Systematische Gliederung Des Tierreiches
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Systematische Gliederung des Tierreiches Es ist das Ziel der Systematik, die etwa 1,5 Milli- diese Zweiteilung die Komplexität der Situation onen bisher beschriebenen Tierarten so zu ord- nicht ab. Vereinigung von Organismen bedeutet nen, dass das System die Verwandtschaft der außerdem, dass das für Stammbaumdarstellun- verschiedenen Gruppen (Taxa) widerspiegelt. gen oft benutzte dichotome Verzweigungsmuster Unsere Kenntnisse reichen allerdings noch nicht bei einzelligen Eukaryoten nicht zutreffen muss, aus, um ein allgemein akzeptiertes System aufzu- sondern durch ein Netzwerk abzubilden ist (reti- stellen. Daher differieren die in Originalarbeiten, culäre Evolution). Lehr- und Handbüchern aufgeführten Systeme je Metazoen hingegen werden als monophyleti- nach der Bewertung der verschiedenen Merk- sche Gruppe angesehen. male, die man als Kriterium für phylogenetische Unter den Metazoa bestehen die Porifera, Pla- Nähe oder Ferne heranzieht. cozoa, Cnidaria und Ctenophora aus zwei Keim- Lange wurden die einzelligen Tiere (Protozoa) blättern (diploblastisches Niveau). an den Anfang des Systems gestellt, ihnen folgten Aus drei Keimblättern sind alle anderen Meta- die vielzelligen Tiere (Metazoa). Da einzellige zoa, die Bilateria, aufgebaut (triploblastisches Eukaryoten (Protista) jedoch in der Evolution Niveau). mehrfach und zum Teil auch durch Vereinigung Im folgenden Text wird in Klammern die mit anderen Einzellern entstanden sind (Interta- (häufig nur ungefähre) Anzahl der bisher be- xonische Kombination, Symbiogenese), bildet schriebenen Arten angegeben. Was ist eine Art? Lernende werden oft durch differierende Angaben und steht meist nicht im Widerspruch zum typologi- von Artenzahlen irritiert. Diese Differenzen gehen schen Artkonzept. zum Teil auf Probleme zurück, die im Folgenden dar- gestellt werden. Es gibt außerdem eine Reihe von speziellen Fällen, Bis heute ist umstritten, was eine Art (=Species) bei denen Arten folgendermaßen definiert werden: ist. Eine Artdefinition ist nicht nur für die Grundla- 1. Kryptische Arten (Kryptospecies) umfassen mor- genforschung wichtig, sondern auch für den Erhalt phologisch nicht unterscheidbare Populationen in der Biodiversität. Ganz überwiegend kommen zwei einer Art, die sich aber nicht mit Individuen anderer Artkonzepte zur Anwendung: Populationen derselben Art erfolgreich fortpflanzen 1. Das morphologische (= phänotypische) Art- können, die also bei gleichem Aussehen reproduktiv konzept, demzufolge eine Art eine Gruppe von Tie- isoliert sind. Solche Kryptospecies gibt es wohl in ren umfasst, die sich anhand von jeweils eigenen allen Tiergruppen. Möglicherweise repräsentieren morphologischen Merkmalen oder aufgrund ihres sie zum Teil den Beginn der Entstehung neuer Arten. Verhaltens definieren lässt. Viele Arten sind in, meist geographische, Unterarten gegliedert, die 2. In manchen Fällen sind die reproduktiven Isola- morphologische und physiologische Eigenmerkmale tionsbarrieren zwischen zwei Arten noch nicht voll- besitzen, aber durch breite Übergangszonen ver- ständig ausgebildet, so dass es Hybride oder Hybrid- bunden sind. zonen gibt, wo Arten aneinander grenzen. In solchen Fällen spricht man von einer Superspecies mit zwei 2. Das biologische Artkonzept, das eine Art als oder mehr Semispecies. Beispiele für Semispecies Gemeinschaft von Individuen definiert, die potentiell sind Raben- und Nebelkrähe, Weiden- und Haussper- fortpflanzungsfähige Nachkommen miteinander zeu- ling sowie Nachtigall und Sprosser, die gemeinsam gen können. Arten sind also durch reproduktive Iso- eine Superspecies bilden, für die aber nur selten ein lationsmechanismen getrennt. Das biologische Art- gemeinsamer Name gewählt wird. Eine Superspecies konzept ist das am weitesten anerkannte Konzept mit vier Semispecies wird von folgenden Stein- ̈ 454 Systematische Gliederung des Tierreiches schmätzern gebildet: Nonnensteinschmätzer, Zyp- species nicht. Zur Definition der Allospecies gehören ernsteinschmätzer, Balkansteinschmätzer und Mau- folgende Charakteristika: rensteinschmätzer. 1. Sie sind stärker differenziert als typische Unterar- ten einer Art. Ein Sonderfall betrifft Hybride, bei denen ein 2. Es ist unwahrscheinlich (aber nicht sicher), dass Geschlecht nur eingeschränkt fortpflanzungsfähig die Taxa im Falle der Enststehung einer breiten geo- oder steril ist, das andere dagegen völlig fertil ist. Ste- graphischen Kontaktzone verschmelzen würden. Bei- ril ist immer das heterogametische Geschlecht, bei spiele sind Berg- und Balkanlaubsänger sowie Step- Vögeln also das Weibchen, bei Säugetieren und vie- pen- und Savannenadler. len anderen Tieren das männliche Geschlecht. Bei- spiele für diesen Sachverhalt bieten Sprosser und Alle Artkonzepte oder Artdefinitionen sind unvoll- Nachtigall sowie Trauer- und Halsbandschnäpper. Bei kommen und mit Problemen behaftet. Das typolo- ihnen ist der Reproduktionserfolg der an einer Misch- gisch/morphologische Artkonzept kann bei allopatri- brut beteiligten Eltern um mindestens 50% gegen- schen Populationen einer Art Fragen offen lassen, über den Eltern reduziert, die den arteigenen Partner ebenso bei fossilen Arten, deren Variationsbreite gewählt haben. nicht bekannt ist. Das biologische Artkonzept lässt Der Begriff Allospezies wird angewendet, wenn sich in der Praxis schwer in allen Fällen überprüfen Taxa geographisch getrennt (= allopatrisch) verbrei- und bei fossilen Arten ist es nicht anwendbar. Es er- tet sind und Phäno- sowie Genotyp erst teilweise ge- laubt also nicht zu unterscheiden, ob Homo erectus trennt sind. Es besteht also noch keine reproduktive und Homo sapiens einer einzigen oder zwei getrenn- Isolation. Nächst verwandte Allospecies bilden auch ten Arten angehören. Bei Arten, die sich parthe- eine Superspecies. Semi- und Allospecies können als nogenetisch oder asexuell fortpflanzen, kommen fortgeschrittene Stadien des Artbildungsprozesses Morphologie und vernünftige Konventionen zur An- angesehen weren. Hybridzonen bestehen bei Allo- wendung. Was sind Taxa und Kategorien? Mit dem Begriff Taxon (Plural Taxa) bezeichnet man Produkte der Wissenschaft, und es gibt keine objek- generell eine Tiergruppe, deren Angehörige phyloge- tiven Kriterien für sie (s. jedoch Art in der vorherge- netisch eng verwandt sind und auf eine gemeinsame henden Box). Mit ihrer Hilfe ist es aber gelungen, in Stammform zurückgehen. Solche Taxa können einen die kaum überschaubare Vielfalt der Organismen engen oder weiten Verwandtschaftskreis umfassen. eine Ordnung zu bringen, die eine wesentliche Grund- Taxa sind z. B. Anas crecca (Krickente), Anatidae lage der wissenschaftlichen Arbeit in der Biologie ist. (Entenvögel), Aves (Vögel), Vertebrata (Wirbeltiere) Wie weit diese Kategorien gefasst werden, ist Kon- und Chordata (Chordatiere). Die genannten Taxa ste- vention. Andererseits gibt es traditionell Taxa, denen hen in einem abgestuften Verwandtschaftsverhältnis der Rang einer Familie zugeordnet wird, was dann ja zueinander und spiegeln ein hierarchisches „enkapti- auch in Bestimmungsbüchern und Nachbarwissen- sches“ System wider. Enkaptisch bedeutet, dass die schaften seit Jahrzehnten eingeführt ist. Traditionell großen Gruppen oder Einheiten die kleineren Grup- wird für Familien ein Begriff gewählt, der auf -dae pen „einschließen“, z. B. schließen Vögel die Enten- endet (z. B. Anatidae: Familie der Entenvögel), bei vögel ein und diese die Krickente. Ordnungen herrschen in den Großgruppen jeweils Die einzelnen Taxa sind durch jeweils bestimmte eigene Traditionen. homologe Merkmale („Homologiekreise“) geeint und Es gibt Systematiker, die die Kategorien abschaf- monophyletisch entstanden. fen wollen, weil sie nicht objektivierbar sind, meist Die verschiedenen Tiergruppen werden in der Sys- mit Ausnahme der Kategorien „Gattung“ und „Art“, tematischen Zoologie traditionell mit einer Kategorie aber auch diese werden von manchen Systematikern (= „Rang“) versehen, z. B. Art, Gattung, Familie, Ord- abgelehnt. Wenn man die Kategorien weglassen will, nung und Klasse. Die Kategorien Art und Gattung weil ihre Verleihung grundsätzlich nicht von der Natur wurden schon vor Carl von Linné (1707–1778) vorgegeben ist sondern sekundär vom systematisie- benutzt, Klassen, Ordnungen und Familien sind seit renden Geist des Menschen ausgeht und somit auch dem 18. Jahrhundert gebräuchliche Bezeichnungen, immer etwas Subjektives hat, muss man andere der Terminus Stamm (Phylum) wurde von Ernst Hae- Wege finden, die abgestufte Verwandtschaft zum ckel (1834–1919) eingeführt. Diese Kategorien sind Ausdruck zu bringen. Systematische Gliederung des Tierreiches 455 weil sie leicht zu beschaffen ist und den Bauplan I. Unterreich: Protozoa klar erkennen lässt. Einzellige Tiere (40 000) Fortbewegung durch eine, mehrere oder viele Geißeln, manchmal durch Pseudopodien. Zwei- Meist mikroskopisch klein, der zelluläre Aufbau teilung oder multiple Teilung. Große Vielgestal- ist oft hochkompliziert. Ein- bis mehrkernig; tigkeit und Vielseitigkeit der Lebensweite. Zahl- manche koloniebildend. Ungeschlechtliche Fort- reiche Parasiten, auch beim Menschen. pflanzung durch Zweiteilung, multiple Teilung oder Knospung. Sexuelle Vorgänge verlaufen als Choanoflagellata: Mit einem Kragen aus Mi- Gametogamie oder Gamontogamie. Genera- krovilli, in dessen Zentrum eine Geißel schlägt. tionswechsel häufig. In Meer, Süßwasser und Marin und limnisch. Salpingoeca (Abb. 243a). feuchter Erde; nicht wenige sind Symbionten oder Parasiten. Trichomonadida: Einkernig, 4–6 Geißeln, da- Neue ultrastrukturelle, biochemische und von eine Schleppgeißel;