Die Tage Vor Hitlers Machtübernahme. Aufzeichnungen Des

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Die Tage Vor Hitlers Machtübernahme. Aufzeichnungen Des Dokumentation LARRY EUGENE JONES DIE TAGE VOR HITLERS MACHTÜBERNAHME Aufzeichnungen des Deutschnationalen Reinhold Quaatz* Am Tage nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler soll Alfred Hugenberg, der Führer der Deutschnationalen Volkspartei und mehrfache Minister im neuen Kabi­ nett, gesagt haben: „Ich habe gestern die größte Dummheit meines Lebens gemacht: ich habe mich mit dem größten Demagogen der Weltgeschichte verbündet."1 Das Zitat, obgleich nicht wörtlich verbürgt, spiegelt die Unsicherheit und die Besorgnis, die Hugenberg bei seinem Eintritt in das Kabinett empfand. Hugenbergs Unbeha­ gen beruhte wohl auf seinen Erfahrungen mit Hitler und auf den wiederholten Ent­ täuschungen, die er bei seinen Bemühungen um eine engere Zusammenarbeit mit der NSDAP erlebt hatte. 1929 hatte er sich zum ersten Mal mit Hitler zusammenge­ funden, im Reichsausschuß für das Volksbegehren gegen den Young-Plan, aus dem Hitler im April 1930 demonstrativ austrat, als Hugenberg und die DNVP zeitweilig das Kabinett Brüning unterstützten2. Achtzehn Monate später nahmen Hitler und Hugenberg an der großangelegten Kundgebung der nationalen Opposition in Bad Harzburg teil, die aber von vornherein durch erhebliche Spannungen zwischen Deutschnationalen und Nationalsozialisten belastet war3. Trotz Hugenbergs Bemü­ hungen um eine Verständigung mit Hitler und um die Aufrechterhaltung der Harz­ burger Front4 kam es im Frühjahr 1932 zu einem erneuten und endgültigen Bruch, als Hitler sich entschloß, gegen Hindenburg für das Amt des Reichspräsidenten zu kandidieren, und dadurch ein gemeinsames Eintreten der Harzburger Front zugun- * Für ihre Hilfe und Anregungen bei der Vorbereitung dieser Dokumentation bin ich Professor Wilma Iggers, Dr. Hans-Dieter Kreikamp, Thomas Maulucci und vor allem Professor Hans Mommsen dankbar. Parallel zu dieser Dokumentation erscheint als Band 59 der Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte: Die Deutschnationalen und die Zerstörung der Weima­ rer Republik. Aus dem Tagebuch von Reinhold Quaatz 1928-1933, hrsg. von Hermann Weiß und Paul Hoser, München 1989. 1 Gerhard Ritter, Carl Goerdeler und die deutsche Widerstandsbewegung, Stuttgart 1954, S. 64. 2 Dazu der Briefwechsel Hugenberg - Hitler, 17. 3.-11. 4. 1930; BA, NL Schmidt-Hannover, 30. 3 Dazu der Bericht von Heine (Stahlhelm), Die Harzburger Tagung, 12. 10. 1931; Stadtarchiv Mön­ chengladbach, NL Heinz Brauweiler (Bestand 15/13), Bd. 109, sowie Wredemann, Notizen über Harzburg, 18. 12. 1953; BA, NL Schmidt-Hannover, 78. 4 Dazu der Brief von Hugenberg an Hitler, 28.1.1932; BA, NL Schmidt-Hannover, 30. 760 Larry Eugene Jones sten des Stahlhelmführers Theodor Duesterberg vereitelte5. Infolgedessen nahmen Hugenberg und die DNVP anläßlich der Reichstagswahlen im Juli und November 1932 eine scharfe Kampfstellung gegen die NSDAP ein6 und konnten bei der zwei­ ten Wahl nicht unbeträchtliche Stimmengewinne aus dem nationalsozialistischen Lager für sich verbuchen7. Angesichts der tiefgreifenden Entfremdung, die sich zwischen Hugenberg und Hitler in den letzten Jahren der Weimarer Republik entwickelt hatte, ist der Ent­ schluß Hugenbergs, sich am 30. Januar 1933 auf ein Bündnis mit Hitler einzulassen, nur schwer zu erklären. Die Sekundärliteratur, einschließlich der grundlegenden Studie von Friedrich Freiherr Hiller von Gaertringen8 sowie der quellenmäßig gut fundierten Hugenberg-Biographie von John A. Leopold9, hat diese Frage nie befrie­ digend beantwortet. Die Aufgabe, Hugenbergs Verhalten in den kritischen Januar­ tagen 1933 zu erklären, ist auch nicht durch Einsichtnahme in die bisher bekannten einschlägigen Quellen zu lösen. Abgesehen von einigen interessanten Unterlagen, die Hugenberg für sein Entnazifizierungsverfahren verfaßte, enthält sein im Bun­ desarchiv Koblenz aufbewahrter Privatnachlaß weniges, was über seine Beweg­ gründe Aufschluß gibt. Die einzige publizierte Quelle, die aus dem Kreis der eng­ sten Mitarbeiter Hugenbergs stammt und dazu Stellung nimmt, sind die Erinnerun­ gen von Otto Schmidt-Hannover, die jedoch in erster Linie Hugenbergs Politik zu rechtfertigen suchen und deshalb mit größtem Vorbehalt verwendet werden müs­ sen10. Das gilt auch für die Aufzeichnungen, die Schmidt-Hannover nach 1945 ver­ faßt hat und die sich jetzt in seinem im Bundesarchiv aufbewahrten Nachlaß befin- 5 Siehe vor allem den Brief von Hugenberg an Hitler, 30. 3. 1932; BA, NL Hugenberg, 37, Bl. 38-47, abgedruckt in: Unsere Partei vom 15. 10. 1932, S. 343 f.; vgl. auch Volker R. Berghahn, Die Harz­ burger Front und die Kandidatur Hindenburgs für die Reichspräsidentenwahl 1932, in: VfZ 13 (1965), S. 64-82. 6 Dazu die Wahlrede Hugenbergs auf der DNVP-Reichsführertagung in Berlin am 25.-26. 7. 1932, in: Unsere Partei vom 1. 7. 1932, S. 167-170, sowie Anton Scheibe, DNVP und NSDAP. Was uns einigt und was uns trennt, Berlin 1932. 7 Zur deutschnationalen Polemik gegen Hitler bei der zweiten Reichstagswahl von 1932 siehe: Unsere Partei vom 15. 10. 1932, S. 341-344, und vom 1. 11. 1932, S. 379-384. 8 Friedrich Hiller von Gaertringen, Die Deutschnationale Volkspartei, in: Das Ende der Parteien 1933, hrsg. von Erich Matthias und Rudolf Morsey, Düsseldorf 1960, S. 543-652. 9 John A. Leopold, Alfred Hugenberg and the Radical Nationalist Campaign against the Weimar Republic, New Haven 1977, S. 127-138. Die grundlegende Studie von Thilo Vogelsang, Reichs­ wehr, Staat und NSDAP. Beiträge zur deutschen Geschichte 1920-1932, Stuttgart 1962, S. 335-404, ist immer noch die beste Untersuchung der Vorgeschichte zur Ernennung Hitlers zum Reichskanzler. Für die neuesten Forschungsbeiträge zur Bildung des Kabinetts Hitlers siehe Volker Hentschel, Weimars letzte Monate. Hitler und der Untergang der Weimarer Republik, Düsseldorf 1979, S. 79-101; Martin Broszat, Die Machtergreifung. Der Aufstieg der NSDAP und die Zerstö­ rung der Weimarer Republik, München 1984, S. 156-174; Gotthard Jasper, Die gescheiterte Zäh­ mung. Wege zur Machtergreifung Hitlers 1930-1934, Frankfurt 1986, S. 88-125; vgl. auch Hein­ rich Muth, Das „Kölner Gespräch" vom 4. Januar 1933, in: GWU 37 (1986), S. 463-480, 529-541. 10 Otto Schmidt-Hannover, Umdenken oder Anarchie. Männer - Schicksale - Lehren, Göttingen 1959, S. 317-343. Die Tage vor Hitlers Machtübernahme 761 den11. Der ebenfalls dort verwahrte Nachlaß von Leo Wegener, einem langjährigen Mitarbeiter und Freund Hugenbergs, wirft wenig Licht auf dessen Motive und Ziele im Januar 1933. Unter diesen Umständen gewinnt das inzwischen im Bundesarchiv zugängliche Tagebuch von Reinhold Quaatz (1876-1953) eine besondere Bedeutung12. Quaatz, der vom Oktober 1916 bis ins Jahr vor seinem Tod Aufzeichnungen machte, hatte seine politische Laufbahn als Reichstagsabgeordneter der Deutschen Volkspartei begonnen. Seit Anfang der zwanziger Jahre gehörte er zum engeren Kreis um Hugenberg. Innerhalb der DVP trat Quaatz als erklärter Gegner des politischen Kurses hervor, den die Partei unter der Führung Gustav Stresemanns eingeschlagen hatte13. Im August 1923 stemmte sich Quaatz gegen Stresemanns Entschluß, als Kanzler die Führung einer Regierung mit den Sozialdemokraten zu übernehmen, und im März 1924 gründete er zusammen mit anderen Vertretern des rechten Par­ teiflügels die Nationalliberale Vereinigung. Unter der Parole „Heraus aus der Stre- semann-Partei" sollte eine Spaltung der DVP in die Wege geleitet werden14. Nach­ dem aber Stresemann die Partei in der Hand zu halten vermochte, entschloß sich Quaatz, zur Deutschnationalen Volkspartei überzutreten15. Dank Hugenberg erhielt er einen sicheren Platz auf der DNVP-Reichsliste für die Reichstagswahl am 6. Mai 1924. Auch innerhalb der DNVP gehörte Quaatz zum rechten Flügel und unterstützte Hugenberg in dem von 1924 bis 1928 währenden Kampf gegen die zunehmende Tendenz der deutschnationalen Parteiführung, sich mit der Weimarer Republik zu arrangieren. Entschieden trat Quaatz für die Wahl Hugenbergs zum deutschnatio­ nalen Parteivorsitzenden ein16; der 20. Oktober 1928 bezeichnete deshalb den Anfang eines neuen Stadiums in seiner politischen Laufbahn. In den innerparteili­ chen Krisen von 1928 bis 1930 gehörte Quaatz zu den treuesten Anhängern Hugen­ bergs, wobei er dessen scharfe Rechtsschwenkung sowie den unerbittlichen Kampf gegen das Kabinett Brüning bedingungslos unterstützte17. Aber gemeinsam mit anderen Deutschnationalen hegte Quaatz stets tiefes Mißtrauen gegen die Versuche Hugenbergs, sich mit Hitler und der NS-Führung zu verständigen. Denn Quaatz war jüdischer Abstammung - sein Cousin war Ludwig Holländer, ein führender 11 So z. B. Aufzeichnungen betreffend Regierungsbildung, 18.11.1948; BA, NL Schmidt-Hannover, 30. In seinen Erinnerungen hat Schmidt-Hannover Auszüge daraus mehrmals zitiert, aber das Tage­ buch seines früheren Adjutanten Herbert von Bose (1893-1934) als Quelle angegeben. Da das Bose-Tagebuch nicht mehr auffindbar ist, lassen sich die Echtheit und Vollständigkeit dieser Auf­ zeichnungen nicht mehr überprüfen. 12 BA, NL Quaatz, 16-17. 13 Dazu vor allem die undatierte Denkschrift: Betrifft: Geheimrat Dr. Quaatz; [ca. Februar/März 1924], PA/AA, NL Stresemann, 267, Bl. 147 061-68. 14 Quaatz-Tagebuch, 2. 4. 1924; BA, NL Quaatz, 16. 15 Ebenda, 14.-15.4. 1924. 16 Ebenda, 8.-9.7. und 16.-21. 10. 1928. 17 Ebenda, 11.-23.9.1929, 19.11.-7.12.1929 und 31.3.-14.4.1930. 762 Larry Eugene Jones Akteur im Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens18 - und sich durchaus bewußt, daß der Sieg des Nationalsozialismus das Ende seiner politischen Laufbahn bedeuten würde19. 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