März 2004 9. Jahrgang TRI NGEL Jahrespreis 18,40 € Das Radio zum Lesen ISSN 1432-9476

Das Kultur-Radio MUSIK AUS TONFILM UND RÖHRENRADIO Künstler in der Emigration „Ein Lied geht um die Welt“ Joseph Schmidt zum 100. Geburtstag von Jens Uwe Völmecke Dokument: Sammlung Völmecke Sammlung Dokument: Der Sänger Joseph Schmidt in seiner Theatergarderobe im Großen Schauspielhaus (Drei Musketiere) Die Operette wurde vom Rundfunk live am 30. November 1929 aus dem Theater übertragen. 14 MUSIK AUS TONFILM UND RÖHRENRADIO Künstler in der Emigration

Legenden spinnen sich um den „klei- nen Mann“ mit der großen Stimme. Zu klein gewachsen, um eine Büh- nenkarriere einschlagen zu können, aber mit einer Stimme gesegnet, die Archiv Schmidt Joseph Foto: über das Medium Rundfunk und die Schallplatte den Hörer unwillkürlich in seinen Bann zog. Metallisch auf- strahlend, mühelos das hohe „D“ er- reichend und dabei von einer Leich- tigkeit und Beweglichkeit, wie man sie sonst nur bei ganz wenigen Tenören des 20. Jahrhunderts findet, erober- te sich diese Stimme innerhalb kürzes- ter Zeit im wahrsten Sinne des Wor- tes die Welt. teil von dem darstellt, was man von Die Familie Schmidt in Geboren wird Joseph Schmidt am 4. einem seines Formats erwar- Czernowitz, 1934 März 1904 in dem kleinen Ort Da- tet. Erste öffentliche Auftritte finden von links: Joseph, Mut- ter Schmidt, Schwestern vidende (Davidney) in Rumänien. Die in der Czernowitzer Lokalpresse Betty und Regina, Vater Eltern Wolf und Sarah Schmidt sind durchaus positive Resonanz, und die Schmidt, Schwester Pächter eines kleinen und beschei- Kritiker prophezeien dem jungen Mariem, Bruder Schlom, zweiter von rechts: Leo denen Hofes, der die Familie mehr Sänger eine große Zukunft. Er findet Engel. schlecht als recht ernähren kann. Bei Förderer – darunter der einflussrei- Ausbruch des ersten Weltkrieges che Parlamentarier Dr. Mayer-Ebner übersiedelt die gesamte Familie je- –, die sich für eine weitere Ausbil- doch nach Czernowitz. Als Kind or- dung der Stimme in einsetzen thodoxer Juden, der Vater ist ein und entsprechende Empfehlungs- strenggläubiger Chassid, singt Jo- schreiben ausstellen. Um eine kostspie- seph schon als Jugendlicher in der lige Unterkunft braucht sich Schmidt Synagoge, und hier, in diesem reli- keine Sorgen zu machen, denn ein giös geprägten Umfeld, erhält er auch seinen ersten Gesangsunter- richt, der ihn in die Geheimnisse des jüdischen Synagogengesangs mit sei- nen kunstvollen vokalen Verzierun- Foto: Joseph Schmidt Archiv Schmidt Joseph Foto: gen wie Trillern und Koloraturen ein- führt. Josef Towstein, der Leiter der Chorschule des Czernowitzer Tem- pels, ein früher Freund und Förderer des jungen Joseph Schmidt, vermit- telt dem 18-Jährigen die Aufnahme in die Gesangsklasse der bedeu- tendsten Stimmpädagogin von Czernowitz, Frau Felicita Lerchenfeld- Hrimaly, und schon in dieser Zeit stellt sich die Frage, was mit einer Joseph Schmidt als derart ungewöhnlichen Stimme an- Bruder der Mutter lebt in Berlin. Bei Kantor in Berlin, 1928 zufangen sei: Kantor, Tempelsänger ihm kann er wohnen. Dieser Mann, links: oder Opernstar? Gegen die letzte Va- Leo Engel, von Schmidt Onkel Leo Joseph Schmidt mit riante spricht Schmidts auffallend genannt, sollte später Schmidts Ma- seiner Mutter Sarah und „Onkel“ Leo, 1934 kleiner Wuchs, der das genaue Gegen- nager werden – ein Manager jedoch, 15 MUSIK AUS TONFILM UND RÖHRENRADIO Künstler in der Emigration

der jüdischen Ge- meinde von Czer- nowitz mit, dann führt sein Weg zurück nach Ber- lin, um die abge- brochene Ge- sangsausbildung wieder aufzuneh- men. Der Rundfunk ist das neue Me- dium, das die Menschen mit- einander verbin- det und die Mu- sik direkt per Lautsprecher ins Haus bringt. Hier herrscht großer Bedarf, und der

Dokument: Sammlung Völmecke Sammlung Dokument: Leiter der musika- Vorankündigung in der der in aller erster Linie sein eigenes lischen Abteilung, Kammersänger Ausgabe der „Funk- Wohl und nicht das seines in wirt- Cornelis Bronsgeest, ist auf der Suche stunde” Nr. 16 vom 12. April 1929. Der erste schaftlichen Dingen zeitlebens etwas nach neuen Talenten. Der Beginn Rundfunkauftritt von naiven Schützlings im Auge haben von Joseph Schmidts Rundfunkkar- Joseph Schmidt als Vas- sollte. Ende der 20er Jahre sichert riere sollte wenige Jahre später in sei- co da Gama in Giaco- mo Meyerbeers Oper sich Leo Engel per Vertrag ein Drittel nem ersten großen Erfolgsfilm „Ein „Die Afrikanerin” am aller Einkünfte aus Rundfunkübertra- Lied geht um die Welt“ etwas ro- 18. April 1929, 20.00 gungen, Schallplatten- und Filmauf- mantisierend nachgestellt werden. Uhr nahmen sowie von den zahlreichen Im Wesentlichen stimmt die Szene Konzertauftritten. jedoch: keiner der anwesenden 1925 beginnt Joseph Schmidt ein Herrn vom Rundfunk – Kammersän- Gesangstudium in Berlin bei Her- ger Bronsgeest inklusive – glaubt, mann Weißenborn, das ein Jahr spä- dass der kleine Mann, der kaum über ter durch die Einberufung zum Mili- den Flügel schauen kann, auch nur ei- tärdienst nach Rumänien unterbro- nen vernünftigen Ton hervorbringen chen wird. 1926 verlässt Schmidt kann. Umso erstaunter ist man, als Berlin um seinen 20-monatigen Sol- dieser schließlich die „Stretta“ aus datendienst abzuleisten. Verständi- Verdis „Troubadour“ in der Original- ge Vorgesetze vermitteln ihm einen tonart, C-Dur, zum Besten gibt. Cor- Posten bei einer Militärkapelle. Ge- nelis Bronsgeest hat die Ereignisse gen Ende des Jahres 1927 wird er während der ersten Begegnung mit entlassen, und nur wenige Wochen Joseph Schmidt später niederge- später wirkt er wiederum bei meh- schrieben: „Der Flügel war mit der reren musikalischen Veranstaltungen Klaviatur dem Fenster zugekehrt, die 16 MUSIK AUS TONFILM UND RÖHRENRADIO Künstler in der Emigration

Zimmerecken blieben dunkel. In einer Joseph Schmidts Rundfunkdebüt er- solchen Ecke saß auf einem Stuhl folgt am 18. April 1929 um 20.00 eine kleine, unscheinbare Gestalt. Uhr mit einer der heikelsten Partien, Meine Getreuen umstanden den Flü- die es in der Opernliteratur für Tenö- gel, heftig diskutierend mit Ben re gibt. Schmidt singt die Rolle des Geysel, der leise phantasierend eini- in einer Übertragung ge flüchtig angedeutete Akkorde in von Giacomo Meyerbeers „Afrika- die Unterhaltung mischte. ‚Wo ist nerin“. Seine Partner sind Mafalda er?‘, fragte ich in die Versammlung hin- Salvatini, Carl Braun und Cornelis ein. Man schaute sich suchend um, Bronsgeest persönlich, der die Par- und alle Blicke hafteten auf dem Klei- tie des Nelusco singt. nen da im Stuhl. ‚Sollte die Rassel- Nur einen guten Monat später, am bande mich vielleicht zum Besten 28. Mai 1929, besingt er zusammen halten‘ – so huschte es mir durch mit der Sopranistin Goeta Ljungberg den Kopf, so wie sie es manchmal seine erste kommerzielle Schallplatte, tat, wenn man eine kurze Ablenkung das Liebesduett aus Puccinis Oper von meiner damals übermäßigen „Tosca“. Im August 1929 wird Jo- Arbeitswut für nötig erachtete. Die seph Schmidt von der neu gegrün- kleine Gestalt stand auf, die Anwesen- deten holländischen Schallplattenfir- den schauten auf ihn. Noch immer be- ma „Ultraphon“ unter Vertrag ge- griff ich nicht, was vorging, bis Ar- nommen. Diese Gesellschaft, die nur thur Grosse mit zynischem Lächeln bis 1931 besteht und schließlich vom und vorstellender Handbewegung Telefunken-Konzern übernommen sagte: ‚Herr Schmidt möchte ihnen et- wird, bringt in den beiden Folgejah- was vorsingen.‘ Dieser machte zu mir ren eine Vielzahl von Aufnahmen nun eine – wie mir schien – patheti- heraus, die einen erfreu- sche Verbeugung, so daß ich nun lichen Kontrast zu den ab nachdenklich die Pointe dieses of- 1932 folgenden Aufnah- fenbar von Witzbold Grosse ausge- men für den Lindström- dachten Scherzes erwartete. Ich sah Konzern und seine bei- die verschmitzt lächelnden Gemüter den Marken „Parlophon“ Völmecke Sammlung Dokument: um mich herum und sagte ermuti- und „Odeon“ darstellen. gend und gut gelaunt: ‚Dann mal zu‘ Während sich ab 1932 und setzte mich in gesicherter Ent- Schmidts Schallplatten- fernung. ‚Was wollen Sie singen?‘„ repertoire immer mehr in fragte Ben Geysel, zum Kleinen ge- den Bereich der populä- wandt. ‚Was Sie wollen‘, gab dieser ren Unterhaltungsmusik zurück. Dann intonierte Geysel verlagert, hören wir den plötzlich die Stretta aus Verdis Trou- Sänger auf „Ultraphon“ badour. ‚In Original C-Dur‘, kreisch- mit Arien von Mozart, te seine blecherne Stimme, während Donizetti, Verdi, Puccini, er die Akkorde hämmerte. ‚Lodern Halévy, Mascagni und zum Himmel seh‘ ich die Flammen‘, Smetana. sang da jemand. Ich erschrak, schau- Rundfunk und Schallplatte bilden Das erste Werbephoto te zu dem Kleinen. Wahrhaftig, der künftig das Fundament für Joseph von Joseph Schmidt aus dem Monatskatalog der sang, ich traute meinen Ohren kaum. Schmidts Karriere. Die Opernbühne Firma „Ultraphon” vom (…) Es stimmte, die Töne kamen von bleibt ihm weitgehend verschlossen. Oktober 1930. Motto: Ul- ihm, aus seiner Kehle, aus diesem 1929 tritt er in der Eric Charell-Insze- traphon spiegelt den Ton! kleinen Menschen, dessen Kopf nierung der Operette „Die drei Mus- kaum bis zu meiner Brusthöhe reich- ketiere“ im Großen Schauspielhaus te. (…)“ auf. Eine Nebenrolle zwar, doch in 17 MUSIK AUS TONFILM UND RÖHRENRADIO Künstler in der Emigration

der Rolle eines Zigeuners und mit Walter, Rudolf Hindemith, Hermann dem Tangolied „Wenn du treulos Scherchen, Alexander von Zemlinsky, bist“, das vom Komponisten Ralph Max von Schillings, Georg Széll, Leo Benatzky eigens für ihn „maßge- Blech und viele andere. Mit dem Jahr schneidert“ wird, hat er allabendlich 1933 findet diese glanzvolle Rund- großen Erfolg. Einen ähnlichen funkkarriere ein jähes Ende. Nur „Gastauftritt“ wird er 1931 noch ein- noch zwei Opernübertragungen sind mal in einer Inszenierung der Johann es, in denen Schmidt mitwirken Strauß-Operette „Indigo oder die 40 kann, am 20. Februar „Der Barbier Räuber“ haben. Viel wichtiger jedoch von Bagdad“ unter Max von Schil- sind die nun regelmäßig einsetzenden lings und am 16. Oktober „Der Bar- Konzertauftritte und die Beschäfti- bier von Sevilla“ unter Julius Ehrlich, gung beim Rundfunk. Am 8. Januar dann wird Joseph Schmidt für den 1930 geht Mozarts Oper „Idome- deutschen Rundfunk gesperrt. neo“ über den Sender. Am Dirigen- Mit dem Film „Ein Lied geht um die tenpult steht Bruno Walter, Schmidt Welt“, der im Jahr 1932 gedreht wird singt die Titelpartie, seine weiblichen und der noch am 9. Mai 1933 in Ber- Partnerinnen sind Berta Kiurina und lin eine grandiose Uraufführung erlebt, Emmy Bettendorf, zwei weitere Publi- befindet sich Joseph Schmidt gleich- kumslieblinge ihrer Zeit. zeitig auf dem Höhe- und Wende- Allein 1929 wirkt punkt zu einer zweiten, vielleicht Schmidt in neun noch publikumswirksameren Karrie- Gesamtübertra- re. Noch mehr als der Rundfunk ist das gungen mit, nach Kino geeignet, die Popularität eines der „Afrikanerin“ Künstlers zu fördern. Schmidts ers- am 18. April ist er ter Film, in dem er eine Hauptrolle noch in folgen- spielt, den kleinwüchsigen Sänger den Werken zu Riccardo, der auf die große Liebe sei- hören: „Martha“ nes Lebens verzichten muss, weil die- (12. Mai), „Die se zwar seine Stimme bewundert, Stumme von Por- ansonsten aber nur Augen für den tici“ (14. Juni), gutaussehenden Freund des Sängers „Robert der Teu- hat, trägt unverkennbar autobiogra- fel“ (22. August), phische Züge. Zuvor ist Schmidt „Wilhelm Tell“ schon in einer Nebenrolle in der Ton- (20. September), filmkomödie „Der Liebesexpress“ „Die drei Muske- aufgetreten. „Ein Lied geht um die tiere“ (8. Okto- Welt“ soll der Startschuss für eine ber) und „Louise“ verheißungsvolle Filmkarriere sein,

Dokument: Sammlung Völmecke Sammlung Dokument: am 10. Oktober die jedoch ebenfalls von den Natio- Titelblatt der „Funk- mit Wiederholung am 11. Oktober. nalsozialisten zunichte gemacht wird. stunde“ vom 27. No- Zehn weitere Gesamtwerke folgen Eins der ersten Opfer der brauen vember 1931 zur Über- tragung des „Theater- im Jahr 1930, elf sind es im Jahr Hetzpresse ist Joseph Schmidt. Sei- Sendespiels 1001 1931 und zwölf im Jahr 1932. Auf ne weiteren Filme werden in Öster- Nacht“ aus der Berliner dem Höhepunkt seiner Rundfunk- reich gedreht und kommen in Kroll-Oper karriere ist Joseph Schmidt jeden Deutschland nicht mehr zum Einsatz. Das einzige offizielle Bühnenfoto von Joseph Monat mit einer großen Funkopern- Gleichwohl kann man aber seine Schmidt produktion über den Berliner Sender Schallplatten, einschließlich der Neu- zu hören. Er singt mit allen großen aufnahmen, die ab November 1933 Sängerpersönlichkeiten seiner Zeit. in Wien und London entstehen, Seine Dirigenten sind neben Bruno noch bis 1938 in deutschen Schall- 18 MUSIK AUS TONFILM UND RÖHRENRADIO Künstler in der Emigration plattengeschäften käuf- lich erwerben, der Re- pertoireschwerpunkt Ullstein Foto: liegt jedoch nach 1933 eindeutig bei der leichten Muse. Beson- ders seine populären Filmschlager, allesamt von dem Komponis- tengespann Hans May und Ernst Neubach komponiert, finden reißenden Absatz. Mit der Vertreibung aus Deutschland be- ginnt Joseph Schmidts Stern allmählich zu sin- ken. Langsam zwar und kaum spürbar, aber der Nieder- hauptsächlich geht er nun auf Kon- Joseph Schmidt mit gang ist nicht aufzuhalten. Der Sän- zerttourneen. 1935 singt er zum ers- dem Komponisten Eduard Künneke am ger bereist die ganze Welt. In Hol- ten Mal in den USA und erhält astro- Dirigentenpult bei ei- land ist er regelmäßig zu Gast, eben- nomische Gagen, ebenso wird er in ner Orchesterprobe, so in London, wo er englischsprachi- Israel gefeiert, doch mit dem An- 1932 ge Versionen von zwei Filmen dreht schluss Österreichs an das Deutsche („My song goes round the world“ Reich beginnt die Flucht von Neu- und „A star falls from heaven“). Wien em. Der Gedanke an eine Ausreise wird zur neuen künstlerischen Hei- nach Amerika ist ihm fremd. Er mat. Hier in den Tobis-Sascha Ate- möchte in der Nähe seiner Familie liers in Rosenhügel dreht er 1934 bleiben, die immer noch in Rumä- und 1935 noch drei Filme: „Wenn nien wohnt. Somit bleiben nur noch du jung bist, gehört dir die Welt“ und die Schweiz, Frankreich und die Be- „Ein Stern fällt vom Himmel“ (beide neluxländer. In dieser aufregenden 1934) und als letzten schließlich Zeit wird dennoch einer seiner größ- „Heut‘ ist der schönste Tag in mei- ten Wünsche Wirklichkeit. Am 20. nem Leben“ (1935). Der Titelschla- Januar 1939 singt er im Brüsseler ger des Films sollte, ähnlich wie Opernhaus die Partie des Rodolfo in schon 1933 „Ein Lied geht um die Puccinis „La Bohème“. Die Kritiken Welt“, zu einer Art Erkennungsmelo- sind freundlich wohlgesonnen und die des Sängers werden. Keiner hat machen Mut für eine kleine Gast- diesen beschwingten Foxtrott jemals spielreise nach Lüttich, Gent, Brüg- wieder so bravourös gesungen wie er, ge, Courtraus, Ostende und Verviers. und viele Tenorkollegen haben sich Auch Schmidts Manager, Onkel Leo daran versucht. In Österreich geht Engel, ist zwischenzeitlich nach Bel- Joseph Schmidt auch die Ehe mit Lot- gien übergesiedelt. Hier kassiert er te Kohn, einer ehemaligen Bewun- zwar noch das seinerzeit vereinbarte derin, ein, die allerdings nicht von vertragliche Drittel der Gagen des Bestand ist. Immerhin geht aus die- Sängers, kümmert sich aber ansons- ser Beziehung ein Sohn hervor, der am ten wenig um sein Fortkommen. 29. Oktober 1935 das Licht der Welt Mit dem Beginn des Zweiten Weltkrie- erblickt. Zwar kehrt Schmidt immer ges beginnt die Reise ins Verderben. wieder nach Wien zurück, doch Die Benelux-Staaten werden von 19 MUSIK AUS TONFILM UND RÖHRENRADIO Künstler in der Emigration Dokument: Sammlung Völmecke Sammlung Dokument:

Zwei Illustrierte deutschen Truppen überrannt. In den den verweigern die Reiseerlaubnis. Filmkuriere: Niederlanden, bisher eine „sichere So muss er das kostbare Dokument „Ein Lied geht um die Bank“ für Schmidt, findet er keine per Post anfordern. Wiederum ver- Welt”, der noch 1933 in Berlin uraufgeführt Beschäftigung mehr. Für sein hollän- rinnt wertvolle Zeit. Da wird der ame- wurde, sowie der in disches Publikum hat er sogar eigens rikanische Marinestützpunkt Pearl Österreich produzierte, ein für ihn komponiertes Lied in hol- Harbour von den Japanern bombar- in Deutschland aber nicht mehr gezeigte ländischer Sprache auf Schallplatte diert. Die USA treten in den Krieg ein Film „Wenn du jung gesungen: „Ik hou van Holland“ (Ich und gleichzeitig auch Kuba. Einen bist, gehört dir die liebe Holland). Zu den existenziellen Tag vor Schmidts geplanter Ausrei- Welt” von 1934 Problemen kommt die Sorge um die se wird der Schiffsverkehr eingestellt. Familie, die in Rumänien zurückge- Im März 1942 erhält er eine neue blieben ist und mit der er nun kei- Chance. Der portugiesische Konsul nen Kontakt mehr hat. Auf abenteu- erteilt Schmidt ein Transitvisum nach erlichen Wegen gelangt er schließ- Kuba, doch in diesem Fall verwei- lich zusammen mit einem befreun- gern die französischen Behörden die deten Ehepaar nach Nizza in Süd- Reise und annullieren gleichzeitig sei- frankreich, wo sie zusammen eine ne Aufenthaltsgenehmigung für Niz- provisorische Unterkunft finden. za. In den Mühlen der Bürokratie Noch besteht Interesse an dem wird der Sänger regelrecht zermah- Künstler Joseph Schmidt. Ein ameri- len. Seine finanziellen Mittel sind in- kanischer Künstleragent besorgt ein zwischen vollkommen aufgezehrt, Ausreisevisum nach Kuba, das er sich und an seine üppig gefüllten Bankkon- allerdings persönlich beim kubani- ten in den USA kommt er nicht her- schen Konsul in Marseille abholen an. Verzweifelt leiht er sich Geld und muss, doch die französischen Behör- versucht eine Einreise in die Schweiz. 20 MUSIK AUS TONFILM UND RÖHRENRADIO Künstler in der Emigration Foto: Joseph Schmidt Archiv Schmidt Joseph Foto: Zweimal wird er an der Schweizer Grenze zurückgewiesen, dann ge- lingt ihm zusammen mit einigen an- deren Verzweifelten die illegale Ein- reise über die grüne Grenze. Am 9. Oktober 1942 meldet er sich in Zürich polizeilich an. Und wieder setzt sich das Mahlwerk der Bürokratie in Bewe- gung. Diesmal noch gründlicher als in Frankreich. Der Sänger ist illegal ein- sich aufwärmen kann. Sie entspricht Schuldschein vom gereist, hat keinerlei finanzielle Mit- auch seinem Wunsch, einige Stun- 10. Mai 1942 tel und – so schreibt es sein Biograph den dort zu schlafen. Um 10 Uhr 30 Alfred Fassbind, „er war der berühm- setzt Übelkeit ein, eilig wird der Lager- te Joseph Schmidt, einer der meistge- arzt gerufen. Um 11 Uhr 10 stirbt haßten des Naziregimes. Daß dieser der Sänger Joseph Schmidt an Herz- nun ausgerechnet in der Schweiz versagen. Der Totenschein vermerkt: auftauchte, war den Behörden ver- „Montag, 16. November 1942. ständlicherweise besonders unange- Schmidt, Joseph 38 Jahre, 8 Mona- nehm.“ Trotz sichtlich und ärztlich at- te, 12 Tage, staatenlos“. testierter angeschlagener Gesund- Die Beerdigung findet zwei Tage spä- heit wird Schmidt in das Auffangla- ter auf dem Friedhof Unterer Frie- ger Girenbad bei Zürich eingewie- senberg statt. sen. Freunde und auch eine bekann- Joseph Schmidts Mutter hat den te Schweizer Konzertdirektion set- Krieg und die Pogrome überlebt. Sie zen sich dafür ein, dass Schmidt wie- starb am 31. Mai 1950 in Rumänien. der singen kann, um somit wieder fi- Jürgen Kesting schreibt über den nanziell unabhängig zu sein. Die Be- Sänger: „Es ist die Geschichte einer hörden verweigern die Arbeitsgeneh- magisch begnadeten Stimme, in de- migung. Das Lagerleben ist hart, die ren Klang das ‚launische Glück‘ er- Nächte sind kalt. Joseph Schmidt ahnt wurde (...) Schmidt singt mit lei- fühlt sich nicht wohl, und die Ärzte dender Inbrunst – und in seinen konstatieren eine Erkältung. Er be- größten Momenten mit einer todbe- klagt sich über Schmerzen in der rührten“. Brust, man hält ihn für einen Simulan- ten. Endlich wird er in ein Krankenhaus FIGARO am Abend Musik aus Tonfilm und eingewiesen, doch die Ärzte behan- Röhrenradio deln nur seinen angeblichen Katarrh. Nach kurzer Zeit wird er wieder als „la- Sa., 6. März • 21.00 – 22.00 Uhr gerfähig“ entlassen. Auch die Für- sprache guter Freunde nutzt nichts. ! Buch-Tipp: Die Behörden sind unerbittlich. Am 16. November unternimmt der Sänger Alfred A. Fassbind einen Spaziergang vom Lager aus in Joseph Schmidt. Ein Lied geht um die Welt – Spurensuche einer das nahegelegene Restaurant „Wald- Legende egg“. Die Wirtin ist freundlich und Eine Biographie – Schweizer Verlagshaus führt ihn in ein Zimmer, in dem er ISBN 3-7263-6664-4 21