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VERBALER SCHLAGABTAUSCH BEI SABINE CHRISTIANSEN: Wolfgang Gerhardt (l.) und Joschka Fischer Es geht in die nächste Runde

Die deutsche Talkshowlandschaft steht Kopf: Sabine Christiansen dankt ab, Günther Jauch übernimmt. Und das, wo die Presse gerade das Ende des Genres beschreit. Talkshowformate im Wandel: wer sie macht, wer sie nutzt und wer sie wirklich braucht.

In den Monitoren der Kameras schwitzt sich die Privaten weitestgehend zurück- Ab Mitte 2007 wird er ihren Sendeplatz unter der stehenden Hitze des Studios gezogen. Spartenkanäle wie N24 oder übernehmen. Von der Talklady Num- ein seltener Gast politischer Talkshows: n-tv leisten sich noch talkende Runden mer Eins zum TV-Liebling der Nation. Günter Verheugen. Der EU-Kommissar – doch selten zur Prime-Time und sel- Der Wechsel ist eine Sensation. Keine ist Gast der Sendung „Unter den Lin- ten mit hohen Einschaltquoten. Quo- Zeitung, die nicht mit Analysen, Verglei- den“, dem politischen Montagabend-Talk tenqueen bleibt Sabine Christiansen. chen und Skandalen wegen des neuen auf Deutschlands „Parlamentskanal“ Seit 1998 versammelt sie jeden Sonntag „Privatmanns mit Spitzbubenflair“ im Phoenix. Im Grunde sei das auch keine Spitzenpolitiker zum verbalen Schlag- Öffentlich-Rechtlichen trumpft. Und die Talkshow, sondern „ein politisches Ge- abtausch. „Alles Palaver“, „Sendung mit Meldungen überschlagen sich: Wolfgang spräch“, befindet der Moderator Chris- der Maus“, „Queen Blabla“ – die ehe- Klein, Redaktionsleiter der Sendung, toph Minhoff. Vielleicht ist Verheugen ja malige Moderatorin der Tagesthemen geht zur Konkurrenz, zu „Berlin Mitte“ deswegen Gast. Jeder Politiker wählt das erntete oft Kritik. Ging es um schlechte – bereits im Januar. Dass es da einen Zu- Format, das zu ihm passt. Talkshows, ging es um sie. „Weil sie zu sammenhang gibt, dementiert Ortmanns. Auswahl gibt es reichlich: Nahezu einem Synonym für Talkshows geworden Doch die Simultanität der Meldungen jeder Sender im öffentlich-rechtlichen ist“, erklärt Christiansen-Sprecher Mi- überrascht. Zumal die ARD den Wech- Programm wartet mit eigener Talkshow chael Ortmanns. sel von Jauch publiziert, obwohl es noch auf. Denn bei aller Kritik am Rededuell: keine Verträge gibt. Ihr ökonomisches Der Talk vermittelt Politik. Auch wenn Von der Talklady Nummer Eins Kalkül in allen Ehren: Ganz überlegt sich die Ansätze beim Wie immer stärker zum TV-Liebling der Nation scheint dies nicht. unterscheiden. Für Schlagzeilen sorgten Christiansen Wo die Öffentlich-Rechtlichen das Doch jetzt steigt Christiansen aus. Sie & Co. schon vor wenigen Wochen, als der

Format weiter ausdifferenzieren, haben übergibt den Stab an Günther Jauch. „Spiegel“ an den sinkenden Einschalt- Foto: NDR/TV21/Marcel Mettelsiefen

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quoten eine Krise des ganzen Genres ab- las. Die Große Koalition bringe mit ihrem Harmoniekurs den medialen Diskurs zum Die Marktführer erliegen. Verglichen aber mit den Spitzen- quoten des Superwahljahrs 2005 relati- viert sich der angestimmte Grabesgesang. „Es ist eine Mode, auf Talkshows ein- Sabine Christiansen zudreschen“, sagt Frank Plasberg, Mo- derator der Sendung „Hart aber fair“. Schenkt man den Kritikern Glauben, sind Talkshows schon seit Jahren passé. Bis heute aber haben sie sich gehalten – Krise hin oder her. Politiker können 80% in den Sendeformaten ihre Botschaften Politikeranteil platzieren. Und mehrere Millionen Zu- schauer sind ihnen sicher. Was dann als Moderatorin: Sabine Christiansen Statement bei Christiansen, Plasberg Sender/Produzent: ARD/TV 21 oder Illner fällt, strukturiert den Dialog Redaktionsleiter: Wolfgang Klein im Parlament. „Ersatzparlament“ hat Erstsendung: 4. Januar 1998 Wolfgang Thierse die Talkshows genannt, Zuschauer (ø): 4,36 Mio. Sabine Christiansen bestimme mehr die Nicht hart, dafür erfolgreich: das Topformat Agenda der Politik als der Bundestag, mit den meisten Stars und der höchsten Quo- sagte Friedrich Merz. Und Peer Stein- te. Mitte 2007 ist Schluss. Christiansen geht brück forderte seine Kollegen gar auf, ins Ausland. Ihre Produktionsfi rma bleibt. die Diskussionsrunden zu meiden. Medienberater Michael Spreng zieht SELTENER GAST: EU-Kommissar Günter vor diesem Hintergrund ein Fazit für die Verheugen beim politischen Fernsehtalk Berlin Mitte aktuelle Situation: „Die Große Koalition „Unter den Linden“ 65% hat die Agenda zurückerobert. Ich habe Politikeranteil Moderatorin: lange keine Zeit mehr erlebt, in der die Sache gebunden werden. Da wollen viele Politiker dermaßen Herr ihrer eigenen bewusst provozieren“, sagt Spreng. Doch Sender/Produzent: Themen und Abläufe waren.“ Zum Bei- die aktuelle politische Gemengelage lässt ZDF Redaktionsleiter: Klemens Mosmann Erstsendung: „ Es ist Mode, auf Talkshows 14. Oktober 1999 Zuschauer (ø): einzudreschen Frank Plasberg 2,6 Mio. “ Berlin Mitte lebt von Maybritt Illner: char- mant, schlagfertig – und preisgekrönt. Um spiel bei der Gesundheitsreform: Den Provokationen zerschellen. Die Großko- die Runde weiter aufzulockern, bedient sich Fahrplan bestimme die Koalition. Diese, alitionäre geben sich zwangssolidarisch. der Talk immer öfter kleiner Einspielfi lme. für Spreng positive, Entwicklung habe Politik wird harmonischer. Und nicht nur eine negative Folge: Die Talkshow nur das: Sie zieht sich aus der Öffent- veröde. „Es gibt keine Kontroversen, kei- lichkeit zurück. „Es gehört zum Regie- Hart aber fair ne Spannungen mehr.“ Und ohne Streit rungsstil von , nichts nach gehe das entscheidende Spannungsele- draußen dringen zu lassen“, sagt Jörg- 70% Politikeranteil ment verloren. Uwe Nieland, Wissenschaftler der For- schungsgruppe Regieren. Michael Ort- Politiker versperren sich plötzlich manns stimmt zu, dass sich „bestimmte der Politikvermittlung Protagonisten aus der ersten Reihe der Politikvermittlung versperren“. Zudem Politische Talkshows sind Unterhal- seien Schlüsselpositionen im Kabinett oft tungsformate. Einzig Regionalsender so besetzt, dass sie nicht in Talkshowfor- Moderator: Frank Plasberg und Nachrichtenkanäle leisten sich den maten brillieren. Kein rüpelnder Joschka Sender/Produzent: Diskurs im Bereich „Information“. So- Fischer, kein eifernder Wolfgang Clement WDR/Ansager & Schnipselmann wohl Christiansen als auch Illner zählen mehr. Die Konsequenz der personellen Redaktionsleiter: Stefan Wirtz seit jeher zur Sparte „Unterhaltung“. Misere: Die Shows laden andere Gäste Erstsendung: 31. Januar 2001 Und wo Unterhaltung drauf steht, soll ein. Wissenschaftler, Sportler, VIPs sol- Zuschauer (ø): 1,3 Mio. auch Unterhaltung drin sein: „Wo es um len wieder Zunder in die Runde bringen. Zwischen Talk und Magazin: Plasberg konfron- Quote geht, soll ein politisch interessier- „Politiker hören automatisch anders hin tiert Politiker mit Wirklichkeit – aufbereitet von

Fotos: Peer Schröder/hardcopy-press.de; WDR/Gärgen; ARD/Jim Rakete;tes ZDF/Pietschmann; WDR/Brill Publikum möglichst zahlreich an eine und müssen anderes antworten, wenn sie der Redaktion. Sehr interaktiv – und immer live.

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Journalist Hajo Schumacher sagt, warum Talkshows wichtig sind. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse, warum man auch ohne sie ganz gut durchs Leben kommt. Glotze bildet Besser lesen

Wenn Plasberg polarisiert, Macht es überhaupt Sinn, wenn Christiansen die Hilflo- Kritisches über politische sigkeit von George Bush her- Talkshows zu sagen? Ich ausfragt, wenn di Lorenzo die fürchte nein. Solange sie die Arglosigkeits-Falle aufstellt, erwünschten Quoten brin- wenn Illner sich charmant- gen, prallt Kritik an ihnen zäh in den Gast verbeißt ab, macht sich der Kritiker oder Strunz einfach nicht lo- lächerlich. Wer möchte das cker lässt, dann weiß der Zu- schon. Und: Ich lehne politi- schauer: Hier wird erstklas- sche Talkshows gar nicht völl- sig getalkt. Der Gast ist gut, lig ab, nehme gar gelegentlich der Moderator in Form, das Einladungen an. Wer im Glas- Thema stimmt. Gelungene Talks gehören zu den Sternstunden haus sitzt, soll schließlich nicht mit Steinen werfen. des Fernsehens, zu Festen der Demokratie. Kein anderes For- Vor einiger Zeit hat das Feuilleton der „FAZ“ eine gan- mat kann dem Volk seine Vertreter näherbringen. ze Seite mit den Titeln der Talkshows eines Jahres gefüllt. Warum sind politische Talkshows dann häufig so langwei- Nach deren Lektüre müsste Deutschland sich in einem solch lig? Warum sitzen fünf alte Männer im Kreis, reden durchei- katastrophalen Zustand befinden, wie es schlimmer gar nicht nander und einigen sich am Ende darauf, dass es jetzt endlich vorstellbar ist. Dabei ist es in der wirklichen Welt fast überall eine Steuerreform geben müsse? dramatischer, elender, unsicherer als bei uns. Das Problem ist der Zuschauer. Der belohnt Runden, in Die Fernsehkritikerin Klaudia Brunst schrieb einmal, po- denen altbekannte Thesen-Senioren noch ältere Sprüche litische Talkshows seien „redundant, simplifizierend, flüchtig klopfen. Schwarzer, Späth, Geissler, das sind Quoten-Garan- und entpolitisierend“. Sie hat vermutlich recht. Man kann ten. Weil sie bereitwillig erzählen, was man schon weiß. Sie nämlich von diesen (nach den Nachrichten) meistgesehenen erzeugen dieses heimelige Genauso-isses-Gefühl. Sie sorgen politischen Sendungen im deutschen Fernsehen Zeitvertreib dafür, dass jede Runde frei bleibt von Überraschungen, von erwarten – aber auch Information? Ihr Ziel ist Unterhaltung, Außergewöhnlichem, von neuen Erkentnnissen, eben dem, das ist ganz und gar legitim. Und Politik wird in ihnen durch- was Talk ausmacht. aus transportiert. Wie sollte ich das als Politiker kritisieren? Neue Gäste haben wenig Chancen, mögen sie noch so gut Aber es gilt eben: Die politische Talkshow ist der wohl au- sein. Hier schnappt die Talkfalle zu. Denn Bestehendes wird genfälligste Beleg dafür, dass Information und Unterhaltung zementiert. Neue Gäste, neue Formate werden nicht mit un- nicht mehr klar unterscheidbar sind. Wen stört das schon. Den- mittelbarem Quotenerfolg belohnt, sondern brauchen Anlauf. noch halte ich fest: Der Zweck ist Unterhaltung, die sich des Profis wissen: Mit Beharrlichkeit kann man sich den Zuschauer Gegenstands der Politik als Mittel bedient. Die Veranstaltung erziehen. Das haben fast alle großen Talk-Formate bewiesen. heißt schließlich gänzlich zurecht „Show“. Der witzige Kom- TV-Bildungsbürger Günther Jauch als Christiansen-Nachfol- mentar, die flotte Bemerkung, der energischste Zwischenruf – ger passt da bestens ins Bild. Fehlender Mut zur Erziehung, das zählt, das ist die leichteste Weise der politischen Existenz. das ist nicht nur ein Pisa-Problem. In der wirklichen, alltäglichen Politik geht es grauer, müh- Hajo Schumacher seliger, langsamer, ernster und vor allem folgenreicher zu. Das eine ist die Show, das andere ist die Bundestagsdebatte mit ab- schließender Abstimmung, für die der Politiker vor seinen Wäh- lern einzustehen hat. Demokratie ist langsam, muß langsam sein, wenn denn möglichst viele Interessen einbezogen werden sollen. Das Fernsehen ist schnell, die Show verlangt das Witzi- ge, Flotte. Gegen das letztere ist nichts einzuwenden, wenn die Show nicht für Politik gehalten wird. Sie ist bestenfalls Darstel- lung von Politik um den Preis ihrer latenten Verfälschung, eben der Verwandlung von Information in Infotainment. Wenn man das weiß, kann man gelassen mit politischen Talkshows umge- hen – und besser Zeitung lesen. Wolfgang Thierse Fotos: Frank Ossenbrink; marco-urban.de (2)

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nicht nur ‚unter sich’ sind“, sagt Klemens Spreng weiß, wie sich Politiker den Mosmann, Redaktionsleiter von „Berlin Talkshows am besten offerieren: „Ein Mitte“. Mindestens zwei der fünf Stühle Politiker ist ein guter Talkshowgast, Die Spezialisten seien für „Nichtfunktionäre“ reserviert. wenn er präzise auf den Punkt spricht.“ Es geht um Konfrontation mit dem Ihm bleibt auch nichts anderes übrig. In Volk, Sprechblasen und Floskeln zu ent- einer Runde von fünf Personen erntet je- kleiden – durch Gäste auf Unter den Linden dem Podium, Umfragen 90% im Publikum und immer Politikeranteil öfter durch „Einspieler“. „ Der Journalismus Kleine Filme bündeln die Meinung des Zuschauers, kann nicht davon fangen Stimmungen ein oder konfrontieren Poli- leben, dass er zwei Leute tiker mit früheren Aussa- gen. Sabine Christiansen aufeinander hetzt und den leitet damit ihre Sendung Moderatoren: Hartmann von der Tann (r.), ein, Maybrit Illner ergänzt Voyeurismus befriedigt Christoph Minhoff (l., im Wechsel) mit ihnen die Diskussion. “ Sender/Produzent: Phoenix/Studio 52 Der Pionier der kurzen Martin Priess Redaktionsleiter: Martin Priess Filme aber ist „Hart aber Erstsendung: September 2001 fair“ mit Frank Plasberg. Zuschauer (ø): 170.000 Die Sendung arbeitet von Anfang an mit der einzelne eine Sprechzeit von wenigen Das politische Gespräch im Parlamentskanal: diesem Stilelement. Um Themen „fühl- Minuten, am Stück sind es mitunter nur Ein Moderator bringt zwei Politiker in den Di- bar“ zu machen, Modeworte zu erklären Sekunden. Das ist die normale Fernseh- alog. Ein Co-Moderator befragt das Publikum. oder Argumentationen zu durchbrechen. taktung: Gerade Nachrichten verlangen Denn Politiker sind längst von Beratern kurze Statements der Politiker. In 30 Se- auf Talkshows getrimmt. kunden muss die These stehen. Für Mar- Was erlauben Strunz „Zu 85 Prozent kann man mit gutem tin Priess ist es genau dieses Zeitraster, Handwerk eine Talkshow mitgestalten“, das dem politischen Diskurs seine Tiefe Moderator: sagt Berater Richard Schütze. Mit Trai- raubt: „In 30 Sekunden können Politiker Claus Strunz ning und Coaching lassen sich persönli- nichts anderes vermitteln, als vorgefer- Sender/Produzent: chen Marotten weitgehend in den Griff tigte Parolen.“ N24 bekommen. So kratzt sich Gerhard Schrö- Redaktionsleiter: der immer dann an der Nase, wenn es be- Informieren, unterhalten und von Andrej Grabowski sonders brenzlig werde. Solche Reflexe alleine poltern Erstsendung: gelte es zu minimieren – ganz ausschalten 22. März 2004 könne man sie selten. Manchmal wirke Priess ist für den Produzenten „Studio Zuschauer (ø): 50.000 das sogar sympathisch. Auch argumenta- 52“ Redaktionsleiter des Phoenix-Talks 90% Der BamS-Chefedak- tiv stehen Berater den Politikern zur Seite. „Unter den Linden“, dem „politischen Politikeranteil teur polarisiert in Westerwelle ist bekannt für seine rhetori- Gespräch“, wie Christoph Minhoff es kleiner Runde. schen Ausweichmanöver: „Interessante klassifiziert. In einer „diskursiven Ge- Frage, wir sollten aber vorab klären...“ sprächsatmosphäre“ sollen Politiker ihre Argumente auf den Tisch legen. Immer Quergefragt nur zwei. Es ist der Konterpart zu dem 35% Hinter den Kulissen Duell, das Streit provoziert, um Interesse Politikeranteil zu wecken. Zu jeder Talkshow gehört ein Produzent. Das wissen Politiker zu schätzen, Nicht immer ist das der Sender. Hinter den auch wenn sie im Vergleich zu Christi- Moderatoren: Kulissen regieren oft externe Firmen – gern ansen oder Illner mit Phoenix nur einen Anke Hlauschka, auch für direkte Konkurrenten gleichzeitig. Bruchteil der Zuschauer (Wähler) errei- Christian Döring Platzhirsch ist Sabine Christiansens TV 21 chen. Hier geht es um Information statt Sender/Produzent: mit Talkformaten für fünf Sender, darunter Unterhaltung. „Der Journalismus kann SWR/AVE N24 und n-tv. Andere Moderatoren haben nicht davon leben, dass er zwei Leute Redaktionsleiter: ebenfalls eigene Produktionsfirmen: Vincent aufeinander hetzt und den Voyeurismus Jürgen Flettner TV (Sandra Maischberg), A&I (Johannes B. befriedigt“, sagt Priess. Wenn es von al- Erstsendung: Kerner), Ansager & Schnipselmann (Frank leine poltert, ist das ein ungewollter Bo- Sommer 2002 Plasberg), I&U TV (Günther Jauch). Reine nus. Ein Gast wie Ludwig Stiegler (SPD) Zuschauer (ø): Talkshowspezialisten sind wenige. Viele zum Beispiel werde immer irgendwann 500.000 produzieren auch Reportagen, Dokus, politisch beleidigen. Und Stiegler ist Die Heimatshow: Quergefragt hat einen Magazine. Talk allein macht nicht satt. nicht zuletzt deswegen ein gern gesehe- klaren Bezug zur Region. Doch auch Bundes-

Fotos: privat; Phoenix; N24; SWR/Pipprich ner Talkshowgast. politiker sind zu Gast in der Runde.

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Neben aller fachlichen Kompetenz: unliebsame Kombination. Parteiinterne Eine gute Figur machen Die persönliche Note entscheidet. Wer Querelen oder persönliche Animositä- neben der üblichen Parteilinie liegt, macht ten: ein klares K.O.-Kriterium. Wenn Praxistipps, mit denen jeder Politiker sei- sich auch interessanter. Trainieren kann der Termin nicht passt oder der Gast sich nen Auftritt in einer Talkshow erfolgreich man dies aber nicht. So etwas muss man sträubt, bieten Pressestellen Alternati- gestaltet: mitbringen. Redaktionen, so Schütze, ven. Den einmal gewonnenen Platz gibt seien schon gezielt an ihn herangetreten, keiner gern wieder her. Die Vorbereitung: das A und O ob er als Berater nicht jemanden kenne, Hilfreich für die Gästeauswahl ist ein Analyse und Vorgespräch mit der sich vor der Kamera gut positioniere. gut funktionierendes Netzwerk, weiß Mi- der Redaktion Allerdings: Dies betrifft eher Vertreter chael Ortmanns. Der ehemalige Sprecher Wie behandeln die Medien das Thema? Wel- der Wirtschaft. Bei Köpfen der Politik der Grünen in NRW hat einfach einen di- chen Fragestil pflegt der Moderator? Wer sind bestimmt die Redaktion meist selbst, wer rekteren Draht. Das gleiche gilt für seine die Gäste in der Talkrunde? Wo sitze ich (am sich zu welchem Thema äußert. Kollegin, die von der FDP zu Christiansen besten neben dem Moderator)? Generalsekretäre zum Beispiel sind wechselte, sowie einen Redakteur, der aus ideale Ansprechpartner für breite The- der Unionsfraktion kam. Definition der eigenen Position men. Dicht gefolgt von den Partei- und Der direkte Draht läuft auch anders- Hauptbotschaft: Originelle Slogans und Fraktionsvorsitzenden. Detaillierte herum: Parteien lobbyieren für mehr Schlagzeilen prägen („wordings“); Argumenta- Fragen hingegen erörtern sie nicht, wie Präsenz. So habe es gerade in den An- tionsstrategie entwickeln; prägnante Beispiele, etwa die Kopfpauschale oder die Priva- fangszeiten der Großen Koalition einen plastische Vergleiche, lebendige Bilder vorbe- tisierung der Bahn. FDP-Chef Guido Wettbewerb unter der Opposition ge- reiten; illustrierende Geschichten mitbringen; Westerwelle ist da eine Ausnahme. Als geben, wer wie oft präsent war und sein das Outfit mit dem Studio-Design abstimmen pointierter Redner hat er sich themen- darf. Saß jemand von der FDP bei Chris- übergreifend zum Stammgast in den Talk- tiansen, bekam Ortmanns nach der Sen- Simulations-Training und Coaching shows gemausert – doch heißt es jetzt in dung gleich zehn Kurzmitteilungen via Sprache, Gestik, Mimik und Haltung schulen, journalistischen Kreisen, er mache sich SMS: „Schon wieder ein Liberaler, was aber authentisch bleiben (man ist öfter im wieder rar. Auch, um an- Bild als man spricht) deren Parteimitgliedern zu mehr medialer Prä- senz zu verhelfen. Die Bewährung: Eine Talkshow „ Durch die Medien Talkshows ebnen Par- hat – vergleichbar einem Eisho- teikarrieren: Die media- ckeyspiel – drei Drittel – speziell Talkshows le Präsenz des Politikers Auftakt und Positionierung bietet Wählern eine – droht die Parteiarbeit an Die vorbereitete Hauptbotschaft pointiert Identifikationsfigur. Und vortragen. Wichtig: die Applaus induzieren- auch parteiintern stärkt Bedeutung zu verlieren de Schlussbemerkung („…denn uns geht es der Auftritt die Positi- “ doch allen darum, dass unsere Kinder eine on. „Durch die Medien Jörg-Uwe Nieland gute Ausbildung erhalten!“) – speziell die politischen Talkshows – droht die Profilierung Parteiarbeit an Bedeutung zu verlieren“, macht ihr da bloß.“ Saß aber Fritz Kuhn Mit Engagement die Diskussion mitgestalten; sagt Politikwissenschaftler Nieland. Jost in der Runde, gingen die Texte an seine aus Schlammschlachten raushalten – Conte- Stollmann oder Karl Lauterbach seien Kollegin mit FDP-Kontakt. nance und Souveränität bewahren; nicht den als Quereinsteiger von Null auf 100 ge- „Sabine Christiansen“ lädt Gäste nicht Moderator angreifen – aber um Fairness bitten; startet – auch aufgrund ihrer in den Fern- ein, sondern aus, heißt es. Die Topquote Fachbegriffe „übersetzen“, eigene Begriffe „be- sehdiskussionen erworbenen Prominenz. und der eher seichte Talk lockte schon setzen“ und Bilder prägen; das Tempo variieren, Und der Thüringische Ministerpräsident Gäste wie George W. Bush oder To- sich nicht hetzen, konfrontieren und verhören Dieter Althaus wäre ohne Talkshows nicht ny Blair auf den Stuhl. Ein Format wie lassen; persönliche Anekdoten erzählen; nicht denkbar, sagt Spreng. Weder die Bedeu- „Hart aber fair“ ist für Politiker dagegen pauschal dementieren oder dramatisieren tung seines Bundeslandes, noch seine eine Herausforderung. Der hohe Anteil Rolle in der CDU rechtfertige seinen me- der Einspielfilme und die Beteiligung des Nachhaltig wirken dialen Aufstieg. Die Parteien platzieren Publikums machen die Sendung unbere- Als „Schlusswort“ rechtzeitig noch einmal die gezielt ihr Personal – sofern es eben geht. chenbar. Und wie der Name schon sagt: eigene Hauptbotschaft kernig präsentieren Es geht hier etwas härter zu. „Die Politi- Parteien lobbyieren für ker kommen zwar gerne“, sagt Plasberg, mehr Präsenz „weil sie wissen, dass wer gut ist, noch bes- ser rüberkommt, wenn man ihn fordert.“ Richard Schütze Die Anfrage der Redaktion nach einem Die Absichtsbekundung sei aber etwas ist Geschäftsführer, Medientrainer und Gast läuft entweder direkt über die Bü- anderes als der tatsächliche Besuch. „Hart Berater in der PR- und Politikberatungs- roleiter oder über die Pressestelle der aber fair“ sage man nun einmal leichter agentur ipse Communication in Berlin www.ipse.de Partei. Wichtig für die Zusage zur Show: ab – „es ist eben nicht das Erste“. Ist die Augenhöhe der Befragten ge- Dennoch: Plasberg (lange vor Jauch

wahrt? Staatssekretär mit Minister: eine als Nachfolger Christiansens gehandelt) Fotos: privat

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fühlt sich wohl bei den Dritten, seine Sen- schätzt. Zudem habe Teufel einfach kein dung versteht er als bundesweit relevant. Showtalent, was sich in den wenigen Fäl- Der Besuch der Regierungsvertreter aus len bestätigte, wo er doch eine TV-Runde Die Grenzgänger Berlin gibt ihm Recht. Und „Hart aber betrat. Argumentativ war er stark – für Fair“ hat mit einem zweiten Studio seit leichte Unterhaltung aber zu spröde. 2003 auch ein Standbein in der Haupt- stadt – der kürzeren Wege halber. Doch Der Trend geht wieder zu einer Menschen bei auch jenseits von Berlin sind Talkshows deutlichen Trennung Maischberger relevant, gerade in den Regionen. Die zahlreichen Regionalformate beim Fern- Auch Personalityshows haben sich verän- Moderatorin: sehtalk bieten Landespolitikern ein Fo- dert. Wo es in den 90ern um das Skan- rum, das ihnen Nachrichten verwehren. dalträchtige der Person ging, ist das Private Sender/Produzent: heute längst Teil des Geschäfts und aus im- ARD/Vincent TV/Pro Politiker werden über die mer mehr Talkrunden nicht mehr wegzu- Redaktionsleiter: Personality-Show salonfähig denken. Michael Spreng findet daher den Theo Lange Wechsel Jauchs in die ARD nur konse- Erstsendung: Das Angebot auf dem deutschen Talk- quent: „Sein Wechsel markiert die immer 15% September 2003 showmarkt ist ausdifferenziert. Auch größere Austauschbarkeit von Show und Politikeranteil Zuschauer (ø): große Unterhaltungsformate haben sich Politik, von Unterhaltung und Ernsthaftig- 1,5 Mio. dem Thema angeschlossen. Kerner, keit, von Oberfläche und Hintergrund.“ In gesellschaftspolitischer Runde versucht die Beckmann und Maischberger präsen- Doch die viel propagierte Amerikani- viel gelobte Journalistin Menschen miteinan- tieren den „Politiker als Person“. Da sierung und Personalisierung der Politik der in ein Gespräch zu verwickeln. kommt Edmund Stoiber mit seiner Frau hat sich im Talk schon leicht abgenutzt. „Muschi“, Helmut Kohl erzählt aus sei- „Der Zuschauer goutiert eine deutliche nem Leben, und statt Information geht Trennung zwischen Information und Un- Johannes B. Kerner es mehr um die Emotion der Politik. terhaltung“, sagt Jörg-Uwe Nieland. Die Dieses Format, sagt Nieland, ist für viele öffentlich-rechtlichen Sender hätten es 3% ein Einstiegstor: „Gregor Gysi und Os- geschafft, die Trennung zwischen politi- Politikeranteil kar Lafontaine haben über diese Shows schem Talk und Personality-Show wieder einen Re-Entry in die Politik bekommen. herzustellen. Anders die Privaten: Der Sie haben sich als Person wieder ins Ge- „Talk der Woche“ mit Bettina Rust (neu dächtnis gerufen.“ Gerade Lafontaine gestartet und groß angekündigt als Sat1- hat nach den Querelen mit der SPD sei- Nachfolgerin von Erich Böhmes „Talk Moderator: Johannes B. Kerner ne Chance auf einen Stuhl bei den Talks im Turm“) scheiterte kolossal mit bunter Sender/Produzent: ZDF/A&I minimiert. Wenn Lafontaine kommt, Mischung statt klarem Konzept. Redaktionsleiter: Markus Heidemanns geht jeder Sozialdemokrat. Hier hilft nur Manchmal ist es besser, sich zu re- Erstsendung: Januar 1998 Trumpfen durch die Personality. duzieren. Und am besten, sagt Michael Zuschauer (ø): 2 Mio. Nicht jedem Politiker aber liegt das. Spreng, gefalle ihm ohnehin das Zwiege- Wer zu Kerner kommt, kommt als Person. Hier So zählt der ehemalige Ministerpräsi- spräch. Gero von Böhm und Günter Gauß geht es nicht um die Sache. Der Gast soll sich hätten in ihren wohlfühlen. Dafür arbeiten stolze 30 Redakteu- Gesprächen noch re. „Gut, dass wir drüber gesprochen haben.“ etwas Neues gene- „ Jauchs Wechsel riert. „Sie können über das Zwiege- Presseclub markiert die immer spräch mehr her- ausbekommen als größere Austauschbarkeit von über die Scheinin- szenierung der Show und Politik Michael Spreng Talkshows.“ “ Wenn sich die 0% großen Runden in Politikeranteil dent Baden-Württembergs Erwin Teufel bekannten Floskeln ergehen, bekommen zu den mit Abstand seltensten Gästen in neue Formate eine Chance. „Hart aber Sesseln der Personality- oder Talkshow- fair“ hat das bewiesen – und gilt als Vor- Moderatoren: Fritz Pleitgen, Monika Piel, formate. Wie es aus CDU-Kreisen heißt, reiter einer neuen Klasse von Talkshows. Peter Voß (im Wechsel) hat er bewusst die Sendungen gemieden „Wo es an Härte fehlt, kann eine Sen- Sender/Produzent: ARD/WDR und darauf beharrt, lieber Akten zu lesen dung wie ‚Hart aber fair’ die Talkshow- Redaktionsleiter: Michael Hirz und „etwas für’s Volk“ zu tun. Gemes- müdigkeit überwinden“, sagt Nieland. Erstsendung: Dezember 1987 sen, so Teufel, werde er an seiner Bilanz, Das Talkshowkarussell dreht sich weiter. Zuschauer (ø): 1,4 Mio. nicht an seinen Worten. Und die Politik fährt bereitwillig mit. Politiker sind im Presseclub nur alle paar Das Image des bodenständigen Poli- Jahre zu Gast; doch die Volksvertreter sind

Fotos: privat; WDR/Max Kohr; ZDF/Lehmann; WDR/Sachs tikers hat die ländliche Bevölkerung ge- Mirjam Stegherr, Till Schröder Dauerthema. Hier debattieren Journalisten.

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