoholkonsum der Arbeiterklasse; es fallt freilich dem negativ dargestellten Von Aarens zu,

9 Friedrich Engels: Die Lage der arbeitenden Klasse in England, Miinchen 1973 [1845], S. 86. 10 Ebenda, S. 87. 11 ,,Eine Klasse, die wenig und nur die sinnlichsten Gentisse sich fur saure Arbeit erkaufen kann, mlill sich die nicht toll und blind auf diese Gentisse werfen? Eine Klasse, urn deren Bildung sich niemand ktimmert, die allen moglichen Zufal1en unterworfen ist, die gar keine Sicherheit der Lebenslage kennt, was fur Grtinde, was fur ein Interesse hat die, Vorhersicht zu tiben, ein 'solides' Leben zu fuhren und, statt von der Gunst des Augenblicks zu profitieren, auf einen entfemteren Genufi zu denken, der gerade fur sie und ihre ewig schwankende, sich tiberschlagende Stellung noch ungewill ist? Eine Klasse, die alle Nachteile der sozialen Ordnung zu tragen hat, ohne ihre Vorteile zu geniefien, eine Klasse, der diese soziale Ordnung nur feindselig erscheint, von der verlangt man noch, daB 'sie diese soziale Ordnung respektieren soli? Das ist wahrlich zuviel." zit. nach: Engels, Lage der arbeitenden Klasse, S. 151. 26 die Leiden der Fabrikarbeiter auf ,Faulheit, Trunksucht und Ausschweifungen aller Art" (S.F., S. 206) zuri.ickzufuhren. Sicher, zu viele Kinder wurden in Familien geboren, die zu arm waren, urn sie ausreichend zu ernahren, aber weder Otto noch Gaskell nahmen dies zum Anlaf3 fur Kritik an der Arbeiterklasse, die Engels zumindest bei der Beschreibung der Iren anklingen laf3t. Die beiden Frauen fordern implizit, daf3 stattdessen die Bedingungen so sein sollten, daf3 geniigend Essen fur alle Kinder, die geboren werden, zur Verfugung steht und daf3 das Heim ausreichend bequem sein sollte, damit der Mann am Abend zuhause bei der Familie bleibt und nicht in die Kneipe tliichtet. Daf3 diese Bedingungen nicht gegeben sind, machen die Beschreibungen der Arbeiterwohnungen in SchlojJ und Fabrik schmerzlich deutlich, wo die hungernden Kinder auf Stroh schlafen und die Erwachsenen auf den blof3en Holzlatten des Bettgestells. Es gibt weder Heizung noch anstandige Decken. Engels und Otto sind sich einig, daf3 die Kinder des Industrieproletariats erne ansHindige Bildung erhalten miissen, daf3 ihre Arbeitszeit verkiirzt werden muf3 oder die Kinderarbeit ganz und gar abgeschaffi gehort. Beide reagieren mit spiirbarem Arger auf die am Arbeitsplatz erlittenen Verletzungen, die so viele Kinder verkri.ippelten oder verstiimmelten, waren sie doch oft zu jung, urn die von der Maschinerie ausgehenden Gefahren zu verstehen. Sowohl Engels als auch Otto beklagen die Gefuhllosigkeit der Kapitalistenklasse angesichts des dadurch verursachten Leids. Engels war iiberhaupt auf3er sich vor Wut iiber die vielen anderen Arbeitsunfalle. Und beide, Engels und Otto, hielten es fur schandlich, daf3 hochschwangere Frauen gezwungen waren, praktisch his zum Beginn der Wehen weiterzuarbeiten. Der Tod einer schwangeren Frau, die gezwungen wurde, eine schwere Last zu heben, ist denn auch der Funke, der letztlich die Rebellion von Felchners Arbeitern auslost. Dieser Tod - mit dem Tod des ungeborenen Kindes - veranlaf3t die Manner, in den Streik zu treten, zunachst urn der Beisetzung beizuwohnen. Die versuchte Festnahme von Franz Thalheim durch die Polizei radikalisiert die Arbeiter, die gewalttatig werden und pliindern. Die logische Reaktion ist der Einsatz der Miliz, die das im realen und fiktionalen Deutschland iibliche Ende einer Insurrektion herbeifuhrt. 12 Im iibrigen sollte hier darauf hingewiesen werden, daf3 Engels' Buch sich zwar ausschlief3lich mit der Lage im industriellen England befaf3t, dem englischsprechenden Publikum aber erst gegen Ende des Jahrhunderts zuganglich war, 1887 in den USA und 1892 in Grof3britannien. Zum Schluf3 mochte ich noch einige Worte zur Einordnung von Louise Ottos Roman in die Geschichte des Feminismus sagen. Mary Wollstonecraft hatte die Frauenbewegung 1792 mit ihrem Buch Vindication of the Rights of Woman de facto im Alleingang gegri.indet. Bei diesem Buch handelte es sich nicht zuletzt urn eine sorgfaltig argumentierte Polemik gegen Rousseaus

12 Im August 1845 hatte Louise Otto mit grofier Beunruhigung mitansehen mussen, wie die Polizei gegen protestantische Demonstranten in Leipzig vorging, und die Berichte tiber einen Polizeieinsatz in einem Eisenbahnerstreik nahe Minden erschtitterten sie so sel)r, daB sie ihn in ihre Handlung einbezog. 27

Konzept der Weiblichkeit und urn einen Appell, daB Frauen eine ordentliche Bildung erhalten sollen, damit sie aus dem Schatten ihrer Ehemanner treten und autonom in der Gesellschaft agieren konnen. Diese breite Zielsetzung teilt Otto sicher mit ihr; aber mehrere ihrer weiblichen Figuren in diesem Roman sind so widersprilchlich, daB die feministische 'Botschaft' vollig umgekehrt wird. Elisabeth spricht zum Beispiel verachtlich von der Sangerin Bella, obwohl Bellas Freundschaft mit Szariny genuin ist und Otto andernorts Erzahlungen verfaBt hat (wie die in der Sammlung Kunst und Kunstlerleben, 1863), in denen sie sich fur eine freundliche Behandlung weiblicher Kunstler einsetzt. Die bei weitem am positivsten gezeichnete weibliche Figur ist Pauline Felchner, die ihr eigenes Leben fur die unterdriickten Arbeiter in der Fabrik ihres Vaters opfert. Elisabeths ·romantische Affaire mit Szariny stellt vielleicht einen notwendigen Hintergrund fur Paulines hoffimngslose Liebe fur Franz dar; es muB jedoch angemerkt werden, daB ihre tiberschwenglichen Konversationen an die bei Johanna Schopenhauer und Ida Hahn-Hahn zu findenden romantischen Szenen erinnern und wenig fur den F ortschritt der Handlung tun, abgesehen davon, daB sie uns daran erinnern, wie weit die Fabrik von den blumenbekranzten Lauben von SchloB Hohenthal entfernt ist. Wollstonecrafts Ausfuhrungen waren in erster Linie an die Lage der Frauen in der Oberschicht gerichtet. Diese Frauen sollten feststellen, daB sich das AusmaB ihrer Freizeit im Laufe des Jahrhunderts noch vergr6Berte. Neue Leiden stellten sich ein, wie die Neurasthenie, und die Mediziner begannen, neue Kuren dafur zu entdecken. Das Thema der weiblichen Kranklichkeit spielt in Louise Ottos Roman eine groBe Rolle. Ziemlich am Anfang erleben wir etwas, was allem Anschein nach ein Gestandnis auf dem Totenbett ist, als Amalie Thalheim namlich ihrem Mann Gustav mitteilt, sie habe ihn nie geliebt und sich wahrend der ganzen Ehe nach ihrem frtiheren Verlobten J aromir Szariny gesehnt. Die krankliche Amalie leidet erst an unbegrilndeter Eifersucht und dann an Ressentiment, mit anderen Worten, an sich selbst, womit sie Szariny und ihrem Mann Gustav Thalheim unnotiges Seelenleid zufugt. Wenn wir die problematische Darstellung einer so negativen Figur einmal beiseitelassen, kann die Seelenkrankheit von Amalie als Teil des umfassenderen Themas von Krankheit und Gesundheit in diesem Roman gesehen werden. Die Reichen wissen nicht, wenn sie gesund sind, und erfinden modische Kuren fur Beschwerden, die nur in der Vorstellung existieren. Bad Hohenheim wird gegrilndet, urn aus diesen modischen Neurosen Kapital zu schlagen. Elisabeth Hohenthal bildet mit ihrer robusten Gesundheit eine Ausnahme, die sich diesem Trend nicht fugt. Es ist in diesem Zusammenhang interessant, an das letzte Werk von J ane Austen zu erinnern, das Fragment gebliebene Sanditon, wo sie einen Mr. Parker beschreibt, einen jovialen Untemehmer, der versucht, einen neuen Seebadeort an der englischen Stidktiste aufzubauen. Er gerat tiber den Nutzen des Badens im Seewasser ins Schwarmen und mochte einen niedergelassenen Arzt in seinem Kurort haben, urn die weniger Rtistigen in seinem potentiellen 28

Kundenkreis zum Kommen zu ermutigen. Austen schreibt: ,Er war uberzeugt, daB der Vorteil, einen Mediziner zur Hand zu haben, einen echten Beitrag zur F orderung des Aufstiegs und des Wohlstands des Ortes leisten wiirde." 13 Louise Otto geht noch einen Schritt weiter und macht den Griinder des Kurorts selbst zum Doktor. Die wichtigste Frage in sowohl Sanditon als auch Hohenheim ist, wie man mehr Besucher anzieht. In Ottos Roman geschieht das auf amusante Weise durch Propaganda in Zeitungen. Sanditon, das hinsichtlich der Anzahl der Neubauten urn einiges weiter entwickelt ist, verlaBt sich auf die Verbreitung der Botschaft durch Mundpropaganda. In beiden Fallen geht es in der Geschichte letztlich darum zu zeigen, wie unsinnig es fur Leute von perfekter Gesundheit ist, imaginare Krankheiten zu pflegen, wenn sie sich in Wirklichkeit doch nur amusieren wollen. In Ottos Roman enthullt diese Nebenhandlung, wie unfair nicht nur die Verteilung des Reichtums ist, sondern auch der Gesundheit. Geheimrat von Bordenbrucken verleibt sich Dutzende Glaser Mineralwasser ein und schaut derweil seiner Frau beim Flirten zu, wahrend ein paar Kilometer weg ein Kind, dem der Arm abgerissen wurde, an seinen Wunden stirbt, vermutlich weil ihm medizinische Hilfe zunachst verweigert wurde und, als sie schlieBlich gewahrt wurde, zu spat kam. Die Armen werden durch ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen krank gemacht und erhalten keine Hilfe, wenn sie sie benotigen. Wenn sie sterben, mussen sich die Verwandten sorgen, ob sie sich den Sarg leisten konnen. ,Die lange Lise" wird zum Wahnsinn getrieben, als sie am selben Tag zwei Kinder beisetzen muB - der einzige Trost ist, daB beide Kinder in einen Sarg passen. Kein Wunder, daB sie bei den Maschinenstiirmer ganz vorne mitmarschiert, mit dem Ruf ,[f]ur jedes Kind eine Maschine" (S .F., S. 299), wahrend sie mit einer Axt Gerat zertriimmert. Lises Dberzeugung, daB die Maschinen Morder sind, erinnert an Engels' Kommentar, daB die Art der Industrialisierung, die Lebensumstande der englischen Arbeiterklasse in den Stadten Mord seien, ,daB die Gesellschaft in England diesen von den englischen Arbeiterzeitungen mit vollem Recht als solchen bezeichneten sozialen Mord taglich und stiindlich begeht".14 Felchners Arbeiter haben ein elendes Leben gefristet, das nicht viel besser ist als Sklaverei, ein Begriff, den Otto gezielt benutzt; aber geschickt suggeriert sie, daB diese Existenz fur Frauen noch schlimmer ist als fur Manner, weil sie gleichzeitig ihre Rollen als Ehefrau und Mutter ausfullen mussen. Im Gegensatz zu Engels predigt sie aber nicht, daB Fabrikarbeit fur Frauen unangemessen sei. Im Zuge der Entwicklung ihrer feministischen Aktivitaten setzte sie sich immer propagandistisch dafur ein, daB Frauen Karrieremoglichkeiten erhalten muBten, damit sie, wenn notig, ihren eigenen Lebensunterhalt verdienen konnten - in dieser Hinsicht ging sie viel weiter als Mary Wollstonecraft. Und selbst wenn ihr Verstandnis der Industrialisierung ganz notwendig durch die viel fortgeschrittenere Industrielle Revolution

13 , He was convinced that the advantage of a medical man at hand would very materially promote the rise and prosperity of the place." zit. nach: Jane Austen, Sanditon, in: Lady Susan/The Watsons!Sanditon, hrsg. von Margaret Drabble, Harmondsworth 1974 [1874], S. 162. 14 Engels, Lage der arbeitenden Klasse, S. 117. 29

Englands informiert war, war ihr politischer Radikalismus bei der Behandlung des Kommunismus avant la lettre in SchlojJ und Fabrik doch nicht nur bemerkenswert, sondem auch verbltiffend avantgardistisch. 30

Louise Otto

Lied eines deutschen Madchens1 (Marz 1848)

, Und ich bin nichts als ein gejesselt Weib!" Schiller in Jungfrau von Orleans

Es lag ein dumpfer Fluch ob alien Landen, Ein dumpfer Flu eh auf jeder Menschenbrust; Die Volker schmachteten in schweren Banden, Wie Hohn klang jedes Wort von Gluck und Lust, Wie Hohn klang, was die Dichterseher sangen V on neuer Zeiten goldnem Morgenrot - Die Freiheitssonne war ja untergegangen, Und alles ringsum nachtlich, still und tot.

Da hab ich traurig oft zur N acht gesessen lm wilden Schmerz, der mich nicht schlafen liei3, Und konnte nicht die Welt urn mich vergessen, Das Leben nicht, das doch nur Elend wies - Doch immer horte ich im Geist die Kunde: Warum im Dunkeln zweifeln an dem Licht? Geschrieben steht: ,Ihr wii3t nicht Tag und Stunde, Do eh kommt der Herr und halt ein Weltgericht."

Und stark im Glauben und im innern Schauen Warf ich mich wieder in das Weltgewtihl, Sang stolze Freiheitslieder im Vertrauen: Bald wird zur Wahrheit, was jetzt nur Gefuhl! Und klagend ob der Zeiten schwer Verschulden An aller Volker Ehre, Seel' und Leib, Rief ich im Zorn ob schmahlichem Erdulden: ,Und ich bin nichts als ein gefesselt Weib!"

Erfullt ward, was die Bibelworte sagen: ,Will Gott ein Volk befrein", spricht der Prophet, ,Wird es mit Blindheit seinen Konig schlagen"­ Da sehn wir, wie die Freiheit aufersteht: Der Julikonig sturzt vom Herrschersitze, Die Marseillaise wird sein Abschiedsgrui3, Sein Purpurmantel schmuckt als Freiheitsmutze Das Mal des Sklavenfuhrers Spartakus.

1 Aus: Louise Otto, Mein Lebensgang. Gedichte aus funf Jahrzehnten. Leipzig 1893, S. 136. 31

So ist in Frankreich Tag und Stunde kommen. Die Weltgeschichte halt ihr Weltgericht; Ein glorreich Volk hat sich sein Recht genommen, Ein Volk, das nicht allein mit W orten spricht, V on dessen Taten alle Throne beben - Und alle Volker wagen diesen Ruf: Wir wollen frei, ein Volk von Bri.idem, leben, Tot ist die Zeit, die feige Sklaven schut1

Und jubelvoll ringsum im deutschen Lande Hallt es von Gleichheit und von Menschenrecht; Die Herzen lodem auf im Freiheitsbrande; Zum deutschen Burger wird der deutsche Knecht; Das Volk will nicht nach Blut und Aufruhr dtirsten, Doch will es ein Gesetz aus eigner Wahl, V or dem es selbst sich beugt auch ohne Ftirsten; Was ihm gebtihrt - das weil3 es allzumal!

Freiheit und Gleichheit in den deutschen Staaten Und jedes Recht, das man uns vorenthielt, Urn das wir lang als schwache Kinder baten, Das man versprach und nimmer doch erfullt: Das mul3 uns heut, das mul3 uns alien werden! Es kommt die neue Zeit mit ehrnem Gang Mit grol3em Aug' und mutigen Gebarden Und einem heiligen Triumphgesang.

Arbeit und Brot! Ihr werdet ' s nicht vergessen­ Das ist die Losung dieser neuen Zeit! Gebt dem sein Recht, der keines noch besessen! Denkt an die Armut, an des Hungers Leid; Pflegt wohl der Menschenliebe goldne Saaten Und pfliickt der Freiheitsbaume reife Frucht: 1st dann des Landmanns Emte auch millraten. Vom Hungertod wird niemand heimgesucht!

0 hohe Zeit! Rings flicht man Btirgerkronen Und feiert schon der Freiheit Ostertag, Und jauchzt , Im Mannerstolz vor Konigsthronen", Weckt auf das Volk, das nicht mehr schlafen mag. 0 schone Zeit! konnt' ich mit euch erheben Dies deutsche Land, dal3 frei es sei und bleib! - Ich bet' urn Segen nur fur euer Streben, ,Denn ich bin nichts als ein gefesselt Weib!" 32

Christel Hartinger (Leipzig)

, Weckt auf das Yolk, das nicht mehr schlafen mag!" Zur zeitgenossischen Bedeutung der Gedichte Louise Otto-Peters' zur Revolution 1848

(Vorbemerkung: Die nachfolgenden Uberlegungen wurden im November 1998 auf dem 6. Louise-Otto-Peters-Tag in Leipzig vorgetragen und debattiert; sie wurden fur diese Veroffentlichung konzentriert und gekUrzt - gewissermaBen stichpunktartig - zusammen­ gefaBt.) Meine Uberlegungen erwachsen sicherlich - in ihrem allgemeinen Radius - aus all den Gesprachen und Beratungen, den Ehrungen und Entdeckungen, an denen ich, wenn auch immer wieder unterbrochen, im Kreise der Forscherlnnen und Liebhaberlnnen der Louise­ Otto-Peters-Gesellschaft nun schon iiber ein halbes Jahrzehnt lang teilnehmen konnte. Sie beziehen sich aber - unter einem besonderen Blickwinkel - auf eine Gruppe von Gedichten Louise Otto-Peters', die die revolutionare Situation 1848, deren Verlauf, Problemlagen, Genesis und Wirkung, Ergebnisse unmittelbar thematisieren. Aus einer solchen Gruppe (zu der auch noch Jahre vor 1848 und Jahre danach entstandene Texte, die ich hier nicht beriicksichtigen kann, zu rechnen sind) heben sich besonders heraus: Lied eines deutschen Madchens. Marz 1848; Fruhling 1848; Unsre Farben; Vereinigung; Nach der Ermordung Robert Blums. 1 Es ist, auch wenn nur wenige Strophen erinnemd vorgelesen werden konnten, beispielhaft zu horen vom ,dumpfen Fluch", der , auf alien Landen" und ,auf jeder Menschenbrust" lag, vom ,,Dichtergesang" von ,neuer Zeiten goldnem Morgenrot", da ,die Freiheitssonne war ja untergegangen"; es ist zu horen von der Gedichtgestalt, die sich ,in das Weltgewiihl" geworfen hat, die ,stolze Freiheitslieder im Vertrauen:/Bald wird zur Wahrheit, was jetzt nur - Gefuhl" gesungen hat, die klagt, ,ob der Zeiten schwer Verschulden/An aller Volker Ehre, Seel und Leib"; zu horen ist vom , Julikonig", der mit der ,,Marseillaise" als ,AbschiedgruB" vom ,Herrschersitze stiirzt" und dessen ,Purpurmantel" als ,,Freiheitsmiitze/Das Mal des Sklavenfuhrers Spartakus" schmiickt; es ist zu horen, daB es nun ,ringsum im deutschen Lande/Hallt ... von Gleichheit und von Menschenrecht", daB ,,Die Herzen lodem auf im Freiheitsbrande", daB ,zum deutschen Burger wird der deutsche Knecht", daB sich ,Das Yolk

1 Die betrachteten Frauengedichte sind wiedergegeben nach , . .. der Menschheit Halfte b/ieb noch oh ne Recht", hrsg. von Johanna Ludwig und Katharina Middell, Leipzig 1999. Alle anderen im folgenden zitierten Strophen!Verszeilen!Wortzitate aus: Die Achtundvierziger - Ein Lesebuch for unsere Zeit, hrsg. von Bruno Kaiser, 1952. 33 erhebt ... aus altem Zwang"; es ist zu horen die aufrufende Losung der Sprecherin: ,,Pflegt rings der Menschenliebe goldene Saaten/Und pfliickt der Freiheitsbaume reife Frucht .. ." Uniiberhorbar also: da soli der Umbruch der alten Zeiten befordert werden, befordert der Anbruch neuer Zeit, da geht es urn Umsturz, urn Revolution. Enorme Ereignisse, hohe Ziele, hehre Handlungen von groi3en gemeinschaftlichen Subjekten in glanzenden, ja strahlenden (iiber Substantiv wie verbale Wendung gefugten) Wort-Gebilden, Bildem! Da ist aui3erst hochgestimmt und hochgesteckt formuliert und ausgesprochen worden, nein, da wird ausgerufen, iiber viele Strophen dieser Ton gehalten. Der in vielen Landem Europas in jenen Jahren herbeigesehnte ,Volkerfriihling" wird geradezu herbeigesungen auch fur die ,deutschen Lande", fur das Sachsische urn Meii3en, urn Dresden, urn Leipzig. Personliches Erleben aus jener so aufregenden und aufgeregten Zeit aber, konkretes eigenes Tun am konkreten Lebensort, aus den individuellen familiaren und anderen Lebensbeziehungen und Arbeitsbeziigen heraus wird in diesem Gedicht nicht mitgeteilt. Solches Erleben etwa, wie es die Dichterin dann 1878, dreillig Jahre spater, fur die Vorstellung der Jiingeren iiber die Revolutionstage 1848 iiberlieferte : ,Ich war damals gerade in einer kleinen sachsischen Stadt bei einer Schwester zu Besuch - wo man auch sein mochte: iiberall dasselbe Frohlocken! Das groi3te in den Briefen der Gleichgesinnten - in denen der Bekannten Oberraschung, die ich nicht theilte: ich hatte immer geglaubt, dai3 es so kommen miisse, so viel man auch meinen Glauben belachelt, getadelt .. ." 2 Auf einen ersten Blick verglichen, in den Gedichten aus den Umbruchstagen dagegen sehr allgemeine Freiheits-Transparente, sehr flachige, ja teilweise stereotyp wiederholte Freiheits­ und Umbruchs-Metaphorik, ein sehr abstraktes Vokabular zu Ursachen und Programm der revolutionaren Bewegung: Als ich fur unsere Beratung diese Gedichte wieder las, sie mir vorlas, dabei auch wider Willen in jenen angestrengt pathetischen Tonfall geratend, schien sich mir zunachst ein Eindruck zu bestatigen, den ich wiederholt von diesen politischen Tex.ten gehabt hatte, als ich fur und in der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft in den letzten Jahren auch auf das Gedicht-Werk und auf lyrische Dichtungen Louise Otto-Peters', neben ihren zahlreichen Romanen, aufmerksam machen sollte und wollte; in meinen Erlauterungen und den ausgewahlten und zusammengestellten kleinen Programm-Folgen war ich sehr bemiiht gewesen, auf Gedichte mit moglichst erkennbarer konkreter historischer bzw. biographischer Veranlassung, mit subjektiv-eigenartiger, sensibler Natur- und Landschaftswahmehmung oder v. a. mit sozialkritischer Beobachtung und Anklage ,auszuweichen".

2 Louise Otto-Peters: Vor dreiftig Jahren. In: Neue Bahnen. Organ des Allgemeinen deutschen Frrauenvereins. Hrsg. von Louise Otto und Auguste Schmidt, Nr. 9/1878, S. 1 ff.) Wiederveroffentlicht in: , .. . der Menschheit Halfte blieb noch ohne Recht". Menschenrechte fur Frauen- Frauen fur Menschenrechte. Dokumentation zur Ausstellung. Hrsg von Johanna Ludwig und Katharina Middell im Auftrag der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft, Leipzig 1998. LOUISEum 9. 34

Der fur diese Bemerkungen erforderliche, sozusagen zweite, der analytische Blick in die Texte lieB mich nun aber uber jenen wiederholten Erst-Eindruck - ,zu flachig", ,zu abstrakt" - beunruhigt sein, stellte ihn zunehmend in Frage. Und in solcher Beunruhigung und Verunsicherung befinde ich mlch noch, kann aber schon von einigen Momenten sprechen, die dies auslosten ... Ich habe inzwischen intensiver den literarischen bzw. literaturgeschichtlichen, speziell den Gedicht-historischen Kontext eingesehen, in dem sich Louise Otto-Peters' Dichtung befindet, so Gedichte der bekannt gebliebenen Schriftsteller Ferdinand Freiligrath, Georg Herwegh und Georg Weerth, aber auch Gedichte inzwischen kaum noch - auBerhalb beruflicher Insider - namhafter Autorlnnen wie Adolf Glassbrenner, Louise Aston, Ludwig Pfau, Friedrich Stoltze oder Karl Heinrich Schnaufer oder der anonymen Flugblattgedichte und Arbeiterlieder. Fur solche Studien ist eine schon 1952 von Bruno Kaiser als ,Lesebuch fur unsere Zeit" herausgegebene Anthologie Die Achtundvierzige-? besonders hilfreich. Ihr Textspektrum kann erkennen lassen, daB in meinem die (kurz gefaBt) Revolutions-Gedichte Louise Otto-Peters' abwehrenden Eindruck Vor-Verurteilung im Spiel war, ein Abwehren eigentlich mit dem heutigen MaBstab asthetischen Ausdrucks. In den Kontext der zeitgenossischen politischen Dichtung aber gestellt, bleibt anderes zu bedenken, zeigt sich anderes deutlich: es kann nicht in erster Linie darum gehen, ob uns Louise Otto-Peters' Verse zur Problematik 1848 noch erreichen so, wie uns etwa Helga Konigsdorfs Erzahlungen oder Volker Brauns Epigramme aus unseren unrnittelbaren Tagen und Stunden erreichen. Es geht darum, Louise Otto-Peters' literarische Anstrengung und Leistung aus dem Themen- und Gestaltungsspektrum ihrer Zeit heraus zu ermessen und zu bemessen, ihre Arbeiten also unbedingt zunachst zu historisieren, sie literaturhistorisch zu kennzeichnen. Und da ist es nun nicht mehr so einfach, rasch und obenhin festzustellen: zu abstrakt, zu flachig, zu pathetisch ... Allerdings (meine Beobachtungen geraten sich selbst immer wieder produktiv ins Gemenge, wechseln Blickpunkt und Argumente) - die Feststellung von einer durchgangig in diesen Texten anzutreffenden, uber Bilder sich umsetzenden Allgemeinheit in der Erfassung politischer, sozialer, ideologischer oder psychologischer Prozesse erhartet sich dann doch, wenn sie verglichen werden etwa mit Gedichten von Adolf GlaBbrenner, Ludwig Pfau, Hoffinann von Fallersleben oder, naturlich dann besonders, von Georg Weerth. In den Texten dieser Autoren treffen wir spezifische Charakterisierung, konkrete Adressierung, werden historisch authentische Geschehnisse kommentiert, wird eine anschauliche soziale Typisierung vorgenommen. Horen wir, fur unser Bemerken des unterschiedlichen Vorgehens, in nur einige Verse hinein :

3 Die Achtundvierziger- Ein Lesebuch for unsere Zeit, hrsg. von Bruno Kaiser, Weimar 1952. Von Louise Otto-Peters wurde nur das Gedicht Lied eines deutschen Madchens. Marz 1848 in die Sammlung aufgenommen. 35

Ob ihr einen Konig habt Heuer zum Regenten, Oder ob ihr seid begabt Mit 'nem Prdsidenten; Habt ihr Konstitution, Oder habt ihr keine: Einer sitzet auf dem Thron Und hemieder voller Hohn Blickt er, dieser Eine- Der Geldsack, der Geldsack! ... 4 und im Gedicht Der deutsche Zollverein heillt es: Schwefelholzer, Fenchel, Bricken, Kiihe, Kdse, Krapp, Papier, Schinken, Scheren, Stiefel, Wicken, Wolle, Seife, Gam und Bier; Pfef!erkuchen, Lumpen, Trichter, Niisse, Tabak, Glaser, Flachs, Leder, Salz, Schmalz, Puppen, Lichter, Rettich, Rips, Raps, Schnaps, Lachs, Wachs I

Und Ihr andem deutschen Sachen, Tausend Dank sei euch gebracht! Was kein Geistje konnte machen, Ei, das habet ihr gemacht: Denn ihr habt ein Band gewunden Um das deutsche Vaterland, Und die Herzen hat verbunden Mehr als unser Bund dies Band 5 In solchen Glossen, Satiren, Bankelliedern - urn nur einige genauere Genre-Formen dieser Gedichte in die erorterte Frage einzubeziehen - wird von vornherein und spezifisch mit dem konkreten Namen, der besonderen sozialen Schicht, dem einmaligen Ereignis gearbeitet. Das ist das solchen Gedichtgenres aufgetragene Geschaft, es ist ihre, diese Konkretheit benotigende Technik! Es kann im Rahmen dieser Betrachtung nur angedeutet werden: die ironische Charakterisierung, die satirische Dberspitzung, die groteske Entlarvung von Personen und Amtern, Schichten und Standen, Ideen und Institutionen, Vorfallen und Programmen, Strukturen und Zustanden ist das erklarte Ziel solcher literarischen Technik, solcher (gestufter, unterschiedlich ,aggressiver") komischer, also kritischer Sicht und Durchsicht, ist deren eigentliche asthetische Aktion. Hinter die Erscheinung, das Detail, das Gesicht, den Fakt soli gesehen werden konnen. Damit sie ab-, weg-, durchgerissen werden konnen, miissen sie zuvor

4 Ebenda, S. 291 f. 5 Ebenda, S. 165. 36 benannt werden. Erst dann wird dem Zuschauer - und zwar so, als ob er es geleistet hatte - die eigentliche Qualitat der Erscheinungen, ihr allgemeines Wesen erkennbar .. . Louise Otto-Peters' Gedichte generell, inbesondere aber ihre Revolutions-Gedichte konstituieren sich nicht aus solcher, sondem aus einer anderen literarischen Gestaltungsweise. Sie funktionieren in ihrem hauptsachlich realisierten kommunikativ-sprachlichem Grundgestus nicht durch die sehr facettenreich agierende komische Demonstration. Sie vermitteln sich uber die hymnisch-begreifende, die pathetisch-bestatigende, die feiemd-preisende, die klagend­ anklagende Bezeichnungs- und Sprechweise. Sie bieten ebenfalls Einsicht, Information und Aufforderung, aber nicht uber die spottende his hohnische Preisgabe des Scheins, sondem uber (oft didaktisch eingesteuertes) Engagement und Protest, uber Hochwertung oder Verurteilung. Da wird der Natur dieser asthetischen Gestaltung nach die sachliche Benennung uber die emotionale Steigerung fast immer zur Hohe des Pathos gehoben. Und dieses Pathos bestimmt dann anhaltend aus solcher Intention heraus auch Rhythmik und Tonfall der Stimme. Das sprechende Ich fullt sich dabei meist mit groJ3er gemeinschaftlicher Subjektivitat auf, mit dem ganzen Geschlecht, dem ganzen Volk, mit all en Landen, der Menschheit .. . Dabei wird das ersehnte, erhoffie, das zum Ubemehmen angebotene, das zu propagierende inhaltliche Programm, die Zukunft, die Menschen- und Menschheitstraume uber Sprach- und Stileigenheiten vermittelt, die infolge gangiger, popularer Ausdrucks- und Verstehens­ Traditionen gleichsam ,muhelos" eine positive Wertung zu vollbringen scheinen. Es werden die durch Gewohnheit, kulturelles Erbe, durch Volks-Bildung sozusagen fur alle potentiellen Leserlnnen des Sprachraumes vertrauten gangigen Vorstellungsqualitaten, die sozusagen fur jene Phase ganz ,sicheren" Assoziationsfelder vorwiegend uber ein nicht individuell entworfenes wie begrenztes Metaphorik-Gefuge aufgerufen und aktiviert: Der Natur- und Lebens-Kreislauf mit Geburt/Beginn, Reifung und Tod/Vergehen in vielerlei Variation; die schonen, dem Menschen in der Regel angenehmen Jahreszeiten des Fruhlings, des Sommers, des - mit Einschrankung - Herbstes; die Sonne mit all ihren Moglichkeiten und Elementen; die verschiedentlich ,aufgeladenen" Tageszeiten, v. a. der Morgen mit Frische, Morgenrot, Anfangsemotionen; das Fruhjahr als Saat- und Keirnzeit, die Zeit des Bluten- bzw. Fruchtstandes; das Spektrum der Farben, des Goldes, des Silbers, des Rots insbesondere einerseits - vieles konnte hinzugefugt werden. Anderseits, ebenfalls nur in der hier ausreichenden Andeutung: die Nacht, das Dunkel mit Schlaf als Tatlosigkeit, mit Stille als Beangstigung; Trubnis, Nebel, Wolkengeturm als Herbstphanomene; Winter mit allen Frost-, Starre-, Kalte-, Eis-Variationen; Tod mit seinem vorausgehenden Geflecht von Krankheit, Wehe, Leiden, Dumpfheit, Schmerzen, Druck, Leiden, Schweigen ... Und dazwischen manche Naturphanomene, die gleichsam wechselseitig plus oder minus aufgeladen werden, so die Sturme, Winde, die flackemde Kerze ... 37

Und was alles muf3te nun noch besehen werden an kulturgeschichtlichen Materialien aus Religion, Kunst, Literatur, Historie, Zeitgeschichte, Aberglaube, Psychologie, aus denen die Allegorien oder Vergleiche der Gedichte Louise Otto Peters' , angeheuert" werden! Dies kann hier nicht geleistet werden und dies braucht es auch nicht: da Aufruf und Propagierung fur Zeitenumbruch und fortschrittliche Veranderung in allen Lebensbereichen die bestimmende schriftstellerische Intention ausmachten, offerierte ihre asthetische Technik auch ,zwangslaufig" ein anderes Verhaltnis von besonderer Erscheinung und allgemeiner Wesenheit in ihrem literarisch gebotenem Wirklichkeits-Bild. Die auch mich wiederholt irritierende gestalterische ,Abstraktheit" sollte also nicht - gewil3ermal3en automatisch, von vornherein - auf gestalterisches Unvermogen zuruckgefuhrt werden. Solche ,Abstraktheit" kann - und sie ist es meines jetzigen Erachtens nach bei Louise Otto-Peters auch - ebenso mit der intentionellen Absicht und den davon erheischten sprachstilistischen Instrumentarien entsprechend des zeitgenossischen Levels erwachsen. lch ziehe, gefunden beim Blattern in der Anthologie Die Achtundvierziger eine Strophe des Gedichtes Am Baum der Menschheit drangt sich Bliit an Bliite als zufalliges, beliebiges Beispiel heran: ... Der du die Blumen auseinanderfaltest, 0 Hauch des Lenzes, weh' auch uns heran! Der du der Volker heilge Knopsen spa/test, 0 Hauch der Freiheit, weh' auch diese an! In ihrem tiefsten, stillsten Heiligtume 0, kiiss' sie auf zu Duft und Glanz und Schein­ Herr Gott im Himmel, welche Wunderblume Wird einst vor allem dieses Deutschland sein/6 Dies nicht aus der Feder Louise Otto-Peters', dies aus der Feder des die Achtundvierziger dominierenden, von ihr hochverehrten Ferdinand Freiligrath. Und ,Baum der Menschheit", ,der Volker heilge Knospen", der ,Hauch des Lenzes" als der ,Freiheit Hauch" und ,dieses Deutschland" einst ,welch Wunderblume" in seinem Text belegen schlaglichtartig, daB die fur Louise Otto-Peters' Dichtung vermerkte allgemeine Freiheits-und Revolutions-Begriffiichkeit, transportiert v. a. uber eine tradierte, konventionelle Natur-Metaphorik, ein fur die damalige literaturgeschichtliche Periode generell charakteristisches Moment war. Louise Otto-Peters stellt sich mit ihrer Sprachwahl und Sprechweise mitten unter jene grol3en Dichter­ Zeitgenossen, denen sie sich in politischer Oberzeugung wie in poetischer Konfession verbunden wul3te und von denen sie - sie widmete ihnen manches Gedicht personlich - auch unbedingt in die offentliche Mitte mitgenommen werden wollte. Mein anfangs erwahnter

6 Ebenda, S. 35. 38

Eindruck von abstrakter Flachigkeit in ihren Revolutions-Gedichten blieb, zum emen, wenigstens soweit zu differenzieren. Zum anderen aber bleibt fur diese befragte Begri:ffiichkeit sicherlich auch zu bedenken, daB sie auf die damaligen Leserlnnen, auf das damalige Publikum in und urn Meillen, Dresden, Leipzig, in alien weiteren Stadten und Ortschaften, die ihre fast alle damals sofort veroffentlichten Texte mit den Tageszeitungen erreichten, anders gewirkt haben werden als auf uns. Die Leserlnnen damals - und dies ist ein fur alle Zeiten anzunehmendes, allseits eigentlich bekanntes Phanomen - fullten die Losungen und Aufrufe, die Bilder und BezOge mit ihren eigenen, ihren individuellen, ihren spezifischen, mithin mit ihren konkreten und besonderen Erfahrungen auf. Sie bezogen die sprachlich bildhaften Umschreibungen auf die gegebenen Umstande wie erhoffien Veranderungen ihres Lebens: Gleichheit - darunter werden sie immer zumindest das, was sie bisher ungleich machte, polar gespiegelt gesehen haben. Einheit - darunter zumindest die Aufhebung all dessen, was sie in den vielen Landem nord-, west-, slid- und ostwarts drangsalierend trennte. Freiheit - das wird fur sie zumindest ein kommendes Dasein bedeutet haben, in dem · besiegt sein sollte, was sie bisher druckte, unterdruckte, vielfach leiden lieB. Immer konnten die angewachsenen Bedurfnisse und Forderungen die allgemeine semantische Qualitat von Sprache auffiillen, und in Zeiten revolutionarer Erwartung lag ein solches konkretes Verstehen uberall in der Luft ... Louise Otto-Peters hatte sich schon von sehr jungen Jahren an (das ist in unserem Kreis bislang unter mehrfachen Aspekten erforscht und belegt warden) von ganz verschiedenen Lebenspunkten aus auf das Schreiben, das schriftliche Tatigsein konzentriert - uber vielfache, anhaltende Korrespondenzen, uber das lebenslange Verfassen von Gedichten, eines umfangreichen Roman-Werks, uber ausgedehnte sozialkritische und kulturgeschichtliche Studien, uber eine neuartige politisch-literarische Publizistik, uber ein spezifisches Frauen­ Zeitungs-Projekt und manches andere mehr. Wir bleiben unter der Eigenart und dem Wirkungswert dieser Arbeit, wenn sie nur eng personlichkeitspsychologisch veranlaBt gesehen wiirde: sie konnte es eben nicht lassen, sie war eben doch sehr geltungsbedurftig ... Wirken zu wollen uber den privaten Umkreis hinaus, etwas bewirken zu wollen als heranwachsender junge Mensch, der weiblicher Natur war, also auch als Frau etwas bewirken zu wollen, das verlangte in jenen Jahren des vorigen Jahrhunderts - seit dem 17. und 18. Jahrhundert in den entstehenden burgerlichen Gesellschaften - in den politisch-publizistischen, den literarisch­ sozialkritischen Diskurs einzudringen. Es verlangte unbedingt, uber Korrespondenz und Buch. uber Adresse und Rezension in Zeitung und Zeitschriften, in Kalendem und Postillen im groBeren Kreis, im gesellschaftlichen AusmaB gehort zu werden. Wer also sozial und politisch kritisch dachte, protestierend dachte, verandemd eingreifen wollte, wer neue Wege fur vorstellbar und gangbar hielt, sie selbst gehen wollte, ging, wer also - im allgemeinen Begriff gesetzt - fur Umbruch und Aufbruch, fur Revolution, fur 39

Zusammenschlul3 und neue staatliche und okonomische Strukturen in alien deutschen Landen eintrat und wer dann auch noch fur die Aufhebung der Geschlechterrollen-Ungleichheit, fur Frauen-Selbstbewul3tsein, fur ErwerbsUi.tigkeit von Frauen focht, der oder die m u J3 t e veroffentlichen, mul3te literarisch und publizistisch, am besten auf alien Gebieten, tatig sein. Buch und Zeitung- der Rundfunk, das Fernsehen, das Internet jenes Zeitalters! Bin schneller, in diesem einen Punkt aber zutreffender Vergleich. In jenem damaligen medialen Diskurs prii.sent zu sein, dort seine Stimme in der Sprache und in dem Tonfall zu erheben, wie es charakteristisch und zeitreprasentativ sein konnte, das war Bedingung fur moglichen Einflul3 und potentielle Wirkung. Auf diesen einen Punkt sollten wir die vielfachen Einsichten iiber Louise Otto-Peters zusammenfuhren: seit fiiihen Lebensjahren schreiben und publizieren und seit fiiihen Jahren gesellschaftskritisch aufinerksam erfahren und verii.ndem zu wollen - das speist sich fur Louise Otto-Peters offensichtlich nicht aus getrennten Absichten und Zielstellungen. Eines motiviert und resultiert sich wechselseitig aus dem anderen. Was sollte wozu abgetrennt voneinder gekennzeichnet werden? DaB solche Publizitats-Konzeption in der damaligen Censur- und Splitter-Vielstaaterei miihsam und gefahrlich gewesen war, wissen wir. Miihsam und gefahrlich fur alle, die es wagten. August Peters konnte nur der geliebte Verlobte in Haft sein. Fur Manner also, denn sie vor allem wagten es. Was Frauen dazu einsetzen mul3ten, wenn auch sie es wagten, wir ahnen es in diesem Kreis. Deshalb ist dies vielleicht hier ein iiberflussiger Nachsatz. Aul3erhalb unserer Runde aber bleibt es in den jetzigen Zeiten zu erkHiren. Ermutigung braucht Erinnerung. Aber das ist dann ein anderer Text, auch er mul3 gut vorbereitet sein. 40

Else Sauer (Leipzig)

Erinnerung an Helene Lange anlaBlich ihres 150. Geburtstages

In diesem Jahr haben die Historiker in vielfaltiger Weise die revolutionaren Ereignisse von 1848 in Erinnerung gerufen. - Auch fur die erste Generation der deutschen burgerlichen Frauenbewegung, mit Louise Otto-Peters an der Spitze; gab die burgerlich-demokratische Revolution einen starken AnstoB fur die Formierung des Kampfes urn Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts, wennschon noch viele Jahre vergingen, ehe dieser Kampf feste organisatorische Formen annahm. Das Jahr 1848 ist auch das Geburtsjahr einer der bedeutendsten Vertreterinnen der zweiten Generation der deutschen burgerlichen Frauenbewegung: Helene Lange. Sie erblickte am 9.4.1848 in Oldenburg das Licht der Welt. Zu dieser Zeit zog ihre wesentlichste Gegenspielerin im Rahmen der Bewegung - Minna Cauer - (am 1.11.1841 geboren) - bereits in kindlicher Begeisterung schwarz-rot-goldene Fahnchen schwingend und Freiheitslieder singend durch ihren Geburtsort Freyenstein. - Wahrend sich Helene Lange zur Fuhrerin der gemaBigten Majoritat der burgerlichen Frauenbewegung in Deutschland entwickelte, vertrat Minna Cauer eine radikalere Minoritat. Der Meinungsstreit ging urn die Strategie und Taktik der Bewegung und entztindete sich an der Reihenfolge der anvisierten Ziele. Den Schwerpunkt ihrer Arbeit sah die deutsche burgerliche Frauenbewegung seit ihren Anfangen in dem Ringen urn das Recht der Frauen auf Bildung. Sowohl in der Fuhrung als auch in der Anhangerschaft der Bewegung dominierten die padagogischen Berufe. Diese Krafte - stark beeinfluBt von den Ideen der Autklarung - verbreiteten die Uberzeugung, daB die Losung des Frauenbildungsproblems der Kern der Frauenfrage uberhaupt sei. 1 Umfassende und grundliche Bildung galt als notwendige Voraussetzung fur die Entfaltung der weiblichen Individualitat. Zugleich sah man in einem hohen Bildungsniveau, gepaart mit Leistungswillen und sittlicher Reife, die wichtigsten Vorbedingungen fur die Gewinnung aller weiteren Frauenrechte in Beruf und Politik sowie die Grundlage fur eine verantwortliche Mitwirkung der Frauen in Staat und Gesellschaft. - Helene Lange machte sich diese Orientierung zu eigen, wahrend Minna Cauer und ihre Anhangerschaft in dem vordringlichen und mit politischen Mitteln gefuhrten Kampf urn die Erlangung der vollen Staatsburgerrechte uberhaupt erst die Voraussetzung fur die Gewinnung der Gleichberechtigung der Frauen auf allen weiteren Gebieten sahen. Die viele Jahre innerhalb der Bewegung wahrende Auseinandersetzung wurde vor allem in zwei aus der Vielzahl der Frauenzeitschriften herausragenden, sehr

1 Vgl. Gertrud Baumer: Helene Lange, Liibeck 1933, S. 36. 41

anspruchsvollen Organen ausgetragen. Sie erschienen beide seit dem Jahr 1895. Helene Lange war die Begrtinderin der Monatsschrift Die Frau, Minna Cauer gab die Halbmonatsschrift Die Frauenbewegung heraus. Beide Kampferinnen fur die Rechte der Frauen waren Lehrerinnen und gehorten damit einem der wenigen Berufe an, die zu jener Zeit den kleinbiirgerlichen und biirgerlichen Frauen zuganglich waren und gesellschaftliche Akzeptanz fanden. An welch enge Grenzen jedoch alle bildungshungrigen Madchen und Frauen noch im letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts in Deutschland allgemein stiel3en, hat Helene Lange anschaulich in ihren Lebenserinnerungen geschildert. Es heillt darin: ,Als wir zum ersten Mal mit dem Onkel nach Tubingen gingen, holte uns der Sohn des Hauses am Bahnhof ab ... Das Gesprach drehte si eh urn die Vorlesungen, die er horte: Ethik, Dogmatik, Philosophie ... So etwas gab es also! Das konnte so ein gliickseliger junger Mann alles horen; es wurde ihm noch als Tugend angerechnet, wenn er nicht schwanzte. Und davon waren wir Frauen als ganz selbstverstandlich ausgeschlossen, auch wenn innere und aul3ere Not uns drangte! lch wul3te, ich wiirde meinen Weg durchs Leben zu machen haben, aber ich wiirde auf Surrogate angewiesen sein .. . - Vielleicht war diese Stunde die Geburtsstunde der 'Frauenrechtlerin' in mrr.• " 2 Der Kampf urn die Brechung des mannlichen Bildungsprivilegs gehort zu den herausragendsten Verdiensten der biirgerlichen Frauenbewegung, woran Helene Lange mal3geblich beteiligt war. Zwischen 1876 und 1891 arbeitete Helene Lange als Lehrerin an den Crain'schen Anstalten in Berlin, einer hoheren Madchenschule, der ein Lehrerinnenseminar angeschlossen war. Helene Langes ganzes Bestreben ging dahin, die hohere Madchenbildung so zu gestalten, daB sie qualitativ den Anschlul3 an ein Hochschul- bzw. Universitatsstudium ermoglichte. So verfal3te Helene Lange neben vielen anderen Aktivitaten die Begleitschrift zu einer Petition an den preul3ischen Landtag Die hohere Madchenschule und ihre Bestimmung betreffend, die in die Geschichte der Bewegung als bertihmte ,Gelbe Broschiire" einging.3 Schon 1878 hatte der ADF, in dem Helene Lange fuhrend mitwirkte und dessen Vorsitz sie im Oktober 1902 iibemahm, aus Stiftungsmitteln einen Studienfond angelegt, mit welchem in Ausland studierende Frauen unterstiitzt wiirden.4 Unter Ausschopfung der gleichen finanziellen Quellen erfolgte am 10.10.1889 auf eigenes Risiko in Berlin die Einrichtung erster Realkurse fur Frauen zur Vorbereitung auf das Abitur. Die Initiative ging besonders von Helene Lange und der Arztin Franziska Tiburtius (einer der ersten Arztinnen Berlins) sowie von Minna Cauer als Vorsitzende des Vereins ,Frauenwohl" aus. Helene Lange iibemahm die Leitung der Berliner Realkurse, die bald anderen Orts Nachahmung fanden und 1893/94 in direkte

2 Helene Lange: Lebenserinnerungen, Berlin 1925, S. 74 f. 3 Vgl. Emmy Beckmann: He/ene Lange. Quellenhefte zum Frauenleben in der Geschichte, Heft 25, Berlin 1931, S. 3. 4 Staatsarchiv Leipzig, Polizeiprasidium Leipzig, Akte Vereine Nr. 280, 1907-1942, Nr. 2658, Jubilaumsschrift des ADF von 1890, S. 5. 42

Gymnasialkurse umgewandelt wurden. Urn der untergeordneten Rolle, die den Lehrerinnen in den Madchenschulen zugewiesen wurde, entgegenzuwirken und in diesem Berufsstand eine schrittweise Annaherung an den Status der mannlichen Kollegen herbeizufuhren, griindete Helene Lange gemeinsam mit Auguste Schmidt und Marie Loeper 1890 den Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenverein, dessen Vorsitz Helene Lange his 1921 innehatte und worin sie eines ihrer wichtigsten Wirkungsfelder erblickte. Der dominierende, wenn nicht gar ausschlieBliche EinfluB des weiblichen Elementes auf die Frauenbildung ganz allgemein, stellte eines der am entschiedensten vertretenen Anliegen der Fuhrerinnen der burgerlichen Frauenbewegung - und speziell Helene Langes - uberhaupt dar. Hierin verkorperte sich gewissermaBen ihr feministisches Grundprinzip, wonach sich der Anspruch auf Gleichberechtigung der Frau primar aus dem Erfordernis ableitete, die bisher einseitig mannlich entwickelte gesellschaftliche Kultur durch emen spezifisch weiblichen Beitrag zu bereichem und zu erganzen. Helene Lange hatte ,am liebsten ganze Frauenuniversitaten nach englischem Vorbild geschaffen", urn die Frau ausschlieBlich durch 5 Frauen zu erziehen und zu bilden. - In ihren wissenschaftlichen Anstrengungen konzentrierten sich die biirgerlichen Frauenrechtlerinnen in erster Linie auf den sozialen Problemkreis. Seine theoretische Erforschung und praktische Bewaltigung wurde - nach einem Wort von Helene Lange - als die ,konigliche Domane der Frau der Zukunft"6 angesehen. Urn der immer wiederholten These, die Frauenbewegung sei ,organisierte Miitterlichkeit"7 Beweiskraft zu verleihen, ging man daran, die Notwendigkeit sozialer Tatigkeit philosophisch zu begriinden sowie die Gebiete der sozialen Fursorge zu systematisieren und wissenschaftlich auszubauen. So verbreitete sich in der biirgerlichen Frauenbewegung zunehmend der Gedanke, soziale Frauenschulen nach dem Vorbild der amerikanischen Schools of Philanthropy zu griinden, in denen Frauen und Madchen fur eine feste berufliche Tatigkeit in den freien und caritativen W ohlfahrtsorganen ausgebildet werden und gleichzeitig eine fachliche Kaderreserve fur zu schaffende staatliche Einrichtungen des Sozialwesens darstellen sollten. Die sozialen Frauenschulen sind auf die direkte Initiative der biirgerlichen Frauenbewegung zuriickzufuhren und waren in gewisser Hinsicht ihre charakteristischste Schopfung. Helene Lange hat noch in fortgeschrittenem Alter zwischen 1917 und 1920 an der damals von ihrer nahen Gefahrtin Gertrud Baumer geleiteten sozialen Frauenschule in Hamburg unterrichtet. Zwei liberate Personlichkeiten haben Helene Langes politische Orientierung nachhaltig beeinfluBt. Dies war zunachst Karl Schrader (geb. 1834, gest. 1913), Direktionsmitglied der Deutschen Bank und fuhrend im Aufsichtsrat der deutschen Eisenbahnen und der Anatolischen

5 Margarete Veeh: Aitsbreitung und ideologische Begrundung der deutschen Frauenbewegung in der Gegenwart. Phil. Diss., Heidelberg 1932, S. 10. 6 Helene Lange: lntel/ektuel/e Grenzlinien zwischen Mann und Frau. In: Die Frau, 4. Jg., H. 6 vom Marz 1897, S. 332. 7 Helene Lange: Lebenserinnerungen, a. a. 0., S. 184. 43

Bahn. Politisch war er in der Freisinnigen Vereinigung federfuhrend tatig und gehorte zu den Vordenkem dieser linksliberalen Partei. Schrader stand Friedrich ill., Kronprinz und 1888 kurzzeitig deutscher Kaiser, nahe. In einer spaten Ehe war Schrader mit Henriette geb. Breymann, der Nichte Friedrich Frobels, verheiratet. Im Schrader' schen Haus in Berlin fanden in den 70er und 80er Jahren sogenannte ,,Padagogische Abende" statt, an denen sich fortschrittliche intellektuelle Personlichkeiten trafen und wo ganz allgemein gesellschaftliche und besonders auch Frauenbildungsfragen erortert wurden.8 Hier entstand auch der Grundgedanke zu der bereits erwahnten ,Gelben Broschure". - Henriette Schrader-Breymann hatte enge, quasi freundschaftliche Beziehungen zur Kronprinzessin Viktoria, der Gattin Friedrich Ill. Beide Frauen standen in engem gedanklichen Austausch und personlichen Kontakt. 9 Friedrich Naumann (geb. 1860, gest. 1919), evangelischer Theologe und Politiker, auBerdem eng befreundet rnit Helene Lange und Gertrud Baumer, war die zweite Personlichkeit, die auf das politische Denken und Handeln Helene Langes einwirkte. Er brachte den von ihm 1896 gegrtindeten Nationalsozialen Verein in das freisinnige Lager ein und gab der Freisinnigen Vereinigung eine scharf nationalistische Note. In dieser Richtung tibte er auch einen starken EinfluB auf die beiden fuhrenden Frauenrechtlerinnen und dartiber hinaus weite Kreise der btirgerlichen Frauenbewegung aus, zumal der Verein zu denjenigen Organisationen der Bourgeoisie gehorte, die den Frauen am frtihesten die Mitgliedschaft gewahrten. Aus dieser Tatsache ist auch der spatere Zustrom der Ftihrerinnen des BDF zur Freisinnigen Vereinigung zu erklaren. Mit ihren Forderungen nach Selbstbestimmungsrecht und Freiheit der Personlichkeit stellte die btirgerliche Frauenbewegung ihrem Ursprung und Wesen nach ein geistiges Produkt des Liberalismus dar. Ihre Ftihrerinnen hatten sich in der ersten Entwicklungsphase der Bewegung ohne Ausnahme zum liberalen Prinzip, das fur sie zugleich als demokratisches gait, bekannt. Dieses ideologisch-politische Erbe tibemahm auch die nachfolgende Generation der Frauenrechtlerinnen - Helene Lange eingeschlossen - ungeachtet der grundsatzlichen Bestrebungen, der Bewegung ein politisch neutrales Geprage zu geben bzw. zu bewahren. - Der Liberalismus ist als soziale und historische Stromung Produkt, Ausdruck und Agens einer bestimmten geschichtlichen Epoche, im wesentlichen der des vormonopolistischen Kapitalismus. Danach setzen irreversible Auflosungs- und Zersetzungserscheinungen ein, die dem Liberalismus fortschreitend seine sozialokonomischen und frtiheren ideellen Grundlagen entziehen. - Den Vertreterinnen der zweiten Entwicklungsetappe der btirgerlichen Frauenbewegung konnten auf Grund ihrer eigenen praktischen Erfahrung rnit den politischen

8 Vgl. He1ene Lange: Aus personlichen Eindrucken. In: Die Hilfe, 19. Jg. Nr. 20 vom 15.5.1913, S. 311. 9 Henriette Schrader-Breymann. Ihr Leben aus Briefen und Tagebilchern, Berlin u. Leipzig 1927, Bd. I, S. 30, Bd. II, S. 42. 44

Parteien des Liberalismus die auBeren Anzeichen von dessen fortschreitender Krise nicht verborgen bleiben. Sie setzten jedoch fur die Realisierung ihrer Plane und Projekte unbegriindet grol3e Hoffimngen auf die Neuentfaltung einer liberalen Ara unter dem ktinftigen Kaiserpaar Friedrich Ill und Viktoria. Letztere war alteste Tochter der englischen Konigin 10 Viktoria, jener , Grol3mutter Europas" , deren Nachkommen in zahlreichen Herrscherfamilien eine bedeutende politische Rolle spielten. - In einem liberalen Milieu aufgewachsen, brachte Viktoria als deutsche Kronprinzessin und ktinftige Monarchin dem im wesentlichen von Helene Lange erarbeiteten Bildungsprogramm der Frauenrechtlerinnen viel Sympathie und Interesse entgegen. In einer unrealistischen Einschatzung der Lage schlossen die Frauenrechtlerinnen daraus bereits in der Perspektive die kampflose Gewahrung der angestrebten Recht und Freiheiten. - In der Person Viktorias versinnbildlichte sich uberhaupt die liberal­ monarchistische Herrschaftsform, die der Vorstellungswelt der gemal3igten Frauenrecht­ lerinnen entsprach. Viktoria betonte auch nach aul3en ihre nahen Beziehungen zu den fuhrenden burgerlichen Frauen. Diese nahmen z. B. an den Ziviltrauungen der Tochter des Herrscherpaares teil. 11 Nach dem Tode Kaiser Wilhelm I. im Marz 1888 beauftragte Viktoria Helene Lange mit einem Studium der englischen Frauenbildungsverhaltnisse zur spi:iteren Realisierung in Deutschland. 12 Helene Lange war begeistert davon, daB sich der Staat in England nicht in die Bildungssphare einmischte und die gesellschaftlich fuhrenden Kreise die gesamte Bildungsbewegung lebhaft unterstutzten. - Bei Langes Ruckkehr nach Deutschland hatte der Studienaufenthalt sein eigentliches Ziel verfehlt, weil Viktoria durch den so raschen Tod des neuen Kaisers Friedrich Ill. selbst jeglichen Einflul3 verlor, sogar unter dem Regime ihres Sohnes Wilhelm II. als politische Intrigantin bewacht und verfemt wurde. Der Ubergang zur Ara Wilhelm 11. wurde mit Recht als schwerer Schlag fur das Schicksal der burgerlichen Frauenbewegung insgesamt empfunden, da der neue Kaiser die Devise vertrat, daB die Welt der Frau auf die vier grol3en K: ,Kirche, Kuche, Kinder, Kleider"13 beschrankt bleiben sollte. - War damit schon an die Verwirklichung der Bildungsforderungen auf kurze Sicht nicht zu denken, so riickten die staatsburgerlichen Frauenziele erst recht in weite Feme. - Nach einer Phase der Resignation setzte urn die Jahrhundertwende seitens der Frauenrechtlerinnen eine kritische Beschaftigung mit den burgerlichen Parteien allgemein und speziell mit den Verfallserscheinungen des Liberalismus ein. Diese bezogen sich naturgemi:il3 in erster Linie auf das Verhaltnis des Liberalismus zur Frauenfrage. In Selbstuberschi:itzung der eigenen Kri:ifte und Moglichkeiten ging man davon aus, daB die Frauen als demokratisches

10 Vgl. Herbert Tingsten: Konigin Viktoria und ihre Zeit, Munchen 1997. 11 HeleneLange: Lebenserinnerungen, a. a. 0 ., S.171. 12 Ebenda, S. 141. 13 Ebenda, S. 168. 45

Element den Liberalismus erneuern und ,veijOngen" 14 konnten. Ausgehend von dieser Vorstellung traten die meisten und prominentesten FOhrerinnen des 1894 als Dachorganisation der Bewegung gegrOndeten Bundes Deutscher Frauenvereine - mit Helene Lange und Gertrud Baumer an der Spitze - nach dem lnkrafttreten des Reichsvereinsgesetzes 1908 in die Parteigruppierungen des Linksliberalismus ein. Dies ergab sich nicht nur aus der Tatsache, daB die Nationalliberale Partei zunachst weiterhin zogerte, den Frauen ihre Reihen Oberhaupt zu offuen, sondem auch aus der Einsicht, daB die Frauenbewegung von jener Partei bezOglich der Durchsetzung ihrer Forderungen nichts zu erwarten hatte. - Aber auch im linksliberalen Lager wurden die Frauen sehr enttauscht. Der groBe Optimismus und Elan, mit dem sie in den Kreis ihrer mannlichen Parteifreunde kamen, wurde gedampft durch den selbst fur gemai3igte Frauenrechtlerinnen ,niederschmettemden Eindruck der Schwunglosigkeit, des Stumpfsinns und der Geistestragheit" 15 des gesamten Parteilebens. Obwohl sie sich voll in die Parteiarbeit einspannen lieBen, gelang es den Frauen vor dem ersten Weltkrieg nicht, in ihrem Sinne auf die Programmgestaltung der Fortschrittlichen Volkspartei, zu der sich der Linksliberalismus 1910 zusammenschloB, einzuwirken. - Unter solchen Bedingungen urteilte Helene Lange spater Ober die politische Wirksamkeit der bOrgerlichen Frauen in der Parteiarbeit: ,,Es war und blieb der schwachste Teil der Frauenbewegung." 16 Selbst der totale ,,Bewahrungs"-Einsatz der bOrgerlichen Frauen im Nationalen Frauendienst fuhrte nicht zur Anerkennung ihrer staatsbOrgerlichen EbenbOrtigkeit. - Erst die Novemberrevolution brachte den Frauen das lange vergeblich erkampfte Stimmrecht und damit formal die Gleichberechtigung. Helene Lange blieb- mit der Mehrzahl der fuhrenden BDF-Mitglieder- dem Linksliberalismus treu und arbeitete nach 1918 weiter in der neuformierten Deutschen Demokratischen Partei, deren Ehrenvorsitzende sie wurde. In der Weimarer Republik wurden die groBen Verdienste Helene Langes im Kampf fur die Rechte aller Frauen entsprechend gewOrdigt. So verlieh ihr 1923 die TObinger Universitat die EhrendoktorwOrde der Staatswissenschaften. 1928 erhielt sie die groBe Staatsmedaille ,fur Verdienste urn den Staat" seitens der preui3ischen Regierung. - Als sie am 17. Mai 1930 starb, hielt an ihrem Grabe Theodor HeuB die Trauerrede.

14 Die Frau, 14. Jg., Nr. 11 vom August 1907, S. 646. 15 Helene Lange: Lebenserinnerungen, a. a. 0 ., S. 238. 16 Ebenda, S. 239. 46

Hans-Jiirgen Arendt (Leipzig)

Zum 75. Geburtstag von Frau Dr. Else Sauer

Meine Darnen, gestatten Sie bitte, daB ich mich irn besonderen der Referentin zuwende. Du, liebe Else, hast vorgestem Deinen 75. Geburtstag begangen, und das ist AnlaB, Dir nicht nur herzlich zu gratulieren und alles Gute zu wiinschen, sondem Dir auch von ganzern Herzen Dank zu sagen fur alles, was Du im Bildungs- und Hochschulwesen der DDR gerade fur unzahlige junge Frauen geleistet hast und nicht zuletzt fur Dein wissenschaftliches Lebenswerk auf dern Gebiet der Geschichte der Frauenbewegung. Du bist in Dusseldorf geboren, hast die Volksschule absolviert und noch kurz vor dern Ende des zweiten Weltkrieges in Dresden eine Fursorgerinnenschule besucht; die Ausbildung fand ihr Ende in dern Amerikanischen Bornbenangriffvorn Februar 1945. Erst 1948/49 konntest Du Deine sozialpadagogische Ausbildung fortsetzen und abschlieBen - an der traditionsreichen Henriette-Goldschmidt-Schule, wo Du dann auch als Lehrkraft und stellvertretende Direktorin etliche Jahre tatig gewesen bist. Du warst dann in Berlin an einer Lehrerbildungseinrichtung und an einer Medizinischen Fachschule tatig und danach wieder in Leipzig an der Fachschule fur Angewandte Kunst. V on 1964 bis 1983 warst Du an der Leipziger Theaterhochschule an der Ausbildung junger Kunstler und Kunstlerinnen beteiligt, zunachst als Oberassistentin, spater als Dozentin und eine Zeitlang auch als Prorektorin fur Gesellschaftswissenschaften. Dein ganzer Werdegang seit dern Ende des zweiten Weltkrieges war somit auch eng mit dern Werden und Wachsen der DDR verbunden, die fur Dich und viele andere Deiner Generation vor allern ein Stiick Deutschland war, das mit der unseligen Vergangenheit gebrochen hatte und das - wie es schien - eine bessere Zukunft verkorperte. Verbunden damit war fur Millionen junge Frauen und auch vieler Frauen im mittleren Alter der Weg zur Gleichberechtigung und zur Entfaltung der eigenen Personlichkeit durch qualifizierte berufliche Tatigkeit. Deine Biographie ist ein Beleg dafur, und Deine Arbeit war der Erziehung und Bildung gerade junger Frauen ja stets gewidrnet. Urn die Mitte der sechziger Jahre hast Du mit den Vorarbeiten zu einer Dissertation uber die Geschichte der burgerlichen Frauenbewegung begonnen. Es ging vor allern urn die Entwicklung ihrer Dachorganisation, des Bundes Deutscher Frauenvereine, zwischen der Griindung und dern ersten Weltkrieg. Irn Friihjahr 1970 hast Du die Arbeit mit sehr gutern Erfolg offentlich an der Leipziger Karl-Marx-Universitat verteidigt. 1

1 Vgl. E. Sauer: Die Entwicklung der burgerlichen Frauenbewegung von der Grundung des Bundes deutscher Frauenvereine 1894 bis zum ersten We/tkrieg. Phil. Diss. Leipzig 1969 (ungedruckt). 47

Ich erinnere mich Deines Autorenreferats, in dem es vor allem urn das Verhaltnis zwischen 2 biirgerlicher und proletarischer Frauenbewegung ging ( der Problemkreis war spater Gegenstand auch von Kontroversen in der Bundesrepublik, und die Diskussion dazu ist noch immer nicht zu Ende, wenn man ihre bisherigen, durchaus unzureichenden Resultate in Betracht zieht). Ich war damals - wie man so sagt - ein ,junger Dachs" und stand selbst kurz vor der Verteidigung meiner Dissertationsschrift, die der Frauenpolitik der KPD gewidmet war. Dein souveranes Auftreten in der Verteidigung Deiner Arbeit setzte in der F orschungsgemeinschaft, der wir beide angehorten, MaBstabe. Meine Aufmerksamkeit fur das Geschehen in dem alten Amtsgerichtsgebaude am Peterssteinweg, in welchem sich damals das Historische Institut befand, war nicht zuletzt deshalb groB, weil es da fur den eigenen Auftritt nur ein paar Wochen spater etwas zu lernen gab. Deine Arbeit selbst, die iiber vierhundert Schreibmaschinenseiten umfaBte, habe ich dann immer wieder zur Hand genommen. Sie ist hochinteressant; auch heute ist sie in vielen Partien iiberhaupt nicht durch die Forschungsentwicklung iiberholt, weil sie von Fragestellungen ausging, die zum Teil - ich denke an Arbeiten aus der Bundesrepublik, aus GroBbritannien und den USA - nicht wieder aufgegriffen worden sind. Zum ersten Mal wurde auf solider quellenmaBiger Grundlage eine wesentliche Entwicklungsetappe der deutschen biirgerlichen Frauenbewegung von methodologischen Positionen des historischen Materialismus aus behandelt. Zum ersten Mal auch wurde in eine Spezialuntersuchung zur Geschichte der Frauenbewegung in Deutschland auch ungedrucktes, archivalisches Material einbezogen, aus dem Zentralarchiv in Potsdam (heute Teil des Bundesarchivs) und aus anderen Archiven. Die his dahin in der Weimarer Republik, im faschistischen Deutschland und in der Bundesrepublik erschienenen Arbeiten zur Geschichte der Frauenbewegung waren, soweit ich mich erinnere, ausschlieBlich aufLiteratur und gedruckte Quellen basierende Untersuchungen. Interessant erscheinen mir auch heute noch vier wichtige Aspekte Deiner Untersuchung: 1. Deine Auffassung des Begriffs ,Frauenbewegung", insbesondere dessen Gebundenheit an progressive, dem Prinzip der Gleichberechtigung der Geschlechter verpflichtete Bestrebungen; 2. die Behandlung des Bundes Deutscher Frauenvereine als Teil der biirgerlichen Organisationsbestrebungen in der Friihperiode des deutschen Imperialismus (nicht nur als Verkorperung frauenemanzipatorischer Bestrebungen) ; 3. Deine Antwort auf die Frage nach dem primar sozial-klassenmaBig bedingten Verhaltnis zwischen biirgerlicher Frauenbewegung und biirgerlichen Parteien, einer nach wie vor von der Forschung stark vernachlassigten Problematik, der aber m. E. eine Schliisselrolle in der Entwicklung der biirgerlichen Frauenbewegung und ihrer Organisationen zukommt.

2 Vgl. dies.: Zum Verhiiltnis zwischen der burger/ichen und der proletarischen Frauenbewegung von 1894 bis 1914. In: Wissenschafl/iche Studien des Piidagogischen Instituts Leipzig, Heft 2, Leipzig 1970, S. 134-138. 48

Gerade unter diesen Aspekten waren Deine Forschungsergebnisse auch fur meine eigenen Arbeiten, die sich spater z. T. auch mit der burgerlichen Frauenbewegung in der Weimarer Republik beschaftigt haben, 3 in hohem MaBe anregend. Und auch and ere Untersuchungen, die in der Forschungsgemeinschaft zur Geschichte der Frauenbewegung an der Padagogischen Hochschule ,Clara Zetkin" erfolgt sind, haben Erkenntnisse Deiner Arbeit immer wieder einbezogen, zuletzt die an der Carl-von-Ossietzky-Universitat Oldenburg verteidigte Arbeit meines letzten Promovenden Klaus Honig uber den BDF in den Jahren 1919 his 1933, die auch 4 im Druck erschienen ist. - Viele Hochschulschriften von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der DDR, darunter auch Deine, konnten ja nicht gedruckt werden, weil kein Papier zur Verfugung stand und wohl auch, weil es in der Wissenschafts- und V erlagspolitik kein entsprechendes Verhaltnis zur Publikation von Monographien und Spezialuntersuchungen gab. Ich erinnere mich, daB ich auf einer Konferenz im osterreichischen Linz im Herbst 1978 von einer Schweizer Historikerin gefragt worden bin: Wie kommt man denn an die Dissertation von Else Sauer heran? Deine Arbeit, liebe Else, war - auch das sei noch gesagt - die erste aus unserer Forschungsgemeinschaft, die als Dissertation verteidigt wurde. Das war zu einer Zeit, als es in der Bundesrepublik noch gar keine etablierte historische Frauenforschung gab, aber eben auch zu einer Zeit, als die dort gerade entstandene Neue Frauenbewegung - vielleicht die wichtigste Auslauferin der demokratischen Bewegung von 1968 - ihr tiefes Interesse an den Fragen der Geschichte zu bekunden begann. In der DDR war die am damaligen Padagogischen Institut Leipzig entstandene Forschungsgemeinschaft zur Geschichte der proletarischen Frauenbewegung gerade dreieinhalb Jahre alt. Du hast - obgleich ja nicht an dieser Hochschule tatig - den Arbeiten der Forschungsgemeinschaft und insbesondere des wissenschaftlichen Nachwuchses immer groBes Interesse entgegengebracht. Du warst an Begutachtungen beteiligt, hast auf Kolloquien das Wort ergriffen und in unseren Publikationsorganen noch manches eigenes Arbeitsergebnis veroffentlicht. Es sind in den Jahren zwischen 1970 und 1991 in der Forschungsgemeinschaft noch etwa funfzig Dissertations- und Habilitationsschriften entstanden, auch etliche biographische Arbeiten und viel eher organisations- und ideologiegeschichtliche. 5 Man mag

3 Vgl. H.-J. Arendt: Die barger/ichen Frauenorganisationen in der Weimarer Republik. In: Jahrbuch for Geschichte, hrsg. v. d. Akademie der Wissenschaften der DDR Zentralinstitut fiir Geschichte, Bd. 38, Berlin 1989, S. 167-200; derss: Frauenverbande gegen Frauenemanzipahon. Rechtskonservative und faschishsche Frauenorganisationen in der Weimarer Repub/ik. In: Wissenschaft/iche Zeitschrift der Piidagogischen Hochschule , C/ara Zetkin" Leipzig, Heft Ill (1990), S. 86-102. 4 Vgl. K. Honig: Der Bund Deutscher Frauenvereine in der Weimarer Republik (Deutsche Hochschulschriften, Bd. 1054), Egelsbach/Frankfurt!Washington 1995. 5 Vgl. dazu die Literaturberichte von H.-J. Arendt und F. Staude: Forschungen zur Geschichte der Frauenbewegung. In: Historische Forschungen der DDR 1970-1980. Analysen und Berichte. Zum XV. lntemahonalen Historikerkongref3 in Bukarest 1980 (Zeitschrift fiir Gesellschaftswissenschaft, Sonderband 1980), Berlin 1980, S. 707-719; und H.-J. Arendt, P. Rantzsch und F. Staude: Ergebnisse historischer 49

uber ihre weltanschaulich bedingten methodologischen Positionen heute geteilter Meinung sein, die eine oder andere Arbeit auch fur wenig gegluckt und gewisse Fragestellungen fur uninteressant oder belanglos halten - aber sie verkorpem insgesamt viel forscherischen Fleill, viele interessante Ergebnisse und reichhaltiges Faktenmaterial. Und so kann man auch tiber das alles nicht - wie geschehen - mit ein paar pauschalen Urteilen hinweggehen, so als ob es eigentlich eine historische Frauenforschung in der DDR gar nicht gegeben hatte, sondem nur allzu ideologietrachtige Beitrage zur SED-Traditionspflege, zudem beteiligt ,an der Verktimmerung des FrauenbewuBtseins bzw. an der Desensibilisierung m der Geschlechterfrage", wie es fur die gesamte offizielle Forschung uber Frauen in der DDR charakteristisch gewesen sei.6 Ich bin sicher, daB das Wirken der Leipziger Forschungsgemeinschaft, der auch Du, liebe Else, angehort hast, einmal weniger vorurteilsbeladen, sachlich und mit dem notwendigen Bemuhen urn eine differenzierte Betrachtungsweise aufgearbeitet werden wird, im Geiste des Respekts vor wissenschaftlichen Leistungen der Forscherinnen und Forscher in beiden Teilen Deutschlands und zugleich mit der notwendigen kritischen Sicht auf die konkreten Ergebnisse. Auch die Kolleginnen und Kollegen der Forschungsgemeinschaft sind 1990/91 mancher Historikerin aus der Altbundesrepublik begegnet, die nicht die ideologische Konfrontation, sondem die Zusammenarbeit suchte. Doch die Bedingungen dafur verschwanden mit den sogenannten Abwicklungen, schlieBlich der Auflosung der gesamten Hochschule und mit ihr des F orschungszentrums. Worauf es ankommt, hat m. E. der Prasident der Berlin-Brandenburger Akademie der Wissenschaften, Prof Dieter Simon, ktirzlich in seinem Beitrag fur einen Sammelband sehr treffend zum Ausdruck gebracht: ,Es wird von grof3er Bedeutung sein, in welchem Umfange es den Wissenschaftlem aus der ehemaligen BRD gelingt, ihr bislang noch geringes Verstandnis fur die ostdeutschen Gesellschaftswissenschaften zu scharfen und sich mit deren Weltsicht wenn schon nicht anzufreunden, so doch in produktiver und nicht oberlehrerhafter Weise auseinanderzusetzen. "7 So bleibt mir zum Schluf3 nur noch die Aufgabe, Dir liebe Else, - und ich denke: hier spreche ich im Namen aller Anwesenden - nochmals alles Gute fur die kommenden Lebensjahre zu wtinschen, gute Gesundheit vor allem und eine nie versiegende Energie und Lebensfreude, wie sie Dir doch stets eigen gewesen ist.

Frauenforschung in der DDR 1980 his 1990. In: Mitteilungsblatt des Forschungszentrums , Frauen in der Geschichte ", Leipzig, Heft 2 (1990), S. 5-51. 6 Vgl. H. M. Nickel: Frauen in der DDR. In: Aus Po/itik und Zeitgeschichte, Bonn, v. 13.4.1990, 44; Chr. Eifler: Ein begrenzter Einstieg. Forschung iiber Frauen in der DDR. In: Zeitschrift for Frauenforschung, Bielefeld, Heft 1/2 (1993), S. 86 f. 7 Wissenschafl und Wiedervereinigung, Berlin 1998, S. 517. 50

Rita Jorek (Markkleeberg)

Mannerreaktion auf Frauenfortschritt Zum Beispiel: Dr. Paul Julius Mobius und Eisa Asenijeff

,Gem lasse ich mich belehren, und ein Buch, aus dem ich etwas lernen konnte, mag ich wohl. 1 Deshalb habe ich in den letzten Jahren viele Feministenbucher gelesen" , schreibt Dr. Paul 2 Julius Mobius, seines Zeichens Nervenarzt in Leipzig , im Vorwort zu seiner 1905 in siebenter Auflage erschienenen Schrift Ueber den physiologischen Schwachsinn des Weibes- ein Titel, der schon per se zur Polemik reizt. Sie war 1900 zum ersten Mal und bis zum Tod des Verfassers im Jahre 1908 neunmal herausgekommen und gait lange Zeit als eine Art Gegenbuch zu so grundlegenden Veroffentlichungen zur Frauenemanzipation wie die von John Stuart Mill, Harriet Taylor Mill und Helen Taylor3 oder August Bebels Die Frau und der Sozialismus. Es war ein Pamphlet gegen die Frau, gegen das ,Weib" - von Schopenhauer bis Mobius, aber bereits schon von einigen antiken Philosophen und den christlichen Kirchenvatern als minderwertiger Teil der Menschheit definiert -, es war eins der zahlreichen Pamphlete, die sich gegen die seit der franzosischen Revolution von Frauen erhobenen Forderungen nach gleichen politischen Rechten und nach einer menschenwiirdigen sozialen Stellung richteten. Dem Verfasser war selbstbewuBtes Denken und Handeln von Frauen ein Dorn im Auge. Er wollte, daB sie gesetzlich sanktioniert und moralisch definiert in einer untergeordneten, demutigenden Stellung bleiben, damit die eine Halfte der Menschheit von vielen Moglichkeiten, die das Leben bietet, ausgeschlossen, der anderen keine Konkurrenz bedeute. In Leipzig, wo 1865 der Allgemeine deutsche Frauenverein gegriindet worden war, wo Louise Otto-Peters, Henriette Goldschmidt, Auguste Schmidt ihre Stimme unuberhorbar erhoben und sich fur das Recht der Frau aufBildung und Erwerbstatigkeit einsetzten, muBte sich ein Dr. Mobius finden, urn der Frau Intelligenz, Schopferkraft, eine eigene ausgepragte Individualitat abzusprechen und triumphierend zu behaupten: ,Aller Fortschritt geht vom Manne aus."4 Zugleich zeterte er 5 gegen jene ,Manner, die den Weibern ihre Emancipations-Geluste eingeflosst haben" , bezeichnete sie als , Halbmanner", ,Feministen", , Weichlinge" usw. Selbst innerhalb der

1 7., veranderte Auflage, Halle a. d. S. 1905. S. 5. 2 Schiller des Naturphilosophen, Physikers und Anthropologen Gustav Theodor Fechner. Mobius stiftete mit anderen Kommilitonen das 1897 geweihte Fechner-Denkmal im Leipziger Rosental. 3 John Stuart Mill, Harriet Taylor Mill, Helen Taylor: Die Horigkeit der Frau. Hrsg. von Ulrike Helmer. Mit einem Nachwort von Hannelore Schrtider. Konigstein!faunus 1991 und 1997. 4 Dr. P. J. Mobius: Ueber den physio/ogischen Schwachsinn des Weibes. 9., vermehrte Auflage. Halle a. d. S. 1905, S. 18. 5 Ebenda S. 21. 51

Arbeiterbewegung kam auBer von August Bebel und in gewissem MaBe von Friedrich Engels6 kaum Unterstiitzung fur die Begriindung der Frauenrechte. Lassalles Auffassung, die Freiheit des vierten Standes sei Voraussetzung fur die Freiheit der ganzen Menschheit, ,seine Herrschaft (sei) die Herrschaft aller", kommentierte Hedwig Dohm mit dem Ausruf: ,Jawohl­ aller - mit Ausnahme der groBeren Halfte der Menschheit."7 Louise Otto-Peters emporte sich 1869 gegen die Beschliisse der sozialdemokratischen Partei. Sie fragte in den Neuen Bahnen: ,Aber die okonomische Abhangigkeit der Frau vom Manne bleibt bestehen?" Und fuhr fort: ,Wenn die Arbeiter ihren neuen Volksstaat nur auf die Sklaverei der Frauen griinden konnen, begehen sie ja dieselbe Ungerechtigkeit an der Menschheit, wie sie in den Sklavenstaaten alter und neuer Zeit herrschte." 8 Wissenschaftler zementierten diese Ungerechtigkeit. Herr Mobius schrieb in jenem Vorwort: ,,Da hat Marie Stritt ein Buch der Frau Charlotte Perkins-Stetson (Women and Economics) iibersetzt, das sie ein Standard-work nennt und mit Mill's Buch: 'der Bibel der Frauenbewegung' zusammenstellt. Das Original scheint 1899 erschienen zu sein, die Uebersetzung tragt den Titel 'Mann und Frau' (Dresden und Leipzig, H. Minden). Ei, dachte ich, das wird etwas Gutes sein, und fand ein geradezu schauerliches Machwerk." Nun referiert er pejorativ Ansichten der Autorin, die ahnlich wie Hedwig Dohm, Louise Otto-Peters, Mill/Taylor und andere die Frau als gleichwertigen Menschen betrachtet und sich gegen die zum Naturgesetz erhobene Degradierung gewendet hat. Er nimmt es iibel, daB auch sie sagte: Urn ihrer sklavenartigen Situation zu entkommen, miisse die Frau selbst Geld verdienen. Ihr Vorschlag, die Kinder sollten in entsprechenden Einrichtungen untergebracht werden, wird ihr ebenso angekreidet, wie ihre feminine Geschichtsbetrachtung. Aber das groBte Sakrileg besteht nach Mobius Auffassung darin, daB die ,amerikanischen Dame" ihre ,amerikanische Weisheit", diesen ,Unsinn", diese ,,Marchen", diese ,Scheusslichkeiten" wissenschaftlich begriindet. Sie ,wirthschafte mit der 'Sociologie', wie ein Wilder seine Keule schwingt, und tragt die tollsten Erfindungen als gesicherte Erkentniss vor". Mobius, der wie all dieseAntifeministen- so heiBt eine Schrift von Hedwig Dohm (1903)- nur behauptet und seine ,Beweise" ganz in den Dienst seiner Behauptungen stellt, spricht der Autorin jegliches Vermogen zur Wissenschaftlichkeit ab, urn sich dann zu beklagen iiber die Kritiken zu seinem Buch, das genauso ,wissenschaftlich" ist wie Schopenhauers zehn barbeiBige Absatze Ueber die Weiber, wie manches zum Thema, was Nietzsche oder viele Sozialpsychologen, Philosophen und Schriftsteller anderer Provinience schrieben.

6 Friedrich Engels: ,Der Umsturz des Mutterrechts war die weltgeschichtliche Niederlage des weiblichen Geschlechts." Zitiert nach: Das geheime Wissen der Frauen. Mtinchen 1995. S. 757. 7 Zitiert nach: Marielouise Janssen-Jurreit, Sexismus- Ober die Abtreibung der Frauen.frage. 3. (veranderte) Auflage. Mtinchen/Wien 1978. S. 211/212. 8 Ebenda S. 212. 52

Seinen Gedankengang wiirden seine Kritikerlnnen nicht verstehen und auch nicht, daB er gar kein Weiberfeind sei. Das beteuerten iibrigens alle. Es gehe urn das Wohl der Frau aber auch des Mannes vor allem; denn er soli sich im gemiitlichen Heim von den Strapazen seiner Arbeit ausruhen konnen. Und es geht urn das Wohl der Kinder, urn die Erhaltung der Art; denn gleiche Rechte fur die Frau bedeute Untergang der Zivilisation. Dieses Schauerszenarium geistert durch die Literatur und gipfelt in der Behauptung, der Emanzipationsbewegung gehe es ,urn die Aufrichtung der Frauenvorherrschaft und damit urn Macht iiber die Person und das 9 Vermogen des Mannes" . Sogleich wird den Frauen unterstellt, sie wollen die ganze Macht fur sich. Die Angst der Manner vor den Frauen existiert wohl auch heute noch. So interpretieren sie denn die legitime Forderung nach der Halfte der Macht fur die Frauen als Bestreben nach Herrschaft iiber die Manner. Das Wort Macht, das von ,machen", ,mater" abzuleiten ist, wird mit Gewalt und Krieg gleichgesetzt. So lobt man eher das ,zarte", das ,schwache Geschlecht"; denn - so warnt der Mobius - ware es ,nicht korperlich und geistig schwach, ware es nicht in der Regel durch die Umstande unschadlich gemacht, so ware es hochst gefahrlich".10 Der Arzt Mobius, von der Naturwissenschaft ausgehend, stellte sich die Aufgabe, Behauptungen von Philosophen wie Schopenhauer auf etwa funfundzwanzig Druckseiten ,exakt" zu beweisen. Deswegen spricht er vom ,,Physiologischen": Der menschlische Korper, besonders der Schadel sei der Beweis dafur, daB die im Durchschnitt kleinere Frau mit dem kleineren Schadel und dem kleineren Gehirn und angeblich weniger Gehirnwindungen ein minderwertiges Geschopf sei mit geringeren korperlichen und weit geringeren geistigen Kraften. Das Schlagwort heiBt ,lnferioritat": Minderwertigkeit und Dummheit. Bei Schopenhauer heillt es in Parerga und Paralipomena (§ 364): ,Zu Pflegerinnen und Erzieherinnen unserer ersten Kindheit eigenen die Weiber sich gerade dadurch, daB sie selbst kindisch, lappisch und kurzsichtig, mit einem Worte, Zeit Lebens groBe Kinder sind: eine Art Mittelstufe, zwischen dem Kinde und dem Manne, als welcher der eigentliche Mensch ist." In diesem Sinne und fast wortlich iibereinstimmend (ohne Quellenangabe) lesen wir bei Mobius: ,Korperlich genommen ist, abgesehen von den Geschlechtsmerkmalen, das Weib ein Mittelding zwischen Kind und Mann, und geistig ist sie es, wenigstens in vielen Hinsichten, auch." 11 Oder: , Das Weib ist karglicher mit geistigen Fahigkeiten versehen als der Mann und biisst sie eher wieder ein. Dieser Zustand ist von vorn herein vorhanden und unabanderlich. Die Gleichmacherei fuhrt zum Schaden der Gesellschaft, denn sie beeintrachtigt nicht nur die Gesundheit des Weibes, sondern auch Beschaffenheit und Zahl der Kinder."12

9 Dr. E. F. W. Eberhard: Feminismus und Kulturuntergang - Die Erotischen Grundlagen der Frauenemanzipa­ tion. Wien und Leipzig 1927. S. 18. 10 P. J. Mobius: Ueber den physio/ogischen Schwachsinn ... , 9. Auflage, S. 19. Siehe auch Fufinote 2, S. 5 dieses Heftes. 11 Ebenda S. 14. 12 P. J. Mobius: Ueber den physiologischen Schwachsinn .. . , 7. Auflage. S. 8. 53

Weniger die korperlichen Krafte, sondem vor allem die geistigen Fahigkeiten der Frau werden nicht nur in Frage gestellt, sondem regelrecht negiert und Madchengymnasien als unniitzer Kropf bezeichnet. Auf dem intellektuellen Gebiet - auch auf dem Gebiet der Ki.inste wird versucht - sie als gefahrliche Konkurrenz moglichst unschadlich zu machen. Aber Mobius erkennt bereits das sozialpolitische Problem der Verteilung von Arbeit und schreibt im Vorwort zur zweiten Auflage: ,Nimmt man an, die Feministen batten ihr Ziel erreicht, und die Weiber batten sich aller mannlichen Berufszweige und Rechte bemachtigt, so wi.irde im giinstigsten Falle das Ergebnis unniitz sein. Denn die Weiber wi.irden hochstens dasselbe was die Manner schon vorher geleistet haben, noch einmalleisten. Aber die Zahl der Arbeiter ware verdoppelt und der Werth der Arbeit vermindert." 13 Es ist fast so, als wi.irden wir die sachsische Zukunftskommission reden horen, die von der iiberhohten Erweibsneigung der Frauen im Osten Deutschlands sprach, durch die sich die Erwerbsmoglichkeiten der Manner einschranke. Ich brauche nur in die Zeitung zu schauen oder femzusehen und immer wieder begegnen mir mehr oder weniger ofTen die alten Vorurteile. Wieviel schlimmer mag es den Frauen gehen, die ihre Arbeitskraft auf dem mannlich dominierten Arbeitsmarkt anbieten miissen! Nur ein Zitat aus der LVZ vom 4. 11. 1998: Es wurden drei neue mannliche Abgeordnete mit ihren Problemen vorgestellt. Da heiBt es dann: ,Jedem Abgeordneten stehen eine ha/be Sekretarin und zwei wissenschaftliche Mitarbeiter zu." Dariiber liest doch jeder hinweg. Was hat das mit unserem Thema zu tun? Aber es ist bezeichnend, daB fur die Frau die halbe untergeordnete Stelle reserviert ist, sie selbst sozusagen halbiert ist, wahrend die bedeutenderen Stellen mannlich und scheinbar geschlechtsneutral definiert sind. Die Praxis lehrt dann, wie es urn die gleichen Chancen bestellt ist, auch urn die der weiblichen Abgeordneten. Gefallige Dienste beim Beiseiteschieben der weiblichen Konkurrenz leisteten jene Vorurteile, die im Dienste der Wissenschaft verbreitet wurden. Verbunden mit scharfer bis hohnischer Kritik an der Vergleichenden Psychologie der Geschlechter von Helene Bradford behauptet Mobius, es sei falsch anzunehmen, daB die Frauen, die iiber weniger korperliche Kraft verfugen, feinere Sinne und geschicktere Finger batten. Den Beweis lieferten die Manner, die als Wollsortierer und Teepriifer eingesetzt werden. ,Sobald, wie sich ein Mann einer Weiberarbeit annimmt, als Schneider, als Weber, als Koch u. s. w., so leistet er bessere Arbeit als das Weib."14 Und an anderer Stelle im Zusammenhang mit der von ihm aber auch von solchen Adepten wie Karl Schefller15 behaupteten ki.instlerischen Sterilitat der Frau heiBt es: ,Ja selbst die Kochkunst und die Kleiderkunst sind nur von Mannem gefordert worden, diese erfinden die neuen Recepte und die neuen Moden. Alles, was wir urn uns sehen", heiBt es bei

13 P. J. Mobius: Ueber den physiologischen Schwachsinn ... , 9. Auflage, S. 39. 14 Ebenda S. 17. 15 Vgl. Karl Scheffier: Die Frau und die Kunst, Berlin 1908. 54

Mobius weiter, ,jedes Hausgerath, die Instrumente des taglichen Gebrauchs, alles ist von den Mannem erfunden worden."16 Auch die Entwicklung der Geburtshilfe batten die Frau ,eher gehemmt als gefordert" schrieb Mobius. Er kann sich auf Reden und Aufsatze anderer Kapazitaten stiitzen Das liege daran, daB sie (bzw. ,es", das Weib) mehr instinktiv statt reflektiv handele. Der Entwicklung sei ,eigenthumlich, dass der Instinkt immer weniger, die Ueberlegung immer mehr zu bedeuten hat, dass das Gattungswesen immer mehr und mehr Individuum wird." Weiter schreibt er - und wir erinnem uns an jenen Satz von Schopenhauer, nachdem der Mann der eigentliche Mensch sei, ein Individuum eben: ,Der Instinkt nun macht das Weib thierahnlich, unselbstandig, sicher und heiter."Auch darnit wiederholt er die schopenhauersche Version. Frau soll gut handhabar fur den Mann sein, als Gebarmaschine und eventuell als Kindererzieherin brauchbar. Bei Nietzsche hort sich das folgendermaf3en an: ,So will der Mann das Weib friedlich, - aber gerade das Weib ist wesentlich unfriedlich, gleich der Katze, so gut es sich auch den Anschein des Friedens eingeubt hat.'d7 Dann wiederholen sie alle, Frau sei von schwacher Vemunft, sei listig, von ,instinktartiger Verschlageheit und einem unvertilgbaren Hang zum Lugen. Denn, wie den Lowen rnit Klauen und GebiB, den Elephanten rnit StoBzahnen, den Eber rnit Hauem, den Stier rnit Homem und die Sepia rnit der wassertrubenden Tinte, so hat die Natur das Weib rnit Verstellungskraft ausgerustet".18 Darnit wiederholen sie rnit anderen Worten, was wir schon aus der Bibel wissen. Das sei zu der Frauen Schutz und Nutzen notwendig, wird dann scheinheilig hinzugefugt, weil sie sich korperlich nicht wehren konne, musse sie List, Tucke, Lugen einsetzen. Zu diesen schlechten Eigenschaften, die den Frauen und ausschlief3lich ihnen eigen seien, gehort die Schwatzhaftigkeit. ,,Mulier taceat in ecclesia!" schreien sie alle, Napoleon I. sagte zu Madame de Stael: ,,Mulier taceat in politicis", und als ,echter Weiberfreund" ruft Nietzsche den Frauen zu: ,,Mulier taceat de muliere!" 19 Also sie soll sich gefalligst auch aus ihren eignen Interessen und Problemen heraushalten. Wie tief solche Vorurteile sitzen, war von Marcel Reich-Ranitzki und Hellmuth Karasek im literarischen Quartett am 30. Oktober 1998 bewiesen worden. Sie ereiferten sich uber das Buch einer Schriftstellerin, das von Sigrid Loftier und einer Schweizer Literaturwissenschaftlerin als sehr interessant vorgestellt wurde. Gegen die heftige Polernik der Gegenseite konnten sie letztlich nur ein verstandnisvolles Lacheln setzen. Als der Autorin Kathrin Schrnidt vor ein paar Monaten in Leipzig der Literatur-Forderpreis der GEDOK verliehen wurde, bezeichnete die Schriftstellerin Kerstin Hensel Die Gunnar-Lennefsen-

16 Ebenda S. 22. 17 Zitiert nach: Achim v. Winterfeld: Nietzsche's Ansichten uber Weib, Liebe, Ehe. Gautzsch b. Leipzig o. J. S. 5. 18 Arthur Schopenhauer: Parerga und Paralipomena, § 366. 19 ,Mulier taceat in ecclesia." (latein) iibersetzt: ,Die Frau schweige in der Kirche";, ... in politicis"- , ... in der Politik"; , ... de muliere" - , .. . iiber die Frau". 55

Expedition, die da in Grund und Boden verdammt wurde, als , ein barockes GroBpanorama unserer Zeitgeschichte", als einen ,prall-komischen Roman.in bester Erzahltradition." In diesem Zusammenhang verdient ein anderes Hiichlein, erwahnt zu werden, die Schrift eines Altphililologen, eines wohl staatlich geforderten Wissenschaftlers. Es geht urn Sappho und andere der noch etwa sechzig bekannten griechischen Dichterinnen. Von ihren Werken und Leben existieren oft nur wenige Bruchstiicken und wenige Fakten, was verschiedene Deutungsmoglichkeiten zulaBt. Dem Autor ging es vor allem darum darzutun, daB ihre Dichtungen, wenn sie nicht iiberhaupt von einem Mann geschrieben wurden, wenig bedeutsam gewesen waren. Ober Sappho ist zu viel bekannt, als daB ihr Verdienst und Wurde genommen werden konnten, aber sonst war es nur eine Dichterin, der in bezug auf ein Gedicht zugestanden wurde: ,Dies wenigstens war ein rein literarisches Spiel", das beweise, Anyte babe es , an Phantasie nicht gefehlt. "20 Obwohl Kritiker oft vemeinen, daB die Geschlechtsspezifik eine Rolle spiele - in Bezug auf Strukturen und asthetische Grundsatze gibt es gemeinhin auch keinen Unterschied - so stellt dieser Autor eher tadelnd fest: ,Aber es gibt nichts in ihren Epigrammen, was erkennen lieBe, daB sie eine Frau war." LaBt sich ab er Fraueneigenes ausmachen, erscheint es dem Manne in einem wiederum fragwiirdigen Licht. Er teilt uns mit: ,Nossis" (was soviel wie ,Voglein" heiBt) wohnte in Lokroi, ,wo ... die Frauen nicht gerade den Ruf strenger Sittlichkeit genossen". Sie stand in Beziehung zu den Hetaren, war also keine ,anstandige" Frau. DaB auch andere Deutungen moglich waren, bestatigt der Wissenschaftler, indem er wamend mitteilt: ,,Es gibt mehrere Anthologien und generelle Betrachtungen der wichtigeren Dichterinnen, meistens feministisch-dilettantischer Art."21 Also Kunst von Frauen soli sich einmal unterscheiden, damit sie als , Frauenkunst gelten mag". Aber wenn sie bestimmte Dinge so darstellt, wie sie die Dichterin ihrer Situation gemaB erfahren hat, gibt es Spott und Hohn. - Deshalb versteht sich die Empfindlichkeiten von Kunstlerinnen, Schriftstellerinnen, Musikerinnen und von Wissenschaftlerinnen, sich zu sich selbst zu bekennen. Sie mussen befurchten, sobald sie ihre eigene Erfahrung ins Rampenlicht riicken, erst einmal auf Skepsis zu stoBen (siehe Kathrin Schmidt). Dabei ist es Methode, nicht nur die Arbeit von Frauen vorurteilsvoll zu betrachten, sondem auch die Solidaritat der Frauen untereinander zu st6ren und zu zerst6ren. Gerade die Kunst-, Musik-, Literaturwissenschaften haben Gedankengange von Schopenhauer bis Mobius weiterverarbeitet und sehr verinnerlicht. Sie bezweifelten besonders die Fahigkeiten der Frau auf dem Gebiet der Musik, der bildenden Kunst, der Lyrik und der Architektur und meinten, daB sie - da sie keinerlei schopferische Krafte besitze (Ausnahmen bestatigten die Regel) - nur reproduzierend als Tanzerin, Schauspielerin, Sangerin und beim Spielen von Instrumenten etwas leiste. Sie bringe nur Landschaften, Stilleben und Kunstgewerbe hervor,

20 Martin West: Die griechischen Dichterinnen - Bild und Rol/e. Stuttgart und Leipzig 1996. S. 28/29. 21 Ebenda S. 37. 56

konne Gedichte lemen, aber nicht schreiben und ihre Erzahlungen seien eben auch hochstens Wiederholungen des schon Bekannten. Da den Frauen die offentlichen Bildungswege bis zu Beginn unseres Jahrhunderts im Wesentlichen versperrt blieben, waren ihre Moglichkeiten von vornherein beschrankt. Aber ihre Beschranktheit wurde als Naturprodukt deklariert, ihre Schopfungen in die niederen Spharen verwiesen. Im Gegensatz dazu ermutigten folgende Gedanken von Taylor!Mill: Man ,wird wohl zugestehen miissen, daB die Kenntnis der Manner von dem, was Frauen sind, waren und sein konnen, erbarmlich unvollstandig und oberflachlich sein muB und bleiben wird, bis die Frauen selbst alles gesagt haben, was sie zu sagen vermogen." Sie sagten weiter, und es war urn 1869: ,Es datiert erst von gestem, daB die Frauen imstande sind, durch literarische Arbeiten sich an das groBere Publikum zu wenden, und daB die Gesellschaft ihnen dergleichen gestattet, und noch jetzt wagen nur sehr wenige Schriftstellerinnen, etwas zu sagen, was die Manner, von denen ihr literarischer Erfolg abhangt, nicht gem horen. ,m Da ich mich rnit Elsa Asenijeff (1867-1941) befasse, einer Schriftstellerin und Dichterin, die­ wie ich meine - zusammen mit Walter Hasenclever und Kurt Pinthus in Leipzig den Expressionismus begriindete, die zu ihrer Zeit bekannt und erfolgreich war, deren Ansehen spater absichtlich in den Schmutz getreten wurde, mochte ich llir hier ein Forum geben. Als junge verheiratete Frau war sie urn 1894/95 aus Sofia nach Leipzig gekommen. Sie stammte aus Wien. Sicher ermutigte sie die hier existente Frauenbewegung und die hier ansassigen Schriftstellerinnen, zu denen bis dahin auch Louise Otto-Peters gehort hatte. Elsa Asenijeff wollte in Leipzig studieren. Sie hatte ein staatliches Lehrerinnen-Examen. Spater lemte sie Max Klinger kennen, wurde seine Lebensgefahrtin. Auch mit Dr. Paul Mobius stand sie in Verbindung. Es sind einige Karten von ihm an sie und ein 1903 geschriebener Brief von ihr an ihn erhalten, in dem sie ihm zu seinem Buch Ober Rousseau Komplimente macht und ihm ironischerweise Vorschlage unterbreitet, wie seine ,Schreckensmaschine fur Kopfmessungen" konstruiert sein konnte, urn Oberhaupt zu funktionieren. 23 Den Brief , den ich hier zitiere, schrieb Elsa Asenijeff am 15. Januar 1895, in der Nacht, nachdem sie tags zuvor den Vortrag von Prof Karl Biicher Ober Frauenfragen gehort hatte, an denselben. Er spiegelt die Problematik in den Auffassungen einer bildungshungrigen jungen Frau. ,Hochgeschiitzter Herr Professor! Nehmen Sie es nicht als Unbescheidenheit, wenn ich mir erlaube, Ihrem gestern iiber die Frauenjrage handelnden Vortrage einige Bemerkungen anzufiigen. Ich wiirde Sie auch bitten, falls es Ihre Zeit erlaubt, noch Einiges iiber diese so opportune und vielleicht fiir kiinftige Generationen bedeutungsvo/le Frage erwiihnen zu wollen.

22 a. a. 0 . S. 44/45. 23 Original im Handschriftenarchiv der Universitatsbibliothek Leipzig unter Taut, Dichterinnen/Nachlafi 181. 57

Die nachfolgenden Bemerkungen kOnnen, in der kurzen Spanne des Gestem-Heute natiirlich nur oberfliichlich hingeworfene Beobachtungen sein- nichts mehr. Auch ist damit das, was sich daruber sagen liejJe, keineswegs erschopft, nur ich mujJ mir eine eingehende Bearbeitung und dereinstige Vero.ffentlichung der Frage his zu einer Zeit aufbewahren, wo nebst dem schon seit langem theilweise gesammelten Materiale ich auch durch Vervollstiindigung meiner Studien, uber die, zu einer so emsten Arbeit nothigen, geistigen Reife ver.fiige ... " (Das war nach der Geburt ihres ersten Kindes, des Sohnes Heraklit am 17. 12. 1896. Im Jahr darauf erschienen von ihr Der Aujruhr der Weiber und das Dritte Geschlecht sowie einige Aufsatze in der Wiener Wochenschrift Die Zeit. Das Thema tangiert ihre weitere literarische und publizistische Arbeit.) , Wir sehen das Gesetz der Arbeitstheilung in den Geschlechtem. Der dabei nachhaltiger beschiiftigte Theil ist der weibliche, dem entspricht jedenfalls der Gedanke einer geringeren Belastung auf sozialem Gebiet. Das ist auch ganz vemunftig. Aber sound so viele Frauen der civilisierten Staaten (diesen werden wir doch einzig unser Interesse zuwenden- das Hottentottenweibchen24 interessiert uns doch nicht), also sound so viele Frauen kommen in Folge der Vberzahl weiblicher Individuen nicht dazu, ihre sogenannte weibliche Bestimmung zu erfiillen, oder wenn sie sie dennoch erjullen, sind sie schmachbeladen und von der Gesellschaft ausgestojJen. (Das ist schon eine Inkonsequenz der Sitte oder des Gesetzes, denn entweder ist dies die weibliche Bestimmung, dann muss sie es auch unter alien noch so ungunstigen ethischen und socialen Bedingungen sein; denn es kann doch keine weibliche Naturbestimmung fur Getraute und eine fur Ungetraute geben) oder es ist diese weibliche Bestimmung eben nur jedesmal eine Zufiilligkeit der Natur inmitten unseres verwickelten kunstlichen Lebenssystems. Die Voreingenommenheit, dass die Frau einzig und ausschliejJlich ihres Naturzweckes (falls man uberhaupt von Zwecken in der Natur reden darf), ihres Naturzweckes, Kinder zu gebiiren und (zu) erziehen halber lebe und leben soli, hat gleich eine traurige Konsequenz = dass ihr, in steter Hinweisung auf ihren naturlichen Beruf eigentlich keine oder wenige sociale Berufsarten (besonders for die Frau hoherer Stiinde) o.ffen sind, und die vielen Vberziihligen, durch Hunger gezwungen, den schlimmsten sittlichen Verirrungen sich hingeben mussen (denn dem Hunger weicht wohl auch das schonste ethische Prinzipienge biiude.) Ich mochte gleich hinzufogen, dass ich glaube, dass die Berufslosigkeit der Frau - im Lichte unserer heutigen Zustiinde besehen- die schlimmsten Folgen au(die Ehe hat. Es mag ja einmal anders gewesen sein, es mag einmal die Frau, als eine Art Gewiichshauspflanze hinter den 4 Mauem des Hauses gebluht haben, jetzt ist das nicht mehr

24 Ein Ausdruck, den Schopenhauer schon benutzte. E. A. setzt sich im Folgenden auch mit dessen Sentenzen Uber die Weiber auseinander. 58 moglich. /eh glaube, es ist eine miissigere Phantasterei einmal gewesene Zustande - sagen wir beispielsweise die, des volligen Aufgehens der Frau im Hause - wieder restaurieren zu wollen, als bestehende zum Wohle der Gesamtheit umzumodeln. Denn vergangene Sitten, Gebriiuche, Lebensanschauungen sind miteinander so eng verknupft, dass das Herausreissen eines einzigen ein Ding der Unmoglichkeit ware. Die Aufgabe des socialen und ethischen Gesetzgebers kann nur sein, das Jetzt mit seinen schon einmal angenommenen Unsitten und Obelstiinden moglichst fur die Menschheit giinstig zu gestalten. Das ware wohl das Erste, ausnahmslos a/le weibl. Wesen zu zwingen, sich eine Berufsart zu wahlen. Finden Herr Professor in der heutigen EheschliejJung vielleicht ein ethisches Motiv? Die E1jahrung, alltaglich von tausenden von Menschen gemacht, lehrt trauriger Weise, dass sich die Mehrzahl der Madchen einzig als Versorgung verheiratet. Fiir das Weib existiert bis heute ebennur eine lucrative Berufsart- das Concubinat in alien seinen Nuancen- die priesterlich eingesegnete Concubine auf Lebensdauer, die sich aut eine Lebensversorgung verkauft, und die nicht kirchlich getraute, noch tiefer stehende Schwester, die Prostituierte. Es ist das sehr traurig, aber es ist wahr. Damit ist nicht einmal das diistere Bild unseres heutigen Lebens erschopft. Die Frau (nicht jede, aber manche) sucht, sobald sie verheiratet ist, also den einzig ihr o.ffenstehenden Beruf inne hat, nach ihrem Herzen zu wahlen. Wie der Geiger, Lehrer, Schmied, nachdem er einen Beruf hat, nach seinem Herzen wahlt, so wahlt auch sie, diese Wahl heisst bekanntlich (als Vertragsbruch) Ehebruch. Waren diese entsittlichenden Zustande moglich, wenn jedes weibl. Wesen im Stande ware, sich selbst zu versorgen, und infolge dessen dann auch nur aus reiner Neigung heiraten k6nnte? Aber noch andere Griinde sprechen fiir emstes Studium und Berufswahl der Frauen. Die Thatigkeit der Frauen im Hause (vom Mittelstande au.fwiirts) ist heute schon fast Null. Alltaglich riicken andere Zweige der einst hauslichen Thatigkeit hinaus ins o.ffentliche Leben, sich in die verschiedensten Gewerbe zergliedemd Dem Hausfleiss, in der Sippenwirtschaft und niederen Gesellschaftsformen iiblich, tritt die vollige Arbeitstheilung in Formen von Gewerben, Handwerken ect im Staate gegeniiber. Der Mann trat aus den engen Grenzbezirken des Hauses heraus ins 6.ffentliche Le ben und fand sich dort eine Beschaftigung. Niemand wiirde heutzutage mehr einfallen zu sagen: ich kann keine o.ffentliche Stelle bekleiden; denn wer wird mir dann Holz spa/ten, das Vieh schlachten, Messer schleifen, Ofen setzen ect. In diese neu(e) Phase tritt auch, glaube ich, jetzt die Frau. Nur sehen wir da, dass ihre hausliche Thatigkeit eigentlich schon nicht mehr existiert, wahrend sie ihre freie Zeit nicht durch Erwerb ausnutzt, also durch diesen negativen Verlust eigentlich eine wirtschaftliche Verschwendung herbeifiihrt. - Im Hause ist gew6hnlich 2- od. 3 59

KindeJWirtschajt - nur diese armen 2 od 3 Wurmer werden je nach dem Reichthume der Familie einer Gouvernante, Bonne oder Dienstmtidchen anvertraut. Nun, das ware ja insofern nicht so schlecht, als dadurch wieder eine ganze Classe Menschen Beschtiftigung .findet. Aber was macht einstweilen die Frau? Nichts! Oder hohle Phrasen iiber die hausliche Thatigkeit der Hausfrau. Ja, das Haus ist friedlich, wohl geordnet, geputzt, durchwarmt, aber das haben bezahlte Krajte und nicht die ruhmredige Hausfrau gemacht. Was thut sie? Nichts, nichts und wieder nichts. Wehe aber, wenn sie sogenannte h6here, idea/ere Inspirationen hat, wenn sie z. B. lernen will, wenn sie bestrebt ware, dem Gatten statt des Weibchens lieber seine Gehil.fin, seine Freundin zu sein, wenn sie den heranwachsenden Kindern eine Stiitze sein wollte, mit ihnen lernend, sie belehrend. Da heisst es gleich, zuriick in das Nichts deiner imagintiren Hausfrauenpflichten. 25 Ich will schon ganz den jedem Manne unfassbaren Gedanken unterdriicken, dass uns das Lernen, das Wissen vielleicht eine Lust gewahren wiirde! Hen· Professor eJWahnten die Ven-ohung der Sitten unter den Fabrikarbeitern beider Geschlechter. Meinen Sie nicht, dass dies eine schlechte Sittlichkeit ist, die immer gehiitet werden muss und schon beim ersten An/ass ins Wanken kommt? Wo steckt da der Fehler? In den Fabriken mit ihren Arbeitern beider Geschlechter oder in den schon unhaltbaren unmoralischen Ansichten der heutigen Generation? Von wo kommt die Entsittlichung? Jedenfalls aus dem heutzutage stillschweigenden Obereinkommen, dass die Frau nur als Lustobjekt aufi:efaPt wird Es wird dies nicht 6ffentlich gesagt, nur hiibsch stille unter den Mannern gedacht, denn nach sch6ner Welteinrichtung geh6ren immer ein Paar keuscher Ohren und eine unkeusche Seele zusammen. Es ist auch all diese Heuchelei leicht zu durchschauen. Hat ein weibl. Wesen edlere Gedanken (ich meine da keineswegs die wahnsinnig Emancipierte, die eigentlich ein Mann werden will und durch Verachtung des eigenen Geschlechtes sich selbst am Meisten schmaht, sondern die Frau oder das Madchen, welches auch einen Berufwahlen will, so gibt es nicht genug Witzeln und Spotteln iiber diese Anmassung. Ja, die jiingste Debatte iiber die Zulassung der Frauen zum Studium der Medicin hat einen Entriistungsruf hen,orgerufen, es erschienen sogar Broschiiren, um darzuthun, wie dieser Beruf der weiblichen Sittlichkeit widersprache (dass die Prostitution der weibl. Sittlichkeit widerstrebe, stand aber nirgends.) Ja, da Manner die Gesetze machten, so begegnen wir wieder der sonderbaren Thatsache, dass diese Verachteten, aus der Gesellschaft geworjenen (d. Prostituirten) weder zu schlecht zur Verachtung, noch zum Steuerzahlen sind. Nur dass

25 Vgl. auch Louise Otto: Frauen/eben im deutschen Reich. Leipzig 1876. 60 derselbe Staat in welchem sie die Declassierten sind, aus dem schmachbe/adenen Gewerbe seinen Nutzen zieht (Seltsame Jnconsequenz./6 Manchmal scheint es mir, dass alles Bose (falls man annimmt, dass es Gut u. Bose gibt) sich von selbst strafe. Die Prostituirte hat sich geracht. Sie ist jetzt das geheime Vorbild der sittlichen Frau. Die Pariser Demi-monde Dame gibt den Ton an: sie schmiickt sich, sie tragt gewagte Toiletten - die anstiindige Frau thut es ihr nach; sie untergrabt das Gliick ihres Geliebten, die anstandige Frau ruiniert den Gatten durch ihre Pratenzionen; sie hat leichte Sitten, einen gewissen wiirdelosen Soubrettenton, die anstandige Frau imitiert (zum Verwechseln) - man betrachte nur die Frau hoherer Stiinde. Sie denkt nur an Liebe, nur geliebt werden, die anstiindige Frau thut es ihr nach, ja, selbst das keusche Miidchen ebenso.

Zuletzt noch einige Worte uber die lnferioritat der Frau. Jch glaube, die musste sich erst erweisen, bis Frauen, von erster Jugend an wie Manner, niimlich menschlich erzogen wilrden; nur (wenn) dies durch einige Generationen geschieht, dazu brauchen wir Jahrhunderte wenigstens, konnen also (den) Beweis nicht erleben. Aber eins wissen wir aus Erfahrung: dass wir uns nicht wundem durfen, iiber einen Baum, der keine oder spiirliche Blatter hat, weil man ihm die Aste abgehauen hat. Der Asiatin (Chinesin) verkruppelt man die Fusse, der Europaerin das Gehirn. Mag es unter den Frauen bisher kein Genie gegeben haben, das ist ja unter den schlechten, geistigen Lebensbedingungen ganz erkliirlich, es gehort schon Genialitiit dazu, wenn sie bei der geistigen Hungerkur, der sie unterzogen wird, sich aufringen kann zur Naturlichkeit = namlich zur Vorurteilslosigkeit. Gelangt einmal da oder dort eine zum Studieren, aus reiner Freude am Lemen, aber nicht wie an den Schweizer Universitats-Heiratsbureau, um sich zu verehelichen, so stosst sie uberall auf Hindemisse. Herr Professor, ein naheliegendes Beispiel. Wir, die wir glucklich sind, als Horerinnen an der hiesigen, weltberiihmten Universitiit uns auszubilden, werden einst als traurige, statistische Daten zum Beweise der Inferioritat der Frauen figurieren. Es wird heissen: obwohl ... ect, so sah man doch keine nennenswerten Resultate. Woran wird das liegen? Wir, die sogenannten DUmmeren, werden von alien Vbungen ausgeschlossen, die Thiire des Seminars, der Laboratorien bleibt uns verschlossen; obwohl es ganz naturlich ware, dass uns 'DUmmeren 'jedweder Belehrungsweg zugiinglich sei, da nicht eigenes Talent uns zum Resultat fiihren kann.

26 Besteht diese Inkonsequenz nicht noch immer, indem die Prostituierten zwar Steuern zu bezahlen haben, aber keine Kranknen- und Rentenversicherung bekommen? 61

So geschah es immer, nur da haben Sie eine Erkkirung der lnferioritat der Frau: Erst hielt man das weibl. Geschlecht zuruck oder gab ihm nur eine Halbbildung. und dann beschuldigt man sie der mangelhaften Resultate wegen. --- Ubrigens Herr Professor, ist weiter nichts zu befurchten, das Weib wird immer Weib bleiben, wird immer dasselbe zitternde Herz besitzen, dass es fur Mutterjreuden vorbereiten sol!, ob es jetzt dumm oder gescheut ist. - Auch ist es ein Vorurtheil, dass Frauen mit einem dem der Manner gleichkommenden Studium schlechte Hausjrauen sein mussten. Ich hatte das Gluck, mehrere geistig sehr hervorragende, verheiratete Frauen zu kennen. Sie waren die vorzuglichsten Miitter und Hausjrauen. Ja! 2 derselben konnten sogar, als ihre Manner die Anstellungen verloren, durch ihre Diplome sich selbst einen Beruf schaffen und so die Familie erhalten. (!eh habe sie auch kochen und wirtschaften gesehen.) Warum sol! ersteres verachtlich sein? Zum Verachtlichen haben es nur die Manner gemacht, weil es Frauenbeschaftigung ist. Seine Pjlicht thun kann niemals verachtlich sein, worin auch immer die Pjlicht bestehen moge. Entschuldigen Sie das sto.fjlich Ungeordnete dieser Zeilen. Dennoch war mir auch in der Fliichtigkeit dieses Briefes eine Disposition grundlegend for die Frauenemanzioations(rage: namlich a.) die Frauenfrage (als solche eine ethische Frage) b.) die Erwerbsfrage (als sociale) kaum beriihrt, da sich Herr Professor daruber bereits aufierte c.) SchluPfolgerung: die sich ergebende Nothwendigkeit einer Berufswahl der Frau. Es hatten sich noch vie le Punkte als Ausgangspunkt dieser Betrachtung wahlen lassen, so: die heutige. niedere Stellung der Frau. ein Produkt christlicher Lebensauffassung. dann.· die rechtliche Stellung der Frau ect. Ich wurde im Namen der Sache selber froh sein, wenn Herr Professor noch Einiges, auf die Frauenbewegung Bezugliches vorbringen wollte. Ihre Autoritat, ihr bernhmter Name, vermdgen den ausgesprochenen Ansichten eine Kraft zu verleihen, die irgend ein armseliges Buchlein, im Dienste dieser Sache geschrieben, wenn es auch noch so richtig war, niemals haben kann. Und bedenken Sie eins, Herr Professor, dass unter lhren SchUlern gewiss die meisten sich keine eigenen Anschauungen bilden, sondern das 'stenographierte Collegienheft' - das ist und bleibt ihre personliche Meinimgfors Lebens! lndem ich Sie bitte, mir giitigst zu verzeihen, bin ich Ihre dankbar ergebene Eisa Nestoro.lf" Die vier Jahre spa.ter erschienene Schrift von Mobius Ueber den physiologischen Schwachsinn des Weibes provozierte einen grofien Aufruhr. Pastoren, Arzte, Wissenschaftler, Schreiber aller Art stimmten ihm begeistert zu. Arzte- und Literaturzeitschriften oder verschiedene Zeitungen 62 wie die erzreaktionare Kreuzzeitung veroffentlichten Lobpreisungen. Manner und Frauen, darunter auch Frauen aus Schweden, wandten sich gegen diese ausgesprochen reaktionaren, und trotz aller gegenteiligen Beteuerungen frauenfeindlichen Auffassungen. Eine sehr urnfangreiche Gegnerische Besprechung veroffentlichte Die Zukunft vom 5. Okt. 1901 . Autorin war Frieda Freiin von Biihlow. Im Budapester Tageblatt (vom 21. Juli 1901) spottete Dr. Moritz Haupt unter der Uberschrift Ein gelehrter Frauenfeind - Noch ein Wort iiber physiologischen Schwachsinn. Auguste Schmidt zitiert in den Neuen Bahnen vom 15. November 1901 die Kritik eines Autors der Neuen Freien Presse und fugte nur hinzu: ,Wenn ein gelehrter Kollege Herrn Professor Mobius sowenig ernsthaft behandelt, so wird man es uns nicht verdenken, wenn wir in seinen Ausfuhrungen lediglich die Wirkung einer krankhaften Gereiztheit erblicken." Hedwig Dohm hatte 1901 ausfuhrlich in der Zeitschrift Die Frauenbewegung gegen die ,schreienden Widerspriiche" und Dummheiten polemisiert, Grundlage fur ihre zwei Jahre spater erschienene Schrift Die Antifeministen. Verleger und Autor hatten dem mit jeder Auflage immer urnfangreicher werdenden Buchlein die Vorworte sowie neue Stimmen und Gegenstimmen beigegeben, zudem die Rubrik: Damenbriefe eingerichtet im Gegensatz zu den eher zustimmenden Ausziigen von Collegenbriefen. Eine Frau meinte, es ware richtiger, wtirde dem Wort ,Weib" das Wort ,Kerl" gegenubergestellt werden, urn wenigstens eine etwas normale sprachliche Ebene zu finden. ,Weib" hatte Mobius gleich anfangs definiert als zutreffend fur alle ,Weiber"; denn Frau sei nur der Titel fur die Verheiratete. - Aber das ist nun wirklich nicht mehr der Rede wert. 63

Uta Schlegel (Leipzig)

Weibliche Jugendliche in Ostdeutschland - Perspektiven fiir die Geschlechterverhaltnisse in der BRD?

Der gegenwartige Reformstau in vielen Bereichen der Gesellschaft in Deutschland einerseits und eine in der Sackgasse befindliche Frauenpolitik andererseits reiBen eine Wunde historischer Erfahrung auf: daB es sich namlich als Irrtum erwiesen hat, erst gesellschaftliche Konflikte losen zu wollen und dann die Geschlechterverhaltnisse uber sogenannte ,Frauenpolitik" zu gestalten. Das Scheitem bisheriger Geschlechterpolitik - und zwar in der DDR wie in der alten BRD - liegt vor allem darin begrundet, daB sie primar darauf gerichtet war, weibliche Lebensverhaltnisse auf mannliche ,anzuheben" bzw. an diese ,anzupassen", daB aber die Entgegensetzung von sogenanntem offentlichen und angeblich privatem Bereich (mit ihrer geschlechtstypischen Zuweisung) prinzipiell verstetigt wurde (vgl. Domke 1997 und 1998). Ausdruck fur ersteres sind beispielsweise die Quotenregelung in der BRD1 und fur zweiteres die Adressierung von Farnilienpolitik in erster Linie an Frauen in der DDR. Insofem kann bisherige Geschlechterpolitik als patriarchalisch bezeichnet werden, als ihr MaB und Ziel mannliche Lebensumstande (Rechte/Pflichten, Berufsbiografien usw.) auch fur Frauen waren. Weibliche Jugendliche in Ostdeutschland befinden sich dabei mehrheitlich in einer besonders prekaren Situation, die in vielen Aspekten auch fur junge Frauen in Westdeutschland zutriffi, sich aber in spezifischen unterscheidet. Fur letztere gilt, daB sie tatsachlich kulturelle Ost-West­ Unterschiede darstellen und nicht regionale (wie etwa Nord-Sud-Unterschiede in Westdeutschland). Da mittlerweile unstrittig von einem ,Gleichstellungsvorsprung" der Frauen aus der DDR ausgegangen wird (vgl. GeiBler 1993, Schlegel 1995 und 1997a), lassen sich u. E. von der gegenwartigen Situation ostdeutscher weiblicher Jugendlicher - da gekennzeichnet zum einen von der DDR-Herkunft und zum anderen von den BRD-Strukturen ihrer Lebenszusammenhange - auch notwendige Perspektiven einer kiinftigen Geschlechterpolitik in Deutschland ableiten. Als Raster fur die Charakterisierung der Situation weiblicher Jugendlicher in Ostdeutschland wahle ich im folgenden diese: Ihre heutigen Lebensentwiirfe und tatsachlichen biografischen Pfade ( und immanenten Konflikte) bewegen si eh urn und erklaren si eh wesentlich aus drei Koordinaten: 1. ihre sowie insbesondere ihrer Mutter Sozialisation, soziale Erfahrungen, Optionen, Normalbiografien aus der DDR,

1 in der Sackgasse angesichts des Ausm.afies an Arbeitslosigkeit. 64

2. die ,neuen" gesellschaftlichen Strukturen der BRD, deren Optionen, Anforderungen, Chancen und Risiken sowie 3. spezifische Bedingungen aus dem ostdeutschen Transformationsprozel3.

1. Zum ,sozialen Erbe" aus der DDR - Ressourcen und Restriktionen fiir ostdeutsche weibliche J ugendliche Bekanntlich haben DDR-Frauen (die ab etwa 1940 geborenen) den sogenannten doppelten Lebensentwurf mehrheitlich tatsachlich gelebt ( durchaus mit Konflikten und unter subtilen Diskriminierungsmechanismen, auf die bier im einzelnen leider nicht eingegangen werden kann), und diese Erfahrungen leben bis heute fort - auch bei den Jugendlichen (da von ihnen hoch akzeptiert) als quasi soziale Vererbung. Die weibliche Normalbiografie in der DDR laHt sich wie folgt urnreil3en: uber die Lebensspanne kontinuierliche Vollerwerbsarbeit; dies in qualifizierten (erlemten, studierten) Berufen mit vergleichsweise breitem Berufsspektrum; synchrone Vereinbarung von Beruf und F amilie; okonomische SelbsHindigkeit, die relativ fri.ih im Jugendalter erreicht wird; vergleichsweise fri.ihe Eheschliel3ung und Geburt des ersten Kindes (22./23. Lebensjahr) ohne Familienpause; tendenziell gleichberechtigte Partnerschaft und hausliche Arbeitsteilung ( einschliel3lich hoher Akzeptanz weiblicher Erwerbsarbeit durch den Partner und der aul3erhauslichen Kinderbetreuung durch beide Geschlechter); ,Selbstverstandlichkeiten" im Arbeitsumfeld und gesellschaftliches Klima fur ,Vereinbarung" und berutliches Fortkommen, 1 relativ hohe weibliche Scheidungsneigung und deren Realisierbarkeit (mit familienrechtlicher Flankierung), ohne an den Rand der Gesellschaft zu geraten. Das kulturelle Muster der Hausfrau und damit der Hausfrauenehe war historisch ,ausgemustert" ( ausfuhrlicher dazu mit empirischen Belegen s. Schlegel 1997b und 1998). Allerdings basierte dieser ,Gleichstellungsvorsprung" zum einen auf einem patriarchalischen Gleichberechtigungsverstandnis in der DDR - weil reduziert auf das Muster der traditionellen mannlichen Normalbiografie, was einschliel3t, dal3 die weibliche Zustandigkeit fur den Familienbereich davon unberuhrt blieb und sogar (uber farnilien- und andere sozialpolitische Regelungen) festgeschrieben wurde. Zum anderen wurde er auj patemalistische Weise realisiert, das meint von oben nach unten: Frauen waren im Kern Objekt von Politik, als Subjekte/Akteurinnen bezl.iglich politischer Strategien, Mal3nahmen und Entscheidungen im wesentlichen ausgeschlossen. Das stellt einerseits historisch bedeutsame Fortschritte (wie z. B. das Gesetz uber den weiblich selbstbestimmten Schwangerschaftsabbruch) keineswegs in Frage, konnte andererseits aber - da sie nicht selbst erkampft waren - nicht folgenlos bleiben

1 wie etwa: Abstimmung der Arbeitszeit auf Offnungszeit der Kindereinrichtungen und umgekehrt, alle Formen der Weiterbildung/Qualifizierung (neben/in Erwerbsarbeit, alleinerziehend), gesellschaftliche Akzeptanz der Frau als Mutter unabhangig von der Farnilienform (ledig, verheiratet, geschieden, Lebensgemeinschaft). 65 fur die Art deren Nutzung und spater (nach der deutschen Vereinigung) fur (weitgehend ausbleibende) effektive Aktionen zu deren Verteidigung. Zudem: Die patemalistische Durchsetzung des Gleichstellungsvorsprungs generierte den Mange! eines offentlichen Diskurses zu den Geschlechterverhaltnissen in der DDR - bedingt nicht nur durch die totalitaren DDR-Verhaltnisse einschlieBlich einer fehlenden politischen Kultur, sondem auch getragen von einer verbreiteten Wiirdigung der Anstrengungen und Leistungen sowohl des Staates zur Forderung der weiblichen Erwerbsarbeit und zur strukturellen Entlastung der Familien (wie Kindereinrichtungen, Schulspeisung) als auch - staatlich verordnet - der Betriebe (wie Kinderferienlager). Insbesondere letzteres hat - im Kontext des weitgehenden Fehlens evidenter Frauendiskriminierung (wie Pomographie, Gewalt gegen Frauen, sexuelle Belastigung am Arbeitsplatz) - dazu gefuhrt, daB die DDR­ Frauen selbst subtile Diskriminierungsmechanismen qua Geschlecht nicht oder kaum wahrgenommen und thematisiert haben, schlicht dafur nicht sensibilisiert waren. Nur auf diesem Hintergrund ist nachvollziehbar, wieso DDR-Frauen - nachdem die o. a. verkiirzte Gleichstellungsstrategie des Staates erreicht und Mitte der 70er Jahre offiziell die Gleichberechtigung der Frau gesellschaftlich gelost wa? - die von nun an deklaratorische Verweisung/Reduzierung (durchaus struktureller) weiblicher Konflikte in der Alltagsbewaltigung auf die individuelle Ebene3 mehrheitlich internalisiert haben (vgl. Schlegel 1993: 14). Differenzierte F olgen sind bis heute empirisch nachweisbar und erweisen si eh auf der Einstellungs- wie auch auf der Verhaltensebene teilweise als Ressourcen, teilweise als ,,Behinderungen" fur Lebensbewaltigung.

2. Zu den ,neuen" strukturellen Bedingungen Die neuen Chancen und Risiken im ostdeutschen TransformationsprozeB nach der deutschen Vereinigung verteilten sich durchaus nicht geschlechtsneutral, insbesondere, was den - nach westdeutschem Modell veranderten Arbeitsmarkt und die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen betriffi.

2 , Und wir konnen deshalb auch ohne Einschriinkungen sagen, da6 in der Deutschen Demokratischen Republik die Gleichberechtigung der Frau verwirklicht ist." (Lange 1974: 6) 1974 enthalten Ausfiihrungen iiber soziale Unterschiede (DDR: Gesellschaft - Staat - Burger 1974: 21 f.) nicht die Kategorie Geschlecht, lediglich Arbeiterklasse/Genossenschaftsbauern!lntelligenz, Stadt/Land, Einkommen, korperliche/geistige Arbeit u. a. (Erst in den 80er Jahren werden - nicht zuletzt unter dem Druck empirischer Forschungsergebnisse - Geschlechtsunterschiede in den Lebenslagen auch als soziale Unterschiede benannt; vgl. Bediirfnisse 1981 : 9, Schlegel1982: 59 f. , Bertram 1987: 5). 3 Verwiesen werden mu6 in diesem Zusammenhang auch darauf, da6 die Defizite in Versorgungsfragen (Konsumgiiter, Dienstleistungen usw.) von der DDR-Bevolkerung durchaus nicht geschlechtsneutral befriedet wurden. Wenn auch die Manner selbst Hand anlegten an Autos, Datschenbau und Wohnungsrenovierung: Es waren die Frauen, die sich in die Warteschlangen einreihten, Reillverschliisse einniihten, Konfitiire kochten oder Obst und Gemiise einmachten. 66

Anfangliche Prognosen, daB ostdeutsche Frauen - insbesondere auf dem Hintergrund eines notwendigerweise expandierenden tertiaren Wirtschaftssektors in Ostdeutschland, ihrer guten Qualifikationsvoraussetzungen in Allgemein-, Berufs- und Hochschulbildung sowie ihrer Routine in der Vereinbarung von Erwerbsarbeit und Familie - mit guten Chancen in das marktwirtschaftliche Beschaftigungssystem gehen wiirden, konnten keine Bestatigung finden; dies u. a. deshalb, - weil angesichts des sich verengenden deutschen Arbeitsmarktes Manner massiv in traditionell weibliche Domanen drangten und drangen (beispielsweise Finanz-, Versicherungsbranchen, Handel)4 und sich insgesamt Prozesse emer geschlechtstypischen (vertikalen und horizontalen) Segmentation und Segregration vollziehen; - weil die Berufsverlaufe ostdeutscher Frauen (im Unterschied zu den westdeutschen) weniger von ihren Bildungsvoraussetzungen beeinflujJt sind als vielmehr von den wirtschaftlichen Umstrukturierungsprozessen in Ostdeutsch/and; - weil (wiewohl die anfanglichen Massenentlassungen eher geschlechtsneutral verliefen, nicht zuletzt auch infolge des Wechsels m staatlichen, politischen, wirtschaftlichen Spitzenpositionen) mittlerweile insbesondere die keineswegs geschlechtsneutralen Personalrekrutierungsstrategien der Untemehmen dazu fuhrten und fuhren, daB ostdeutsche Frauen die Mehrheit der ostdeutschen Arbeitslosen und insbesondere Langarbeitslosen ausmachen; - weil sie damit insgesamt von der Entwertung beruflicher Bildung mehr betroffen sind als Manner. SinngemaB gilt dies alles schon fur den Ausbildungsmarkt und auch fur zunehmend konservative geschlechtstypische Aktivitaten der Arbeitstimter. Die neuen ordnungspolitischen Rahmenbedingungen trugen und tragen dazu bei, daB ostdeutsche Frauen die DDR-Verhaltnisse gegenuber heute als sozial gerechter zwischen den Geschlechtem wahmehmen - weil fur ihren nach wie vor intendierten Lebensentwurf adaquater. Dies mundet mehrheitlich leider nicht in politische Aktivitat, sondem im Gegenteil 5 in Entfemung vom Staat und seinen Institutionen sowie in politischen Ruckzug . Erwahnenswert in diesem Kontext scheint mir aufgrund soziologischer Untersuchungen aus der DDR, daB die Einstellung zum Staat offensichtlich viel weniger bzw. nicht primar determiniert ist von politischer Indoktrination, sondem auch und insbesondere von sozialen

4 Damit ging und geht eindeutig einher ein Funktionswandel in solchen ostdeutschen Branchen (von staatlichen Einheitszinsen und -versicherungen zur marktwirtschaftlichen Vielfalt) einschlie6lich entsprechend neuer Anforderungen an ihre Beschaftigten sowie ein Prestigeanstieg einschUigiger Berufe. 5 Den m. E. interessanten umgekehrten Zusammenhang fanden wir Ober eine liingsschnittliche Sekundiiranalyse: da6 niimlich in der DDR urn 1973 - nach Inkrafttreten eines Booms gravierender sozial­ (insbes. frauen- und familien-) politischer Ma6nahmen im Juli 1972 - die Identifikation Jugendlicher beider Geschlechtergruppen mit ihrem Staat ~anstieg . (s. Schlegel1993) 67

Erfahrungen, wie der Staat Rahmenbedingungen gewahrleistet fiir die Verwirklichung eigener Lebensentwiirfe. 6 Verallgemeinemd mochte ich festhalten, daB ostdeutsche weibliche Jugendliche auf der individuellen Ebene - nach den Erfahrungen mit ihren Muttem - den Systemwechsel mehrheitlich nicht wahmehmen (konnen) als einen von fremdbestimmter Uniformitat ihres Lebenszusammenhangs zu einer selbstbestimmten Vielfalt - insbesondere deshalb, weil diese in einigen fiir sie ganz zentralen Lebensbereichen eher subjektive Freiheit im Sinne von Wahl­ und Entscheidungsmoglichkeiten leben konnten - mit z. B. deutlich selbstbestimmteren und realisierbaren Entscheidungen fiir oder gegen Kinder ( selbst wahrend Ausbildung/Studium oder als Alleinstehende), fiir Weiterbildung (neben/in Erwerbstatigkeit, mit Kindem) oder fiir Scheidung (mit Kindem), ohne an den Rand der Gesellschaft zu geraten.

3. Zu spezifischen Bedingungen und Wirkungen im ostdeutschen Transformations- proze8 Schwierigkeiten, Ungleichzeitigkeiten, massenhaft personelle Besonderheiten, sich fur verschiedene soziale Gruppen differenzierende Lebenslagen generierten und generieren offenbar spezifische Bewaltigungsmuster und neuartige Problemlagen, wie sie - bezogen auf ostdeutsche junge Frauen - empirisch u. a. folgendermaBen auftraten und -treten: - teilweise spezifische Attributierung und Verarbeitung von Arbeitslosigkeit angesichts evident struktureller Bedingtheit (s. insbes. Hahn 1995); - Geschlechtswechsel (einschl. Prestigewandel) von Berufsfeldem (vgl. Schlegel1997a); - zunehmende Schuldzuschreibung fur die hohe Arbeitslosigkeit in Deutschland an ostdeutsche Frauen (vgl. Pohl1995, Schneider 1994); - teilweise spezifischer Umgang mit ,importierten" Institutionen, Gesetzen und Sozialpolitik (z. B. Distanzen zu Jugendhilfe-Einrichtungen, Bewertung des Erziehungsurlaubs, Heirats- und Scheidungsverhalten); - regional massive Problemlagen fiir Statuspassagen (z. B. fiir Landjugendliche beziiglich Ausbildung und Beruf); - die Eltem - insbesondere die Mutter - mit der hochsten Beratungskompetenz aus der Sicht der Jugendlichen, aber mit Verantwortung fur einen SozialisationsprozeB, den sie selbst so nie durchlaufen haben (z. B. Fehlentscheidungen bei der Schulwahl\

6 Fiir den demokratischen Staat bestatigt dies Kaase hinsichtlich der aktuellen Schwierigkeiten mit der inneren Einheit: , Nun gehOrt es aber inzwischen zu den Selbstverstandlichkeiten der empirischen Demokratie­ forschung, dafi die Akzeptanz der Demokratie nicht zuletzt von deren Fahigkeit abhangt, den Biirgem ein angemessenes wirtschaftliches Auskommen zu sichem." (Kaase/Bauer-Kaase 1998) 7 Nach Untersuchungen von Golz u. a. 1992 und 1995 wurde - aus der Sicht der Lehrerlnnen aller Schularten - fast jede 3. getroffene Schulwahl als Fefilentscheidung eingeschatzt. 68

- neue gesundheitliche und intellektuelle Problemlagen fur Kinder (z. B. mehr als Verdopplung 8 der Allergien unter 9- bis lljahrigen Schulkindern , explosionsartige Zunahme von 9 Sprachstorungen zum Zeitpunkt der Einschulung ); - partielles , roll back" zu traditionellen Geschlechtsrollenzuschreibungen und zunehmende Geschlechtsdifferenzen in verschiedenen Bereichen - mit der F olge der Zunahme weiblicher struktureller Problem- und individueller Konfliktlagen, z. B. hinsichtlich der Berufsausbildung ( quantitativ und nach Berufsfeldern), beziiglich der Realisierbarkeit von Lebensentwiirfen (vgl. die grof3ere ,Schere" zwischen Wunsch- und Realkonzepten bei weiblichen Jugendlichen; s. Fobe u. a. 1995, Fobe 1997), insbesondere auch die in der Biografie nach spater verschobene Realisierung des Kinderwunsches ), punktuell bei der Hausarbeitsteilung (s. z. B. Wunsch 1997); - beginnende Sensibilisierung fur Benachteiligung qua Geschlecht ( auch kritisch retrospektiv 10 fur die DDR) , Anfange einer Madchen- und Jungenarbeit; - andererseits bzw. darin eingeschlossen: bewul3te Reflexion und retrospektive Wertschatzung der DDR-Bedingungen fur die Lebenszusammenhange der Frauen (Mutter) durch die ostdeutschen weiblichen Jugendlichen - dies als ,Generation der Nicht-mehr-Eingestiegenen" mit der damaligen Grundhaltung ,Protest durch Verweigerung" (Lindner 1997).

4. Perspektiven fiir die Geschlechterverhaltnisse => Es ist offensichtlich, daB die Lebensentwiirfe weiblicher Jugendlicher in Ostdeutschland · noch in hohem Maf3e an die in der DDR (an die ihrer Mutter) anknupfen. Die gegenwartigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen (insbes. Arbeitsmarkt und ordnungspolitische) fur Geschlechterverhaltnisse stehen dem teilweise eklatant entgegen. Dies fuhrt zum einen zu massiven und neuen strukturellen Benachteiligungen und zum anderen zu pragmatischen Verhaltens-Reaktionen weiblicher Jugendlicher auf die Verhaltnisse. Letzteres wird haufig kurzschlussig als Wertewandel oder als rasche Anpassung an die weibliche Normalbiografie in Westdeutschland interpretiert. Das ist m. E. zum jetzigen Zeitpunkt absolut falsch: Veranderte Rahmenbedingungen wtirden sofort massenhaft zur Realisierung des sogenannten ,doppelten Lebensentwurfs" bei weiblichen

8 s. LVZ v. 31.3.98; Griinde: , westlicher Lebensstil" und starkeres Immunsystem zu DDR-Zeiten angesichts Krippe!Kindergarten und Mehrkindfamilie. 9 s. LVZ v. 13.2.1998; in Leipzig von 1% (1988) auf 20% (1998): Griinde: veranderte Familienstrukturen, wachsende Arbeitslosigkeit, elektronische Medien 10 Hier bestand und besteht m. E. eine deutlicher kultureller Unterschied zwischen Ost- und Westfrauen: Mehr westdeutsche Frauen verfiigten und verfiigen - in der Folge eines gesellschaftlichen Diskurses und feministischer Bewegungen - iiber eine mentale Sensibilisierung und Wahrnehmung der Geschlechter­ verhaltnisse und eigener struktureller Benachteiligung, iiber ein ausgepragtes emanzipatorisches Bewufitsein (einschlie8lich einer bewu8ten Verwendung weiblicher Sprachformen); die DDR-Frauen hie/ten sich for gleichberechtigt, waren mehrheitlich sehr lange blind und stumm gegeniiber struktureller Benachteiligung. 69

Jugendlichen - ubrigens in ganz Deutschland - und zur allmahlichen bei jungen Mannern fuhren.

~ Eine besondere Schwierigkeit fur eine Geschlechterdemokratisierung von unten besteht m. E. darin, daB weibliche Jugendliche in Ost- und Westdeutschland ungleiche Tochter ihrer ungleichen Mutter und von ungleichen Viitern Staat sind. Nach anfanglich euphorischen Begegnungen und Hoflhungen ,auf einen Zuwachs an politischer Starke und Ausstrahlungskraft durch frauenpolitischen ZusammenschluB" (Eifler 1998: 37) zeigten si eh rasch Verschiedenheiten und Ungleichzeitigkeiten von Erfahrungen wie: - der (konzeptionell haufig gegen Manner gerichtete) Karnpf der westdeutschen Muttergeneration urn ein Gleichheitsgebot irn Grundgesetz, urn selbstorganisierte Kinderbetreuung usw.; - der offentliche Diskurs und die damit einhergehende politische Sensibilisierung in der alten BRD seit Ende der 60er Jahre zu den Geschlechterverhaltnissen (einschlieBlich eines weiblichen ,selbst-bewuBten Separatismus" und der ,Differenzidee"; SpieB 1998: 46), demgegenuber sein Ausbleiben in der DDR und bis heute in Ostdeutschland mehrheitlich solidarische Grundhaltungen der ostdeutschen Frauen mit den Mannern; - der tatsachlich gelebte sogenannte doppelte Lebensentwurf der ostdeutschen Muttergeneration - allerdings verbreitet blind gegen subtile ( aber strukturelle) Diskriminierung; - eine Generation Unterschied in der weiblichen Sozialisation fur den doppelten Lebensentwurf (fur die DDR bereits fur die Geburtsjahrgange ab Anfang der 40er Jahre, fur die BRD ab Ende der 60er; Bertram 1990); - der ,Kulturschock" nach der deutschen Vereinigung nur fur die ostdeutschen Frauen; - heute infolge der mehrheitlichen Nichtanpassung ostdeutscher weiblicher Jugendlicher (und auch Alterer) an die neuen (westdeutschen) Verhaltensmuster ihre (gegenuber westdeutschen) Unterlegenheit in den neuen Konkurrenzverhaltnissen;

~ Dringlich vonnoten sind demgegenuber nunmehr die Konzentration eines gesamtdeutschen weiblichen Diskurses und Losungsstrategien fur tatsachlich gemeinsame ost-west-deutsche Problernlagen wie: - daB in Ost und West die traditionellen Geschlechterverhaltnisse nie konsequent in Frage gestellt und verandert wurden; - daB (bei graduellen Ost-West-Unterschieden) die mannliche Normalbiografie weder konzeptionell noch faktisch jemals zu Disposition stand; - daB in beiden Staaten und heute der Arbeitsmarkt geschlechtstypisch segmentiert war und ist und Frauen in wirtschaftlichen, politischen und anderen Leitungspositionen deutlich unterreprasentiert waren und sind, ihr Einkommen nach wie vor unter dem mannlichen liegt und 70

- daB Frauen nach wie vor uberproportional zusHindig sind fur die Familienarbeit. => Vonnoten (und moglich) ist - in Abkehr von einer Frauen- als Sonder- und Anpassungs­ politik - ein politischer Paradigmenwechse/ im Sinne eines gesch/echtssymmetrischen 11 Gesellschajtsvertrags I einer gesch/echtssymmetrischen Demokratisierung , was insbe­ sondere einschlieBt: - eine Neudefinition von ,Arbeit" (insbesondere eine Autbebung von offentlicher und privater) einschlief3lich entsprechender Strategien eigenstandiger Existenzsicherung, so daB nicht nur Frauen ihren doppelten Lebensentwurf besser realisieren, sondern auch Manner ihre Lebensentwtirfe multipler gestalten konnen (und nicht an die Berufs- und Emahrerrolle gefesselt bleiben) - z. B. tiber eine fur die Alterssicherung zeitlich definierte maximale Erwerbsbiografie, die dann fur familiare Leistungen von beiden Geschlechtem variabel strukturiert werden konnte; - die Neubestimmung von Normalitatsannahmen in unserer Gesellschaft, z. B. reale Zeitstrukturen ( einschl. Abwesenheit der Vollerwerbstatigen von zu Hause), reale Lebens­ und Familienformen, weibliche - (nicht) von der Institution Ehe - abgeleitete sozialver­ sicherungsrechtliche Ansprtiche/Sicherung, von ehe- hin zu kindbezogenen Sozialleistungen und Steuerregelungen, Recht auf Teilzeitarbeit mit flankierender sozialer Absicherung, ein Bekenntnis zum Stellenwert von Kindem in unserer Gesellschaft. => Solcher Paradigmenwechsel ist direkt verbunden mit der Beantwortung existentieller Fragen gesellschaftlicher Entwicklung wte insbesondere: Handlungskompetenz vs. Handlungsverlust van Politik; BeeinfluBbarkeit gegenwartiger Prozesse in der Gesellschaft und deren Tempo (was kann/darf/muB der Staat dazu tun?). Was den Reformstau hinsichtlich der Geschlechterverhaltnisse betriffi, so ist evident, daB die staatliche Politik - angesichts des einschlagigen offentlichen BewuBtsein in den alten und mittlerweile auch in den neuen Bundeslandem - in der Pflicht ist, deren Demokratisierung Rechnung zu tragen. => Last but not least ware em politischer Paradigmenwechsel m Richtung Geschlechterdemokratie ein wichtiger Beitrag auf dem Weg zur ,inneren Einheit".

11 der insofem weder an die Frauen-/Familien-/Sozialpolitik der DDR noch der BRD direkt ankniipfen kann. 71

Literatur Bertram, Hans (1990): Mutter und Kinder - zur Individua/isierung der Kinder- und Frauenrol/e in der Gesel/schaft. In: Aus Politik und Zeitgeschichte B 40-41/1990, S. 30-39. DDR: Gesel/schaft - Staat- Burger. Autorenkollektiv unter Leitung v. G. Schulze. Berlin 1974. Domke, Monika (1997): Gedanken zur Marxismus-Diskussion an der Schwe/le zum 21. Jahrhundert: Klassenverhaltnis ohne Gesch/echterverhaltnis - Ein alter Hut (nicht nur) des 20. Jahrhunderts. In: Z 32 (Dez. 1997), S. 162-174. Domke, Monika (1998): Klassentheorie ohne Gesch/echterverhaltnis - Ein alter Hut (nicht nur) des 20. Jahrhunderts (11). In: Z 33 (Marz 1998), S. 159-170. Eifler, Christine (1998): Die deutsche Einheit und die Di.fferenz weiblicher Lebensentwiirfe. In: Aus Politik und Zeitgeschichte B 41-42/1998, S. 37-42. Fobe, Karin; Hartung, Uwe; Hennig, Anita; Innert, Bert; Schmidt, Catherina; Siegel, lngrid (1995): Der Wandel der Lebensentwiirfe ostdeutscher Jugendlicher vor, wahrend und nach der , Wende ". In: : Sydow, H./Schlegel, U./Helmke, A. (Hrsg.): Chancen und Risiken im Lebenslauf- Beitrage zum gesellschaftlichen Wandel in Ostdeutsch/and. Opladen 1995, S. 5-22. Fobe, Karin (1997): Lebensenhviirfe Jugendlicher an der Schwelle zum Beruf In: Schlegel, U./Forster, P. (Hrsg.): Ostdeutsche Jugendliche: Vom DDR-Biirger zum Bundesbiirger. Opladen 1997, S. 243-262. Geilller, Rainer (1993): Sozialer Umbruch als Modernisierung. In: Geilller, R. (Hrsg.): Sozialer Umbruch in Ostdeutschland. Opladen 1993, S. 63-91. Golz, Lutz, u. a. (1992): Verhaltensdispositionen Jugendlicher in Neubrandenburg (Greifswald). Halle: KSPW (= Graue Reihe Nr. 502) 1992. Golz, Lutz (1995): Zur Befindlichkeit Jugendlicher in den Stadten Neubrandenburg, Greifswald und Schwerin (Mecklenburg-Vorpommern). In: Sydow, H./Schlegel, U./Helmke, A. (Hrsg.): Chancen und Risiken im Lebenslauf- Beitrage zum gesellschaft/ichen Wandel in Ostdeutschland. Opladen 1995, S. 45-72. Hahn, Toni (1995): Frauen und Arbeitslosigkeit. In: Sydow, H./Schlegel, U./Helmke, A. (Hrsg.): Chancen und Risiken im Lebens/auf- Beitrage zum gesel/schaftlichen Wandel in Ostdeutschland. Opladen 1995, S. 171- 186. Kaase, Max; Bauer-Kaase, Petra (1998): Deutsche Vereinigung und innere Einheit 1990 - 1997. In: Meulemann, Heiner (Hrsg.): Werte und nationale Identitat im vereinigten Deutschland. Erklarungsansatze der Umfrageforschung. Opladen (i. D.). Lange, Inge (1974): Aktuel/e Probleme der Arbeit mit den Frauen bei der weiteren Verwirklichung des VIII. Parteitages der SED. Berlin 1974. Lindner, Bemd (1997): Sozialisation und politische Kultur junger Ostdeutscher vor und nach der Wende - ein generationsspezifisches Ana/ysemode/1. In: Schlegel, U./Forster, P. (Hrsg.): Ostdeutsche Jugendliche: Vom DDR-Biirger zum Bundesbiirger. Opladen 1997, S. 23-37. Pohl, R. (1995): Antrittsvorlesung an der Martin-Luther-Universitat Ha/le-Wittenberg 1 0.1.1995. Schlegel, Uta (1993): Politische Einstellungen ostdeutscher Frauen im Wandel. Hrsg.: L. Holl u. Manfred Neuhaus i. A. des Rosa-Luxemburg-Vereins (= Texte zur politischen Bildung 5). Leipzig 1993. Schlegel, Uta (1995): Ostdeutsche Frauen in neuen gesellschaftlichen Strukturen. In: Sydow, H./Schlegel, U./He1mke, A. (Hrsg.): Chancen und Risiken im Lebenslauf- Beitrage zum gesellschaftlichen Wandel in Ostdeutschland. Opladen 1995, S. 111-128. Schlegel, Uta (1997a): Weibliche Jugend/iche in Ostdeutschland - makrosoziologische Perspektiven. In: Schlegel, U./Forster, P. (Hrsg.): Ostdeutsche Jugendliche: Vom DDR-Burger zum Bundesbtirger. Herausgeberin zus. mit P. Forster. Opladen 1997, S. 169-191. Schlegel, Uta (1997b): G/eichberechtigung der Geschlechter in der DDR - Mythos und Realitat. In: Keller, Dietmar/Mocek, Reinhard: Alltag in der DDR. Eggersdorf 1997, S. 201-236 (= Ansichten zur Geschichte der DDR Bd. 8). Schlegel, Uta (1998): Gesch/echter- und Frauenforschung. In: Friedrich, W./Forster, P./Starke, K. (Hrsg.): Jugendforschung in der DDR: ZIJ 1966-1990. Berlin 1998. Schneider, H. (1994): Arbeitsmarktperspektiven Ostdeutsch/ands bis zum Jahr 2010. Gutachten im Auftrag der Korber-Stiftung. Institut fur Wirtschaftsforschung Halle (IWH). Forschungsreihe 5/1994. SpieJ3, Gesine (1998): Vater Staat und seine ungleichen Tochter. In: Aus Politik und Zeitgeschichte B 41 - 42/1998, S. 43-46. Wiinsch, lrene (1988): Spielinteressen, Spielzeugbesitz und Berufswunsche bei Jungen und Madchen im Vorschulalter. Leipzig: ZIJ (unveroff. Forschungsbericht) 1988. 72

Genka Lapon1

Frauentraditionen im Leipzig von heute

,Drei Arten von Miinnern sind unftihig, Frauen zu verstehen: die jungen, die a/ten und die mittleren Alters: " (Irisches Sprichwort)

1. Haben die Entstehung einer Tradition und die Tatigkeit einer Gleichstellungs- beauftragten etwas Gemeinsames? Am Anfang der Entstehung einer Frauentradition stand ein Antrag der DSU/FDP-Fraktion an den Leipziger Stadtrat: ,Dem Engagement der Neuberin folgend, sollten allein Frauen, die sich urn die Pflege der deutschen Sprache und deutscher Theatertradition verdient gemacht haben, diesen Preis in Empfang nehmen konnen." (20.06.1996) Was sagte die Verwaltung dazu? ,Entgegen dem Vorschlag der DSU/FDP-Fraktion pladiert die Verwaltung jedoch dafur, diesen Preis auch an Manner zu verleihen." Das ist einem Verwaltungsstandpunkt zu entnehmen. Weiterhin folgt eine mannlich forrnulierte Absicherung gegen weibliches Vordringen, urn gar nicht die geringste Chance fur Frauen aufkommen zu lassen. ,Zur Bestimmung des Preistragers beruft die Stadt ein Gremium, das u. a. aus Kulturpolitikem und Kiinstlem der Stadt zusammengesetzt ist." Anscheinend sind keine Kulturpolitikerinnen und Kiinstlerinnen nach ihrer Meinung und Entscheidung gefragt. Oder haben Sie etwas anderes gehort? Ich jedenfalls habe nichts anderes ablesen konnen. Nur W ochen vor der Stadtratssitzung erfuhr die Gleichstellungsbeauftragte beim Durchsehen eines Vorlagenstapels von der Verwaltungsmeinung, stoppte den EntscheidungsprozeB und lieferte dem Oberbiirgerrneister ihre Stellungnahme: ,Im Sinne der Neuberin ist es, diesen Preis nur an Frauen zu vergeben .... Sie hat vieles erreicht, oft Ungewohnliches durchgesetzt. Diese auBergewohnlich starke Frau hat zu ihrer Lebzeit das Rollenverhalten durchbrochen und dadurch vieles ins Rollen gebracht ... Heute sind 'Prinzipalinnen' rar. Einen Seltenheitswert haben auch Reforrngedanken im Bereich Theater, gekoppelt an das weibliche Geschlecht. Es gibt viele Preise, die meisten davon werden an Manner vergeben. Es tate Leipzig gut, einen Preis allein an Frauen zu vergeben, urn positive Impulse fur die Theaterentwicklung und fur die Anerkennung des Wirkens von Frauen auszulosen." In einer hitzigen Debatte im Stadtrat sprachen sich mehr Frauen gegen diese Meinung aus als Manner. Danach erfolgte die Abstimmung. Der Oberbiirgerrneister stimmte dafur, die Stimmen der Fraktionen waren sehr unterschiedlich verteilt. Der StadtratsbeschluB stand damit fest, einen neuen Preis zu vergeben: den Caro/ine-Neuber-Preis der Stadt Leipzig. , Alle zwei Jahre

1 Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Leipzig 73 wird dieser Preis ausschliel3lich an weibliche Theaterschaffende - Regisseurinnen, Schauspielerinnen, Choreografinnen oder Theaterwissenschaftlerinnen - verliehen werden. Zum ersten Mal wird er am 9. Marz 1998 vergeben werden." (I eh zitiere aus einem Artikel im Leipzig er Amtsblatt vom 15 .03 . 1997) Es ist interessant, wie manche Stadtratsbeschhisse die weiblichen Berufsbezeichnungen in der Offentlichkeit hoffahig machen. Moge jetzt jemand behaupten, Manner seien nicht ausgeschlossen. Oder entstehen durch neue sprachliche Regelungen neue geschlechtsneutrale sprachliche Traditionen. Weiblich wird die Sprache, Manner sind mitgemeint, aber aus Grtinden der ,flotteren Ausdrucksweise" nicht extra erwahnt und gewii3 auch deswegen nicht unbedingt gewollt. Mal einige Bespiele: Herr Meier, Geschaftsfuhrerin; Herr Muller, Intendantin; Herr Schulze, Schriftstellerin. Wie klingt das? Vielleicht hatte jemand etwas dagegen? Zuriick zur Geschichte. Die erste Preistragerin des Leipziger Caroline-Neuber-Preises ist Jutta Hoffinann. So verbindet sich die Entstehung einer Tradition im Sinne der Frauen mit dem stillen Wirken der Gleichstellungsbeauftragten. Erst nach der Preisverleihung ist die Frauenspezifik fur die Stadtpolitikerinnen und Stadtpolitiker wichtig geworden. Denn es gibt viele Preise, aber wenige nur fur Frauen in den einst groi3en Wirkungsstatten fur Frauen.

2. Schaffen Frauen Traditionen oder bleibt ihnen traditionell als Stimme nur die der Gleichstellungs-!Frauenbeauftragten erhalten? Zunachst einige Anmerkungen zur Lobbyarbeit fur die Gleichstellung von Frau und Mann aus der Tatigkeit des Gleichstellungsreferates der letzten Jahre: - Die Frauensituationsberichte gewinnen an politischer Bedeutung und enthalten kommunal­ politische Empfehlungen. - Neue Medien setzen neue politische Zeichen, z. B. die allererste CD-ROM in der Stadt­ verwaltung ,Chancengleichheit von Frau und Mann". - Frauenprojekte werden gefordert, gemeinsame Projekte werden mit den Vereinen durch­ gefuhrt. 1. Begleitbroschiiren zu Fraueninformationsborsen 2. Frauenvereinsbildung 3. thematische Abende, Buchveroffentlichungen, Videoproduktionen2 4. Der Veranstaltungskalender erscheint seit vier Jahren monatlich. Im Stadtrat wird er oft als Beispiel genannt, wenn groi3e Amter mit der Priifung ahnlicher Veroffentlichungen beauftragt werden.

2 1997 entstand aucb ein Video zum Wirken von Frauen in Leipzig in Vergangenheit und Gegenwart. 74

Ein anderes Beispiel: Zur Zeit lauft die Pri.i.fung im Jugendamt. Als Modell fur den politischen Auftrag - Erstellung von Stadtplanen fur Kinder und Jugendliche - diente der Frauenstadtplan der Frauenbibliothek MONAliesA. Frauen helfen den Politikerinnen und Politikem bei der Ideenfindung und schaffen Traditionen - wie die thematischen Stadtplane vor Ort. Frauen schaffen ,Frauentraditionen". Zur Tradition ist die Zusammenarbeit von Gleichstellungsreferat und Frauenvereinen geworden. Aus dieser Tradition werden neue Traditionen entstehen. Geben wir uns noch eine Weile Geduld und gegenseitig Kraft, denn fur den wirkungsstarken Auftritt eines Frauentraditionschores in Leipzig brauchen wir noch viele Stimmen und viele Kraftproben, urn den Raum gewaltig mit Gesang fullen zu konnen. 75

Was gibt uns die Beschaftigung mit Louise Otto-Peters heute?

Podiumsgesprach mit Dr. Susanne Schotz (Fuchshain), Johanna Herr (Hockenheim), Gabriele Kluge (MeiJ3en), Christiane Schaller (Annaberg-Buchholz), Christina Hiittig (WeiJ3enfels), Hermann Wolf (Leipzig), Jutta Damm-Fiedler (Leipzig) und Caroline Blattmann (Leipzig)

Dr. Susanne Schotz: Ich begruJ3e Sie sehr herzlich zur Podiumsdiskussion des 6. Louise-Otto­ Peters-Tages. Das Thema haben Sie langst dem Programm entnommen - "Was gibt uns die Beschaftigung mit Louise heute?" Denen, die mich nicht kennen, mochte ich mich ganz kurz vorstellen. Meine Name ist Susanne Schotz, ich bin Historikerin. Ich bin zur Zeit befristet beschaftigt an der TU Chemnitz am Lehrstuhl fur Wirtschafts- und Sozialgeschichte, und damit kennen Sie schon eines meiner Arbeitsgebiete, also die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Ein anderes Gebiet, auf dem ich forsche und lehre, das ist die Frauen- und Geschlechtergeschichte. Aber nicht deshalb sitze ich heute hier, sondern ich versuche, uns durch dieses Gesprach zu fuhren, weil ich seit mehreren Jahren Mitglied der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft bin und hin und wieder einfach auch mal gem etwas zum Leben dieser Gesellschaft beitrage. Ich mochte Ihnen fur unser Podiumsgesprach folgende Verfahrensweise vorschlagen. Ich denke, in einer ersten Podiumsrunde sollten alle Podiumsgaste die Gelegenheit haben, kleine Statements vorzutragen. Dabei muJ3 ich schon jetzt Kiirze anmahnen. Wir sind acht Teilnehmerlnnen, und insofern muJ3 ich Sie einfach bitten, moglichst nicht langer als funf Minuten zu sprechen, damit wir noch zu dem eigentlichen Gesprach kommen. Ich wiirde dann sehr gerne nachhaken und einfach Fragen nachschieben. Diese Fragen mochte ich aber auch an alle anderen, die hier sitzen, stellen, das heiJ3t, alle anderen sollen auch Gelegenheit haben, sich dann in dieses Gesprach einfach einzuklinken, ihre Bemerkungen zu machen, vielleicht auch eigene Fragen zu stellen, damit wir iiber das reden, was uns wirklich beschaftigt bei dem Thema, was uns die Beschaftigung mit Louise heute geben kann. Wenn Sie damit einverstanden sind, konnten wir loslegen, und ich denke, wir verfahren einfach so, wie das hier im Programm ausgewiesen ist, das heillt, ich wiirde zunachst Frau Johanna Herr aus Hockenheim bitten. Johanna Herr: Ich komme aus Hockenheim und war Lehrerin an einer hauswirtschaftlichen Berufs- und Berufsfachschule, die den Namen Louise Otto-Peters tragt. Da wir dann eine zweite Runde fuhren, mochte ich nicht ganz so viel sagen, nur eines: Louise Otto-Peters ist in Hockenheim iiberhaupt nicht bekannt gewesen. Der Name kam so zustande: Die Schulen sollten sich so zwischen den Jahren 65 und 70 Namen geben. Ahnliche Schulen urn uns herum hatten eben schon Helene Lange, Marie Baum usw. Und da wurde dann ein Name gesucht. Ich war damals noch nicht an der Schule. Die damalige Schulleiterin wuJ3te wohl ein wenig von der 76

Louise Otto-Peters und hat deswegen unserer Schule den Namen gegeben, und damit hat sich' s eigentlich gehabt. In Hockenheim selbst wuBte kein Mensch etwas damit anzufangen. Wenn man nach der Louise-Otto-Peters-Schule gefragt hat, wurde man oft angeschaut; die gibt' s hi er gar nicht, hieB es oft. Man muBte also sagen: Hauswirtschaftsschule, dann wuBte es wieder jeder. Inzwischen sind jetzt nati.irlich Jahre vergangen, und so ganz allmahlich hat sich der Name eingebiirgert und ist also auch jetzt im Stadtchen bekannt. Hockenheim selbst liegt im Dreieck Speyer-Mannheim-Heidelberg, ist ein kleines Stadtchen von 18 000 Einwohnem. Und als gewerbliche Schule ist nur die Hauswirtschaftsschule in Hockenheim. Ansonsten sind eben die anderen Schulen da, Grundschule, Hauptschule, Gymnasien. Das nur mal ganz kurz zur Stadt und zur Schule. Zu Louise Otto-Peters: Jetzt war es so, daB auch das Kollegium eigentlich wenig wuBte. Wir hatten so ein DIN-A4-Blatt, auf dem stand, wann sie geboren ist, daB sie Frauenrechtlerin war, daB sie eine Frauenzeitschrift gegriindet hat und was ihr Vater war, erinnere ich mich gut, und im Deutschunterricht wurde dieses DIN-A4-Blatt auch mit den Schiilem in den ersten Unterrichtsstunden besprochen, und damit war es eigentlich erledigt. Und erst in dem Jahr, als der 100. Todestag der Louise Otto-Peters fallig war, hat der nachste Schulleiter, der die Schule auch heute noch leitet, den Vorschlag gemacht, einmal einen Wettbewerb mit den Schiilem durchzufuhren, iiber Louise Otto-Peters einfach mehr zu erfahren. Und er selbst hat dann etwas recherchiert, und so kamen wir an die Louise-Otto­ Peters-Gesellschaft. Da bekamen wir dann auch endlich mal etwas mehr an Material, und einige von uns sind dann auch Mitglied geworden, und so kam einfach mal der Kontakt zustande. Unsere Schiilerinnen - wir haben heute auch Schiiler - aber es sind mehr Schiilerinnen, deswegen auch ein Frauenname fur die Schule, haben dann eigentlich recht eifrig sehr viel gestaltet, meistens gemalt, mit Siebdruck, mit Aquarell, die Louise Otto-Peters nach Bildem, aber auch einfach frei gestaltet, so wie sie sich sie eben vorstellen. Sie haben auch einen Videofilm gedreht Louise Otto-Peters heute, da haben sie sie also vom Himmel auf die Erde kommen lassen, und es ist ein recht netter Film geworden, ich glaube, Herr Ohnemus hat ihn hier schon gezeigt. Das war es dann, was uns eben mehr mit Louise Otto-Peters zusammengefuhrt hat und auch beschaftigt hat. Die Schiilerinnen bekamen dann auch Preise fur die besten Arbeiten und die hangen jetzt auch in unserer Schule, und damit ist sie schon lebendiger da. Gabriele Kluge: Ich bin zugezogene Meillnerin seit fast drei Jahrzehnten. Also ich lebe in der Stadt, wo Louise Otto-Peters geboren ist. Ich habe, als ich dorthin zog, iiberhaupt nichts iiber diese Frau gewuBt. Mir fiel nur auf, daB bei mir in der Nahe eine kleine Gasse existierte mit dem Namen Louise-Otto-Gasse. Da habe ich dann spater einmal recherchiert, und zwar ist diese Gasse vor hundert Jahren nach einem Architekten namens Otto benannt worden, und als Louises 100. Geburtstag im Jahre 1919 war, haben die Stadtvater einfach nur noch Louise davor gesetzt. Die Gasse besteht aus drei Hausem. So traurig das auch ist. Aber wir versuchen 77 ganz intensiv, einen StraBennamen jetzt fur sie in einer groBen StraBe mit vielen wichtigen Adressen zu erreichen. Wir sind ahnlich wie Sie zu Louise Otto-Peters gekommen, indem zum 175. Geburtstag der Staatsbiirgerinnen-Verband nach MeiBen kam und dort auf SchloB Siebeneichen den Geburtstag feierte. Und da waren wir auch mit eingeladen, ich war in einer Frauengruppe in MeiBen mit integriert. Das ging natiirlich hauptsachlich urn ihr Leben. Es wurden an dem Tage auch diese wiedergefundenen Briefe, die von Louise an ihren Verlobten im Zuchthaus geschrieben worden waren, erstmalig gelesen von Johanna Lemke, und ich war ganz fasziniert. Unsere Frauengruppe kam ziemlich schnell zu dem EntschluB, das Anliegen von Louise Otto-Peters in MeiBen zu verbreiten, und wir griindeten einen Verein ihres Namens. Wir batten das Gliick, gegeniiber ihrem Geburtshaus mitten in der Altstadt - dort ist auch eine Messingtafel angebracht, daB sie dort lebte - in einem kleinen Hauschen einen Raum mieten zu konnen. Dort sitzt jetzt unser Verein drin. Ich bin die einzige angestellte Mitarbeiterin dort. Wir sind 13 Vereinsmitglieder und haben einen verpflichtenden und ermutigenden Namen. Wir wollen versuchen, das politische Engagement von Louise Otto­ Peters publik zu machen, also, was sie fur Frauen getan hat. Wir suchen nach Wegen, das Anliegen von ihr neu zu beleben durch verschiedene Veranstaltungen und Publikationen usw., die wir dann anbieten. Wir arbeiten nicht so wissenschaftlich, mehr auf praktischer Ebene im direkten Bezug zur heutigen Zeit. Wenn ich nach der Fragestellung gehe, was gibt uns die Beschaftigung mit Louise Otto-Peters heute, kann ich wirklich von mir aus sagen, daB ich mich, als ich mich mit ihr befaBt habe und mit ihrem Leben, entschlossen habe, eines ihrer Zitate zu verinnerlichen, daB es nicht nur eine Aufgabe, sondem eine Pflicht ist, uns politisch zu engagieren. Ich habe mich damals als Stadtratin aufstellen und wahlen lassen und arbeite seitdem in dieser Funktion mit mehr oder weniger Erfolg, unter anderem eben auch fur diesen StraBennamen und iiberhaupt fur Frauen mehr zu tun. Und ich ware nicht dazu gekommen, wenn nicht in den letzten Jahren soviet gerade durch Louise aufuns zugekommen ist. Ich muB sagen, je mehr ich mich damit befasse, desto spannender wird es fur mich. Christiane Schaller: Ich vertrete hier eine Einrichtung, die seit 1996 Mitglied ,in der Feme" ist in der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft. Wir haben als Einrichtung- wir sind ein Senioren- und Betreuungszentrum, das sich Louise Otto-Peters nennt - schon seit dem 4. Oktober 1959 diesen Namen. Wir haben his vor kurzem noch nicht genau gewuBt, seit wann wir diesen Namen tragen. Bei Urnraumungsarbeiten sind uns die Einladungskarten in die Hande gekommen fur diese Weihe. Wir sind also dariiber ganz froh, und auch zu DDR-Zeiten haben sich unsere Bewohner - wir haben reichlich 250 Bewohner in unserem Seniorenzentrum und circa 90 Mitarbeiter - mit dem Leben von Louise Otto-Peters beschaftigt. Denn in einer alten Hausbibliothek, die eine Bibliothekarin fuhrt, die jetzt bei uns wohnt, haben wir diese drei Biicher gefunden, von Hedda Zinner, Ruth Ellen Boetcher-Joeres und Jeanne Berta Semmig. Die wurden auch gelesen, und dariiber wurde auch referiert. Als wir erfuhren, daB es die 78

Louise-Otto-Peters-Gesellschaft gibt, wares fur uns Ehrensache, daB wir rnit ihr in Verbindung kamen, urn uber Leben und Schaffen von Louise Otto-Peters auch der heutigen Generation etwas nahezubringen und wollten uns da einbringen. Da wir jetzt auch noch eine ambulante Ptlege haben und betreutes Wohnen, hat sich ihr bisheriger Name ,Feierabendheim Louise Otto-Peters" geandert. Wir werden also 1999 unser 40jahriges Bestehen haben. Ich bin dort Leiterin des begleitenden sozialen Dienstes und stellvertretende Chefin. Ich babe rnich nun narurlich rnit dem Leben von Louise intensiv befaBt. Diese gemutvolle Frau, klein, wie sie ja eigentlich war - was sie an Kraft, Tapferkeit und Mut aufgebracht und an schoner Poesie geschaffen hat, hat rnich wirklich so beeindruckt, daB ich sagte, da tun wir auf alle Falle was dafur. Mitglieder der Gesellschaft, die schon bei uns waren, wissen das. Wir haben unser neues Haus, das wir voriges Jahr eingeweiht haben, ,,Louise-Otto-Peters-Haus" genannt. Im Foyer hangt eine wirklich ansprechende Tafel rnit dem Leitsatz ,Mit den Muth 'gen will ich 's ha/ten", auf der die Lebensdaten der Louise Otto-Peters zu lesen sind. Unser Cafe heillt auch Louise. Wir haben uns fur Marz 1999 vorgenommen, daB wir dort dann auch noch Schautafeln anbringen werden in einem ordentlichen und ansprechenden Ambiente. Wir bringen uns in diesen Marztagen auch bei der sachsischen Frauenwoche ein in Zusammenarbeit rnit den Gleichstellungsbeauftragten der Stadt und des Landkreises Annaberg-Buchholz. Beim letzten Mal haben wir bewirkt, daB der Film Nur eine Frau gezeigt wurde und haben Schulen zum Besuch eingeladen. Im Marz machen wir immer besonders etwas fur die Publizitat und Veranstaltungen fur Louise Otto-Peters. Was wichtig ist fur unsere Arbeit im Altenbereich: ,Mit den Muth' gen will ich' s halten" - das brauchen wir auch fur unsere Arbeit, die sehr schwer ist in vielen Dingen. Aber wir wollen auch das Neue und Gute in der Pflegewissenschaft umsetzen, und dazu gibt uns eigentlich auch Louise oft den Mut Christina Huttig: Ich bin die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt WeiBenfels und babe Bekanntschaft rnit der Louise Otto-Peters gemacht, als ich vor drei Jahren zum ersten Mal die kulturpolitischen Tage fur Frauen in Weillenfels ins Leben gerufen babe. Eine Veranstaltung innerhalb dieser Tage war auch eine Podiumsdiskussion gewesen unter dem Thema Frau und Wirtschaft - ein Widerspruch? und auf die Einladungskarte babe ich einen Ausspruch oder Zitat der Louise Otto-Peters rnit aufgenommen, das etwa so lautet: "Wenn es in den heutigen Zeiten urn die Verteilung der Arbeit geht, vergeBt bitte nicht, meine Herren, an die Frauen zu denken". Das ist der Leitspruch gewesen, der rnich in dieser Zeit bewegt hat, denn Arbeitslosigkeit unter Frauen ist das Problem Nummer 1, was wir uns auch auf die Tagesordnung geschrieben haben. Die Teilnahme am Evangelischen Kirchentag in Leipzig vor zwei Jahren rnit den Gleichstellungsbeauftragten des Landkreises Weillenfels, Naumburg und auch des Burgenlandkreises fuhrte auch zur Bekanntschaft rnit der Louise-Otto-Peters­ Gesellschaft. Nachdem ich erfahren babe, daB es eine Ausstellung dieser Gesellschaft uber Louise Otto-Peters gibt, babe ich den Kontakt weitergehalten, babe die Ausstellung nach 79

WeiBenfels genommen, die in unserem Rathaus aufgestellt worden ist und zumeist von vielen alteren Frauen angeschaut wurde. Bedauerlicherweise fehlte das Interesse der jungeren Frauen und Madchen daran. Deshalb ist es auch mein Ziel, ihnen das Wirken dieser mutigen Frauen in der Geschichte der Frauenbewegung zu verdeutlichen und zu verinnerlichen und eine Vorbildwirkung zu erzeugen. Ich babe mir auf die Fahne geschrieben, in dieser Richtung ktinftig sehr intensiv zu arbeiten. Jutta Damm-Fiedler: Ich komrne aus Leipzig und bin freiberuflich als Grafikerin tatig. Seit einem Jahr bin ich tiber Frau Ludwig mit der Louise in Bertihrung gekomrnen. Ich versuche, der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft auch ein grafisches Gesicht zu geben und die zu druckenden Dinge in eine ordentliche Form zu bringen. Wir haben zusammen die Ausstellung Menschenrechte fiir Frauen - Frauen fiir Menschenrechte gemacht, die vor kurzem gezeigt wurde. Wir werden sie jetzt in einer Broschtire dokumentieren. Ich wachse auch langsam in die umfangreiche Thematik mit hinein. Ich babe vor 20 Jahren angefangen, Frauenplakate zu machen. Die ersten waren Plakate zu Rosa Luxemburg und zu Clara Zetkin. Ich wollte eigentlich die bedeutenden Frauen, die in Leipzig gewirkt haben, in eine Plakatgestalt bringen. Das geschah noch mit Clara Schumann und Lene Voigt. Insofem babe ich mich schon langer vor Louise mit Frauen beschaftigt. Hermann Wolf: Ich bin aus Leipzig und babe mich mit ein paar Gedichten von Louise Otto­ Peters auseinandergesetzt und eben Lieder danius gemacht. Da muBte ich mich damit befassen, was denn nun das Spezifische ist an ihrer Kunst und an der Wirkung ihrer Ausdrucksmittel in der damaligen Zeit. Es lohnt sich tatsachlich, diese Gedichte Wort fur Wort und Zeile fur Zeile darauthin zu betrachten, was bedeuteten sie damals. Wenn ich Louise Otto-Peters bin und zu meinem angestammten Landesherm gehe und dann sage, ich bin frei und gleich, dann war das damals doch etwas anderes als heute. Und deswegen kann man nicht sagen, daB solche Begriffe, die in ihren Gedichten tatsachlich auftauchen, einfach nur W orthtilsen sind, zu denen sie dann irn Laufe der Zeit ein billchen verkomrnen sind. Heutzutage ist jeder frei, gleich und demokratisch und denkt sich schon gar nichts mehr dabei; das ist nattirlich die umgekehrte Seite. Dabei fand ich eben folgendes. Ich darfs mal zugespitzt sagen: Wenn ein Mann einen Ktinstlerberuf ergreift, so nach dem Motto, ich beschloB, Ktinstler zu werden, in der Weise also, ich babe der Menschheit groBe noch nie dagewesene Kunstwerke zu liefem, und ich muB die Formen und die Ausdrucksweisen der Kunst entscheidend weiterbringen und bereichem. Das ist dieses Verstandnis. Und was mir so wunderbar bei der Louise Otto-Peters gefallt, das ist, daB sie die Kunst in Anspruch nimrnt, urn sich als Mensch selbst zu verwirklichen. Sie drtickt das auch in Gedichten aus, indem sie zum Beispiel sagt, in dem Gedicht Natur und Kunst: ,Sich selbst gewinnen und erheben, dies ist der Kunst erhab'ner Sinn". Woanders sagt sie das auch in ahnlicher Weise. Es passiert bei ihr folgendes: Sie nimrnt vollig die Formen und Ausdrucksweisen ihrer Zeit, ungeniert, das darf sie ja, jeder Mensch hat ein Recht auf Kunst 80 und mul3 deswegen nicht als Genie herumlaufen. Aber sie nimmt ste und sagt vollig ungewohnlich neue Dinge. Ein andermal mtissen wir uns einmal unterhalten tiber das Gedicht Auf dem Kynast im Vergleich zu der Ballade Der Handschuh von Schiller. Oder das, was sie tiber den Zweck des Menschseins mit der Kunst sagt und das, was Schiller sagt in den Briefen Ober die iisthetische Erziehung der Menschen. Da kann ich blo13 sagen, Louise Otto-Peters ist doch gedanklich viel weiter. Damit hatte ich mich zu beschaftigen, wenn ich Das Schneeglockchen nehme und das schon langst abgegriffene Beispiel von der Frtihlingsbotin, aber der Konsequenz, die dann bei Louise Otto-Peters vorkommt. Oder die Frage, wie es mit ihrer Religiositat war. Da muB man zwei Dinge auseinanderhalten. Sicherlich glaubte sie an Gott, und das hat sie auch gesagt. Aber sie hat sehr vieles Religioses benutzt, urn Zusammenstellungen, die ganz ungewohnlich und provokant sein muBten, zu erreichen. Weil es hier bloB ein Statement ist, nehme ich mal von Heinrich Heine ein ganz typisches Beispiel. Der hat in Lutetia von demjenigen gesprochen, der das Gleichnis vom Kamel und dem Nadelohr und dem Reichen, der nicht in den Himmel kommt, aufgestellt habe und sprach dann von dem gottlichen Kommunisten, der dieses Gleichnis geschaffen habe. Ich meine jetzt blol3 die Methode, Dinge gegentiberzustellen, die fur die damalige Zeit unglaublich provozierend sein muBten. Und genauso ist was passiert, wenn Louise Otto-Peters das Wort gebenedeit nimmt, aber anwendet auf das, was in den Augen der damaligen Zeit relativ profan ist, ja sogar politisch aruiichig, so ist das eine bewul3te Herausforderung, und wir konnen uns auch dariiber unterhalten, wieso der Hoffinann von Fallersleben den Arger gekriegt hat, da13 er seinen Duodezfursten gesagt hat: Deutschland, Deutschland iiber alles und das noch auf die Melodie des Liedes Gott beschiitze Franz den Kaiser und wieso ihm das die Professur gekostet hat und die Ausweisung aus mehreren deutschen Bundesstaaten. Das heillt also, was bedeutet ein Wort in der unrnittelbaren Zeit, wo es fallt, wo es ausgesprochen wird, und wie abgenutzt mag uns heute vieles erscheinen, was damals unheimlich brisant war. Wir haben den Auftrag, die Brisanz des Damaligen in unser Leben hintiberzunehmen. Die Kunst als Mittel der Selbstverwirklichung, die Kunst der Selbstverwirklichung finde ich bei Louise Otto-Peters in einem enormen Ma13e ausgepragt. Und wenn ich in Klammem vielleicht noch hinzufugen kann: Die Griechen haben ja in ihrer Geschichte und Mythologie am eigenen Leib erlebt den Obergang von der matrilinearen Abfolge zur patrilinearen, weil wir jetzt mal vom Hellenismus sprechen, und der Orestes hat das sehr abgekriegt in der Orestie, daB er nicht wuBte, wie er sich verhalten sollte. Die Griechen haben das Betreiben von Kunst und Wissenschaft als Einheit gleichma.Big unter neun Damen verteilt, das waren die Musen. Das waren Frauen. Und fur die Menschen der damaligen unbefangenen Zeit war es selbstverstandlich, daB das Bild, das ihm die Welt bietet, in ihm zur Bildung wird. Und das in dem Ma13e, wie er sich iiber seine Stellung in der Welt klar wird, es auch seine Stellungnahme erfordert. Diese naturwiichsige Unbefangenheit im Umgang mit der asthetischen Aneignung der Wirklichkeit finde ich bei 81

Louise Otto-Peters in einem MaBe, das ich fur vorbildlich halte, und da interessiert es mich gar nicht, ob jeder Reim so schlOssig und bOndig ist und so geschliffen. Caroline Blattmann: Ich bin noch SchOlerin der 12. Klasse und habe mich letztes Jahr im Rahmen einer Projektarbeit, die jeder von uns anfertigen sollte, mit dem Thema "Die Frau im Beruf - eine Berufung?" beschaftigt. Da ich in der Geschichte begonnen habe, namlich Mitte des 19. Jahrhunderts, bin ich natOrlich unweigerlich auch auf den Namen Louise Otto-Peters gestoBen. In den BOchern, die ich gelesen habe, tauchte immer wieder dieser Name auf Ich habe sehr schnell gemerkt: Es war eine ziemlich interessante, starke und auch sehr mutige Frau. In den GeschichtsbOchern in der Schule ist dieser Name eigentlich nie zu finden. Ich hatte von ihr vorher nie etwas gehort. Als ich die Projektarbeit verteidigt habe, muBte ich feststellen, daB MitschOlerinnen und MitschOler diesen Namen Oberhaupt nicht kennen, obwohl seine Tragerin in Leipzig gewirkt hat. Ich habe mir auch das Buch Das Recht der Frauen auf Erwerb vorgenommen. Als ich es zu lesen begann, habe ich mich etwas schwer damit getan, weil es schon ziemlich alt ist. An mehreren Stellen habe ich jedoch gemerkt, daB es viel spannender ist als jedes Geschichtsbuch. Denn wenn Zeugen berichten, ist es immer naher an der Realitat, und auBerdem standen Dinge drin, die in den GeschichtsbOchern unerwahnt bleiben, eben wem es am schlechtesten ging und wie es den Frauen vor allem ging, die so gem unter den Tisch gekehrt werden. Die Erkenntnis von Louise, daB die Bildung der Frauen wirtschaftliche Unabhangigkeit ermoglicht, ist heute immer noch gtiltig. Unter meinen Freundinnen und MitschOlerinnen merke ich, daB das von den meisten noch nicht erkannt worden ist. Gerade deshalb habe ich diese Projektarbeit geschrieben. FOr mich habe ich daraus die Erkenntnis gezogen, daB die Louise eine mutige Frau war, daB sie ihrer Zeit voraus war und daB es leider so ist, daB zwar vieles schon erreicht wurde, aber daB immer noch nicht alles verwirklicht werden konnte. Ich habe mir ebenfalls auf die Fahne geschrieben, mir bewuBt zu machen, wo bin ich benachteiligt, und kein Blatt vor den Mund zu nehmen und dafur einzutreten, was ich denke. Dr. Susanne Sch6tz: Ich bin erst relativ spat zur Louise gekommen, wohl erst in den neunziger Jahren. Vor 1989 wuBte ich nur wenig Ober die Geschichte der bOrgerlichen Frauenbewegung in Deutschland und auch nur weniges Ober Louise. Aber immerhin war mir bekannt, daB sie die Schrift Das Recht der Frauen aufErwerb verfaBt hatte. Das brachte sie mir freilich nicht naher. lhre Schrift entstammte, so schien mir damals, einer vergangenen Zeit. Sie betraf Frauen, die mir fremd waren. Mit meinem Leben hatte das alles Oberhaupt nichts zu tun. Denn berufstatig zu sein, das war fur mich selbstverstandlich. Darauf war ja schlieBlich alles von Anfang an hinausgelaufen, die Schule, das Studium. Beinahe automatisch mOndete alles ins Arbeits-, ins Berufsleben. Dieses erschien unendlich lang, lebenslanglich zu sein. Man denke an die vielen Rentnerinnen und Rentner, die in der DDR weitergearbeitet haben. FOr mich selbst schien es so, daB zum historischen Forschen und Lehren genOgend Zeit zur Verfugung stand. Zur Eile 82 gab es iiberhaupt keinen Grund. Und iiberhaupt, fast rnein ganzes Leben bestand nur aus Arbeit. Ich habe mit zwei kleinen Tochtern an der Hand prornoviert, war dann vollbeschaftigt berufstatig und rnuf3te mich haufig ganz schon strecken, wie der Sachse sagt, urn alles unter einen Hut zu bringen. Ich beneidete Menschen, von denen ich wuf3te, daf3 sie Hobbys, weil ausreichend Zeit batten. Meine Hobbys waren rneine Kinder, rnein Mann, der liebe gute Haushalt. Aber ich hatte das grof3e Gliick, einen Beruf zu haben, der nicht nur Pflicht, sondern auch Hobby sein konnte. Nach 1989, das wissen Sie alle, wurde vieles sehr anders. Anstelle des alten, unbefristeten Arbeitsvertrages trat ein befristeter. Ich hatte damit grof3es Gliick irn Unterschied zu vielen anderen Kolleginnen und Kollegen, denen aus sogenanntern Bedarf oder anderen Griinden gekiindigt wurde. Auf einmal war die Zeit der Berufstatigkeit nicht rnehr unbegrenzt. Das Ende des befristeten Arbeitsverhaltnisses war exakt auf Jahr und Tag festgesetzt. Je naher es karn, desto banger fragte ich mich: Werde ich jernals wieder irn Beruf, den ich liebe, tatig sein konnen? 1st das schon das Ende rneines Berufslebens? Ich rneine natiirlich nicht des Arbeitslebens, denn daf3 ich immer versuchen werde zu arbeiten, letztlich auch, urn Geld zu verdienen, das ist klar. Ich rneine wirklich: 1st das schon das Ende des Berufslebens? In dieser Zeit begann ich mich zu ofthen fur andere Frauen, mich fur andere Frauen zu interessieren. Fiir solche in rneinern Alter mit vergleichbaren Lebensurnstanden, aber auch fur altere und jiingere mit anderen Lebenswegen. Wie gingen sie mit der neuen Situation urn? Ich besuchte Frauenvereine, Initiativen, Netzwerke, Tagungen und griindete schliel3lich zusammen mit Karin Zachmann aus Dresden selbst ein Frauennetzwerk, narnlich das der Historikerinnen und Historiker, die in Ostdeutschland auf dern Gebiet der Frauen- und Geschlechtergeschichte arbeiten, die sogenannte ,Regionalgruppe Neue Bundeslander" des Arbeitskreises fur historische Frauen- und Geschlechterforschung der Bundesrepublik Deutschland. In dieser Zeit wurde ich auch Mitglied der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft. Gleichzeitig aber wurde die mir noch verbleibende Arbeitszeit als Historikerin immer kostbarer. Ich lehrte und forschte nur noch das, was mich wirklich interessierte, was mir wirklich wichtig war, was mich so sehr beschaftigte, daf3 sich dafur der ganze Einsatz bis an die physischen und psychischen Grenzen lohnte. So ist rnein Habilitationstherna alles andere als zufallig gewahlt. Es hat den Arbeitstitel 11 Frauen irn sachsischen Handels- und Gastgewerbe. Zur

11 Sozialgeschichte weiblicher Erwerbsarbeit in der Neuzeit • Zwei grof3e Interessen haben mich zu dieser Untersuchung gefuhrt, die ich nur ganz kurz nennen will. Es ist einmal das Interesse an Arbeitsverhaltnissen als grundlegenden Beziehungen des Zusammenlebens der Menschen. Sie strukturieren eine Gesellschaft in grundlegender Weise, sie driicken ihr ihren unverwechselbaren Sternpel auf Sie sind Herrschafts- und Machtverhaltnisse, denn der Zugang zu Arbeit, die Aufstiegsrnoglichkeiten irn Beruf bestimmen nicht nur iiber die Hohe des Einkommens und den rnoglichen Lebensstil, sondern auch iiber das gesellschaftliche Ansehen auf der einen Seite und die personlichen Wertvorstellungen, Wiinsche und Hofthungen auf der 83 anderen Seite. Das zweite Interesse, das ich mit diesem Thema verbinde, das ist das Interesse an der Erforschung von sozialer Ungleichheit. Und die ergibt sich eben nicht allein aus der Zugehorigkeit zu unterschiedlichen Klassen, Schichten, Standen, Konfessionen, sondem sie ergibt sich auch aus der Geschlechtszugehorigkeit, und ich meine also dieses Interesse an historischen Geschlechterverhaltnissen und ihrem Wandel. Und hier schlieBt sich fur mich der Kreis. Sie werden verstehen, daB ich nun sehr bewuBt begann, mich mit der Geschichte der Frauenbewegung auseinanderzusetzen, zumindest mit bestimmten Seiten zunachst einmal, daB fur mich jetzt die Schrift Louises vom Recht der Frauen auf Erwerb als die Schrift einer Zeitgenossin des 19. Jahrhunderts groBes wissenschaftliches Interesse erlangte. Aber: Ihre kleine Schrift bekam fur mich auf einmal auch eine sehr personliche Aktualitat, die ich mir vor 10 Jahren niemals hatte vorstellen konnen. So habe ich Louise nichts hinzuzufugen, die schon 1848 schrieb, und jetzt mochte ich sie einmal zitieren: ,Sorgt man allein dafur, daB die Manner hinreichend Verdienst haben, urn auch die Frauen mit emahren zu konnen, schneidet aber diesen jeden Weg ab, sich selbstandig durchs Leben zu helfen, so begeht man damit die Brutalitat, ein Geschlecht als das Eigentum des anderen zu erklaren, die eine Halfte der Einwohner eines Landes der Willki.ir der anderen Halfte preiszugeben. Diese unchristliche und unmenschliche Handlungsweise sollte in einem freien Staat unmoglich gemacht werden." Damit mochte ich zunachst mal enden und vorschlagen, daB wir schnurstracks in die zweite Runde iibergehen, daB wir versuchen, miteinander ins Gesprach zu kommen. Ich habe mir einige Fragen aufgeschrieben, die mich einfach interessieren, die ich zunachst an die Runde noch mal stellen will, aber alle anderen haben Gelegenheit, sich auch zu beteiligen. Eine erste Frage, die ich stellen mochte, betriffi die Seiten des Werkes von Louise, die Ihrer, die unserer Ansicht nach nahezu ungebrochene Aktualitat haben. Ich denke schon, daB es solche Seiten gibt, und ich wiirde geme dariiber reden. Was sind fur die einzelnen von uns diese Seiten? Was hat nahezu ungebrochene Aktualitat, wo konnen wir problemlos ankniipfen, wenn wir uns mit Louise beschaftigen? Und ich fange einfach mal selbst an, obwohl das nicht sehr schon ist. Fur mich, das haben Sie an meinem letzten Beitrag ja gesehen, ist es die Frage der Frauenerwerbsarbeit. Aber wir haben ganz unterschiedliche Lebenssituationen, Umstande, Interessen und Neigungen. Was sind fur Sie die Seiten, die Sie interessieren, die Sie bewegen und beschaftigen, wo Sie problemlos ankniipfen konnen? Christina Hiittig: Erwerbstatigkeit fur eine Frau bedeutet auch Unabhangigkeit und Erfolg fur sich selbst. Daran ist zu ermessen, in welche Probleme Frauen stiirzen, wenn sie heute zumeist als erste entlassen werden. Frauen wollen sich aber weiterhin personlich verwirklichen, mit dem, was sie einmal gelemt und an beruflichen Erfahrungen erworben haben. Sie wollen unter Menschen bleiben, und das ist vor allem das Arbeitsleben. Wenn hier ein Bruch erfolgt, das eigene Wissen und die eigenen Fahigkeiten nicht mehr gefordert werden, gerat man schnell in die Versuchung zu fragen: Was bin ich eigentlich noch wert? Sich nur noch wert fur die Familie 84 zu fuhlen, das bringt nicht das, was einen personlich befriedigt. Die Familie ist die eine Seite. Zur Selbstverwirklichung gehort jedoch mehr, vor allem das tun zu konnen, was personlich voranbringt. Hier sind viele Frauen heute nicht nur in die zweite, sondern in die dritte und vierte Reihe versetzt worden. Caroline Blattmann: Fur mich ist Bildung das, woran ich ankniipfen kann. Ich stehe jetzt an der Schwelle zu entscheiden, was ich nach der Schule mache. Auf den ersten Blick steht mir alles offen, wenn ich das Abitur babe. Aber ich babe dariiber nachgedacht und gemerkt, da fehlt doch etwas. Es bestehen noch zu viele Defizite, die Madchen ermutigen, etwas zu machen, was mit Technik und Naturwissenschaften zu tun hat. Johanna Herr: Wenn ich an unsere Schulart denke, dann sind hier Madchen, die meistens nur den HauptschulabschluB haben und dann anschlieBend diese Berufsfachschule besuchen. Sie gehen dann in die verschiedensten hauswirtschaftlichen Berufe, also auch die der Altenpflegerin, Erzieherin und andere. Ich habe es als Auftrag gesehen, auch von den Dberlegungen Louise Otto-Peters' her, den Madchen irgendwie deutlich zu machen, daB sie zuerst einmal versuchen, wirklich unabhangig zu werden, well gerade die Madchen unserer Schule sehr haufig und sehr schnell in Beziehungen hineingegangen sind und von der elterlichen Abhangigkeit in die Abhangigkeit eines Mannes gerieten. Im Laufe meiner Berufsjahre babe ich immer wieder mal ehemalige Schiilerinnen getroffen, die dann inzwischen schon wieder geschieden waren und dann wieder in eine neue Beziehung gingen, weil sie nicht unabhangig waren. Deshalb babe ich immer wieder auf die wirtschaftliche Unabhangigkeit hingewiesen und die Madchen dafur zu gewinnen versucht, einen sozialen oder hauswirtschaftlichen Beruf als wertvoll anzusehen. Oft muBte ich feststellen, daB Haushalterin oder Hauswirtschafterin nicht immer so gesehen wurden. Deshalb war es mein Anliegen, diese Berufe immer wieder als ganz besonders wertvoll herauszustellen, als Hilfe fur andere Menschen. Gabriele Kluge: Mich hat unter anderen auch ihr Ausspruch immer wieder fasziniert, die Interessen des Staates sind nicht nur ein Recht, sondern eine Pflicht fur Frauen. Politik wird im groBen Ganzen von Mannern gemacht, und ich finde es wichtiger denn je, daB sich Frauen einmischen, daB sie sich beteiligen und beteiligt werden, am ganzen politischen Geschehen mitzuwirken. Wir haben nachstes Jahr Kommunal- und Landtagswahlen, und da sollten die Frauen immer wieder an den Ausspruch Louises denken und nicht resigniert zugucken und im Hinterkopf haben, daB sie sowieso nichts andern konnten. Wir konnen etwas andern, wenn wir unseren Mund auftun und etwas tun. Louise sagte vollig zu Recht, daB niemand mehr von uns spricht, wenn wir uns selber vergessen. Ich merke es in der Kommunalpolitik immer wieder, daB Frauen nicht angesprochen und iibergangen werden, wenn sie sich zuriickhalten und bloB zuhoren. Sie sind dann weg vom Fenster. Deshalb finde ich die aktive Teilnahme so wichtig. 85

Christina HiJttig: In Deutschland sind 53 Prozent aller Abiturienten Madchen. Auch im Studium befinden sich mehr Madchen als Jungen. Aber was passiert danach? Nach einer guten Ausbildung bleiben viele stehen. Thre beruflichen Bewerbungen werden wegen einer moglichen Familiengriindung und der zu erwartenden Kinder haufig skeptisch betrachtet. Deshalb unterliegen sie oft ihren mannlichen Mitbewerbern. Auch in der eigenen Verwaltungspraxis habe ich festgestellt, daB immer mehr darauf geachtet wird, Manner in Positionen hineinzuhebeln. Ich will hier keine Beleidigung gegen das andere Geschlecht aussprechen Wer sein Amt richtig auszuuben vermag, soU das auch tun. Aber es ist eben so, daB gerade jungen Frauen diese Chance von vornherein nicht gegeben wird. Christiane Schaller: Was Louise gesagt hat, haben wir in unserer Einrichtung in die eigenen Hande genommen. Wir sind fast ein reiner Frauenbetrieb. Die Leitung liegt nur in Frauenhanden. Das Recht auf Arbeit wollten wir auch den 20 Frauen nicht nehmen, die nach abgeschlossener Rekonstruktion - das neue Haus hat weniger Pflegeplatze als das alte - hatten entlassen werden mussen. Wir haben mit jeder Frau gesprochen, ob sie einverstanden waren, ihre Arbeitszeit urn eine oder anderthalb Stunden zu verkorzen, damit nicht eine entlassen werden muB. Wir haben das gemeinsam durchgestanden und auch bei den Frauen die Einsicht gefunden, deren Manner wegen der sehr hohen Arbeitslosenzahl im oberen Erzgebirge zu Hause sein mussen. Dr. Ilse Wolf: Ich habe einen Teil meiner Lehrerinnen verehrt. Aber sie waren alle unverheiratet und kinderlos. Sie durften ja auch nicht, sonst hatten sie ihren Beruf aufgeben mussen. Das war fur mich so ein Signal: Ich mochte aber beides. Ich mochte meinen Beruf machen, ich mochte aber auch eine Familie und Kinder haben. Ich hatte die Moglichkeit, das zu verwirklichen. Aber welche Chancen haben Frauen heute, das zu verwirklichen? Wenn ich meine Tochter ansehe, sie kann ihr Kind drei Stunden taglich in den Kindergarten bringen, dann muB sie es abholen, abfiittern und kann es spater noch einmal zwei Stunden hinbringen. Da kann keine Frau berufstatig werden, abgesehen vom Erwerb, einfach weil der Beruf hier auf der Strecke bleibt. Das sind Bedingungen, die man, wenn man uber Louise Otto-Peters spricht, auch mit im Auge haben muB. Es ist ja nicht nur der Wille der Frau, Bildung zu erwerben und berufstatig sein zu wollen, sondern wie sorgt denn die Gesellschaft dafur, daB das gemacht werden kann. Ich bin immer davon ausgegangen, daB meine Kinder nicht nur eine Mutter haben, sondern auch einen Vater. Welche Chancen haben die Vater in dieser Gesellschaft, diese Vaterrolle auszuuben? Ich habe ein billchen Angst, daB man nur uber die Frauen spricht. Man muB auch fragen, was verandert sich denn in der Gesellschaft, damit Manner gem Vater sind, damit die Arbeitgeber dieser Vater auch Verstandnis dafur haben, daB die diese Rolle auch tatsachlich ausuben konnen. Dr. Susanne Schotz: Ich mochte noch eine weitere Frage stellen. Wo scheint eigentlich der Umgang mit Louises Werk mitunter schwierig? Oder anders herum: Sind bestimmte Seiten 86 dieses Werkes veraltet? Man muB schon dariiber reden. Es ist ja eine Frau aus dem 19. Jahrhundert, und nicht alles, was wir von ihr lesen, werden wir sofort verstehen konnen, werden sofort da ankni.ipfen konnen, wie zum Beispiel eben an die Frage der Erwerbsarbeit. Das fallt uns doch ganz leicht. Gibt es solche Seiten, wo man finden konnte, sagt uns nichts mehr? Johanna Ludwig: Urn das beurteilen zu konnen, mi.iBte erst einmal die Gelegenheit bestehen, das groBe, umfangreiche Werk von Louise Otto-Peters kennenzulemen. Es sind ja in den letzten Jahren nur SchlojJ und Fabrik und Das Recht der Frauen auf Erwerb neu erschienen. Es gab auch noch ein Reprint vom Frauenleben im deutschen Reich, das in den siebziger Jahren im Zuge der neuen Frauenbewegung in der alten BRD aufgelegt worden war. Ansonsten sind von ihr die zwei oder drei Gedichte bekannt, die mal in eine Anthologie aufgenommen wurden. Die Frauen-Zeitung existiert im Reprint, steht wegen der geringen Auflage aber kaum zur Verfiigung. Wir haben uns im Louise-Otto-Peters-Archiv Kopien von dieser Frauen­ Zeitung angeschaffi. Hier sind wir auch dabei, die Zeitschrift des Allgemeinen deutschen Frauenvereins, Neue Bahnen, systematisch zu erschlieBen. Das ist ja das groBe Problem, daB Louise Ottos Werk bisher eingeschatzt wurde, ohne daB es tatsachlich systematisch erforscht wurde. Barbara Kunze: Ich habe sehr viel von Louise gelesen. Dabei betrachte ich die Romane und die Zeitschrift Neue Bahnen als zwei verschiedene Dinge. Die Neuen Bahnen sind so wichtig und gut, aktuell aus der damaligen Zeit und vermitteln sehr viel zur Geschichte der Frauenbewegung in Deutschland und in anderen Landem, zum Kampf urn das Frauenstimmrecht in England und den USA. Beim Lesen einiger Romane von Louise hatte ich zuweilen ein zwiespaltiges Gefuhl. Als ersten habe ich Sch/ojJ und Fabrik gelesen. Da gab es auf der einen Seite dieses umfangreiche fortschrittliche Gedankengut in einer relativ einfachen Sprache, auf der anderen ausgepragte lyrische Passagen. Man kann nati.irlich nicht dari.iber hinwegsehen, daB Louise ein Kind ihrer Zeit ist. Auch in anderen Romanen ist der soziale Grundgedanke stark ausgepragt, aber das i.iberschwengliche Gefuhl, das mir nicht so zusagt, ist gleichfalls vorhanden. Caro/ine Blattmann: Mir war die Ausdrucksweise nicht immer sofort zuganglich. AuBerdem fehlte es mir an Hintergrundwissen i.iber diese Zeit. Ich muBte mir Sekundarliteratur heranziehen, die das Verstandnis der Gedanken von Louise Otto-Peters erleichtert hat. Dr. Susanne Schotz: Ich wollte mit meiner etwas provokanten Frage nach den veralteten Seiten dieses Werkes nichts a priori fur veraltet erklaren. Ich wollte lediglich darauf hinweisen, daB man i.iber die Stolpersteine in der Beschaftigung mit Louise nicht hinweggehen sollte. Ich glaube, daB das die Punkte sind die wichtig fur uns sind, die Stellen, wo wir nicht sofort einen Zugang zu ihr haben, weil wir uns an diesen Stellen dann weiter mit dieser Frau in dieser Zeit beschaftigen mi.issen. Ich finde, daB auch diese fremden Seiten fur uns wichtig sind, weil die 87 uns mehr Anregungen geben, sich mit der Zeit zu beschaftigen als andere Dinge. Ich mochte ein Beispiel der eigenen Beschaftigung mit Louise nennen. Mir fiel und fallt es noch immer ungeheuer schwer, ihr so starkes deutsches Nationalbewul3tsein zu verstehen, zu akzeptieren, ihre grol3e Begeisterung fur die deutsche Nationalbewegung. Manchmal kam es mir etwas unertraglich vor, das gebe ich geme zu, aber das hat mich natiirlich schon zu der Frage gefuhrt, wieso ist das so, wieso drtickt sich das so aus. Und dann befal3t man sich eben naher mit der Zeit des Vormarz, mit der Problematik der deutschen Einheit im 19. Jahrhundert und erfahrt letztlich Bereicherung damit, dal3 man bewul3t mit diesen Dingen umgeht. Ich mochte noch auf ein Problem zu sprechen kommen, dal3 bei einigen in dieser Runde schon angeklungen ist. Warum ist es so schwer, jungere Leute zu begeistem? Johanna Herr: Das war fur uns auch von Belang. Wie machen wir Louise Otto-Peters unter den jungen Menschen bekannter? Da hat uns die Ausstellung der Louise-Otto-Peters­ Gesellschaft sehr geholfen. Wir hatten sie ja in Hockenheim, in Schwetzingen, in Wiesloch, also in der naheren Umgebung dreimal. Ich habe beim Besuch der Ausstellung auch junge Frauen kennengelemt, die sich fur sie interessiert haben und jetzt anfangen wollen, Bi.icher von ihr zu lesen und sich mit ihren Anschauungen naher zu befassen. Barbara Kunze: Seit unser Archiv besteht, konnen wir erfreut feststellen, dal3 Studentinnen der Erziehungswissenschaftlichen Fakultat der Universitat Leipzig fur ihre Belegarbeiten Themen zu Louise Otto-Peters, Henriette Goldschmidt und Auguste Schmidt wahlen. Sie nutzen auch die im Archiv vorhandenen Ausgaben der Neuen Bahnen, um Aussagen zum Beispiel zur Stellung der Frauen zum Krieg zusammenzutragen. Ich hoffe, dal3 die jetzt gekni.ipften Kontakte kiinftig noch an Urnfang zunehmen. Christiane Schaller: Auch bei uns hat die Ausstellung "Mit den Muth'gen will ich's halten" die Frauen mittleren und jungeren Alters an das Lebenswerk von Louise Otto-Peters herangefuhrt. Auch haben zur Ausstellungseroffimng eingeladene Kommunalpolitiker anschliel3end in anderen Bereichen, zum Beispiel in Schulen, dafiir geworben. Die Gleichstellungsbeauftragten der Stadt und des Landkreises Annaberg-Buchholz haben den Gedanken aufgegriffen, im kommenden Frtihjahr Familienwanderungen auf den Spuren von Louise Otto-Peters im Erzgebirge zu organisieren, bei denen auch die Gelegenheit gegeben sein soH, i.iber Probleme der Frauen in der Gegenwart zu sprechen. Gabriele Kluge: Zu mir kommen jetzt afters Gyrnnasiastinnen, die im 11 . Schuljahr ihre Belegarbeit i.iber Louise Otto-Peters schreiben wollen. Vier junge Madchen und ein junger Mann aus Radebeul, denen ich bei der Materialsuche behilflich war, haben mir in einem Brief dafur gedankt und zugleich mitgeteilt, dal3 sie Beschaftigung mit Louise Otto-Peters angeregt habe, weiterzumachen und tiefer in dieses Gebiet einzudringen. Inge Lay-Rudert: Selbst wenn ich jetzt gestehen mul3, dal3 ich fast nichts von Louise Otto­ Peters gelesen habe, so war mir ihr Name in meiner langjahrigen politischen und Frauenarbeit 88 doch ein Begriff. Er stand ja auch itnmer in dem "Wir Frauen"-Kalender der DFI. Aher ich hahe mich nicht naher mit ihr hefaBt. Und wenn jetzt gefragt wird, was alt und neu und was in die heutige Zeit zu iihemehmen und wie es riiherzuhringen ist, da kann ich eigentlich nur aus eigenen Erlehen sagen, wie ich es mit all den Dingen gemacht hahe, die mich interessiert hahen. Wenn ich euphorisch war, dann hahe ich iiherall davon erzahlt, so nach dem Motto: Wem das Herz voll ist, dem geht der Mund iiher. Nina PreijJler: Ich denke, urn junge Menschen fur die Beschaftigung mit Louise Otto-Peters zu interssieren, sind am hesten dementsprechende Projekte geeignet. Inshesondere, wenn es urn Themen geht, die heute noch aktuell sind, wie eben die Frage der Frauenarbeit. Uber Familie z. B. hahe ich his jetzt allerdings kaum etwas gefunden. Natiirlich ist vieles fur unseren Geschmack pathetisch. Das iiherlese ich auch schnell. Aber, wenn ich in die Natur gehe, hahe ich auch ahnliche Empfindungen, driicke es heute aher natiirlich anders aus, oder auch gar nicht. Hennann Wolf: Man kann es Louise Otto aus heutiger Sicht nicht zum Vorwurfmachen, wenn wir uns heute anders ausdriicken. Wenn sie ihr Pathos nicht gehaht hatte, hatte sie ihr Lehen iiherhaupt nicht iiherstanden, den Kampf, den sie gefuhrt hat. Sie hat doch in einer Zeit geleht, wo es hieB, Madchen kiimmere dich urns Hausliche. Wie kommst du auf die Idee, Gedichte zu schreihen? Was, du willst gleichherechtigt sein, ohne Mann, der die Familie emahrt? Diese Frau hrauchte sehr viel Enthusiasmus, damit sie ihre Vorstellungen verhreiten konnte. Ich wuBte ja zunachst auch nicht viel von ihr und ihrem Lehen. Johanna Ludwig Mir ging es zunachst ahnlich, ich hatte ja his zur Griindung unserer Gesellschaft noch kein Buch von ihr gelesen, sondem nur Ausschnitte, war aher auf viele Fragen gestoBen, auf die ich Antwort suchte und auch iiher ihr literarisches Werk - vom puhlizistischen ganz zu schweigen - nach und nach finde. Als ich die ersten Schriften von ihr las, hahen sich diese mir auch nicht sofort voll erschlossen. Es hedurfte eines Hineindenkens in Raum und Zeit, urn es ahstrakt auszudriicken. Ziemlich ratios war ich, als ich im Dezemher '94 in Dresden mit der Zensurakte von Schloj3 und Fabrik zuerst nur die Seiten mit den verhotenen Stellen des Romans zu Gesicht hekam. Da konnte ich mir nicht vorstellen, daB dies ein lesenswerter Roman ist. Denn es war darunter gerade ein ganzes Kapitel mit auBerordentlich verhramten religiosen Auffassungen. Es heruhte auf damaligen aktuellen Diskussionen, wie si eh zeigte, als uns dann der Roman insgesamt zur Verfugung stand. In diesem Zusammenhang mochte ich auf die 3 Genius-Biicher aufmerksam machen. Im Genius der Menschheit geht Louise Otto mit der Entwicklung ihrer Gedanken zur Gleichherechtigung der Frau fast noch weiter als im Recht der Frauen auf Erwerb. Es flieBen hier starker ihre philosophischen Gedanken ein. Im Genius des Hauses finden sich ihre Gedanken auch zum Familienleben und im Genius der Natur heeindruckt nehen ihrer Naturverhundenheit auch ihr Uberhlick iiher naturwissenschaftliche Kenntnisse. 89

Eine Frage bewegt mich, die hier einmal in den Raum gestelit werden soli: Kann man heute ein Lesepublikum fur Louise Otto-Peters gewinnen, das iiber den Kreis derer hinausgeht, die sich mit Frauengeschichte des 19. Jahrhunderts befassen? Jedenfalis ist durch die Wiederveroffentlichung von SchlojJ und Fabrik und Das Recht der Frauen auf Erwerb erst einmal der Versuch untemommen worden, die Biicher in ansprechender Aufmachung zur Verfugung zu stellen. Erfreulicherweise gibt es auch Piidagoginnen und Piidagogen, die ihre Schiilerinnen und Schiiler dazu anregen, sich mit Louise Otto auseinanderzusetzen. Gestem waren hier auch Gymnasiastinnen aus Markranstiidt, die wollen, daB ihr Gymnasium den Namen Louise Otto-Peters erhiilt. Anneliese Beske: Durch meine Forschungsarbeit zu August Bebel und seinem Buch Die Frau und der Sozialismus stieB ich auch auf die Bekanntschaft des jungen Bebel mit Louise Otto­ Peters. Er nahm ja bekanntlich auch an der Griindungsversammlung des AdF teil. 1st Bebel dadurch zur "Frauenfrage" gekommen? ... Auch durch meine Forschungsarbeit und die Erfahrungen als Frau stelite sich mir die Frage: Wieso ist das eine Geschlecht, das miinnliche, dem anderen, dem weiblichen vorangestelit? Wie haben das die Frauen reflektiert? Bei Bebel habe ich da ganz ursiichliche Zusammenhiinge gefunden .... Was war Louise Otto fur eine Frau - Dichterin, Joumalistin, Romanautorin, Musikschriftstelierin, Pionierin der deutschen Frauenbewegung. Das wird durch die Arbeit der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft erst recht deutlich. Dberali, auch in Berlin, wo ich dariiber in Gespriiche komme, in Archiven, Bibliotheken und Verbiinden, hat das ein gutes Echo gefunden, die enorme Leistung dieser Frau, der man zum Teil auch kritisch gegeniiberstehen kann. Ich denke, daB diese groi3e Vielseitigkeit uns alien noch Gelegenheit gibt, vieles zu entdecken. Dr. Susanne Schotz: In unserem Gespriich sind die vielen Seiten des Werkes von Louise genannt worden. Es ist richtig, daB es noch sehr viel zu entdecken gibt, weil es im Grunde noch sehr viel "auszugraben" gibt. Ich denke auch, daB wir sehr vieles iiberhaupt noch nicht wissen und mochte deshalb alie noch einmal ermutigen, sich weiter in der Louise-Otto-Peters­ Gesellschaft zu engagieren und sich mit den Werken Louises schrittweise auseinanderzusetzen. Sie 6ei detz Otzjahisa tioh detz ;4tz6eit

hlC11. 'tl" •

Dies war die Forderung, mit der die Wegbereiterin der deutschen Frauenbewegung Louise Otto-Peters vor genau 150 Jahren an die Offentlichkeit trat. Am 20. Mai 1848 war in der "Leipziger Arbeiter-Zeitung" ihre berOhmte "Adresse eines Madchens" zu lesen, gerichtet an den lnnenminister Oberlander der sachsischen Marzregierung, an die durch ihn berufene · Arbeiterkommission und an alle Arbeiter. Darin heiBt es:

.. . die t:Jesclriclrte alter &eiteJt hat es :;etelru tmd die lreuti:;e :;a11x 6esoJtdeH, da/5 diejelti:Jelt, '"etclre set6st a11 ilru 7?eclrte xu de~tkeJt ver:;esseJt, auclr ver:;esseJt NutdeJt. Z'Jatum Nilt iclr Sie aJt meiJte atmeJt SclrNestetJt, a11 die atmeJt At6eitetiJtJteJt malrJteJtl /PleiJte cf{etUJt, NeJtJt Sie siclr mit det :;tofeJt ;4uf:;a6e uJtseut &eit, mit det Ot:;aJtisatioJt det fit6eit 6esclrtJ:fti:;eJt, so JtJotteJt Sie Jttclrt va:;esseJt, daf es Jrtclrt :;e~tu:; ist, NeJrlf Sie die ;4t6eit fat die /1tditJtet ot:;aJtisieteJt, soJtdetJt daf Sie dieset6e auclr fiit die ;7taueJt ot:;a~tisieUJt miisseJt ... Nu11 ka111t malt XJtJat sa:;e11, JtJeJtJt die /PldirJtet kuJtfti:; 6esser 6exalrtt NetdeJt ats jetxt, so koirJteJr sie auclr 6esser fiit ilru ;JtaueJt sot:;e11 u11d diese stclr det :J:>fte:;e ilrut l

Heute, 150 Jahre spater, vermeinen sachsisch-bayerische Zukunftsforscher, sich gegen eine "Obersteigerte Erwerbsneigung" von Frauen wehren zu mOssen. Frauen sollen sich nach ihrer und auch anderer Meinung wieder hauptsachlich mit Kindern, KOche, Kirche befassen, um dem "Niedergang der Familien" entgegenzuwirken. 1st die Moralitat, die Humanitat auf dem Abstieg? Die Frauen erneut in die Abhangigkeit von Ehemannern oder von Vater Staat zu schicken, widerspricht der WOrde der Frauen!

Angehbrige und Sympathisantlnnen der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft wehren sich gegen die Wiederbelebung jahrhundertealter kapitalistisch-patriarchalischer Lebens- und Arbeitsmuster und fordern :

• Chancengleichheit fOr Frauen und Manner (auch mit Kindern) auf dem Arbeitsmarkt • Neubestimmung und Neubewertung von Erwerbsarbeit, verbunden mit einer ArbeitszeitverkOrzung fOr alle im Bereich der Vollerwerbsarbeit, die eine Umverteilung der vorhandenen bezahlten Arbeit auf alle Frauen und Manner ermbglicht • Schaffung von sinnvollen, die Existenz sichernden Erwerbsarbeitsplatzen fOr alle Frauen und Manner • Vereinbarkeit von Erwerbstatigkeit und Haus- und Sorgearbeiten fOr Manner und Frauen • ein Recht auf einen bezahlbaren, padagogisch wertvollen Platz in Kindertagesstatten fOr Kinder bis ins Schulalter, das Recht fOr Kinder, unter Kindern aufzuwachsen.

Leipzig im Mai 1998

Name Vorname Adresse Un terschrift

Louise-Otto-Peters-Gesellschaft e. V. Magazingasse 3 04103 Leipzig