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IM GESPRÄCH MIT WERNER , JURYMITGLIED DER AUSZEICHNUNG «UMSICHT» Nachhaltig auf «alpenländischem Niveau»

Zum ersten Mal war der renommierte Ingenieur und Architekt Werner Sobek aus Stuttgart Mitglied der «Umsicht»-Jury. Im Gespräch spricht er über das Spezifische der Auszeichnung und die interdisziplinären Qualitäten von Nachhaltigkeit.

Interview: Ivo Vasella

SIA: Herr Sobek, Sie haben erstmals satz zielt auf eine Reduktion der und dem recyclinggerechten an der Jurierung von «Umsicht – Komplexität. Das ist eine wichtige Konstruieren ganz unterschied­ ­Regards – Sguardi» teilgenommen. Entwicklung. liche Aspekte gleichzeitig im Was unterscheidet diesen Jurie- Blick zu behalten. rungsprozess von anderen? Wie sehen Sie die eingereichten Werner Sobek: Ich nehme Schweizer Projekte im internatio- Die «Umsicht»-Initiatoren vertre- nur noch selten an Jurys teil – vor nalen Vergleich? ten die These, wirklich beachtens- allem, weil mich viele Abläufe bei Unter dem Gesichtspunkt werte nachhaltige Planungs­ den einschlägigen Jurierungs­ des nachhaltigen Bauens lassen lösungen könnten heute nur noch prozessen in Deutschland nicht sich meines Erachtens zwei Ni­ von interdisziplinären Teams befriedigen. Bei «Umsicht» war es veaus differenzieren. Es gibt ein, ­erarbeitet werden. Trifft das zu? eine wunderbare Jury, die sich wie ich es nenne, «alpenländisches Ja, das trifft zu. Punkt. durch eine sehr breite fachliche Niveau» – Norditalien, Schweiz, Das Bauen war ja schon immer ein Zusammensetzung ausgezeichnet Österreich und Deutschland – interdisziplinärer Vorgang; dieser hat – was angesichts der Vielfalt das sich durch sehr hohe Stan­ ist nun allerdings seit einigen der eingereichten Arbeiten erst dards und eine seit vielen Jahren Jahrzehnten von einer immer wei­ eine wirklich kompetente Bewer­ intensive Beschäftigung mit die­ ter steigenden Komplexität ge­ tung ermöglichte. Und wir waren sen Fragestellungen auszeichnet. kennzeichnet. nicht durch einen zu eng gefassten Es gibt zwischenzeitlich auch in Zeitrahmen gedrängt, die Dinge Südkorea und in China ein sehr Was sind denn die Hauptprobleme? eher abzuhandeln als zu disku­ starkes Engagement und konti­ Auf der einen Seite erleben tieren. Dass man dann eine End­ nuierlich steigende Standards im wir eine zunehmende Fokussie­ rundenauswahl schafft mit einer Bereich des nachhaltigen Bauens. rung auf die juristische Lösung gehörigen Anzahl von Arbeiten, Wenn wir allerdings auf den ame­ strittiger oder künstlich strittig die aufgesucht werden, um sich rikanischen Kontinent schauen, gemachter Punkte – Dinge wie ein persönliches Bild machen zu insbesondere Nordamerika, nicht eingehaltene Kostenansagen können, finde ich formidabel. wo man es sich eigentlich leisten oder nicht eingehaltene Termine, könnte, verantwortbar zu bauen, angeblich unvollständige Planun­ Nachhaltige und energieeffiziente oder Südamerika und Afrika, gen usw. usw. erschweren nicht Projekte sind Ihnen aus jahrzehn- ist das Niveau ein völlig anderes. nur die planerische Arbeit, sie telanger Projektarbeit vertraut. ­vergiften auch das Klima zwischen Haben Sie hier trotzdem neue An- Was identifizieren Sie als spezifisch den Beteiligten und können sätze entdeckt oder etwas gelernt? schweizerische Stärken in der schnell existenzgefährdend wer­ Man lernt immer etwas! ­Planung? den. Auf der anderen Seite haben Zum einen waren teilweise sehr Die Schweizer Planenden wir durch eine geradezu explodie­ einfache Ansätze da – und das mei- liefern Spitzenqualität. Zugleich rende Vielfalt unterschiedlichster ne ich in keiner Weise negativ –, zeichnet sich ihre Arbeit durch Baustoffe kaum noch die Möglich­ die auch eine hohe poetische Qua­ eine hohe Sorgfalt, aber auch keit, uns einen tief gehenden lität aufwiesen. Zum anderen zeig­ durch eine umfassende und tief Einblick zu verschaffen. Beispiels­ te sich bei vielen Projekten, dass gehende Diskussion aus. Die Stär­ weise, was Recyclingqualitäten, die Planer bewusst versucht haben, ke liegt darin, sich in kompetenter biotoxische Phänomene (oder bei die Komplexität zu reduzieren. Art und Weise im Gesamtkomplex diesen Baustoffen eventuell ver­ Im Einzelnen können die Elemente des nachhaltigen Bauens zu bewe­ steckte Kinderarbeit) angeht. Dazu für sich dann immer noch sehr gen – also von nicht fossilen Ener­ kommt, dass wir fossile Energien anspruchsvoll oder gar Hightech giequellen über die CO2-Emissio­ vermeiden wollen, materialsparend sein, aber der systemische An- nen bis hin zur Materialreduktion und recyclinggerecht bauen – aber 18 TEC21 51–52/2016

Prof. Werner Sobek Material, das wir verbauen, später ist Architekt und wieder in sortenreine biologische beratender Inge- nieur. Er leitet das oder technische Kreisläufe zurück­ ILEK der Universi­ führen kann. tät Stuttgart und Ein drittes wichtiges The­ lehrt als Gastpro­ fessor an Universi­ ma ist für mich, dass wir – nicht täten im In- und nur im Bauwesen – immer nur von Ausland. Zudem Energieeffizienz sprechen. Dabei ist er Gründer der Werner Sobek wissen wir, dass wir faktisch kein Group, eines Energieproblem haben, denn die weltweit tätigen Sonne trägt 10 000 Mal mehr Ener­ Verbunds von Planungsbüros gie auf die Erde ein, als die Men­ für Architektur, schen überhaupt benötigen. Wir Tragwerksplanung, aber benutzen immer noch fossile Fassadenplanung, Nachhaltigkeitsbe­ Energieträger, insbesondere auch ratung und Design. zur Herstellung der Baustoffe und Gebäude (graue Energie). Wir müs­ sen in der gebauten Umwelt, aber gleichzeitig soll es atemberau­- sichts einer solchen Behandlung auch in der Bauwirtschaft selbst, bend schön werden. Die aus all ist es verständlich, wenn die betei­ die Umstellung auf nicht fossile dem resultierenden Komplexitäts­ ligten Ingenieure beim nächsten Energie viel stärker vorantreiben, steigerungen sind dramatisch. Mal nur ein bedingtes Engagement als wir es bisher getan haben. Ein einzelner Planer kann sie gar zeigen. Woher soll die Motivation Das sind die drei grossen nicht mehr beherrschen. Da kommen? technischen Herausforderungs­ braucht sich niemand etwas einzu­ felder, die ich als hauptsächlich bilden, ich gehöre auch nicht dazu. In welche Richtung wird sich erachte. Dass das Ganze nie und Dieser enormen Komplexi­ nachhaltiges Planen und Bauen nimmer in irgendeine Entsagungs­ tät kann man nur noch mit einem in den kommenden Jahren ästhetik führen darf oder in ein Teamansatz begegnen, mit inter­ ent­wickeln? In Richtung von noch Low-Tech im trivialsten Sinn, dar­ disziplinärer, integraler Planung. mehr Technologie und Digi­- über sind wir uns einig. Es wird Hierüber wird schon seit ­ ta­li­­sierung – oder zu bewusster wahrscheinlich subkomplex im destens 40 Jahren gesprochen, Reduktion von Komplexität, Ganzen sein, aber relativ komplex hauptsächlich sonntags, gelebt inklusive der Low-Tech-Ansätze? im Einzelnen – denkt man bei­ wird es aber faktisch nicht. Ich bin davon überzeugt, spielsweise an ein Haus, das mit

Es wird vielleicht deshalb nicht dass wir eine Kopplung zwischen antizipativer Heizung, Kühlung Foto: Werner Sobek Group Schaefer GmbH/A.T. gelebt, weil man innerhalb eines Mobilität und Immobilität herbei­ und Lüftung ausgestattet ist und Teams natürlich jemanden führen müssen. Das, was sich in vorausschauend agiert. Dies er­ braucht, der vorangeht. Aber der der Mobilität durchsetzen wird, ist fordert relativ wenig technisches Vorangehende – typischerweise ein autonomes und elektrisches Gerät, muss aber angemessen der Architekt – muss so viel An­ Fahren, zumindest in den Städten ­geplant werden. Die Behauptung stand haben, andere, die Wesent­ und Dörfern. Die elektrische Stadt vieler Architekten, je weniger liches beigetragen haben, später ist die Zukunft. Wir werden dann Technik man verwende, desto auch mit auf das Podest zu heben. auch in ganz anderer Art und ­besser sei es, ist nach meinem Weise mit Fragen der Strassen- ­Dafürhalten ein Irrweg. • Konnten Sie in der «Umsicht»-Jury raum­gestaltung umgehen. Wenn den Teamansatz bei allen Arbeiten die Leute kein Auto mehr besitzen, Das Gespräch führte Ivo Vasella, ­Kommunikation, Leiter Projekte/ erkennen? nur noch Call-on-Demand nutzen, Ver­anstaltungen; [email protected] Es war interessant, dass dann braucht es vor allem Ein- wir bei den «Umsicht»-Einreichun­ und Ausstiegsmöglichkeiten, gen einige hervorragende Archi­ aber sehr viel weniger Parkplätze. tekturarbeiten sahen, bei denen Dadurch kann man künftig we­ aber die beteiligten Ingenieure, sentlich dichter bauen. deren Arbeit man überall durch­ Ein zweiter wichtiger «UMSICHT – REGARDS – SGUARDI» schimmern , nicht in angemes­ Aspekt ist, dass wir angesichts der Die Auszeichnung des SIA für die zu­ sener Weise gewürdigt wurden. globalen Bevölkerungsexplosion kunftsfähige Gestaltung des Lebens­ raums Schweiz wird am 22. März 2017 Ingenieure, die in einem Projekt künftig mit weniger Material für im Neubau des Landesmuseums in wichtige Dinge einbringen, werden mehr Menschen bauen müssen. Zürich zum vierten Mal vergeben. Die in vielen Architekturmagazinen Das ist nur erreichbar, wenn wir Jury hat schon am 30. September 2016 getagt und ihre Wahl getroffen. nicht einmal in der Liste der Pro­ leichter und gleichzeitig recycling­ jektbeteiligten aufgezählt. Ange­ gerecht bauen, sodass man das www.sia.ch/umsicht