Nr.2|28.Februar 2016 NZZamSonntag Lewinsky DerFremde DieSchweizer Terrorjahre Zum70. legter AlbertCamus’ Wiesie Politik EinBuchbringt einenneuen Klassikerwird zurKomödie Bundesbern Romanvor umerzählt machen inBewegung Bü12 10 ch18 er21 am Sonntag Wirregenuns aufüber obligatorische Kindersitzli, obwohl wir unsereKinder nie ohneKindersitz im Auto fahren lassen.

Aus«‹D Finger ab de Röschti!›ist dererste Bürgerwunsch»von Monika Bütler

10 ׫NZZamSonntag» zu Jetzt Probe lesen für nur 25 Fr. mhalben Preis Artikel SMS mit Keyword: NZZ4,Namen verpasst? und AdresseanNr. 880(20 Rp./SMS) Online unter nzz.ch/sonntag4 Inhalt

EinGlasWein trinken. Aufstehen. Weglaufen. Und Punkt: sich kein Weggehen einziges Mal mehrnach der Welt umdrehen. Es können die Vorlagen eines undsichderWelt Abstimmungssonntags sein, die solchen Eskapismus stimulieren; es können die Zumutungeneines jeden Tagessein, das Schreiender Kinder, annähern das Schweigen der Menschen,die die Sehnsuchtnach dem Ausbruch wecken. Was aber, wenn es nichts ist, das einen in die Leere treibt? In Peter Stamms neuem Roman (S.4)steht einer auf undgeht–und keinerweiss, warum. DerDrangnach Freiheit, nimmtman an, führt den Helden «weit über das Land», dem Wesentlichen entkommteraberwederinWäldern noch aufBergen: Die Liebe bindetden Entflohenen ans Daheim zurück. Die Fluchtist eine vermeintliche: Das gilt auch für den Rückzug ins Schöngeistige, den wirdiesen Monatmit einer ganzenReihe vonBüchern aus dem Kunstbereich anzutreten scheinen. Wirwidmen uns den

Nr.2|28. Februar 2016 NZZ am Sonntag Lewinsky DerFremde DieSchweizer Terrorjahre Zum70. legter AlbertCamus’ Wiesie Politik EinBuch bringt einenneuen Klassikerwird zurKomödie Bundesbern Dadaisten –und lernen subversive Protestformen gegendas Datensammeln Romanvor umerzählt machen inBewegung 12 10 18 21 Bücher kennen (S.16);wir spazieren durchlyrische Klangräume–und stossen auf am Sonntag landschaftliche Industrialisierungsverheerungen (S.8); wirhorchen in die helvetische Volksmusik –und gehen den Schalmeienklängenerfundener Traditionen nach (S.26); wirschauen auf den erfolgreichstenaller Schwei-

Charles Lewinsky zerFilme –und landen wiedermitten im Abstimmungssonntag(S. 18). (Seite12). Ein GlasWein trinken. Lesen. Abtauchen.Und sich der Welt zuwenden. Illustration von AndréCarrilho Wirwünschen anregendeLektüre. Claudia Mäder

Belletristik 19 Steffen Martus: Aufklärung. Dasdeutsche 18. Jahrhundert–ein Epochenbild 4 PeterStamm:Weit über das Land VonManfredKoch VonCharles Linsmayer Ronald D. Gerste: WiedasWetter 6 NorbertGstrein:InderfreienWelt Geschichtemacht VonJürgScheuzger VonFlorian Oegerli Christine Lavant:ZuLebzeiten veröffentlichte 20 Sacha Batthyany:Und washat das Erzählungen mit mirzu tun? VonManfredPapst VonClaudia Kühner 7 Thea Dorn: Die Unglückseligen GaryA.Haugen, Victor Boutros: VonStefana Sabin Gewalt –die Fessel der Armen 8 Marion Poschmann:Geliehene VonMichael Holmes Landschaften 21 Marcel Gyr:Schweizer Terrorjahre. Dasgeheime VonDorothea vonTörne Abkommenmit der PLO 9 :Der rote Strich Rolf Lyssys «Schweizermacher» (mit Beatrice Kesslerund VonKathrin Alder VonMartin Zingg EmilSteinberger)ist heute so aktuellwie eh (S.18). 22 GeraldStourzh: Die moderneIsonomie FrancoItem(Hrsg.): Davos–zwischen VonCarlo Moos Bergzauberund Zauberberg Kolumne D. Rosenberg, A.Grafton:Die Zeit in Karten VonGerhardMack VonKathrin Meier-Rust 10 Kamel Daoud:Der Fall Meursault –eine 15 CharlesLewinsky 23 Nir Baram: ImLand der Verzweiflung Gegendarstellung Das Zitatvon Woody Allen VonKlara Obermüller VonSusanne Schanda 24 WilfriedF. Schoeller:Franz Marc 11 HannahArendt:Ich selbst,auch ich tanze Kurzkritiken Sachbuch Maria Marc: «Das Herz drohtmirmanchmal VonClaudia Mäder zu zerspringen» 15 Elisabeth Raabe:Eine Arche isteine Arche VonAnja Hirsch Kurzkritiken Belletristik isteine Arche 25 Birgit Dankert:MichaelEnde VonKathrin Meier-Rust VonSieglinde Geisel 11 G. K. Chesterton: Vier verehrungswürdige CaitlinDoughty: Fragen Sie Ihren Bestatter Victor Chu: Vaterliebe Verbrecher VonSimone Karpf VonWalter Hollstein VonGundulaLudwig Jolanda Spirig: Sticken und Beten 26 D. Ringli, J. Rühl: Die Neue Volksmusik Rebecca C. Schnyder:Alles istbesser VonKathrin Meier-Rust VonCorinne Holtz in der Nacht Marc Augé: LobdesFahrrads DasamerikanischeBuch VonManfredPapst VonClaudia Mäder John Donvan, Caren Zucker:InaDifferent Key: EmmyHennings:Gefängnis. Dasgraue Haus. The Storyof Autism DasHausimSchatten Sachbuch VonAndreas Mink VonManfredPapst Isabel Bogdan: Der Pfau 16 Martin Mittelmeier: Agenda VonClaudia Mäder ArpMuseum: GeneseDada Kunsthaus Zürich: Reconstructed 27 B. Marshall,P. Townshend, R.Daltrey: The Who Interview VonIna Boesch VonManfredPapst 18 GeorgKohler,Felix Ghezzi(Hrsg.): «Die Bestseller Februar 2016 12 «Schreibenistwie Bergsteigen» Schweizermacher»–UndwasdieSchweiz Belletristik und Sachbuch CharlesLewinskyimGespräch ausmacht Agenda März 2016 mitManfredPapst VonSimon Spiegel Veranstaltungshinweise

Chefredaktion Felix E.Müller (fem.) Redaktion Claudia Mäder (cmd., Leitung),Simone Karpf (ska.), Kathrin Meier-Rust (kmr.), ManfredPapst (pap.) StändigeMitarbeit Urs Bitterli, HildegardElisabeth Keller,ManfredKoch, GunhildKübler,Sandra Leis, Charles Lewinsky,Andreas Mink, Klara Obermüller, Angelika Overath, Martin Zingg Produktion Eveline Roth, Hanspeter Hösli (Art Director), Urs Schilliger (Bildredaktion), Raffaela Breda (Layout), KorrektoratSt.Galler Tagblatt AG Verlag NZZ am Sonntag, «Bücher am Sonntag», Postfach, 8021 Zürich, Telefon 0442581111, Fax0442617070,E-Mail: [email protected]

28.Februar 2016 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 3 Belletristik

Roman In «Weitüber dasLand» erzähltPeter Stamm diebewegende Geschichte vonzweiLiebenden, diesich sich räumlich voneinander enAutfernen undsbsich dabeirudoch nuchrimmer näheraukommens demGefängnis desAlltags

Tarnungund das Verwischen aller Spu- PeterStamm: Weit überdas Land. renbemühtenFluchtdurch Wälder und S. Fischer,FrankfurtamMain 2016. unbewohnte Gegenden in Richtung 223 Seiten, Fr.28.90,E-Book 21.–. Süden annimmt, und es dauert lange,bis man beim Lesen eine Ahnungdavon be- VonCharlesLinsmayer kommt, was diesen Thomas tatsächlich zu seiner Odyssee durch die alpine Wer, vonPeter Stamms letztem Roman Schweiz und schliesslich durch ganz Eu- «Nachtist der Tag» herkommend, «Weit ropa antreibt. über das Land» aufschlägt, gerätvon der «Freiheitwar mir immer wichtiger ge- spektakulärsten Dramatik in die nüch- wesen als Glück», hiess es schon 1998 in ternsteAlltäglichkeit. Dort erwachtdie «Agnes», und neben dem «Hochgefühl Moderatorin Gillian miteinem bis zur des Unterwegsseins» und der «Freude Unkenntlichkeitzerschlagenen Gesicht einer Zukunft, die nichtvorgegeben im zertrümmerten Auto neben ihrem war», ist es wohl ein solch unbändiger totenMann, hier kommen Thomas und Freiheitsdrang, der Thomas zu seiner Astrid mitihren Kindern voneinem Fe- Fluchttreibt. Selbst die einsame Berg- rienaufenthalt nach Hause, trinken, als hütte,inder er den ersten Winter ver- die Kinder im Bett sind, vordem Haus bringenwill, kommtihm bei aller Knapp- einander wissen, erzeugt der Gedankean noch ein Glas Wein. Nichts deutet auf heitder Ressourcen «nichtwie ein Ge- Astrid in ihm bis zuletzt «ein Gefühl von etwas Ungewöhnliches in der Beziehung fängnis vor», «im Gegenteil, er fühlte Geborgenheit», und es kommtihm vor, zwischen dem seriösen, ausgeglichenen sich frei wienie zuvor». Aber obwohl er, «als seien er und sie zwei Himmelskör- Handelsreisenden und der fürsorgli- da und dort als Gelegenheitsarbeiter per,die, durch die Gravitation verbun- chen, tüchtigen Hausfrau und Mutter tätig, sogar Zerstreuungenwie Musik den, einander umkreisten, ohne sich je- hin, als Thomas, während Astrid hinein- oder Lektüreals «Ablenkungvom We- mals näher zu kommen». geht und nach einem Kind schaut, das sentlichen» vonsich wegweist, geht ihm Stamm lässt uns nichteinfach diesem Gartentoröffnet und wieein Traum- etwas die ganzeZeit, ja die ganzen Jahre Thomas «weitüber das Land» folgen, er wandler der Strasse entlangfortgeht,um und Jahrzehnte doch nichtaus dem ermöglichtesuns, in ebenso vielen Er- nichtmehr zurückzukehren. Kopf: die Liebe zu Astrid, seiner verlasse- zählsequenzen auch nachzufühlen, wie nen Frau, der er sich, ohne ihr je wieder Astrid mitdem Versetztwerden umgeht Himmlische Verbundenheit ein Lebenszeichen zu gönnen, nahe fühlt und wiesich ihr Verhältnis zum abwe- Es gibt immer wieder Aufbrüche und un- wieehund je. Prostituierteinteressieren senden Thomas entwickelt. vermittelteAbschiede in PeterStamms ihn nicht, und wenn er sich miteiner an- Nach anfänglicher Konsternation be- Werken –die Powerfrau Sonja machtsich deren Frau einlässt, schämtersich an- kommtinihr die Vernunft die Oberhand. 2009 in «Sieben Jahre» plötzlich auf und schliessend «für seine Untreue», denn Zunächst denkt sie, Thomas komme bald davon, Andreas in «An einem Tagwie wieviele andereFrauen in Stamms Bü- zurück, sie meldet ihn beim Arbeitgeber diesem» reist 2006 unvermittelt aus chern –etwa die rundliche Lehrerin als krank, vertröstet die Kinder.Später Paris ab –, aber auf eine derart überra- Lydia in der Erzählung«Siebenschläfer nimmtsie Kontakt zum Polizisten Pa- schende, scheinbar vollkommen unbe- oder die hässliche Iwona» in «Sieben trick auf,der sie auf eine für seine Stel- gründeteArt und Weise hatsich bei Jahre» –übt auch diese stille, durch lungungewöhnlich persönliche Weise Stamm noch nie eine Figur vonihren An- keinerlei Besonderheitenauffallende umsorgt, und als die KreditkarteTho- gehörigen entfernt. «Die Leereder Nacht ehemaligeBuchhändlerin auf ihren un- mas’ Aufenthaltsort verrät, verfolgt sie schien ihn vorwärts zu ziehen», ist zu- getreuen Gatten einen ebenso unerklär- ihn bis in die Innerschweiz, siehtdann nächst die einzigeErklärungfür dieses lichen wieunwiderstehlichen Zauber aber ein, dass er «als Erwachsener das Weggehen, das sofort die Zügeeiner um aus. Obwohl sie rein gar nichts mehr von- Rechthat,unterzutauchen». Selbst als er 4 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 28.Februar 2016 AS AV EY AYS

PeterStamm(hier nach dem Sturz voneinem Felsen, an ders im Umgangmit den beiden Kindern System der Menschenwelt zum «Ausge- in Winterthur, dem ein Stück Kleidunghängenblieb,für zeigt. Werjeselbst erlebte, wieein Kind, stossenen des Universums» zu werden, 19.02.2016)lässt toterklärt und proforma beerdigt wird, das vonVater oder Mutter verlassen denn er bleibt wiemit unsichtbaren seinenHeldendurch glaubt sie als einzigenichtanseinen Tod. wurde, sich als Ersatz einen Hund Fäden an Astrid gefesselt. Wälderhindurch ins freie Leben fliehen. Im Unterschied zum romantisch ver- wünschte und dem vermissten Elternteil «Wenn wiruns trennen, bleiben wir liebten Thomas lautet ihreLosung: «Man eine gemalteferne Insel als Aufenthalts- uns», lautet das vonMarkus Werner ent- liebt, worumman sich bemüht, und man ort zuordnete, wird PeterStamms fein- lehnte Mottodes Buches, und die schein- bemühtsich um das, was man liebt.» fühligeCharakterisierungdieser verlas- bar gelösteund sich doch immer stärker Eine nüchterne Haltung, aus der heraus senen Mutter nichtohne innereBewe- verfestigende Verbindungzwischen den sie jedoch Thomas mindestens so treu gunghinnehmen können. zwei sich räumlich voneinander entfer- bleibt wieerihr.Nachts teilt sie erotische nenden Menschen ist es denn auch, die Wachträume mitihm, und während Pa- RührendesFinale in ihrer ab- und zunehmenden Spannung trick findet, Thomas habe sich «wie ein Stamm hatsich für seine Geschichte bis und im Hin und Herzwischen den zwei Schwein benommen», schafft sie es zu einem gewissen Punkt vonNathaniel Erlebnisebenen das Faszinosum dieses nicht, auf ihn wütend zu sein. Sie trägt Hawthornes Erzählung«Wakefield» Romans ausmacht. Obwohl es grössten- weiter seinen Ring, fühlt sich durch sein (1835) inspirieren lassen. Da geht es um teils aus exakten Landschaftsbeschrei- Wegbleiben aus der alltäglichen Welt einen Londoner,der ohne ersichtlichen bungenbesteht, schlägt einen das stille herausgehoben und weiss in stummer, Grund seine Ehefrau verlässt, sich aber Buch damitsosehr in seinen Bann, dass leidender Treue: «Erst durch seine Rück- eine Strasse weiter drüben einmietet und man es nichtmehr aus der Hand legen kehr würdedie Zeitwieder zu laufen be- die Frau zwanzig Jahrelangvon ferne be- kann und atemlos auf das Finale hinfie- ginnen.» obachtet, um am Ende «gleichmütig, als bert –auf einen Ausganghin, der hier, Während Thomas, vom«glücklichen wäreernur einen Tagfort gewesen», um künftigeLeser nichtumihr Vergnü- Gefühl der Allgegenwärtigkeit» getrie- wieder zur Türeherein zu treten und bis genzubringen, verschwiegen werden ben, seine Freiheitauslebt, bleibt Astrid zum Tod«ein liebender Gatte» zu sein. soll, der aber,dies sei immerhin einge- allerdings nichts anderes übrig, als die Anders als WakefieldgerätStamms so standen, selbst einen abgebrühten, seit ganzeSchwere des Verlassenwerdens ganz anderer Thomas aber nichtinGe- vierzig Jahren tätigen Kritiker noch zu passivhinzunehmen. Wassich beson- fahr,durch sein Ausbrechen aus dem Tränen zu rühren vermochte. ● 28.Februar 2016 ❘ NZZ amSonntag ❘ 5 Belletristik Roman DerÖsterreicher NorbertGstrein legt sein bisher ambitioniertestes Buch vor EintoterAutorund vieleFragenzurWelt

mans, erzählt in einem raffinierten Hin hättevermuten können?Zudem widmet NorbertGstrein: In der freien Welt. und Herzwischen Zeitenund Orten. Marwan die ErzählungSirhan Sirhan, Hanser,München 2016.496 Seiten, John ist ein Jude, dessen Mutter vor dem Mörder Robert Kennedys! Fr.35.90,E-Book 19.90. den Deutschen hatfliehen können, er ist Mehrmals reist Hugo insWestjordan- aufgewachsen in der Bronx, als Jugendli- land, um Marwan zu treffen. Erfolglos. VonJürgScheuzger cher Mitglied einer antisemitischen Gang, Gstrein widmet sich dem Elend zwischen im Libanon-Krieg von1982 Soldat in der Israel und Palästina, und sein anschauli- Derösterreichische AutorHugoerfährt, israelischen Armee, er ist Alkoholiker und cher Text ist eine bedrückende Lektüre. dass sein Freund John in SanFrancisco dann ein beinahe sektiererisches Mitglied DerAutor erspart sich und uns Betrof- brutal ermordet worden ist. Vondieser der Anonymen Alkoholiker,erist ein hem- fenheitsliteratur:Die Menschen im West- Gewalttatausgehend, hatder öster- mungsloser Womanizer –mit einer Grösse jordanland erscheinen dem Ich-Erzähler reichische AutorNorbert Gstrein seinen von1,95Meter undlangenschwarzen Lo- zwiespältig, er identifiziert sich mitnie- Roman «In der freien Welt» konstruiert, in cken –, er ist Dichter, Erzähler und Maler, mandem. In Israel hatHugoFreunde, und dem er vomLeben eines jüdischen Man- der den Spät-Expressionismus auf die in TelAvivfühlt er sich manchmal bei- nes in den USAerzählt, in dem es um den Spitzetreibt. Gstrein hatmit diesem Hel- nahe wohl. Einer der Freunde, ein Schrift- Konflikt zwischen Israel und Palästina den viel gewagt: John ist mehr als ein steller,wirdzum Sprachrohr einer bitte- geht,umdas Nachwirken der Shoah, um Mensch mitseinem Widerspruch, er ist renKritik an der israelischen Politik. Der Fragen der Kunst. Einen Roman, der irri- ein Mensch, den es geradezu zerreisst, er hoffnungslos scheinende Konflikt ent- tieren soll, der (zu) viele Fragen aufwirft ist als literarisches Konstrukt die personi- ziehtsich wohl der fiktionalen Literatur, und keine beantworten kann, der einen fizierteAblehnungder politischen Kor- die entsprechenden Passagen gehören im besten Sinne unbefriedigt zurücklässt. rektheitund als Identifikationsfigur unge- nichtzuden besten des Romans. Schon 1999 hatsich Norbert Gstrein in eignet. «Er war kein schlechterMensch», dem Roman «Die englischen Jahre» mit sagt sein Zwillingsbruder,und Hugo über- AmericanNovelals Vorbild den Folgen der Shoah beschäftigt. In «Eine legt sich: «John war kein schlechter Washier als relativübersichtlicher Plot Ahnungvom Anfang» (2013) geht es um Mensch gewesen, aber er war auch keiner, wiedergegeben wird,machtnur einen christlichbegründeten Rechtsradikalis- über den man das so mir nichts, dir nichts Teil des Buches aus. Gstrein will sehr viel, mus und um die Gewaltbereitschaft eines sagen konnte.[…] Es war nichtfalsch, aber «In einem freien Land» ist sein bisher am- jungenMannes. DerAutor ist Vertreter es war in seiner Gönnerhaftigkeitauch bitioniertestes Werk. Zu erwähnen wären einer «littératureengagée» im 21. Jahrhun- nichtrichtig, und irgendwodazwischen die Diskussionen über die Kunst, über dert, ohne dass er je der Schwarz-Weiss- war die Geschichte zu erzählen.» den Vorrangvon Inhalt oder Form; auffal- Malerei verfällt. Dies gilt auch für den Weshalb ist John ermordet worden?– lend ist die Kritik an SanFrancisco,na- neuesten Roman «In derfreien Welt». Im Sommer 2013 ist er zu einem literari- mentlich daran, wiedie Stadt sich wegen schen Kolloquium nach Gmunden einge- der Nähe zum Silicon Valley verändert Menschliche Widersprüche laden worden, zusammen miteinem hat. Natürlich fehlen Ausfälligkeitenge- Gstreins Ich-Erzähler Hugo,indessen palästinensischen Autor, Marwan. Die Be- genÖsterreich und die Österreicher nicht. Leben biografische Parallelen zu seinem gegnungder beiden scheintzugelingen, Auch enthält der Roman viele Anspielun- Autor zu finden sind, ist, wie es der litera- und ein ahnungslos wohlmeinender genauf Werkeund Autorender Weltlite- rischen Tradition entspricht, ein Mann Mensch kommtauf die Idee, die beiden ratur.John sagt einmal zu Hugo:«If you ohne Eigenschaften. Er fliegt in der Welt Autorensollten je eine Geschichte schrei- write about me, youhavetowrite an herum, ist vonSchreibhemmungenge- ben, und das sollteein schönes Büchlein American novel, agreat American novel! plagt, finanziell abgesichert dank eines ergeben. Marwan sendet Hugo seinen Promise…» So kannman Gstreins Roman Romans über eine politische Plagiats-Af- Text einen Monatnach der Ermordung verstehen: als Versuch eines deutschspra- färe, den er untereinem Pseudonym ge- Johns, und dies ist ein Bericht, wiedie Tat chigen Autors, einen «grossen amerikani- schrieben hat. In Stanfordhat er vorJahr- geschehen ist –oder hättegeschehen sein schen Roman» zu schreiben, wiePhilip zehnten John kennengelernt, und Johns können. Waresalso ein politischer Mord – Roth, wieJohn Updike,wie so viele an- Lebensgeschichte istder Kern des Ro- und nichtdoch ein Drogendelikt, wieman dere. Hugo hatesJohn versprochen. ●

Erzählungen Eine ersteGesamtausgabemacht Prosatexteder Lyrikerin Christine Lavant zugänglich RealistischbiszurUnerträglichkeit

tellosen Landschaftsmaler.Ihren Le- (1948)und «Das Krüglein» (1949), wobei Christine Lavant:ZuLebzeiten veröffent- bensunterhalt verdiente sie über Jahr- letzterer mitseinen 170 Seiten Umfang lichteErzählungen. Hrsg. vonK.Amann zehnte in Heimarbeitals Strickerin. und seinem reichen Arsenal an Figuren und B. Strasser.Wallstein, Göttingen Literarische Anerkennungfand sie vor eigentlich eher ein Roman ist. Erzählt die 2015. 800 S., Fr.49.90,E-Book Fr.33.90. allem mitihren Gedichtbänden «Die Autorin in «Das Kind» vonsich selbst Bettlerschale» (1956), «Spindel im Mond» während eines achtwöchigen Kranken- VonManfred Papst (1959) und «Der Pfauenschrei» (1962), die hausaufenthalts, der das neunjährige, an in ihrer höchst eigenwilligen Sprache Skrofulose leidende Mädchen mitknap- Christine Lavantwusste, wovonsie einem christlich imprägnierten Existen- per Not vordem Erblinden rettet, so sprach, wenn sie über Krankheitund zialismus zuzurechnen sind. Neben ihrer berichtetsie in «Das Krüglein» vonder Elend, Bigotterie und Gewalt in der ös- Lyrik hatChristine LavantzuLebzeiten gesamtenFamilie und der näheren Ver- terreichischen Provinz in der ersten Hälf- zwölf Erzählungenvon höchst unter- wandtschaft. Wassich da an Gewalt, te des zwanzigsten Jahrhunderts schrieb. schiedlichem Inhalt und Umfangpubli- Hass und Borniertheitereignet, ist ganz Geboren wurdesie 1915 als Christine ziert, die hier als zweitereiner auf vier und gar furchtbar;doch die Autorin Thonhauser in St.Stefan im Lavanttal; Bände angelegten Werkausgabe in mus- banntdie Schrecknisse, indem sie sie ihren Namen borgtesie beim Fluss, der tergültiger Edition vorliegen. schildert, und setzt auf die befreiende durch ihren Heimatort fliesst. Sie war das Symbolisch aufgeladene Textestehen Kraft der Liebe und der Phantasie. Einen neunte Kind eines Bergmanns und zeit neben solchen, die in ihrem kruden Rea- weiteren Höhepunkt ihres Erzählens bil- ihres Lebens krank an Leib und Seele. lismus vonfast unerträglicher Intensität det die vermutlich 1946 entstandeneGe- Mehrfach versuchte sie, sich umzubrin- sind. Das gilt vorallem für die autobio- schichte «Der Knabe», die erst 1969inder gen. Verheiratetwar sie miteinem mit- grafisch grundierten Texte«Das Kind» Sammlung«Nell» erscheinen konnte. ● 6 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 28.Februar 2016 Roman Diebekannte Krimiautorin TheaDorn hateinen spannenden Wissenschaftsroman verfasst, WederPhantannsiemit HiseitorievneerbindMoet und delerUnskuterblichlakeit narfchsporürt scherin dieGoethezeitentdeckt

Thea Dorn: Die Unglückseligen. Knaus, München 2016.550 Seiten, Fr.36.90,E-Book23.90.

VonStefana Sabin

Es beginntwie ein Wissenschaftsroman: Johanna, eine renommiertedeutsche Molekularbiologin, reist in die USA, wo sie fern «deutscher Bedenklichkeiten» ihregentechnischen Untersuchungen weiterführen will. «Es war ihr Lebens- projekt, sämtlichen Zellen im menschli- chen Organismus Regenerationskräfte zu verleihen, die weit über das natürli- che Mass hinausgingen, damitzugleich die Zellalterungabzuschaffen und also den Wegzur Unsterblichkeitzuebnen.» Aber schon baldnach ihrer Ankunft gerät ihreForschungaus den Fugenund sie SUM selbst in den Bann eines merkwürdigen VI Mannes: halb weltfremder Spinner und L/ LÖSE

halb weiser Einsiedler,verfügtdieser EN URG

über eine erstaunliche Regenerations- J! kraft, so dass Wunden innerhalb von Tagen heilen und ganze Glieder nach- In derZellforschung, und kleinereTeile werden, die ihr sicht- ohne Schimpf,dass ich Frau Doktor wachsen. Die Wissenschafterin ist er- die Thea Dorns bar macht». Ganz im Sinne seiner Epoche überschätzt. Im AnfangstolzeForscherin staunt, ungläubig, dann neugierig –und Protagonistin will Ritter Naturwissenschaft als Wissen –imEnd’doch eben bloss ein Weib.» betreibt,gehören lässt eine Genanalyse durchführen, die vonder Natur verstehen, während Jo- Zebrafischezu sie erst recht ins Staunen bringt. «Der den beliebtesten hanna dieses Wissen benutzen will, um MitepischerSicherheit Kerl, der ihr seitTagen weismachen woll- Forschungsobjekten. die Natur zu verändern. «Da frageich DenTeufel als Erzähler einzusetzen, ist te,ersei über zweihundert», muss Jo- Hier:Aquariendes mich», erwidert sie ihm, «wer vonuns ein geschickter narrativerTrick, der der hanna feststellen, «war nach allen Geset- Max-Planck-Instituts. beiden der Hochmutigereist: Ich, die ich Schriftstellerin Thea Dorn eine unpathe- zen der modernsten Wissenschaft ge- lediglich den Menschen vonKrankheit, tische Sympathie für die Figuren und zu- rade einmal Anfangdreissig.» Alter und Todbefreien will?Oder Sie, der gleich Distanz zum Geschehen erlaubt. Sie gleich die ganzeSchöpfungerlösen Dorn, die 1970 in Offenbach am Main ge- DerTeufel erzählt wollen?» So erhält der Wissenschafts- boren wurdeund ihren Künstlernamen Und so geht derWissenschaftsroman ins roman eineethisch-philosophische Grun- in Anspielungauf den Frankfurter Philo- Phantastische über.Denn dieser über dierung, die das Phantastische auf die sophen Theodor W. Adorno gewählt hat, Zweihundertjährigeist Johann Wilhelm Gegenwart zurückführt, bevor er ins hatmehrereKrimis, für die sie Preise Ritter,der berühmte Physiker der Goe- Gruseligewechselt. bekommen hat, und Theaterstückege- thezeit, der für seine galvanischen Ver- Denn nachdem es Johanna mitden schrieben, dazu Film- und Fernsehdreh- suche berüchtigt wurde. Tatsächlich ist Mitteln der Molekularbiologie nichtge- bücher sowieEssays verfasst, und sie ist Ritter mitgerade einmal zweiunddreis- lungenist, hinterdie genetische Muta- auch als Fernsehmoderatorin bekannt. sig gestorben, nachdem er auch am eige- tion, der sie Ritters Langlebigkeitzu- In diesem Roman baut sie aus histori- nen Körper galvanische Experimente schreibt, zu kommen, versuchtsie es mit schem und philosophischem Material durchgeführt hatte. Im Roman gelingt Galvanismus, dann mitTeufelsanbe- eine einfache Handlungauf,die sie mit Ritter das Sterben nicht, weil seine Ver- tung. Zwar bleibt die erlösende Erkennt- epischer Sicherheitdurch unerwartete letzungenimmer wieder heilen. Er wird nis aus, aber Erlösungfinden die beiden Wendungenauf das Ende hin führt. Aber zum Abenteurer,der über geographische Unglückseligen schliesslich doch –aller- es ist weniger die Handlungansich als und chronologische Grenzen hinweg dings nichtineinem gemeinsamen die Mischungaus historisierender und wandert; zum Verfluchten, der an sei- Glück, sondern im gemeinsamen Tod. modernistischer Erzählung, aus komi- nem Leben und an seiner Langlebigkeit Man kann in diesem unglücklichen schen und tragischen Episoden und der verzweifelt; zum Getriebenen, der nie Ende einen moralischen Unterton erken- den Figuren jeweils nachempfundene zur Ruhe kommt–bis er Johanna trifft. nen. Sonst bleibt der Roman auf ange- Sprache, die den Reiz des Romans aus- Gemeinsam wollen sie das Geheimnis nehme Art unpathetisch –nichtzuletzt machen. ● seiner Langlebigkeitund also der Un- dank der Erzählerfigur,die die Figuren sterblichkeitknacken. Zwar streitenJo- und ihr Handeln begleitetund beobach- hanna und Ritter unentwegt über Gott tet: Dieser Erzähler ist der Teufel selbst! und seine Schöpfung, über Naturwissen- Am Anfangdes Romans stellt er sich dem Global Times schaft und Forschung, und ihreAusein- Leser vor; immer wieder unterbrichter andersetzungenspiegeln grundsätzliche dann das Geschehen, um die emotiona- Derpackende Romanvon Toni Stadler Positionen der Wissenschaft wider.«An- len und gedanklichen Verrenkungender zur weltweitenMobilitätvon statt den Weltatemzufühlen», wirft Rit- beiden Hauptfiguren zu kommentieren; Menschen,Ideen,Kulturen, Religionen terder Molekularbiologin vor, «sehtihr am Ende des Romans wendet er sich wie- undGewalt. Teile bloss und meintgar noch, ihr der an den Leser und bekundet seine buch.ch | thalia.ch | exlibris.ch | tonistadler.com gewönnet etwas, wenn’s immer kleinere Enttäuschung: «Und einsehn muss ich 28.Februar 2016 ❘ NZZ amSonntag ❘ 7 Belletristik Gedichte DiedeutscheAutorin Marion Poschmann zeigt sich in ihrem viertenLyrikband als sanfte Melancholikerin und sensible Malerin mitWorten DurchKlangräumeinGedankenpärke

Marion Poschmann: Geliehene Landschaften. Suhrkamp,Berlin2016. 118 Seiten, Fr.28.90,E-Book 21.–.

VonDorothea vonTörne

Die Romanautorin und Lyrikerin Marion Poschmann (*1969) ist die Malerin unter den Dichterinnen der mittleren Genera- tion. Aber sie ist auch eine Komponistin ONE

und Gartenarchitektin. Sorgfältig kom- ST EY

poniert hatsie ihren vierten Gedicht- /K band, der über mehrereKontinente OKER führt: zu natürlichen und künstlichen GEBR

Landschaften, durch Gärten und Pärke, MA /I Gebirge,Wälder und Gewässer in Osteu- NEN

ropa, China, Japan und den USA. Selten HOE SC

führt ihr Wegzu«durchgearbeiteter EL

Landschaft» (Volker Braun), vielmehr zu DANI «geliehenen Landschaften» –ein Begriff aus der ostasiatischen Gartenkunst, der DieKohleindustrie in Lehrgedichte und Elegien verspricht werksanlagen in Nordrhein-Westfalen, ausserhalb der Areale liegende Elemente Nordrhein-Westfalen der Untertiteldes Buches. Auftraditio- unweit vonEssen, dem Geburtsort der in die Gestaltungeinbezieht. (hier:Garzweiler) nelle Metren und Klangmittel wieReime, Autorin, thematisiert. «Mondlandschaft «Geliehen» aber scheintdie Natur in inspiriertMarion Alliterationen und Assonanzen greift verschlug uns die Sprache», berichtetdie Poschmann zu diesen Gedichtennoch in einem anderen kritischenGedichten. Poschmann in beiden zurück. Sie ent- Wanderin durch die zerstörteLand- Sinne zu sein: auf Zeitgeborgt voneinem wirft Gedichte als Klangräume. Wasdie schaft. Die Machtder Industrie scheint universalen Ganzen, um für menschli- Inhalteder «Lehrgedichte»betrifft, so allgegenwärtig, und die Zukunftsent- chen Aufenthalt genutzt zu werden: zur sind sie gänzlich undidaktisch. Philoso- würfeder Landschaftsplaner wirken ins Entspannung, zum Vergnügen, für politi- phierend widmen sie sich den Zusam- Gigantomanische gesteigert. Das Gedicht sche Zwecke, zur Schändungdurch In- menhängenzwischen sichtbarer und un- beschreibt einen Momentder Gegenwart, dustrie. In neun Kapiteln, zyklisch struk- sichtbarer Welt, der Vergänglichkeit– vondem aus die Dichterin erdgeschicht- turiert, rückt die Dichterin jeweils andere oder der «Natur des Menschen». liche Vergangenheitund Zukunft assozi- Wechselwirkungenvon Mensch und Anhand der Ästhetik vonDingenführt iert: «die kommenden Seen (die grössten Landschaft in den Fokus lyrischer Wahr- Poschmann den Leser in den Kaliningra- Europas)». Dieses Gedichtgehört zu den nehmung. der Bernsteinpark und stellt eine Land- seltenen Glücksfällen der Poesie, in Als wolltesie ein Gegengewichtzu schaft aus, in der sich historische Sze- denen ein Weltmoment, ein Schnitt- flüchtigen Erscheinungendes Sichtbaren nerien eines ideologischmanipulierten punkt zwischen Vergangenheitund Zu- wieNebel, Dunst und Glanz herstellen, Lebens abspielen. Grotesk wirken die Blu- kunft, authentisch erlebt und erfahren widmetsiesichimKapitel«Bernsteinpark menrabatten als Sprache der politischen durch ein Ich, gültig gestaltet ist. vonKaliningrad» der substanziellen Be- Macht: «Petunienlenin», «Stalin als Stief- Poschmanns Verse beschreiben weni- schaffenheitvon Dingenhinterdem Au- mütterchen».Abbilder der Natur finden gerdie wirklichen Dinge als vielmehr, genschein. Die einzelnen Teile des Zy- sich hierkaum, eherein Gedankenpark wiedie Dinge wirklich sind. Wasdie klus tragen Überschriften, die die Varie- aus karnevalesken undmilitantenZerrbil- Dichterin wahrnimmt, ist ihr nichtselten tätensamländischer Bernsteinfunde be- dern menschlicherGemeinschaft. Anlass zu verhaltener Melancholie. Die zeichnen: eine Serie vonFarbnuancen Ähnlich explizitpolitisch wird Marion Tradition der Elegie entwickelt sie auf und materiellen Konsistenzen, die die Poschmann auch im letzten, titelgeben- phantasievolle Weise weiter:dialogisch Illusion vomGedichtals einem handfes- den Kapitel: «Geliehene Landschaften». und in pointierten Sentenzen –nichtbe- tenGegenstand erzeugt. Hier kann man Trakl’sches Schwarz breitetsich in «Jü- lehrend, sondern im Gestus der Frage– sogar «Gedichte waschen» («Plattentek- lich-Grevenbroich-Erkelenz» aus, einem und nichtohne Witz. Dass sie in einem tonik») und «Gedichte entfusseln» Gedicht, das die Vernichtungvon Land- Park ein Paar entdeckt, das sich Gedichte («Seismographie»). schaft durch Kohleindustrie und Kraft- aus dem Handy vorliest, lässt hoffen. ●

www.fischerverlage.de Gerster Gaby to:

Peter Stamm überden Fo einen Moment, der unser Leben in Frage stellt

Ein Mann steht auf und geht. Einen Augenblick zögert Thomas, dann verlässt er das Haus, seine Frau und seine Kinder.Astrid, seine Frau, fragt sich zunächst, wohin er gegangen ist, dann, wann er wiederkommt, schließlich, ob er noch lebt.

224 Seiten, gebunden, sFr. 26,90 (UVP)

8 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 28.Februar 2016 Erzählungen Walter Serner (1889–1942) hatmit seinen «erotischen Kriminalgeschichten» kurze, knappe undImfrechMieTexte gelisceuhrieben,vodiebisnMheuteüberzeacugenkieMesser

Schlepper,und gemeinsam exerzieren hinterallem vorsätzlichen Charme auf- Walter Serner: DerroteStrich. Hrsg. von sie, zwar eine Etagetiefer,die gleichen scheint, teilen sie mitdem Autor, der den Andreas Puff-Trojan. Manesse, Zürich krummen Geschäftspraktiken und Schie- halbseidenen Akteuren seine unverhoh- 2015. 448Seiten, Fr.28.90,E-Book 23.90. bereien, mitdenen die High Society wäh- lene Sympathie schenkt. rend des Krieges zu Geld und Ansehen VonMartin Zingg gekommen ist. Die kleinen Gauner set- Scharfsichtige Zensoren zenmit List und angestrengter Coolness Als Walter Serners Werk 1933 endgültig Unterden Schriftstellern der frühen alles daran, das vielversprechende Re- verboten wurde, verwiesen die Zensoren 1920er Jahreist Walter Serner zweifellos zept der «Grossen» zu übernehmen. Die darauf,die Geschichtenwirkten «mit eine der seltsamsten Erscheinungen. Erfolgesind dabei zwar stets um ein paar einer raffinierten Kühle und Sachlich- 1889inKarlsbad geboren, unterdem Nummern kleiner,die Risiken entspre- keit,die schliesslich ironisch und damit Namen Walter EduardSeligmann, be- chend grösser –die Tricks aber sind gut aufreizend wirkt». Das hatten sie gut er- suchterdort die Schulen, studiert Jura in abgeguckt. kannt. In seinem klugen Nachwort be- Wien und promoviert zwischen ausge- MitRaffinesse legen sich Serners Figu- tont XaverBayerdenn auch, dass sich die dehntenReisen zum Dr.iur., miteinem rengegenseitig herein, sie bluffen, sie Lektüreder Serner’schen Textenichtab- kühnen Plagiat, wieman inzwischen geben sich mal elegant, dann gleich wie- nütze: Dieser wunderbareAutor istauf weiss. Als Jurist hatSerner indes keine der brutal. IhreIllusionslosigkeit, die seltsame Weise aktuell geblieben. ● Minutelanggearbeitet, aber er hat, auch das ist eine der vielen Anekdoten um seine Person, seinen Doktortitelgenutzt, um dem nichtminder abenteuerlichen Davos DasBeste fürLeibund Seele DichterFranz Jung ein Attest auszustel- len, das dem Fahnenflüchtigen 1914 die Desertion ermöglichte. Statt seine juristischen Kenntnisse in eine Kanzlei zu tragen, wendet sich Ser- ner schon frühder Literatur zu, er schreibt für Franz Pfemferts «Aktion» und gibt sich dem Vergnügen hin, «in Eu- ropa spazierenzufahren». Während des Ersten Weltkriegs muss er sein unstetes Reiseleben vorübergehend einschrän- ken, Anfang1915 meldet er sich in Zürich an. Er lebt hier als «Refraktär» und schliesst sich zeitweise den Dadaisten an. Er wird einer ihrer interessantesten Protagonisten und verfasst ein Manifest, vondem sich –oft bis zur wörtlichen Übernahme –inspirieren lässt, «LetzteLockerung». Das Manifest, das Serner spätererweitert zum «Hand- buch für Hochstapler und solche, die es werden wollen», garantiert noch immer eine atemberaubende Lektüre. Unterder High Society Nach Kriegsende schreibt Walter Serner, oft unterwegs in den grossen europäi- schen Städten und unablässig vonGeld- sorgengeplagt, einen Roman («Die Tige- rin. Eine absonderliche Liebesgeschich- te»), ein Theaterstück, das nach der Ur- aufführungsofort abgesetzt wird,dazu Essays. Und er schreibt vorallem «eroti- sche Kriminalgeschichten». Die Bände tragen überraschende Titel: «Zum blauen Affen. 33 hanebüchene Geschichten», «Der elfteFinger», «Die tückische Stras- se» oder «Der Pfiff um die Ecke». 99 Kri- minalgeschichtensind es zusammenge- nommen, und eine gelungene Auswahl daraus präsentiert Andreas Puff-Trojan nun in einer ansprechenden Ausgabe bei Alsder Künstler ErnstLudwigKirchner 1917 nach Davos einem fahlen Licht,die vorgelagertenHängebrennenin Manesse: «Der rote Strich». kam, um sich nach einem Zusammenbruchärztlich be- violetten Rottönen, die Kirchefügt sich in die splittri- Die meist kurzen Geschichtenhaben handelnzu lassen, entdeckte er fürsich die Schweizer gen Felsformationen ein.Währendsich in diesen Land- alle nur einen Schauplatz: das Ganoven- Alpenals Sujet.Vonseinen berühmten Darstellungen schaften Kirchnerskeinersorecht zu Hause fühlen mag, und Hochstaplermilieu, die Demi-Monde des Berliner Grossstadtlebens behielt er die Aufgeregt- sucht die Publikation, die FrancoItemüber Davosher- der vielen kleinen Mackie Messer,der heitder Linieunddie glühenden Farbkontraste bei. An- ausgegebenhat,den Lesern die faszinierendenSeiten Zuhälter und Liebesdienerinnen von gesichtsder Monumentalitätder Berge erhielt der des Luftkurortesnäherzu bringen. Landschaft,Heil- Lissabon bis Rom, vonNizza über Paris expressiveAusdruckaberauch eineRuhe und Unnah- kunde,Kulturund Sportwerden vonnamhaften Auto- bis Berlin. Aufdiesem Parketttummeln barkeit,die den Menschenals Fremdlingin dieser Welt ren äusserst lesbar vorgestellt. GerhardMack sich scharenweise und mitviel Energie auswiesen.Das Tinzenhorn glühtauf demGemälde «Tin- FrancoItem(Hrsg.): Davos–zwischen Bergzauber und Kokotten, Gigolos, Falschspieler und zenhorn –Zügenschlucht bei Monstein» giftgrün in Zauberberg. NZZ Libro,Zürich 2015. 336S., Fr.63.–. 28.Februar 2016 ❘ NZZ amSonntag ❘ 9 Belletristik Roman DeralgerischeSchriftsteller KamelDaoud erzähltdie Geschichte vonAlbertCamus’ GegenialemgeRomannK«Der Fremdoloe» neu.niNunsalprichistdermumilitanteBsruderdes damaligen Mordopfers undreligiösenFanatismus

für sich und seine Mutter.Zugleich fes- KamelDaoud: Der Fall Meursault–eine selt ihn am Roman des Franzosen die Gegendarstellung. Aus dem «perfekteSprache, die selbst der Luft Französischen vonClaus Josten. etwas Diamantenes verleiht». Kiepenheuer &Witsch, Köln 2016. Das Schicksal vonMeursault bei 208 Seiten, Fr.24.90,E-Book 18.–. Camus wiederholt sich bei Daoud in der Figur des Haroun. Wiejener weniger für VonSusanne Schanda den Mord verurteilt wurdeals für die Ge- fühllosigkeitbei der Beerdigungseiner Es ist ein Paradoxvieler algerischer Intel- Mutter,siehtsich auch Haroun miteiner lektueller:dass die Sprache der einstigen absurden Situation konfrontiert: «Ich Kolonisatorenfür sie zur Sprache der Be- hattegetötet, und das verursachte mir freiungwurde.Der 1970 geborene Jour- einen heftigen Schwindel. Aber im Grun- nalist und Schriftsteller Kamel Daoud de fand niemand etwas daran auszuset- geht noch einen Schritt weiter.Inseinem zen. Nur der Tatzeitpunkt schien ein ersten Roman arbeitetersich –auf Fran- gewisses Problem darzustellen.» Was zösisch –aneinem Denkmal der franzö- Haroun vorgeworfen wird,ist, dass er sischen Literatur ab: am Roman «Der nichtzusammen mitden Aufständi- Fremde» des in Algerien aufgewachse- schen für die BefreiungAlgeriens ge- nen Albert Camus. DerUntertitelder kämpft hat, wo er HunderteFranzosen deutschen Übersetzunggreift allerdings hättetöten sollen, sondern dass er erst zu kurz: «Meursault, contre-enquête» ist nach dem Waffenstillstand einen Fran- weit mehr als eine Gegendarstellung. Es zosen umgebrachthat,noch dazu «aus ist eine teils wütende, teils faszinierteEr- den falschen Gründen». mittlungund Auseinandersetzungmit dem «Fremden» und zugleich eine schar- Autormit Fatwa belegt fe Abrechnungmit der algerischen Ge- Kamel Daouds Roman «Der Fall Meur- schichte und dem religiösen Fanatismus sault» kann sehr wohl als antikoloniale der Gegenwart. Kritik gelesen werden, aber nichtnur. Mindestens so hart geht er mitder natio- DenNamenlosen benennen nalen Befreiungsarmee Algeriens und Kamel Daoud hatseinen Roman engam mitden mörderischen Islamisten ins Ge- Vorbildkonstruiert, vomersten Satz bis richt. In diesem Algerien werden Intel- zum Schluss, wo aus der Stimme seines lektuelle, Künstler und Frauen als Frem- Protagonisten immer deutlicher die de ins Abseits gedrängt. MitHaroun hat Stimme des «Fremden» zu vernehmen Kamel Daoud einen vielschichtigen Cha- ist. DerErzähler ist der Bruder des von rakter geschaffen, der in manchem Meursault ermordeten Arabers aus Camus’ Meursault gleicht–in seiner Va- Camus’ Roman. Siebzig Jahrenach dem terlosigkeit, dem distanzierten Verhält- HOTO

Mord stehterNachtfür Nachtineiner ZP nis zur Mutter,dem Gefühl der Fremd- BarinOran und erzählt einem jungen /S heit, der Ablehnungvon Religion –, der VES Mann bei einem Glas Wein seine Ge- HI aber darüber hinaus weise und trotzig schichte.Ererzählt sie neu, vonhinten ARC geworden ist. Ein Weintrinker,der über DES nach vorn, vonrechts nach links, wiedas heuchlerische Frömmelei wettert und in RUE Arabische geschrieben wird,doch in Der Araberaus «DerFremde», gespielt vonMohamedRalem in der einem hintergründigen Wortspiel aus französischer Sprache. Verfilmung vonLuchino Visconti(1967). dem französischen Meursault einen ara- Das Bauprinzip vonDauods Romans bischen Mersoul, Propheten, macht. Und wird programmatisch als eines der Deko- Zum Wendepunkt in Harouns Leben der am Ende gar ein gottloses Gelächter lonisation formuliert: «Stein um Stein wird das Jahr 1962. Zwanzig Jahrenach anstimmt. vonden ehemaligen Häusern der Kolo- Moussas Tod, in den ersten Tagender Dass Kamel Daoud mitden Namen nialherren nehmen, um mein eigenes algerischen Unabhängigkeit, erschiesst Moussa und Haroun auf die Propheten- Haus daraus zu bauen, meine eigene Haroun einen Franzosen. Dieser Mord Brüder aus der Bibel und dem Koran an- Sprache zu formen.» geschiehtauf ähnlich beiläufige, zufäl- spielt und auch noch deren Schwester DerRoman gibt dem namenlosen Ara- ligeWeise wiederjenigebei Camus. In Meriem in einer entscheidenden Rolle ber aus dem «Fremden» einen Namen, den Augendes Erzählers «kein Mord, auftreten lässt, ist eine weiterePointe Moussa, und eine Familie, eine Identität. sondern eine Restitution». Erst danach dieses intelligenten, inspirierenden Ro- DerErzähler Haroun ist erst sieben, als erfährt er überhaupt vonder Existenz mans, der zudem Lust macht, auch Al- sein Bruder an jenem Tagdas Haus ver- des Romans «Der Fremde», und zwar bert Camus, den 1957mit dem Nobel- lässt, um am Hafen Arbeitals Lastenträ- durch eine junge schöne Forscherin na- preis ausgezeichneten und zeitlos aktu- gerzusuchen. Vondessen beiläufiger mens Meriem, die sich auf die Suche ellen Autor, nochmals zu lesen. Der2013 ErmordungamStrand vonAlgier erfah- nach der Familie des namenlosen Ara- in Algerien publizierteund jetzt auf renHaroun und seine Mutter aus der Zei- bers aus Camus’ Roman gemachthat und Deutsch erschienene Roman wurdein- tung, die ausführlich über den Mörder die Haroun das Herz bricht. Danach wird zwischen voneinem salafistischen Kleri- und dessen Prozess berichtetund den auch er immer mehr zu einem Fremden kerfür blasphemisch befunden und der Ermordeten mitzweiInitialen abtut. in seiner eigenen Gesellschaft. Er rekla- Autormit einer Fatwa belegt –eine trau- Diese Missachtungkommt einer zweiten miert die Philosophie des Absurden von rigeBestätigungvon dessenGesell- Ermordunggleich. Camus für seinen ermordeten Bruder, schaftsanalyse. ● 10 ❘ NZZ amSonntag ❘ 28.Februar 2016 Lyrik Hannah Arendt, diebrillante Kurzkritiken Belletristik Theoretikerin, warauchPoetin.Wer das nichtweiss, verpasst nichtviel G. K. Chesterton: Vier verehrungswürdige Rebecca C. Schnyder:Alles istbesser in der Mankannnurweinen Verbrecher. Die AndereBibliothek, 2016. Nacht. Dörlemann, 2016.175 Seiten, 348Seiten, Fr.58.–. Fr.28.90,E-Book 16.90.

Hannah Arendt:Ich selbst,auch ich tanze. Die Gedichte.Herausgegebenvon Karin Biro. Piper,München 2015. 160 Seiten, Fr.28.90,E-Book 18.–.

VonClaudia Mäder

Messerscharfes Denken und poetisches Schreiben –gehtdas zusammen?Ja, sagt uns das Nachwort in dem schmalen Sein Father Brownist weltberühmt; der Dieser Erstlingsroman irritiert. Rebecca Band, der erstmals die sämtlichen Ge- englische AutorGilbert K. Chesterton C. Schnyder,1986 in Zürich geboren, bis- dichte vonHannah Arendt präsentiert. (1874–1936) hatjedoch nichtnur den her als Lyrikerin und Dramatikerin her- 71 lyrische Stückehat die 1933 aus geistlichen Ermittler ersonnen, der in vorgetreten, erzählt vonBilly,einer ka- Deutschland emigriertePolittheoretike- 49 Erzählungendank seiner Intuition die priziösen jungenFrau, die nach ihrem rin im Verlauf ihres Lebens verfasst und kompliziertesten Verbrechen aufklärt, ersten literarischen Erfolg keinen Halt mitdieser Produktion ihren vielfältigen sondern ein verzweigtes literarisches findet, sich vonKaffee, Alkohol und Zi- Verbindungenzur Dichtkunst eine wei- und essayistisches Werk geschaffen, zu garettenernährt, mitihrer Bulimie be- tere Dimension hinzugefügt. dessen Höhepunkten der 1908 erschie- schäftigt ist und ihreUmwelt nervt.Sie Einmal spielt die Literatur,wie die nene phantastische Roman «Der Mann, hasst ihrebetuliche Mutter und ihreer- Edition betont, schon in Arendts theore- der Donnerstag war» zählt. Nun legen die folgreiche Schwester.Ihretreue Freun- tischem Werk eine wichtigeRolle:Wäh- Übersetzer Boris Greff und Matthias din Guen strapaziert sie ebenso wieihren rend sie etwa in der grossen Studie zum Marx ein faszinierendes Spätwerk des neuen Freund Noe, einen Theologiestu- Totalitarismus mitTextenvon Kafka und Autors vor. Es erzählt vonvier vereh- denten, der alles für sie tut und den sie Proust arbeitete,flochtsie in ihreAna- rungswürdigen Verbrechern, die sich in wiealle andern, die um sie werben, zur lyse der Revolution BezügezuMelville fröhlicher Runde ihrer Tugenden über- Verzweiflungtreibt. Sie ist verwöhnt, und Dostojewski ein. Dann hatdie Publi- führen. Der«moderate Mörder», der faul, in narzisstischem Unglück befan- zistin zahlreiche Essays über Dichtervon «aufrichtigeQuacksalber», der «ekstati- gen. Man solltesie nichtmit der Autorin Heine bis Brechtverfasst, Freundschaf- sche Dieb» und der «loyale Verräter» wer- gleichsetzen. Dieser ist es gelungen, eine tenmit Autorenwie Broch und Johnson den zu Verbrechern, um ein Verbrechen schillernde Figur voruns hinzustellen, gepflegt –und zuletzt das «dichterische zu verhindern. WerChestertons souverä- die uns aufregt. Das setzt Talentvoraus. Denken», das sie etwa bei Walter Benja- nen Humor liebt und Sinn fürs Paradoxe Schade nur,dass die baldrotzige,bald min bewunderte, in eigenen Gedichten hat, liegt mitdiesem Buch richtig. hölzerne Sprache nichtüberzeugt. eben auch selber angewandt, um, so der Gundula Ludwig ManfredPapst Kommentar,Denkenund Dichtenin «verdichtete[n] Reflexionen» zusam- menzufügen. EmmyHennings: Gefängnis. Das graue Isabel Bogdan: Der Pfau. Wo dieseFusionstattgefunden haben Haus. Das Haus im Schatten. Wallstein, Kiepenheuer &Witsch, 2016. soll, bleibt leider auch nach zweimali- 2015. 576S., Fr.34.90,E-Book 21.90. 248Seiten, Fr.26.90,E-Book19.–. gemwohlwollendem Lesen der kurzen Gedichte rätselhaft. Eine ersteSerie, ent- standen zwischen 1923 und 1926 und also im Kontextvon Arendts amouröser Verstrickungmit Martin Heidegger, sehntinzahlreichen Variantenden Trost der kühlen Nacht, des Abends oder der Dämmerungherbei und bringt das Lei- den an der heimlichen Liebe zum Aus- druck: «Wir können nichtsagen, wiesehr wiruns einen. /Wir können nur weinen.» Ist man hier noch geneigt, den elegi- Alle Welt redet derzeitvon Dada und Never judgeabook by itscover. Facet- schen Tonund den pathetischen Stil auf damitauch vomKünstlerpaar / tenreich schillert «Der Pfau» auf dem das jugendliche Alter der Autorin zu- EmmyHennings. Dasgibt uns Gelegen- Buchdeckel, die Rückseite verspricht rückzuführen –Arendt war 18,als sie heit, auf drei Gefängnis-Romane von eine «subtile Komödie in bester briti- Heidegger kennenlernte –, muss man Hennings hinzuweisen, deren erster und scher Manier», und auch der Klappentext späterbeides als Grundzug wiederfin- wichtigster 1919 erschien, also noch zu lässt Gutes erahnen: Isabel Bogdan ist den. Die zweite Serie, mitGedichten von Dada-Zeiten. Er hataber nichts mitdem Anglistin –ein paar herrliche Stunden 1942–1961, zeigt wenig poetische Weiter- spielerisch-anarchistischen Protest der voll schwarzen Humors scheinen nur ein entwicklung; nach wievor ruht die Dadaisten zu tun. Radikal subjektivund Umblättern entfernt. Hebt man aber den Nachtals Brückeüber den ohne artistische Brechungerzählt er von Deckel, stösst man auf eine Füllung, die dahinströmenden Tagen, und einer dreimonatigen Haft der Autorin. beileibe kein Genuss ist. Dies nicht, weil wenngleich vereinzelteStücke Sie soll einen Freier bestohlen haben. der Pfau, der auf einem schottischen die Erschütterungen von Deshalb wird sie in ein Münchner Frau- Landgut mitaggressivenAktionen gegen Krieg und Toderahnen las- engefängnis eingeliefert. Das Buch schil- blaue Gegenstände auffällt, voneinem sen, bleibt das Gros der dert literarisch dichtund poetisch über- besorgten Lord erschossen, voneiner re- Textedoch hinterjenem zeugend die traumatischen Erfahrungen soluten Köchin gerupft und vonasozia- reflexiven Anspruch zu- jener quälenden Monate.Christa Baum- len Bankern beim Team Buildinggeges- rück, den jeder guteDich- bergerund Nicola Behrmann haben den senwird. Sondern weil die absurde terspielend einzulösen Text vorbildlich ediert und ihn um zwei Anlageplump zerredet und jede Komik ES weiss. Im Fall vonHannah weitere, bis auf wenigeKapitelbisher zu Tode erklärt wird.Immerhin geht die IMAG Arendt haltesich ans grosse noch nichtpubliziertespätere Gefäng- Lektürezügig voran, so dass man bald AN Werk, werGedankendichte nis-Romane der Autorin ergänzt. wieder den schönen Pfau ansehen kann. IDGEM

BR sucht. ● ManfredPapst Claudia Mäder 28.Februar 2016 ❘ NZZ amSonntag ❘ 11 Interview CharlesLewinsky zähltzuden erfolgreichsten Schweizer Schriftstellern unserer Zeit.Demnächst wirder siebzig Jahrealt,erveröffentlichtden Roman «Andersen» und bringt ein neuesStückauf dieBühne. «SHöchsteZeichtfür ein Gespräcreh. Interviibew:Manfrened Papst ist wieBergsteigen»

Bücher am Sonntag: Herr Lewinsky,ist derSieb- musste. Und auch in «Melnitz» müssen etliche zigstefür Sie einGeburtstag wie jederandere? «Dieser Roman istmir einfach Figuren eine andereExistenz vortäuschen: weil Charles Lewinsky: Nein. Er ist schon etwas Be- in den Kopf gesprungen. sie schwulsind oder weil sie antisemitische Re- sonderes. Deshalb wollteich auch meinen aktionen fürchten. neuen Roman exakt zu diesem Datum präsentie- Ichhabe keine Ahnung, woher ren. Das habe ich meinem Verleger schon gesagt, Wiesind Sie aufden Stoffgekommen? als noch keine Zeile geschrieben war.Ich habe die Geschichte kam. Viel- «Andersen» ist auf ganz andereWeise ent- mir –mit siebzig darf man das –den Spass ge- leichthabe ich sie geträumt. standen als alle meine früheren Romane. Die macht, ein Buch zu schreiben, das niemand von habe ich jahrelangmit mir herumgetragen, mir erwartet. Sie warplötzlich da.» bevor ich die ersteZeile schrieb.Dieser aber ist mir einfach in den Kopf gesprungen. Ichhabe LaufenSie damit nicht Gefahr,IhreStammleser keine Ahnung, woher die Geschichte kam. Viel- vorden Kopf zu stossen? rerTyp vonAutor.Für meine Begriffegibt es leichthabe ich sie geträumt. Sie war plötzlich da, Die sind es doch gewohnt, dass ich immer zwei Arten vonErzählern. Aufder einen Seite und ich fingohne Verzug mitdem Schreiben an. wieder neue Rhythmen, Erzählformen und Per- sind diejenigen, die man stets nach fünf Zeilen Da musstenichts reifen oder wachsen. spektivenwähle. Nehmen Sie etwa meine Ro- erkennt, ungeachtetdes Inhalts. Und dann gibt mane «Mattscheibe», «Johannisnacht», «Mel- es diejenigen, die ihreSprache nach dem aus- Steckt etwasvon IhnenimMann mit derMaske? nitz», «Gerron» und «Kastelau». Sie sind nicht richten, was sie jeweils zu erzählen haben. Das weiss man als Autornie so recht. DerDra- nur thematisch, sondern auch sprachlich höchst matiker TomStoppardhat zu dieser Frageein- unterschiedlich. Ichlebe beim Schreiben gern in Wasist das Besondere an Ihrem neuenRoman? mal etwas Geniales gesagt: Ein Autor, der ein verschiedenen Welten und spiele mitderen Aus- Da will ich eigentlich nichts verraten. Ichhabe Buch geschrieben hat, ist wieein Reisender,der drucksweisen. auch meinem Verleger Dirk Vaihingerwährend an der Grenzevom Zöllner aufgefordert wird, der Entstehungvon «Andersen» kein Wort er- seinen Koffer zu öffnen. DerAutor nimmtalle Wo bleibt da die eigene Handschrift? zählt. Ichwollte, dass er das fertigeManuskript möglichen Sachen heraus und muss zugeben: Ichfrage zurück: Darf der Mensch nur eine ganz ohne Vorkenntnisse liest, und das sollen Ja,das gehört tatsächlich mir;aber ich wusste Handschrift haben?Esgibt Schriftsteller,die auch meine Leser tun. Nur so viel: Es geht um nicht, dass ich es eingepackt habe. immer wieder das gleiche Buch schreiben, und einen Mann, der aufwachtund nichtweiss, wo daran ist nichts Falsches. Aber ich bin ein ande- er ist. Er suchtnach seiner eigenen Identität, Wiegehen Sievor,wennSie einenneuen Roman und als er sie gefunden zu haben glaubt, sind die beginnen? Legen Sie Figuren-und Ortsverzeich- Auswirkungenschrecklich. Ichwollteein Buch nisse an,skizzieren Sie Handlungsschemata? Vielseitiger Autor über die Machtdes Bösen schreiben, anhand Oh nein, das ist nichts für mich. Ichkann eines Mannes, der ein wahnsinniger Kontroll- nichtnach einem Plan schreiben, so wieein Bau- freak ist. Als er ein einziges Mal die Kontrolle ab- meister nach den Plänen des Architekten ein CharlesLewinsky,geborenam14.4.1946inZürich, gibt, brichtseine Welt zusammen. Haus erstellt. Das käme mir vorwie Schreiben hatsich als Drehbuchautor,Romancier und Ko- nach Google Earth. Natürlich muss ich irgend- lumnist(u.a. fürdie «NZZ am Sonntag»)einen DerText ist aber auchvon Tempound Witz ge- wievon Anach Bkommen. Aber ob mein Weg Namen gemacht.Zuseinen Hauptwerken zählen prägt. Er umfasst 397 Seiten,und Sie bringen es durch die Wüsteführt oder übers Meer,das will die satirischenTV-Romane «Mattscheibe» (1991) auf308 Kapitel. ich nichtvorher wissen. Ichsitze zwei, drei, vier und«Schuster» (1997),der Dorf- und Kriminal- Das meinte ich eben, als ich sagte, dass ich Jahreaneinem Buch. Wenn ich den Wegvorher roman«Johannistag» (2000)sowie die zeitge- immer wieder neue Formen ausprobiere. Aber kennen würdeund sozusagen nur noch «Malen schichtlicheEreignisse aufarbeitendenRomane mir ist unlängst etwas aufgefallen. So verschie- nach Zahlen» betreiben dürfte: Das wäredoch «Melnitz» (2006)«Gerron»(2011) und«Kastelau» den meine Romane sind, gibt es doch etwas, das grässlich! (2014). Einembreiten Fernsehpublikum wurde sie verbindet: Sie handeln alle vonSchein und Lewinsky als Autorder Sitcoms «Fascht eFamilie» Sein, vonCamouflage, Verstellung, der Vortäu- KönnenSie Ihr praktischesVorgehen schildern? (1994–1999)und«Fertig Lustig» (2000–2002) be- schungfalscher Identitäten. Vermutlich ist das Ichbeginne immer auf der ersten Seiteund kannt.Sein neuesterRoman, «Andersen» (397 S., mein Lebensthema. Bei«Gerron», «Kastelau» höremit der letzten auf.Ich kann es gar nicht Fr.26.90),erscheint am 14.3.bei Nagel &Kimche. und jetzt bei «Andersen» liegt das am Tag. Aber anders. Das Verschieben vonTextbausteinen Lewinskysneues Stück«DieBesetzung»wird am schon in «Johannistag» gingesumeinen pädo- liegt mir nicht. Ichkann auch nichtproblemati- 30.3.amStadttheater Langenthaluraufgeführt. philen Lehrer,der nichtzugeben kann, dass er sche Stellen überspringen, an einem anderen wegenseiner Neigungnach Frankreich gehen Ort neu einsetzen und dann auf die Sache zu- ▲ 12 ❘ NZZ amSonntag ❘ 28.Februar 2016 ELI CH TÜ LS BASI Charles LewinskywirddiesenFrühling 70.ErfeiertseinenGeburtstagmit der Buchpremiere seines neuen Romans«Andersen».(Zürich,15.02.2016) 28.Februar 2016 ❘ NZZ amSonntag ❘ 13 Interview rückkommen. Wenn ich irgendwofeststecke, ZeigenSie Ihr «WorkinProgress» anderenMen- Andere Autorenlassensichohne weiteres in er- muss ich pickeln und pickeln, bis ich die Lösung schen, etwa Ihrer Frau oderIhren Kindern? zählerische Traditioneneinordnen. BeiIhnenist habe. Obwohl ich die technischen Möglichkei- Während ich an einem Roman arbeite,hole das schwierig. Warum? tendes Computers also kaum nutze, schreibe ich kaum je die Meinungvon anderen ein. Aber In meinen jungenJahrenhabe ich nie daran ich fast alle meine Texte–Verse ausgenommen es gibt Ausnahmen. Bei«Gerron» fühlteich mich gedacht, Schriftsteller zu werden. Deshalb habe –direkt auf ihm. Wersich heutenoch auf die nach 150 Seiten verloren. Ichzeigteden Text ich auch nichtversucht,Vorbilder nachzuah- Hermes Baby kapriziert, ist kein Schriftsteller, meiner Tochter, undsie sagte: «Sogehtdas gar men. Die Götter,die ich als Teenager hatte, könn- sondern ein Hemingway-Imitator. nicht.» Sie hatterecht. Ichhabe alles wegge- te ichheutenichtmehr lesen. Klabund zum Bei- schmissen und ganz vonvorne angefangen. spiel. BeiLesungen passiert es mir aber immer Sie leben teilsinFrankreich,teils in Zürich.Wo wieder,dass Moderatorenmeine vermeintlichen entstehen IhreRomane? Sind Sie glücklichbeimSchreiben,oderkommt literarischen Stammlinien nachzeichnen. Fast nur in Frankreich. Da hockeich meist al- das Glückerst, wenn Sie denLaptop zuklappen? lein in meinem Häuschen und unterhaltemich Schreiben ist wieBergsteigen. Es tun einem Ärgert Sie das? bloss mitmeinem Gemüse. Ichbrauche die Ab- alle Knochen weh. Es geht fast immer steil auf- Wenn sie den Begriff «jüdische Erzähltradi- geschiedenheit. Wenn ich in Zürich bin, komme wärts. Aber wenn man dann auf dem Gipfel tion» verwenden, werdeich tobsüchtig. Das ist ich nichtvorwärts mitdem Schreiben. Damitich stehtund ins weiteLand blickt, ist man glück- so ein dummes Klischee! Washat Isaac Bashevis vernünftig arbeitenkann, muss ich sicher sein, lich. DerRundblick lohntdie Mühe. Ohnehin Singermit mir zu tun –oder ich mitihm?Ich dass ich die nächsten vier Wochen keinen einzi- sollen Autorennichtüber ihren Berufjam- habe eine Listeangelegt vonBüchern, die mich genTermin habe. Wenn ich am Donnerstag eine mern. Es zwingt sie ja niemand dazu. Derlei- angeblich entscheidend beeinflusst haben und Verpflichtunghabe, kann ich schon am Montag dende Autor–das ist für mich eine unerträgli- die ich vielleichttatsächlich einmal lesen sollte. nichtmehr richtig arbeiten. che Pose. Waslesen Sie denn derzeitamliebsten? Wiesieht Ihr Tageslaufaus, wenn Sie sichzum Die Niederschrift ist das eine, die Recherchedas Meine momentane Göttin ist die britische Er- Schreibenzurückziehen? andere.WelcheRolle spielt sie in Ihrer Arbeit? zählerin HilaryMantel. Ichwürde auchgern Dia- Absolut einförmig. Ichschreibe nach einem Eine grosse. Aber sie muss so sorgfältig in den logeschreiben können wieder amerikanische exakten Zeitplan, wieein Beamter. Von9bis Text verwoben sein, dass man sie als solche gar Krimiautor Ed McBain. 11.45Uhr,dann wieder von14bis mindestens nichtmehr bemerkt. Ichhasse Bücher,indenen 17 Uhr.AmEnde eines solchen Tageshabe ich manche Kapitelnur Informationen transportie- Mit Dialogen haben Sie vonIhrer Theater-und etwa eine Seitefertigen Text. ren. Die Authentizitätdes dokumentarischen Fernsehzeit herdochselbergrosse Erfahrung! Ausgangsmaterials ist wichtig, aber die Ge- Das stimmt. Aber man kann immer noch prä- LeidenSie mit Ihren Figuren –oderanIhnen? schichte muss auch ihreinnereStimmigkeit ziser werden. Es ist eine Frageder Dosierung. Beides kommtvor.Das Schreiben meines haben. Ichkönnte auch mitnoch so viel Recher- Wiebei den Details. Man muss die sprechenden neuen Romans ist mir,obwohl dieIdeeüber chen keinen Roman über Südseeinsulaner Details auswählen. Man darf seine Figuren nicht Nachtdawar,nichtleichtgefallen. Die Haupt- schreiben. Das würdeimmer nur ein Baedeker. inventarisieren. Man kann ihnen Eigenschaften figur ist ja kein erfreulicher Zeitgenosse. Eigent- Aufdie eigene Beobachtungkommtesan. anhängenwie Christbaumkugeln an einen Baum lich möchte man sich nichtlängermit ihr be- –aber am Schluss kommtesauf den Baum an. fassen. Auch wenn es nichtsoschlimm war wie KönnenSie das etwasausführen? bei «Johannistag». Da ist mir der Protagonist Wenn wirunser Gespräch vorder Zeitdes An wasfür Details denkenSie da zumBeispiel? unendlich auf die Nervengegangen. Meine Tonbands führen würden und ich es beschrei- Ichhabe sehr viel darüber nachgedacht, wel- Familie konnte mich damals kaum noch ertragen. ben wollte, müssteich wissen, ob Sie die Steno- che Namen mein neuer Held seinen Hunden grafie vonStolze/Schrey oder eine anderever- gibt. Sie sagen viel über seinen verkorksten Cha- Machen sichIhreFiguren auchselbständig? wenden –auch wenn dieses Detail am Ende nur rakter aus. Durchaus. Eigentlich sind wir Schriftsteller ja eine winzigeRolle spielen würde. Man muss tief Grössenwahnsinnige, die ihreAllmachtsphanta- in die Themen hineinkriechen. Sonst schreibt ErkennensichLeser in bestimmten Figuren Ihrer sien ausleben, indem sie Figuren glücklich oder man keinen Roman, sondern einen Wikipedia- Bücherwieder? unglücklich werden lassen oder sie sogar um- Artikel. In meinem neuen Buch wird furchtbar Am laufenden Band, aber immer zu Unrecht. bringen. Aber man hat seine Figuren nicht viel über Musik geredet. Da habe ich mich hinein Bei«Melnitz» war das am schlimmsten. immer im Griff. gearbeitet, und zwar so,dass der Leser am Ende die Mühe hoffentlich nichtmerkt. WiewerdenSie Ihren 70.Geburtstag feiern? FälltIhnengeradeein Beispielein? Miteiner BuchpremiereimTheaterRigiblick. In «Melnitz» treten einmal zwei Frauen aus Moritz Leuenbergersoll sie moderieren. Ich dem Haus, und ich wusstegenau, wohin sie freue mich darauf,denn derzeitgehtesmir gehen sollten. Sie schlugen aber die falsche «Man muss tief in die Themen blendend. Ichhabe gerade eine Fastenkur hinter Richtungein. In Zürich notabene. Ichbin ihnen hineinkriechen. Sonst mir.Ich war in einem schönen Kurhaus und bin nachgelaufen wie ein Detektiv. Sie gingen jeden Tagstundenlanggelaufen, ganz allein, mit schliesslich zu einer Séance. Natürlich war das schreibt man keinen Roman, meinen geliebten BBC-Hörspielen auf dem irgendwoinmeinem Hinterkopf.Aber bewusst Kopfhörer.Wenn die grössteFrage nur noch ist: war es mir nicht. Wenn die Figuren selbständig sonderneinen Wikipedia- Gehst du zuerst in die Sauna oder zuerst in die reagieren, ist das zwar beunruhigend, aber auch Artikel.» Massage: Dann ist das Leben nichtsoschlecht. ein Zeichen dafür,dass sie leben. Jetzt sind die Akkus wieder aufgeladen. ● www.tosam.ch

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14 ❘ NZZ amSonntag ❘ 28.Februar 2016 Kolumne CharlesLewinskysZitatenlese Kurzkritiken Sachbuch

Sex ist nur schmutzig, wenn er richtig gemacht Elisabeth Raabe: Eine Arche isteine Arche Caitlin Doughty: Fragen Sie Ihren Bestatter. wird. isteine Arche. edition momente,2015. Lektionen aus dem Krematorium. 240Seiten, Fr.29.90. C.H. Beck, 2016.270 Seiten, Fr.28.90. WoodyAllen

Viele Buchhandlungenklagen über schrumpfende Umsätzeund führen das

DER auf die Aufhebungder Buchpreisbin- AE

SM dungzurück. Aber die bedauerliche Tat-

LUKA sache, dass nichtjeden TagTausende Der AutorCharles vonKauflustigen die Buchläden stür- Lewinsky arbeitet in men, liegt sicher ebenso daran, dass die den verschiedensten literarische Branche die Werbungsträf- Sparten. Sein neuer lich vernachlässigt. Roman«Andersen» erscheint MitteMärz Es soll ja tatsächlich Buchhändler ZweiFrauen kaufen 1983den legendären Caitlin Doughty kenntkeineBerüh- im Verlag Nagel & geben, die meinen, eine intelligente Arche-Verlag des verstorbenen Peter rungsängste, wenn es um das Thema Tod Kimche. Buchauswahl und fachkundigeBera- Schifferli in Zürich, erwerben 1987 dazu geht.Heuteselbst Leiterin eines Bestat- tung reichtenaus, um Kunden anzuzie- noch den Luchterhand-Literaturverlag tungsunternehmens in den USA, erzählt hen. Das mag zu Goethes Zeitensoge- in Darmstadt. Im Jahr 2008 verkaufen sie sie in ihrem Buch vomEinstieg in dieses wesen sein. Aber doch nichtmehr heut- beide Verlage. Wassie in den 25 Jahren Berufsfeld, bei dem der TodimZentrum zutage! dazwischen erleben mitAutoren und steht. Die 32-Jährigebeschreibt detail- Welche Automarkewürde auch nur Texten, an Erfolgen und Misserfolgen, an liert, wiesie Leichen für die Aufbahrung einen Wagenverkaufen, wenn sich am Euphorie und Kampf,immer in Zeitnot, präpariert: sie rasiert, schminkt, kleidet. Auto-Salon nichtspärlich bekleidete unterwegs zwischen Zürich, Frankfurt Sie berichtetvom schwierigen Umgang Models auf den Kühlerhauben räkelten? und Hamburg, stets am finanziellen wie mitAngehörigen beim Abtransport von Wiekäme eine neue Glace in den Markt, am kräftemässigen Limit–das erzählt Verstorbenen mitdem Leichenwagen, wenn sie nichtauf einem Plakatvon uns die Verlegerin Elisabeth Raabe rasant führt uns vorAugen, wieeine Verbren- einer hübschen jungenDame so lasziv und atemlos, ebenso begeistert wie nungsanlagefunktioniert –und verrät zum Mund geführt würde, als sei die selbstkritisch und ganz aus der Sichtder mitHumor die skurrilen Betriebsge- Abbildungeinem Lehrbuch für Oral- Verlag-Insiderin. Es wird viel gegessen in heimnisse der Bestatterbranche. Es ist verkehr entnommen?Welche Zeitschrif- der «Kronenhalle» und viel umgezogen, ein Blick hinterverschlossene Türen, tentitel garantieren die höchsten Auf- und es fallen Namen sonder Zahl in die- den Doughty uns ermöglicht. Die Ameri- lagen? sem mitreissenden Rapport einer Lei- kanerin zeigt auf,wie sehr der Todund Eben. denschaft. Er ist, wiekönnte es anders der tote Körper in der westlichen Welt, Sie verstehen, worauf ich hinaus will: sein, im neuen Verlag (edition momente) gerade auch im Vergleich zu anderen Sexsells. Es kann doch wirklich nichtso der Verlegerinnen Regina Vitali und Eli- Kulturen und vergangenen Zeiten, aus schwersein, liebe Buchhändler,dieses sabeth Raabe erschienen. der Öffentlichkeitverbanntsind. Prinzip auch in Ihrer Branche umzu- KathrinMeier-Rust Simone Karpf setzen. Ein Anfangliesse sich schon einmal damitmachen, dass man die Buchtitel Jolanda Spirig: Sticken und Beten. MarcAugé: Lob des Fahrrads. ein bisschen attraktivergestaltet –eben Die Textildynastie Jacob Rohner. Ausdem Franz. vonMichael Bischoff. so,wie es zu unserer sexualisierten Chronos, 2015. 278 Seiten, Fr.41.90. C.H. Beck, 2016.104 Seiten, Fr.21.90. Gesellschaft passt. Ichhättedaein paar bescheidene Vor- schläge: Wiewär’s miteinem Reclam-Band mitdem Titel«Die geschändeteJung- frau», aus dem der Leser dann erfährt, was der sexsüchtigeDoktorFaust mit dem unschuldigen Gretchen so alles an- stellt? Und würdesich «Gullivers Rei- sen» nichtzehnmal besser verkaufen, wenn der Titellautete: «Der Mann, der den Grössten hatte»? Ganz zu schweigen Geblieben sind heutenur noch die Roh- Wieein Fisch im Wasser ist der Mensch vomVerkaufsschlager «In den Betten ner-Socken vomeinst grössten Stickerei- auf dem Fahrrad. Die Hand am Lenker, vonDavos», was doch einfach viel Exportunternehmen der Schweiz, der den Fuss auf der Pedale und die Nase im verkaufsträchtiger klingt als… Jacob Rohner AG im Rheintal. Jolanda Wind –nie erfahren wirMöglichkeiten Genau, dieses Buch meine ich. Wirk- Spirig erzählt die Geschichte dieser und Grenzen zeitgleicher,nie spüren wir lich schade, dass Thomas Mann da nicht Firma vonihrer Gründung1873, als der Segnungund Bürde der Freiheitdeutli- drauf gekommen ist. 21-jährigeKäser Jacob Rohner vier Hand- cher,als wenn wiruns mitstetemStram- Ja,selbst ein Ladenhüter wieeine stickmaschinen auf Krediterwarb,über peln einen eigenen Wegdurch die Welt tausend Seiten lange Biografie vonPfar- ihren Höhepunkt vordem ersten Welt- bahnen. Kurz und knapp heisst das bei rerKneipp würdedurch eine kleine Ti- krieg bis zum Verkauf 1988.Ein über- MarcAugé: «Ich radle, also bin ich.» Der teländerungsofort zum Renner.Man reiches Privat- und Firmenarchiver- Ethnologe, der seinen Blick auch auf müsstedas Buch einfach «Feuchte Träu- möglichte derAutorin eine manchmal westlich-urbane Gebieterichtet, scheut me» nennen. ausufernde, aber immer lebensvolle Dar- nichtvor der grossen Gestezurück, wenn Und wenn sich die Verlagequerstel- stellungvon vier erzkatholischen und er sein «Lob des Fahrrads» anstimmtund len sollten, dann bleibt wohl nichts kinderreichen Unternehmer-Generatio- erst dessen allmählichen Niedergangseit anderes übrig, als sich doch den Auto- nen. Dendamaligen Bedarf an Stickerei- der Jahrhundertmittebeklagt, dann seine mobil-Salon zum Vorbildzunehmen en in wohlhabenden Kreisen illustrieren Zukunft als menschlichstes aller Fortbe- und das Outfitder Verkäuferinnen ein dabei die Familienfotos: Rohner-Kinder wegungsmittel beschwört und zuletzt bisschen zu modernisie- sind in weissen Spitzen, Schürzchen und befindet: «Das Radfahren ist ein Huma- ren. Liebe Buchhändle- Kleidchen grossgeworden. Die Geschich- nismus.» Aber wierechtder Mann hat! rinnen, ihr werdet doch te einer Firma wird damitzur Schweizer Werimmer den Wind im Gesichtliebt, wohl noch einen Bikini Familien- und Kulturgeschichte. wird diese Hymne selig lächelnd lesen. im Schrank haben? KathrinMeier-Rust Claudia Mäder 28.Februar 2016 ❘ NZZ amSonntag ❘ 15 Sachbuch

Kunst Dada gilt als klamaukigeFormdes Unsinns.Verschiedene Neuerscheinungen machen das Phänomen dagegen als Kunstrichtung greifbar,die Unvereinbares gleichzeitig fassenwollte undauch eineMeeminentpolihrtischeKomponenalte hasstte chräg

nungendie Leserschaft zu überfordern nius locider am Paradeplatz gelegenen Genese Dada. 100 JahreDada Zürich. und ihr jegliche Lust an der Auseinander- Galerie Dada. Diese war mitihren Kunst- Herausgegeben vomArp-Museum setzungmit einem der lustvollsten Phä- und Vortragsabenden, Lesungenund Bahnhof Rolandseck, Remagen, in nomene des westlichen Kultur- und Performances «Reflexion und Vertiefung Zusammenarbeitmit dem Cabaret Geisteslebens zu Beginn des 20.Jahr- dessen, was im Cabaret Voltaireange- Voltaire, Zürich. Scheidegger &Spiess, hunderts zu vergällen. Angesichts der zu dachtund zuweilen auch per Zufall Zürich2016.248 S., zahlr.Abb., Fr.41.90. erwartenden Überfütterung sei die Frage ausprobiert wurde». Während ihrer halb- Martin Mittelmeier: Dada. Eine erlaubt: VerdientDada überhaupt so viel jährigen Existenz im Jahr 1917 bot die Jahrhundertgeschichte.Siedler, Aufmerksamkeit? Verschiedene Gründe Produzentengalerie eine Plattform für München 2016.272 S., Fr.33.90, sprechen dafür.Etwa die Tatsache, dass das damals aktuelle Konzept des Ge- E-Book 21.90. die KunstströmungGenerationen von samtkunstwerks, für ein Nebeneinander DadaglobeReconstructed. Herausgegeben Kunstschaffenden beeinflusst hat: Dada vonverschiedenen Kunststilen, Formen vomKunsthaus Zürich. Scheidegger & war die Mutter revoltierender Künste und Medien. Nichtvon ungefähr ver- Spiess, Zürich2016.304 Seiten, zahlr. (ohne Dada gäbe es vermutlich keine wahrt sich der Schweizer Kunsthistori- Abb., Fr.74.90. Pop-Art und keinen Punk) und die Ahnin kerTobia Bezzola in seinem Essaygegen der Postmoderne (indem Dada die Ironie Versuche, Dada als eine Einheitzube- VonIna Boesch und Parodie, das Flüchtigeund Frag- greifen und als einen -ismus zu definie- mentarische hochhielt und die Ableh- ren: «Dada ist kein Stil.» Dada wurdezu «Dada hängt mir zum Hals raus», soll nunggrosser Ideologien vorwegnahm). Dada, weil es sich als solches deklarierte Hannah Höch gegenüber einem Journa- Darüber hinaus hatZürich selten Gele- oder sich in einem explizitdadaistischen listen gesagt haben, als er die deutsche genheit, die Geburt einer kleinen Revo- Umfeldwie eben beispielsweise der Ga- Meisterin der klassischen Moderne auf lution zu feiern, die zu einem grossen lerie Dada präsentierte. ihrekurzeDada-Phase reduzieren woll- Exportartikel wurde. Und last, but not te.Die unzähligen Jubelfeiern zum hun- least bietet das Jubiläum die letzteChan- Mitder Moderneleben dertsten Geburtstag vonDada könnten ce, Mythen zu korrigieren: etwa die all- DerKomparatist Martin Mittelmeier ver- eine ähnliche Reaktion hervorrufen. Da- gemein verbreitete Vorstellung, Dada sei suchtinseinem Buch «Dada. Eine Jahr- neben drohteine Flut vonNeuerschei- vorallem schräg gewesen. hundertgeschichte»dieses Nebeneinan- Mitder Formel «Dada gleich billiger der,diese für Dada typische Gleichzeitig- WeiterePublikationen Unsinn» räumtder Ausstellungskatalog keit voneigentlich Unvereinbarem, mit «Genese Dada» gründlich auf.Das Buch dem Oberbegriff der Simultanitätzufas- und die gleichnamigeAusstellungim sen und in der damaligen intellektuellen Anlässlich des hundertstenGeburtstags Arp-Museum Bahnhof Rolandseck will Kultur zu verorten. So zeigt er etwa am vonDada erscheint in diesem Halbjahr mitden «klischierten absurdlustigen, Beispiel des deutschen Kunst-und Kul- eine Vielzahl neuer Bücher,die einzelne grotesk schrägen, pubertär rebellischen turtheoretikers Theodor Däubler,wie die Vertreter oder Aspekte der Kunstrich- und revolutionär linken Vorstellungen Menschen nach der Jahrhundertwende tung beleuchten. Nebstden in der Rezen- davon, was Dada ist», endgültig Schluss mitder Heterogenitätimmer besser um- sion besprochenen Werken sei auf machen, wieCo-KuratorAdrian Notz er- zugehen verstanden. Nachdem Däubler folgende Titelverwiesen: klärt. Das gelingt den Autorinnen und anfangs die zunehmende Verschande- EvaWeissweiler:Notre Dame de Dada. Autoren, die den gesellschaftlichen und lungdeutscher Städtedurch Architekten Luise Straus –das dramatische Leben der intellektuellen Nährboden aus beklagte–die sich das Rechtherausnäh- erstenFrauvon MaxErnst(Kiepenheuer verschiedenen Perspektivenanalysie- men, «Neigungzur Renaissance zu füh- &Witsch); A.Trojan und H. M. Compa- renund beackern, mitteils glänzend len oder sich Rokoko zu wünschen» –, gnon (Hrsg.): Dada-Almanach. Vom geschriebenen Beiträgen über philoso- konnte er demNebeneinander vonver- Aberwitzästhetischer Contradiction – phische, sprachtheoretische, kunsthis- schiedenen Stilen mitder Zeitetwas ab- Textbilder,Lautgedichte, Manifeste (Ma- torische oder politische Themen über- gewinnen und dieses als Haltungdes nesse); : FunnyGuy &Dada zeugend. DerSammelbandbringt die modernen Lebens akzeptieren: «Simulta- (Edition Nautilus); R. Burmeisteru.a. notwendigePrise Seriositätindie Dis- nismus ist ein Zustand.» Ein Pendantzu (Hrsg.): Dada Afrika. Dialog mit dem kussion. So verorten etwa verschiedene Däubler als Ausrufer der Simultanität Fremden (Scheidegger &Spiess). AutorenDada Zürich nichtallein im Ca- siehtMartin Mittelmeier in Guillaume baret Voltaire, sondern betonen den ge- Apollinaire, dem französischen Vorreiter 16 ❘ NZZ amSonntag ❘ 28.Februar 2016 3 S TERI LIT RO /P RT NA ER N OD INSO FM ER MO EB RI 4 SEU ALE MU /G LUF

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der modernen Literatur.Andie Stelle der pertewie keine andere, unteranderem Mit «frei Das Gesichtvom abstrakten Holzkopf linearen Erzählungsetzt dieser ein Ge- auf ihr Geschlechtund definiert sie bearbeiteten» halb verdeckt, auf dem deutlich das Wort flechtvon Beziehungen. lediglich als femme fatale, die «ganz Porträtfotos setzten Dada und die Jahreszahl 1920 zu lesen Dadaisten1921 Beispielhaft ist das Gedicht«lundi rue Greenwich Villagemit amourösen Nach- sind. Bis anhin war kaum bekannt, dass einZeichen gegen christine» aus dem Jahr 1912, in dem stellungenund provokantenSchamlo- die Erfassungvon diese zur Ikone gewordene Porträtauf- ApollinaireGesprächsfetzen und Gedan- sigkeiteninAtem» hielt. Personendaten. nahme aus dem Studio vonNic Aluf nur kenversatzstückenebeneinander mon- Akribisch genau, äusserst kompetent 1. Sophie Taeuber aufgrund vonTristan Tzaras Projekt ent- tiert, die man derart an einem Montag in und spannend zu lesen ist demgegen- 2. Erwin Blumenfeld standen ist. der RueChristine gehört und gehabt über der Beitrag vonAdrian Sudhalter im 3. I. K. Bonset haben könnte.Mittelmeier erwähntver- Ausstellungskatalog «Dadaglobe Recon- 4. PeterButler Gegendas Datensammeln schiedene Literatenunter den Dadais- structed». In sechsjähriger Forschungs- 5. Dadaglobe war nichtnur ein wichtiger ten, die sich in der Tradition vonApol- arbeitist es der amerikanischen Kunst- Katalysatorzur Entwicklungder dadais- linairebewegten. Leider vergisst er in historikerin und Kuratorin gelungen, tischen Porträtfotografie, sondern auch diesem Zusammenhangzweiweibliche Tristan Tzaras Anfangder zwanziger eminentpolitisch, wieSudhalter in Dadaistinnen anzuführen, die überzeu- Jahrekonzipierte, aber nie publizierte ihrem Meilenstein der jüngsten Dada- gende sprachliche Readymades schufen: Anthologie zu rekonstruieren und so- Forschungfesthält. Nur wenigeWochen die Engländerin Mina Loyund die Fran- wohl als Buch wieauch als Ausstellung vorTzarasEinladunganseine Mitstreiter zösin Juliette Roche. (Kunsthaus Zürich und Museum of Mo- schlug nämlich der Völkerbund zur Rege- Offensichtlich schätzt Mittelmeier in dern Art New York) zu realisieren. 1921 lungländerübergreifender Reisen eine seiner teils fehlerhaften, teils etwas gar batTzara fünfzigDadaistinnen und Da- «staatliche Verwaltungmit Personenda- salopp geschriebenen Dada-Geschichte daisten, ihm Zeichnungenund Fotosvon ten», unteranderem Porträtfotografien, den Beitrag vonFrauen an Dada nicht Werken einzusenden sowieein Porträt- vor. Vordiesem Hintergrund «kam die sehr hoch ein. So erwähnterdie «Dada- foto,dessen «freie Bearbeitungbei ge- Aufforderung, das eigene Foto zu mani- Baroness» Elsa vonFreytag-Loringhoven wahrter Deutlichkeit» den Einsendern pulieren, einem Aufrufzum Betrug kaum –immerhin eine der ersten Perfor- überlassen blieb.Das Echo war überwäl- gleich», schreibt Sudhalter.Eine solche merinnen überhaupt, die ersteAssem- tigend, die meisten Künstlerinnen und Verortungimgesellschaftlichen und in- blage-Künstlerin in den USAund eine Künstler antworteten umgehend und tellektuellen Umfeldmachtden Band vonliterarischen Kollegen wieWilliam schickten Arbeitensowie Porträts, «Dadaglobe Reconstructed» zu einer Carlos Williams hochgeschätzteDichte- wovonein Viertel bearbeitetoder insze- unverzichtbaren Lektüreund sichert rin. Und wenn er sie nennt, dann redu- niert war.Darunteretwa die berühmte ihm einen Platz in der Dada-Bibliothek ziert er die Künstlerin, die Dada verkör- Selbstinszenierungvon Sophie Taeuber: eines jeden Dada-Aficionados. ● 28.Februar 2016 ❘ NZZ amSonntag ❘ 17 Sachbuch S MAGE PI DD Film Zum80. Geburtstag vonRolf Lyssywürdigt ein Sammelband «DieSchweizermacher» und holtden StDeoff ausrEden 1970rfernolin diegsGegenwmaart cher

EmilSteinberger Hinsichtzwischen Stuhl und Bank. Den vielen Autorenangesprochen. DerBand GeorgKohler,Felix Ghezzi(Hrsg.): «Die und Walo Lüönd als Vertretern des «jungenSchweizer Films», enthält denn auch nichtnur Rückblicke, Schweizermacher» –Und wasdie Schweiz «Schweizermacher» die in den 1960ern antraten, ein Kino Quellenmaterial und Interviews, son- im bisheute ausmacht. rüffer &rub,Zürich 2016. jenseits des betulichen Heimatfilms zu dern zielt an verschiedenen Stellen ex- 336 Seiten, Fr.29.80. meistbesuchten Schweizer Kinofilm. etablieren, waren Dialektfilme, zumal plizitauf die Gegenwart; am deutlichs- komödiantische, grundsätzlich suspekt. teninder vonGeorgKohler geleiteten VonSimon Spiegel Aber auch die offizielle Schweiz konnte Gesprächsrunde zum Selbstverständnis Lyssys Drehbuch wenig abgewinnen; zu der Schweiz. Im Zentrum stehthier die Er ist der grosse Solitär der Schweizer den aufschlussreichsten Dokumenten, Frage, wieeine Gegenerzählungzum Filmgeschichte,eine Art Matterhorn des die in dem Band enthalten sind, gehört verhängnisvollerfolgreichenAngstnarra- einheimischen Filmschaffens, der in Sa- das Sitzungsprotokoll des Begutach- tivder SVPaussehen könnte. chen Publikumserfolg alle anderen Pro- tungsausschusses der Filmkommission duktionen überstrahlt: Rolf Lyssys «Die des Bundes, die es zweimal ablehnte, Komiker sind Tragiker Schweizermacher» ist mitrund 940000 den Film zu unterstützen. Von Im Lichte derheutigen politischen Kinoeintritten der bis heuteerfolgreichs- «Schwank», «Vaudeville, mitbemühen- Diskussion erscheinen Figuren wieder te Schweizer Kinofilm. Und das miteini- den Passagen», Klischees sowieoffen- Erzbünzli Max Bodmer schon fast als gemAbstand. Die RS-Klamotte «Ach- sichtlicher Harmlosigkeitist da die Rede. drolligeCharakterköpfe. Verschiedene tung, fertig, Charlie!» kann auf Platz zwei Zum Schluss wird ganz schweresGe- Autorenarbeitensich an der offensicht- fast 400000 Eintritteweniger verbu- schütz aufgefahren: Die Förderungeines lichen Diskrepanz zwischen der insge- chen. Angesichts der seitJahren rückläu- solchen Projekts wäremoralisch gerade- samtversöhnlichen Tonlagedes Films figen KinoeintrittedürfteLyssys Komö- zu unverantwortlich, das Thema sei für und der schrillen politischen Gegenwart die das Prädikat«erfolgreichster Schwei- die gewählteForm viel zu ernst. ab.Allzu fruchtbar sind diese Versuche zerFilm aller Zeiten» wohl noch eine Es ist freilich etwas wohlfeil, sich von nicht; der Erfolg der «Schweizermacher» Weile erhalten bleiben. Sein Inventar, heuteaus über dieses Verdikt lustig zu dürfteletztlich gerade darin gründen, vonEmil Steinbergerund Walo Lüönd machen. Vielmehr ist interessant, dass dass der Film in bewährter Schweizer als Einbürgerungsbeamte Moritz Fischer die Einschätzungder Kommission bei Manier ein brisantesgesellschaftliches und Max Bodmer bis zu den braunen Ab- aller fehlgeleiteterEntrüstungdoch Thema auf ein allgemein verträgliches fallsäcken vonFräulein Vakulic, ist ohne- einen wahren Kern enthält. Wirklich po- Mass einkocht–schnörkellos und ohne hin längst allgemeines Schweizer Kultur- litisch ist Lyssys Film nicht, und in die- übermässigen künstlerischen Anspruch. gut geworden. sem Sinne ist das Attribut «harmlos» Dass die Komödie solides Handwerk und nichtganz falsch gewählt. Am Ende kein überragendes Kunstwerk darstellt, Kein politischerFilm lösen sich die Nöteder Einbürgerungs- ist Lyssy und seinen Mitstreitern, die Anlässlich des 80.Geburtstags vonRe- willigen allesamtinWohlgefallen auf; in ihren Wortmeldungensympathisch gisseur und Drehbuchautor Rolf Lyssy, dem italienischen Konditorwerden die allürenfreierscheinen, dabei durchaus den dieser am 25. Februar beging, ist nun politischen Umtriebe verziehen –so bewusst. ein Band erschienen, der den Film und grosszügig ist man hierzulande dann Komiker sind im Innersten immer Tra- seinen Regisseur würdigt und deutlich doch –, und für die junge Jugoslawin, die giker,das gilt auch für Rolf Lyssy.Nicht macht, dass «Die Schweizermacher» sich mitder vonSteinbergergespielten nur durchlitt der Filmemacher Ende der nichtnur hinsichtlich ihres phänomena- Hauptfigur einlässt, spielt es letztlich 1990er eine schwere Depression, seine len Erfolgs aus der Reihe tanzen. Der keine Rolle, dass ihreEinbürgerung ganzeweitere Karrierestand im Schatten Film stand in seinem Erscheinungsjahr bachab geht.Als Tänzerin ist sie ohnehin seines Grosserfolgs, an den er nie wieder 1978 auch sonst ziemlich quer in der Kosmopolitin. anknüpfen konnte.Vielmehr mussteer Landschaft. Dass die Frage, wiedie Schweiz mit weiterhin zahlreiche Absagen durch För- Wieverschiedene Beiträgedes vom jenen Bewohnern des Landes, die keinen derinstitutionen hinnehmen. Zu seinem emeritierten Philosophieprofessor Georg rotenPass besitzen, umgeht,heute Geburtstag ist dem Jubilar denn auch vor Kohler gemeinsam mitFelix Ghezzi her- aktueller ist denn je, dass die Über- allem zu wünschen, dass seinem jüngs- ausgegebenen Buchs hervorheben, setz- fremdungsdiskussion, die den Hinter- tenProjekt, dem gemeinsam mitDomi- te sichLyssy mitseinem Ansinnen, eine grund vonLyssys Film bildet, im Ver- nik Bernet verfassten Drehbuch «Die Komödie über die Schweizer Einbürge- gleich mitaktuellen SVP-Vorstössen letztePointe», wieder mehr Erfolg be- rungspraxis zu drehen, in mehrfacher geradezu harmlos erscheint, wird von schieden ist. ● 18 ❘ NZZ amSonntag ❘ 28.Februar 2016 Kulturgeschichte SteffenMartus zeichnetein neuesEpochenbilddes 18.Jahrhunderts undzeigt,wie dieAufklärungihren Weginden Alltag fand GeburtsstundederZeitungsleser

Leichnams zu bestrafen war, Freund wilder Lektüren: Barthold Steffen Martus:Aufklärung. Das deutsche sondern als Seelenkranken, Heinrich Brockes. 18.Jahrhundert –ein Epochenbild. dessen unglückliche Lebens- Rowohlt, Berlin 2015. 1037 Seiten,

geschichte man erforschen tenStadtbürgervorstellt: TO Fr.52.–, E-Book 38.–. müsse, um seine Motive empfänglich für Natur- FO NTER

nachzuvollziehen?Kurz: schönheit, den Freuden /I VonManfred Koch Martus erzählt, wiedie der Geselligkeitzugetan, CH AU

Aufklärungzur Norma- doch immer auch darauf GR

Ideen, die die Welt bewegen, kommen litätwurde. bedacht, sich in die stille LUN

meist erst miteiniger Verspätunginder Viel ist in diesem «Studir-Stube» zurück- SAMM Wirklichkeitan. Mitdem Wort «Aufklä- Buch von«Netzwerken» zuziehen, wo er heidni- rung»verbindenwir Wertvorstellungen und «Medien»die Rede. sche Philosophen, wiereligiöse Toleranz, Gleichheitaller Martus, Professor an der christliche Erbauungsli- Menschen vordem Gesetz, persönliche Humboldt-Universität, teratur und neuestena- Selbstbestimmung, Meinungs- und Pres- schildert gleichsam den turwissenschaftliche sefreiheit. In älteren Gesamtdarstellun- Geschäftsbetrieb der Auf- Schriften wild durch- gender europäischen Aufklärungnimmt klärung,indem konkur- einanderliest. DerAutor

es sich so aus, als hätten im Lauf des 18. rierendeIntellektuelleum T präsentiert sich als Modell Jahrhunderts klugeKöpfe wieLessing, die Aufmerksamkeiteines EDI eines beweglichen, mitmo- CR

Voltaire, Kantdieses Idealpaket schritt- zunehmendlesekundigen #### dernem «Beziehungs-sinn» weise der Öffentlichkeitunterbreitet– Publikumswarben, wechseln- ausgestatteten Menschen. und die moderne Welt war geboren! de Bündnisse eingingen, sich Fraglos ist er nach wievor ein Eine solche Höhenkammgeschichte publizistisch bekriegten und guter Christ; die göttliche Ord- der Aufklärungmachtessich nach An- manchmal auch wieder versöhnten. nungerscheintnun aber nichtmehr sichtdes Berliner Kulturwissenschafters DerEffekt war eineGewöhnungan als starres Gefüge, sondern als ziemlich Steffen Martus zu leicht. Sie ignoriert das Meinungsvielfalt allein dadurch, dass, wer kompliziertes, voneiner höchsten In- reale Vermittlungsgeschehen, in dem der etwas auf sich hielt, nunselbstverständ- stanz erfreulicherweise noch gebändig- Geist sozusagen Fleisch ward, interes- lichZeitungenund Zeitschriften las. tesKräftespiel. siert sich nichtfür die Institutionen und Am Beispiel des HamburgerRatsherrn Anhand solcher Fallgeschichtenge- Medien jener Wissensausbreitung, auf und Dichters BartholdHeinrich Brockes lingt es Steffen Martus, das riesigeintel- die die Aufklärer selbst so stolz waren. zeigt Steffen Martus, wie die Morali- lektuelle Panorama des 18.Jahrhunderts Martus’ «Epochenbild» des deutschen schen Wochenschriften der Frühaufklä- geradezu spannend zu entfalten. Sie 18.Jahrhunderts geht deshalb vonande- rung ihreLeserförmlich darauf trainier- kommen alle vor: vonThomasius über renLeitfragenaus: Wiebrachtendie Phi- ten, sich in mannigfaltigen Lesewelten Gottsched, Bodmer,Klopstock bis hin zu losophen und Schriftsteller ihreIdeen in zu bewegen, «gepflegte Kritik und Ge- Lessing, Herder und Kant(und viele an- Umlauf,wie drangdas aufklärerische Ge- genkritik» schätzen zu lernen und auf deremehr). Stets werden die grossen dankengut in den Alltag ein und ergriff diese Weise die «Medienkompetenz» für Theorien aber vorgestellt im Blick auf vonden Gemütern derart Besitz, dass es eine zunehmend dynamische, durch be- ihrepraktische UmsetzungimKulturbe- –umnur ein Beispiel zu geben –amEnde schleunigten Wandel geprägte Gesell- trieb der damaligen Zeitund die Heraus- des Jahrhunderts unterden Gebildeten schaft zu erwerben. «Der Patriot» hiess bildungneuer,uns bis heuteprägender schon selbstverständlich war,einen die wichtigsteZeitschrift der Hamburger Mentalitäten. So ist dieses faszinierende Selbstmörder nichtmehr als Sünder zu Aufklärung; in ihr veröffentlichte Bro- Porträteines scheinbar ferngerückten betrachten, der auch nach seinem Tod ckes 1724 einen Aufsatz, in dem er sich Zeitalters auch ein Buch vonverblüffen- noch durch öffentliche Schändungdes selbst als flexiblen, vielseitig interessier- der Aktualität. ●

Klima DieGeschichte wirdoft nichtvom Menschen, sondern vonWind undWettergeformt EinHochaufsHoch!

kurzweiliges Buch des Historikers und Regenwetterder Völkerwanderungszeit Ronald D. Gerste:Wie das Wetter Publizisten RonaldD.Gersteklar.Inpa- und das Aussterben der Maya mitexzes- Geschichtemacht. Katastrophen und ckend erzählten Kapiteln zeigt Gerstedie sivenWaldrodungenzutun haben. Klimawandel vonder Antikebis heute. geschichtsbildende Kraft des meteoro- Ambivalentbleibt dagegen Gerstes Klett-Cotta, Stuttgart 2015. 280 Seiten, logischen Zufalls. So verdankt sich das Einordnungdes aktuellen anthropoge- Fr.26.90,E-Book 23.90. heutigeEuropa einem plötzlichen Hoch nen Klimawandels. Im Epilog deutet der über den Azoren am 6. Juni 1944: Wäre Autoran, dass er die Problematik der VonFlorian Oegerli das Wetter an jenem Dienstag so misera- «Überbevölkerung» für weitaus dringli- bel geblieben wieinden Tagenzuvor,der cher hält. Ein Urteil, das etwas erstaunt, Es gilt als eines der langweiligsten Small- «D-Day» hätteerst Wochen späterdurch- nimmtdoch die jährliche Bevölkerungs- talk-Themen überhaupt: das Wetter.Zu geführt werden können und ein grösse- zuwachsrate laut denVereintenNatio- Unrecht. Denn Regen, Hagel und Hitze rerTeil Europas wärevermutlich vonder nen stetig ab,derweil sich die Tempera- helfen nichtnur beim Überbrücken RotenArmee besetzt worden. Ein Hoch turen in die umgekehrteRichtungbewe- alltäglicher Gesprächslücken, sondern auf das Hoch also! gen. Davonabgesehen, bietet das unter- auch beim Austragen kriegerischer Aus- Auch längerfristigeklimatische Ent- haltsam geschriebene Buch einiges an einandersetzungen. VonNapoleon bis zu wicklungenfinden Eingangindas Buch. Erkenntnis, darunternichtzuletzt die, JimmyCarter:Oft entschied weniger tak- Gersteerklärt, weshalb die Warmperiode dass die Geschichte eher von«grossen tisches Geschick als vielmehr die aktu- des Hochmittelalters den Baugotischer Stürmen» und «grossen Dürren» geprägt elle Wetterlageden Ausgangeiner Kathedralen begünstigte, was der Unter- wird als von«grossen Männern» –bis Schlacht. Das alles machtein neues, gangdes Imperium Romanum mitdem zum heutigen Tag. ● 28.Februar 2016 ❘ NZZ amSonntag ❘ 19 Sachbuch Generationen SachaBatthyany konfrontiert sich mitder düsteren Vergangenheitseiner Verwandten Lichtineinevon HitlerundStalin überschatteteFamiliengeschichte

schen zu existieren, obwohl sie alles Grossvaters. Stalin, so zeigt sich, hält SachaBatthyany:Und washat das mit mir wussten.» Mitdieser Feststellungund auch noch den Vatergefangen. Rechnitz zu tun? Ein Verbrechen im März 1945. der Frage, was so eine Familien- hatdakeinen Platz. Und in Rechnitz wie- Kiepenheuer &Witsch, Köln 2016. vergangenheitmit einem macht, begann derum wenden sich die Bewohner bis 256 Seiten, Fr.27.90,E-Book 20.–. Batthyanyeine aufwendigeRecherche. heuteschweigend ab,wenn jemand nach Sie führtezuVater und Grossmutternach den Ereignissen der Kriegszeitfragt. VonClaudia Kühner Budapest, nach Rechnitz und nach Sibi- Um einen Zugangzur Vergangenheit rien, wo der Grossvaterzehn JahreGulag zu finden, muss Batthyanyweiterreisen. Nun sind es die Enkel, die sich mit überlebt hatte, nach Lugano und bis In Aufzeichnungenseiner Grossmutter der Familiengeschichte in derNS-Zeit nach Buenos Aires. Diese Reise, die auch stiess er auf Agnes Mandl. Beide hatten beschäftigen. Einer vonihnen ist der eine zu sich selbst war,hat Batthyanyin im selben ungarischen Dorf gelebt, die Zürcher Journalist Sacha Batthyany, einem lesenswerten und bemerkenswert eine auf dem Schloss, die andere, Toch- Jahrgang1973, Träger eines alten ungari- offenen Buch geschildert. tereiner jüdischen Familie, im Dorf.Bat- schen Adelsnamens. Eines Namens, der Unterstützungsuchte der Autorbeim thyanys Grossmutterwurde Zeugin von miteiner dunklen Geschichte verbunden Psychoanalytiker Daniel Strassberg, der der Ermordungvon Agnes’ Eltern: Sie ist. Doch darüber gingman mitSchwei- die Recherchen mitGesprächen beglei- wurden 1944 vonder SS im Schlosshof genhinweg–bis 2007 eine Zeitungden tete und Batthyanydazu brachte,fa- erschossen. Fürden Rest des Lebens eigentlich längst bekanntenFall wieder milientypische Verhaltensweisen freizu- warf sie sich vor, damals nichtgeholfen aufgriff: Im burgenländischen Rechnitz legen. Schon beim Vater, der1956 von zu haben. Das belegen ihreNotizen. waren im März 1945 an die 200 jüdische Ungarn in die Schweiz kam und nun wie- Mandl selber überlebteAuschwitz und Zwangsarbeitererschossen worden. Von Ruine des Schlosses der in Budapest lebt, zeigen sich bekann- wandertenach Buenos Aires aus. Bat- lokalen Nazis, die auf Schloss Rechnitz Rechnitz, wo die te Muster:lieber nichts wissen wollen. thyanyspürtesie und ihreTöchterauf Verwandtendes als Gästevon Margitund Ivan Batthyany- Autorsim März 1945 Das Reden über die Familie soll helfen, und reistehin. Sie übergaben ihm Tage- Thyssen einen alkoholreichen Kamerad- feierten, während ihre die Distanz zwischen Vaterund Sohn zu bücher vonAgnes, die dieselben Ge- schaftsabend feierten. Gäste Zwangsarbeiter überwinden. Zusammen reisen sie nach schehnisse reflektierten. Batthyanyhat Das waren Sacha Batthyanys Gross- erschossen. Sibirien an den Ort der Lagerhaft des diese beiden Zeugnisse zueinander- onkel und dessen Frau, die milliarden- gestellt –sie bilden die bewegendsten, schwere Schwester des Kunstsammlers weil authentischsten Stellen des Buchs. Heinrich Thyssen. Dass das Paar an der Und was hatdas nun mitdem heuti- Mordtatselber beteiligt war,wurde nie genSacha Batthyanyzutun?Der Analyti- nachgewiesen; die Haupttäteraber ge- kerstellt fest: Eine Familie schwacher hörten zu seinem Kreis und entkamen Männer,die den Lebensmittelpunkt in kurz darauf dank seiner Hilfeindie der Vergangenheithat.Indiesen Schwä- Schweiz. Das Ehepaar Batthyanyzog bei chen erkenntsich auch der Autorwieder. Kriegsende nach Lugano und lebtedort Seine Stärkeist es aber,sich mitschmerz- unbehelligt vonjeder Behörde. «Meine lichen Wahrheitenzukonfrontieren. Verwandten hatten nichtgefoltert, nicht Dazu gehört zuletzt auch die Einsicht, geschossen, nichtgequält. Sie hatten nur dass er Agnes nichtbesuchthat,umihr

zugeschaut und nichts unternommen, IA etwas zu geben, sondern um etwas zu hatten aufgehört zu denken und als Men- holen: «Ein Stück Existenz.» ● OKAP

Macht Zwei JuristenüberZusammenhängezwischen materiellenNöten und maroden Rechtssystemen JustitiaimKampfgegendieArmut

AutorGaryHaugen ist Präsidentder dienen. Sie besprechen tiefgehende Stu- GaryA.Haugen, Victor Boutros: Gewalt – Rechtshilfeorganisation International dien, denen zufolgesichereMenschen- die Fessel der Armen. Worunter die Justice Mission, die in Afrika, Latein- und Eigentumsrechte mindestens so be- Ärmsten dieser Erde am meisten leiden. amerika und Asien gemeinsam mitloka- deutend für die Armutsbekämpfungsind Springer, Heidelberg2016.326 Seiten, len Akteuren die Rechte derArmen ver- wieBildungund Gesundheit. Gewalt- 27 Abb., Fr.28.90,E-Book 20.90. teidigt und Justizsysteme verbessert. epidemien schaden der Wirtschaftsent- Co-Autor Victor Boutros leiteteine ame- wicklungnichtwenigerals Kriegeoder VonMichaelHolmes rikanische Strafverfolgungseinheitge- Naturkatastrophen. In Umfragen stufen genMenschenhandel. Ihr bewegendes die meisten Slumbewohner Gewalt als Täglich konfrontieren uns die Medien Manifest dokumentiert allgegenwärtige, ihr grösstes Problemein. mitBildern spektakulärer Gewalt aus aber weitgehend verborgene Gewalt- Das Buch belegt, dass kaum Entwick- aller Welt. Aber Kriege, Staatsrepression plagen in Entwicklungsländern. Ihre lungshilfegelder in effektive Rechts- und Terroraktebilden nur einen Bruch- Geschichtenüber Kindesmissbrauch in durchsetzungfür die Armen fliessen, ob- teil der globalen Gewalt. Die meisten Peru,Sklavereiund Zwangsprostitution wohl rasche Siegeüber die Kriminalität Gewaltopfer besitzen nichtausreichend in Indien, sexuelle Gewalt und Polizei- im Bereich des Möglichen liegen. Sie do- Geld,Bildungund Macht, um sich über- willkür in Kenia sowieLandraub in Ugan- kumentieren die historischen Entwick- haupt Gehör zu verschaffen. «Gewalt – da führen den Leser in eine grauenvolle lungeninden USA, Frankreich und Japan die Fessel der Armen» heisst ein zutiefst Albtraumwelt. sowieerfolgreiche PilotprojekteinBrasi- erschütterndes, aber wissenschaftlich Die Autorenanalysieren komplexe lien, im Kongound auf den Philippinen. fundiertes Buch über vielfältigeGewalt- Zusammenhänge zwischen Gewalt und Eine bedeutende Anklageschrift, die die verbrechen, die zahllosen Armutsbetrof- Armut und zeigen auf,wie Rechtssys- Augenöffnet für die erbitterten Kämpfe fenen das Leben zur Hölle machen. teme seitKolonialzeitenden Machteliten der Armen um Gerechtigkeit. ● 20 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 28.Februar 2016 HeSchweizlvMarceetlGyrisuntechrsucht deernTerPororder 19li70tter undhrlöst miiltsleeinenrGrabungen ein Erdbeben aus

Marcel Gyr:Schweizer Terrorjahre. Das geheime Abkommen mitder PLO. NZZ Libro, Zürich 2016.183 Seiten, Fr.37.90,E-Book 22.30.

VonKathrin Alder

Marcel Gyr ist ein Coup gelungen. Eigent- lich hatsich der NZZ-Reporter aufge- macht, die Lücken rund um den Absturz der Swissair-Coronado in Würenlingen zu schliessen, bei dem am 21. Februar 1970 alle 47 Insassen ums Leben gekom- men waren. Die Katastrophe wurdenie restlos aufgeklärt, der mutmassliche Ver- antwortliche nie zur Rechenschaft gezo- gen, obwohl schnell klar war,dass es sich um einen palästinensischen Terroran- schlag handelte. Im Frachtraum der Co- ronado war eine Paketbombe explodiert, die für eine Maschine der israelischen R GLE

Fluggesellschaft El Al bestimmtwar.Nur IE AZ

durch Zufall war sie in die Swissair-Ma- ELI

schine gelangt. CORN Auch nach aufwendigen Recherchen zum palästinensischen Terror in der Im September Kaddoumi, den palästinensischen Ge- te,könntihr mich gerne nochmals Schweiz kann Gyr die offenen Fragen 1970 entführten genpart der geheimen Verhandlungen, kontaktieren», wird Kaddoumi im Buch rund um den Absturz vonWürenlingen palästinensische traf Gyr in dessen Exil in Tunesien. Deren zitiert. «Aber wieSie wissen, hatesda- nichtabschliessend klären. Stattdessen Terroristendrei Erinnerungen, aber auch schriftliche nach keine Probleme mehr gegeben.» Flugzeuge in die aber schafft er etwas anderes: Er deckt Wüste. Hier: Jubel Quellen werfen ein neues Lichtauf die Fürdiese ZusicherungmussteGraber einen veritablen Politskandal auf.Im nach derSprengung Vorkommnisse, die die Schweiz auf dem einen hohen Preis bezahlen. Zwar wur- September 1970,als mehrereFlugzeug- derMaschinenin Höhepunkt ihrer «Terrorjahre» erlebte. den die Zerqa-Geiseln befreit,die entführungendurch palästinensische Zerqa, Jordanien. Einmal mehr war am 6. September Schweiz mussteimGegenzug aber drei Terroristen die Schweiz und die ganze 1970 ein Swissair-Flugzeug betroffen, palästinensische Terroristen freilassen, Welt in Atem hielten, brach ein Altbun- dieses Mal wurdeesvon Kämpfern der die in Zürich aufgrund eines Attentats desratmit einer eisernen Regel. «MitTer- Volksfront zur BefreiungPalästinas auf eine El-Al-Maschine zu zwölf Jahren roristen wird nichtverhandelt», heisst es (PFLP) nach Zerqa mitten in der jordani- Haft verurteilt worden waren. Viel we- gemeinhin. DerehemaligeSP-Magistrat schen Wüsteentführt; gemeinsam mit sentlicher aber war die Tatsache, dass und Aussenminister PierreGraber aber einer britischen und einer amerikani- sich die Schweiz für die Palästinenser er- tatestrotzdem. Er schloss ein Stillhalte- schen Maschine. Unterden entführten pressbar machte.«Wenn über palästi- abkommen mitden Palästinensern, auf Passagieren befanden sich auch Deut- nensische Fragen entschieden werden eigene Faust und in der festen Überzeu- sche, weshalb Deutschland, Grossbritan- musste, verlor die Schweizer Diplomatie gung, die Schweiz damitvor weiterem nien, die USAund die Schweiz einen ge- ihreAutonomie», schreibt Gyr.Tatsäch- Terror bewahren zu können. meinsamen Sonderstab bildeten, der mit lich erlaubteesdie Schweiz der PLO, am den palästinensischen Entführern ver- Uno-SitzinGenf ein Bürozueröffnen – Kontrovers diskutiert handelte. DerStab traf sich in Bern, und als Gegenleistungfür Kaddoumis Sicher- Gyrs Enthüllungenlösten in der Schwei- insbesondereder britische Premiermi- heitsgarantie. Fürdie PLOwar das ein zerPolitlandschaft ein kleines Erdbeben nister EdwardHeath schwordie Gruppe wichtiger Schritt,umauf diplomatischer aus. DerBundesratsiehtsich genötigt, auf einen gemeinsamen Auftritt ein. Auf Ebene Gehör zu finden. WieGyr auf- eine interdepartementale Arbeitsgruppe keinen Fall sollten separate Verhandlun- zeigt, gab es in der Folgeimmer wieder ins Leben zu rufen, die sich mitden Be- gengeführt werden. Momente,indenen die Palästinenser die ziehungender Schweiz zur palästinen- Schweiz mitweiterenForderungenund sischen Befreiungsorganisation PLOin EinBüroals Gegenleistung Drohungenvor sich her trieben. den 1970er-Jahren befassen soll. Die Ge- BundesratGraber aber hielt sich nicht Zwar blieb die Schweiz vorweiteren schäftsprüfungskommission der eidge- daran und suchte Kontakt zu den Palästi- palästinensischen Terroranschlägen in nössischen Räte bittet den Bundesratum nensern. Als Mittelsmann diente ihm der der Folgetatsächlich verschont. Ob dies eine rasche und lückenlose Aufklärung Soziologeund damaligeNationalratJean auf das Stillhalteabkommen zurückzu- der Geschehnisse vondamals. Und die Ziegler, ein politischer Paradiesvogel, der führen ist, können allerdings auch die Medien werden nichtmüde, Historiker mitallen sozialistischen Befreiungsbe- befragten Akteure, auf deren Aussagen und Zeitzeugen aufzuführen, die Gyrs wegungender Welt sympathisierteund sich das Buch massgeblich stützt, nicht These entweder stützen oder stürzen. Es besteVerbindungen zu palästinensi- beantworten. Gyrs These lässt sich auch ist lange her, dass in der Schweiz ein schen Diplomatenkreisen unterhielt. nichtendgültig beweisen; Hauptakteur Buch so kontrovers diskutiert wurde. Ziegler vermittelteGraber einen Kontakt Graber hatdie Geschehnisse jenes Sep- Im Kern basiert es auf Gesprächen, die zu Farouk Kaddoumi, damals informel- tembers mitins Grab genommen. Zum Gyr mitden letzten lebenden Protagonis- ler Aussenminister der PLO. In einem Ende der empfehlenswerten Lektüre tengeführt hat, darunterRobert Akeret, Genfer Hotelfanden geheime Treffen bleiben drei Fragen: WarGrabers Vor- damals Bezirksanwalt und Chefermittler statt,Graber begingeinen doppelten Ver- gehen nun mutig oder schlichtfatal? im Fall Würenlingen, Vizekanzler Walter rat: Weder der Sonderstab noch die übri- Welchen Einfluss hattedas Stillhalteab- Buser,der zu jener Zeitdie Protokolle genMitglieder des Bundesrats wussten kommen auf die StrafverfolgungimFall der Bundesratssitzungenverfasste, und vonden Treffen. «Beim Abschied habe Würenlingen? Und: Wann werden wir Jean Ziegler,der den Kontakt mitden ich zur Schweizer Delegation gesagt: den auf dem Buch basierenden Politthril- Palästinensern hergestellt hatte. Farouk Wenn es wieder ein Problem geben soll- ler wohl im Kino sehen? ● 28.Februar 2016 ❘ NZZ amSonntag ❘ 21 Sachbuch Geschichte DerösterreichischeHistoriker Gerald Stourzh machtsich mitder Gleichheitsordnung für eine zentraleErrungenschaft derModernestark VomRecht,Recht zuhaben

in Bewegungzusetzen». Insbesondere 2015 lancierteInitiative «Schweizerrecht Gerald Stourzh: Die moderne Isonomie. hier,beim Recht, Beschwerden gegen statt fremde Richter» zu erinnern, wo- Menschenrechtsschutz und demo- Verletzungender Grundrechte zu erhe- nach die Bundesverfassungüber das Völ- kratische Teilhabe als Gleichberechti- ben und gegenden eigenen Staatvor kerrechtzustehen kommen soll. Damit gungsordnung. Böhlau, Wien-Köln- eineminternationalen Gerichtzuklagen, würdenichtnur eine über 200-jährige Weimar 2015. 182 Seiten, Fr.45.40. erweist sich die Brisanz des Textes, Rechtsentwicklungabgeblockt, sondern dies erst recht, wenn man die neu aufge- rechteigentlich rückgängig gemacht, VonCarlo Moos kommene «Gefahr der Opferungvon was für ein Land, das seitRousseau an Grund- oder Menschenrechtsgarantien der vonStourzh aufgezeigten Entwick- GeraldStourzh, von1969bis zur Emeri- auf dem Altar der Sicherheit» bedenkt. lungmitbeteiligt ist, ein Makel sonder- tierung1997 Professor für Geschichte der gleichen wäre. Es ist zu wünschen, dass Neuzeitander UniversitätWien, gilt mit DasRad zurückdrehen? möglichst viele Gegner der Initiative die- Forschungenund Publikationen zur aus- Die Schweiz wird nur am Rand sen gut lesbaren Essayeines bedeuten- gehenden Habsburgermonarchie und erwähnt, aber gerade für sie sind die Be- den österreichischen Historikers studie- zum Staatsvertrag von1955 als Altmeis- trachtungendes Verfassers vonerhebli- renund einsetzen. ● terder österreichischen Geschichte.Sei- cher Sprengkraft. Es genügt, an die aus- Carlo Moos ist emeritierter Professor für nen neuesten schmalen Band bezeichnet gerechnet voneinem Rechtsprofessor Geschichteder Universität Zürich er in übergrosser Bescheidenheitals «Essay». In Tatund Wahrheitlegt er mit dieser Summa eines langenGelehrten- lebens ein eindrückliches Bekenntnis zu Chronometrie DieZeitimBild den Rechtsgrundlagen des Zusammen- lebens der Menschen vor. «Isonomie» ist ein erstmals vonHero- dot eingesetzter Begriff und lässt sich mit«Gleichheitsordnung» übersetzen. BevorerimHauptkapitelseines Werks den Wegenzur modernen Isonomie nachgeht,präsentiert Stourzh sie in der griechischen Antikeund in ihren bis 1750/1850geltenden Abstufungenzwi- schen Herr und Sklave,Leibherr und Leibeigener,Grundherr und Höriger oder allgemein zwischen Herr und Knecht, alles miteiner stupenden Fülle vontref- fenden Beispielen. Klagengegen denStaat DerHauptteil setzt mitden Paukenschlä- gender Amerikanischen und Französi- schen Revolution ein und verfolgt ihre Nachgeschichte bis in die Gegenwart. Hier werden die sechs Komponentender modernen Isonomie erläutert. Es sind (1) die allgemeine Rechtsfähigkeit, das heisst das Recht, Rechtzuhaben und nichtSklave oder Ausgegrenzter zu sein; (2)die persönliche Gleichheitvor dem Gesetz nach dem Abbau vonPrivilegie- rungen und Diskriminierungenvon der Bauernbefreiungüber die Judenemanzi- pation und die Gleichberechtigungder Frau bis zum Status vonAusländern, Flüchtlingenund Asylsuchenden in der Epoche weltweiterMigrantenströme; 3) die Grundrechte und 4) der Grundrechts- schutz als Teil der Verfassungsgerichts- barkeit; 5) die Internationalisierung vonGrundrechtenals Menschenrechte; schliesslich 6) die Demokratie als politi- sche Teilhabe auf der Grundlagedes allgemeinen, gleichen und geheimen Männer- und Frauenwahlrechts. Vonda erhält das Buchcovermit dem 1994in Kann man die Zeit abbilden?Und wie man es kann! Heute Adam undEvaganzaussen undbewegt sich spiralför- Südafrikas ersten freien Wahlen das geschieht dies zwar fast immer mit einer horizontalen mig nach innen –bis zu Königin Victoriaim Zentrum. Wahlrechtausübenden Nelson Mandela «Zeitleiste», wie wir sie etwafür die Entwicklungvon Seit der Antikewurde die Weltgeschichtejedoch lange seine tiefereBedeutung. Börsenkursen kennen. Diese Darstellungsform istje- in Tabellen,in parallelen vertikalen Spalten, in Reihen Die Conclusio greift aus den sechs doch relativ jung, wiedie amerikanischenHistoriker Da- vonStammbäumen, alsineinander greifende Ringe und Komponentender modernen Isonomie niel Rosenberg undAnthonyGrafton mit ihrerstupen- schliesslich sogar als Zifferblatt einer Uhr grafisch dar- zwei Eigenschaften des Individuums als den Sammlung vonZeitdarstellungendeutlichmachen. gestellt. Kathrin Meier-Rust Rechtsperson heraus: als Träger des Unser Bild zeigt ein englischesBrettspielausdem Jahr D. Rosenberg,A.Grafton:Die Zeit in Karten. EineBilder- Rechts auf politische Teilhabe und als 1840,bei demdie Spielfigurenvoneinem historischen reise durch die Geschichte. Philippvon Zabern,Darm- Träger des Rechts, «die Rechtsordnung Ereigniszumnächstenhüpften. Manbeginnt dabei bei stadt 2015.304 S.,308 Abb., Fr.101.–,E-Book 69.90. 22 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 28.Februar 2016 NaEihostnVkonflikert DerAsuutor NirchBaramb,degibtsieich auMafeine ReueisedurchrddievonerIsraelbesetzten Gebiete Verdrängungzudurchbrechen

Nir Baram: Im Landder Verzweiflung. Ein Israeli reist in die besetzten Gebiete. Ausdem Hebräischen vonMarkus Lemke. Hanser,München 2016. 300 Seiten, Fr.28.90.

VonKlara Obermüller

Nir Baram ist nichtder ersteisraelische Autor, der sich auf eine direkteBegeg- nungmit der Bevölkerunginden von Israel seit1967 besetzten Gebieten ein- lässt. Amos Oz und DavidGrossman haben es vorihm getan. Doch seither sind Jahrzehnte vergangen, in denen Hoffnungund Hoffnungslosigkeituner- bittlich aufeinanderfolgten. Ersteund zweite Intifada, Libanonfeldzug und Gazakrieg, Raketenbeschuss und Sied-

lungsbau sowiedie jüngst ausgebroche- S ne Welle der Gewalt haben zu einer ER EUT

Situation geführt, der viele Israeli nur /R

noch mitmassiverVerdrängungzu ULUN begegnen vermögen. ZV EN

Wieseinerzeitschon DavidGrossman RON hatnun auch Nir Baram beschlossen, diese Mauer der Verdrängungzudurch- Einjüdischer Siedler sein Gegenüber.Ganz nah geht er an die unheiligen Land hängt, hält er über den brechen und die Verhältnisse beidseits blicktvon fern auf neuralgischen Stellen heran und weicht ganzen Berichthinwegdurch. Er tut es in der Grünen Linie persönlich in Augen- dasDorfDumainder auch politisch brisantenund heiklen Be- der Überzeugung, dass nur radikale Of- West Bank. Nir Baram schein zu nehmen. Entstanden sind auf gegnungennichtaus. Seine Gesprächs- fenheitgegenüber den Ängsten und Ver- suchtedie direkte dieser Erkundungsreise 12 grossangeleg- Begegnung mit den partner findet er in allen politischen La- letzungenauf beiden Seiten der Grünen te Reportagen, die im Verlauf des letzten besetztenGebieten. gern. Es sind Vertriebene der Kriegevon Linie die Ursachen aufzudecken vermag, Jahres unterdem Titel«Walkingthe 1948 und1967 genauso darunterwie alt- die zu der so heillos verworrenen Lage Green Line» in der israelischen Tageszei- eingesessene Kibbuzbewohner,radikale im Nahen Ostengeführt haben. Dass ur- tung«Haaretz» publiziert wurden. Mit Siedler ebenso wieortsansässigeBauern, alteKränkungenund wechselseitigeVor- einem Prolog und einem Epilog verse- Politiker,die voneinem Grossisrael träu- urteile sich auf das Zusammenleben der hen, sind sie dieser Tage nunauch als men, ebenso wieFriedensaktivisten, die beiden Völker ebenso verheerend aus- Buch in deutscher Übersetzungbei Han- sich für ein gewaltfreies Nebeneinander wirken wieder Raketenbeschuss auf is- ser in München erschienen. der beiden Völker in dem einen Land ein- raelische Wohngebieteoder der Bauder setzen. IhreLebensbedingungensind mittlerweile über 700 Kilometer langen UnbestechlicherBeobachter so unterschiedlich wieihrepolitischen Sperranlage, machtder Text auf jeder Mitdem Titel«Im Land der Verzweif- Überzeugungen. Einig sind sie sich ei- Seitedeutlich. lung» setzt die deutschsprachigeAus- gentlich nur in einem einzigen Punkt: An zwei Stellen allerdings stösst auch gabe allerdings einen Akzent, der im Ori- So,wie es ist, kann es nichtbleiben. Die Nir Barams so hart erkämpfteUnpartei- ginal bewusst vermieden wird.Nir Hoffnungen, die das Oslo-Abkommen lichkeitanihreGrenzen: dann, als er Baram hatsich so vorurteilsfreiwie nur geweckt hatte, sind zerschlagen, die dem Vaterdes vonseinen Peinigern bei irgend möglich auf die Reise gemacht Friedensbemühungengescheitert. Die lebendigem Leibe verbranntenPalästi- und in seinen Texten lediglich wiederzu- Verheissungeiner Zwei-Staaten-Lösung nenserjungengegenübertreten muss, geben versucht, was er gesehen und ge- ist zur leeren Rhetorik verkommen. Nie- und dann noch einmal, als ihm Bilder ur- hört hat. Äusserungendes Mitleids, der mand glaubt mehr daran. Eine Alterna- alter Olivenbäume gezeigt werden, die Empörungoder auch der Kritik versagt er tive ist keine in Sicht. bei einem Vergeltungsakt der israeli- sich weitgehend. Die Leser sollen sich schen Armee zerstört worden waren. selbst ein Urteil bilden über die Zustän- Wenn dieWorte fehlen «Ich habe nichts mehr zu sagen», heisst de, in denen die Menschen in Ostjerusa- Es ist ein hohes Verdienst des Autors, es da nur noch. DerAutor weiss, wiehohl lem, Gaza und den übrigen Palästi- dass er sich trotz Mutlosigkeitund Ver- jedes Wort des Trostes oder der Betrof- nensergebieten nun schon seitbald zweiflungauf der einen, Gleichgültigkeit fenheitineiner solchen Situation tönen 50 Jahren leben müssen. Dass der Autor und Zynismus auf der andern Seite würde. Ihm bleiben nur Scham und beim Schreiben in erster Linie an israeli- vorVerurteilungund Schuldzuweisung stumme Trauer,die er alsbaldwieder sche Leser gedachthat,machtdie Lek- hütet. Und auch davor, Lösungsvor- hinterprofessioneller Nüchternheitzu türeseiner Reportagen für Aussenste- schlägezupräsentieren, an die ohnehin verbergensucht. Gerade deshalb aber ge- hende nichtimmer einfach. Anmerkun- niemand mehr glaubt. hören die beiden Szenen zu den stärks- genoder ein erklärender Apparatwären «Ich habe mich auf diese Reise ge- tenPassagen im Buch überhaupt. Sie las- da zweifellos hilfreich gewesen. macht», sagt er,«um herauszufinden, sen schlagartig die ganzeAbsurditätund Doch auch wemdie letzten Feinheiten wiedas Land wirklich aussieht, in dem Unlösbarkeitdes Konflikts aufscheinen, israelischer Politik verborgenbleiben, ich bis an mein Lebensende bleiben und man spürt am eigenen Leib den wird vonder Lektürebeeindruckt sein. werde.» Diese Haltungeines scheinbar Schmerz, der dem Autorbeim Schreiben Nir Baram ist ein unbestechlicher Beob- unbeteiligten Beobachters, der doch mit dieser Reportagen ein ständiger Beglei- achter, und er schontweder sich noch jeder Faser seines Ichs an diesem heilig- tergewesen sein muss. ● 28.Februar 2016 ❘ NZZ amSonntag ❘ 23 Sachbuch BiLeografibee 100Jnuahrenachsndeinem ToMadist FranzleMarnzcneu zuwientdeckscen –aheuchdannkTexten seiner Frau Machismo undSchwermut

Wilfried F. Schoeller:Franz Marc. Eine Biografie. Hanser,München 2016. 400 Seiten, 32 Abb., Fr.37.90. MariaMarc: «Das Herzdroht mir manchmal zu zerspringen.» Mein Leben mitFranz Marc. Hrsg. vonBrigitteRossbeck. Siedler,München 2016.192 Seiten, Fr.28.90,E-Book 18.90.

VonAnjaHirsch

Die blauen Pferde vonFranz Marcdürf- tenselbst Kunstbanausen ein Begriff sein. AufPostern dekorieren sie Zimmer- wände. Doch Franz Marc, der am 4. März 1916 im Ersten Weltkrieg bei Verdun mit nur 36 Jahren fiel, ist weit mehr als seine blauen Pferde und Rehporträts. Zum EE MS hundertsten Todestag legt der Literatur- A wissenschafter Wilfried F. Schoeller eine HEL OC neue Marc-Biografie vor, und erstmals ,K gibt es ausserdem das Leben Franz Marcs EUM MUS

aus der Sichtseiner Ehefrau Maria Marc RC erzählt. BrigitteRossbeck, die im vergan- MA NZ

genen Jahr auch eine grosse Marc-Bio- FRA grafie verfasst hat, erstellteaus zehn Ein keineswegs leidensfreies Dreiecksverhältnis:Franz Marcmit seinenzweiLiebschaftenMaria Franckund Marie Schnür am existierenden Schriftstücken eine Lese- Ufer desKochelsees, 1906. fassung. Gründe genug, den Einladun- genzueiner versprochenen Neuentde- er die vomVater tradierten alten Mal- spondenzen in die Zeitein und pointiert ckungdes Künstlers zu folgen. techniken ab und zerstört oft selbstkri- sie zu grossen Narrativen, die bis heute tisch das Eigene. Erweckungserlebnisse interessieren: Generationenkonflikt, Be- ZaudernderGestalter sind Reisen nach Paris, die Bilder Van ziehungskonflikt, innereDramen, die Dabei gilt es zunächst, ihn vonKlischees Goghs –und nichtzuletzt mütterliche sich in Marcs Werken spiegeln, hier lust- zu befreien. Viel Pathos ist nach seinem Frauen, zeitweise drei gleichzeitig. Zwi- voll und genau analysiert. Die bekannten Todbeschworenworden, nichtzuletzt schen «Machismo und Schwermut» reift Entwicklungsstadien vomKlein- zum auch begünstigt durch Franz Marcs ei- ein Künstler heran, der die Akademie Grossformatigen, vomMensch zum Tier, gene Schriften über eine Kunst, die mit abbricht, es halbherzig miteiner vomAbbilder zum Abstrakteur bleiben schwerenBegriffen wie«Schöpfung», Lithographieschule versuchtund sein erkennbar,sind aber mitreichlich Wider- «Glaube», «Paradies» operiert. Die spiri- Hauptwerk in nur einem halben Jahr- sprüchen versehen. tuelle VerankerungrückteMarcs Arbei- zehntproduziert; ein Naturliebhaber, tenineine süssliche Ecke.Hinzukom- der paradoxerweise die technikgläubigen DieStimmeder Frau men seine «Briefeaus dem Feld»und Futuristen schätzt und Kandinskys Einblick in Franz Marcs innere Zerrissen- andereEssays, in denen er den Krieg be- abstrakteBilder gegenAnfeindungen heitgewährt auch Maria Marc. Vonden grüsste–Ansatzpunkt späterauch für schützt. MitKandinsky löst er den Avant- Biografen oft zitiert und kritisch be- Versuche, ihn in braune Ideologien ein- garde-Krach im eigenen «Blaue Reiter»- leuchtet, liegt hier der Reiz weniger zugemeinden; der «heroische» Todals Projekt auf und ist plötzlich umtriebiger darin, Neues zu entdecken. Charmant Soldat passtedagut hinein. Gestalter der Kunstszene –erst in Mün- aber ist der schwärmerisch-nüchterne Franz Marcs bisweilen krude chen, dann in Berlin; radikaler Indivi- Tonartenwechsel ihrer Erinnerungen. Sinnkonstruktionsversuche erhalten in dualist, aber vernetzt. Wiepasst da seine Maria Marc, gestorben 1955, war nicht den Biografien erstmals eine Kulisse, vor eigene Kunst hinein? nur energische Nachlasshüterin, son- der sich der Farbenzauberer nüchterner FürSchoeller ist Franz Marceinerseits dern selbst Künstlerin. Noch Anfangder betrachtenlässt. Spannend ist dabei vor ein «Maler der Stille», der ersteanatomi- zwanziger Jahreerlernte sie im Weimarer allem die Kriegszeit. Schon die Historike- sche Abbildstudien mitStippvisitenim Bauhaus Weben und Färben. Diese Zeit rin BrigitteRossbeck zeigteWidersprü- Berliner Zoologischen Garten verbindet. ist hier nichtThema. Dafür ihreRolle als che; Marcs Kriegseuphorie etwa mün- Andererseits siehterihn als Methodiker, Frau und TochteramGängelband, die deteinVerbitterung. MitSchoellers Dar- der ein System schaffen will. Im Tier sich freizuschwimmen versucht. Sie lie- stellungwirdnun noch deutlicher,dass suchterdas Urbild. Anima und Animali- fert den Subtextzuder berühmtenFoto- der zuvor unpolitische Franz Marcnicht sches, Seele und Wildes, wachsen in sei- grafie, die Franz Marcmit seinen beiden national dachte,sondern europäisch. An nen Bildern zusammen. PopuläreTheo- Frauen, alle drei nackt, auf dem seiner «Verirrung» ändert das nichts: rien wiedie vonRudolfSteiner prägen «Tränenhügel» der Alm am Kochelsee Marcrechtfertigtedas «Blutopfer» als ihn. VomKomponisten Schoenberg zeigt –keineswegs eine leidensfreie Li- notwendige«Reinigung» und sehnte sich übernimmterdie positive Ummünzung bertinage. MitSachverstand beschreibt nach der Wiedergeburt des idealisti- des Begriffs «Dissonanz» und überträgt sie Franz Marcs Ausdruckskämpfe. Ihre schen Typs. ihn auf Farben. Schoeller,auch Döblin- wichtigeRolle im Krieg als Briefpartne- Doch zunächst zeigt Schoeller den Biograf,zeigt, was Marcmit den Litera- rin, die Kontrapunktezuden Irrungen 1880 geborenen jungenAkademiestu- tenverbindet; etwa mitAlfredDöblins ihres Mannes setzt, kommthier leider zu denteninMünchen vonseinen Anfängen Tendenz der Entpersönlichung. Er bin- kurz. Dennoch ist sie endlich als eigen- her.Als melancholischer Zauderer wirft det die Inhalteaus zahlreichen Korre- ständigeStimme hörbar. ● 24 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 28.Februar 2016 Biografie MichaelEndewollte für dasKindimMenschen schreiben. In Deutschland als Erwachsenenautor verkannt, wird er in Japanvon allen Generationen geachtet DenZeitgeist überspringen

viewthat,beschränkt sich nichtauf Birgit Dankert: Michael Ende. Gefangen in die drei Klassiker,denen Ende sei- Phantásien. Lambert Schneider, nen Weltruhm verdankt: «Momo» Heidelberg2016.312 Seiten, Fr.34.90, und «Die unendliche Geschichte» E-Book 21.90. neben «Jim Knopf». In prägnantenZu- sammenfassungenerschliesst Dankert VonSieglinde Geisel auch Endes viele Erzählungen, Gedich- te und Schauspielstücke, die sich an Michael Ende steht–zusammen mitOt- ein erwachsenes Publikum richten. Von fried Preussler und James Krüss –für die Kinderpsychologie, Pädagogik Erneuerungder deutschen Kinderlitera- oder Jugendschrifttum wisse er tur in der Nachkriegszeit. Als er 1957mit nichts, betonte Ende: «Ich schrei- «Jim Knopf und Lukas, der Lokomotiv- be für das Kind in uns allen.» Mi-

führer» begann, befand sich der knapp chael Ende sah sich nichtals Kin- MAS dreissigjährigeAutor in einer aussichts- derbuchautor,erwar ein All-Age- HO losen Situation: Weder als Darsteller Autor, bevoresden Begriff gab. &T OMAS

noch als Theaterautor hatteernach der Dass er vonder Kritik nichternst TH Schauspielschule Erfolg. Fürden unste- genommen wurde, hatteihn zeit- tenBohémien sei «Jim Knopf» ein «Be- lebens bekümmert. Er könne nichts zum Jim Knopf und Lukas freiungsschlag» gewesen, ein spieleri- geplantenJubiläumsband zu Michael der Lokomotivführer sches Schreiben ohne jede Absicht, so Endes 65.Geburtstag beitragen, schreibt traten auch im habe dies auch nichtgewollt, vermutet Fernsehenauf,hier BirgitDankert in ihrer Biografie. Nichts etwa Marcel Reich-Ranicki 1994, ein Jahr ein Weggefährte. SchliesslichzielteEndes in den 1970ernin hattedarauf hingewiesen, dass sich Mi- vorEndes Tod: «Grund: Das Werk Mi- derAugsburger Gesellschaftskritik etwa in «Momo»ge- chael Ende mitseinem Erstlingandie chael Endes ist mir nichtbekannt.» Puppenkiste . rade auf die Machtdes Geldes ab. Spitzeder deutschen Kinderliteratur BirgitDankert beleuchtetdiese Ver- Eine gewisse Scheu legt BirgitDankert schreiben würde: 1961 erhielt er für Jim werfungenebenso wiedie Kinder- gegenüber der spirituellen Dimension an Knopf den Deutschen Jugendbuchpreis. literaturdebatten der 1970er Jahre, als den Tag, die Endes Werken die gedankli- Als Sohn des surrealistischen Malers Ende vonlinker SeiteEskapismus vorge- che Tiefeverleiht.Michael Ende selbst Edgar Ende hatteder 1929 geborene Mi- worfen wurde: Statt Kinder zur Beschäf- hatetwa Momos Begegnungmit der chael Ende in der NS-Zeiterlebt, was tigungmit der politischen Realitäthin- Todesfigur Meister Hora als «Initiation» Ausgrenzungheisst –ein Motiv, das er in zuführen, bieteerihnen die Fluchtindie bezeichnet. Seine Beschäftigungmit der seinen Kinderbüchern vielfältig variiert. Phantastik an. Gerade damitsei Ende für Anthroposophie und in späterenJahren Die Schule im Dritten Reich sei «der die Kinderliteratur zukunftsweisend ge- auch mitokkulten Praktiken wird nur ge- grössteSchock» seines Lebens gewesen, wesen, so Dankert: «Er bediente sichdes streift, ausführlicher kommtseine Bezie- so der schlechte Schüler Ende: Er sei Zeitgeistes, um ihn zu überspringen.» hungzuJapan zur Sprache, die durch sich vorgekommen «wie ein in sich Schreiben und Leben waren für Ende auf seine japanische Ehefrau befördert zurückgestauchtesKind». Auch die untergründigeWeise verbunden,soje- wurde. In Japan gibt es ein Michael- Schule als Zwangsanstalt kenntman aus denfalls lässt sich sein Unvermögen in Ende-Museum, und 1988 erschien dort seinem Werk. finanzieller Hinsichtinterpretieren: 1988 eine ersteBiografie. Hier steckteernicht BirgitDankert, die für die Biografie war der Auflagenmillionär mitsieben in der Kinderbucheckefest, sondern nichtnur in Archivenrecherchiert, son- MillionenD-Mark verschuldet. Er habe wurdeineinem Atemzug mitAutoren dern auch Weggenossen vonEnde inter- nichtmit Geld umgehen können und wieBöll und Grass genannt. ●

Gesellschaft DermännlicheElternteil rücktverstärkt ins Interesseder Forschung RenaissancederVäter

Lebensunterhalt des Kindes zu sichern. geneindrücklich: Ein absenterVater ist Victor Chu: Vaterliebe. Klett-Cotta, Solchem hält Victor Chu, seines Zeichens eine lebenslange Quelle vonTraurigkeit, Stuttgart 2016.320 Seiten, Fr.29.90, Diplompsychologe, sein Buch «Vaterlie- Ärger, Verbitterungund Scham. Es gibt E-Book 25.90. be» entgegen. Wasein Plädoyerfür die einen klaren Zusammenhangvon Wichtigkeitdes Vaters sein soll, ist aller- Vaterpräsenz und gesunder Entwicklung VonWalter Hollstein dings nur eine schlechtgeschriebene des Sohnes auf der einen Seiteund von Biografie: Chu hüpft voneiner persönli- Vaterabsenz und der hohen Gefahr von Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die chen Episode zur nächsten. DerErkennt- Scheitern auf der anderen. Väterabgedankt. Nichtunbedingt so niswert des Buches bewegt sich auf nied- Allerdings dräuen schon neue Proble- sehr in der sozialen Wirklichkeit. Aber rigstem Niveau, und garniert wird das me. Statistiken belegen, dass junge Män- umfänglich in den Wissenschaften und Ganzemit einer Vielzahl appellativerBa- ner zunehmend gar nichtmehr Vater dann zunehmend im Zeitgeist. Vorallem nalitäten. Zum Beispiel: «Auch wirMän- werden wollen. Die amerikanische Psy- in den achtziger Jahren feierteein be- ner verdienen Achtungund Respekt.» chologin Helen Smith hatdas kürzlich als stimmterFeminismus die Familie ohne Chu ist offenbar entgangen, dass es Protest gegendie zunehmende gesell- Vater. Aber bereits zuvor hattedie Ent- seitrund einem Dutzend Jahren eine schaftliche Entwertungdes Männlichen wicklungspsychologie den Vaterent- machtvolle Renaissance des Vaters gege- interpretiert –inChus oberflächlichem sorgt und das Dogma formuliert, dass die ben hat. Das verwundert nichtweiter, Buch suchtman selbstredend vergebens Förderungdes Kindes exklusivAufgabe weil der Autorweder die Standardwerke nach Reflexionen über diese erschre- und Leistungder Mutter sei. DenVätern der zeitgenössischen Väterforschungzur ckende Sachlage. ● wurden als Folgenur noch alimenta- Kenntnis nimmtnoch den Tatbestand, Walter Hollsteinist emerit. Professor torische Funktionen zugewiesen, das dass es seitgeraumer Zeitsoetwas wie fürPolitische Soziologie und hat mehre- heisst: finanzielle Leistungen, um den eine Männerforschunggibt. Beide bele- re Bücher zu Genderfragenpubliziert. 28.Februar 2016 ❘ NZZ amSonntag ❘ 25 Sachbuch Musik Jodeln lernen istimTrend –seitden 1990ern boomtdie Neue Schweizer Volksmusik DerLändlernachWyselGyr

beinahe vergessenen Instruments trieb und Klarinettenspieler Markus Flückiger Dieter Ringli,Johannes Rühl: Die Neue der Eidgenössische Jodlerverband in den auf.«Dirty Ländler» heisst eine wegwei- Volksmusik. Siebzehn Porträts und eine 1920er-Jahren voran. sende CD von1994, während die erste Spurensuche in der Schweiz (mitCD). Werüber Volksmusik schreibt, muss Volksmusikwoche in Arosa junge Forma- Chronos, Zürich 2015. 362 S., Fr.41.90. zuerst Lichtins Dunkel ihrer Instrumen- tionen zusammenbringt, die die Tradi- talisierungbringenund Musikgeschichte tionalisten das Fürchten lehren. Wo sich VonCorinne Holtz auch als Sozialgeschichte verstehen. Das fünfzig Jahrenichts bewegt hat, bla- ist das vielleichtgrössteVerdienst der sen jetzt Gruppen wiepareglish und Das Alphorn und der Jodel sind zum In- beiden Autoren, die für ihreDarstellung Hujässler zum Aufbruch. begriff der Schweizer Volksmusik gewor- auf die pionierhafteAufarbeitungdurch Inzwischen hatsich die Szene eta- den, die Trachtgilt als uralter Schmuck Dieter Ringli sowieauf die lebendigePra- bliert. Ob Re-Interpretation oder Neu- der ländlichen Bevölkerung. Alles My- xis der neuen Schweizer Volksmusik zu- komposition, ob Improvisation oder Re- thos, weiss der MusikethnologeDieter rückgreifen können. trospektive:Alles ist erlaubt. DerHei- Ringli zu belegen. Das Trachtenwesen DerenBlütebeginntinden 1990er- matzwangist der Befreiunggewichen, entstand wiedie Ländlermusik am An- Jahren. «Überalterung, Imageverlust Festivals wie«Alpentöne» und «Stubete fang des 20.Jahrhunderts und war zuerst und allgemeines Desinteresse» machen am See» sind Sammelbecken einer erfri- ein städtisches Phänomen. Im Zugeder der traditionellen Volksmusikszene zu schend heterogenen Szene, vonder Heimatschutzbewegungwurde es in den schaffen, während Wysel Gyr,Ländler- zwölf prominente Vertreter und fünf Ver- 1930er-Jahren in den Bäuerinnenschulen papst des Schweizer Fernsehens und treterinnen im zweitenTeil des Bandes Pflicht, Trachtzutragen. So kam die Sympathisantder Rechtsaussenpolitik, zu Wort kommen. Wo aber tatsächlich Tracht, meistens neu erfunden, aufs seine letzten Sendungenmoderiert. Die Innovation stattfindet und wo nicht– Land. Das Alphorn seinerseits wurdeim Zeitist reif für Veränderungen, nebst der darüber schweigen die Autoren. Ist die 19.Jahrhundert nur für Touristen gebla- WorldMusic kommtauch die «eigene» mehrheitlich brave Ästhetik der neuen sen, etwa auf der Rigi und im Berner Musik auf den Prüfstand. In der Inner- Volksmusik, auch in der Transformation Oberland. Die Popularisierungdieses schweiz etwa brichtder Schwyzerörgeli- in die sogenannte E-Musik, ein Tabu? ●

Dasamerikanische Buch FolgenreicheDiagnose:eineGeschichtedes Autismus

Ihr Donaldwar kein normaler Bub. fegruppen, dannmächtigeInteressen- Diese Einsichtwurde mitjedem Monat verbände wie«Autism Speaks» und eine grössereBelastungfür Maryund schliesslich neue Probleme schuf.Diese Beamon Triplett. Donaldwar ohne gipfelten in jüngst wieder aufgeflamm- Zweifel intelligent. MitzweiJahren tenVerschwörungstheorien, wonach konnte er bereits das ganzeAlphabet Autismus durch Impfstoffeund Queck- aufsagen –vorwärts und rückwärts. silber ausgelöst werde. Doch die AnhänglichkeiteinesKindes zeigteernie. Undwenn die Eltern Diese nie bewiesenen Ideen benutzen merkwürdigeGewohnheiten wiedas Eltern seit den 1990er-Jahren als Grund- endlose Drehen vonTopfdeckeln un- lagefür eine Art Selbstermächtigung: terbrachen, reagierteDonaldmit extre- Auseiner schweigenden und ausge- men Wutanfällen.Imländlichen Mis- grenzten Minderheitwurden lautstarke sissippi der1930er-Jahregab es für Kin- Aktivisten, die an Gerichtenund in den der wieihn nur eine Zukunft: die Ein- Medien um Geld,Machtund Aufmerk- weisungineine geschlossene Anstalt samkeitkämpften. Wiedie «New York für Geisteskranke. Doch die Tripletts Times» in einer positivenRezension gingeneinen anderen Weg. Sie suchten beiläufig bemerkt, passt diesineinen und fanden Ratbeim Kinderpsycholo- breiteren, vonder Bürgerrechtsbewe- genLeo Kanner.Nach jahrelangerFor- Donald Triplett,dem als erstemdie Diagnose «Autismus» gestellt wurde, gungangestossenen Trend in denUSA: schungsarbeitprägteder gebürtige steht am Anfang vonJohnDonvans undCaren Zuckers(unten) Buch. Ausgelöst vongesellschaftlicher Ableh- Wiener einen Begriff für Donalds Zu- nung, wurden in den letzten Jahrzehn- stand: Autismus. kalen Elitean, undauch deshalb fand tenauch Aids und Brustkrebs zu identi- der Sohn ZugangzuSchulbildungund tätsstiftenden Faktoren. Hat«In aDiffe- Mitdieser Episode beginnen John spätereine Lebensstellunginder Bank rent Key» einManko, dann den Verzicht Donvan und Caren Zucker ihr Buch In a im Besitz der Familie. auf eine Untersuchungauch dieses Phä- DifferentKey:The Story of Autism nomens. (CrownPublishers, 670 Seiten). Aufme- Aber selbst MaryTriplettmusstejahre- dizinische Themen spezialisiert,nutzen langmit dem üblen Verdachtleben, Do- Lehrreich und anregend ist das Buch je- die prominentenFernsehjournalisten nalds Leiden als gefühlskalte«schlechte doch zweifellos. Auch deshalb,weil die Kunstgriffeihres Metiers und ma- Mutter» verursachtzuhaben. Mitdieser Donvan und Zucker denAusgangihrer chen anhand persönlicher Schicksale These brachte der PsychologeBruno Bet- «Autism Story», der Thematik angemes- die Geschichte des Autismus in Amerika telheim 1967 eine ganze Generation be- sen, offen lassen. Am Ende des Buches begreifbar.Die Autorensind ausihren troffener Amerikanerinnen in Verruf. tritt der greise DonaldTriplettinseinem eigenen Familien mitEntwicklungsstö- Doch MaryTriplettwies die haltlose Dia- Kleinstadt-Idyll auf. Einen Kontrast rungen vertraut undbreiten ihreauf- gnose Bettelheimszurück. Undsie war dazu bilden Autismus-Betroffene, die wendigen Recherchen in einer anschau- damitnichtallein. Seit Anfangder keine Fürsprecher mehr wollen und lichen und klischeefreien Sprache aus. 1960er-Jahren tratenEltern als Fürspre- sich ausdem Schatten vonEltern oder Die Geschichte,die sie schreiben, prä- cher ihrer autistischen Kinder auf,fan- Therapeuten zu lösen versuchen. Unter sentiert sich als hürdenreicher Wandel den einander und fochtengemeinsam dem Schlagwort «Neuro-Diversität» ver- vonAusgrenzung hin zu Verständnis für Bildungsmöglichkeitenund eine um- langensie nichtmehr Akzeptanz, son- und gesellschaftlicher Akzeptanz. Den- fassende Erforschungder Störung. dern eine Ausweitungdes Begriffs «Nor- noch erscheintDonaldTriplett als Donvan und Zucker zeichnen nach, wie malität» auf ihrenZustand. ● Glücksfall. Seine Eltern gehörten der lo- dieses Engagementerst kleine Selbsthil- VonAndreas Mink

26 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 28.Februar 2016 Agenda Rock The WhoimKonzertund privat Agenda März16

Basel

Dienstag, 1. März,19Uhr Ursula März: Füreine Nachtoder fürs ganzeLeben. Moderation: Katrin Eckert, Fr.18.–. Literaturhaus, Barfüssergasse 3. Reservation: 061 261 29 50.

Dienstag, 15. März,19.30 Uhr SabriyeTenberken: Die Traumwerkstatt vonKerala. Lesungund Gespräch, Fr. 20.– (Museumseintritt). Kulturhaus Bider &Tanner,Aeschenvorstadt 2. Reservation: 061 206 99 96. Bern Freitag, 4. März,19.30 Uhr Leta Semadeni: Tamangur.Lesung. LibRomania Buchhandlung, Länggass- Strasse 12. Info: www.libromania.ch.

Sonntag, 20.März, 11 Uhr Rolf Lappert: Über den Winter.Lesung LS und Gespräch, Moderation: Alexander DO /I

ES Sury, Ausstellungseintritt.Zentrum Paul

ON Klee, MonumentimFruchtland 3. NJ Info: www.zpk.org. COLI Sie galten als eine der wildestenbritischen Bands in den «Get YerYa-Ya’s Out!»vonden RollingStones alseines Lenzburg späten sechziger Jahren: The Who rebelliertenmit kru- der bestenLivealbenin der Rockgeschichte. John En- dem Rock, der den Punkvorwegnahm, gegendas Esta- twistle,der Bassist,warder versiertesteMusiker in der Dienstag, 1. März,19.15 Uhr blishment.Aufder Bühne zertrümmertensie bisweilen brachialenTruppe.Ein Schnappschusszeigtihn in sei- Dana Grigorcea: Das primäreGefühl der ihreInstrumente. Daswar ein Teil der Show, gewiss. nen jungen Jahren,wie er zu Hause übt,auf einerselbst- Schuldlosigkeit. Lesung und Gespräch, DochSänger Roger Daltrey, GitarristPeteTownshend, gebauten elektrischenGitarre,zuFüssen seiner braven Moderation: Christine Lötscher,Fr. 18.–. BassistJohn Entwistle undDrummer Keith Moon waren Mutter,die aussieht,als wäre sie einer Serie vonDennis Aargauer Literaturhaus, Bleicherain 7. authentischeFiguren. Sie spielten sich die Seele aus Potter entlaufen. Ein Bild, welches das Imageder Band Reservation: 062 888 01 40. dem Leib.Mit Hits wie«My Generation» sowie mitder aufsSchönste konterkariert.Manfred Papst Rockoper «Tommy»schrieben sie Musikgeschichte. Der BenMarshall mitPete Townshend undRoger Daltrey: Montag,7. März,19.15Uhr Konzertmitschnitt «LiveatLeeds»giltzusammen mit The Who.Prestel, München2015. 320Seiten, Fr.52.–. Monique Schwitter:Eins im Anderen. Lesungund Ge- spräch, Moderation: Heinrich NE

Vogler,Fr. 18.–. Aargauer Li- TO Bestseller Februar 2016 teraturhaus (siehe oben). KEYS Belletristik Sachbuch Zürich Mittwoch, 2. März,20Uhr Rita Falk: Leberkäsjunkie. Giulia Enders: Darm mit Charme. Zora del Buono: Gotthard/Das Leben 1 DTV. 272Seiten, Fr.23.90. 1 Ullstein. 288 Seiten,Fr. 23.90. der Mächtigen. Lesungund Gespräch. Buchhandlung Hirslanden, Freiestr. 221. Jojo Moyes: Ein ganz neues Leben. Ildikó vonKürthy: Neuland. www.buchhandlung-hirslanden.ch. 2 Wunderlich. 528Seiten, Fr.28.90. 2 Wunderlich. 400Seiten, Fr.23.90. Mittwoch, 2. März,19.30 Uhr Camilla Läckberg: Die Schneelöwin. Arno Renggli: Der Hund starb –was er nicht PeterStamm: Weit überdas 3 List. 448Seiten, Fr.22.90. 3 überlebte. Wörterseh. 168 Seiten,Fr. 18.90. Land. Buchpremiere, Mo- deration: Eva Wannen- AS

TommyJaud: Sean Brummel: Einen Scheissmuss PeterWohlleben:DasgeheimeLeben der macher,Fr. 18.–. AV 4 ich. Fischer. 320 Seiten,Fr. 23.90. 4 Bäume. Ludwig.224 Seiten,Fr. 28.90. Literaturhaus, Limmat- EY quai 62. Kartenreser- AYS Michael Robotham: Der Schlafmacher. Marcel Gyr:SchweizerTerrorjahre. vation: 044 2545000. 5 Goldmann.416 Seiten,Fr. 22.90. 5 NZZ Libro. 184Seiten, Fr.37.90. Dienstag, 8. März,19.30 Uhr Donna Leon: Endlich mein. Ajahn Brahm: Der Elefant,der das Glück vergass. Bettina Spoerri: Herzvirus. Buchpre- 6 Diogenes.320 Seiten,Fr. 33.90. 6 Lotos. 240Seiten, Fr.24.90. miere. Volkshaus, Stauffacherstr.60. Reservation: www.volkshausbuch.ch. Paula Hawkins: Girl on the Train. Richard David Precht:Erkenne die Welt. 7 Blanvalet. 448Seiten, Fr.18.90. 7 Goldmann.576 Seiten,Fr. 33.90. Donnerstag, 10.März, 19.30 Uhr Catalin Dorian Florescu: DerMann, der Stephen King: Basar der bösen Träume. PerAndersson: VomInder,der nach Schweden das Glück bringt. Lesungund Gespräch, 8 Heyne. 768Seiten, Fr.33.90. 8 fuhr. Kiepenheuer&Witsch.336 S., Fr.21.90. Fr.18.–. Literaturhaus (siehe oben). 9 Bruno Ziauddin: BadNews. 9 Dagmar Hemm, Andreas Noll: Die Organuhr. BücheramSonntagNr. 3 Nagel&Kimche. 208 Seiten,Fr. 22.40. Gräfe &Unzer. 128 Seiten,Fr. 17.90. erscheintam27.03.2016

Pedro Lenz: Der Gondoliere der Berge. M. Schmieder,U.Entenmann: Dement,aber Weitere Exemplare der Literaturbeilage «Bücher am 10 Cosmos. 144 Seiten,Fr. 31.90. 10 nicht bescheuert.Ullstein. 224 S., Fr.28.90. Sonntag» können bestelltwerden per Fax044 258 13 60 oder E-Mail [email protected]. Oder sind –solangeVorrat –beim Kundendienst derNZZ, ErhebungGfK EntertainmentAGimAuftrag des SBVV;16.02.2016.Preise laut Angaben vonwww.buch.ch. Falkenstrasse11, 8001Zürich, erhältlich.

28.Februar 2016 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 27 ro d n sa

s aus iest e wyn. .G statt. l Erfolgsautorcento)lMr ve No a Roman Italienisch und auf bariccoitalienische FREITAG 11.03.2016 findet Seta neuen Der (u.a. 20 UHR IM FESTSAAL nstaltung seinemra Ve Die

Ticketpreise: 25.–/15.– (mit einerKarte der Zürcher Kantonalbank, AHV/IV oder mit Legi) Spezialangebot: 75.– (inkl. 2-Gänge-Menü) Unser ganzes Programm finden Sie auf kaufleutenliteratur.ch. Besuchen Sieuns auch auf Twitter und Facebook.

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