Das Geheimnis des Manuskripts Der Computerspielautor Sam Lake beweist sich mit dem Action-Thriller „“ als großer Literat.

18 5/2010 KulturSPIEGEL VON CARSTEN GÖRIG

Manchmal muss man sich Zeit lassen. Wie im Fall des dunkle Prophezeiungen. Was eben noch auf dem Papier stand, Videospiels „Alan Wake“. 2005 wurde es erstmals in der Öffent- wird kurz darauf Wirklichkeit – ein ziemliches Problem, wenn lichkeit gezeigt, 2006 hieß es, es sei bald fertig. Jetzt erst erscheint man Thriller schreibt. Fernseher schalten sich an, Wake sieht es, nach sechs Jahren Entwicklungszeit. sich selbst darin, schreibend in einem Raum sitzend, nervös la- „Endlich“, sagt Sam Lake. Er ist der Autor von „Alan Wake“, einem chend. Ein Radiomoderator erzählt mit ruhiger Stimme von dem Spiel über einen Schriftsteller, der in seinen eigenen Alptraum berühmten Gast, während der gerade um sein Leben kämpft. gerät. Vor allem aber ist er der Erfinder von „“, einem Alan Wake – Sam Lake, noch so ein Wortspiel. „Ich war schon New Yorker Polizisten, dessen Frau und Kind ermordet werden immer von Sprache fasziniert, von Büchern“, sagt Lake. Mit zwölf und der sich auf einen Rachefeldzug begibt. Die beiden Spiele, die hat er „Der Herr der Ringe“ entdeckt. „Ich habe das Buch un- unter diesem Namen auf den Markt kamen, finden sich noch im- zählige Male gelesen und Ähnliches gesucht.“ Auf Finnisch ließ mer in den Listen der besten Action-Spiele, selbst heute, gut sechs sich nichts finden. „Eines Tages habe ich dann in der Akademi- Jahre nach Erscheinen des letzten Teils. Im Spielegeschäft, in der schen Buchhandlung in Helsinki die Regale mit englischen Bü- schon zwei Jahre eine Ewigkeit sind, ist das eine Auszeichnung. chern entdeckt.“ Buchrücken mit Schwertern und Wappen, ein Lake sitzt in einem abgedunkelten Raum, einen Schal umge- kleines Paradies. Es war der Beginn einer Liebe zur englischen schlungen. Hinter ihm laufen kleine Ausschnitte aus dem Spiel Sprache und später zur amerikanischen Literatur. Mark Twain, über eine Leinwand. Mit seinem hageren Gesicht und den sträh- Ernest Hemingway, Paul Auster, Bret Easton Ellis: „Amerikani- nigen Haaren wirkt er bleich und ungesund. So, als ob er gerade sche Autoren benutzen eine sehr ökonomische Sprache.“ Sie fas- eine Nacht durchgefeiert hätte oder erschöpft sei vom langen ziniert Lake so, dass er das Fach an der Universität in Helsinki finnischen Winter. Es ist Letzteres: „Zeit, dass der Frühling studiert und selbst zu schreiben beginnt. Nebenbei, als Hobby. kommt“. Sam Lake, 40, ist Finne und heißt eigentlich Sami Järvi, „Ein Freund von mir war Mitgründer von Remedy. Er wusste, der englische Name ist die direkte Übersetzung, „damit auch dass ich schreibe.“ Lake wird verpflichtet, das Skript zu „Death Amerikaner meinen Namen richtig schreiben“. Das Rally“ zu verfassen, dem ersten Spiel der Finnen, 1996 Spielestudio, bei dem er arbeitet, heißt Remedy. Rund erschienen. Kein großer Erfolg, aber ein Spiel, das gro- 50 Menschen sitzen dort in einem gläsernen Bürohaus ße Verlage in Amerika auf sie aufmerksam macht. an einer Schnellstraße, die Helsinki und das sich an- „Max Payne“ ist das zweite Spiel – und wird zu einem schließende Espoo verbindet. Wie ein Ufo scheint es riesigen Erfolg. Mehr als sieben Millionen Mal wurden da gelandet, auf einem schmalen Stück Erde inmitten die beiden Titel verkauft, dabei war der erste mit einem von Reihenhäusern, unwirklich verstärkt durch den kleinen Budget entstanden, so klein, dass Sam Lake grauen Himmel und den eisigen Wind, der Mitte April nicht nur die Geschichte schreiben, sondern sogar als noch klarmacht, dass der Winter Ausdauer hat. Spielfigur einspringen musste. Protagonist Max Payne „,Alan Wake‘ ist ein psychologischer Action-Thriller“, hat das Gesicht von Sam Lake, spitzbübisch grinsend – Lakes tiefe Stimme, die gar nicht zu seinem fast jungen- der Autor als seine Hauptfigur. haften Aussehen passt, füllt den Raum. Lake hat diese sehr skan- Es sind Spielereien wie diese, die Lake mag, das Benutzen ver- dinavische Art, Englisch zu sprechen, warm rollend und hart klin- schiedener Bedeutungsebenen, verschiedener Medien. Er spricht gend. Dadurch wirken Sätze wie dieser gleichzeitig bedeutungs- von seiner Faszination für postmoderne Literatur, über Inter- voll und auswendig gelernt, zumal er das Gleiche bereits 2006 textualität und die Freiheit, die man als Autor bei Spielen hat – gesagt hat, bei einer der ersten Präsentationen des Spiels. Warum wenn einen das Studio lässt. Lake hat sie: innere Monologe, Fern- dauerte es trotzdem noch vier Jahre bis zur Veröffentlichung? seher, die das laufende Spielgeschehen kommentieren, Comics, „Wir haben fast von vorn angefangen“, sagt er, „die Art, wie wir die den Verlauf der Geschichte erzählen, halluzinierende Dro- uns die Spielewelt vorgestellt haben, ließ sich nicht mit der Ge- gentrips. Seine Spiele sind keine gewöhnlichen Spiele. schichte vereinbaren.“ Und die Geschichte ist wichtig, vielleicht Finnland trägt seinen Teil dazu bei. „Wir Finnen sind fasziniert sogar das Wichtigste, findet man bei Remedy. Eine tolle Geschich- von amerikanischer Popkultur“, sagt er, „amerikanischen Fern- te unterscheidet ein überragendes Spiel von einem nur guten. sehserien, Musik und Büchern. Unser Blick auf die USA ist gefil- Lake kann diesen Unterschied machen, das hat er mit „Max tert durch das, was wir hier davon sehen.“ Auch „Alan Wake“ Payne“ gezeigt. Schon dessen Titel ist ein Sprachspiel: der Name ist so ein Filter. Das Spiel soll wie ein Buch von Stephen King des Protagonisten und eine Verballhornung von „maximum pain“. oder Paul Auster sein, wie die TV-Serien „Twin Peaks“ oder „Alan Wake“ hat Sam Lake konzipiert wie einen Roman. Prot- „Lost“. Es gibt Diner und Tankstellen, aber keine normalen Men- agonist des Spiels ist der ausgebrannte Schriftsteller Alan Wake, schen. Lake ist auch nicht mitgefahren, als die Grafiker von Re- der einen Ortswechsel braucht, um auf neue Ideen zu kommen. medy in den Wäldern Washingtons Stimmungen eingefangen Als er mit seiner Frau im kleinen Ort Bright Falls eintrifft, trennen und Fotos gemacht haben. „Ich muss nicht mit Einheimischen sich die Realitätsebenen. Wakes Frau verschwindet, die Insel, auf an der Theke sitzen und Kaffee trinken. Mich interessiert die der er sie zuletzt gesehen hat, existiert seit Jahrzehnten nicht Wirklichkeit dort nicht.“ Die Fiktion ist viel aufregender. mehr, und verstreut in den dunklen Wäldern liegen Manu- skriptseiten, Teile eines Romans, den er selbst geschrieben hat, an den er sich aber nicht erinnern kann. Die Seiten wirken wie Alan Wake. Remedy/Microsoft für Xbox 360, ca. 60 Euro. Ab 14.5.

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