NGEL Jahrespreis 18,40 € Das Radio Zum Lesen ISSN 1432-9476
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März 2004 9. Jahrgang TRI NGEL Jahrespreis 18,40 € Das Radio zum Lesen ISSN 1432-9476 Das Kultur-Radio MUSIK AUS TONFILM UND RÖHRENRADIO Künstler in der Emigration „Ein Lied geht um die Welt“ Joseph Schmidt zum 100. Geburtstag von Jens Uwe Völmecke Dokument: Sammlung Völmecke Sammlung Dokument: Der Sänger Joseph Schmidt in seiner Theatergarderobe im Großen Schauspielhaus (Drei Musketiere) Die Operette wurde vom Rundfunk live am 30. November 1929 aus dem Theater übertragen. 14 MUSIK AUS TONFILM UND RÖHRENRADIO Künstler in der Emigration Legenden spinnen sich um den „klei- nen Mann“ mit der großen Stimme. Zu klein gewachsen, um eine Büh- nenkarriere einschlagen zu können, aber mit einer Stimme gesegnet, die Archiv Schmidt Joseph Foto: über das Medium Rundfunk und die Schallplatte den Hörer unwillkürlich in seinen Bann zog. Metallisch auf- strahlend, mühelos das hohe „D“ er- reichend und dabei von einer Leich- tigkeit und Beweglichkeit, wie man sie sonst nur bei ganz wenigen Tenören des 20. Jahrhunderts findet, erober- te sich diese Stimme innerhalb kürzes- ter Zeit im wahrsten Sinne des Wor- tes die Welt. teil von dem darstellt, was man von Die Familie Schmidt in Geboren wird Joseph Schmidt am 4. einem Tenor seines Formats erwar- Czernowitz, 1934 März 1904 in dem kleinen Ort Da- tet. Erste öffentliche Auftritte finden von links: Joseph, Mut- ter Schmidt, Schwestern vidende (Davidney) in Rumänien. Die in der Czernowitzer Lokalpresse Betty und Regina, Vater Eltern Wolf und Sarah Schmidt sind durchaus positive Resonanz, und die Schmidt, Schwester Pächter eines kleinen und beschei- Kritiker prophezeien dem jungen Mariem, Bruder Schlom, zweiter von rechts: Leo denen Hofes, der die Familie mehr Sänger eine große Zukunft. Er findet Engel. schlecht als recht ernähren kann. Bei Förderer – darunter der einflussrei- Ausbruch des ersten Weltkrieges che Parlamentarier Dr. Mayer-Ebner übersiedelt die gesamte Familie je- –, die sich für eine weitere Ausbil- doch nach Czernowitz. Als Kind or- dung der Stimme in Berlin einsetzen thodoxer Juden, der Vater ist ein und entsprechende Empfehlungs- strenggläubiger Chassid, singt Jo- schreiben ausstellen. Um eine kostspie- seph schon als Jugendlicher in der lige Unterkunft braucht sich Schmidt Synagoge, und hier, in diesem reli- keine Sorgen zu machen, denn ein giös geprägten Umfeld, erhält er auch seinen ersten Gesangsunter- richt, der ihn in die Geheimnisse des jüdischen Synagogengesangs mit sei- nen kunstvollen vokalen Verzierun- Foto: Joseph Schmidt Archiv Schmidt Joseph Foto: gen wie Trillern und Koloraturen ein- führt. Josef Towstein, der Leiter der Chorschule des Czernowitzer Tem- pels, ein früher Freund und Förderer des jungen Joseph Schmidt, vermit- telt dem 18-Jährigen die Aufnahme in die Gesangsklasse der bedeu- tendsten Stimmpädagogin von Czernowitz, Frau Felicita Lerchenfeld- Hrimaly, und schon in dieser Zeit stellt sich die Frage, was mit einer Joseph Schmidt als derart ungewöhnlichen Stimme an- Bruder der Mutter lebt in Berlin. Bei Kantor in Berlin, 1928 zufangen sei: Kantor, Tempelsänger ihm kann er wohnen. Dieser Mann, links: oder Opernstar? Gegen die letzte Va- Leo Engel, von Schmidt Onkel Leo Joseph Schmidt mit riante spricht Schmidts auffallend genannt, sollte später Schmidts Ma- seiner Mutter Sarah und „Onkel“ Leo, 1934 kleiner Wuchs, der das genaue Gegen- nager werden – ein Manager jedoch, 15 MUSIK AUS TONFILM UND RÖHRENRADIO Künstler in der Emigration der jüdischen Ge- meinde von Czer- nowitz mit, dann führt sein Weg zurück nach Ber- lin, um die abge- brochene Ge- sangsausbildung wieder aufzuneh- men. Der Rundfunk ist das neue Me- dium, das die Menschen mit- einander verbin- det und die Mu- sik direkt per Lautsprecher ins Haus bringt. Hier herrscht großer Bedarf, und der Dokument: Sammlung Völmecke Sammlung Dokument: Leiter der musika- Vorankündigung in der der in aller erster Linie sein eigenes lischen Abteilung, Kammersänger Ausgabe der „Funk- Wohl und nicht das seines in wirt- Cornelis Bronsgeest, ist auf der Suche stunde” Nr. 16 vom 12. April 1929. Der erste schaftlichen Dingen zeitlebens etwas nach neuen Talenten. Der Beginn Rundfunkauftritt von naiven Schützlings im Auge haben von Joseph Schmidts Rundfunkkar- Joseph Schmidt als Vas- sollte. Ende der 20er Jahre sichert riere sollte wenige Jahre später in sei- co da Gama in Giaco- mo Meyerbeers Oper sich Leo Engel per Vertrag ein Drittel nem ersten großen Erfolgsfilm „Ein „Die Afrikanerin” am aller Einkünfte aus Rundfunkübertra- Lied geht um die Welt“ etwas ro- 18. April 1929, 20.00 gungen, Schallplatten- und Filmauf- mantisierend nachgestellt werden. Uhr nahmen sowie von den zahlreichen Im Wesentlichen stimmt die Szene Konzertauftritten. jedoch: keiner der anwesenden 1925 beginnt Joseph Schmidt ein Herrn vom Rundfunk – Kammersän- Gesangstudium in Berlin bei Her- ger Bronsgeest inklusive – glaubt, mann Weißenborn, das ein Jahr spä- dass der kleine Mann, der kaum über ter durch die Einberufung zum Mili- den Flügel schauen kann, auch nur ei- tärdienst nach Rumänien unterbro- nen vernünftigen Ton hervorbringen chen wird. 1926 verlässt Schmidt kann. Umso erstaunter ist man, als Berlin um seinen 20-monatigen Sol- dieser schließlich die „Stretta“ aus datendienst abzuleisten. Verständi- Verdis „Troubadour“ in der Original- ge Vorgesetze vermitteln ihm einen tonart, C-Dur, zum Besten gibt. Cor- Posten bei einer Militärkapelle. Ge- nelis Bronsgeest hat die Ereignisse gen Ende des Jahres 1927 wird er während der ersten Begegnung mit entlassen, und nur wenige Wochen Joseph Schmidt später niederge- später wirkt er wiederum bei meh- schrieben: „Der Flügel war mit der reren musikalischen Veranstaltungen Klaviatur dem Fenster zugekehrt, die 16 MUSIK AUS TONFILM UND RÖHRENRADIO Künstler in der Emigration Zimmerecken blieben dunkel. In einer Joseph Schmidts Rundfunkdebüt er- solchen Ecke saß auf einem Stuhl folgt am 18. April 1929 um 20.00 eine kleine, unscheinbare Gestalt. Uhr mit einer der heikelsten Partien, Meine Getreuen umstanden den Flü- die es in der Opernliteratur für Tenö- gel, heftig diskutierend mit Ben re gibt. Schmidt singt die Rolle des Geysel, der leise phantasierend eini- Vasco da Gama in einer Übertragung ge flüchtig angedeutete Akkorde in von Giacomo Meyerbeers „Afrika- die Unterhaltung mischte. ‚Wo ist nerin“. Seine Partner sind Mafalda er?‘, fragte ich in die Versammlung hin- Salvatini, Carl Braun und Cornelis ein. Man schaute sich suchend um, Bronsgeest persönlich, der die Par- und alle Blicke hafteten auf dem Klei- tie des Nelusco singt. nen da im Stuhl. ‚Sollte die Rassel- Nur einen guten Monat später, am bande mich vielleicht zum Besten 28. Mai 1929, besingt er zusammen halten‘ – so huschte es mir durch mit der Sopranistin Goeta Ljungberg den Kopf, so wie sie es manchmal seine erste kommerzielle Schallplatte, tat, wenn man eine kurze Ablenkung das Liebesduett aus Puccinis Oper von meiner damals übermäßigen „Tosca“. Im August 1929 wird Jo- Arbeitswut für nötig erachtete. Die seph Schmidt von der neu gegrün- kleine Gestalt stand auf, die Anwesen- deten holländischen Schallplattenfir- den schauten auf ihn. Noch immer be- ma „Ultraphon“ unter Vertrag ge- griff ich nicht, was vorging, bis Ar- nommen. Diese Gesellschaft, die nur thur Grosse mit zynischem Lächeln bis 1931 besteht und schließlich vom und vorstellender Handbewegung Telefunken-Konzern übernommen sagte: ‚Herr Schmidt möchte ihnen et- wird, bringt in den beiden Folgejah- was vorsingen.‘ Dieser machte zu mir ren eine Vielzahl von Aufnahmen nun eine – wie mir schien – patheti- heraus, die einen erfreu- sche Verbeugung, so daß ich nun lichen Kontrast zu den ab nachdenklich die Pointe dieses of- 1932 folgenden Aufnah- fenbar von Witzbold Grosse ausge- men für den Lindström- dachten Scherzes erwartete. Ich sah Konzern und seine bei- die verschmitzt lächelnden Gemüter den Marken „Parlophon“ Völmecke Sammlung Dokument: um mich herum und sagte ermuti- und „Odeon“ darstellen. gend und gut gelaunt: ‚Dann mal zu‘ Während sich ab 1932 und setzte mich in gesicherter Ent- Schmidts Schallplatten- fernung. ‚Was wollen Sie singen?‘„ repertoire immer mehr in fragte Ben Geysel, zum Kleinen ge- den Bereich der populä- wandt. ‚Was Sie wollen‘, gab dieser ren Unterhaltungsmusik zurück. Dann intonierte Geysel verlagert, hören wir den plötzlich die Stretta aus Verdis Trou- Sänger auf „Ultraphon“ badour. ‚In Original C-Dur‘, kreisch- mit Arien von Mozart, te seine blecherne Stimme, während Donizetti, Verdi, Puccini, er die Akkorde hämmerte. ‚Lodern Halévy, Mascagni und zum Himmel seh‘ ich die Flammen‘, Smetana. sang da jemand. Ich erschrak, schau- Rundfunk und Schallplatte bilden Das erste Werbephoto te zu dem Kleinen. Wahrhaftig, der künftig das Fundament für Joseph von Joseph Schmidt aus dem Monatskatalog der sang, ich traute meinen Ohren kaum. Schmidts Karriere. Die Opernbühne Firma „Ultraphon” vom (…) Es stimmte, die Töne kamen von bleibt ihm weitgehend verschlossen. Oktober 1930. Motto: Ul- ihm, aus seiner Kehle, aus diesem 1929 tritt er in der Eric Charell-Insze- traphon spiegelt den Ton! kleinen Menschen, dessen Kopf nierung der Operette „Die drei Mus- kaum bis zu meiner Brusthöhe reich- ketiere“ im Großen Schauspielhaus te. (…)“ auf. Eine Nebenrolle zwar, doch in 17 MUSIK AUS TONFILM UND RÖHRENRADIO Künstler in der Emigration der Rolle eines Zigeuners und mit Walter, Rudolf Hindemith, Hermann dem Tangolied „Wenn du treulos Scherchen, Alexander von Zemlinsky, bist“, das vom Komponisten Ralph Max von Schillings, Georg Széll, Leo Benatzky eigens für ihn „maßge- Blech und viele