Es Geht in Die Nächste Runde

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Es Geht in Die Nächste Runde Titel VERBALER SCHLAGABTAUSCH BEI SABINE CHRISTIANSEN: Wolfgang Gerhardt (l.) und Joschka Fischer Es geht in die nächste Runde Die deutsche Talkshowlandschaft steht Kopf: Sabine Christiansen dankt ab, Günther Jauch übernimmt. Und das, wo die Presse gerade das Ende des Genres beschreit. Talkshowformate im Wandel: wer sie macht, wer sie nutzt und wer sie wirklich braucht. In den Monitoren der Kameras schwitzt sich die Privaten weitestgehend zurück- Ab Mitte 2007 wird er ihren Sendeplatz unter der stehenden Hitze des Studios gezogen. Spartenkanäle wie N24 oder übernehmen. Von der Talklady Num- ein seltener Gast politischer Talkshows: n-tv leisten sich noch talkende Runden mer Eins zum TV-Liebling der Nation. Günter Verheugen. Der EU-Kommissar – doch selten zur Prime-Time und sel- Der Wechsel ist eine Sensation. Keine ist Gast der Sendung „Unter den Lin- ten mit hohen Einschaltquoten. Quo- Zeitung, die nicht mit Analysen, Verglei- den“, dem politischen Montagabend-Talk tenqueen bleibt Sabine Christiansen. chen und Skandalen wegen des neuen auf Deutschlands „Parlamentskanal“ Seit 1998 versammelt sie jeden Sonntag „Privatmanns mit Spitzbubenflair“ im Phoenix. Im Grunde sei das auch keine Spitzenpolitiker zum verbalen Schlag- Öffentlich-Rechtlichen trumpft. Und die Talkshow, sondern „ein politisches Ge- abtausch. „Alles Palaver“, „Sendung mit Meldungen überschlagen sich: Wolfgang spräch“, befindet der Moderator Chris- der Maus“, „Queen Blabla“ – die ehe- Klein, Redaktionsleiter der Sendung, toph Minhoff. Vielleicht ist Verheugen ja malige Moderatorin der Tagesthemen geht zur Konkurrenz, zu „Berlin Mitte“ deswegen Gast. Jeder Politiker wählt das erntete oft Kritik. Ging es um schlechte – bereits im Januar. Dass es da einen Zu- Format, das zu ihm passt. Talkshows, ging es um sie. „Weil sie zu sammenhang gibt, dementiert Ortmanns. Auswahl gibt es reichlich: Nahezu einem Synonym für Talkshows geworden Doch die Simultanität der Meldungen jeder Sender im öffentlich-rechtlichen ist“, erklärt Christiansen-Sprecher Mi- überrascht. Zumal die ARD den Wech- Programm wartet mit eigener Talkshow chael Ortmanns. sel von Jauch publiziert, obwohl es noch auf. Denn bei aller Kritik am Rededuell: keine Verträge gibt. Ihr ökonomisches Der Talk vermittelt Politik. Auch wenn Von der Talklady Nummer Eins Kalkül in allen Ehren: Ganz überlegt sich die Ansätze beim Wie immer stärker zum TV-Liebling der Nation scheint dies nicht. unterscheiden. Für Schlagzeilen sorgten Christiansen Wo die Öffentlich-Rechtlichen das Doch jetzt steigt Christiansen aus. Sie & Co. schon vor wenigen Wochen, als der Format weiter ausdifferenzieren, haben übergibt den Stab an Günther Jauch. „Spiegel“ an den sinkenden Einschalt- Foto: NDR/TV21/Marcel Mettelsiefen 12 politik&kommunikation | Juli/August 2006 Titel quoten eine Krise des ganzen Genres ab- las. Die Große Koalition bringe mit ihrem Harmoniekurs den medialen Diskurs zum Die Marktführer erliegen. Verglichen aber mit den Spitzen- quoten des Superwahljahrs 2005 relati- viert sich der angestimmte Grabesgesang. „Es ist eine Mode, auf Talkshows ein- Sabine Christiansen zudreschen“, sagt Frank Plasberg, Mo- derator der Sendung „Hart aber fair“. Schenkt man den Kritikern Glauben, sind Talkshows schon seit Jahren passé. Bis heute aber haben sie sich gehalten – Krise hin oder her. Politiker können 80% in den Sendeformaten ihre Botschaften Politikeranteil platzieren. Und mehrere Millionen Zu- schauer sind ihnen sicher. Was dann als Moderatorin: Sabine Christiansen Statement bei Christiansen, Plasberg Sender/Produzent: ARD/TV 21 oder Illner fällt, strukturiert den Dialog Redaktionsleiter: Wolfgang Klein im Parlament. „Ersatzparlament“ hat Erstsendung: 4. Januar 1998 Wolfgang Thierse die Talkshows genannt, Zuschauer (ø): 4,36 Mio. Sabine Christiansen bestimme mehr die Nicht hart, dafür erfolgreich: das Topformat Agenda der Politik als der Bundestag, mit den meisten Stars und der höchsten Quo- sagte Friedrich Merz. Und Peer Stein- te. Mitte 2007 ist Schluss. Christiansen geht brück forderte seine Kollegen gar auf, ins Ausland. Ihre Produktionsfi rma bleibt. die Diskussionsrunden zu meiden. Medienberater Michael Spreng zieht SELTENER GAST: EU-Kommissar Günter vor diesem Hintergrund ein Fazit für die Verheugen beim politischen Fernsehtalk Berlin Mitte aktuelle Situation: „Die Große Koalition „Unter den Linden“ 65% hat die Agenda zurückerobert. Ich habe Politikeranteil Moderatorin: lange keine Zeit mehr erlebt, in der die Sache gebunden werden. Da wollen viele Maybrit Illner Politiker dermaßen Herr ihrer eigenen bewusst provozieren“, sagt Spreng. Doch Sender/Produzent: Themen und Abläufe waren.“ Zum Bei- die aktuelle politische Gemengelage lässt ZDF Redaktionsleiter: Klemens Mosmann Erstsendung: „ Es ist Mode, auf Talkshows 14. Oktober 1999 Zuschauer (ø): einzudreschen Frank Plasberg 2,6 Mio. “ Berlin Mitte lebt von Maybritt Illner: char- mant, schlagfertig – und preisgekrönt. Um spiel bei der Gesundheitsreform: Den Provokationen zerschellen. Die Großko- die Runde weiter aufzulockern, bedient sich Fahrplan bestimme die Koalition. Diese, alitionäre geben sich zwangssolidarisch. der Talk immer öfter kleiner Einspielfi lme. für Spreng positive, Entwicklung habe Politik wird harmonischer. Und nicht nur eine negative Folge: Die Talkshow nur das: Sie zieht sich aus der Öffent- veröde. „Es gibt keine Kontroversen, kei- lichkeit zurück. „Es gehört zum Regie- Hart aber fair ne Spannungen mehr.“ Und ohne Streit rungsstil von Angela Merkel, nichts nach gehe das entscheidende Spannungsele- draußen dringen zu lassen“, sagt Jörg- 70% Politikeranteil ment verloren. Uwe Nieland, Wissenschaftler der For- schungsgruppe Regieren. Michael Ort- Politiker versperren sich plötzlich manns stimmt zu, dass sich „bestimmte der Politikvermittlung Protagonisten aus der ersten Reihe der Politikvermittlung versperren“. Zudem Politische Talkshows sind Unterhal- seien Schlüsselpositionen im Kabinett oft tungsformate. Einzig Regionalsender so besetzt, dass sie nicht in Talkshowfor- Moderator: Frank Plasberg und Nachrichtenkanäle leisten sich den maten brillieren. Kein rüpelnder Joschka Sender/Produzent: Diskurs im Bereich „Information“. So- Fischer, kein eifernder Wolfgang Clement WDR/Ansager & Schnipselmann wohl Christiansen als auch Illner zählen mehr. Die Konsequenz der personellen Redaktionsleiter: Stefan Wirtz seit jeher zur Sparte „Unterhaltung“. Misere: Die Shows laden andere Gäste Erstsendung: 31. Januar 2001 Und wo Unterhaltung drauf steht, soll ein. Wissenschaftler, Sportler, VIPs sol- Zuschauer (ø): 1,3 Mio. auch Unterhaltung drin sein: „Wo es um len wieder Zunder in die Runde bringen. Zwischen Talk und Magazin: Plasberg konfron- Quote geht, soll ein politisch interessier- „Politiker hören automatisch anders hin tiert Politiker mit Wirklichkeit – aufbereitet von Fotos: Peer Schröder/hardcopy-press.de; WDR/Gärgen; ARD/Jim Rakete;tes ZDF/Pietschmann; WDR/Brill Publikum möglichst zahlreich an eine und müssen anderes antworten, wenn sie der Redaktion. Sehr interaktiv – und immer live. politik&kommunikation | Juli/August 2006 13 Titel Journalist Hajo Schumacher sagt, warum Talkshows wichtig sind. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse, warum man auch ohne sie ganz gut durchs Leben kommt. Glotze bildet Besser lesen Wenn Plasberg polarisiert, Macht es überhaupt Sinn, wenn Christiansen die Hilflo- Kritisches über politische sigkeit von George Bush her- Talkshows zu sagen? Ich ausfragt, wenn di Lorenzo die fürchte nein. Solange sie die Arglosigkeits-Falle aufstellt, erwünschten Quoten brin- wenn Illner sich charmant- gen, prallt Kritik an ihnen zäh in den Gast verbeißt ab, macht sich der Kritiker oder Strunz einfach nicht lo- lächerlich. Wer möchte das cker lässt, dann weiß der Zu- schon. Und: Ich lehne politi- schauer: Hier wird erstklas- sche Talkshows gar nicht völl- sig getalkt. Der Gast ist gut, lig ab, nehme gar gelegentlich der Moderator in Form, das Einladungen an. Wer im Glas- Thema stimmt. Gelungene Talks gehören zu den Sternstunden haus sitzt, soll schließlich nicht mit Steinen werfen. des Fernsehens, zu Festen der Demokratie. Kein anderes For- Vor einiger Zeit hat das Feuilleton der „FAZ“ eine gan- mat kann dem Volk seine Vertreter näherbringen. ze Seite mit den Titeln der Talkshows eines Jahres gefüllt. Warum sind politische Talkshows dann häufig so langwei- Nach deren Lektüre müsste Deutschland sich in einem solch lig? Warum sitzen fünf alte Männer im Kreis, reden durchei- katastrophalen Zustand befinden, wie es schlimmer gar nicht nander und einigen sich am Ende darauf, dass es jetzt endlich vorstellbar ist. Dabei ist es in der wirklichen Welt fast überall eine Steuerreform geben müsse? dramatischer, elender, unsicherer als bei uns. Das Problem ist der Zuschauer. Der belohnt Runden, in Die Fernsehkritikerin Klaudia Brunst schrieb einmal, po- denen altbekannte Thesen-Senioren noch ältere Sprüche litische Talkshows seien „redundant, simplifizierend, flüchtig klopfen. Schwarzer, Späth, Geissler, das sind Quoten-Garan- und entpolitisierend“. Sie hat vermutlich recht. Man kann ten. Weil sie bereitwillig erzählen, was man schon weiß. Sie nämlich von diesen (nach den Nachrichten) meistgesehenen erzeugen dieses heimelige Genauso-isses-Gefühl. Sie sorgen politischen Sendungen im deutschen Fernsehen Zeitvertreib dafür, dass jede Runde frei bleibt von Überraschungen, von erwarten – aber auch Information? Ihr Ziel ist Unterhaltung, Außergewöhnlichem, von neuen Erkentnnissen, eben dem, das ist ganz und gar legitim. Und Politik wird in ihnen durch- was Talk ausmacht.
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