Plenarprotokoll 19/43

Deutscher

Stenografscher Bericht

43. Sitzung

Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018

Inhalt:

Zusatztagesordnungspunkt 11: Tagesordnungspunkt 20: Antrag des Bundesministeriums der Finan- Antrag der Abgeordneten , zen: Finanzhilfen zugunsten Griechen- , , weiterer lands: Vierte und letzte Überprüfung des Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Die ESM-Anpassungsprogramms, mittelfristige Zukunftsfähigkeit Deutschlands sichern – schuldenbezogene Maßnahmen Bildung und Forschung in den Mittelpunkt Drucksache 19/2961. 4421 B stellen Drucksache 19/2988. 4437 C , Bundesminister BMF. 4421 B (AfD). 4422 C Katja Suding (FDP). 4437 C (AfD). 4423 D Dr. Wolfgang Stefnger (CDU/CSU) . 4442 B (CDU/CSU). 4424 D Dr. Götz Frömming (AfD) . 4443 D Christian Dürr (FDP) . 4426 B (SPD) . 4444 D (SPD). 4426 C Dr. (DIE LINKE). 4446 A (DIE LINKE). 4428 C (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 4446 D Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 4429 C (CDU/CSU). 4448 B Peter Boehringer (AfD). 4431 A Dr. (AfD). 4449 D Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ Dr. (SPD) . 4450 D DIE GRÜNEN). 4431 D Birke Bull-Bischof (DIE LINKE). 4451 D (Minden) (SPD). 4432 C (CDU/CSU). 4452 C Dr . (AfD). 4433 C Dr. (BÜNDNIS 90/ (CDU/CSU) . 4434 B DIE GRÜNEN). 4452 D Christian Dürr (FDP) . 4435 C Dr. (SPD). 4454 A Christian Haase (CDU/CSU) . 4435 D Dr. (fraktionslos). 4436 A Tagesordnungspunkt 19: Alois Rainer (CDU/CSU). 4436 C a) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Deutschlands Mitgliedschaft im Namentliche Abstimmung . 4437 A Sicherheitsrat der Vereinten Nationen – Für eine dauerhaft friedliche, stabile und gerechte Ordnung in der Welt Ergebnis . 4439 C Drucksache 19/2982. 4455 A II Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung , Freitag, den 29 Juni 2018 b) Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel, Sven Lehmann (BÜNDNIS 90/ Dr. Alexander S. Neu, , wei- DIE GRÜNEN). 4479 D terer Abgeordneter und der Fraktion DIE Dr. (CDU/CSU). LINKE: Völkerrecht durchsetzen, zivile 4480 A UN-Initiativen stärken, Abrüstung für (FDP). 4480 C Sicherheit und Armutsbekämpfung vo- rantreiben (SPD). 4481 C Drucksache 19/2980. 4455 B Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/ c) Antrag der Abgeordneten Dr. Frithjof DIE GRÜNEN). 4482 D Schmidt, , , Michael Kießling (CDU/CSU). 4483 D weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nichtstän- (SPD). 4485 B digen Sitz im Sicherheitsrat nutzen, Ver- einte Nationen stärken Drucksache 19/2975. 4455 B Tagesordnungspunkt 21: , Bundesminister AA. 4455 B Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs Armin-Paulus Hampel (AfD). 4457 A eines Gesetzes zur Änderung des Tierge- sundheitsgesetzes und des Bundesjagdge- Dr. (CDU/CSU). 4458 C setzes Bijan Djir-Sarai (FDP). 4459 C Drucksache 19/2977. 4486 B Heike Hänsel (DIE LINKE). 4460 C Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMEL. 4486 B Dr. (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 4461 D (AfD). 4487 A (SPD) . 4463 A (SPD). 4488 A Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU) . 4464 B (FDP). 4489 B (FDP). 4465 A Dr. (FDP). 4489 D (CDU/CSU). 4465 D (DIE LINKE). 4490 C (CDU/CSU). 4466 C Friedrich Ostendorf (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 4491 C Hermann Färber (CDU/CSU). 4492 B Tagesordnungspunkt 22: Verena Hartmann (AfD). 4493 A Antrag der Abgeordneten Christian Kühn (Tü- bingen), , , wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Tagesordnungspunkt 24: NIS 90/DIE GRÜNEN: Mietrecht jetzt wirksam reformieren – Bezahlbares Woh- Antrag der Abgeordneten Sebastian nen sichern ­Münzenmaier, , Verena Drucksache 19/2976. 4467 D Hartmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD: Abschafung der soge- Canan Bayram (BÜNDNIS 90/ nannten Urlaubssteuer gemäß § 8 Num- DIE GRÜNEN). 4467 D mer 1 Buchstabe e des Gewerbesteuer- gesetzes – Vermeidung von Insolvenzen Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU). 4468 C kleiner Reiseveranstalter Canan Bayram (BÜNDNIS 90/ Drucksache 19/2989. 4493 D DIE GRÜNEN). 4470 C

Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU). 4470 C in Verbindung mit (AfD) . 4471 A Michael Groß (SPD). 4473 D Zusatztagesordnungspunkt 12: (FDP). 4475 A Antrag der Abgeordneten Christian Dürr, Dr. , Frank Schäfer, weiterer (DIE LINKE) . 4476 A Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Ge- Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU). 4478 A werbesteuerliche Hinzurechnung überprü- fen und bei Missständen Abhilfe schafen (DIE LINKE). 4479 C Drucksache 19/2990. 4494 A Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018 III

Sebastian Münzenmaier (AfD). 4494 A Dr. Jens Zimmermann (SPD). 4517 D (CDU/CSU) . 4495 B (FDP). 4518 D Dr. (FDP) . 4496 B (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). 4519 C (SPD). 4497 C Sebastian Brehm (CDU/CSU) . 4520 D (DIE LINKE). 4498 D Ingrid Arndt-Brauer (SPD). 4522 A Stefan Schmidt (BÜNDNIS 90/ Helin (DIE LINKE) (zur Ge- DIE GRÜNEN). 4499 C schäftsordnung). 4523 B Fritz Güntzler (CDU/CSU). 4500 C Nächste Sitzung . 4524 D (SPD). 4501 C (CDU/CSU). 4502 B Anlage 1 Bernhard Daldrup (SPD). 4503 A Entschuldigte Abgeordnete. 4525 A

Tagesordnungspunkt 23: Anlage 2 Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Meeres- Erklärung nach § 31 GO der Abgeordne- schutzgebiet im Weddellmeer der Antarktis ten Lisa Paus, , Canan Bayram, Drucksache 19/2985. 4504 A Katharina Dröge, , Dr. Kirsten Kappert-Gonther, Uwe Kekeritz, , Carsten Träger (SPD). 4504 A Christian Kühn (Tübingen), Sven Lehmann, (AfD). 4505 A Beate Müller-Gemmeke, , , Tabea Rößner, Corinna Rüfer, Ulle Dr. (CDU/CSU). 4505 D Schauws, Dr. , Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn und (alle Hagen Reinhold (FDP). 4507 A BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der na- (DIE LINKE) . 4507 D mentlichen Abstimmung über den Antrag des Bundesministeriums der Finanzen: Finanz- Stef Lemke (BÜNDNIS 90/ hilfen zugunsten Griechenlands: Vierte und DIE GRÜNEN). 4508 C letzte Überprüfung des ESM-Anpassungs- Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU). 4509 C programms, mittelfristige schuldenbezogene Maßnahmen Johann Saathof (SPD). 4510 C (Zusatztagesordnungspunkt 11) . 4525 D

Tagesordnungspunkt 25: Anlage 3 Antrag der Abgeordneten Fabio De Masi, Jörg Erklärungen nach § 31 GO zu der namentli- Cezanne, , weiterer Abgeordneter chen Abstimmung über den Antrag des Bun- und der Fraktion DIE LINKE: Geldwäsche desministeriums der Finanzen: Finanzhilfen und Terrorfnanzierung in Deutschland zugunsten Griechenlands: Vierte und letz- wirksam bekämpfen – Financial Intelli­ te Überprüfung des ESM-Anpassungspro- gence Unit befähigen gramms, mittelfristige schuldenbezogene Drucksache 19/2592. 4511 C Maßnahmen Fabio De Masi (DIE LINKE). 4511 C (Zusatztagesordnungspunkt 11) . 4526 B Sepp Müller (CDU/CSU). 4512 C (CDU/CSU). 4526 B Klaus Ernst (DIE LINKE) . 4513 A Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU). 4527 D (CDU/CSU). 4527 D Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 4513 C (CDU/CSU). 4528 B (AfD). 4515 D Fabio De Masi (DIE LINKE). 4517 B Anlage 4 Stefan Keuter (AfD). 4517 C Amtliche Mitteilungen. 4528 D

Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018 4421

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43. Sitzung

Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: gelungen, mit ihren Hilfsmaßnahmen auch Portugal und Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bitte Irland, als sie in einer großen fnanziellen Schwierigkeit nehmen Sie Platz. Die Sitzung ist eröfnet. waren, zu helfen. Nun ist die dritte europäische Nation gewissermaßen als Ergebnis europäischer Solidarität aus Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich Ihnen mit- den Hilfsnotwendigkeiten herausgekommen und kann zuteilen, dass der Ältestenrat sich in seiner gestrigen Sit- wieder auf eigenen Beinen stehen. Ich glaube, das zeigt, zung darauf verständigt hat, während der Haushaltsbe- dass Europa eine große Stärke hat und dass wir in der ratungen ab dem 3. Juli, in der kommenden Woche, wie Kooperation gemeinsam auch die Herausforderungen der üblich keine Befragung der Bundesregierung, keine Fra- Zukunft bewältigen können. gestunde und auch keine Aktuellen Stunden durchzufüh- ren. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist ofenkundig (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) der Fall. Dann verfahren wir so. Dass es in Europa um Kooperation geht, das disku- (B) Damit rufe ich den Zusatzpunkt 11 auf: tieren wir in diesen Tagen auch aus anderen Gründen. (D) Deshalb will ich ausdrücklich sagen: Dass die Staats- Beratung des Antrags des Bundesministeriums chefs der Europäischen Union gestern Nacht gemeinsa- der Finanzen me Positionen zur Frage der Asyl- und Migrationspolitik Finanzhilfen zugunsten Griechenlands: gefunden haben, ist ein großer Fortschritt. Ich glaube, das ist eine gute Grundlage für die Herausforderung, die Eu- Vierte und letzte Überprüfung des ESM-An- ropa im Umgang mit der Fluchtmigration hat – ein guter passungsprogramms, mittelfristige schulden- Erfolg für uns alle. bezogene Maßnahmen (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Drucksache 19/2961 Das von der Euro-Gruppe vereinbarte Paket, das ich Wir werden über den Antrag später namentlich ab- Ihnen heute vorstelle, umfasst eine sehr breite Unterstüt- stimmen. zung. Ich will ausdrücklich darum bitten, dass der Deut- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für sche Bundestag die Maßnahmen, die wir hier beantragen, die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Auch dazu unterstützt, und freue mich, wenn Sie das dann am Ende sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann ist auch das der Debatte auch tun werden. so beschlossen. Was ist geschehen? Wir haben uns darüber unterhal- Ich eröfne die Aussprache und erteile das Wort dem ten, wie sich die Entwicklung in Griechenland in den Bundesfnanzminister Olaf Scholz. letzten Jahren zugetragen hat. Wenn man dort genau hinschaut, dann stellt man fest: Es sind sehr, sehr viele (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Reformen unternommen worden. Das ist jetzt auch noch einmal miteinander festgestellt worden. Griechenland ist Olaf Scholz, Bundesminister der Finanzen: auf einem guten Weg. Das war eine große Anstrengung Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Grie- der Regierung, des Parlamentes, aber vor allem der Bür- chenland wird das dritte Hilfsprogramm planmäßig am gerinnen und Bürger Griechenlands, die viel auf sich ge- 20. August 2018 beenden. Damit kann Griechenland nommen haben. die Rettungsschirme nach acht Jahren verlassen und hat (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) die Chance, wieder auf eigenen Beinen zu stehen. Das ist eine gute Nachricht, und es ist eine gute Nachricht, Der größte Teil der Hilfe, die wir geleistet haben als die sich an andere anschließt: So ist es zum Beispiel der Europäer, ist die Zurverfügungstellung unserer Fähig- Europäischen Union und der Euro-Gruppe gemeinsam keiten, Kredite aufzunehmen und sie weiterzugeben. 4422 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

Bundesminister Olaf Scholz (A) Manchmal verwechselt das der eine oder andere in der Olaf Scholz, Bundesminister der Finanzen: (C) politischen Debatte: als ob es um Direktzahlungen geht, Ja. wenn man Kredite verleiht. Aber das ist ein großer Irr- tum, und es bleibt auch einer, wenn man ihn wiederholt. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Bitte, Herr Kollege. Denn tatsächlich geschieht hier nur etwas, was im Falle von Irland und Portugal ja schon gut geklappt hat. Thomas Ehrhorn (AfD): In dem Augenblick, in dem ein Land seinen Zugang zu Herr Minister, ich hatte Sie vorgestern mit einer Fra- den Finanzmärkten verliert, sorgen wir dafür, dass dieser ge konfrontiert und ausgeführt, dass der Bundestag im Zugang mit unserer Hilfe erhalten bleibt. Aber die Kredi- August 2015 dem dritten Rettungspaket zugestimmt hat, te, die dann gemeinschaftlich aufgenommen werden – in aber unter einer einzigen wichtigen Voraussetzung, näm- diesem Fall über die EFSF oder den ESM –, werden auch lich der, dass der IWF an diesem Rettungspaket beteiligt wieder zurückgezahlt. sein würde. Diese Beteiligung hat es nicht gegeben. Ich (Jürgen Braun [AfD]: Wann? Wann denn, bit- rede hier explizit, so wie vorgestern auch, vom dritten te? In 300 Jahren? Das ist doch ein Witz, Herr Rettungspaket. Scholz!) ( [Erfurt] [SPD]: Weil sie Selbstverständlich umfasst dies einen ganz langen das Geld nicht brauchen! Haben Sie nicht zu- Zeitraum. Aber auch Deutschland hat manche Kredite, gehört?) die es in einer schwierigen Situation aufgenommen hat, Sie haben daraufhin behauptet, das sei nicht so; der IWF erst vor wenigen Jahren zurückgezahlt. Dass solche Din- sei beteiligt. ge langfristig sind, gehört zur Natur der Sache dazu. Dies ist leider nicht der Wahrheit entsprechend. Des- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem wegen habe ich Sie schon vorgestern gefragt und wie- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) derhole diese Frage heute: Wie können Sie, nachdem die Deshalb glaube ich, dass es richtig ist, was wir jetzt Geschäftsgrundlage für die Zustimmung des Bundesta- machen, und dass wir die notwendigen Schritte jetzt ge- ges nun erloschen ist, jetzt eine weitere Auszahlung die- hen. ses Rettungspaketes befürworten? (Dr. [AfD]: Ja, alles wird zu- (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Weil wir rückgezahlt!) es beschließen! Das ist doch ganz einfach!) (B) (D) Wir haben eine letzte Tranche von 15 Milliarden Danke schön. Euro bewilligt. Die eigentliche Botschaft sind nicht die 15 Milliarden Euro, sondern ist, dass mit dieser letzten (Beifall bei der AfD) Tranche keineswegs die gesamten Kapazitäten, die der ESM Griechenland in Aussicht gestellt hat, ausgeschöpft Olaf Scholz, Bundesminister der Finanzen: worden sind. Das heißt, dass alles das, was wir ermög- Schönen Dank für Ihre Frage. Denn dadurch, dass Sie licht haben, von dem wir gesagt haben: „Das könnte wiederholt die gleiche Frage stellen, kann ich Ihnen wie- möglicherweise in Anspruch genommen werden“, gar derholt die gleiche Antwort geben. nicht in Anspruch genommen wird. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Michael Diese letzte Tranche dient dazu, den Übergang für die Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Vielleicht ver- Rückkehr zu der Refnanzierung über die Kapitalmärk- steht er es erst beim dritten Mal!) te zu begleiten. Genauso haben wir es bei Portugal und Irland gemacht, und genauso wird das bei Griechenland Das ist manchmal ganz wichtig, weil es zu einem poli- funktionieren. tischen Stil gehört, gewissermaßen falsche Wahrneh- mungen in der Öfentlichkeit zu produzieren, indem man (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Fragen stellt und dabei immer den Eindruck erweckt, als Klar, das ist ein langes Programm gewesen. Deshalb ob damit schon eine Information verbunden ist. Die In- ist die Hilfe hier auch etwas größer. formation, die in Ihrer Frage steckt, ist falsch. Aber wir haben das auch ergänzt durch weitere Ent- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten scheidungen, die für die Zukunft wichtig sind – zum der CDU/CSU) Beispiel, indem wir mit einer Laufzeitverlängerung und Wir haben gesagt: Wir wollen den IWF dabeiha- einer Zinsstundung Krediterleichterungen schafen. Das ben. – Und der IWF ist dabei. Er hat Kredite in Höhe von ist etwas, was wir allerdings schon in Aussicht gestellt 10 Milliarden Euro laufen, die bis etwa 2024 zurückzu- haben – 2016. zahlen sind und deshalb in diesem Programm eine Rolle spielen. Weil der IWF sich natürlich um sein Geld küm- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: mert, wie man sich leicht vorstellen kann, Herr Bundesminister Scholz, der Kollege Ehrhorn, ( [SPD]: Das kapiert er nicht!) AfD, möchte gerne eine Zwischenfrage stellen. Gestat- ten Sie das? ist er auch bei der Nachprogrammüberwachung dabei. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4423

Bundesminister Olaf Scholz (A) Was wir uns überlegt haben, ist, ob es eigentlich Sinn Meine Damen und Herren, ich will zum Schluss kom- (C) macht, dass wir uns jetzt, obwohl wir nicht einmal den men und sagen: Es ist ein Zeichen europäischer Solidari- ESM-Kreditrahmen ausschöpfen, vom IWF noch weite- tät, das wir hier geben, re 1,6 Milliarden obendrauf geben lassen, um dann ge- wissermaßen in einer Situation zu sein, die wir so auch ( [AfD]: Ja! Deutschland schon haben. zahlt!) indem wir deutlich machen, dass wir gemeinsam sehr (Zuruf von der AfD: Das ist nicht der Punkt stark sind. Das ist im Übrigen auch ein Zeichen, das not- unserer Beteiligung!) wendig ist. Denn wir haben eine gemeinsame Währung, Das ist etwas, was wir nicht machen. den Euro. Wir wollen eine wirtschaftliche Macht sein, die auf Augenhöhe handeln kann: mit China, den Vereinigten Deshalb wiederhole ich ausdrücklich: Der IWF ist Staaten von Amerika und großen anderen Wirtschaftsna- dabei. Er wird in der Nachprogrammüberwachung dabei tionen der Zukunft, die jetzt dabei sind, eine Größenord- sein. Das, was der politische Zweck der Beschlüsse die- nung zu erreichen, die uns sehr beeindrucken wird. ses Hauses war, wird auch erreicht. Wenn wir das erreichen wollen, dann werden wir das (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) als Europäische Union nur gemeinsam können und in- dem wir zeigen, dass wir, weil wir zusammenhalten, in Im Übrigen wäre ich zu diesem Punkt noch gekom- der Lage sind, die großen Probleme unserer Zeit zu lö- men. Dann kann ich ihn weiter hinten in meiner Rede sen – die Probleme, wie wir unsere Wirtschaft organisie- weglassen. ren und wie die Staatsfnanzen sich entwickeln –, indem wir zeigen, dass wir eine starke gemeinsame Währung (Dr. Alice Weidel [AfD]: Sie haben aber die und wirtschaftliches Wachstum haben, aber dass wir Frage gar nicht beantwortet, Herr Scholz!) auch mit solchen Herausforderungen umgehen können Um es noch einmal zu sagen: Wir verlängern die Zah- wie zum Beispiel der Fluchtmigration. lungszeiträume. Das hilft bei der Kredittragfähigkeit und Schönen Dank. sorgt dafür, dass über die lange Zeit die Rückkehr zu ei- ner Refnanzierung über die Kapitalmärkte besser gelin- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gen kann, indem das dann schon viele Jahre eingeübte der CDU/CSU) Praxis sein wird. Das ist ja das, was wir erreichen wollen.

Außerdem verzichten wir auf einen Zinsaufschlag – Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (B) auch das war in den Beschlüssen 2016 und 2017 schon Nächster Redner ist der Kollege Peter Boehringer, (D) angekündigt worden –, und wir gehen wieder dazu über, AfD-Fraktion. dass wir die Gewinne der Zentralbanken, die sie aus den (Beifall bei der AfD) anfangs gegebenen bilateralen Darlehen erhalten haben, für die griechische Politik erreichbar machen, Peter Boehringer (AfD): (Lachen bei der AfD) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! In der heutigen Vorlage steht auf 480 Seiten eigentlich insbesondere damit sie mit ihren Schulden dann besser nur eines: Griechenland bekommt eine weitere Finanz- zurechtkommen können. spritze in Milliardenhöhe. Konkret: Der Tilgungsbeginn ( [AfD]: Genau!) für sonst bald fällige EFSF-Kredite soll nun erst weit nach 2030 liegen. Und: Deutschland verzichtet auf hohe Das sind all die Dinge, die jetzt auf dem Weg sind Zinserträge. und für die wir um Ihre Zustimmung bitten. Dazu ge- Das alleine wäre schon das Schnüren eines Rund- hört allerdings auch, dass wir vereinbart haben – ich um-Sorglos-Pakets für Griechenland. Bei Kreditlaufzei- bin eben schon darauf zu sprechen gekommen –, dass ten von nun 43 Jahren im Schnitt bei faktischer Zins- und es eine Nachprogrammüberwachung geben wird. Denn Tilgungsfreiheit denkt kein Schuldner auch nur ansatz- das wollen wir natürlich auch: dass die Anstrengungen, weise noch über Rückzahlung oder Bewirtschaftung die- die die Bürgerinnen und Bürger Griechenlands und die ses Kredites nach. Das ist schon per se unnatürlich. Regierung unternommen haben, jetzt nicht aufhören und vergeblich sind, sondern wir wollen gerne, dass die Poli- (Beifall bei der AfD) tik, die Griechenland in Zukunft entwickelt, sich weiter entsprechend den Reformmaßnahmen der letzten Jahre Und insbesondere Politiker interessieren Rückzahlun- orientiert. gen Jahrzehnte nach ihrer Amtszeit schon gar nicht mehr. Da hilft auch keine Nachprogrammüberwachung, wie Klar werden die Spielräume etwas größer, und sie Sie es gerade genannt haben, Herr Minister. Das können werden umso größer, je größer der wirtschaftliche Erfolg Sie in diesem Punkt vergessen. Jeder Anleiheprof wüss- des Landes ist. Aber es ist auf alle Fälle so, dass wir mit te: Hier wäre eine sofortige Vollabschreibung fällig. dieser Nachprogrammüberwachung sicherstellen, dass (Beifall bei der AfD) Griechenland auch in Zukunft weiter die Reformpolitik verfolgt, die in den letzten Jahren eingeschlagen worden Doch was dem Bundestag stattdessen heute auch noch ist. vorgeschlagen wird: Wir sollen sogenannte Zinsgewinne 4424 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

Peter Boehringer (A) an Griechenland zurückzahlen, die angeblich durch Kre- Eine prophylaktische Auszahlung von 15 Milliarden (C) ditvergabe der EZB entstanden sind. Zunächst einmal: Euro an ein ofziell bereits stabiles Land ist den Bür- Nur Ideologen können überhaupt von „Zinsgewinnen“ gern nicht vermittelbar. Die AfD-Fraktion im Haushalts- sprechen, wenn Zinserlöse gemeint sind. ausschuss hat darum vorgestern per Dringlichkeitsantrag nach § 5 ESM-Finanzierungsgesetz versucht, für den Bereits die erhobenen winzigen Zinssätze waren 2010 Deutschen Bundestag die Reißleine zu ziehen. Alle an- ein riesiges Geldgeschenk. Es wurden gewaltige Ausfall- deren Fraktionen haben dieses Ansinnen abgelehnt. Sie risiken praktisch zu Nullkosten von uns, vom deutschen sind direkt verantwortlich für die Vollabschreibung mit Steuerzahler, mit übernommen. Ansage von zunächst 15 Milliarden Euro beim ESM; das Die Risikokomponente des Zinses entspricht in einem ist absolut sicher in der Zukunft. freien Markt der Ausfallwahrscheinlichkeit des Kredits. Und in der Praxis gab es ja diese Ausfälle bereits: Bei den (Beifall bei der AfD – Zuruf von der AfD: griechischen Schuldenschnitten 2012 wurden dem Land Eine Schande!) 47 Milliarden Euro erlassen – 14 Milliarden Euro davon von Deutschland. Die damals noch private Hypo Real Wenn der Bundestag heute die weiteren eben genann- Estate hat damals 9 Milliarden Euro verloren und musste ten absurden Planungen nicht stoppt, dann werden alle in der Folge verstaatlicht werden. Das hat der Bund bis Fraktionen – von links bis FDP – auch für den weiteren heute auf den Büchern. So viel zu „Wir verdienen an der Kreditschaden verantwortlich sein. Je nach Rechnung – Griechenland-Rettung“ oder „Kredite sind keine Zahlun- das steht hier auch drin – wird sich das bei Ausfall der gen“, Herr Minister. Kredite und Zinsen auf bis zu 50 Milliarden Euro auf- summieren. (Beifall bei der AfD) Und doch wird dem Bundestag heute ernsthaft eine Also: Was von Deutschland hier verlangt und dem Abführung dieser fktiven Zentralbankgewinne an Grie- Bundestag heute zugemutet wird, ist ein durch keine chenland vorgeschlagen. Hier fndet eine vorgezogene ökonomische oder vertragliche Logik zu rechtfertigendes Ausschüttung von temporären, nicht realisierten Buch- Milliardengeschenk Deutschlands, dem Steuerzahler ver- gewinnen von angeblich ach so unabhängigen Zentral- kauft über die weiterhin anhaltende absurde Propaganda- banken statt. So etwas muss man sich erst einmal aus- und Moralkeule: Ihr dürft doch nicht von Griechenlands denken. Das ist nicht nur eine faktische Einmischung Not proftieren, und dem Euro geht es übrigens wieder in die Ausschüttungspolitik dieser ach so unabhängigen bestens. – Die hier vorgeschlagenen Maßnahmen sind Zentralbanken, sondern im Prinzip eine Pervertierung eine weitere Konkursverschleppung des Euro auf Steu- erzahlerkosten, (B) des Geschäftsmodells des Kreditwesens. (D) (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Genauso wie bei einer Versicherung ist natürlich auch nur um keine Kreditabschreibung und keinen Ofenba- hier das Risiko eines Schadenfalls zu vergüten. Rücker- rungseid der verfehlten Euro-Rettungspolitik leisten zu stattungen von Versicherungsbeiträgen, nur weil gerade müssen, nur damit Sie, Herr Minister Scholz, weiterhin mitten in der Laufzeit halt mal kein Schaden entstanden sagen können, Kredite seien keine Zahlungen. ist, würden die gesamte Versicherungsmathematik und das Kreditwesen auf den Kopf stellen. Wenn die Kre- Herzlichen Dank. ditabteilungen von privaten Banken so arbeiten würden, dann wären sie alle innerhalb eines Jahres pleite. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Vereinbart ist nun in diesem Konvolut – viertens – Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: sogar noch ein explizites Geschenk an Griechenland in Nächster Redner ist der Kollege Eckhardt Rehberg, Form eines Cashpufers über 15 Milliarden Euro, wohl- CDU/CSU-Fraktion. gemerkt an ein doch angeblich gerettetes Land; das ist die ofzielle Erzählung. Nun, kein Finanzprof glaubt (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- bei 175-Prozent-BIP-Verschuldung Griechenlands heute ordneten der SPD) noch die Lüge von der Schuldentragfähigkeit Griechen- lands Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): (Beifall bei der AfD) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! oder, wie es hier eben genannt wurde, Herr Minister: Wenn ich manche Rede zu Griechenland in den letzten Griechenland kann nun wieder auf eigenen Beinen ste- acht Jahren Revue passieren lasse, dann fallen mir auch hen. – Das ist wirklich Realsatire. Aber klar, wenn ein viele Aussagen zu Irland, Portugal, Spanien und Zypern Land keinen Zins und keine Tilgung über Jahrzehnte leis- ein. Wir haben nun das fünfte Land guten Gewissens da- ten muss, kann es jeden Schuldenberg tragen. Doch das hin gebracht, dass es sich zukünftig wieder auf dem Ka- wäre, als ob man einen Gelähmten für gesund erklärte, pitalmarkt wird refnanzieren können. Wenn hier so getan nur weil er sich gerade nicht bewegen muss. wird, als ob wir zu viel Solidarität geleistet haben, dann (Beifall bei der AfD) frage ich immer wieder: Wer ist der Hauptprofteur einer Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4425

Eckhardt Rehberg (A) stabilen, regelbasierten Euro-Zone? Das ist die Bundes- glaube, das sollte man kritisch hinterfragen. Genau an (C) republik Deutschland. einem solchen Morgen so einen Unsinn in die Welt zu setzen: Von Chefvolkswirten oder von volkswirtschaft- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie lich Gebildeten habe ich gelegentlich die Nase voll. Ich bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE kann Professor Meyer nur sagen: Holen Sie einen Zettel GRÜNEN – Lachen bei der AfD) und einen Bleistift raus, rechnen Sie noch mal nach! Es Ich fnde, das muss man herausstreichen, gerade in ei- ist dummes Zeug. Ich glaube eher den Zahlen des Bun- ner schwierigen Zeit, auch – Herr Scholz, Sie sind darauf desfnanzministeriums. eingegangen – nach der Nacht von gestern. Wenn wir (Lachen bei der AfD) die Euro-Zone nicht hätten, würden wir auch auf ande- ren Gebieten nicht zu Lösungen kommen. Wer wirklich – Wissen Sie, ich höre dieses Gelächter, meine Damen meint, dass jeder in Europa mit seiner eigenen Währung und Herren der AfD, seit zehn Jahren hier in diesem den Herausforderungen der Globalisierung standhalten Hause, wenn es um unsere Hilfsprogramme für Län- kann, dem sei ins Stammbuch geschrieben: Wenn wir der der Euro-Zone geht. Ich kann Ihnen nur eins sagen: diesen europäischen Weg in den letzten Jahren und Jahr- So wie Irland, so wie Spanien, so wie Portugal, so wie zehnten trotz vieler Schwierigkeiten nicht gegangen wä- Zypern Kredite mittlerweile umgeschuldet und zurück- ren, dann wären wir in Europa und wir in Deutschland gezahlt haben, bin ich optimistisch, dass auch bei den nicht bei dem Wohlstand, den wir heute haben. Griechen der Groschen gefallen ist und dass sie eine gute Zukunft haben werden. Da bin ich optimistisch, liebe (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Kolleginnen und Kollegen. Natürlich kann man immer wieder die Frage stellen: (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Warum sind die Griechen da reingerutscht? Widerspruch bei der AfD) (Martin Hebner [AfD]: Die sind doch noch Herr Minister Scholz, Sie legen uns heute vier Punkte drin!) vor – eine Stellungnahme, drei Beschlüsse. Ich kann zu Anfang der 2000er-Jahre war der Beitritt in die Euro-Zo- den Dingen, die wir heute beschließen sollen, nur sagen: ne. 2010 war der Beginn der Krise. Ja, die Griechen ha- Das ist alles in der Euro-Gruppe in den letzten Jahren ben über ihre Verhältnisse gelebt: vereinbart worden. Es spiegelt sich in den Beschlüssen des Deutschen Bundestages wider. (Zustimmung der AfD) Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, Christian 13 Prozent Defzit im Haushalt. Aber ich glaube, es gab Lindner fängt jetzt an, das Märchen von einem vierten keinen anderen Weg, als Griechenland mit Konditionie- Programm zu erzählen. Nein, wir schließen das dritte (B) rungen, mit Reformen dahin zu bringen, wo es heute ist. (D) Programm ab, schöpfen es nicht mal voll aus. Deswegen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ist das vierte Programm ein Märchen. Sie sind noch nicht überall über den Berg; nein, das (Beifall der Abg. Dr. [CDU/ ist nicht so. Aber ohne die Hartnäckigkeit, ohne die Kon- CSU]) sequenz, die in den letzten Tagen Bundesfnanzminister Wenn Sie meinen, wir sind im vierten Programm, kann Scholz bewiesen hat und die auch sein Vorgänger gezeigt ich nur eins sagen: Wenn wir Ihrer Aufassung nach ge- hat, wäre man nicht da. Lieber Wolfgang Schäuble, ich gen geltendes deutsches Verfassungsrecht verstoßen, weiß, Sie hören das nicht gerne. Aber ich möchte Ihnen laufen Sie nach Karlsruhe, verklagen Sie uns. Ich sage ausdrücklich danken für Ihre Konsequenz, für Ihre Hart- Ihnen: Sie werden kein Recht bekommen. Wir sind im näckigkeit. Die Euro-Zone, Griechenland, die Reform- dritten Programm und nicht im vierten Programm. länder wären heute nicht dort, wenn Sie nicht so aktiv und engagiert gearbeitet hätten. Ein herzliches Danke- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- schön! ordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Lassen Sie mich zum Schluss noch ein Wort zum IWF ordneten der SPD) sagen. Übrigens, nach meiner Erinnerung hat nicht der Deutsche Bundestag beschlossen, dass der IWF sich be- Gerade heute wurde wieder eine mediale Sau durchs teiligen soll. Wohl haben wir als Unionsfraktion immer Dorf getrieben. Da gibt es einen Professor Meyer, der gesagt: Er soll dabei sein. – Und der IWF war dabei. Der meint, dass Griechenland einen Schuldenschnitt, einen IWF war beim dritten Programm dabei, gemeinsam mit Schuldenerlass von bis zu 336 Milliarden Euro bekommt, der EZB, mit dem ESM und mit der EU-Kommission. wobei Deutschland mit 52 Milliarden Euro dabei ist. Ich kann diesem Professor nur eins sagen: Wenn die Zahl Jetzt muss man sich schon die Frage stellen – ich habe 336 Milliarden Euro stimmt, dann sind wir mit 94 Mil- das auch öfentlich sehr frühzeitig getan –: Für welchen liarden Euro dabei, weil wir 28 Prozent zu tragen haben. Preis hält man den IWF auch fskalisch dabei? Der IWF Also, eins von beiden kann nicht stimmen. wollte, dass 10 Milliarden Euro umgeschuldet werden. Herr Minister Scholz, ökonomisch wäre das sogar ver- (Fabian Jacobi [AfD]: Und das soll uns jetzt nünftig gewesen; denn IWF-Kredite sind nicht ganz bil- beruhigen?) lig. Aber – ein Schelm, wer Böses dabei denkt – dafür Lieber Johannes Kahrs, dieser Professor soll an der wollte er mit 1,6 Milliarden Euro einsteigen. Ein gutes Universität der Bundeswehr in tätig sein. Ich Geschäft? Ein schlechtes Geschäft, meine ich. 4426 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

Eckhardt Rehberg (A) Das Zweite – ich will da nicht zu doll aus dem Näh- Griechenland ausgezahlt werden. Das sind keine echten (C) kästchen plaudern –: Der IWF hatte viel weiter gehende Gewinne, nebenbei gesagt, sondern: Die EZB hat in einer Vorstellungen, was das Thema Schuldenerleichterung/ Phase angekauft, als niemand griechische Staatsanleihen Schuldenstreckung betrift. Der IWF hatte ganz andere eingekauft hat, Vorstellungen, was auch Pufervergrößerungen betrift (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: War doch usw . usf. Wenn Sie sich die Schuldentragfähigkeitsana- ein gutes Geschäft!) lyse des IWF aus dem Jahr 2016 anschauen, werden Sie feststellen: Es hätte nach seiner Maßgabe all dieses, was zu einem besonders niedrigen Zins, meine Damen und wir heute auf den Weg bringen, nicht geholfen. Herren. Und: Der Beginn der Tilgung und die Zinszah- lung werden um weitere zehn Jahre von 2022 auf 2032 Deswegen ist es eine gute Entscheidung gewesen, zu verschoben – plus eine Laufzeitverlängerung dieser Kre- sagen: Die Bedingungen sind so. Herr Minister Scholz, dite um weitere zehn Jahre. ich weiß, Sie haben hartnäckig verhandelt. Ich kann uns nur raten, zuzustimmen. Ich bin der festen Überzeugung, Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch an dass in Griechenland wirklich vieles auf den Weg ge- dieser Stelle müssen wir uns ehrlich machen. Sie haben bracht worden ist; das ist bei weitem nicht am Ende. gesagt: Der IWF wollte einen Schuldenschnitt, den wir nicht wollten. – Das, meine Damen und Herren, ist ein Herr Kollege Boehringer, wenn Sie von einer soforti- faktischer Schuldenschnitt für Griechenland, um das gen Vollabschreibung reden – ich kann nur eines mit auf auch in aller Klarheit zu sagen. den Weg geben –: Es geht hier, nebenbei, auch noch um Menschen. (Beifall bei der FDP und der AfD) Herzlichen Dank. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Herr Kollege Dürr, gestatten Sie eine Zwischenfrage BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Alexander der Kollegin Hagedorn, SPD? Gauland [AfD]: Das kommt ja immer als Letz- tes, wenn keine Argumente mehr ziehen! – Dr. Alice Weidel [AfD]: Oh Gott! Um Gottes Christian Dürr (FDP): willen! Ist das peinlich!) Ja, bitte schön, Frau Staatssekretärin.

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Bettina Hagedorn (SPD): Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Christian Sehr verehrter Herr Kollege Dürr, wir hatten in den (B) Dürr, FDP. letzten Wochen schon häufg Gelegenheit, über dieses (D) Thema im Haushaltsausschuss zu diskutieren, und da- (Beifall bei der FDP) rum muss ich Ihnen schon sagen, dass ich es ein bisschen befremdlich fnde, dass Sie uns im Haus hier jetzt schon Christian Dürr (FDP): zum zweiten Mal ermahnt haben, dass wir uns ehrlich machen sollen. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Rehberg, Sie sagen: Wir sind (Dr. [AfD]: Ja!) im dritten Programm, nicht im vierten. – Das ist ja keine Fernsehsendung hier. In der Nacht vom 21. Juni auf den Denn das, was Sie hier gerade gesagt haben, entbehrt je- 22. Juni haben die Finanzminister der Euro-Gruppe ein der Form der Ehrlichkeit. umfangreiches Paket vereinbart, ein Paket aus Schulden­ (Beifall bei der SPD – Dr. erleichterungen, zusätzlichen Bedingungen, einer erwei- [FDP]: Jetzt bitte eine Frage! – Jürgen Braun terten Überwachung und einem weiteren Cashpufer in [AfD]: Das ist eine plumpe Behauptung, aber Höhe von 15 Milliarden Euro. Meine Damen und Herren, keine Frage!) wir müssen uns an dieser Stelle ehrlich machen: Was ist das anderes Sie bedienen hier wirklich Ressentiments, möglicherwei- se auch die „Bild“-Zeitung, (Dr. [AfD]: Als ein vier- tes Programm?) (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Fragen!) indem Sie behaupten, es sei ein viertes Paket, als ein viertes Griechenland-Paket, meine Damen und Herren? Alles andere wäre Augenwischerei. (Zurufe von der FDP: Frage!) (Beifall bei der FDP und der AfD – obwohl Sie ganz genau wissen, dass es das dritte Paket Dr. Alexander Gauland [AfD]: Aber die CDU ist und dass in diesem dritten Paket vor vielen Jahren will sich nicht ehrlich machen! – Zuruf der knapp 86 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt worden Abg. Ulli Nissen [SPD]) sind, von denen jetzt ungefähr 25 Milliarden Euro gar nicht gebraucht werden, Herr Kollege Rehberg, das ist ein Paket vor allen Dingen auch aus Schuldenerleichterungen. Es gibt eine (Beifall bei der SPD) zusätzliche Zinsersparnis, nämlich eine Senkung der ur- und das ist eine gute Botschaft. sprünglich vereinbarten Verzinsung. Die Buchgewinne aus dem Erwerb griechischer Staatsanleihen sollen an (Zurufe von der FDP: Frage!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4427

Bettina Hagedorn (A) Das ist eine Botschaft des Erfolgs für Europa und für will in aller Klarheit sagen: Die Entscheidung, die hier (C) Deutschland. Ich fnde es nicht in Ordnung, dass Sie hier die Finanzminister der Euro-Gruppe getrofen haben, ist in diesem Hohen Hause auch aus einem anderen Grunde nicht gerechtfertigt. Ge- messen an den Erwartungen im Zusammenhang mit den (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Frage!) bisherigen drei Rettungspaketen steht Griechenland tat- solche, entschuldigen Sie bitte, Dinge verbreiten, die sächlich besser da, als ursprünglich erwartet, meine Da- schlicht nicht wahr sind. Das ist Difamierung. men und Herren. Es gibt bessere Wachstumsprognosen. Der Haushaltsüberschuss ist höher als erwartet. Wenn (Beifall bei der SPD – Dr. Marco Buschmann man jetzt aber, nach drei Paketen, feststellt, dass Grie- [FDP]: Wo war denn die Frage? – Weitere Zu- chenland heute besser dasteht, als ursprünglich erwartet, rufe: Frage!) vor welchem Hintergrund kann man dann noch weitere Schuldenerleichterungen zulassen? Das ist eine Logik, Christian Dürr (FDP): die die Menschen in Deutschland nicht verstehen, liebe Frau Kollegin Hagedorn, ich will das nur in aller Kolleginnen und Kollegen. Klarheit sagen – ich werde auch gleich noch mal aus den (Beifall bei der FDP und der AfD – Andrea Debatten genau zu diesem Thema zitieren, die hier 2015 Nahles [SPD]: Unterirdisch! – Carsten geführt wurden, als die FDP nicht im Deutschen Bun- Schneider [Erfurt] [SPD]: Die AfD klatscht destag war; dann können wir über Ehrlichkeit reden an mehr Beifall als die FDP! Das sollte Ihnen zu der Stelle –: Wenn man nachträglich Bedingungen eines denken geben!) festgelegten Pakets ändert, wenn man nachträglich der Aufassung ist, dass mehr Liquidität rein muss, als ur- Wenn man die Bedingungen hinsichtlich der nach sprünglich vereinbart war, wenn man nachträglich Zin- dem ESM-Vertrag zwingend erforderlichen Schulden- sen senkt, dann sind das faktische Schuldenerleichterun- tragfähigkeit beim dritten Paket jetzt nachträglich ändert, gen, und dann ist das ein neues Paket. Alles andere, Frau meine Damen und Herren, dann war die Schuldentragfä- Kollegin, ist irrational. higkeit ofensichtlich schon damals, 2015, nicht gegeben. Das ist übrigens die Kontinuität bei den Freien Demo- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten kraten an dieser Stelle: Wir haben schon 2015, nachdem der AfD) wir die ersten beiden Rettungspakete hier im Deutschen Jetzt will ich Ihnen sagen, wie das Hohe Haus 2015 Bundestag mit verabschiedet haben, gesagt, dass der Ver- hier diskutiert hat, und den damaligen Bundesfnanzmi- zicht auf eine entsprechende Regelung ein Fehler ist. Es nister Wolfgang Schäuble zitieren. Im Rahmen der De- war damals ein Fehler, und es ist heute ein Fehler. Dabei (B) batten über das dritte Hilfspaket für Griechenland hat bleibt es, liebe Kolleginnen und Kollegen. (D) Schäuble klar gesagt: (Beifall bei der FDP und der AfD – Zuruf der Wiederum ist auch klar, dass ein Schuldenschnitt Abg. Ulli Nissen [SPD]) nicht möglich ist. Entscheidend ist doch – das ist mir wichtig –, wel- Und weiter – Stichwort „IWF“ –: chen Kurs Griechenland langfristig einschlägt; denn es ist, wie hier alle Kollegen zu Recht gesagt haben, ein sehr Für die Bundesregierung ist unabdingbar, dass der langfristiges Paket, über das wir hier reden. Wird Grie- Internationale Währungsfonds mit seiner besonde- chenland langfristig einen Weg wie Irland einschlagen, ren Expertise bezüglich Staatsschuldenkrisen weiter mit marktwirtschaftlichen Reformen, oder wird man in an Bord bleibt. Athen angesichts der Erleichterungen eher bei den Re- Und zum Schluss: formbemühungen nachlassen? Meine Damen und Her- ren, ich will in diesem Zusammenhang an die Situation Die Euro-Gruppe ihrerseits hat entsprechend der der Bundesrepublik Deutschland Anfang des vergange- Position der Bundesregierung klar gesagt, dass eine nen Jahrzehnts erinnern: Deutschland war damals der weitere Beteiligung des Internationalen Währungs- kranke Mann Europas. Es waren mutige Reformen einer fonds an diesem Programm auch fnanziell unver- rot-grünen Bundesregierung mit weitgehender Unter- zichtbar ist. stützung der damaligen schwarz-gelben Opposition, die (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Deutschland in Europa aus eigener Kraft wieder haben wirtschaftlich erstarken lassen, meine Damen und Her- Herr Rehberg, Sie haben gerade von „regelbasiert“ ren. gesprochen. Das sind die Regeln, die der Deutsche Bun- destag selbst aufgestellt hat. An die wird sich jetzt nicht (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Wilhelm gehalten, und das ist es, was die Menschen in Deutsch- von Gottberg [AfD]) land stört, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich glaube, dass mutige Reformen, die – unabhängig (Beifall bei der FDP und der AfD – Carsten von Konjunkturzyklen – ein Land langfristig erfolgreich Schneider [Erfurt] [SPD]: Das ist lächerlich!) machen, aus eigenem Willen geschehen müssen. Die Agenda 2010 wäre so in Deutschland nie gekommen, Frau Hagedorn, Sie haben auch auf die Entwicklung wenn sie aus Brüssel, London oder Berlin aufoktroyiert in Griechenland Bezug genommen und gesagt, nicht al- worden wäre. les, was im Rahmen des ESM möglich gewesen wäre, sei ausgeschöpft worden; das war ja gerade Ihre These. Ich (Beifall bei der FDP) 4428 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

Christian Dürr (A) Deswegen muss es Griechenland aus eigener Stärke Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (C) schafen – das ist die Botschaft –, und da bin ich durchaus Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Fabio De zuversichtlich, liebe Kolleginnen und Kollegen. Masi, Fraktion Die Linke. Durch dieses fnanziell großzügige und gleichzeitig (Beifall bei der LINKEN) politisch sehr enge – Stichwort „Bedingungen“ – und langwierige Schlusspaket nehmen wir Griechenland aus Fabio De Masi (DIE LINKE): meiner Sicht die Chance, eine eigene Reformpolitik zu Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! entwickeln. Es ist ein Paket der dauerhaften Fremdbe- Griechenland soll nach Jahren der Entbehrungen an den stimmung. Diese Fremdbestimmung ist genau das, was Finanzmarkt zurückkehren. Zeit, sich ehrlich zu ma- falsch läuft. Wir haben immer gesagt: Wir stehen bereit, chen! 95 Prozent der Griechenland-Kredite in Höhe von wenn die gesamte Währungszone in Gefahr ist; ich glau- 274 Milliarden Euro fossen in den Schuldendienst, auch be, dann kommt auch die Solidarität der deutschen Steu- an deutsche und französische Banken, nicht an griechi- erzahler zum Tragen. sche Krankenschwestern oder Rentner. (Zuruf des Abg. Jürgen Trittin [BÜND- (Beifall bei der LINKEN) NIS 90/DIE GRÜNEN]) Wahr ist auch: Deutsche Finanzminister erzielten mit die- Aber wenn es nur darum geht, einem einzelnen Land von sen Krediten Zinserlöse in Höhe von 3 Milliarden Euro. europäischer Seite seine Reformbemühungen zu dik- tieren, dann wird das langfristig keine erfolgreiche Eu- Griechenland wurde das härteste Kürzungspaket einer ro-Rettungspolitik sein, meine Damen und Herren. Das Industrienation seit dem Zweiten Weltkrieg auferlegt. muss sich ändern, auch in der Bundesregierung, um das Die öfentliche Schuldenquote stieg jedoch von etwa in aller Klarheit zu sagen. 120 Prozent der Wirtschaftskraft auf 180 Prozent, weil Kürzungspakete die Depression vertieften. Auch Öko- (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Hansjörg nomen des Internationalen Währungsfonds haben diese Müller [AfD]) extreme Kürzungspolitik als falsch bezeichnet. Wir stellen fest: Finanziell ist der Internationale Wäh- Die Griechenlandrettung funktionierte so, als würde rungsfonds bei diesem Schlusspaket nicht mehr an Bord. ich zu einem Freund gehen, der eine Taverne betreibt und Faktisch ist es ein Schuldenschnitt, tatsächlich ist es ein bei mir Schulden hat, und diesem Freund meine Kredit- viertes Griechenland-Programm. karte leihen, um damit seine Schulden bei mir zu bezah- len, (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Sie haben (B) es nicht verstanden! Was wollen Sie jetzt ei- (Peter Boehringer [AfD]: Nur mit 160 Milli- (D) gentlich noch mal? – Ulli Nissen [SPD]: Ist es arden!) nicht das fünfte? – [SPD]: Was würde ihn aber zwingen, mir seine Tische und Stühle ist die Alternative?) zu schenken und den Koch zu entlassen, sodass er kein Ich will in Richtung der Kolleginnen und Kollegen der Einkommen mehr erwirtschaftet, und dennoch darauf be- Union sagen: Das ist das Gegenteil dessen, was die Uni- stehen, dass er Monat für Monat die Rate für die neuen on ihren Wählerinnen und Wählern – und übrigens auch Kredite überweist. Eine solche Politik ist völlig verrückt, ihren eigenen Mitgliedern – versprochen hat. Ich glaube, meine Damen und Herren. es gibt die Bereitschaft der Menschen, in der Währungs- (Beifall bei der LINKEN) zone zu helfen, aber nur dann, wenn man sich am Anfang und am Ende an die Regeln hält. Der „Spiegel“ ließ nach der Sitzung der Euro-Gruppe einen 76-jährigen griechischen Rentner zu Wort kom- Ich komme zum Ende. Ich frage mich, ob dieses Er- men. Ich zitiere: gebnis statt unter einem Bundesfnanzminister Scholz auch unter einem Bundesfnanzminister Schäuble so zu- „Meine einzige Sorge ist …, wie ich genug Geld für stande gekommen wäre? Ich weiß es nicht. meine Beerdigung sparen kann.“ (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Jetzt et- Griechische Renten wurden bereits um 60 Prozent ge- was Konstruktives zum Ende!) kürzt; sie werden 2019 erneut gekürzt. Die Einkommen der Griechen sind auf den Stand von 2003 gefallen; über Aber war es klug, sich in einer entscheidenden Phase der 300 000 junge Griechen sind ausgewandert. Zukunft der europäischen Finanz- und Währungspolitik durch innerkoalitionäre Streitereien auch auf europäi- Im Krankenhaus von Nikea gab es fast eine Stunde scher Ebene erpressbar zu machen? Nein, meine Damen Stromausfall. Das Notstromaggregat sprang nicht an. und Herren, liebe Kollegen der Union, dieses Verhalten Krankenschwestern liefen mit Verlängerungskabeln über der letzten Wochen war im Hinblick auf die Finanzsta- die Flure, um den operierenden Chirurgen Strom zu brin- bilität und die Währungsstabilität in Europa selten däm- gen. Intensivpatienten war minutenlang der Strom abge- lich, um das in aller Klarheit zu sagen. dreht; denn die Infrastruktur in Griechenland verlottert. Herzlichen Dank. Doch Athen soll weiter kürzen und privatisieren, was nicht bei drei auf dem Baum ist. Die hessische Landes- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten regierung intervenierte bei der Troika, damit die prof- der AfD) tablen Regionalfughäfen zu Schleuderpreisen an die Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4429

Fabio De Masi (A) Fraport AG verkauft wurden – in einem Verfahren mit Ich möchte mich im Namen meiner Fraktion bei den (C) nur einem Bieter. Sie nennen das Marktwirtschaft, ich Griechinnen und Griechen für die Politik der Bundesre- nenne das nackte Erpressung. gierung entschuldigen, die so viel unnötiges Leid verur- sacht hat. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Deutschland verkauft immer mehr und billiger ins Ausland, als es von dort einkauft, weil unsere Löhne Den Griechen wünsche ich, dass sie ihr Land nach der wegen Hartz IV, Leiharbeit und Befristungen zu niedrig Finanzkrise und den Verwüstungen der Troika wieder sind. Auch die griechischen Löhne sind seit der Krise um aufbauen können. 25 Prozent gefallen. Aber Griechenland exportiert kaum Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. etwas; denn Griechenland wurde durch den Cocktail aus deutschen Exportüberschüssen und Kürzungspolitik (Beifall bei der LINKEN) deindustrialisiert. Es ist Zeit für eine unbequeme Wahrheit: Griechen- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: land wird die Kredite niemals komplett zurückzahlen Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Sven-Christian­ können. Kindler, Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall des Abg. Karsten Hilse [AfD]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie haben Deutsche Bank und Co Zeit gekauft, damit die Rettungsschirme das Risiko einer griechischen Plei- Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- te übernehmen. Die Bundesregierung sollte jedoch die NEN): deutsche Geschichte, die Geschichte von Versailles, ken- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um es am nen. Wir sollten nicht vergessen, dass Deutschland 1953 Anfang klar zu sagen: Es war gut und richtig, dass die zig Milliarden Euro Schulden durch das Londoner Ab- deutsche Bundesregierung endlich ihre Blockadehaltung kommen erlassen wurden. Aber Sie verweigern weiter bei der Schuldenerleichterung für Griechenland aufge- eine zukunftsfeste Lösung für die griechischen Schulden, ben musste. Wir Grüne haben das lange gefordert. Das obwohl der IWF klipp und klar sagt, dass Griechenland war überfällig. überschuldet ist. Daran ändern auch die geringfügigen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Schuldenerleichterungen nichts. Sie verschieben den Of- fenbarungseid nur hinter die nächste Bundestagswahl. Griechenland hat seine Verpfichtungen eingehalten, und deswegen ist es auch nur logisch, dass jetzt die Eu- (B) Griechenland soll noch bis 2060 Haushaltsüberschüs- ro-Gruppe ihre Verpfichtungen, ihre Versprechen einhält (D) se vor Zinsen erwirtschaften. Dies ist noch keinem Land und ihr Wort hält in Bezug auf Schuldenerleichterungen der Welt gelungen. Ein heute geborenes griechisches für Griechenland. Baby wäre bis dahin 42 Jahre alt. Und die Nachprogram- müberwachung soll noch 30 Jahre andauern, bis 75 Pro- (Beifall der Abg. Britta Haßelmann [BÜND- zent der Schulden getilgt sind. Das ist mehr als das Dop- NIS 90/DIE GRÜNEN]) pelte einer Kanzlerschaft von Frau Merkel. Das Geld, Verträge sind einzuhalten, pacta sunt servanda. Deswe- das in den Schuldendienst fießt, fehlt für Investitionen. gen werden wir Grüne heute der Schuldenerleichterung Nur mit Investitionen kann jedoch ein Strukturwandel in für Griechenland zustimmen. Griechenland gelingen und einer verlorenen Generation wieder Hofnung gegeben werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Barbara Hendricks [SPD]) Wir haben den 5. Juli 2015 nicht vergessen. Damals sagte die Mehrheit der Griechen „Oxi“ – Nein – zur Herr Dürr, es reicht nicht, wenn die FDP auf Parteita- Kürzungspolitik. Aber die EZB drehte Griechenland den gen schöne Sonntagsreden zu Europa hält. Aber wenn es Euro ab und zwang die Regierung, eine Vereinbarung zu konkret wird bei der Frage der Reform der Währungsuni- unterzeichnen, über die Wolfgang Schäuble einmal ge- on, wenn es konkret wird bei der Frage: „Wie gehen wir sagt haben soll, er hätte so etwas für Deutschland niemals mit Griechenland um?“, unterschrieben. An diesem Tag starb in Griechenland, der (Dr . Marco Buschmann [FDP]: Sie riskieren Wiege der Demokratie, auch ein Stück Europa. Europa, weil Sie die Akzeptanz Europas aufs Mein Freund, der 96-jährige griechische Widerstands- Spiel setzen! Für Sie heißt Europa nur Geld- kämpfer und Poet Manolis Glezios, der als junger Mann verteilen! Sie sparen Europa kaputt!) die Nazifagge von der Akropolis holte, dessen Bruder wollen Sie de facto immer noch, dass Griechenland aus Nikos von deutschen Besatzern hingerichtet wurde, ant- dem Euro austritt, also die Euro-Zone spalten. Wenn es wortete einmal in meiner Heimatstadt Hamburg auf die konkret wird, sind Sie gegen Europa. Diese Doppelzün- Frage, ob er angesichts der Kriegsschulden Deutschlands gigkeit, Herr Dürr, fnde ich wirklich beschämend. nicht die Konfszierung der Goethe-Institute befürworte: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich liebe Goethe und die deutsche Literatur. Die und bei der SPD) Deutschen sind unsere Brüder und Schwestern und tragen keine Schuld für ihre Regierung. Niemals Herr Boehringer, Sie haben hier im Plenum behaup- würde ich ihre Bücher beschlagnahmen. tet, dass wegen des privaten Schuldenschnittes, den es 4430 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

Sven-Christian Kindler (A) gab, die Hypo Real Estate in Deutschland verstaatlicht deshaushalt, seit 2008 im Rahmen der Niedrigzinsphase (C) worden wäre. Das Gegenteil ist der Fall: 2009 musste die an Zinskosten gespart, Hypo Real Estate verstaatlicht werden wegen massiver schlechter Finanzgeschäfte, die sie gemacht hat. 2012 (Martin Hebner [AfD]: Was ist mit dem deut- gab es den privaten Schuldenschnitt in Griechenland, schen Sparer?) und daran wurde auch die Hypo Real Estate entscheidend weil viel Kapital aus Südeuropa nach Deutschland ge- beteiligt. Wenn Sie hier im Plenum reden, dann kriegen fohen ist und weil Mario Draghi eine Niedrigzinspolitik Sie die Fakten klar und machen Sie nicht solche Attacken gemacht hat. Seien wir doch einmal ehrlich: Ohne Mario auf Europa. Draghi hätte Wolfgang Schäuble diesen Bundeshaushalt nie sanieren können. Das ist doch die Wahrheit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Abg. Peter (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Boehringer [AfD] meldet sich zu einer Zwi- sowie bei Abgeordneten der SPD) schenfrage) Aber ich will auch klar sagen: Beim Thema „Europa“ geht es nicht nur um Finanzen und Wirtschaft. Deutsch- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: land proftiert extrem vom Euro und von der Europäi- Herr Kollege Kindler, gestatten Sie eine Zwischenfra- schen Gemeinschaft; aber es geht bei Europa um etwas ge? anderes. Europa ist ein zentrales Friedensprojekt; denn Europa wurde aus der Erfahrung heraus gegründet, dass Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Nationalismus überwunden werden muss, weil Nationa- NEN): lismus früher oder später immer zu Krieg führt. Europa war die zentrale Lehre aus den schrecklichen Verbre- Ich würde gerne meine Rede zu Ende führen. chen des deutschen Nationalsozialismus. Ich fnde es angesichts der Debatte, die wir in den letzten Wochen in Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Deutschland führen, ziemlich geschichtsvergessen, mit Er gestattet nicht. welcher Brutalität die CSU und Teile der CDU dieses Europa jetzt infrage stellen und ofen mit extrem rechten Politikern wie Orban, Salvini und Strache sympathisie- Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ren. Ich sage Ihnen: Dieser Nationalismus ist brandge- NEN): fährlich. Sie legen die Axt an unser Europa. Herr Boehringer hatte schon Zeit, dazu zu reden. – Herr Boehringer, wenn Sie auf Ihrer Homepage am (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (B) 22. Juni 2018 im Zusammenhang mit diesem Griechen- sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. (D) land-Paket und Europa von – ich zitiere – „Endsiegpro- Birke Bull-Bischof [DIE LINKE]) paganda“ reden, dann wird klar, wes Geistes Kind Sie Diese Entwicklung kam ja nicht über Nacht. Wir ha- sind. Das ist Nazisprache. ben gerade während der Krise in Griechenland extrem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, nationalistisches Denken in Deutschland erlebt; das hat bei der SPD und der LINKEN sowie bei Ab- stark zugenommen. Es gab ein übles Bashing und Belei- geordneten der CDU/CSU) digungen durch die „Bild“-Zeitung. CDU-Politiker ha- ben gefordert, dass Griechenland seine Inseln verkauft. Sie wollen Europa zerstören und in die dunkelste Phase und Markus Söder haben immer deutscher Geschichte zurück. wieder gefordert, dass Griechenland aus der Euro-Zo- ne austritt. Auch der damalige Finanzminister Wolfgang Natürlich verdient Deutschland momentan an den Schäuble hat 2015 versucht, Griechenland aus dem Euro griechischen Anleihen, die die EZB gekauft hat, den so- zu schmeißen. Ich sage Ihnen: Das hat tiefe Wunden in genannten SMP-Gewinnen, und an den Kreditprogram- Europa gerissen. Es war ein Versuch, Europa zu spalten. men, die die KFW aufgelegt hat. Insgesamt sind es fast Zum Glück ist dieser Versuch gescheitert. Ich sage Ih- 2,9 Milliarden Euro. Die Euro-Gruppe hat 2012 – ich nen auch mit Blick auf die CSU, auf Teile der CDU und sage das noch einmal – beschlossen, dass diese soge- gerade heute auch mit Blick auf die FDP: Das dritte Pro- nannten SMP-Gewinne an Griechenland ausgezahlt gramm für Griechenland wird beendet. Es war gut und werden. Ich fnde, das ist eine Selbstverständlichkeit. richtig, dass Griechenland im Euro geblieben ist. Deutschland darf nicht auch noch an der Krise in Grie- chenland verdienen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Es ist jetzt notwendig, dass Griechenland eine klare Abg. Dr. Barbara Hendricks [SPD]) Perspektive, eine Partnerschaft auf Augenhöhe, geboten bekommt und dass in Griechenland Strukturreformen Deutschland hat an der Finanzkrise in Europa insge- weiter umgesetzt werden – das haben wir immer unter- samt mächtig verdient. Den weitaus größten Proft hat stützt –, zum Beispiel in der Steuerverwaltung, im Justiz- Deutschland, der deutsche Bundeshaushalt, aus der his- system oder in der öfentlichen Verwaltung. torisch niedrigen Zinsphase geschlagen. Rund 162 Mil- liarden Euro – das muss man im Deutschen Bundestag Es ist aber auch notwendig, dass die Fehler der al- mal sagen dürfen – hat Deutschland, der deutsche Bun- ten Troika-Politik korrigiert werden. Eine falsche, har- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4431

Sven-Christian Kindler (A) te Sparpolitik hat die Krise in Griechenland verschärft. „Endsieg“, meine Damen und Herren, ist ein Nazibegrif. (C) Die Armut ist extrem groß; ein Drittel der Menschen in „Endsiegpropaganda“ ist das genaue Gegenteil. Es ist ein Griechenland ist von Armut gefährdet. 50 Prozent der abwertender Begrif gegen die Endsiegideologie des Na- Jugendlichen sind arbeitslos. Wir sagen Ihnen klar: Grie- ziregimes. chenland braucht jetzt eine Perspektive für die Zukunft. Griechenland braucht Luft zum Atmen und den Spiel- (Beifall bei der AfD) raum für Investitionen, für soziale Maßnahmen, für die Bekämpfung der Armut. Das Herumschubsen Griechen- Genau so habe ich ihn auf meiner Homepage auch ge- lands muss endlich aufhören. braucht. Ich habe „Endsiegpropaganda“ gebraucht im Sinne von: Das Ende ist klar. 1944/45 wusste das Nazire- Vielen Dank. gime, dass es zu Ende gehen würde.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ihr sowie bei Abgeordneten der SPD und der habt immer eine Ausrede!) LINKEN) Die Propaganda wurde aufrechterhalten. Da gibt es Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: durchaus Analogien zu einigem, was wir hier heute ge- Jetzt erteile ich das Wort zu einer kurzen Zwischenin- hört haben: Das Ende ist sicher, aber es wird noch geleug- tervention dem Kollegen Peter Boehringer, AfD. net. Deshalb ist das in keiner Weise eine Verharmlosung der Zeit von 1933 bis 1945. Ich bitte, diesen Blödsinn (Beifall bei der AfD) endlich einzustellen.

Peter Boehringer (AfD): Herzlichen Dank. Lieber Kollege Kindler, wir müssen zwei Dinge fak- (Beifall bei der AfD – Ulli Nissen [SPD]: tisch klarstellen, nachdem Sie ja auch Faktenfehler un- Sie sollten den Blödsinn einstellen! – Britta terstellt haben. Obwohl Sie zunächst geleugnet haben, Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: dass die Hypo Real Estate verstaatlicht wurde, haben Sie Wieso schreibt der immer was auf, was er es eigentlich im nächsten Satz selbst ausgesprochen: Sie dann nachher nicht mehr weiß? Das war doch wurde verstaatlicht. bei der Merkel-Beleidigung auch so!) (Zuruf des Abg. Dr. Gerhard Schick [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: – Sie können ja gleich antworten. (B) Herr Kollege Kindler, Sie mögen ofensichtlich, also (D) Im Portfolio der Hypo Real Estate waren eine Menge dürfen Sie antworten. griechischer Anleihen (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: 9 Milliar- Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- den von 400!) NEN): – 9 Milliarden, genau –, Vielen Dank, Herr Präsident, ich werde gerne antwor- ten. – Herr Boehringer, Sie haben hier im Plenum be- (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Von 400!) hauptet, dass die Hypo Real Estate wegen der Abschrei- die bis heute Teil des Portfolios des Bundes sind. Sie soll- bungen im Zuge des Schuldenschnitts in Griechenland ten das wissen. Sie und ich sind ja Berichterstatter zum verstaatlicht worden sei. Einzelplan 32 des Bundeshaushaltes, und da wird dieses Portfolio, das heute in München bei der FMS Wertma- (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Das ist nagement verwaltet wird, konsolidiert, indem Zahlungen Blödsinn! – Peter Boehringer [AfD]: Lesen rein- und rausgeschoben werden. Das sind die Fakten. Sie doch das Protokoll!) Insofern ist es nicht falsch, hier zu sagen, dass die Ab- schiebung, Das ist ein Faktenfehler, das war einfach Blödsinn. Gut, dass Sie das hier korrigiert haben. (Lachen bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und die Abschreibung dieser Kredite auf die lange Bank ge- der SPD – Jürgen Braun [AfD]: Darum geht’s schoben wird. Das ist genau das Gleiche wie bei allen doch gar nicht!) Krediten, über die wir hier reden. Das war also kein Fak- tenfehler. Das sind die Fakten. Es ist ja auch immer sehr erstaunlich, dass Sie sich Sie meinten auch, beim Thema „falsche Termino- nachher nicht erinnern können, was Sie alles mal im In- logie“ wieder einmal Mimimi machen zu müssen und ternet geschrieben haben. Stilfragen aufmachen zu müssen. Das ist ja das Einzige, (Peter Boehringer [AfD]: Ich habe das ge- was Ihnen hier noch einfällt gegen unsere Argumente. schrieben wie eben gesagt! – Britta Haßelmann (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Merkelnut- NEN]: Welche Argumente?) te“ hat er gesagt!) 4432 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

Sven-Christian Kindler (A) – Die vulgäre Beleidigung der Kanzlerin will ich hier gar Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (C) nicht wiederholen, weil sie so schlimm ist. Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Achim Post, SPD-Fraktion. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jürgen Braun [AfD]: Oh! Die linksgrüne (Beifall bei der SPD) Kanzlerin!) Achim Post (Minden) (SPD): Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Kollege Kindler Einigung der Finanzminister zu Griechenland ist eine hat der Zwischenbemerkung des Kollegen Boehringer in gute Nachricht – für Europa, für Griechenland und für aller Ruhe zugehört. Tun Sie jetzt bitte dasselbe. Deutschland. (Beifall bei der SPD, der FDP, der LINKEN Erstens: Es ist eine gute Nachricht für Europa, weil die und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Einigung zeigt, dass Europa handlungsfähig ist und Pro- bleme in den Grif bekommen kann. Ich weiß, das dau- ert manchmal etwas länger in Europa, das ist nun einmal Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- so – in diesem Fall acht Jahre –; aber die jetzt gelungene NEN): Einigung auf den Abschluss des dritten Hilfsprogramms Vielen Dank, Herr Präsident. – Sie müssen sich das für Griechenland zeigt: Mit Geduld, mit Verhandlungen, schon zuschreiben lassen und auch dazu stehen, wenn Sie mit Vernunft bekommt man gemeinsame Lösungen hin, Begrife, die in der Nazizeit gebraucht wurden, selber be- liebe Kolleginnen und Kollegen. nutzen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Oh!) der CDU/CSU) Das ist ein gutes Signal, das gerade in diesen Tagen wich- Dazu müssen Sie stehen. tig ist; denn eines ist wohl klar: Wenn in der Griechen- (Jürgen Braun [AfD]: „Autobahn“, oder was? land-Frage nationale Egoisten oder politische Hasar- Sie fahren nicht auf der Autobahn!) deure die Oberhand gewonnen hätten, dann stünden wir heute nicht vor einem Abschluss des Hilfsprogrammes, Und wenn Sie hart austeilen, dann müssen Sie auch Kri- sondern vor einem politischen, wirtschaftlichen und f- tik einstecken können. nanziellen Scherbenhaufen in Europa. (B) (D) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LIN- (Beifall bei der SPD) KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das Paket, auf das sich die Finanzminister geeinigt sowie bei Abgeordneten der FDP) haben, ist ausgewogen und vernünftig. Es wird ein or- Wenn Sie Begrife wie „Endsiegpropaganda“ benut- dentlicher Liquiditätspufer eingebaut. Es ist klar verein- zen, wird völlig klar, wes Geistes Kind Sie sind; bart, dass Griechenland den eingeschlagenen Reformkurs fortführt, überwacht durch die europäischen Institutionen (Jürgen Braun [AfD]: Unglaublich!) und auch mit der Expertise des IWF. Und mit der tech- nischen Hilfe bei der Umsetzung von Reformen geht es das ist doch klar. um ganz konkrete, praktische und nachhaltige Dinge: bei der Zoll- und Steuerverwaltung, bei der Einrichtung ei- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem nes Grundbuchs, im Bereich der erneuerbaren Energien, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- bei der Exportförderung. geordneten der CDU/CSU und der FDP – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Hören Sie mit Mein Dank gilt dem Bundesminister der Finanzen, der dem Quatsch auf!) dieses Paket in den letzten Wochen ohne großes Wellen- schlagen seriös und solide verhandelt hat. Sie wollen dieses Europa difamieren, Sie wollen dieses Europa zerstören, Sie wollen zurück in den Nationalis- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) mus, Sie wollen zurück in die dunkelsten Stunden der – Ja, da können Sie ruhig klatschen. deutschen Geschichte. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Jürgen Braun [AfD]: Primitiver geht es nicht der CDU/CSU) mehr!) Und auch das sei an dieser Stelle gesagt: Die Art und Das ist doch klar bei der AfD. Das wird jede Woche hier Weise, wie diese Einigung zustande gekommen ist, ru- im Plenum des Deutschen Bundestages klar, und das hig, mit einem vernünftigen Ergebnis, hebt sich erfri- werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. schend von den Dramen und Last-minute-Showdowns der Vergangenheit ab. Es geht also auch anders, liebe (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Kolleginnen und Kollegen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- geordneten der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4433

Achim Post (Minden) (A) Die Einigung ist zweitens auch für Griechenland eine ropas! Setzen wir gemeinsam auf die Kraft der Vernunft, (C) gute Nachricht. Nach acht Jahren kann Griechenland nun und setzen wir gemeinsam auf kluge Kompromisse! die Rettungsschirme wieder verlassen. Das ist ein Schritt, In diesem Sinne: Schönen Dank und eine gute Debatte! dessen Bedeutung für Griechenland politisch, ökono- misch, aber auch symbolisch nicht zu unterschätzen ist; (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) denn – das müssen wir uns auch vergegenwärtigen – die Anstrengungen Griechenlands, der griechischen Regie- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: rung und der griechischen Bevölkerung waren und sind Nächster Redner ist der Kollege Dr. Harald Weyel, enorm. Griechenland hat seit 2009 seine Staatsausgaben AfD. um 30 Prozent reduziert. Griechenland musste Renten und Löhne kürzen, Steuern erhöhen und die Troika ak- (Beifall bei der AfD) zeptieren. Ich verstehe sehr gut, dass den Menschen in Griechenland oftmals heftig zugesetzt wurde und dort Dr. Harald Weyel (AfD): vieles als verletzend empfunden wurde. Deshalb gilt Geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Bürger, die die meine Solidarität auch den griechischen Bürgerinnen und Zeche zahlen! Liebe Kollegen der Altparteien, Bürgern. (Ulli Nissen [SPD]: Fällt Ihnen nichts Neues (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ein?) DIE GRÜNEN sowie des Abg. Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]) im Jahr 2010 haben Sie per Fingerschnipsen die kalte Enteignung der deutschen Sparer eingeleitet. Eines sollten wir beherzigen: Solide Finanzen, Struk- turreformen, Wachstumsinvestitionen und sozialer Aus- (Beifall bei Abgeordneten der AfD) gleich müssen von vornherein zusammengedacht und Sie haben dem sogenannten ersten Griechenland-Ret- besser als in der Vergangenheit zusammengebracht wer- tungspaket zugestimmt und dadurch eine Niedrigzins- den. phase erzwungen, die Millionen Deutsche bis heute um (Beifall bei Abgeordneten der SPD) die Früchte ihrer Sparsamkeit bringt. (Beifall bei der AfD – Sven-Christian Kindler Drittens: Die Einigung ist auch eine gute Nachricht [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist für Deutschland. Zusammen mit unseren europäischen Quatsch!) Partnern waren wir zu erheblicher Solidarität gegen- über Griechenland bereit. Das Volumen der Kredite aus Sie haben uns ein milliardenschweres Haftungsvolumen (B) den drei Hilfsprogrammen beläuft sich derzeit auf fast aufgebürdet. Sie haben mit Ihrer sogenannten Griechen- (D) 230 Milliarden Euro. Das ist sehr viel Geld. Dass Europa land-Rettung in erster Linie französische Banken geret- und dass unser Land zu einer solchen Kraftanstrengung tet, die in Griechenland engagiert waren. der Solidarität bereit waren, ist etwas, worauf wir durch- aus stolz sein können. (Zuruf von der LINKEN: Und deutsche!) Hier ein Beispiel für die jetzige Bonitätsvortäuschung (Beifall bei der SPD) nach Euro-Muster – Zitat aus dem „Handelsblatt“ vom Schließlich ist es auch in unserem Interesse, dass nun das 22. März dieses Jahres –: letzte Hilfsprogramm im August ausläuft. Damit machen Mehr als 400.000 Griechen bekommen dieser Tage wir einen großen Schritt nach vorne, der die realistische Post von ihrer Bank. Die Briefe enthalten ein verlo- Chance bietet, dass Griechenland künftig wieder auf ei- ckendes Angebot: Mit einer einmaligen Abschlags- genen Beinen stehen kann. zahlung können sich Schuldner, die ihre Kredite Zusammengefasst: Wir sollten uns in diesen Tagen nicht mehr bedienen, freikaufen. Je nach Einzelfall vergegenwärtigen, worum es eigentlich geht. Wir erle- bieten die Banken an, auf ihre Forderungen zu ver- ben gerade, wie Europa in beispielloser Art und Weise zichten, wenn der Kunde binnen weniger Wochen herausgefordert wird: von den USA, von Russland und zwischen zehn und 30 Prozent der ausstehenden von China. Zugleich sind gefährliche Nationalisten da- Kreditsumme zurückzahlt. bei, Europas Einheit von innen aufzusprengen. In dieser Tatsächlich beruht dieser Abbau ausfallgefährdeter Lage kann es sich Europa schlicht nicht leisten, lösbare Kredite also nicht auf wirtschaftlichem Erfolg, wie die Probleme wie die Griechenland-Frage nicht zu lösen. 489 Seiten suggerieren, sondern auf einem massiven For- In dieser Lage müssen wir uns auf das Wesentliche be- derungsverzicht. Dieses Durchlügen bis zur Bankenuni- sinnen, und das ist vor allem eines, nämlich den Zu- on wird sozusagen international unterstützt. sammenhalt Europas zu sichern, liebe Kolleginnen und Kollegen; Ihre Politik richtet sich gegen die Interessen unseres Landes. Sie sind Vertreter der Finanzindustrie. Ihre Po- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) litik setzt auf untaugliche Konzepte und untergräbt das denn ohne den Zusammenhalt Europas müssten wir uns Vertrauenskapital in unserer Gesellschaft. wirklich Sorgen machen. (Beifall bei der AfD) Hören wir also nicht auf Populisten oder Kleinkrämer! Ein ehrlicher Handwerker bekommt von Ihnen keinen Setzen wir gemeinsam auf die Kraft Deutschlands und Eu- Cent, wenn er von einem kriminellen Bauträger um sein 4434 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

Dr. Harald Weyel (A) Geld geprellt wird und in die Insolvenz gehen muss. häufg in diesem Hohen Hause über Griechenland spre- (C) Griechenland hingegen wurde mit der Hilfe einer interes- chen. sierten Investmentbank in die Euro-Zone geschleppt und mit frisierten Zahlen durchgeschmuggelt. Dieses Täu- (Peter Boehringer [AfD]: Ja! Beenden Sie schungsmanöver wird von Ihnen bis heute mit deutschem den Wahnsinn einfach!) Steuerzahlergeld belohnt, und das, obwohl Sie ganz ge- Doch heute sprechen wir zum Glück aus einem ganz an- nau wissen, dass dieses Geld nie zurückgezahlt wird. deren Anlass als 2015 über Griechenland. (Beifall bei der AfD) (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Nein, das ist Der Zahltag wurde nun mal eben von 2023 auf 2033 ge- leider der gleiche!) streckt. Warum nicht gleich auf 3033? Lassen Sie uns einmal zurückblicken: 2015 hatten wir (Beifall bei der AfD) in Europa die globale Finanzkrise noch nicht überwun- den. Zwischenzeitlich hatten wir fünf Länder unter dem Wir als AfD nennen die Dinge beim Namen: Was Sie Euro-Rettungsschirm. Vier davon konnten wir wieder ft betreiben, ist staatlich organisierte Konkursverschlep- machen und somit zeigen, dass die EU-Politik der Refor- pung. Das ist mit uns nicht zu machen. Wir investieren men wirkt. Nur beim größten Sorgenkind wollten keine lieber Milliardenbeträge in die Zukunft unseres Landes, rechten Fortschritte gelingen. Daher mussten wir 2015 in eine funktionierende Infrastruktur zum Beispiel. Da- das Programm für Griechenland erneuern. mit meine ich nicht etwa nur zeitgeistpolitisch verhunzte Bildung oder allerlei Digitales. Ich erinnere mich noch ganz genau an die hitzigen und Die DZ Bank hat letztes Jahr ausgerechnet, dass die intensiven Debatten zu diesem Thema im Sommer 2015. EZB-Nullzinspolitik uns über die Jahre bisher 340 Milli- Wir hatten eine Sondersitzung in den Parlamentsferien. arden Euro an Zinseinnahmen gekostet hat und anderer- Alle Abgeordneten mussten aus dem Urlaub zurück nach seits – ja, gespart wurde auch – bei Krediten 145 Milliar- Berlin kommen. Im Gepäck war nicht nur der Frust über den Euro weniger gezahlt wurden. Das heißt, in Summe den abgebrochenen Sommerurlaub mit der Familie, son- sind 200 Milliarden Euro futsch. 200 Milliarden Euro dern auch jede Menge Zweifel. Wir haben daran gezwei- Miese für deutsche Haushalte. felt, ob wir der griechischen Regierung vertrauen kön- nen, die bitteren Reformen auch wirklich umzusetzen. Wir stellen die Interessen der deutschen Bürger in den Wir haben daran gezweifelt, ob die Bürgerinnen und Bür- Mittelpunkt und nicht die der Finanzindustrie. ger Griechenlands, die sich auf den Straßen versammelt (Beifall bei der AfD) hatten, die Reformpolitik tatsächlich mittragen würden. (B) Wir hatten Bedenken, wie wir die richtige EU-Politik zu (D) Wir möchten, dass der deutsche Sparer künftig wieder Hause in den Wahlkreisen erklären sollten. Viele Frage- die Früchte seines Konsumverzichtes in Form von Zin- zeichen standen im Raum, und wir haben uns die Ent- sen erntet. Wir stehen für eine Antikonkursverschlep- scheidung 2015 wirklich nicht einfach gemacht. pungsfnanzmarktpolitik und weisen den hier vorgeleg- ten Antrag zurück. Dabei schaue ich mir die Situation auch immer durch die kommunale Brille an. Man darf die Auswirkungen Danke fürs Aufpassen im Fall des Falles. solcher Reformen auf die kommunale Ebene nicht un- (Beifall bei der AfD) terschätzen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Nächster Redner ist der Kollege Christian Haase, Ich war zuletzt 2016 in Griechenland, um Gespräche CDU/CSU. mit den verschiedenen politischen Ebenen zu führen und auch die Stimmung vor Ort mitzunehmen. Ich kann (Beifall bei der CDU/CSU) Ihnen sagen: Die Probleme, die unsere deutschen Kom- munen haben, würden sich die griechischen Kommunen Christian Haase (CDU/CSU): wünschen. Nur durch Improvisieren, Nichtfragen und Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und mutiges Handeln konnte ein Zusammenbruch der kom- Kollegen! Wir sprechen über Griechenland, wieder ein- munalen Ebene verhindert werden; aber so sind Kommu- mal. Bei der Vorbereitung auf die heutige Rede ist mir ein nale nun einmal. Geholfen hat die Deutsch-Griechische Ohrwurm in den Kopf gekommen: Versammlung. Sie hat innerhalb weniger Jahre ein dy- namisches Netzwerk aus Kommunen, Zivilgesellschaft Guten Morgen, liebe Sorgen, seid ihr auch schon alle da? und Wirtschaft entwickelt, bei dem wir jetzt anknüpfen Habt ihr auch so gut geschlafen, na dann ist ja alles können. klar. (Beifall der Abg. Sonja Amalie Stefen (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Wie sehr wol- [SPD]) len Sie die Debatte noch banalisieren? Das ist vollkommen unangemessen!) Hier danke ich besonders unserem Parlamentarischen Staatssekretär, Herrn Fuchtel, für sein Engagement. Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, mein ostwestfäli- scher Kollege sollte recht behalten, als (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und er 2015 an diesem Rednerpult sagte: Wir werden noch der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4435

Christian Haase (A) Meine Damen und Herren, 2015 haben Deutschland seinen Darlehen aus dem ersten Hilfsprogramm enga- (C) und die europäischen Partner zusammen mit den Insti- giert. Die Forderungen nach einem Rückkauf der alten tutionen ein Paket geschnürt, welches man im Lehrbuch IWF-Darlehen sind vom Tisch. Vierteljährlich wird sich „Wie saniert man ein Land?“ fnden kann. Die Aufagen Griechenland einer verstärkten Überwachung durch die und Maßnahmen wurden nicht nur an einen strengen Institutionen stellen müssen. Zeitplan geknüpft, sondern auch engmaschig kontrol- liert. Mein besonderer Dank gilt an dieser Stelle Wolfang (Zuruf von der LINKEN: Unglaublich!) Schäuble, der Deutschland als Finanzminister mit der Damit stellen wir sicher, dass die griechische Regierung richtigen Mischung aus Solidität und Solidarität durch auf Reformkurs bleibt. Nur so können unsere Hilfen diese schwierige Zeit geführt hat. langfristig auf einen fruchtbaren Boden fallen. Wir haben aus dieser Zeit gelernt, dass Europa und Meine Damen und Herren, die Sorgen sind noch nicht insbesondere die Euro-Zone – wie jede Familie – nicht ganz verschwunden. Aber es sieht doch besser aus, als immer eine Schönwetterveranstaltung sind. Manchmal wir vor drei Jahren gedacht haben. Jetzt muss der Deut- rappelt es auch ordentlich, sche Bundestag hier am Ball bleiben. (Abg. Christian Dürr [FDP] meldet sich zu (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- einer Zwischenfrage) ordneten der SPD) und wir haben gelernt, dass wir alle eng miteinander ver- fochten sind. Am Ende haben wir die richtigen Lehren Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: gezogen und die Euro-Zone als Ganzes stabiler gemacht. Dann erteile ich jetzt dem Kollegen Christian Dürr das Wort zu einer Zwischenintervention. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Herr Kollege Haase, gestatten Sie eine Zwischenfra- Christian Dürr (FDP): ge? Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Haase, ich habe eigentlich nur eine ganz kurze Zwischenfra- Christian Haase (CDU/CSU): ge, die Sie ruhig hätten zulassen können. Sie haben ja Nein, die Kollegen warten auf die namentliche Ab- sehr wortreich beschrieben, dass Sie im Jahr 2015 in stimmung. der Sommerpause Ihren Urlaub abbrechen mussten, (Beifall des Abg. Karsten Hilse [AfD]) hier zusammengekommen sind und dann gemeinsam einen Beschluss gefasst haben. Ich will auf das Thema (B) IWF zurückkommen, Herr Haase. Damals hat die Große (D) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Koalition einmütig beschlossen, dass der IWF an Bord Er gestattet sie nicht. bleiben soll, insbesondere auch fnanziell im Rahmen des dritten Hilfspakets. Ist das aus Ihrer Sicht ex post Christian Haase (CDU/CSU): betrachtet, also aus der Sicht von heute, dem Jahr 2018, Heute stehen wir hier, meine Damen und Herren, und der Fall gewesen, oder lag die Große Koalition damals können auf die Anstrengungen der letzten Jahre zurück- schlicht falsch und hat nicht Wort gehalten? blicken. Viele waren sich sicher, dass dieser Moment nie (Beifall bei der FDP – Ulli Nissen [SPD]: kommt. Aber im August ist es so weit: Griechenland ver- Das war doch keine kurze Frage!) lässt geordnet den Euro-Rettungsschirm. Nach acht Jah- ren kann sich Griechenland wieder am Kapitalmarkt re- fnanzieren. Das Prinzip „Finanzhilfen gegen Reformen“ Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: wirkt. Dabei sind die Mittel des dritten Hilfsprogramms Herr Kollege Haase, mögen Sie antworten – auch noch nicht einmal ausgeschöpft. wenn die Kollegen auf die Abstimmung warten? Sorgen macht jetzt noch die Tragfähigkeit der griechi- (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU schen Staatsschulden. Ein Schuldenstand in Höhe von und der SPD) 180 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ist eine gewalti- ge Belastung. Diesen Schuldenberg abzuarbeiten, wird Christian Haase (CDU/CSU): Jahrzehnte dauern. Eine langfristige Tragfähigkeit erfor- dert daher verbesserte Bedingungen im Hinblick auf den Ja. Schuldenstand. Die Euro-Gruppe hat dazu ein angemes- senes Maßnahmenpaket entwickelt. Es umfasst – wiede- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: rum gegen Aufagen – unter anderem längere Laufzeiten Bitte sehr. für die Kredite und die Auszahlung von Gewinnen aus den Hilfsprogrammen an Griechenland. Christian Haase (CDU/CSU): Meine Damen und Herren, zwei Punkte sind für Ich mache es ganz kurz: Ja, der IWF ist an Bord. Das mich hier wichtig: Erstens. Es gibt keinen Schuldener- haben wir damals versprochen und halten es heute ein. lass oder Schuldenschnitt. Zweitens. Der Internationale Währungsfonds wird mit seiner Expertise an der Nach- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und programmüberwachung mitwirken. Der IWF bleibt mit der SPD – Lachen bei Abgeordneten der FDP) 4436 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

(A) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: ungeteilte Aufmerksamkeit erbitte, ist der Kollege Alois (C) Danke sehr. – Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Rainer, CDU/CSU. Dr. Frauke Petry. (Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Frauke Petry (fraktionslos): Alois Rainer (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Damen und Herren! Die wichtigsten Fakten zu den über Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! 15 Milliarden Euro, die wir heute ausgeben, in zwei Mi- Dass das Griechenland-Programm nun ausläuft, ist eine nuten. gute Nachricht. Europa hatte es wahrlich mit einer gro- ßen Herausforderung zu tun, und Stand jetzt kann man Wir brauchen eine Abstimmung. Wäre alles nach Plan sagen: Europa hat diese Herausforderung bis jetzt res- gelaufen, müsste dieser Bundestag nicht erneut debattie- pektabel gemeistert. ren und abstimmen. Das sollten Sie den Bürgern der Ehr- (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des lichkeit halber sagen. Abg. Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]) Zusätzlich zu 15 Milliarden Euro bekommt Griechen- Mit dem Auslaufen des Programms ist Griechenland land bis zum Jahr 2032 weitere 34 Milliarden Euro Zin- wieder ausschließlich auf den Kapitalmarkt angewiesen, sen gestundet – ebenfalls Geld, das bei einem normalen wenn es sich fnanzieren will. Griechenland bekommt Verlauf des Kreditvertrages zu zahlen wäre. Zusätzlich – dann dort auch Geld. Bereits letztes Jahr haben sie er- das wurde hier bereits gesagt – hat Griechenland eine folgreich damit begonnen, Anleihen zu emittieren. faktische Schuldenquote von deutlich über 180 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Trotzdem – es ist immer In den letzten Tagen hat die Ratingagentur Standard wieder erstaunlich – ist die Koalition optimistisch, dass & Poor’s zudem die Kreditwürdigkeit Griechenlands von Griechenland es schaft. B auf B+ hochgestuft. Wenn man sich mit den Ratings auseinandersetzt, dann weiß man: Das ist noch immer Nur zum Vergleich: Jeder private Häuslebauer, der kein besonders gutes Rating. Man kann aber doch sa- Kredite bei einer Bank aufnimmt – egal ob bei einer gen: Griechenland kann sich wirtschaftlich stabilisieren, Sparkasse oder einer Privatbank –, hat sich an die Kre- wenn es sich an folgenden zwei Leitplanken orientiert: ditverträge zu halten. Wenn er die Kreditmittel nicht aus- Die eine ist die Haushaltsdisziplin, und die andere, da- schöpfen möchte, dann bezahlt er dafür. Er bekommt kein raus folgende ist ein Wirtschaftswachstum. Geld, er bekommt nichts erlassen, sondern er bezahlt der Bank den Zinsverlust, eine Vorfälligkeitsentschädigung. Die griechische Regierung hat sich zu einem Primär­ (B) überschuss von 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (D) Was passiert hier? Hier werden Bedingungen geän- verpfichtet. Das ist gut. Nach 2022 muss das Land die dert, aber sie werden nicht verschärft. Sie werden er- europäischen Fiskalregeln einhalten. Nach Berechnung leichtert. Liquidität, Zinsen, Tilgungserleichterungen: der EU-Kommission impliziert dies einen Primärüber- Darüber stimmen wir heute ab. schuss von 2,2 Prozent zwischen 2023 und 2060. Das ist ebenfalls gut. Griechenland hat sich zudem eine Wachs- Meine Damen und Herren, ich frage mich: Warum das tumsstrategie gegeben, und der IWF und die EU-Kom- alles, wenn es Griechenland angeblich besser geht? Ent- mission begleiten diesen Prozess sehr intensiv. Das ist weder sind die Prognosen zu optimistisch und stimmen noch besser. nicht, oder wir erkaufen uns möglicherweise Griechen- lands politische Zustimmung zu anderen europäischen Ich bin froh, dass wir als Europäer die Möglichkeit Vorhaben. haben, Vergünstigungen, die wir Griechenland zugesagt haben, am Ende der Tage wieder einzukassieren, falls die Ein letztes Wort zu all jenen, die immer gebetsmühlen- zugesagten Strukturreformen ausbleiben sollten. Das ist artig wiederholen, wir, die Deutschen, hätten am meisten notwendig, auch wenn ich hofe, dass diese Maßnahmen vom Euro und der Europäischen Union proftiert: Wenn nie nötig werden und von diesem Sanktionsmechanismus es denn so ist, dann sollten Sie Zahlen vorlegen. Rechnen nie Gebrauch gemacht werden muss. Ich vertraue ein Sie das den Bürgern vor, und vergessen Sie bitte nicht, Stück weit darauf, dass auch Griechenland aus der Krise vorher 1 Billion Euro an Target2-Salden, Rettungspake- gelernt hat und die griechische Regierung von sich aus te, Kredite, Negativzinsverluste für deutsche Steuerzah- entsprechend umsichtig handeln wird. Haushaltsdisziplin ler und nicht zuletzt politische Verwerfungen in diesem ist mehr als alles andere auch im Interesse der eigenen Europa des Jahres 2018 hineinzurechnen. Bevölkerung, genauso wie eine wachstumsorientierte Politik. Herzlichen Dank. Meine Damen und Herren, ich habe mir den BMF-An- (Beifall des Abg. [fraktions- trag, so gut es angesichts der vielen Seiten in der vorhan- los]) denen Zeit ging, angeschaut, insbesondere die Tabelle, in der die Schuldentragfähigkeitsanalyse der EU-Kom- mission dargestellt wird. Den dort prognostizierten Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Bruttofnanzierungsbedarf müsste Griechenland meines Letzter Redner in dieser Debatte, für den ich ange- Erachtens bei vernünftiger Politik stemmen können. Er sichts der bevorstehenden Abstimmung auch dieselbe liegt bei ungefähr 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4437

Alois Rainer (A) Insofern liegt nun der Ball ganz klar bei Griechenland. Die Zukunftsfähigkeit Deutschlands sichern – (C) Man kann kein Land zu seinem Glück zwingen, aber man Bildung und Forschung in den Mittelpunkt kann versuchen, ihm Chancen zu eröfnen. stellen Wenn Griechenland, meine Damen und Herren, diese Drucksache 19/2988 Chancen nutzt und wir am Ende alle auf eine positive Entwicklung blicken, auch diejenigen, die in der Glasku- Überweisungsvorschlag: gel oder im Kafeesatz etwas anderes lesen, dann denke Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- schätzung (f) ich: Waren das ganze Programm und auch die ganzen Ausschuss für Wirtschaft und Energie Diskussionen, die wir in diesem Hohen Hause und in den Ausschuss Digitale Agenda einzelnen Fraktionen geführt haben, die Mühe wert? Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Ich hofe, wir bekommen heute eine überzeugende die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich sehe kei- Mehrheit für dieses Programm und dass wir in Europa nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. weiter gut miteinander arbeiten können. Vielen herzlichen Dank. Ich eröfne die Aussprache und erteile das Wort der Kollegin Katja Suding, FDP. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) (Beifall bei der FDP)

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Katja Suding (FDP): Damit schließe ich die Aussprache. Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Kol- Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag leginnen und Kollegen! Der Dauerstreit zwischen den des Bundesministeriums der Finanzen auf der Drucksa- Unionsschwesterparteien hat die politische Arbeit der che 19/2961 mit dem Titel „Finanzhilfen zugunsten Grie- Bundesregierung merklich gelähmt. Eine erste Bilanz chenlands: Vierte und letzte Überprüfung des ESM-An- nach 100 Tagen zeigt deutlich, dass die Neuaufage einer passungsprogramms, mittelfristige schuldenbezogene schwarz-roten Koalition keinen Gestaltungswillen hat, Maßnahmen“. Wir stimmen über den Antrag auf Verlan- unser Land in drängenden Zukunftsfragen voranzubrin- gen der Fraktion der FDP namentlich ab. gen. Mir liegen zur Abstimmung mehrere schriftliche Er- (Beifall bei der FDP) klärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor, die (B) zu Protokoll genommen werden.1) Eigentlich hätte sie der nationale Bildungsbericht, der (D) letzte Woche vorgestellt wurde, doch endlich wachrüt- Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die teln müssen. Er stellt dem deutschen Bildungssystem vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Plätze an ein blamables Zeugnis aus. Wer aus einem Nichtaka- den Urnen besetzt? – Das ist ofenbar der Fall. Dann er- demikerhaushalt stammt, hat inzwischen noch deutlich öfne ich die Abstimmung über den Antrag. schlechtere Chancen als noch vor wenigen Jahren. Auch Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine die Ungleichheit zwischen den Regionen nimmt deutlich Stimme nicht abgeben konnte? – Das ist ofenbar nicht zu. Die Herkunft – sei es aus dem Elternhaus oder Bun- der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung. desland – bestimmt stärker die Zukunftschancen unserer Kinder, und das immer mehr. Das dürfen wir nicht länger ( [CDU/CSU]: Ich habe mei- akzeptieren. Hier muss dringend gehandelt werden. ne Stimme noch nicht abgegeben!) (Beifall bei der FDP) – Ja, Entschuldigung. Jetzt habe ich die Abstimmung geschlossen. Da müssen Sie schon ein bisschen früher Die Bundesregierung hat sich nun auf den Weg ge- zuhören und reagieren. macht, das Grundgesetz ein weiteres Mal zu ändern und Jetzt bitte ich die Schriftführerinnen und Schriftführer, das sogenannte Kooperationsverbot im Bildungsbereich mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Ab- weiter abzuschwächen. Das fnden wir grundsätzlich stimmung wird später bekannt gegeben.2) richtig. Vergessen Sie aber eines nicht: Sie haben gar keine eigene Mehrheit für die Grundgesetzänderung. Ich Ich bitte, wieder Platz zu nehmen, damit wir fortfah- gehe davon aus, dass Sie bei der Suche nach Unterstüt- ren können. zung auf die Stimmen der FDP nicht verzichten wollen. Deshalb sollten Sie genau zuhören, welche Vorstellungen (Glocke des Präsidenten) wir haben. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: Mit der vom Kabinett beschlossenen Vorlage ver- Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja passen Sie die Chance auf eine umfassende Reform des Suding, Nicola Beer, Mario Brandenburg, weite- Bildungsföderalismus. Wir brauchen auf jeden Fall bun- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP desweit einheitliche und sehr ambitionierte Bildungs- standards für mehr Qualität, 1) Anlagen 2 und 3 2) Ergebnis Seite 4439 C (Beifall bei der FDP) 4438 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

Katja Suding (A) damit alle Kinder unabhängig von ihrem Wohnort die den Berufsschulen ist die Technik hingegen hofnungslos (C) gleichen Bildungschancen haben, damit ein Umzug in veraltet. Wie wollen Sie die Jugendlichen damit auf den ein anderes Bundesland keine Katastrophe mehr für Fa- Arbeitsmarkt von morgen vorbereiten? Das funktioniert milien mit schulpfichtigen Kindern ist. Dafür hat heute so nicht. keiner mehr Verständnis. Hören Sie auf, die berufiche Bildung in höchsten Tö- (Beifall bei der FDP) nen zu loben und gleichzeitig die berufsbildenden Schu- len kaputtzusparen, meine Damen und Herren. Ebenfalls hat niemand mehr Verständnis dafür, dass der seit 2018 vollmundig angekündigte DigitalPakt im- (Beifall bei der FDP – Ronja Kemmer [CDU/ mer noch nicht da ist. Das digitale Lernen bietet riesige CSU]: Lesen Sie einmal den Koalitionsver- Chancen für unsere Kinder, gerade auch für Kinder aus trag!) bildungsfernen Familien. Schüler können in ihrem eige- nen Tempo lernen. Eine Schülerin kann schon Zusatzauf- Die Digitalisierung verändert unsere Berufswelt im- gaben rechnen, während ihr Mitschüler mit individueller mer schneller. Kein Beruf bleibt so, wie er ist. Etliche Unterstützung die Pfichtaufgaben löst. Bei Hausaufga- verschwinden; andere entstehen neu. Kaum jemand wird ben bekommt jeder Schüler Hilfe von einem digitalen künftig ein Leben lang nur einen einzigen Beruf ausüben. Tutor, der Wissenslücken schließen kann. Lehrer werden Es ist gut, dass wir uns in einer Enquete-Kommission durch kluge Programme von Routine- und Verwaltungs- zu diesem Thema Gedanken machen. Eine Kommission aufgaben entlastet, um sich stärker auf Bildung und Er- ersetzt aber kein politisches Handeln. ziehung konzentrieren zu können. Und die Zeit drängt, meine Damen und Herren. In anderen Ländern ist das längst Realität. Aber in Deutschland fehlt die Technik. Das wäre Ihr Job, Frau (Beifall bei der FDP) Ministerin. – Wo ist sie? Sie scheint gar nicht da zu sein. Der Wandel auf dem Arbeitsmarkt hat längst eingesetzt. (Beifall bei der FDP – Britta Haßelmann Viele Arbeitnehmer sind verunsichert; sie haben Angst. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gerade ist Das, was sie gelernt haben, reicht morgen womöglich ein Staatssekretär gekommen!) nicht mehr aus. Frau Ministerin – vielleicht richtet man es ihr ja aus –, Die Menschen wollen aber keinen sozialen Arbeits- Sie haben die Schulen noch nicht einmal ans Breitband markt à la . Sie wollen nicht die Aussicht angeschlossen. 90 Prozent der Schulen in Deutschland auf einen subventionierten Arbeitsplatz, wenn sie nur (B) verfügen nicht über schnelles Internet. Gerade einmal lange genug arbeitslos sind. Die Menschen wollen auf ei- (D) 3 Prozent haben einen entsprechenden Förderbescheid genen Beinen stehen. Sie wollen sich weiterbilden und ft aus dem Bundesverkehrsministerium erhalten. für einen funktionierenden ersten Arbeitsmarkt bleiben. Das Bundesförderprogramm für den Breitbandaus- (Beifall bei der FDP) bau, auf das die Bildungsministerin im Ausschuss ver- wiesen hat, sieht eine Förderung einzelner Schulen gar Wir können die Digitalisierung nicht aufhalten. Aber nicht vor. Schlimmer noch: Für das Programm können wir können die Chancen nutzen, die sie uns bietet. Das ist derzeit überhaupt keine Anträge gestellt werden. die Wahl, vor der wir stehen. Ohne Kenntnisse in IT geht fast gar nichts mehr. ( [CDU/CSU]: Dafür können sehr wohl Anträge gestellt werden! Was Sie Lebenslanges Lernen ist deshalb wichtiger als jemals sagen, ist völlig falsch!) zuvor . Aber die Arbeitnehmer stehen vor zahlreichen Fragen: Welche Zusatzqualifkationen brauche ich? Wel- Frau Karliczek sollte sich hier dringend einmal mit ihrem che Abschlüsse erkennen die Arbeitgeber an? Wovon soll Kollegen Scheuer auseinandersetzen und sich informie- ich die Weiterbildung fnanzieren? – Das ist ein Buch mit ren lassen. sieben Siegeln, das keiner mehr versteht. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Sie sind nicht Wir brauchen daher ein Zertifzierungssystem, das informiert! Vollkommen falsch die Aussage!) Klarheit über die Angebote schaft. Wir brauchen Bil- Auch an dieser Stelle herrscht wirkliches Chaos. dungssparen und Bildungsgutscheine, um Weiterbildung fnanzierbar zu machen. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Die berufsbildenden Schulen sind häufg technisch noch weit schlechter ausgestattet als die allgemeinbil- Deutschland braucht aber noch mehr für seine Zu- denden Schulen. Sie sind daher besonders auf baldige kunftsfähigkeit. Wer glaubt, unser Wohlstand sei mit Investitionen aus dem DigitalPakt angewiesen. kleinen Schritten von Innovation aufgebaut worden, der irrt. Immer schon haben nur große Sprünge zu großem Die duale Berufsausbildung in Deutschland ist zwar Wohlstand geführt. Die Eisenbahn, chemische Farben ein Erfolgsrezept. Man muss sich aber fragen, wie lan- und das Automobil haben die deutsche Wirtschaft an die ge das noch der Fall sein wird. In den Unternehmen ar- Weltspitze katapultiert. Die Politik muss deshalb Innova- beiten die Auszubildenden mit der neuesten Technik. In tionen fördern. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4439

Katja Suding (A) Die Ministerin für Bildung und Forschung aber hat und Gründer dürfen nicht länger Zukunftsmusik sein. (C) beim Forschungsgipfel zugegeben, künstliche Intelligenz Lassen Sie uns die Zukunft heute beginnen. bereite ihr Angst. Meine Damen und Herren, künstliche Vielen Dank. Intelligenz bereitet unserer Forschungsministerin Angst. Da, wo Visionen und Mut gefragt werden, da verfällt die (Beifall bei der FDP) Regierung in Angststarre. (Beifall bei der FDP) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt gebe ich das Wenn Sie aber schon Angst haben, dann sollten Sie von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittel- vor etwas ganz anderem Angst haben: Deutschland te Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den verliert bei der künstlichen Intelligenz den Anschluss. Antrag des Bundesministeriums der Finanzen „Finanz- 50 KI-Unternehmer haben kürzlich einen Brandbrief an hilfen zugunsten Griechenlands: Vierte und letzte Über- die Bundesregierung geschrieben. Ihre Botschaft: Wenn prüfung des ESM-Anpassungsprogramms, mittelfristige wir nicht endlich Tempo machen, ist Deutschland inner- schuldenbezogene Maßnahmen“ bekannt: abgegebene halb weniger Jahre nicht mehr wettbewerbsfähig. – Das Stimmen 643. Mit Ja haben gestimmt 410, mit Nein ha- ist der Albtraum, der Sie nachts wachhalten muss. ben gestimmt 226, Enthaltungen 7. Der Antrag ist damit angenommen. Meine Damen und Herren, die Welt wartet nicht auf Deutschland. Deutschland muss zukunftsfähig sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Weltbeste Bildung und beste Bedingungen für Forscher der CDU/CSU und der FDP)

Endgültiges Ergebnis Dr. Dr. Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Abgegebene Stimmen: 642; Andreas G. Lämmel davon ja: 409 Alexander Dobrindt (Chemnitz) Ulrich Lange nein: 226 Mark Helfrich enthalten: 7 Marie-Luise Dött Paul Lehrieder Hansjörg Durz Dr. Ja Dr. (B) Hermann Färber Dr. (D) CDU/CSU Dr. Heribert Hirte Dr. Michael von Abercron Dr. Norbert Maria Altenkamp Dr. Nikolas Löbel Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Hans-Jürgen Irmer Dr. Jan-Marco Luczak Dorothee Bär Hans-Joachim Fuchtel Ingo Gädechens Dr . Dr . Thomas de Maizière (Börde) Dr . Astrid Mannes Sybille Benning Torbjörn Kartes Hans-Georg von der Marwitz Dr . André Berghegger Hermann Gröhe Dr. Stefan Kaufmann (Altötting) Klaus-Dieter Gröhler Ronja Kemmer Dr. Peter Beyer Michael Grosse-Brömer Michael Kießling Dr. h. c. Astrid Grotelüschen Dr . Dr. Stefen Bilger Markus Grübel Volkmar Klein Karsten Möring Dr. Monika Grütters Carsten Körber Dr. Gerd Müller Michael Brand (Fulda) Fritz Güntzler Alexander Krauß Axel Müller Dr. Christian Haase Sepp Müller Dr. Günter Krings Carsten Müller Sebastian Brehm Dr. Rüdiger Kruse (Braunschweig) Jürgen Hardt Michael Kufer Stefan Müller (Erlangen) Ralph Brinkhaus Dr. Roy Kühne Dr. Andreas Nick 4440 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

(A) Ulli Nissen (C) Dr . Mahmut Özdemir (Duisburg) Dr . Georg Nüßlein Angelika Glöckner Aydan Özoğuz Florian Oßner Dr . Volker Ullrich Michael Groß (Kleinsaara) Uli Grötsch Bettina Hagedorn Achim Post (Minden) Dr. Joachim Pfeifer Rita Hagl-Kehl Dr. Johann David Wadephul Dr. Dr. Christoph Ploß Dr . h. c. Hubertus Heil (Peine) Sönke Rix (Hamburg) Dr . Dr. Barbara Hendricks Dr. Alois Rainer Peter Weiß (Emmendingen) Gustav Herzog Dr. Eckhardt Rehberg Sabine Weiss (Wesel I) Gabriele Hiller-Ohm Susann Rüthrich Bernd Rützel Annette Widmann-Mauz Dr. Eva Högl Johannes Röring Bettina Margarethe Johann Saathof Dr. Norbert Röttgen Wiesmann Dr. Stefan Rouenhof Elisabeth Winkelmeier- Erwin Rüddel Becker Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. Anita Schäfer (Saalstadt) Dr . Wolfgang Schäuble Dr. (Aachen) (Wetzlar) SPD Carsten Schneider (Erfurt) (B) Dr. (D) Christian Schmidt (Fürth) Michael Schrodi Ingrid Arndt-Brauer Dr. Manja Schüle Nadine Schön Dr. Bärbel Kofer Dr. Klaus-Peter Schulze (Spandau) Dr. Sören Bartol (Weil am Rhein) Bärbel Bas Christian Lange (Backnang) Rita Schwarzelühr-Sutter (Heidelberg) Dr. Dr. Karl-Heinz Brunner Martina Stamm-Fibich Dr. Katrin Budde Kirsten Lühmann Sonja Amalie Stefen Heiko Maas Björn Simon Dr. Bernhard Daldrup Dr. Frank Stefel Dr. Christoph Matschie Dr. Karamba Diaby Markus Töns Dr. Carsten Träger Klaus Mindrup Marja-Liisa Völlers Dr . Wiebke Esdar Dirk Vöpel (Rostock) Dr. Bettina Müller Gülistan Yüksel Dr. Detlef Müller (Chemnitz) Michael Stübgen Dr. Dr. Rolf Mützenich Dr . Hermann-Josef Tebroke Andrea Nahles Dr. Jens Zimmermann Hans-Jürgen Thies Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4441

(A) BÜNDNIS 90/ Kordula Schulz-Asche (C) DIE GRÜNEN Dr . Wolfgang Strengmann- Kuhn Nicola Beer Margit Stumpp Karsten Hilse Dr. Lisa Badum Nicole Höchst (Rhein-Neckar) Jürgen Trittin Mario Brandenburg Dr . Leif-Erik Holm Margarete Bause Dr. Marco Buschmann Daniela Wagner Karlheinz Busen Canan Bayram Fabian Jacobi Britta Katharina Dassler Dr . Anna Christmann Dr. Marc Jongen Bijan Djir-Sarai Katharina Dröge Nein Christian Dürr CDU/CSU Stefan Keuter Veronika Bellmann Dr. Kai Gehring Jörn König Mark Hauptmann Daniel Föst Stefen Kotré Katrin Göring-Eckardt Dr. Rainer Kraft Dr. Erhard Grundl Katrin Helling-Plahr Dr. Albert Rupprecht Markus Herbrand Britta Haßelmann Jens Maier Dr. Wolfgang Stefnger Dr. Bettina Hofmann Dr . Birgit Malsack- Dr . Christian Frhr. von Stetten Winkemann Dr. Gero Clemens Hocker Arnold Vaatz Manuel Höferlin Hansjörg Müller Klaus-Peter Willsch Dr. Christoph Hofmann Dr. Kirsten Kappert-Gonther Volker Münz Uwe Kekeritz Sebastian Münzenmaier Katja Keul Christoph Neumann AfD Sven-Christian Kindler Jan Ralf Nolte Maria Klein-Schmeink Dr. Dr. Sylvia Kotting-Uhl (B) Thomas L. Kemmerich (D) Tobias Matthias Peterka Paul Viktor Podolay Stephan Kühn () Peter Boehringer Jürgen Pohl Dr. Marcel Klinge Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Jürgen Braun Marcus Bühl Martin Erwin Renner Dr. Lukas Köhler Sven Lehmann Matthias Büttner Roman Johannes Reusch Stef Lemke Ulrike Schielke-Ziesing Dr . Dr. Dr. Dr. Jörg Schneider Claudia Müller Thomas Ehrhorn Alexander Graf Lambsdorf Beate Müller-Gemmeke Berengar Elsner von Gronow Ulrich Lechte Ingrid Nestle Dr. Dr. Dietmar Friedhof Dr . Dr. (Heilbronn) Friedrich Ostendorf René Springer Cem Özdemir Dr. Götz Frömming Dr . Alice Weidel Lisa Paus Dr. Alexander Gauland Dr . Harald Weyel Dr . Jürgen Martens Filiz Polat Dr . Tabea Rößner Dr . Alexander Müller (Augsburg) Dr . Christian Wirth Roman Müller-Böhm Dr. Armin-Paulus Hampel Frank Müller-Rosentritt Corinna Rüfer Mariana Iris Harder-Kühnel Dr. Verena Hartmann FDP (Lausitz) Dr. Roland Hartwig Hagen Reinhold Dr. Gerhard Schick Dr. Dr. Frithjof Schmidt Martin Hebner Christine Aschenberg- Dr . h. c. Stefan Schmidt Udo Theodor Hemmelgarn Dugnus Christian Sauter 4442 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

(A) Frank Schäfer Ralph Lenkert (C) Dr . Dr. Matthias Seestern-Pauly Matthias W. Birkwald Stefan Liebich Kathrin Vogler Dr. Gesine Lötzsch Andreas Wagner Bettina Stark-Watzinger Birke Bull-Bischof Dr. Marie-Agnes Strack- Jörg Cezanne Amira Mohamed Ali Zimmermann Fabio De Masi Cornelia Möhring Sabine Zimmermann Dr. (Zwickau) Katja Suding Anke Domscheit-Berg Norbert Müller (Potsdam) Klaus Ernst Zaklin Nastic Fraktionslos Dr . Alexander S. Neu Mario Mieruch Dr. Frauke Petry Dr . Florian Toncar Dr . André Hahn Tobias Pfüger Enthalten Heike Hänsel Johannes Vogel (Olpe) Matthias Höhn CDU/CSU Ursula Groden-Kranich Eva-Maria Elisabeth Dr. Katharina Willkomm Kerstin Kassner Schreiber Dr . Dr. Petra Sitte DIE LINKE Gökay Akbulut Dr .

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.

(B) (D) Jetzt ist der nächste Redner in der Debatte der Kollege Kompetenzzentren für die Sicherheitsforschung, um nur Dr. Wolfgang Stefnger, CDU/CSU-Fraktion. ein paar Themen zu nennen.

(Beifall bei der CDU/CSU) Auch für die nächsten Jahre ist einiges geplant. Wir werden noch einiges auf den Weg bringen. Liebe FDP, Dr. Wolfgang Stefnger (CDU/CSU): Sie hätten ja dabei sein können. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (Dr. Jens Brandenburg [Rhein-Neckar] Kollegen! Damit eines im Vorfeld gleich klar ist: Unser [FDP]: Ach, die alte Leier!) Ziel, das Ziel der Bundesregierung, ist, die Zukunftsfä- higkeit Deutschlands zu sichern. Daher empfehle ich die Liebe Kollegen, unser Ziel – das Ziel dieser Bundesre- Lektüre des Koalitionsvertrages. gierung – ist, Deutschland auf Erfolgskurs zu halten. Wir (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- wollen ganz vorne dabei sein. ordneten der SPD) (Katja Suding [FDP]: Wollen reicht nicht!) Im Übrigen darf ich festhalten, dass seit 2005 die In- vestitionen im Bereich Forschung und Bildung mehr als Die Spitzenstellung unter den federführenden Innovati- verdoppelt wurden: 132 Prozent Steigerung. Der Haus- onsnationen wollen wir halten. halt 2018, den wir nächste Woche verabschieden werden, sieht in dem Bereich Ausgaben in Höhe von 17,6 Milliar- (Christian Dürr [FDP]: Das wollen Sie seit den Euro vor. Nur zur Erinnerung: 2005 lag der Haushalt 2005!) bei rund 7,5 Milliarden Euro. Deshalb fördern wir Schlüsseltechnologien wie bei- Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser erklärtes Ziel spielsweise die künstliche Intelligenz. Wir werden auch ist, den erfolgreichen Kurs der letzten Jahre fortzusetzen. dafür sorgen, dass Innovationen zügig umgesetzt werden Ich möchte hier gar nicht alles Punkt für Punkt aufzäh- bzw. zügig auf die Straße kommen. len, was in den letzten Jahren geschehen ist. Aber viel- leicht ist es sinnvoll – gerade für die Kollegen der FDP, Wir wollen die Mikroelektronik weiter fördern. Denn die vier Jahre nicht diesem Hause angehörten –, ein paar wir wissen auch, dass kein Smartphone, kein Notebook, Stichworte zu geben: Hightech-Strategie zum Beispiel, keine vernetzte Produktionsanlage und erst recht kein au- Pakt für Forschung und Innovation oder auch das Thema tonomes Fahrzeug ohne leistungsfähige Mikrochips funk- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4443

Dr. Wolfgang Stefnger (A) tioniert. Daher ist hier ein Mittelaufwuchs um 240 Prozent Liebe Kolleginnen und Kollegen, es braucht aber in (C) vorgesehen, nämlich auf 170 Millionen Euro. unserem Land auch mehr Mut: mehr Mut bei Innovatio- nen, mehr Mut zum Risiko und Mut, neue Wege zu ge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- hen. Wir brauchen mehr Wagniskultur. Hier können wir ordneten der SPD) in der Tat von anderen Ländern lernen. Wie Sie wissen, Unser Ziel, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist au- erarbeitet das Ministerium ein Konzept für eine Agentur ßerdem, dass bis 2025 3,5 Prozent des Bruttoinlandspro- für Sprunginnovationen. dukts für Forschung und Entwicklung ausgegeben wer- (Zuruf der Abg. Nicola Beer [FDP]) den, und wir werden die Hightech-Strategie und den Pakt für Forschung und Innovation weiterentwickeln. Deutschland und Frankreich arbeiten auf europäischer Ebene in diesem Bereich sehr eng zusammen. Mit einem Weil uns die berufiche Bildung genauso wichtig ist, Pilotprojekt wollen wir bahnbrechende Innovationen för- haben wir auch die Initiative Berufsbildung 4.0 auf den dern. Weg gebracht, und die werden wir auch weiter ausbauen. (Christian Dürr [FDP]: Schaumschlägerei!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie sehen also: Diese Bundesregierung ist nicht nur Weil auch die Schulen angesprochen wurden: Der Di- hellwach, sondern auch ausgeschlafen trotz Nachtsit- gitalPakt Schule wird auf den Weg gebracht. Im Übrigen zung. Wir werden als CDU und CSU gemeinsam mit un- gibt es die Initiative „Digitales Klassenzimmer“, die da- serem Koalitionspartner das Land weiter voranbringen. für sorgen soll, Schulen an das Breitbandnetz anzuschlie- Wir wollen und wir werden die Stellung Deutschlands als ßen. Innovationstreiber ausbauen. (Christian Dürr [FDP]: Wie viele Schüler (Beifall bei der CDU/CSU) proftieren denn davon?) Ich lade Sie, liebe Kollegen von der FDP, dazu herzlich – Ich kann ja nichts dafür, wenn die Schulen das nicht ein und kann Sie nur ermuntern, sich nicht wieder weg- umsetzen oder keine Anträge stellen. zuducken, wenn es ernst wird. (Lachen bei der FDP – Christian Dürr [FDP]: Schönes Wochenende. Die Schulen sind also selbst schuld!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Christian Dürr [FDP]: Wir haben doch heute Auch die Bundesländer sind in der Pficht. Das darf ich einen Antrag vorgelegt! Ihr müsst ihm nur zu- einmal in aller Deutlichkeit sagen. (B) stimmen!) (D) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind uns unserer Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Verantwortung voll bewusst. Wir wissen, dass künstliche Nächster Redner ist der Kollege Dr. Götz Frömming, Intelligenz zu gewaltigen Veränderungen führen wird. AfD. Deswegen fnde ich es nicht in Ordnung, dass Sie sagen, (Beifall bei der AfD) hier gebe es ein paar Vorbehalte. Sie wissen – zumindest weiß ich als Abgeordneter das, der regelmäßig mit Bür- (AfD): gern in Kontakt ist –, dass es auch Ängste in der Bevöl- Dr. Götz Frömming kerung gibt, gerade wenn es um das Thema künstliche Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen Intelligenz geht. Deswegen ist es wichtig, dass wir in und Herren! Wir debattieren über einen Antrag der der Enquete-Kommission nicht nur den Bereich der Bil- FDP-Fraktion, mit dem nichts weniger als die „Zukunfts- dung beleuchten, sondern auch den Fragen nachgehen, fähigkeit Deutschlands“ gesichert werden soll. Dafür sol- wie sich beispielsweise die Arbeitswelt verändert, wie len Bildung und Forschung in den Mittelpunkt gestellt sich das Zusammenleben verändert und wie sich unsere werden. Das klingt nicht nur aufgesetzt und großspurig, Gesellschaft verändert. Das alles sind Themen, die die das ist es auch, passt aber vielleicht ganz gut zum neuen Menschen draußen bewegen. Diese Themen werden wir Image der FDP. auch in der Enquete-Kommission behandeln. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der CDU/CSU) Und so geht es dann weiter: Nicht gute oder bessere Bil- dung, nein, „weltbeste Bildung“ soll es sein. Ich darf noch einmal die Bundesländer ermuntern, sich noch stärker im Bereich der Digitalisierung zu enga- (Katja Suding [FDP]: Genau!) gieren. Mein Heimatbundesland Bayern macht das vor. Die bayerische Digitalisierungsofensive, die in dieser Wer sollte da etwas dagegen haben? Deutschland hat ins- Woche verabschiedet wurde und Investitionsmittel von besondere im 18. und 19. Jahrhundert 280 Millionen Euro vorsieht, wird gerade in den Bereich (Christian Dürr [FDP]: In die Zeit wollen Sie der Digitalisierung und in den Bereich der künstlichen zurück!) Intelligenz investieren. Alle sind eingeladen, mitzuma- chen. auf dem Gebiet der Bildung großartige Pionierleistun- gen vollbracht. Man nannte das 18. Jahrhundert nicht (Zuruf von der FDP: Zehn Jahre zu spät!) umsonst das pädagogische. Bildung wurde in dieser Zeit 4444 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

Dr. Götz Frömming (A) verstanden als ein Prozess der Entfaltung und Entwick- Wichtig, liebe Frau Kollegin, wäre insbesondere die (C) lung aller in einem Individuum angelegten positiven Ei- Stärkung des Informatikunterrichts; aber das haben Sie genschaften. in Ihrem Antrag vergessen. Da müsste man etwas tun. Das taucht bei Ihnen leider überhaupt nicht auf. (Katja Suding [FDP]: Jetzt haben wir eine Geschichtsstunde!) Geht es nach Ihrem Antrag, sollen die Länder sich verpfichten, ihre Lehrkräfte auch mit Eigenmitteln in Es war zugleich das Zeitalter der Aufklärung, die Zeit Digitalkompetenz – was auch immer das sein soll – fort- von Kant, Goethe, Schiller, Herder und Lessing, um nur zubilden. Sie wollen in die Landeshaushalte eingreifen. einige der Bekannteren zu nennen. Aber es ist natürlich Lehrer und Schüler, wir alle sollen lebenslang lernen völlig altmodisch, bei einem Thema wie Bildung an Na- men wie diese zu erinnern. (Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das wäre gut!) Bildung hat seit dem Siegeszug der sogenannten Kompetenzen, die Sie auch in Ihrem Antrag erwähnen, und zum Beispiel einen Digitalführerschein erwerben – nur noch am Rande mit Wissen zu tun. Die Methodik er- was auch immer das sein soll. setzt die Didaktik, technische Geräte ersetzen das eigene (Dr. Jens Brandenburg [Rhein-Neckar] Denken, [FDP]: Erklären wir Ihnen dann!) (Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Darf man – frage ich Sie – ohne diesen Führerschein NEN]: So ein Quatsch!) dann eigentlich nicht mehr ins Internet? Die FDP stand doch mal für Freiheit. und Bildung droht zur mess- und verwertbaren Ware zu verkommen. Beim Thema Bildungsföderalismus haben Sie auch den Anschluss an die Linken gefunden und übernehmen (Beifall bei der AfD – Stefan Schmidt [BÜND- wie selbstverständlich den politischen Kampfbegrif des NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo waren Sie denn sogenannten Kooperationsverbotes, in der Schule?) (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: In dem Um sie messen zu können, braucht es die Standards, die Punkt hat er recht!) auch die FDP fordert, am besten bundesweite oder, noch besser, weltweite Standards. Lobbyorganisationen wie das man dringend abschafen müsse. die OECD und das PISA-Konsortium arbeiten bereits Meine Damen und Herren, die FDP regiert in NRW daran. mit, stellt sogar die Bildungsministerin. Zeigen Sie doch (B) mal, dass Ihre Vorschläge funktionieren! Führen Sie uns (D) Meine Damen und Herren, wir müssen den Einfuss das in NRW vor! Wenn es dann klappt, werden die ande- von proftorientierten Firmen auf unser Bildungssystem ren Länder Ihnen sicherlich gerne folgen, und wir müs- unterbinden. Wir müssen dem weltweit zunehmenden sen dann nicht einmal das Grundgesetz antasten. Bildungskolonialismus einen Riegel vorschieben und wieder unseren Lehrern statt den Algorithmen der Testin- Ich danke Ihnen. dustrie vertrauen. PISA und die globale Bildungsindus­ (Beifall bei der AfD – Stefan Schmidt trie bedrohen unser nationales Bildungssystem, das unter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein dem Strich immer noch besser ist als das vieler anderer Quatsch!) Länder.

(Beifall bei der AfD) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Schmeißen wir diese Konzerne raus! Beenden wir die Nächster Redner ist der Kollege Oliver Kaczmarek, unsinnigen Tests, die nur Zeit und Geld kosten! SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Zum mechanistischen, enthumanisierten Bildungs- der CDU/CSU) konzept dieser Konzerne passt die Digitalisierung übri- gens hervorragend. Digitalisierung scheint auch für die FDP und einige andere in diesem Hause inzwischen ge- Oliver Kaczmarek (SPD): radezu ein Synonym für Bildung geworden zu sein – eine Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich fnde fatale Verwechslung. es eigentlich gut, dass die FDP-Fraktion diesen Antrag vorgelegt hat, (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Jürgen Braun [AfD]: Ersatzreligion!) (Beifall des Abg. Dr. Wieland Schinnenburg [FDP]) Selbst wenn morgen wie durch Zauberhand jeder Schüler in Deutschland ein iPad vor sich auf dem Tisch weil er noch mal die Gelegenheit gibt, deutlich zu ma- liegen hätte, würde sich am Bildungsstand dieser Nation chen, dass wir unterschiedliche Aufassungen haben, nichts, aber auch gar nichts verändern. insbesondere unterschiedliche Aufassungen davon, wie Fortschritt und Innovation gestaltet werden sollen. (Beifall bei der AfD – Ronja Kemmer [CDU/ Denn unsere Aufassung als Sozialdemokratie ist, dass CSU]: Darum geht es doch nicht! – Nicola wir technischen Fortschritt erst einmal menschenfreund- Beer [FDP]: Bildung bildet!) lich gestalten müssen – ich freue mich, dass das gestern Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4445

Oliver Kaczmarek (A) auch in den Beiträgen zum Antrag auf Einsetzung der senschaftscommunity; denn sie verschaft verlässliche (C) Enquete-Kommission­ zum Ausdruck gekommen ist – Finanzierungsperspektiven. Der Hochschulpakt ist eine unerlässliche Basis für die Innovationskraft unseres Wis- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) senschaftssystems. und dass wir aus technischem und wirtschaftlichem Fort- (Beifall bei der SPD) schritt sozialen Fortschritt machen wollen. Wir wollen mehr Freiheit, mehr Selbstbestimmung, aber – das unter- Gehen wir weiter: Deutschland hat kein Harvard. Aber scheidet uns – nur auf der Grundlage von mehr gleichen Deutschland hat ein herausragendes Netz von Hochschu- Chancen. len, teilweise exzellenten Hochschulen, und Forschungs- clustern sowie außeruniversitären Forschungseinrich- Deswegen ist es überraschend: Vor einer Woche ist tungen, und das ist keine Schwäche, sondern das ist eine hier in Berlin der nationale Bildungsbericht vorgestellt Stärke des Wissenschaftssystems in Deutschland: diese worden. Wieder gab es den Befund: Von 100 Kindern, Diferenziertheit und diese fächendeckende Kraft, die deren Eltern kein Abitur haben, nehmen 24 ein Studium das Wissenschaftssystem ausübt. auf, und von 100 Kindern, bei denen mindestens ein El- ternteil Akademiker ist, nehmen 74 ein Studium auf. Deshalb ist es richtig, dass wir uns in dieser Wahlpe- riode darauf verständigt haben: Wir werden den Pakt für (Christian Dürr [FDP]: Das hat Frau Suding Forschung und Innovation mit verlässlichen Aufwüch- doch gerade angesprochen!) sen fortführen. Wir haben die Exzellenzstrategie schon Dieser Bericht belegt einmal mehr die Ungleichheit der verlängert und damit die internationale Sichtbarkeit und Chancen. Diferenzierung gestärkt. Wir wollen im Gegensatz zu dem, was im Antrag steht, wo nur die Spitze betrachtet Aber Sie legen uns eine Woche später einen Antrag vor, wird, eine breitangelegte Wissenschaftspolitik, die die in dem das nicht mit einem Wort erwähnt worden ist. deutschen Spezifka erkennt und annimmt und die eine (Christian Dürr [FDP]: Da, wo Sie regieren, solide Basis für Forschung und Lehre schaft; denn nur ist es am schlimmsten!) auf der soliden Basis können eben auch Exzellenz und Innovation entstehen. Diese grundlegende Erkenntnis Das ist bemerkenswert: soziale Ungleichheit ausblenden. fehlt in Ihrem Antrag leider völlig. (Katja Suding [FDP]: Das habe ich doch ge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sagt! Haben Sie nicht zugehört?) der CDU/CSU) Das ist das Markenzeichen der FDP. Da sind Sie ganz die Zur berufichen Bildung. Ja, es ist richtig: Die Basis Alten geblieben. (B) für den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands ist das Zu- (D) (Beifall bei der SPD – Christian Dürr [FDP]: sammenspiel von Innovationen, die aus exzellenter, aber Warum ist das denn in den SPD-regierten Län- auch anwendungsorientierter Forschung entstehen, und dern am schlimmsten?) der Umsetzung durch akademisch gebildetes Personal und berufich gebildetes Personal. Genau diese Zusam- Innovation und Fortschritt müssen auf gesunder Basis mensetzung macht die Basis für den wirtschaftlichen gedeihen. Deshalb: Chancengleichheit bleibt eine zentra- Erfolg aus. Deswegen ist die Stärkung der berufichen le Herausforderung, weil wir es uns nicht leisten können, Bildung eben nicht nur eine Frage des Images und der weiterhin so viele Talente nicht zu fördern. Wertschätzung – das auch –, sondern auch eine Frage Unserer Meinung nach – lassen Sie uns über Innova- dessen, wie wir wirtschaftlich stark bleiben können. Dass tionskraft des Wissenschaftssystems sprechen – beruht wir das angehen wollen, dokumentiert der Koalitionsver- diese Innovationskraft gerade auf der Diferenziertheit trag. Ich glaube, es gibt keinen Koalitionsvertrag, in dem und Lernfähigkeit unseres Wissenschaftssystems. Ja, die berufiche Bildung einen so großen Stellenwert ein- eine Agentur für Sprunginnovationen – das haben Sie ja genommen hat wie in diesem, der uns vorliegt. mehrfach vorgetragen – ist wichtig, weil sie eine Leer- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) stelle in unserem Innovationssystem füllen soll. Aber selbst Sprunginnovationen können nur auf der Grundlage Das ist auch richtig, weil die berufiche Bildung nicht nur einer breitaufgestellten Wissenschaftspolitik entstehen. Bekenntnisse braucht, sondern auch nachvollziehbare Taten. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Wir werden den Anforderungen der Digitalisierung entsprechen, indem wir im Berufsbildungsgesetz das Wenn Sie mit Experten sprechen – Sie werden das ge- auch berücksichtigen, beispielsweise wenn es um die nauso tun wie wir –, dann werden Sie hören: Im Zentrum Novellierung der Ausbildungs- und Aufstiegsverordnun- des deutschen Wissenschaftssystems steht die Hochschu- gen geht. Das ist ein ganz wichtiger Punkt: über berufi- le. Die Hochschule fndet in Ihrem Antrag überhaupt che Bildung nicht nur sprechen, sondern auch nachvoll- keine Erwähnung. Das ist nicht überraschend, aber es ist ziehbare Taten durchführen. schon erwähnenswert, dass das so ist. Ich will zum Schluss eine Gemeinsamkeit benennen, Deswegen sage ich auch: Was wir uns als Koalition weil das wichtig ist. vorgenommen haben, ist eine andere Richtung. Wir wol- len die Basis stärken und erweitern. Die Verstetigung (Zuruf des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/ des Hochschulpakts ist ein wichtiges Signal an die Wis- DIE GRÜNEN]) 4446 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

Oliver Kaczmarek (A) Ja, wir wollen in der Bildung gemeinsam mehr Koope- Transformationsforschung, Nachhaltigkeitsforschung (C) ration zwischen Bund, Ländern und Kommunen, und ganz besonders gestärkt werden. wir müssen darüber verhandeln, wie wir das gemeinsam hinbekommen. Ich glaube, dass die vorgelegte Änderung (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- des Artikels 104c Grundgesetz eine gute Gelegenheit ist, neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) weil sie fächendeckende Investitionen des Bundes in Mithin, meine Damen und Herren, gehen natürlich die Bildungsinfrastruktur von Ländern und Kommunen auch manche Probleme dieser Gesellschaft auf die Um- erst möglich macht. Deswegen wäre die Zustimmung setzung wissenschaftlich gewonnener Erkenntnisse zu- ein großer Schritt, der auch dokumentiert: Wir nehmen rück. Diese neue Dimension der Verantwortung haben große Herausforderungen gemeinsam an und sind da Politik und Wissenschaft gemeinsam zu tragen. Das auch in der Lage, die verfassungsrechtlichen Grundlagen heißt zum einen: Sensibilität für soziale, ökonomische zu schafen. Meine Bitte ist, mitzumachen. Das macht und ökologische Konsequenzen muss Bestandteil von Spaß, und das bringt am Ende auch was fürs deutsche Forschung und Förderungsprogrammen sein. Bildungssystem. (Beifall bei der LINKEN) Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Die Politik wiederum bedarf ihrerseits der Kompetenz- bildung hinsichtlich der Forschungsinhalte und der Tech- nologieentwicklung. Beides zusammen gehört in demo- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: kratische Diskurse – nicht nur in der Wissenschaft selbst, Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Petra Sitte, sondern vor allem in die Gesellschaft hinein. Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Beifall bei der LINKEN) neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Klaus Töpfer hat mit Blick auf technologische Ent- (DIE LINKE): Dr. Petra Sitte wicklungen von einer Demokratiefähigkeitsüberprüfung Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Na ja, ein gesprochen. Wir sagen: Analog dazu bedarf es jetzt auch bisschen liest sich der Antrag schon wie ein Textbaustein einer Gemeinwohlüberprüfung; wir müssen das diskutie- aus den gescheiterten Koalitionsverhandlungen. ren. Insofern müssen beispielsweise soziale Innovatio- (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) nen einen viel höheren Stellenwert bekommen. Er wird jetzt als Antrag recycelt; okay, kann man ma- (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Richtig!) (B) (D) chen. Der Wohlstand der Nationen – um es mal mit Adam Smith (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Gute Ideen zu sagen – kann nicht gemehrt werden, wenn die Per- sind es immer noch!) spektive der Betrofenen und der Anwenderinnen fehlt, wenn sozusagen nur in ökonomischer Anwendungslogik „Bildung ist die soziale Frage unserer Zeit.“ Ein Satz, gedacht wird. Den Vorwurf einer solchen Einseitigkeit wie in Stein gemeißelt, ist da in diesem Antrag zu lesen. muss sich der FDP-Antrag gefallen lassen. Weiter sagen Sie, dass Sie der Zweiklassengesellschaft innerhalb des technologischen Wandels vorbeugen wol- (Beifall bei der LINKEN) len. Okay. Diesem sozioökonomischen Blick werden Sie mit dem Antrag und mit Ihren Vorschlägen aber nicht Gesellschaftliche und wissenschaftliche Ansprüche gerecht. Warum? Weil Sie sich vor allem den technolo- gehören zusammen – in Forschungskonzeptionen, aber gischen und ökonomischen Anwendungsansprüchen zu- eben auch in Anwendungsszenarien. Genau das macht wenden. Zukunftsfähigkeit von Forschung – ich rede hier Zukunftsfähigkeit von Wissenschaft, Forschung und Bil- vor allem von Forschung –, wie Sie es im Titel formuliert dung aus. haben, verlangt ein komplexeres Herangehen. (Beifall bei der LINKEN) Wissenschafts- und Technologieentwicklung haben sich erheblich beschleunigt. Anwendungen, bei denen Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: es Probleme gegeben hat, sind oftmals nur schwer um- zukehren, dominieren aber unsere Epoche – erst recht, Nächster Redner ist der Kollege Kai Gehring, Bünd- wenn sie dann auch noch von marktbeherrschenden Un- nis 90/Die Grünen. ternehmen angeboten werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Hört! Hört!) Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gesellschaften ändern sich zivilisatorisch. Soziale Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zusammenhänge, kulturelle Voraussetzungen, natürliche Die Regierungsparteien sind mitten im Wettlauf um die Ressourcen sollen eben nicht nur erhalten werden, son- Frage, wie man Deutschland von der Welt abschotten dern sie sollen sich auch ändern, und sie sollen das Po- kann. Das ist das falsche Rezept für ein zukunftsfähiges tenzial zur Erneuerung bekommen können. Daher müss- Deutschland. Sich abzuschotten, erstickt den freien Geist, ten eigentlich gerade jetzt Technikfolgenabschätzung, doch genau der macht unsere Gesellschaft erst ofen und Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4447

Kai Gehring (A) innovativ. Darum streiten wir für Ofenheit und Neugier. Pakt Schule so ein bisschen rumzuschrauben, reicht uns (C) Aufklärung lassen wir von der AfD nicht zurückdrehen. jedenfalls nicht. Es braucht gemeinsame Antworten auf bundesweite Herausforderungen wie Bildungsgerechtig- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – keit, Integration, Inklusion und Digitalisierung, und das Lachen bei Abgeordneten der AfD – Jürgen geht nur mit einer vernünftigen Verfassung. Braun [AfD]: Das ist aber Ihre Phobie!) Brennende Probleme gibt es genug: Kinderarmut, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bewältigung der Klimakrise, Umsetzung der Energie- 100 Tage ist Bildungsministerin Karliczek im Amt. wende, Mangel an bezahlbarem Wohnraum und eben der Heute fehlt sie einmal mehr auf der Regierungsbank. Kampf für eine gerechtere Bildungspolitik. Es wird Zeit, sich endlich um die wahren Herausforderungen zu küm- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Erst- mern und die Fortschrittlichkeit Deutschlands und Euro- malig!) pas in den Mittelpunkt zu rücken. Sie war eine große Überraschung am Kabinettstisch. Vi- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sionäre Ziele fehlen ihr allerdings, und konzeptionell ist sowie bei Abgeordneten der SPD und der sie bisher völlig blank geblieben. Das muss sich dringend LINKEN) ändern. Die konstruktive Opposition im Bundestag macht ihre Arbeit. Nach uns Grünen und den Linken hat nun (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auch die FDP Ideen für eine bessere Bildungs- und For- sowie bei Abgeordneten der FDP) schungspolitik zu Papier gebracht. „Bildung und For- Denn es gibt Baustellen zuhauf. Integration durch Bil- schung in den Mittelpunkt stellen“ – bei dem knalligen dung ist Megathema im Alltag, aber Randthema bei dieser Titel erwarten wir ein wahres Feuerwerk an Vorschlägen, Bundesregierung. Bildungsgerechtigkeit: bei Ministerin werden aber doch enttäuscht. Karliczek gar kein Thema. Wir als Grüne wollen eine Of- Zu Recht stellt die FDP fest: „Bildung ist die soziale fensive für Schulen in sozialen Brennpunkten. Berufiche Frage unserer Zeit.“ Bildung: Die versprochene Stärkung bleibt bislang bloße Ankündigung. Wir wollen eine Ausstattungsofensive für (Beifall der Abg. Dr. Berufsschulen. Tatenlos ist die Ministerin bei Ausbil- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) dungslosigkeit viel zu vieler Jugendlicher. Allerdings fehlen der FDP Konzepte, um dafür zu sor- gen, dass Bildungschancen nicht länger vom Wohnort Statt Warteschleifen weiter zu verwalten oder, wie die (B) oder vom Bildungsabschluss oder vom Migrationshinter- FDP es will, einigen Betrieben ein Exzellenzschild an die (D) grund der Eltern abhängen. Tür zu nageln, brauchen wir für alle eine Ausbildungsga- rantie und einen Rechtsanspruch auf Weiterbildung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mit FDP-Ladenhütern wie dem dreigliedrigen Schulsys- Gute Ausbildungsbedingungen, gute Ausbildungsvergü- tem, dem Deutschlandstipendium, den Studienkrediten tungen, gute Löhne und mehr Weiterbildungsangebote und Co lässt sich das jedenfalls nicht erreichen. Ob Paul, sind das A und O, damit berufiche Bildung dauerhaft ob Ali, ob Lisa oder Cindy – sie alle haben das Zeug zu attraktiv ist. Legen Sie damit endlich los! besten Leistungen. Chancengerechtigkeit für alle, von klein auf und lebenslang, und jedes Talent optimal för- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dern – das sind unsere Ziele. Bei Forschung und Innovation belässt es die Ministe- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) rin bei Interviews, während ich mich bei der FDP über ein allzu enges Forschungsverständnis schon wundere. Gut ist, dass auch die FDP für eine grundlegende Re- Forschung verfolgt erst mal keinen direkten Zweck; es form des Bildungsföderalismus eintritt. Wir tun das schon geht nicht nur um Patentzahlen. Wissenschaft braucht lange: 2005 haben sich Grüne im Bundestag der Einfüh- Freiheit – hierzulande wie weltweit. rung des Kooperationsverbotes in der Bildung wider- setzt. Seitdem wollen wir Kooperationshürden in Gänze (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – abschafen und die Zusammenarbeit zwischen Bund und Christian Dürr [FDP]: Das ist doch nicht Ländern durch eine Reform des Grundgesetzartikels 91b wahr!) neu entfachen, für mehr Qualität, Gerechtigkeit und Leis- tungsfähigkeit. Forschung für den Wandel, das ist unser Ideal, um die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN großen gesellschaftlichen und globalen Herausforderun- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) gen wissensbasiert zu bewältigen. Wir setzen auf wissen- schaftlichen Fortschritt, der Deutschland zum Pionier für Am Ende kommt es aber auf Union und SPD an, wenn soziale und ökologische Innovationen macht; denn wir es darum geht, ob wir gemeinsam die Verfassung für bes- brauchen dringend bahnbrechende Innovationen und te Bildung ft machen; denn nur mit uns in der Oppo- Gründergeist, um bei der sozial-ökologischen Moderni- sition gibt es die erforderliche Zweidrittelmehrheit. An sierung von Wirtschaft und Gesellschaft entscheidend der Verfassung nur für den dauerangekündigten Digital- voranzukommen und auch die UN-Ziele für nachhalti- 4448 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

Kai Gehring (A) ge Entwicklung zu erreichen; sonst sieht es bei der Zu- Neuaufage der Hightech-Strategie, die Gründung einer (C) kunftsfähigkeit nämlich verdammt düster aus. Agentur für Sprunginnovationen, ein Berufsbildungs- pakt – werden hier gefissentlich ignoriert. Dass die Libe- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ralen den Koalitionsvertrag nicht zur Kenntnis nehmen: sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Na ja, mit Koalitionsverträgen haben Sie es ja auch nicht Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Hochschulen, so. Geschenkt. Universitäten und Hochschulen für angewandte Wissen- (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, schaften sind übrigens die Herzkammern des deutschen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Wissenschaftssystems. Daher habe ich im FDP-Antrag GRÜNEN – Christian Dürr [FDP]: Sie auch die Hochschulpolitik vermisst – eine hochproblemati- nicht!) sche Leerstelle nicht nur bei der FDP, sondern auch bei der Bundesbildungsministerin: nichts zum Sanierungs- Befremdlich fnde ich, dass Sie den jüngst herausge- stau an den Hochschulen, nichts zu der schwierigen Lage kommenen Bildungsbericht 2018 mit keiner Silbe erwäh- auf dem Wohnungsmarkt für Studierende, nichts zur Ver- nen. Wahrscheinlich fallen dort die Ergebnisse für Ihre besserung des BAföG. gelbe Schwarzmalerei zu positiv aus. Aber die Lektüre lohnt sich. Jedenfalls ist der Bildungsbericht noch immer Wir sagen: Wenn die außeruniversitären Forschungs- ein Gradmesser für eine gelungene oder misslungene einrichtungen zu Recht auch künftig Jahr für Jahr Auf- Bildungspolitik und nicht Ihre „Digital frst, Bedenken wüchse bekommen, dann darf man den Hochschulen second“-Leier. das nicht verwehren. Wir wollen eine Dynamisierung des Hochschulpaktes, damit sich die Schere zwischen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrich- ordneten der SPD – Katja Suding [FDP]: Ha- tungen nicht weiter öfnet. Das ist gut für ein besseres ben Sie es mal gelesen?) Studium in Deutschland. Wir stehen für harte, überprüfbare Fakten und nicht für (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Agenturgeschwätz. Zu den harten Fakten gehören: Liebe Kolleginnen und Kollegen, in ihrer Antrittsrede Erstens. Die Anzahl der Beschäftigten im Bildungs- hat Ministerin Karliczek die Bedeutung von Bildung und wesen hat seit 2006 kontinuierlich zugenommen. Der Forschung beschworen. Wenn sie das ernst nimmt, darf größte Zuwachs ist dabei im Bereich der frühen Bildung sie sich nicht länger damit abfnden, dass ihr Politikfeld zu verzeichnen. Die frühkindliche Bildung schaft für unterfnanziert ist. Sie braucht endlich zukunftsweisende alle Kinder gute Voraussetzungen für erfolgreiche Bil- Ideen. Wer Innovationen will, muss selbst innovativ re- dungsbiografen. (B) gieren. Als Grüne im Bundestag kämpfen wir weiter für Zweitens. Das duale Ausbildungssystem, für das wir (D) Chancen für alle, für gute Bildung, kreative Forschung, weltweit bewundert werden, verzeichnet weiterhin Neu- sozial-ökologische Innovationen; denn Deutschland zugänge: rund 700 000 junge Menschen im vergangenen braucht mehr Ideen, mehr Meister und mehr Master. Jahr. Das ist nicht genug; aber wir arbeiten mit verschie- Vielen Dank. denen Maßnahmen an einem weiteren Zuwachs. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Drittens. In dieser Woche tagte erstmals das Digital- kabinett mit unserer Bundeskanzlerin, und wir haben Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: in dieser Woche gleich zwei Enquete-Kommissionen „Berufiche Bildung in der digitalen Arbeitswelt“ und Jetzt hat das Wort die Kollegin Sybille Benning, CDU/ „Künstliche Intelligenz“ auf den Weg gebracht. CSU. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU) NEN]: Neuland!)

Sybille Benning (CDU/CSU): Bei uns ist nämlich Digital- und Bildungspolitik Chefn- nensache. Anja Karliczek stellte dort die Eckpunkte der Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Damen und Her- KI-Strategie vor. ren! Liebe geschätzte Kollegen von der FDP! Es gehört schon ein gehöriges Maß an Griesgrämigkeit dazu – so (Katja Suding [FDP]: Wo ist sie denn heute?) sagen wir bei uns zu Hause –, wenn man wie Sie zu dem Viertens. Mit der Plattform „Lernende Systeme“ des Schluss kommt, dass hierzulande in der Bildungspolitik Bundesministeriums für Bildung und Forschung und der auf der Stelle getreten wird. Mit Verlaub: Das macht mir angekündigten Daten-Ethikkommission hat Deutschland schon Sorgen. Das ist doch eher gekünstelte Intelligenz bereits wichtige Schritte in die Wege geleitet. Jetzt gilt und leider keine menschliche Klugheit, sondern nur es, darauf aufbauend, eine eigene Strategie für die wei- schnöde, partielle Wahrnehmung. Antragslyrik ist ja gut tere Entwicklung des KI-Standortes Deutschland zu er- und schön, aber so kann ich das nicht stehen lassen. arbeiten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, wir wissen, unsere Schu- Ihr Antrag will ausschließlich Ihr eigenes Programm len brauchen schnelles Internet und moderne Ausstat- ins Schaufenster stellen. Die bereits laufenden Aktivi- tung. Und Sie haben absolut recht: Die Zeit drängt. Die täten zu vielen auch von der FDP befürworteten Vorha- Große Koalition will die Digitalisierung aller Schulen in ben – wie der DigitalPakt, der Nationale Bildungsrat, die Deutschland so schnell wie möglich voranbringen: des- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4449

Sybille Benning (A) halb der gemeinsame Digitalpakt von Bund und Ländern. fen wir nicht die akademische und die berufiche Bildung (C) Das Volumen beträgt 5 Milliarden Euro des Bundes in gegeneinander ausspielen. fünf Jahren. Das ist doch was. (Christian Dürr [FDP]: Dafür muss es noch (Beifall bei der CDU/CSU) einen Arbeitskreis geben!) Das Geld soll sinnvoll und nachhaltig investiert werden. Wichtig ist, dass jeder junge Mensch seinen Weg gehen Mit einer Art Subvention für Endgerätehersteller, wie es kann und dass wir für jeden etwas anbieten können. in Ihrem Antrag gefordert wird, erreichen wir das sicher- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) lich nicht. – Danke. Was die Ausstattung der Schülerinnen und Schüler mit modernen Endgeräten betrift, so kann der Ansatz „Bring Ich komme zum Schluss. – Grundlage für jegliches your own device“ eine sinnvolle Einstiegsstrategie sein, politisches Handeln ist für uns Christdemokraten unser um digitale Medien fächerübergreifend in den Unterricht christliches Menschenbild. Auch und gerade in Zeiten einzubringen; denn 92 Prozent der Jugendlichen zwi- politischer und technologischer Umbrüche steht der schen 10 und 18 Jahren besitzen ein eigenes Handy oder Mensch mit seiner Würde, seiner Einzigartigkeit und Smartphone. Wichtig ist, dass wir jetzt zügig die Grund- seiner Persönlichkeit im Mittelpunkt. Aus diesem Men- lage dafür schafen und gemeinsam hier im Deutschen schenbild heraus wollen wir auch mit der Digitalisierung Bundestag und mit den Ländern das Grundgesetz ändern, gestalten. Für uns ist Digitalisierung kein Selbstzweck, im Interesse unseres Landes. sondern Instrument und Werkzeug. Das gilt gerade auch für die Bildungspolitik. Wir haben Gestaltungswillen. (Katja Suding [FDP]: Haben Sie dafür eine eigene Mehrheit? – Gegenruf der Abg. (Christian Dürr [FDP]: Da muss es doch ei- Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE nen Arbeitskreis geben!) GRÜNEN]: Sie redet so, als hätte sie eine Zweidrittelmehrheit!) Wir haben Ideen und eine zukunftsfeste Agenda. Vielen Dank. Die zweite und dritte Lesung ist dafür im Herbst 2018 vorgesehen. Parallel dazu wird die Bund-Länder-Verein- (Beifall bei der CDU/CSU) barung zum Digitalpakt verhandelt, sodass dieser wirk- lich Anfang 2019 starten kann. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Ich stehe zum Bildungsföderalismus; das gebe ich ger- Herzlichen Dank, Frau Kollegin Benning. – Als (B) ne zu. Die Länder tragen auch Verantwortung, und das Nächstes für die Fraktion der AfD der Kollege Dr. Marc (D) wird sich in Zukunft auch nicht ändern. Das vielleicht Jongen. Komplizierteste am Digitalpakt ist, dass wir die Wei- terbildung der Lehrer schnell voranbringen müssen, um (Beifall bei der AfD) überhaupt digitalgestützten Unterricht anbieten zu kön- nen. Das ist übrigens eine Aufgabe der Länder. Gewiss: Dr. Marc Jongen (AfD): Der Bund kann eine Cloud für Lerninhalte anbieten. Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeord- Das Bundesministerium unterstützt ein Pilotprojekt des nete! Die FDP hat einen typischen Schaufensterantrag Hasso-­Plattner-Instituts zur Entwicklung eines univer- vorgelegt, mit dem Titel „Die Zukunftsfähigkeit Deutsch- sellen IT-Konzepts für Schulen. 27 Schulen bundesweit lands sichern“. Das ist so etwas wie das Bildungs- und wirken durch praktische Erprobung an der Entwicklung Forschungsprogramm einer imaginären FDP-Alleinre- mit. Eines davon ist das Hittorf-Gymnasium bei mir zu gierung. Bei aller Sympathie für einzelne Aspekte des Hause in Münster. Antrags, muss man doch froh sein, dass solch eine Al- leinregierung nicht besteht. Meine Damen und Herren, die Bereiche Lernen, Wis- sensaneignung und Mediennutzung werden sich durch (Beifall bei der AfD – Christian Dürr [FDP]: die Digitalisierung weiter fundamental ändern, in allen Weil wir nicht wie Sie zurück ins 18. Jahrhun- Bereichen. Deswegen gibt es den Bildungsrat. Bundes- dert wollen!) ministerin Anja Karliczek hat ein entsprechendes Kon- zept vorgestellt, Sie würde nach der allzu simplen Maxime handeln: Je radikaler und schneller der Wandel, desto besser. – Das (Christian Dürr [FDP]: Ein weiterer Arbeits- in dem Antrag massiv propagierte lebenslange Lernen kreis! Weil sich die Dinge nicht ändern, ma- entfaltet so ein unterschwelliges Drohpotenzial, für das chen wir einen weiteren Arbeitskreis!) die FDP in ihrer grenzenlosen Digitaleuphorie ofenbar blind ist. und dieses Konzept wurde vor zwei Wochen in der Kul- tusministerkonferenz mit den Ländern besprochen. (Katja Suding [FDP]: Man kann auch ein- fach die Augen verschließen vor der Welt! – Mit dem Berufsbildungspakt, der Nationalen Weiter- Christian Dürr [FDP]: Wir mauern uns einfach bildungsstrategie und der Novellierung des Berufsbil- ein!) dungsgesetzes werden wir die Attraktivität der berufi- chen Bildung weiter erhöhen. Ferner fördert das BMBF Wer nämlich irgendwann nicht mehr fähig ist, sich nach bereits digitale Medien im Ausbildungsalltag. Dabei dür- der „schöpferischen Zerstörung“ seiner Firma oder sei- 4450 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

Dr. Marc Jongen (A) ner Branche immer wieder und wieder neu zu erfnden kommt noch der schädliche Einfuss der Ideologie. Das (C) und völlig umzulernen, Gender-Mainstreaming, (Christian Dürr [FDP]: Wir schotten uns ab!) (Zurufe von der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) für den ist nicht wirklich Platz in dieser schönen neuen digitalen Welt. das den Aberwitz der Genderideologie auch in seriö- se Forschungsfelder hineinträgt, hat inzwischen einen Bildung, werte Kollegen von der FDP, heißt, sich neue ähnlichen Status erreicht wie weiland der Marxismus-­ Technologien auf der Grundlage bewährter Kulturtech- Leninismus in der DDR. niken anzueignen und sich ihnen nicht bedingungslos (Beifall bei der AfD – Dr. Franziska Brantner unterzuordnen. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh Gott!) (Beifall bei der AfD) Alle müssen diesen Gessler-Hut grüßen, wenn sie wei- terhin in Ruhe forschen wollen und nicht einer neuen Denken Sie vielleicht einmal über das Bonmot von Inquisition zum Opfer fallen wollen. Das bedeutet eine Harald Schmidt nach: „Je proll, desto digi.“ schleichende Korruption des freien Forschergeistes, mei- Der Stimmung nach vermittelt Ihr Antrag eine Art von ne Damen und Herren. Torschlusspanik. Mir kam beim Lesen folgendes Bild in (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE den Sinn: Da rast ein Zug in die Zukunft, und der deut- GRÜNEN]: Uiuiui! – Kai Gehring [BÜND- sche Michel steht mit der Schlafmütze daneben NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie bedrohen die (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Genderforscherinnen und -forscher! – Niema NEN]: Wer ist hier eine Schlafmütze?) Movassat [DIE LINKE]: Billig!) Kein Wunder, dass seit vielen Jahren ein Braindrain und wird sich, wenn er nicht schleunigst aufspringt, bald stattfndet, auch deswegen übrigens, weil die Arbeits- in einem biedermeierlichen Freilichtmuseum wiederfn- und Karrierebedingungen der Wissenschaftler hierzulan- den. Dort kommen ihn dann Chinesen und Amerikaner de nicht gut genug sind. Ebenso wie die Millionäre ver- besuchen, um zu sehen, wie man früher so lebte. lassen auch die klügsten Köpfe scharenweise unser Land. (Christian Dürr [FDP]: Das ist Ihr Modell!) (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht in Ihrer Fraktion! Aber Das ist natürlich grell überzeichnet; aber da ist auch et- bei uns nicht!) (B) was dran. Das muss man eingestehen. (D) Und bei aller Notwendigkeit der künstlichen Intelligenz: Richtig ist: In der deutschen Wissenschafts- und For- Diese klugen Köpfe werden wir durch KI nicht ersetzen schungspolitik sind seit Jahrzehnten die Weichen falsch können. gestellt worden. Mit dem Bologna-Prozess hat eine wis- senschaftsfeindliche Verschulung des Studiums stattge- (Beifall bei der AfD – Zurufe der Abg. Niema funden. Man hat ohne Not die bewährten Diplom- und Movassat [DIE LINKE] und Dr. Franziska Magisterstudiengänge aufgegeben; man hat den inter- Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) national hoch angesehenen deutschen Diplomingenieur Man müsste endlich ernst machen mit der vielbe- durch Bachelor und Master ersetzt, wofür wir in den schworenen Autonomie der Universitäten und For- USA, wo wir damit ja Anschluss fnden wollen, im Übri- schungsinstitute. Lassen wir die Wissenschaft sich aus gen nur Kopfschütteln geerntet haben. ihrer Eigenlogik heraus entwickeln. Statten wir sie mit (Beifall bei der AfD) ausreichenden Mitteln aus, aber überlagern wir sie nicht mit bürokratischen Programmen, mit Ideologie und mit Die Dominanz der Projektförderung in der Forschung, staatlichen Strukturvorgaben. hauptsächlich nach EU-Vorgaben, und die damit ver- Vielen Dank. bundenen Antrags- und Berichtspfichten haben zu einer exorbitanten Mehrbelastung der Forscher mit wissen- (Beifall bei der AfD) schaftsfremden Aufgaben geführt. All die EU-Program- me und Initiativen, die der Wissenschaft übergestülpt Vizepräsident Wolfgang Kubicki: werden, sind im Wesentlichen für eines gut, nämlich eine Vielen Dank, Herr Kollege. – Als Nächstes ertei- neue Kaste von Bürokraten und Wissenschaftsmanagern le ich das Wort für die SPD-Fraktion dem Kollegen zu nähren, die selbstreferenziell dafür sorgt, dass die bü- Dr. Karamba Diaby. rokratischen Mühlen mahlen und ihre eigene Reproduk- tion gesichert ist. Zum Wohle der Wissenschaft ist das (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nicht. der CDU/CSU) (Beifall bei der AfD) Dr. Karamba Diaby (SPD): Gute Wissenschaft gibt es weiterhin in Deutschland, Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehr- aber nicht wegen, sondern trotz dieser bürokratischen ten Damen und Herren! Als ich 24 Jahre alt war, habe EU-Programme, meine Damen und Herren. Hinzu ich mich um ein internationales Stipendium beworben Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4451

Dr. Karamba Diaby (A) und konnte dann an der Martin-Luther-Universität Hal- für die komplette Bildungskette von der Kita über die (C) le-Wittenberg Chemie studieren und wurde dort später Schulen, Hochschulen bis hin zur Weiterbildung im Be- auch promoviert. Meine Eltern haben dafür keinen Cent ruf. Dafür investieren wir in Bildung und Schulen so viel bezahlt. Ich bin zum Studieren gekommen und bin zum wie niemals zuvor, nämlich sage und schreibe 11 Milli- Leben geblieben. arden Euro.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- der CDU/CSU) geordneten der CDU/CSU und der FDP) So geht es vielen Tausenden Studierenden an deut- Wir werden die Ganztagsschulen ausbauen und nehmen schen Hochschulen. 89 Prozent davon wollen hier einen dafür alleine 2 Milliarden Euro in die Hand. Zudem Abschluss machen, und rund die Hälfte der über 250 000 schafen wir einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreu- internationalen Studierenden ist erfreulicherweise in ei- ung für Grundschulkinder. Wir werden das Grundgesetz nem MINT-Fach eingeschrieben. Meine lieben Kollegin- ändern und das Kooperationsverbot aufheben. Liebe nen und Kollegen, damit steht fest: Deutschland hat seine FDP, Sie sind herzlich eingeladen, mitzumachen. Stellung als attraktiver Studienstandort weiter ausgebaut und steht positiv da. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie Sie sehen, investiert diese Koalition kräftig in Bildung und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Forschung, und das ist gut für Deutschland. der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN) Danke schön.

Drei wesentliche Rahmenbedingungen sind in diesem (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Zusammenhang zu nennen: der Hochschulpakt, der Qua- der CDU/CSU) litätspakt Lehre, die Internationalisierungsstrategie der Bundesregierung. Doch eine Sache will ich hier noch an- merken. Die schwarz-gelbe Regierung in NRW verlangt Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Gebühren von internationalen Studierenden. Wer nicht Herzlichen Dank, Herr Kollege. – Wir kommen nun aus Europa kommt und in NRW studieren will, soll zu- zu Triple B: Ich erteile der Kollegin Birke Bull-Bischof künftig Studiengebühren zahlen. das Wort für die Fraktion Die Linke. (Niema Movassat [DIE LINKE]: Pfui!) (Beifall bei der LINKEN) Das ist weder fair noch liberal. (B) (D) (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Birke Bull-Bischof (DIE LINKE): Und noch weniger sichert es die Zukunftsfähigkeit Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen Deutschlands. Wir als Sozialdemokratinnen und Sozi- und Herren! Ausgerechnet aus dem Mund der AfD etwas aldemokraten wollen Gebührenfreiheit von der Kita bis von humanistischem Menschenbild und Freiheit zu hö- zur Uni, damit es keinen Unterschied mehr macht, ob ren, das ist abstrus. ein Kind im Burgenlandkreis oder im Schwarzwald auf- wächst. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. (Beifall bei der SPD und der LINKEN – Katja Dr. Karamba Diaby [SPD] – Dr. Roland Suding [FDP]: Dann müssen Sie aber auch für ­Hartwig [AfD]: Warum denn nicht? Haben die entsprechende Qualität sorgen!) Sie das für sich gepachtet? – Jürgen Braun [AfD]: Da haben wir aber toll zugeschlagen, Meine sehr verehrten Damen und Herren, um gemein- Frau Bull-Bischof!) sam globale Herausforderungen anzugehen, bedarf es der Weiterentwicklung funktionierender Bildungs- und Sie haben so viel damit zu tun wie der Fisch mit dem Forschungsstrukturen. Für den weiteren Ausbau von In- Fahrrad. Das kann man sich ansehen, wenn man sich Ihre novation, Wachstum und Beschäftigung werden wir in Reden der vergangenen Woche in diesem Hohen Hause dieser Legislaturperiode die Entwicklung ambitionierter durchliest. Strategien fortsetzen und in die weitere Förderung der Internationalisierungsstrategie investieren. Sie ist da- (Beifall bei der LINKEN) rüber hinaus aber auch ein Plädoyer für Weltofenheit, Gemeinsamkeit und die Freiheit des Denkens im interna- Bildung ist die soziale Frage der Gegenwart. – Das ist tionalen Kontext. ein sehr schöner und sehr richtiger Satz aus dem vorlie- genden Antrag der FDP. Ja, kann ich da nur sagen. Das (Beifall bei der SPD) heißt aber auch, sich der Bildungspolitik aus sozialer Mit der zunehmenden Spaltung und dem Erstarken Perspektive zu nähern. Wenn uns Wissenschaftlerinnen der rechtspopulistischen Kräfte ist die Internationalisie- und Wissenschaftler und Praktikerinnen und Praktiker rung zunehmend herausgefordert. Heute liegt uns ein stets und ständig attestieren, dass in unserem Land wie Antrag der FDP vor, der viele Dinge fordert, an denen in fast keinem anderen Land weltweit der Bildungserfolg die Bundesregierung bereits arbeitet. Um hier nur einige so sehr von sozialer Herkunft abhängt, dann müssen wir Beispiele zu nennen: Wir schafen erst einmal ein Paket diese Barrieren konkret identifzieren und endlich abbau- 4452 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

Birke Bull-Bischof (A) en. Ich habe – es tut mir leid – das Gefühl, dass dieses Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) Thema in Ihrem Antrag nur eine Nebenbaustelle ist. Herzlichen Dank. – Als Nächstes spricht für die CDU/ CSU-Fraktion die Kollegin Ronja Kemmer. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU)

Ich will zwei solcher prinzipiellen Barrieren benen- Ronja Kemmer (CDU/CSU): nen. Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Lie- be Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegen von der Erstens. Wir geben in Deutschland zugegebenerma- FDP, vorab: Einige Forderungen in Ihrem Antrag gehen ßen wirklich viel Geld für Bildung aus, und wir geben in die richtige Richtung; das möchte ich gar nicht in Ab- immer mehr aus. Man kann sagen: Ja, das ist gut so. – rede stellen. Man muss aber deutlich sagen, dass alles Aber wenn man unter die Oberfäche guckt, stellt man Sinnvolle, was Sie fordern, sich mit den Maßnahmen fest, dass sich Geld und Ressourcen vor allen Dingen auf deckt, die bereits entweder in konkreter Planung oder in die Bereiche konzentrieren, die ohnehin über meist viele der Umsetzung sind. Ressourcen und über einen hohen Status verfügen. Das ist dann meistens verbunden mit dem Wort „Exzellenz“. Der Koalition vorzuwerfen, dass wir im Bereich Bil- dung, Forschung und Innovation auf der Stelle treten Exzellente Förderung und exzellente Bildung gehören oder gar entschleunigen würden, geht völlig an der Rea- aber vor allem dorthin, wo es schwierig wird, dorthin, lität vorbei. wo Bildungsförderung und Pädagogik noch eine echte Herausforderung sind, zum Beispiel in der Schulsozial- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- arbeit, in der Jugendsozialarbeit, in der Ganztagsbetreu- ordneten der SPD) ung, in der Alphabetisierung, in der Grundbildung und in Um die Zukunftsfähigkeit unseres Landes zu sichern, ha- inklusiver Bildung. Denn anderenfalls befndet sich die ben wir in der letzten Legislatur vieles auf den Weg ge- Exzellenzinitiative auf sehr dünnem Eis. bracht und im aktuellen Koalitionsvertrag weitreichende Vorhaben verankert, die wir jetzt zügig und entschlossen (Beifall bei der LINKEN) angehen. Leider ist Umverteilung von unten nach oben auch Sie sprechen das wichtige Thema künstliche Intelli- im Bereich der Bildungspolitik gängige Praxis. Damit genz an und werfen uns vor, dass wir die Chancen nicht bin ich beim zweiten Punkt. In Deutschland hält sich richtig erkennen würden. (B) immer noch die Vorstellung, die Quelle von Bildung sei (Katja Suding [FDP]: Das sagt doch sogar die (D) nicht Vielfalt, sondern Einfalt und Homogenität. Es wird Bundeskanzlerin!) ausgegrenzt, es wird sortiert. Wir haben ein gespaltenes Verhältnis zu Diversität und Vielfalt. Im Bildungssystem Ministerin Karliczek hat hier in all ihren Reden sehr deut- ist viel zu oft die Rede von Einheitlichkeit. Vielfalt wird lich betont – das möchte ich noch einmal klarstellen –, hierzulande sehr selten als Lernquelle, sondern eher als dass wir beim Thema künstliche Intelligenz immer die Störfaktor betrachtet. Chancen, die sich für uns wirtschaftlich und gesellschaft- lich ergeben, in den Vordergrund stellen müssen. KI ist (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) eines der großen Zukunftsthemen. Wir wollen Deutsch- land zu einem weltweit führenden Standort für künstliche Wir haben besondere Maßnahmen, wir haben besondere Intelligenz machen. Förderung, wir haben besondere Schulen und besondere Einrichtungen. Was man aber nicht einfach beiseite kehren kann – das hat die Ministerin auch zu Recht angesprochen –, Inklusion wird in Deutschland stets und ständig ver- (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- hindert, statt sie zu nutzen. Auch in Ihrem Antrag, wenn NEN]: Wo ist die Ministerin?) ich das richtig in Erinnerung habe, ist davon nicht die Rede. Dabei ist inklusive Bildung eine ganz zentrale He- ist, dass einige Menschen skeptisch sind, weil es vielen rausforderung und eben nicht nur eine Frage von Men- noch schwerfällt, das Thema entsprechend einzuordnen. schenrechten, sondern mit unglaublichen Bildungspoten- zialen verbunden. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus Vizepräsident Wolfgang Kubicki: der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen? Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss, bitte. Ronja Kemmer (CDU/CSU): Ja, sehr gerne. Birke Bull-Bischof (DIE LINKE): Hier bleibt sie ungenutzt. Das ist aus unserer Sicht die Dr. Anna Christmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Schwäche Ihres Antrags. NEN): Vielen Dank fürs Zulassen der Zwischenfrage. – Sie (Beifall bei der LINKEN) haben ausgeführt, dass Sie KI jetzt mit aller Kraft voran- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4453

Dr. Anna Christmann (A) bringen wollen. Es ist ja auch eine Strategie angekündigt. Das Gleiche gilt für das Thema Digitalisierung in der (C) Ich würde gerne einmal nachfragen, warum Sie die Chan- Bildung. Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass der Digital- ce in diesem Haushalt nicht genutzt haben. Im Haushalt Pakt Schule nun endlich umgesetzt werden muss. Genau fndet sich der Titel „Deutsch-französisches Zentrum für das tun wir. KI“. Da ist aber kein Geld hinterlegt. (Katja Suding [FDP]: Wann denn?) (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Null Euro!) Auch hier arbeiten wir mit Hochdruck auf allen Ebenen daran, dass wir nach einer komplexen Abstimmung mit Warum fangen Sie nicht schon in diesem Jahr an, wenn den Bundesländern und der Änderung des Grundgesetzes wir uns doch – dachte ich zumindest – alle einig sind, Anfang nächsten Jahres die Fördergelder für die Schulen, dass der Zeitdruck sehr groß ist? für die Schulträger und damit natürlich vor allem für die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schülerinnen und Schüler zur Verfügung stellen. sowie bei Abgeordneten der FDP) (Katja Suding [FDP]: Haben Sie da eigentlich eine eigene Mehrheit?) Ronja Kemmer (CDU/CSU): Den DigitalPakt nicht auf ein solides Fundament zu stel- Sehr geehrte Frau Kollegin, vielen Dank für die Frage. len, das wäre verantwortungslos; denn es geht schließlich Ich komme noch zum Stichwort „Deutsch-französisches um viel Geld. Zentrum für Künstliche Intelligenz“. Die Planungen lau- fen auf Hochtouren, genau wie die Planungen für die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) nationale KI-Strategie, die im kommenden Herbst vorge- stellt wird. Von daher ist der Zug aufs Gleis gesetzt. Wir Stückwerk lehnen wir ab, so zum Beispiel die bringen da ordentlich PS auf die Straße. jüngste Forderung der FDP, im Haushalt schon einmal 1 000 Euro – ich wiederhole: 1 000 Euro – pro Schule zur (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Vorbereitung des DigitalPakts zur Verfügung zu stellen. GRÜNEN]: Aber kein Geld!) Weder haben Sie in Ihrem Antrag irgendwie begründet, Zurück zum Thema, zum Antrag der FDP. Die Skepsis auf welcher Grundlage Sie diese 43 000 Einmalzahlun- können wir von der politischen Seite, glaube ich, nicht gen genau verankern wollen, noch sind Sie auf den As- einfach ignorieren. Wir müssen doch als Verantwortung pekt eingegangen, wie viel von diesen 1 000 Euro nach tragende Parlamentarier eine breite gesellschaftliche Abzug der Verwaltungskosten überhaupt bei den Schulen Debatte anstoßen und führen. Darum bin ich sehr froh, ankommt. dass wir gestern im Bundestag die Einsetzung der En- (B) Auch die Forderung, Tablets für alle Schüler seitens (D) quete-Kommission „Künstliche Intelligenz“ beschlossen des Bundes zu fnanzieren, ist nicht durchdacht. Sie sa- haben. gen nicht nur nicht, dass diese Forderung weitere 4 Mil- Deutschland muss beim Thema KI vorne mitspielen. liarden Euro kosten würde, sondern auch nicht, dass das Ja, die Konkurrenz in China und den USA ist groß. Aber keine Aufgabe des Bundes, sondern der Länder ist. so schlecht, wie Sie die Lage darstellen, ist sie mitnich- ten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) (Katja Suding [FDP]: Dann fragen Sie doch mal die Unternehmen aus der Branche!) Sie widersprechen sich in Ihrem Antrag selbst. In Ih- rem Antrag heißt es, dass die Mittel des Bundes nicht zu Das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelli- Einsparungen auf Länderseite führen sollen. genz ist immerhin das weltweit größte Institut auf diesem Gebiet mit zahlreichen Ausgründungen. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Genauso ist es!) (Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: In 30 Jahren 80!) Das steht so in Ihrem Antrag; ich zitiere das nur. Jetzt frage ich einmal bei aller Liebe: Wenn wir seitens des Im Cyber Valley in Stuttgart liegt einer der weltweit Bundes alle, aber auch wirklich alle Aufgaben der Län- führenden Hotspots im Bereich maschinelles Lernen, der übernehmen, und – ich habe es eben bereits gesagt – die Vorbereitun- gen zur Einrichtung des deutsch-französischen Zentrums (Katja Suding [FDP]: Das sagt doch kein für KI laufen auf Hochtouren, ebenso wie die Erarbei- Mensch!) tung der nationalen KI-Strategie. wozu führt das Ihrer Meinung nach, wenn nicht genau Gerade mit Blick auf ethische Fragen und Datenschutz dazu, dass die Länder ihre Ausgaben entsprechend zu- wollen wir nicht alles so machen wie China. Wenn wir rückfahren? uns auf unsere Stärken besinnen und diese entsprechend ausbauen, dann können wir – davon bin ich überzeugt – (Katja Suding [FDP]: Stimmt doch gar nicht!) eine weltweit führende Stellung bei diesem Thema ein- nehmen. Stattdessen setzen wir mit dem DigitalPakt Schule auf eine nachhaltige Verbesserung, indem wir zum Beispiel (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und die WLAN-Ausleuchtung, die Vernetzung der Kommu- der SPD) nikations- und IT-Infrastrukturen sowie die Strukturen 4454 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

Ronja Kemmer (A) für Bildungsclouds fördern. Wir wollen einen echten in Deutschland den Rücken, weil sie schlecht bezahlt (C) Sprung in die Zukunft. Diesen Anspruch haben wir als sind, unsichere Karriereperspektiven haben, befristet be- Union beim Thema „Bildung und Forschung“, und daran schäftigt sind und sich zum Beispiel nicht einmal trauen, werden wir auch zukünftig arbeiten. eine eigene Familie zu gründen? (Beifall bei der CDU/CSU) 2017 gaben in einer Erhebung der Max-Planck-Ge- sellschaft 49 Prozent der Doktorandinnen und Doktoran- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: den an, ihr Verdienst reiche nicht aus, um ein Kind aufzu- Vielen Dank, Frau Kollegin Kemmer. – Als letzte ziehen. 58 Prozent erklärten, ihre Forschungseinrichtung Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich der unterstütze Promovierende zu wenig, wenn sie eine Fa- Kollegin Wiebke Esdar von der SPD das Wort. milie gründen möchten. Ich könnte noch weitere Zahlen (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Petra nennen: zur Unzufriedenheit mit der eigenen Vergütung, Sitte [DIE LINKE]) aber auch im Hinblick auf zu wenige Urlaubstage. Als jemand, der selber Doktorandin und auch Postdoc war, Dr. Wiebke Esdar (SPD): sage ich, dass diese Befragung beispielhaft für die Situa- Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! tion in Deutschland steht. Das müssen wir angehen, und Meine Damen und Herren! Wenn Sie erlauben, beginne da werden wir uns auch ans Werk machen. ich meine Rede mit einigen Zitaten aus dem Antrag der FDP . Darin heißt es nämlich unter anderem: „Deutsch- Wir als SPD haben mit dem Pakt für Forschung und land droht den Anschluss zu verlieren.“ Oder es heißt: Innovation bereits die Grundlage dafür geschafen, au- Unser Land „rutscht ab“. Liebe Kolleginnen und Kolle- ßeruniversitäre Forschungseinrichtungen pro Jahr mit gen von der FDP, so viel Untergangsstimmung hören wir 3 Prozent Aufwuchs auszustatten. Was jetzt fehlt, ist – doch sonst eigentlich nur von ganz rechts außen. Ofen da würde ich Ministerin Karliczek gerne noch stärker in gesagt, klingt das für mich nicht nach „German Mut“, die Pficht nehmen –, dass von diesem zusätzlichen Geld sondern eher nach „Liberal Panik“. am Ende auch die Beschäftigten proftieren. Wir haben (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie das bereits konkret angemahnt, und wir werden da auch bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE dranbleiben. GRÜNEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Anstatt uns aber in Panik treiben zu lassen, brauchen wir der LINKEN) einen coolen, einen kühlen Kopf. (B) Darüber hinaus werden wir in dieser Legislaturperio- (D) Bildung und Forschung sind in der Tat die zentralen Zukunftsfragen unseres Landes. Darum wollen wir die de den Hochschulpakt dauerhaft verstetigen. Wir setzen Anliegen Ihres Antrags auch gar nicht kleinreden. Ganz den Qualitätspakt Lehre fort. Mit dem Tenure-Track-Pro- im Gegenteil: Bei vielen Punkten – unter anderem, wenn gramm haben wir die Karrierewege an Universitäten Sie schreiben, dass die Digitalisierung in der schulischen bereits planbarer und transparenter gemacht. Mit dem Bildung sozial gerecht gestaltet werden soll – rennen Sie Nachwuchspakt für die Fachhochschulen legen wir jetzt bei uns ofene Türen ein. Aber bei all der Dramatik, die in diesem Bereich nach. Wir fördern Frauen mit dem Sie in Ihren Antrag legen, würden wir uns wünschen, Professorinnenprogramm. All das sind konkrete Schritte, dass Sie sich mit der gleichen Vehemenz daranmachen, mit denen wir den Wissenschaftsstandort in Deutschland echte, wirklich zielführende und umsetzbare Lösungen gestärkt haben. vorzuschlagen. Die fehlen nämlich. Kolleginnen und Kollegen, das sind zentrale Schritte, (Beifall bei der SPD) die erst einmal für mehr soziale Sicherheit in der deut- Sie möchten Bildung und Forschung in den Mittel- schen Wissenschaft sorgen. Durch mehr soziale Sicher- punkt stellen. Das Wort „Hochschule“ fndet sich aber an heit schafen wir dann attraktive Beschäftigungsverhält- keiner einzigen Stelle in dem Antrag. nisse. Attraktive Beschäftigungsverhältnisse ebnen für (Dr. Jens Brandenburg [Rhein-Neckar] unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den [FDP]: Stimmt gar nicht! Lesen!) Weg hin zu exzellenten Leistungen und Spitzenleistun- gen an den Hochschulen und in den Forschungseinrich- Wenn Sie Bildung und Forschung in den Mittelpunkt tungen. Dann sind sie dabei – ganz nebenbei – auch noch stellen wollen, sage ich Ihnen: Wer das will, der muss Aushängeschild im Wettbewerb um die besten Köpfe in doch die Beschäftigungsbedingungen und die Arbeits- der ganzen Welt. bedingungen in der Wissenschaft betrachten. Auch dazu kein einziges Wort. Wir als Bundestagsfraktion sind überzeugt: Wenn wir Wir brauchen Spitzenqualität an den Hochschulen und die Zukunftsfähigkeit der Wissensgesellschaft Deutsch- in den Forschungseinrichtungen – keine Frage. Aber vor land erhalten wollen, dann brauchen wir Spitzenfor- allem brauchen wir Qualität in der Breite, damit daraus schung. Die Grundlage dafür ist aber soziale Sicherheit. Spitzenleistungen entstehen können. Da stellt sich doch die Frage: Wie viele Nachwuchswissenschaftlerinnen Ich bin hofnungsvoll, dass auch Sie von der FDP und Nachwuchswissenschaftler kehren der Wissenschaft noch zu dieser Erkenntnis kommen können, und ich Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4455

Dr. Wiebke Esdar (A) hofe, dass Sie dann auch Ihren liberal Mood entdecken. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) Dann können wir gemeinsam daran arbeiten. Herr Minister, tun Sie mir einen Gefallen und begin- Danke schön. nen Sie noch mal neu. Wir warten, bis die Kolleginnen und Kollegen ihre Begrüßungszeremonien abgehalten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten und sich entweder gesetzt oder den Saal verlassen haben. der CDU/CSU und der LINKEN – Dr. Florian Toncar [FDP]: Arroganz ersetzt noch keine Rede!) Heiko Maas, Bundesminister des Auswärtigen: Dann stoppen Sie bitte die Uhr, Herr Präsident, solan- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: ge ich hier innehalten soll. Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Esdar. – Nach den Worten dieser Kollegin schließe ich die Aussprache. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Ich weiß, dass Sie in der Lage sind, auch bei einer Drucksache 19/2988 an die in der Tagesordnung aufge- solchen Lautstärke zu reden, aber diese Unruhe ist ein- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- fach nicht nur unhöfich, sondern auch ungewöhnlich in verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung diesem Haus. so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a bis 19 c auf: Heiko Maas, Bundesminister des Auswärtigen: Ich danke Ihnen, Herr Präsident. – Also noch mal – es a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ hat sich nichts verändert –: 184 Jastimmen bei 4 Nein- CSU und SPD stimmen für Deutschland verkündete der Präsident der Deutschlands Mitgliedschaft im Sicherheits- Vollversammlung der Vereinten Nationen am 8. Juni rat der Vereinten Nationen – Für eine dauer- 2018 als Ergebnis der Wahl der nichtständigen Sicher- haft friedliche, stabile und gerechte Ordnung heitsratsmitglieder, und ich fnde, das ist eine überwäl- in der Welt tigende Mehrheit für unser Land und keineswegs selbst- verständlich. Drucksache 19/2982 (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heike CDU/CSU) Hänsel, Dr. Alexander S. Neu, Kathrin Vogler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE Diese Mehrheit ist Ausdruck der großen Anerken- (B) LINKE nung für das weltweite Engagement unseres Landes, (D) Völkerrecht durchsetzen, zivile UN-Initiati- und manchmal würde ich mir wünschen, dass die, die in ven stärken, Abrüstung für Sicherheit und unserem Land schlecht über unser Land reden, sich mal Armutsbekämpfung vorantreiben außerhalb des Landes erkundigen würden, wie dort über uns geredet wird. Drucksache 19/2980 (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten c) Beratung des Antrags der Abgeordneten der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Dr. Frithjof Schmidt, Margarete Bause, Uwe Wir reden über die Regierung! Es geht Kekeritz, weiterer Abgeordneter und der Frakti- um die Regierungspolitik! – Udo Theodor on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hemmelgarn [AfD]: Die lachen über uns!) Nichtständigen Sitz im Sicherheitsrat nutzen, Wir sind als aktiver Fürsprecher multilateraler Kon- Vereinte Nationen stärken fiktlösungen bekannt, wir sind viertgrößter Beitrags- Drucksache 19/2975 zahler in den Vereinten Nationen, und wir sind auch ein wichtiger Truppensteller. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- (Udo Theodor Hemmelgarn [AfD]: Ja, und nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. sehr beliebt dafür!) Ich eröfne die Aussprache und erteile zunächst dem Wir sind ein engagiertes Mitglied im Menschenrechtsrat Bundesminister des Auswärtigen, Heiko Maas, für die und großzügiger Unterstützer des humanitären Systems Bundesregierung das Wort. und der Entwicklungsorganisationen der Vereinten Na- (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des tionen. Abg. Jürgen Hardt [CDU/CSU]) (Udo Theodor Hemmelgarn [AfD]: Toll!)

Heiko Maas, Bundesminister des Auswärtigen: Unsere Wahl in den Sicherheitsrat ist aber nicht nur die Anerkennung für bereits Geleistetes. Bei meinen drei Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen Besuchen bei den Vereinten Nationen im Vorfeld der und Kollegen! 184 Jastimmen bei 4 Neinstimmen für Wahl habe ich deutlich erfahren können, welche hohen Deutschland verkündete der Präsident – – Erwartungen an uns gerichtet sind. Deutschland wird zu- (Unruhe) getraut, eine Kraft des Ausgleichs zu sein, ein Verteidiger 4456 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

Bundesminister Heiko Maas (A) der regelbasierten Weltordnung, eine Stimme der Ver- sen, dass Entwicklung und Achtung der Menschenrechte (C) nunft in einer zunehmend radikalisierten Welt. Das sind immer die Voraussetzung für dauerhaften Frieden sind. hohe Ansprüche, denen wir aber gerecht werden wollen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Vor 60 Jahren sprach der damalige Generalsekretär der CDU/CSU) der Vereinten Nationen Dag Hammarskjöld von Zeiten Auch der vielfach zu wenig beachtete und unverzicht- des Friedens, die kein Friede sind. Auch wenn sich die bare Beitrag, den Frauen für Frieden und Sicherheit leis- Herausforderungen seitdem verändert haben, spüren wir ten, muss noch stärker berücksichtigt werden. Hier wol- heute doch, dass unser Friede keineswegs eine Ewig- len wir schwedische Initiativen aus dem Sicherheitsrat keitsgarantie hat, dass Konfikte in der Welt auch uns in aufgreifen und fortführen. Europa unmittelbar erreichen und dass die Weltordnung gerade im Moment gewaltige Umbrüche erlebt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/CSU]) Wichtige Akteure wenden sich vom multilateralen Liebe Kolleginnen und Kollegen, Krisenprävention ist System ab. Denken wir etwa an den Rückzug der Verei- eine unserer deutschen Stärken. Unsere Erfahrungen, un- nigten Staaten aus dem Menschenrechtsrat. Andere Staa- sere Ideen und unsere Kapazitäten bei der Stabilisierung, ten blockieren internationale Konfiktlösungen durch ihr der Mediation und der Konfiktnachsorge werden schon Veto oder brechen internationales Recht, wie wir das bei jetzt weltweit abgefragt. Wir werden sie auch aus dem der Annexion der Krim gesehen haben. Sicherheitsrat heraus überall dort einbringen, wo Länder in Konfikte abzurutschen drohen. Unsere Antwort darauf muss die Antwort sein, die auch Dag Hammarskjöld gegeben hat, als er sagte: Wir Ein weiterer Brandbeschleuniger ist die unkontrollier- brauchen starke Vereinte Nationen, und wir brauchen sie te Proliferation von Wafen, insbesondere von Kleinwaf- mehr denn je. fen. Hier wollen wir gemeinsam mit den Vereinten Na- tionen Verbesserungen für Menschen in Kriegsgebieten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten erreichen. Auch dieses Thema werden wir auf die Tages- der CDU/CSU) ordnung setzen. (Beifall bei der SPD) Wir brauchen natürlich auch einen handlungsfähigen Sicherheitsrat als Herzstück der internationalen Sicher- Angesichts der globalen Aufrüstung begrüßen wir heitsarchitektur. Bei aller berechtigten Kritik dürfen deshalb ganz außerordentlich, dass Generalsekretär Gu- wir eines nicht vergessen: Alleine im vergangenen Jahr terres die Themen Abrüstung und Rüstungskontrolle (B) wurden 61 Resolutionen im Sicherheitsrat in New York wieder auf die Tagesordnung der Vereinten Nationen ge- (D) angenommen – 59 davon einstimmig. Das zeigt: Der Si- setzt hat. Auch das wird ein Punkt sein, mit dem wir uns cherheitsrat kann und wird einen wichtigen Beitrag zu außerordentlich intensiv beschäftigen werden. Frieden und Stabilität leisten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Schluss will ich noch einen Punkt ansprechen, der auch im Antrag Wenn wir 2019 in den Sicherheitsrat einziehen, wird der Regierungsfraktionen zu Recht aufgeworfen wird: dieser zu einem Drittel aus EU-Mitgliedern bestehen. Wie können wir die Efektivität und die Legitimität der Diesen europäischen Moment wollen wir nutzen. Euro- Vereinten Nationen stärken? Ein Ansatzpunkt ist, um das päische Außenpolitik, die diesen Namen verdient, wollen deutlich zu sagen, den Sicherheitsrat inklusiver zu ma- wir auch in New York machen, dort, wo es um die großen chen. Das heißt, ihn endlich an die Realität des 21. Jahr- Fragen von Krieg und Frieden geht. hunderts anzupassen. Das heißt auch: Deutschland steht bereit, in einem reformierten Sicherheitsrat auch dauer- Meine Damen und Herren, natürlich ist die Arbeit im haft Verantwortung zu übernehmen. Sicherheitsrat zuallererst von den aktuellen Krisen unse- rer Zeit geprägt. So schwierig es auch sein wird, bei der (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Konfiktlösung in Syrien, in der Ukraine, im Südsudan CDU/CSU – Stefan Liebich [DIE LINKE]: oder im Jemen voranzukommen: Wir wollen unseren Das ist das Wichtigste dabei!) Beitrag dazu leisten. Wir sitzen schon jetzt am Verhand- Neben den Sicherheitsratsreformen müssen wir aber lungstisch, wenn es um eine politische Lösung für Syrien auch die Reform des Entwicklungssystems der Vereinten oder um eine friedliche Lösung für die Ostukraine geht. Nationen und der Managementstrukturen voranbringen. Klar ist aber auch, dass der Sicherheitsrat nicht im- Auch das ist eines der großen Reformvorhaben des Ge- mer erst dann aktiv werden kann, wenn es schon lich- neralsekretärs. Dabei gibt uns auch die breite Unterstüt- terloh brennt. Er muss Brände verhindern, und er muss zung des Deutschen Bundestages Rückenwind dafür, die sich zunehmend auch um die Brandbeschleuniger küm- freiwilligen Beiträge Deutschlands im Rahmen bestehen- der Handlungsspielräume noch einmal zu erhöhen. mern. Wie im Antrag von CDU/CSU und SPD gefordert, wollen wir daher unseren Vorsitz im Sicherheitsrat auch Meine Damen und Herren, das ist ein wichtiges Si- nutzen – das wird schon im April des nächsten Jahres der gnal. Das ist aber auch ein notwendiges Signal, beson- Fall sein –, um Menschenrechtsverletzungen, die Aus- ders in Zeiten, in denen auch der eine oder andere in wirkungen des Klimawandels oder Gesundheitsrisiken Deutschland schon den Abgesang auf die multilaterale wie Ebola auf die Tagesordnung zu setzen; denn wir wis- Weltordnung angestimmt hat. Je breiter der Multilatera- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4457

Bundesminister Heiko Maas (A) lismus infrage steht, desto entschiedener müssen wir ihn Diese sind heute sehr viel schwächer, als sie es noch vor (C) verteidigen. Wir müssen für mehr internationale Zusam- 20 oder 25 Jahren waren. Das sollte als Erstes unser Ziel menarbeit und nicht weniger eintreten. Das wollen wir sein. tun: als nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. (Beifall bei der AfD) Deutschland als ständiges Mitglied im UN-Sicher- Schönen Dank. heitsrat müsste auch die entsprechenden Qualitäten (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) mitbringen. Die, die sonst da sitzen, sind Mächte, Mit- telmächte und Großmächte, die durchaus einen Einfuss in der Welt haben und sich Einfuss verschafen können. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Wenn ich den Zustand unserer Bundeswehr sehe, dann Herzlichen Dank, Herr Minister Maas. – Als Nächs- habe ich meine Zweifel, ob ein Sitz Deutschlands im tem erteile ich für die AfD-Fraktion dem Kollegen UN-Sicherheitsrat so ernst genommen wird, wenn die ­Armin-Paulus Hampel das Wort. Einsatzfähigkeit der Bundeswehr schon an der Kreis- grenze aufhört. (Beifall bei der AfD) Bei der Reform der Vereinten Nationen muss doch zu- allererst ein robustes Mandat der Vereinten Nationen wie- Armin-Paulus Hampel (AfD): der im Vordergrund stehen – was wir Deutschen gar nicht Herr Präsident! Verehrte Kollegen! Liebe Gäste im leisten können. Denken Sie nur an die Dinge, die in der Deutschen Bundestag! Ich weiß gar nicht, zum wie- Vergangenheit geschehen sind. Lesen Sie mal das Buch vielten Male wir uns mit dem Thema „Ständiger Sitz des kanadischen Generals, der in Ruanda eingesetzt war, Deutschlands im UN-Sicherheitsrat“ beschäftigen. damit Sie sehen, wie beschämend dessen Erfahrungen als UN-Kommandeur in Ruanda mit dem schrecklichen (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Sie müssen Menschenschlachten, das dort stattgefunden hat, waren. nicht reden!) Denken Sie an Srebrenica, wo die Vereinten Nationen völlig versagt haben. Viele Jahre ist es her, dass das mal aufs Tapet gebracht wurde, und letztendlich kommt es immer wieder mal als Ich glaube also: Wenn wir darüber diskutieren wollen, Vorstoß. Aufgrund unserer erneuten Teilnahme als nicht- ein Mitglied im UN-Sicherheitsrat zu werden, müssen ständiges Mitglied ist natürlich klar, dass man darüber wir die Voraussetzungen dazu mitbringen, und das heißt, reden muss. dass wir erst mal unsere Bundeswehr reformieren und (B) eine schlagkräftige Truppe daraus machen müssen, die (D) Interessant fnde ich am Antrag von den beiden Ko- dann auch wirklich in einem Einsatz der Vereinten Nati- alitionsparteien, dass darin letztendlich immer wieder- onen – ich wiederhole: mit einem robusten Mandat ver- kehrend die Punkte zu fnden sind, die wir alle schon sehen – an der Seite unserer alliierten Partner eingesetzt kennen: Demokratie, Menschenrechte, Frieden, Stabili- werden kann. Nur das verschaft uns die entsprechende tät – Feminismus haben Sie noch ein bisschen erwähnt –, Geltung. und – nicht zu vergessen – der Klimawandel. Das sind zwar alles schöne hehre Ziele – nicht alles aus unserer Es handelt sich hierbei selbstverständlich um einen Perspektive; damit meine ich den Klimawandel –, aber Teil nationaler Interessenpolitik. Der Passus des Antrags bloß die üblichen Floskeln. ist: Irgendwann in fernerer Zeit wollen wir mal einen EU-Sitz haben. – Warum gehen denn die Franzosen und (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Den gibt es die Briten nicht darauf ein und sagen: „Wir machen einen doch gar nicht!) europäischen Sitz im UN-Sicherheitsrat“? Die eigentlichen Probleme der Vereinten Nationen, (Beifall bei der AfD) verehrte Kollegen, werden in diesem Antrag gar nicht erwähnt. Der Minister hat es wenigstens ein bisschen Warum nicht? Weil sie nationale Interessen wahrnehmen. angedeutet. Ich kann mich erinnern, dass Richard von Glauben Sie doch nicht, dass Paris oder London einem Weizsäcker mal Chef der Reformkommission war. Von europäischen Sitz im Sicherheitsrat zustimmen werden. den Reformen habe ich allerdings sehr wenig gehört. Ich Also ist es wichtig, dass auch wir unsere nationalen Inte- kann mich erinnern, dass es mal einen Generalsekretär ressen wahrnehmen. Das ist ein Instrument, um sie auch namens Boutros Boutros-Ghali oder auch Kof Annan durchzusetzen und dann als aktives Mitglied dort zu sit- gab. Die haben Sie damals bei allen Krisen in dieser Welt zen. in den Nachrichten sehen können. Die waren aktiv da- Wir werden natürlich auch mehr Verantwortung über- bei. Fragen Sie mal heute die Bürger auf der Straße, wie nehmen, aber vor dem Hintergrund dessen, was ich ge- der derzeitige UN-Generalsekretär heißt. Sie kennen ihn sagt habe: um die Interessen der UN durchzusetzen und nicht mal mehr. Das zeigt die Schwäche der Vereinten mit einem robusten Mandat in Krisengebieten wirklich Nationen, vor allen Dingen vor dem Hintergrund der friedensstiftend zu wirken, und nicht das, was wir in den Konfikte, die wir derzeit in dieser Welt haben. vergangenen Jahren als Niederlage der UN immer wieder erleben mussten. Man muss die Vereinten Nationen und den UN-Si- cherheitsrat in der Tat reformieren, um daraus wieder Es gibt noch einen Punkt, über den komischerweise ein aktives Instrument internationaler Politik zu machen. nie geredet wird, auch in den vergangenen Jahren nicht, 4458 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

Armin-Paulus Hampel (A) obwohl es immer wieder ein Thema war: Bevor wir uns Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) mit einem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat beschäf- Als nächster Redner erhält der Kollege Dr. Andreas tigen, sollten wir uns doch vielleicht mal mit der Charta Nick für die CSU/CSU-Fraktion das Wort. der Vereinten Nationen beschäftigen. Jetzt wissen Sie natürlich alle, worauf ich hinauswill: Es geht um die (Beifall bei der CDU/CSU) Feindstaatenklausel, die immer noch in der Charta der Vereinten Nationen steht. Dr. Andreas Nick (CDU/CSU): (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Da ist auch Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit keiner draufgekommen außer Ihnen!) großer Mehrheit wurde Deutschland Anfang Juni für die Jahre 2019 und 2020 als nichtständiges Mitglied in Interessanterweise wird dann immer erzählt: Ja, das ist den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gewählt. Das obsolet. – Es gab ja schon Willensbekundungen, das in hervorragende Wahlergebnis ist Ausdruck des weltweit fernerer Zukunft zu streichen. Ich glaube, 2007 gab es hohen Vertrauens in unser Land –, aber auch der Erwar- die letzte Initiative der Bundesregierung und es wurde tungen an Deutschland, mehr Verantwortung zu überneh- zumindest angekündigt: Wir reden mal drüber. men. Die Feindstaatenklausel – für den, der es nicht weiß – Deutsche Außenpolitik ist dem Frieden verpfichtet heißt, dass die ehemaligen Alliierten des Zweiten Welt- und fest in den Vereinten Nationen und der Europäischen krieges Zwangsmaßnahmen ohne besondere Ermächti- Union verankert. Wir bekennen uns in aller Klarheit zur gung durch den UN-Sicherheitsrat verhängen können, multilateralen und regelbasierten internationalen Ord- falls die Feindstaaten – das sind Deutschland, Japan, und nung. ich glaube, auch Italien – des Zweiten Weltkrieges erneut eine aggressive Politik verfolgen. Dies schließt auch mi- Diese Ordnung wird inzwischen in vielfacher Form litärische Interventionen mit ein. „Eine aggressive Politik herausgefordert. Daraus ergibt sich für uns eine klare verfolgen“ ist sehr interpretationsfähig; das können Sie Konsequenz: Wir müssen in deutlich höherem Maße als so oder so defnieren. – Das ist das eine. in der Vergangenheit selbst dazu beitragen, Stabilität und Sicherheit zu gewährleisten – in unserer europäischen Das andere ist: Immer wieder wurde betont, auch von- Nachbarschaft und weltweit. seiten der Mitglieder der UN, dass dies inzwischen über- holt sei; es sei obsolet geworden. Dazu gab es auch eine Wir sind nicht nur der viertgrößte Beitragszahler der Note. Komischerweise ist es aber nie gestrichen worden. Vereinten Nationen, wir bringen uns auch weit darü- ber hinaus immer stärker ein: mit diplomatischen Initi- Meine lieben, verehrten Kollegen, einen Mietvertrag, ativen wie bei E3+3, mit militärischen und zivilen so- (B) in den der Vermieter schreibt, wenn es ihm wirtschaft- wie – zunehmend wichtiger – polizeilichen Fähigkeiten (D) lich nicht so gut gehe, sei er berechtigt, die Miete zu und natürlich auch im Bereich der internationalen Ent- verdoppeln, würde keiner von Ihnen in diesem Hause wicklungszusammenarbeit bei der Umsetzung der Agen- unterschreiben. Die Feindstaatenklausel in der UN-Char- da 2030. ta ermächtigt die ehemaligen Siegermächte des Zweiten Weltkrieges aber genau dazu. Unsere Kandidatur für den Sicherheitsrat hatten wir unter die vier Leitbegrife Frieden, Gerechtigkeit, Inno- Insofern bin ich der festen Überzeugung: Bevor wir vation und Partnerschaft gestellt. Dies wird uns bei un- uns Gedanken darüber machen, dass wir ständiges Mit- serem Engagement und unseren Prioritäten strategisch glied im UN-Sicherheitsrat werden, müssen wir die Völ- leiten. ker in der UN-Generalversammlung in New York davon überzeugen, dass diese anachronistische Formel über Und mit Christoph Heusgen, dem langjährigen Bera- 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg in den Mülleimer ter der Bundeskanzlerin, sind wir mit einem unserer er- der UN-Büros gehört und nicht mehr in die Charta der fahrensten Diplomaten bei den Vereinten Nationen ver- Vereinten Nationen. treten. Dies verdeutlicht den besonderen Stellenwert der Vereinten Nationen in unserer Außenpolitik. (Beifall bei der AfD) Meine Damen und Herren, die Handlungs- und Funk- Herr Minister, setzen Sie sich dafür ein. Dann sind wir tionsfähigkeit des Sicherheitsrats wird zunehmend durch auf Augenhöhe. Wir sind keine Feindstaaten mehr. die Vetomächte Russland und China infrage gestellt. Be- (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Wenn Sie hier sonders deutlich wird das durch die Blockade in der Sy- so rumschreien, kann man das aber anders se- rien-Krise. Seit 2011 hat Russland bei Resolutionen zur hen! Das freundliche Gesicht Deutschlands! – Syrien-Krise zwölfmal sein Veto eingelegt; China hat das Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: sechsmal getan. Die Handlungsunfähigkeit des Sicher- Da könnte man aber einen anderen Eindruck heitsrats gerade im Fall Syrien unterminiert die Glaub- gewinnen!) würdigkeit der Vereinten Nationen nachhaltig. Wir haben das jahrzehntelang unter Beweis gestellt. Das Wir sehen aber auch mit wachsender Sorge, dass sich haben wir nicht nötig. Kämpfen Sie dafür – und dann die USA nicht nur mehr und mehr aus der multilateralen reden wir über die Teilnahme am Sicherheitsrat der UN. Zusammenarbeit zurückziehen, sondern diese zuneh- mend ofensiv infrage stellen – vom Pariser Klimaabkom- Danke schön. men und der UNESCO über den UN-Menschenrechtsrat (Beifall bei der AfD) und das Iran-Abkommen bis zum UN-Büro für Terro- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4459

Dr. Andreas Nick (A) rismusbekämpfung. Für die Zukunft kommt es deshalb Deutschland proftiert wie kaum ein anderes Land auf (C) entscheidend darauf an, ob die drei großen Vetomächte der Welt von der ofenen, freien und sicheren Weltord- bereit sind, den Sicherheitsrat als das zentrale Forum zur nung. Es ist deshalb das überragende strategische Inte- internationalen Zusammenarbeit anzusehen und entspre- resse unseres Landes, diese Ordnung zu bewahren und chend zu revitalisieren. weiterzuentwickeln. Im Rahmen unserer diplomatischen Möglichkeiten Lassen Sie uns die Mitgliedschaft im Sicherheitsrat wollen wir darauf hinwirken, die bestehende Blockade dazu nutzen, die Arbeit der Vereinten Nationen und die zum Syrien-Konfikt zu überwinden. Mit unseren Erfah- regelbasierte internationale Ordnung nachhaltig zu stär- rungen aus dem Normandie-Format wollen wir auch die ken. Diskussion über einen möglichen Blauhelmeinsatz in der Ukraine voranbringen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Der Sicherheitsrat wird sich künftig aber noch früh- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- zeitiger mit Krisenprävention befassen müssen; der Au- ordneten der FDP) ßenminister hat dies angesprochen. Und es ist ein grund- legender Wandel festzustellen: Oftmals geht es nicht Vizepräsident Wolfgang Kubicki: mehr um die klassischen zwischenstaatlichen Auseinan- dersetzungen, sondern zunehmend um innerstaatliche Vielen Dank, Herr Kollege. – Als Nächster hat das Konfikte und Bürgerkriege. Deshalb setzen wir uns auch Wort der Kollege Bijan Djir-Sarai für die FDP-Fraktion. für die Stärkung des Konzepts der Schutzverantwortung, (Beifall bei der FDP) der Responsibility to Protect, und ihre völkerrechtlich le- gitimierte Implementierung ein. Bijan Djir-Sarai (FDP): Wenn ein Staat seine Bürger nicht schützt oder gar Krieg gegen seine eigene Bevölkerung führt, dann muss Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Si- der Sicherheitsrat handlungsfähig sein. Deshalb un- cherheitsrat der Vereinten Nationen ist die wichtig- terstützen wir mit aller Überzeugung die französische ste multilaterale Errungenschaft seit Ende des Zweiten Initiative, dass die ständigen Mitglieder in Fällen von Weltkrieges. Ziel des Gremiums ist es, die Grundlage für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschheit oder Frieden, Sicherheit und Stabilität weltweit zu sein. Be- Kriegsverbrechen grundsätzlich auf ihr Vetorecht ver- sonders in Hinblick auf die vielfältigen Konfikte, Krisen zichten sollen. und Kriege nimmt die Bedeutung des UN-Sicherheitsra- tes zu. Mit Deutschland, Belgien und Polen sind im nächsten (B) Jahr neben den beiden ständigen Mitgliedern Frankreich (Beifall bei der FDP) (D) und Großbritannien fünf Mitglieder – also ein Drittel Es ist daher zu begrüßen, dass die Bewerbung für ei- der Sicherheitsratsstaaten – aus Europa. Insbesonde- nen nichtständigen Sitz Deutschlands Erfolg hatte und re gemeinsam mit Frankreich wollen wir diese Chance man sich in den kommenden zwei Jahren aktiv in die- zur Koordinierung, Europäisierung und gemeinsamer sem wichtigen Gremium einbringen kann. In dieser Zeit Abstimmung nutzen. Volker Kauder hat gestern bereits muss sich Deutschland dafür einsetzen, dass die drin- darauf hingewiesen, wie wichtig es wäre, künftig im Si- gend notwendigen Reformen endlich umgesetzt werden. cherheitsrat mit einer europäischen Stimme zu handeln Denn wir erleben immer häufger, dass die Hauptaufga- und zu agieren. be des Gremiums, die Wahrung des Völkerrechts, nicht Wie keine andere multinationale Organisation tragen mehr erfüllt werden kann. Unzählige Resolutionen, bei- die Vereinten Nationen zur Wahrung des Völkerrechts, spielsweise für eine Feuerpause in Syrien, wurden von zur Normsetzung sowie zur Gestaltung der Globalisie- der Vetomacht Russland blockiert. Das ist nur eines von rung bei. Wir wollen ihre Efektivität und Legitimation vielen Beispielen, das den Reformbedarf des UN-Sicher- stärken. Sonst droht den Vereinten Nationen ein Verlust heitsrates deutlich herausstellt. an Relevanz. Seit 1945 hat sich der Rat kaum verändert. Er spiegelt Generalsekretär Guterres unternimmt dazu wichtige mit den fünf Vetomächten noch immer die Machtverhält- organisatorische und konzeptionelle Reformen. Dabei nisse zum Ende des Zweiten Weltkrieges wider. Das ent- wollen wir ihn unterstützen. spricht nicht mehr der heutigen Realität. Unser langfristiges Ziel bleibt ein ständiger Sitz der (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Ar- Europäischen Union. Dies könnte auch ein erster Schritt min-Paulus Hampel [AfD]) zu einer nachhaltigen Reform des Sicherheitsrats insge- samt sein. Ein ständiger Sitz der EU ist auch im Konzept Allein im Interesse der Realpolitik sollte die Zusam- von Kishore Mahbubani, einer Drei-mal-sieben-Lösung mensetzung des Sicherheitsrates an die geänderte Welt- mit sieben ständigen, sieben semiständigen und sieben politik angepasst werden. Handlungsfähigkeit und Legi- nichtständigen Mitgliedern, vorgesehen, ein Konzept, timation des UN-Sicherheitsrates können langfristig nur mit dem auch Schwellenländer und Entwicklungsländer gewährleistet werden, wenn dessen Zusammensetzung endlich fair im Sicherheitsrat repräsentiert wären. die Bedeutung einzelner Mitgliedsländer angemessen widerspiegelt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, internationa- le Zusammenarbeit ist für uns kein Nullsummenspiel. (Beifall bei der FDP) 4460 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

Bijan Djir-Sarai (A) Deutschland zum Beispiel ist mit 400 Millionen Bijan Djir-Sarai (FDP): (C) Euro im Jahr viertgrößter Beitragszahler der Vereinten So kann man die gesamte Debatte zusammenfassen. Nationen und engagiert sich auch weit darüber hinaus. Für UN-Missionen stellt Deutschland derzeit mehr als Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. 3 500 Soldatinnen und Soldaten sowie 130 Polizei- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) vollzugsbeamte zur Verfügung. Zudem engagiert sich Deutschland im Bereich der Entwicklungshilfe so stark

wie kaum ein anderes Land der Welt. Aufgrund dieses Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Engagements lässt es sich nicht mehr rechtfertigen, dass Herzlichen Dank, Herr Kollege Djir-Sarai. – Ich weise Deutschland keinen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat für die weiteren Redner noch einmal darauf hin, dass Re- hat. dezeitüberschreitungen uns wieder in die Abendstunden bringen. Ich bin gewillt, solche Überschreitungen nicht (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Michael mehr zuzulassen. Grosse-Brömer [CDU/CSU] und Armin-­ Paulus Hampel [AfD]) (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Aber nicht bei mir anfangen!) Außerdem ist ofen die Frage zu stellen, warum Deutschland bei den Führungspositionen der Vereinten – Frau Kollegin Hänsel, das kann möglicherweise auch Nationen derart schlecht vertreten ist. Sie erwischen. Sie haben jedenfalls als Nächste das Wort. (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Richtig!) Herzlichen Dank. Deutsche lassen sich in relevanten Führungspositionen (Beifall bei der LINKEN) der UNO vergeblich suchen. Heike Hänsel (DIE LINKE): (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle- der AfD) gen! Sehr geehrter Herr Maas, Sie haben sich echaufert, Die Zusammensetzung des Sicherheitsrates und die Be- hier werde das Land schlechtgeredet. setzung der Positionen innerhalb der Vereinten Nationen (Dr . Florian Toncar [FDP]: Wo ist denn Herr sollten die Bedeutung der einzelnen Mitgliedsländer an- Maas?) gemessen widerspiegeln. Daher ist zu begrüßen, dass die Bundesregierung zumindest an dieser Stelle plant, sich – Genau, wo ist denn Herr Maas? – Der Außenminister während ihrer Mitgliedschaft für einen dauerhaften Sitz, ist da. (B) für einen europäischen Sitz starkzumachen. Ob das etwas (D) mit der Realität zu tun hat, werden wir später bewerten Sie haben gesagt, das Land werde schlechtgeredet. Ich können. muss sagen: Wir reden generell kein Land schlecht, son- dern kritisieren schlechte Regierungspolitik. Daher ha- Bei den notwendigen Reformen müssen wir ebenfalls ben wir derzeit zur Bundesregierung viel zu sagen. die Interessen Afrikas im UN-Sicherheitsrat stärker be- (Beifall bei der LINKEN) rücksichtigen. Die Afrikanische Union hat dem gesamten afrikanischen Kontinent in den vergangenen Jahren mehr Deutschland wird ab 2019 für zwei Jahre nichtstän- Gewicht verliehen. Diese Entwicklung muss sich in Zu- diges Mitglied des UN-Sicherheitsrats sein. Es ist nicht kunft mehr als bisher im Sicherheitsrat zeigen. nur eine Provinzposse, was wir in den letzten Wochen von diesen Seehofers, Söders und wie sie alle heißen, Der Reformbedarf ist aber noch weitreichender. Es von dieser Laienschauspieltruppe erlebt haben, die nun darf nicht sein, dass Mitgliedstaaten wichtige Resolutio- Abschottung betreibt und einen Angrif auf das Asylrecht nen zur Bekämpfung von Kriegsverbrechen, Völkermord unternimmt. Das widerspricht auch völlig dem Inhalt des oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit blockieren. globalen Paktes für Migration, der von den Vereinten Na- Daher unterstützen wir Freidemokraten den Vorschlag tionen gerade mit der Bundesregierung verhandelt wird. des französischen Präsidenten Macron, dass die ständi- Da stelle ich mir schon die Frage: Nehmen Sie eigentlich gen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates in bestimmten Ihre eigene Arbeit bei den Vereinten Nationen ernst, oder Fällen auf ihr Vetorecht verzichten sollten. Der Antrag wollen Sie auf die Cowboys in Bayern weiter hören? der Regierungsfraktionen greift diese Forderung zumin- dest in Teilen auf, weshalb ihm grundsätzlich zuzustim- (Beifall bei der LINKEN) men ist. Es geht in dem Pakt um die Menschenrechte von Flücht- (Beifall bei der FDP) lingen und Migranten. Diese müssen in vollem Umfang respektiert werden. Die Vereinten Nationen haben uns Der UN-Sicherheitsrat braucht Veränderungen, eine kritisiert, wie wir derzeit mit den Flüchtlingsschifen im Mitgliederstruktur, die an die veränderte Weltpolitik an- Mittelmeer umgehen. Wenn wir Mitglied im UN-Sicher- gepasst ist, einen festen europäischen Sitz und kein Veto- heitsrat werden wollen, dann ist es das Minimum, dass recht in Bezug auf Kriegsverbrechen, Völkermord und bestimmte Standards eingehalten und verteidigt werden. Vergehen gegen die Menschlichkeit. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: 2017 – so sagt das Heidelberger Institut für Interna- Herr Kollege! tionale Konfiktforschung – gab es weltweit 20 Kriege Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4461

Heike Hänsel (A) und über 385 Konfikte, viele davon gewaltsam ausge- Gegenteil, bei den Vereinten Nationen für die weltweite (C) tragen. Fast 70 Millionen Menschen sind auf der Flucht Ächtung dieser Drohnen einsetzen. vor Krieg und Elend. In diesem Zusammenhang ist die entscheidende Herausforderung, dass wir dazu beitra- (Beifall bei der LINKEN) gen, dass Fluchtursachen beendet werden. Dazu gehört Das wäre eine überfällige Initiative; denn auch beim Ein- natürlich, dass wir Kriege beenden, dass Militäreinsätze satz von Drohnen erleben wir zahlreiche Völkerrechts- beendet werden, dass wir zur Abrüstung und zum Kampf brüche. gegen die weltweit grassierende soziale Ungleichheit beitragen. Es gibt auch andere sehr wichtige Initiativen bei den Vereinten Nationen. Da sieht man bei der Bundes- (Beifall bei der LINKEN) regierung auch nur Boykott und Blockade. Ich denke Da muss sich die Bundesregierung doch erst mal die zum Beispiel an den sogenannten Treaty-Prozess. Es eigene Außenpolitik anschauen. Was macht denn die geht um die Initiative des UN-Menschenrechtsrates, ein Bundesregierung zum Beispiel in Fragen des Völker- Unternehmensstrafrecht für multinationale Konzerne rechts? Wenn man jetzt Mitglied des UN-Sicherheitsrats einzuführen, um endlich Ausbeutung, Billiglöhne und werden will, ist es eigentlich entscheidend, dass man alle menschenunwürdige Arbeitsbedingungen weltweit be- Völkerrechtsbrüche, egal von wem sie begangen werden, kämpfen zu können. Das wäre übrigens der beste Beitrag verurteilt und dafür sorgt, dass keine weiteren passieren. zur Bekämpfung von Fluchtursachen. Aber Sie schauen nur auf Russland. Sie haben Russ- Aber was macht die Bundesregierung? Sie beteiligt land verurteilt, zu Recht: Es war ein Völkerrechtsbruch. sich nicht an dieser Initiative. Ich muss sagen: Das fnde Die EU-Sanktionen wurden sogar verlängert. Aber was ich schon skandalös. Genau so ein internationales Sys- ist mit all den anderen Ländern? Ihre NATO-Partner bre- tem ist überfällig, um die globalen Konzerne kontrollie- chen Völkerrecht. Das haben Sie bisher nicht mal ausge- ren zu können. sprochen. Zu den Angrifen auf Syrien durch die USA, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- zum Überfall auf Afrin durch die Türkei gibt es von Ih- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nen kein Wort. Solange Sie diese Doppelstandards nicht beenden, ist die Bundesregierung im UN-Sicherheitsrat Sie haben auch die sogenannten Nachhaltigkeitsziele völlig unglaubwürdig. verabschiedet. Alle Nationen haben das Dokument un- terschrieben. Auch hier stellt sich die Frage – es geht um (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- die Bekämpfung von Armut und sozialer Ungleichheit –: neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Was macht denn die Bundesregierung, was gibt es denn (B) Es gab in den letzten Jahren, vor allem im letzten Jahr, für Ideen, um weltweit soziale Ungleichheit zu bekämp- (D) wegweisende Initiativen für Abrüstung, zum Beispiel den fen, um weltweit auch diese ungerechten Handelsstruktu- Atomwafenverbotsvertrag; seine Unterzeichnung jährt ren zu überwinden? Wir haben vorgeschlagen: Knüpfen sich kommende Woche. Vor einem Jahr haben 122 Staa- Sie doch an den guten Ideen der Stiglitz-Kommission an, ten beschlossen, dass der Besitz, die Stationierung und die zum Beispiel vorgeschlagen hat, einen UN-Rat für der Einsatz von Kernwafen verboten sind. Diesen Ver- Wirtschaft einzurichten, damit wir endlich zu einem ge- trag muss endlich auch Deutschland unterzeichnen. rechten Welthandelssystem kommen, das anders aussieht als die jetzigen ausbeuterischen Handelsstrukturen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Danke. Beenden Sie hier Ihre Blockadehaltung. (Beifall bei der LINKEN) Statt die eigene Aufrüstung jetzt im Sinne der NATO Vizepräsident Wolfgang Kubicki: auf 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes hochzutrei- ben – Sie, Herr Maas, haben ja davon gesprochen, in- Herzlichen Dank, Frau Kollegin Hänsel. – Als Nächs- ternational müsse es Abrüstung geben; bei den Haus- tes spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der haltsberatungen nächste Woche werden wir ja erleben, Kollege Dr. Frithjof Schmidt. dass zusätzliche Milliarden für das Militär bereitgestellt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) werden – und sich dann auch noch militärisch gegen Russland aufzustellen, sollte die Bundesregierung eine Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Initiative für eine ständige Abrüstungskonferenz zu kon- NEN): ventionellen und nuklearen Wafen in Europa im Rah- men der OSZE ergreifen. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben eine dramatische Krise der multilateralen Welt- (Beifall bei der LINKEN) ordnung, die die letzten Jahrzehnte geprägt hat und im- Das wäre überfällig, und es würde an die Erfahrungen mer ein zentraler Bezugspunkt für deutsche Außenpolitik der Entspannungspolitik anknüpfen. Da hätte die Bun- war. Wenn es nicht nur „USA frst“ heißt, sondern auch desregierung sehr viel von dem einzubringen, was frühe- „Russland frst“ und „China frst“ und auch „Great Bri- re Regierungen alles erreicht haben. tain frst“, dann ändert das im internationalen System fast alles. Das erhöht einerseits die politische Bedeutung der Statt nun selbst auch noch bewafnungsfähige Droh- Vereinten Nationen als Ordnungsfaktor; es schwächt sie nen anzuschafen, sollte sich die Bundesregierung, im aber auch zugleich. Das ist eine widersprüchliche politi- 4462 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

Dr. Frithjof Schmidt (A) sche Lage, in der es von enormer Bedeutung ist, wenn die Union mit einer Initiative zur Stärkung von UNHCR und (C) Europäische Union ein Gegengewicht gegen den Zerfall OCHA vorangehen. des Multilateralismus bildet und alles tut, um die Verein- ten Nationen zu stärken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch hier kann Deutschland Impulsgeber sein. Wir er- Das muss ein zentrales Leitmotiv deutscher Außenpolitik warten von Ihnen auch, dass Sie da bewusst Impulse set- sein. zen. Vor diesem Hintergrund ist es eine gute Fügung, dass es Deutschland jetzt gelungen ist, erneut als nichtstän- Drittens. Für eine nachhaltige Hilfe ist der Übergang diges Mitglied in den Sicherheitsrat einzuziehen. Das von der humanitären Nothilfe zur dauerhaften Entwick- schaft gute Möglichkeiten. Wir begrüßen, dass die Bun- lungszusammenarbeit häufg von zentraler Bedeutung. desregierung diesen Sitz auch im Sinne eines europäi- Die Vereinten Nationen beginnen gerade mit der Reform schen Sitzes mitgestalten will. Aber jetzt müssen Sie in ihres Systems der Entwicklungspolitik. Die politische dieser Hinsicht auch politisch liefern. und materielle Unterstützung dieser Reform ist eben- falls eine Herausforderung für die gesamte gemeinsame (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) europäische Politik in den Vereinten Nationen. Es geht darum, die UNO als zentrale Instanz multilateral getra- Wir erwarten, dass Sie über eine solche Ankündigung hi- gener globaler Entwicklung zu erhalten, und das ist der naus konkret werden. entscheidende Unterbau für die Akzeptanz der Vereinten Es ist sicher wichtig und richtig, die Politik Schwe- Nationen auf längere Sicht in der internationalen Gesell- dens im Sicherheitsrat zur Ächtung von Kriegsgewalt schaft. gegen Frauen und zur Stärkung ihrer Rechte durch die Umsetzung der Resolution 1325 als europäische Initia- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tive fortzuführen – Herr Außenminister Maas, Sie haben sowie bei Abgeordneten der LINKEN) das angesprochen –, aber ich denke: An europäischer Ini- Deutschland leistet in dieser Hinsicht materiell be- tiative bedarf es in der jetzigen Lage weit mehr. reits viel, aber als Mitglied des Sicherheitsrats gibt es (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die Chance und, ich fnde, auch die Pficht, politisch hier noch viel mehr zu leisten und sich da besonders zu en- Ergreifen Sie eine umfassende europäische Initiative zur gagieren. Stärkung der Vereinten Nationen! Adressieren Sie den Kampf gegen eine politische Marginalisierung der Ver- (Beifall des Abg. Kai Gehring [BÜND- (B) (D) einten Nationen als zentrale Aufgabe gemeinsamer euro- NIS 90/DIE GRÜNEN]) päischer Außenpolitik! Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine wichtige Vo- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN raussetzung dafür ist, dass wir uns selbst an die Verpfich- sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE]) tungen halten, die wir auf UN-Ebene eingegangen sind. Ich will dafür drei mögliche Ansatzpunkte besonders Das Pariser Klimaschutzabkommen oder die Agenda mit hervorheben: den UN-Nachhaltigkeitszielen waren wegweisende Ab- kommen der Vereinten Nationen. Deutschland ist jetzt, Erstens. Der schon begonnene Teilrückzug der USA vorsichtig formuliert, zögerlich bei ihrer Umsetzung oder aus den Vereinten Nationen reißt aktuell riesige Lücken hat zum Klimaabkommen bereits erklärt, dass man es in den Haushalt. Die Zahl kriegerischer Konfikte nimmt nicht einhalten wird. Eine solche Politik schadet natür- weiter zu, aber schon jetzt müssen wichtige Blauhelm- lich den Vereinten Nationen und dem Multilateralismus. missionen zurückgefahren werden, da die Vereinten Na- tionen ihr Budget für Friedenseinsätze um 14 Prozent (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kürzen mussten. Der Bedarf steigt, und das Angebot sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE]) sinkt. Die Stärkung des Department of Peacekeeping Operations sollte gemeinsam europäisch vorangetrieben Sie spielt denjenigen in die Hände, die globale Ordnungs- werden, politik nur als Durchsetzung nationaler Machtinteressen verstehen. Wenn Deutschland als Mitglied im Sicher- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN heitsrat glaubwürdig sein soll, dann muss die Bundesre- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) gierung gerade auch in diesen Fragen ihre Politik ändern. und das sollten Sie als Initiative in der Europäischen Uni- Danke für die Aufmerksamkeit. on auch auf den Weg bringen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zweitens. Die Zahl der Flüchtlinge weltweit – wir wissen es alle – ist auf eine neue Rekordhöhe von über 68 Millionen gestiegen. Die Mittel für die Flüchtlingshil- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: fe brechen aber weiter ein. Ein Drittel des Gesamtbedarfs Herzlichen Dank, Herr Kollege Dr. Schmidt. – Als ist aktuell nicht gedeckt. Viele Zusagen werden dann Nächster hat der Kollege Christoph Matschie für die auch noch nicht mal realisiert, und oft sind die Mittel für SPD-Fraktion das Wort. die konkrete Versorgung von Flüchtlingslagern nicht ein- mal zur Hälfte gesichert. Auch hier sollte die Europäische (Beifall des Abg. Dr. Nils Schmid [SPD]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4463

(A) Christoph Matschie (SPD): Wäre denn die Regel, dass der Starke sich das Recht (C) Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! nimmt, das er sich nehmen kann, dass der Starke sich Werte Zuschauer! Wir diskutieren die Mitgliedschaft durchsetzt, wirklich eine Alternative zu einer gemein- Deutschlands im Sicherheitsrat in einer Zeit, in der es samen Ordnung? Ich mag mir das nicht vorstellen, und gravierende Umbrüche in der internationalen Ordnung wenn man in die Geschichte schaut, weiß man, dass das gibt, in einer Zeit, in der viele die Gretchenfrage stellen: nicht gutgeht. Das kann und darf keine Alternative in der Wie hältst du’s mit dem Multilateralismus, wie hältst du’s internationalen Ordnung sein. Die Alternative für uns mit der internationalen Ordnung? Wir haben auch gestern muss sein: internationale Zusammenarbeit, europäische in der Europa-Debatte darüber diskutiert. Deshalb ist es, Zusammenarbeit, Konfikte frühzeitig entschärfen und glaube ich, ganz angemessen, noch mal die historische Perspektive einzunehmen und der Frage, was die Ver- dafür sorgen, dass sich alle an die Regeln halten. einten Nationen eigentlich bringen und was der Sicher- heitsrat eigentlich kann, die Perspektive entgegenzustel- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten len, woher diese Institution kommt: Sie war die Lehre der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ aus einer bitteren Geschichte, sie war die Lehre aus zwei DIE GRÜNEN) verheerenden Weltkriegen, sie war die Lehre aus dem Holocaust. Die Vereinten Nationen bieten die Möglich- Bei der Frage, wie wir wichtige globale Probleme lö- keit, als Weltgemeinschaft zu versuchen – der Versuch, sen können, stoßen wir doch sofort an eine Grenze. Wie das stimmt, ist nicht immer gelungen –, Konfikte zu ent- sollen wir denn ein Problem wie den Klimawandel be- schärfen und Zusammenleben zu ermöglichen. wältigen, wenn jedes Land zuallererst nach seinen Inte- ressen handelt, Neben diesem institutionellen Rahmen hat sich die Weltgemeinschaft auch ein Wertefundament gegeben: (Beifall der Abg. Dr. Kirsten Kap- Drei Jahre nach der Gründung der Vereinten Nationen, im Dezember 1948, wurde die Allgemeine Erklärung der pert-Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Menschenrechte verabschiedet. Vielleicht muss man in NEN]) den Debatten heute ab und zu mal an den Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte erinnern – wenn jedes Land zuerst auf die nächste Wahl schaut? Es ich will ihn mal zitieren –: ist dann schlicht unmöglich, ein solches Problem zu lö- sen; denn die Lösung der großen Fragen erfordert, dass Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und man das Eigeninteresse ein Stück weit zurückstellt, das Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewis- gemeinsame Interesse in den Vordergrund stellt und ge- sen begabt und sollen einander im Geiste der Brü- (B) meinsame Lösungen anstrebt, die nur möglich sind, wenn (D) derlichkeit begegnen. jeder einen Schritt zurück tritt, wenn jeder ein Stück von Das ist der Anspruch, den wir uns als Weltgemeinschaft seinem Interesse abgibt, damit das gemeinsame Interesse selbst gesetzt haben. verfolgt werden kann. Ich fnde, in dieser Situation, in der sich wichtige Herr Kollege Schmidt, das, was Sie eben erwähnt ha- Staaten aus der internationalen Ordnung zurückziehen, in der wichtige Staaten versuchen, das Eigeninteresse in ben, ist nicht richtig: Deutschland hat nicht zugegeben, den Vordergrund zu stellen, muss man an diese Lehren die Ziele von Paris nicht einzuhalten. Richtig ist: Wir aus der Geschichte erinnern. Es waren ja eigentlich zwei haben selbstgesteckte Ziele, die wir jetzt noch nicht ein- amerikanische Präsidenten, die am Beginn der Vereinten halten, weshalb der Zeitplan verlängert wird. Das ist ein Nationen standen und die entsprechende Initiative voran- wichtiger Unterschied. Die Bundesrepublik steht zu den getrieben haben, nämlich erst Wilson und dann, in der Klimaschutzzielen von Paris. Die Bundesregierung wird Umsetzung, Truman. alles unternehmen, diese Ziele in den kommenden Jahren Ich glaube, an dieser Stelle muss man auch darauf hin- zu erreichen. weisen, dass auch die Europäische Union zu den Leh- ren aus unserer Geschichte gehört. Ich fnde es fahrläs- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Martin sig, wenn sich inzwischen auch in der Bundesrepublik Patzelt [CDU/CSU]) Deutschland Politiker mit Aussprüchen wie „Der Multi- lateralismus ist am Ende“ zitieren lassen. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Dr. Marie-Ag- nes Strack-Zimmermann [FDP] und Stefan Christoph Matschie (SPD): Liebich [DIE LINKE]) Zum Schluss, Herr Präsident: Ich glaube, wir stehen Nein, der Multilateralismus ist nicht am Ende. an einem Scheideweg. Wir müssen uns entscheiden, ob Es ist ja richtig: Weder die Vereinten Nationen noch wir Teil der Lösung sein wollen, nämlich Teil der Staa- die Europäische Union sind perfekt. Aber die Frage muss ten, die sich für eine internationale Ordnung, für gemein- doch gestattet sein: Was wäre denn die Alternative dazu? same Regeln einsetzen, oder – – 4464 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Einen Punkt müssen Sie aber berücksichtigen, wenn Sie (C) Herr Kollege, ich habe Ihnen gerade das Wort entzo- auf den „Müllhaufen“ rekurrieren: Der polnische Au- gen. Ich verweise auf § 35 Absatz 3 der Geschäftsord- ßenminister Skubiszewski hat 1993 bei der Generalver- nung. Ihre Rede ist zu Ende. sammlung der Vereinten Nationen auf Deutsch gesagt, dass die Klausel „auf den Müllhaufen der Geschichte“ (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der gehört. Die Generalversammlung hat mit der Resolution, AfD sowie des Abg. Michael Brand [Fulda] die im Jahr 1995 genau diesen Punkt betraf, reagiert. [CDU/CSU]) Ich bin einig mit allen, die sagen: Bei der nächsten Als Nächstes erteile ich dem Kollegen Christian Flurbereinigung der Charta der Vereinten Nationen muss Schmidt von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. die Klausel weg, und die Charta muss ebenso wie die Zu- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – sammensetzung des Sicherheitsrates angepasst werden. Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Das war nur Es muss zudem angepasst werden, dass sowohl beim Si- ein Halbsatz! Der Präsident darf die Sitzung cherheitsrat als auch bei den Strukturen wie dem Men- leiten, aber das war erkennbar nur noch ein schrechtsrat das Prinzip der Menschenrechte nicht nur Halbsatz!) hochgehalten wird, sondern sich diejenigen, die in den Strukturen vertreten sind, daran orientieren. – Frau Kollegin Hendricks, Sie wissen, dass die Ent- scheidungen des Präsidenten der Erörterung entzogen Ich bin zwar nicht erfreut, kann aber nachvollziehen, sind. Aber ich weise darauf hin, dass § 35 Absatz 3 der warum sich die Vereinigten Staaten aus diesen Gremien Geschäftsordnung folgenden Wortlaut hat: Überschrei- zurückziehen. Ich lade sie ein, wieder dabei zu sein, um tet ein Redner die ihm zugebilligte Redezeit, so soll der etwas zu verändern; es muss verändert werden. Es kann Präsident nach einmaliger Mahnung ihm das Wort ent- nicht sein, dass Israel der einzige Fokus der Menschen- ziehen. – Ich verstehe das „soll“ als „ist“. Das habe ich rechtspolitik der Vereinten Nationen bleibt. vorhin angekündigt, und dabei wird es bleiben. Ich bin sehr dafür, dass wir die Wege für Veränderun- (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Aber es war gen suchen und der Verantwortung, die wir haben, ge- klar, dass da nur ein Halbsatz folgt! – Heike recht werden. Zu den aktuellen Krisen werden weitere Hänsel [DIE LINKE]: Das war mehr als ein hinzukommen, die wir in kein Programm reinschreiben Halbsatz! – Stefan Liebich [DIE LINKE]: können. Schön wäre: „neue Krisen – Fehlanzeige!“, aber Was das jetzt wieder an Zeit kostet! – Stefan leider lehren uns die Geschichte und Erfahrung etwas an- Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Konsequenz deres. ist schon gut!) (B) Wir müssen uns über die wichtigen Punkte der Ver- (D) Herr Kollege Schmidt, Sie haben das Wort. änderung klar werden. Dazu gehört auch, dass wir die Umsetzung der nachhaltigen Entwicklungsziele ernst Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU): nehmen, die wir uns erst vor einigen Jahren gegeben ha- ben und die Antworten auf viele Fragen geben, die auch Herr Präsident, herzlichen Dank. – Ich bemühe mich, von Ihnen, Herr Kollege Schmidt, angesprochen wurden. § 35 Absatz 3 der Geschäftsordnung nicht in Anspruch Als Beispiel nenne ich die Bekämpfung des Hungers in zu nehmen. der Welt: Kein Hunger in der Welt – das heißt, Entwick- lungspolitik in einer ganz verantwortungsvollen Weise Vizepräsident Wolfgang Kubicki: fortzusetzen und weiterzuentwickeln. Sie nicht, aber ich. Wir müssen und wollen allerdings die Funktion der Vereinten Nationen als Schutzinstitution verstärken und Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU): die Diskussion über die Frage: „Wie können wir auf Kri- Multilateralismus in dem Sinne, dass sich die Staaten sen reagieren?“, verstärkt führen. Leider hat auch die dieser Welt in ein gemeinsames Regelwerk, ein gemein- Reform des Kapitel VII der Charta der Vereinten Nati- sames Ordnungswerk begeben, ist hochaktuell. Unser onen – es betrift die Möglichkeit, bei Krisen Konfikte Land ist nur zu beglückwünschen, dass es im Sicher- einzudämmen, durch einen Beschluss des Sicherheitsra- heitsrat der Vereinten Nationen nun wieder für zwei Jah- tes auch gewaltsam einzudämmen – nicht zu genügend re eine Rolle spielt als – Herr Minister, Sie haben das ge- Flexibilität geführt, insbesondere im Hinblick auf die sagt – hochgeachtetes Mitglied mit nahezu einstimmiger Ausstattung der Vereinten Nationen: Peacekeeping, Frie- Berufung. Das ist auch die politisch richtige und gegen- denserhaltung, muss besser ausgestattet werden. Ich bin wärtige Antwort auf das, Herr Kollege Hampel, was Sie nach wie vor ein Anhänger der Ideen, die wir zuzeiten angesprochen haben. Der Gedanke gründet sich, wie so von Boutros-Ghali entwickelt hatten, dass auch die Ver- vieles aus Deutschland, auf kantianische Politik, die zum einten Nationen eine eigenständige militärische Kom- ewigen Frieden führen soll. Weil noch gewisse Defzite ponente brauchen. Wir werden bereit sein, uns auch zu- bestehen, sind wir noch nicht angelangt. künftig bei solchen Themen zu beteiligen. Wir sind auch Zum Thema Feindstaatenklausel: Sie ist in der Tat – sehr für Verrechtlichung. Ich glaube, Multilateralismus auch rechtlich – obsolet. hat dann einen Sinn, wenn er auf der Basis des Rechts und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Das war auch stattfndet und wenn er die Nürnberger Statuten, die wir mal Ihr Thema!) in unserem Lande entwickelt haben und die auf die Nürn- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4465

Christian Schmidt (Fürth) (A) berger Gerichtsprozesse von 1945 bis 1948 zurückgehen, Im Haushalt 2016 konnte sie ja noch nicht drinste- (C) berücksichtigt und wir diesen im Rahmen des IStGH hen, im Haushalt 2017 hätte man sie vielleicht schon Kontinuität verleihen und zur allgemeinen Durchsetzung mal ansatzweise hineinschreiben können. Für den Haus- verhelfen. halt 2018 gab es Anträge der Opposition, die die Mög- lichkeit geboten hätten, das in einem Handstreich zu Ich wünsche der Bundesregierung viel Erfolg bei erledigen; es wäre um eine Umschichtung innerhalb der ihrer verantwortungsvollen Arbeit für die Welt und für Töpfe gegangen. Ich bin jetzt mal gespannt, ob Sie es Deutschland. im Haushalt 2019, der jetzt im September beraten wird, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- festschreiben. ordneten der SPD und der FDP) (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Die Mittel sind in den letzten Jahren verzehnfacht Vizepräsident Wolfgang Kubicki: worden!) Vielen Dank, Herr Kollege Schmidt. – Als nächster – Ja, die Mittel gesamt; aber die Verpfichtung, Herr Kol- Redner hat das Wort Ulrich Lechte für die FDP-Fraktion. lege, lautete, dass wir die freien Mittel zum Beispiel für den UNHCR anheben. Dieser Ansatz ist seit Urzeiten bei (Beifall bei der FDP) 12 Millionen Euro festgefahren. (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Ver- Ulrich Lechte (FDP): zehnfacht die Mittel für humanitäre Hilfe!) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste! Die Vereinten Nationen sind in Wir haben in unserem Antrag 80 Millionen Euro gefor- einer Krise, in einer Krise, die aus unserer Sicht aber be- dert. Sie kennen den Unterschied zwischen den freien wältigbar ist. In dieser schwierigen Zeit schaut die Welt Beiträgen und denen, die gedeckelt sind. zu Recht auf Deutschland, aber nicht nur als viertgrößten (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Trotz- Beitragszahler der UNO. Deutschland muss als engagier- dem, zur Wahrheit sollte man es erwähnen!) ter Verteidiger des Multilateralismus und der liberalen Weltordnung voranschreiten, als Fackelträger für Frei- – Ja, das ist egal. Wenn Sie die Selbstverpfichtung einge- heit und Menschenrechte weltweit. Nicht ohne Grund hat hen – der Anteil liegt derzeit bei 2,5 Prozent –, dann müs- Barack Obama unserer Kanzlerin, die heute nicht da ist, sen Sie diese auch einhalten. Nach dem Protokoll von die Führung der freien Welt angetragen. Istanbul soll der Anteil bei 30 Prozent liegen. Um das zu erreichen, macht die Bundesregierung mit ihren beiden Aber kann diese Bundesregierung – auch Sie, Herr Fraktionen, also CDU/CSU und SPD, derzeit nichts. (B) (D) Bundesaußenminister – solche Erwartungen erfüllen? Na (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Rede- ja, im vorliegenden Antrag der Koalition stehen ja viele zeit!) gute Sachen: Stärkung der humanitären Hilfe, Schutz von Menschenrechtsverteidigern, Unterstützung von Frie- Ich bin über der Zeit. Deswegen gehe ich jetzt raus densmissionen, Stärkung der Responsibility to Protect und wünsche Ihnen viel Spaß. und Erhöhung der freiwilligen Beiträge. Die Botschaft höre ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. Denn alle Ihre (Beifall bei der FDP) Worte stehen unter dem gerade der FDP so wohlbekann- ten Vorbehalt – in Anführungszeichen – „im Rahmen der Vizepräsident Wolfgang Kubicki: zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel“. Da kann ich Herzlichen Dank, Herr Kollege Lechte. Ich bin be- bisher nicht erkennen, dass Sie Ihren Worten auch Taten geistert, dass Sie die Bitte des Präsidenten, die dort elek- folgen lassen. tronisch aufeuchtet, beachten – im Gegensatz zu vielen anderen Rednern. Sie wollen die humanitäre Hilfe stärken und bekennen sich zu den Zielen des „Grand Bargain“. Bezeichnender- Als Nächstes erhält für die CDU/CSU-Fraktion der weise sprechen Sie im Antrag von den Vorschlägen des Kollege Volkmar Klein das Wort. „Grand Bargain“. (Beifall bei der CDU/CSU) (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Das haben Sie nicht verstanden!) Volkmar Klein (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Um Sie aufzuklären, wovon ich gerade rede: Das sind Herren! Wir haben jetzt schon in einigen durchaus ein- keine Vorschläge, sondern Selbstverpfichtungen, drucksvollen Beiträgen gehört, dass wir, die Bundesrepu- (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: So blik Deutschland, als Mitglied im Sicherheitsrat einiges sieht es aus!) für eine dauerhaft friedliche, stabile und gerechte Ord- nung in der Welt beizutragen haben. Diejenigen, die das die Deutschland beim humanitären Weltgipfel 2016 hier in vielen Details dargestellt haben, haben Recht. in Istanbul eingegangen ist. Von einer Erfüllung dieser Selbstverpfichtung sind wir aber sehr weit entfernt. Ich möchte das aber auch auf die einzelnen Menschen runterbrechen; denn am Ende geht es uns doch nicht um (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Michael abstrakte Politik, sondern um Menschen. Es geht darum, Brand [Fulda] [CDU/CSU]) Menschen Perspektiven zu sichern oder – das ist leider an 4466 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

Volkmar Klein (A) vielen Stellen notwendig – Perspektiven in den Ländern, Ich wünsche der Bundesregierung sehr viel Erfolg bei (C) in denen sie leben, zu schafen. Das ist doppelt wichtig. der würdigen Vertretung deutscher Interessen, auch im Sicherheitsrat. Das ist einerseits wichtig, weil es uns ein ethisches Anliegen ist, uns um Menschen zu kümmern; das ist ein Danke sehr. Gebot der Nächstenliebe. Aber andererseits ist das auch (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- in unserem eigenen Interesse; denn wenn Menschen kei- ordneten der SPD) ne Perspektiven haben, wenn Menschen in Armut leben, dann werden auch wir hier in Deutschland nicht auf Dau- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: er in Frieden, Freiheit und Wohlstand leben können. Des- wegen ist uns das ein Anliegen. Herzlichen Dank, Herr Kollege Klein. – Als letztem Redner erteile ich dem Kollegen Peter Beyer von der (Beifall bei der CDU/CSU) CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Es ist ja durchaus nicht so, dass wir das nicht auch mit ordneten der FDP) Geld unterfüttern, wie Herr Kollege Lechte es gerade ge- sagt hat. Wir zahlen inzwischen allein an das World Food Programme, das Welternährungsprogramm der Vereinten Peter Beyer (CDU/CSU): Nationen, rund 1 Milliarde Dollar – 820 Millionen Euro Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- aus unserem Haushalt – von den ihm insgesamt zur Ver- ren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Deutschland ist fügung stehenden 8 Milliarden Dollar. Das ist ein sehr, als nichtständiges Mitglied in den UN-Sicherheitsrat ge- sehr wichtiger Beitrag für diese sehr, sehr wichtige Or- wählt worden. Die Arbeit nehmen wir dort Anfang nächs- ganisation, ten Jahres auf. Was erwartet uns und unseren Permanent Representative, unseren ständigen Vertreter Christoph (Ulrich Lechte [FDP]: Das bestreitet nie- Heusgen, dort, und was können die übrigen Mitglieder mand!) von uns erwarten? Zunächst einmal ist eine Wahrheit, dass wir es mit einem veränderten Sicherheitsrat zu tun die Menschen in Krisengebieten hilft. Zu über 80 Prozent haben, verändert gegenüber der Zeit, als wir dort vor ein leben die Menschen, um die sich das World Food Pro- paar Jahren schon einmal Mitglied sein durften. gramme kümmert, in War Zones. Wir werden Mitglied in einer Zeit, in der sich die po- Wir helfen, Perspektive zu geben. Wir haben sehr viel litische Großwetterlage dramatisch verändert hat. Wir werden Mitglied in einer Zeit, in der der Ansatz „Ameri- (B) anzubieten und tun das auch. Aber neben dem Geld sind (D) Sicherheit und Entwicklung wichtig. Mir ist das gerade ca frst“ auch voll auf die Arbeit im Sicherheitsrat durch- vorgestern in umfangreichen Gesprächen mit Vertretern schlägt und der Sicherheitsrat zuweilen handlungsun- der G-5-Sahel-Gruppe deutlich geworden. Gerade dort fähig ist. Die Blockade durch Russland und China, die wird exemplarisch klar, dass Sicherheit und Entwicklung Vetomächte, in Bezug auf das Thema Syrien ist schon aufeinander bezogen und sich wechselseitig bedingend angesprochen worden. Und wir werden Mitglied in ei- sind. ner Zeit, in der der Sicherheitsrat europäischer werden wird. Ein Drittel des Sicherheitsrats, nämlich fünf Mit- Ohne Sicherheit – da sind diese Länder in der Sahel- glieder, werden Mitgliedstaaten der Europäischen Union zone, aber auch in Subsahara-Afrika ein gutes Beispiel – sein. Das ist eine Chance für uns, in enger Zusammen- wird es keine vernünftige Entwicklung geben, werden arbeit mit den anderen europäischen Staaten Einfuss zu keine Jobs und Arbeitsplätze entstehen, die die Men- nehmen. Ob das gelingt und erfolgreich sein wird, hängt schen aber brauchen, um dort eine Perspektive zu haben. ganz entscheidend davon ab, wie geschlossen sich die eu- Wenn es uns nicht gelingt, den Menschen Perspektiven ropäischen Mitgliedstaaten und Sicherheitsratsmitglieder zu geben, dann wird es umgekehrt auch keine Sicherheit dort verhalten. geben, weil dann nämlich die Anfälligkeit der Menschen, Voraussichtlich im April des nächsten Jahres werden die ihren Lebensunterhalt verdienen müssen, für gut be- wir dann von Frankreich auch den Vorsitz im UN-Sicher- zahlende Terrorgruppen viel zu groß ist. heitsrat übernehmen. Deswegen ist es klug, sich schon jetzt, also sehr frühzeitig, sehr eng, gerade auch mit Wir müssen uns um Sicherheit und Entwicklung küm- Frankreich, abzustimmen. mern. Deutschland hat für beides – das ist gerade bei die- sen Gesprächen mit den Vertretern der G-5-Sahel-Gruppe Diese insgesamt günstige Zusammensetzung des noch einmal deutlich geworden – ganz viel anzubieten. Sicherheitsrats sollten wir idealerweise auch dazu ver- Gut, dass wir nicht nur etwas anzubieten haben, sondern wenden, bei unseren Debatten, die wir hier auf bun- auch bereit sind, diese Verantwortung zu übernehmen – desrepublikanischer Ebene führen – gerade bei den au- nicht nur jetzt im Sicherheitsrat, sondern auch in vielen ßenpolitischen Debatten und Entscheidungen –, immer praktischen Dingen, bei denen es darum geht, Sicherheit automatisch auch die UN-Brille aufzusetzen und uns und Entwicklung zu verwirklichen. Das ist, um es ab- unter dem Blickwinkel der Mitwirkungsmöglichkeiten schließend noch einmal zu sagen, nicht nur ein ethisches im UN-Sicherheitsrat die Frage zu stellen: Können wir Gebot, sondern das ist auch in unserem ganz eigenen unsere Sicherheitsratsmitgliedschaft quasi auch als zu- deutschen Interesse. Das ist auch gut so. Daran sollten sätzliches Register für unsere außenpolitische Arbeit nut- wir arbeiten. zen? Das macht auch deshalb Sinn, weil viele UN-Mit- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4467

Peter Beyer (A) gliedstaaten sich von den USA als Orientierungsgröße zivile UN-Initiativen stärken, Abrüstung für Sicherheit (C) abwenden. Deutschland sollte sich dafür einsetzen, dass und Armutsbekämpfung vorantreiben“. Wer stimmt für die EU-Mitgliedstaaten im Sicherheitsrat diese Lücke als diesen Antrag? – verantwortliche und gestaltende Kraft füllen. (Zurufe von der SPD: Michael!) Stichwort „USA“. Meine Damen und Herren, wir ha- ben ein großes Interesse an der Zusammenarbeit mit den – Ich darf die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/ Vereinigten Staaten von Amerika, auch und gerade im Si- CSU-Fraktion darauf hinweisen, dass man nur einmal cherheitsrat, und zwar auf der Grundlage dessen, wofür abstimmen darf. Amerika in der Vergangenheit immer gestanden hat: für Rechtsstaatlichkeit, für den Einsatz für Menschenrechte, (Heiterkeit) für Demokratie, für Presse- und Meinungsfreiheit, um nur einige Punkte zu nennen. Ich frage noch einmal: Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Bei Ent- Meine Damen und Herren, ein Schwerpunkt des deut- haltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die schen Engagements wird die Verhütung von Konfikten Stimmen der Fraktion Die Linke mit den Stimmen der sein. Indikatoren für sich entwickelnde Krisen sollten übrigen Fraktionen dieses Hauses ist der Antrag abge- frühzeitig erkannt werden und dann auf die Tagesord- lehnt. nung beim Sicherheitsrat gesetzt werden, bevor Schaden und Leid entstehen. Da hat die internationale Gemein- Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 19 c. Abstim- schaft in der Vergangenheit, beispielsweise in Myanmar, mung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- versagt. Damit wurde der Sicherheitsrat viel zu spät be- nen auf Drucksache 19/2975 mit dem Titel „Nichtstän- fasst. digen Sitz im Sicherheitsrat nutzen, Vereinte Nationen stärken“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt Meine Damen und Herren, als Bilanz kann man kurz- dagegen? – Wer enthält sich? – Ich stelle fest, dass ge- um sagen: Die zwei Jahre unseres Engagements im Si- gen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen cherheitsrat der UN sollten wir dazu nutzen, um erstens mit den Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses der Konfikte einer Lösung näherzubringen, um zweitens Antrag abgelehnt ist. menschliches Leid mindern zu helfen und um drittens das Regelwerk, das das Fundament der Vereinten Natio- Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 22 auf: nen ist, zu verteidigen und idealerweise auch zu stärken. Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Kühn (Tübingen), Canan Bayram, Daniela (B) (D) Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. Wagner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Peter Beyer (CDU/CSU): Mietrecht jetzt wirksam reformieren – Bezahl- Dies ist unsere feste Überzeugung, und dies schulden bares Wohnen sichern wir unserer Geschichte. Drucksache 19/2976 Ich danke Ihnen. Überweisungsvorschlag: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) ordneten der FDP) Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommu- nen

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Herzlichen Dank. – Damit schließe ich die Ausspra- die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre hierzu che. keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Wir kommen zu den Abstimmungen. Bevor ich die Aussprache eröfne, bitte ich die Kol- Zunächst Tagesordnungspunkt 19 a. Wir kommen zur leginnen und Kollegen die netten Gespräche beim Wie- Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/ dersehen einzustellen und schnellstmöglich für Ruhe und CSU und SPD auf Drucksache 19/2982 mit dem Titel Ordnung in diesem Hause zu sorgen. „Deutschlands Mitgliedschaft im Sicherheitsrat der Ver- einten Nationen – Für eine dauerhaft friedliche, stabile Ich eröfne die Aussprache und erteile zunächst für und gerechte Ordnung in der Welt“. Wer stimmt für die- die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Kollegin Canan sen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Bayram das Wort. Ich stelle fest, dass dieser Antrag mit den Stimmen von (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen von Lin- ken und Grünen bei Enthaltung der AfD angenommen ist. Canan Bayram (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 19 b. Abstim- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und mung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Druck- Kollegen! Wie weit sollen die Mieten eigentlich noch sache 19/2980 mit dem Titel „Völkerrecht durchsetzen, steigen? Wie viele Menschen sollen noch in die Woh- 4468 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

Canan Bayram (A) nungslosigkeit geraten? Was muss eigentlich noch pas- serer Seite zumindest an der Seite der Mieterinnen und (C) sieren, damit die Koalition endlich etwas unternimmt, Mieter in Deutschland. um die Mieterinnen zu schützen? (Ulli Nissen [SPD]: Wir ja!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Danke schön. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Längst sind viele Häuser zur Ware geworden, und und bei der LINKEN) Menschen verlieren ihr Zuhause. Dagegen müssen wir etwas tun. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Liebe Kollegin Canan Bayram, herzlichen Dank für sowie bei Abgeordneten der LINKEN) diesen Beitrag. – Als Nächsten rufe ich auf den Kollegen Dr. Jan-Marco Luczak für die CDU/CSU-Fraktion. Mit unserem Antrag stellen wir konkrete Maßnahmen (Beifall bei der CDU/CSU) vor, wie wir die Mieterinnen schützen können.

Inzwischen frisst die Miete bei vielen Menschen in Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): den Städten die Hälfte oder sogar noch mehr vom Ein- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und kommen auf. Viele sind von Verdrängung bedroht, und Herren! Sehr geehrte Frau Kollegin Bayram, Sie können die Zahl der Wohnungslosen hat in einem reichen Land sicher sein: Als Union und als Koalition sind wir selbst- wie der Bundesrepublik inzwischen fast die Millionen- verständlich an der Seite der Mieterinnen und Mieter. grenze erreicht. Auch bei Gewerberäumen verhält es (Ulli Nissen [SPD]: Herr Luczak, bei Ihnen sich so: Kleine Händler und soziale Einrichtungen fn- bin ich mir nicht so sicher!) den keine bezahlbaren Räume mehr, egal ob Kitas, be- treutes Wohnen oder Künstlerateliers. Fast-Food-Ketten – Da können Sie sich sicher sein, Frau Kollegin. verdrängen kleinere Obst- und Gemüseläden. Entweder fiegen sie raus, weil sie die Mieten nicht mehr bezahlen (Ulli Nissen [SPD]: Da bin ich gespannt!) können, oder sie fnden erst überhaupt keine bezahlbaren Was ich bzw. wir immer betonen – das haben wir auch Gewerbefächen mehr. Die Spekulation mit Immobilien in der letzten Debatte zum Mietrecht gesagt –, ist, dass verdrängt in den Städten Familien, kleinere Händler und es nicht geht, dass wir den Menschen, insbesondere den auch Künstler. Dagegen müssen wir handeln. Jetzt! Mieterinnen und Mietern in unserem Land Sand in die (B) Augen streuen, indem wir ihnen sagen: Es gibt für die (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) steigenden Mieten eine ganz einfache Lösung. Wir ma- chen einen Deckel drauf, und dann ist alles gut. – So ist Die Mieten müssen runter. Ein Wochenlohn muss für die es nicht. Wohnraummiete reichen. (Ulli Nissen [SPD]: Das haben wir in Frank- Wir müssen auch an den Kündigungsschutz ran. Im furt erfolgreich gemacht! – Gegenruf des Abg. Moment ist die Gefahr, tatsächlich geräumt zu werden, Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Hören sehr hoch. Immer mehr Menschen verlieren so ihre Woh- Sie doch einmal zu! Meine Güte!) nungen. Deswegen wollen wir auch den Kündigungs- schutz stärken. Wir dürfen deshalb hier nicht mit der Forderung nach bestimmten Maßnahmen und Instrumenten Erwartungen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wecken, die wir letztlich nicht erfüllen können. und bei der LINKEN) Wir nehmen als Union und auch als Koalition den Schutz von Mieterinnen und Mietern sehr ernst. Wenn Gerade weil immer mehr Aktiengesellschaften und große Sie sich unseren Koalitionsvertrag anschauen, stellen Sie Konzerne Immobilien verwalten und durch standardi- fest, dass wir darin sehr viele sehr gute und sehr ausge- sierte, automatisierte Verfahren Mieterinnenrechte unter- wogene Maßnahmen vorgestellt haben, die wir in dieser graben, brauchen wir im Sinne des Verbraucherschutzes Legislaturperiode ergreifen wollen. Wir sind uns im Ziel mehr Mieterschutz und in diesem Bereich rechtlich die völlig einig: Wir wollen nicht, dass Menschen aus ihren Möglichkeit der Gruppenklage. Wohnungen herausmodernisiert werden, dass sie sich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ihre Miete nicht mehr leisten können. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Ulli Nissen [SPD]: Dann müssen wir das auch machen!) Denn andernfalls bleiben die Mieterinnen und Mieter großen Konzernen ausgesetzt. Selbst die Mieterinnen- Wir wollen aber den richtigen Weg gehen und nicht den vereine schafen es nicht, den Bedarf zu decken. einfachen Weg. Der richtige Weg, meine Damen und Herren, ist nun einmal – daran gibt es auch nichts herum- Deswegen, meine Damen und Herren, freue ich mich zudeuteln –: Wir müssen uns mit den Ursachen von stei- auf die Beratung in den Ausschüssen zu dem Thema genden Mieten beschäftigen. Eine Ursache für steigende „Mieterinnenrechte stärken beim Wohnen und im Ge- Mieten ist, dass wir zu wenige Wohnungen in unserem werbe“. Ich hofe, Sie sind da wenn schon nicht an un- Land haben. Das ist ganz eindeutig. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4469

Dr. Jan-Marco Luczak (A) Ich möchte ein Beispiel anführen, das ich hier im Ple- Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): (C) num schon einmal vorgetragen habe. Dieses Beispiel Frau Bayram hat gerade geredet. Wir müssen das hier veranschaulicht, dass wir die Mietpreisbremse noch so ja nicht verlängern nach dem langen Abend, den wir ges- sehr verschärfen können – wir lesen jetzt ja auch wie- tern alle miteinander hatten. der im Antrag der Grünen, dass sie fordern, die zulässige Miethöhe bei Neuvermietung von 10 auf 5 Prozent über (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der ortsüblichen Vergleichsmiete zu reduzieren und die sowie von der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Ausnahmen, die es bei der Mietpreisbremse berechtigter- Der zweite Punkt neben dem Baukindergeld ist die weise gibt, abzuschafen –, aber all das nichts nutzt, wenn soziale Wohnraumförderung. Das ist auch ein ganz wich- wir nicht genügend Wohnungen haben. Hier in Berlin, in tiger Baustein. Da gehen wir über die Vereinbarung im Prenzlauer Berg, haben sich auf eine schön geschnittene Koalitionsvertrag hinaus und legen auf die 2 Milliarden Wohnung, die relativ günstig war, 1 400 Menschen be- Euro, die wir für diesen Bereich zur Verfügung stellen, worben. 1 400 Menschen! noch einmal 500 Millionen Euro obendrauf. Das heißt, (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ in den nächsten Jahren stehen zusätzlich 2,5 Milliarden DIE GRÜNEN]: Ja! Weil sie günstig war, Euro für die soziale Wohnraumförderung zur Verfügung. Herr Luczak!) An dieser Stelle adressiere ich an die Länder: Wir Ganz egal, wie sehr wir die Mietpreisbremse verschär- erwarten, dass dieses Geld – wir werden das mit einer fen, Herr Kühn, am Ende des Tages gehen von diesen Grundgesetzänderung entsprechend verankern – 1 400 Menschen 1 399 ohne Mietvertrag nach Hause. (Judith Skudelny [FDP]: Haben Sie eine Das zeigt uns doch ganz deutlich, was wir tun müssen: Mehrheit?) (Ulli Nissen [SPD]: Beides machen! – Zuruf zweckgerichtet, zielgerichtet eingesetzt wird, dass es vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bezahl- wirklich in den sozialen Wohnungsbau fießt und nicht bare Wohnungen!) irgendwelche anderen Haushaltslöcher damit gestopft werden. Das Geld muss den Mieterinnen und Mietern Wir müssen für ein größeres Angebot auf dem Woh- ganz direkt zugutekommen. Da sind die Länder in der nungsmarkt sorgen. Wir müssen mehr, schneller und Pficht, meine Damen und Herren. kostengünstiger bauen. Nur das bringt letztlich eine Ent- lastung an dieser Stelle. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulli Nissen [SPD]: Da sind wir in der Pficht, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – ein gutes Gesetz zu machen!) (B) Ulli Nissen [SPD]: Wir wollen beides!) (D) Da wir gerade bei den Ländern sind: Sie fordern ja in Weil wir das als Ziel identifziert haben, haben wir ja Ihrem Antrag auch etwas in Bezug auf die Betriebskos- auch im Koalitionsvertrag eine große Wohnungsbauof- ten. Sie sagen, sie müssten gerechter gestaltet werden. Da fensive auf den Weg gebracht. bin ich sehr dafür. Sie machen zum Beispiel einen Vor- schlag zur Grundsteuer. Die Grundsteuer kann ja über die (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ Betriebskosten direkt auf die Mieter umgelegt werden. DIE GRÜNEN]: Lenken Sie nicht ab! Reden Sie sagen, das soll abgeschaft werden; das soll zukünftig Sie zum Mietrecht! Sie wollen beim Mietrecht allein bei den Eigentümern verbleiben. nichts machen! Deshalb zünden Sie Nebelker- zen!) (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Unser Ziel – das ist ein sehr ehrgeiziges Ziel – lautet: Da muss man sich einmal ein Stück weit die Zahlen ver- Neubau von 1,5 Millionen Wohnungen in dieser Legis- gegenwärtigen: Das Volumen der Grundsteuer liegt bei laturperiode. Wir sind jetzt dabei. Wir haben das Bau- etwa 14 Milliarden Euro; das ist jetzt eine sehr grobe kindergeld rückwirkend zum 1. Januar 2018 beschlossen. Rechnung. Wenn man jetzt sagt, man schaft das ab, dann Wir haben als Union durchgesetzt, dass es keine fragwür- muss man sich natürlich fragen: Wer zahlt denn hinterher digen Einschränkungen bei der Quadratmeterzahl gibt. die Grundsteuern? Das wird am Ende natürlich bei den vermietenden Eigentümern landen. (Zurufe der Abg. Ulli Nissen [SPD] und Niema Movassat [DIE LINKE]) (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist ja auch richtig! Das Das kommt. Das wird Familien entlasten. Wenn Familien ist eine Eigentumssteuer!) ein Eigenheim erwerben können, weil sie die Hürde des Eigenkapitals besser überspringen können, wird dadurch Dann stellt sich natürlich die Frage: Welche Folgen hat natürlich der Mietwohnungsmarkt entlastet. Deshalb ist das? Das macht das Mieten am Ende nämlich nicht billi- das Baukindergeld etwas absolut Richtiges. ger, weil natürlich auch die Refnanzierung gewährleistet sein muss. Dieses Geld muss dann über die Nettokalt- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) mieten und andere Dinge hereingeholt werden. Der entscheidende Punkt muss doch sein – an dieser Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Stelle kann ich die Grünen einmal aufordern, ihrer Ver- Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage der antwortung gerecht zu werden –, von den hohen Grund- Kollegin Bayram? steuersätzen herunterzukommen. Da blicke ich einmal 4470 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

Dr. Jan-Marco Luczak (A) auf mein eigenes Bundesland, das Land Berlin. Wir Canan Bayram (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) haben hier den zweithöchsten Hebesatz, den es in ganz Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Luczak, Deutschland gibt, nämlich 810 Prozent. Es wäre doch Sie sind ja Berliner Abgeordneter, und Sie haben hier zu eine Aufgabe der Kollegen, die hier für Berlin Verant- allem gesprochen, nur nicht zum Mietrecht. wortung tragen – da regiert ja Rot-Rot-Grün –, an ihre (Beifall der Abg. Caren Lay [DIE LINKE]) Landesregierung zu appellieren, diese hohen Grundsteu- ersätze zu senken. Das würde ganz unmittelbar nicht nur Sie sind Mitglied des Rechtsausschusses. Sagen Sie mir die Mieterinnen und Mieter, sondern auch die Eigentü- doch bitte einmal, wie Sie mithilfe des Mietrechts die mer entlasten. Mieterinnen und Mieter schützen wollen. Ich kann Ihnen mit Blick auf Kreuzberg sagen: Wir haben wieder einen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Häuserkampf wie in den 80ern. In Schöneberg wird es der FDP – Zuruf der Abg. Ulli Nissen [SPD]) bestimmt auch nicht mehr lange dauern. Das kann doch in Ihrer Wahrnehmung nicht irrelevant sein. Das will ich Einen letzten Punkt, den Sie in Ihrem Antrag anspre- nicht glauben. chen, möchte auch ich erwähnen. Sie plädieren dafür, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN § 5 des Wirtschaftsstrafgesetzes zu reformieren, und sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Ulli wollen das Tatbestandsmerkmal des Ausnutzens einer Nissen [SPD]: Wohl leider doch! – Dr. Patrick Wohnmangellage streichen. Das würde im Ergebnis dazu Sensburg [CDU/CSU]: Unser Land ist nicht führen – so formulieren Sie es auch in Ihrem Antrag –, nur Kreuzberg!) dass sich ein privater Kleinvermieter, der seine Wohnung vermietet und vielleicht nicht auf den Euro genau aus- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: gerechnet hat, wie hoch denn tatsächlich die ortsübliche Herr Kollege, ich sehe, Sie möchten antworten. – Sie Vergleichsmiete plus 10 Prozent ist, möglicherweise ei- haben das Wort. ner Ordnungswidrigkeitensanktion ausgesetzt sieht. Das muss man sehen. Wenn man dieses Tatbestandsmerkmal (CDU/CSU): abschafen würde, hätte man ein großes Problem, weil Dr. Jan-Marco Luczak dann natürlich viele Eigentümer sagen würden: Auf die- Sehr gerne. – Ich widerstehe jetzt der Versuchung, all ses Glatteis begebe ich mich nicht. Ich ziehe mich völlig die Dinge, die wir im Mietrecht machen, aufzuführen. aus dem Wohnungsbau zurück und investiere auch nicht Wir debattieren hier ja auch mehr oder weniger jede Wo- che über das Mietrecht. mehr in den Wohnungsneubau. – Deswegen wäre das ab- (B) solut kontraproduktiv. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ (D) DIE GRÜNEN]: Ja, zu Recht! Weil Sie sich Man muss immer wieder sagen – Sie, Frau Bayram, nicht einigen!) haben das ja angesprochen –: Es sind doch nicht die gro- Ich habe auch an anderer Stelle dazu ausgeführt. ßen Kapitalgesellschaften, die den Wohnungsbestand in unserem Land vorhalten, sondern es sind die priva- Aber es ist schon interessant, Frau Bayram, wenn Sie ten Kleinvermieter; diese stellen zwei Drittel der Woh- sagen, dass die Grünen den Häuserkampf wieder aufge- nungen in unserem Land zur Verfügung. Wenn wir das, nommen haben. Aus Berlin kennen wir das ja. was Sie in Ihrem Antrag fordern, umsetzen würden – es (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gibt noch viele Dinge mehr; darauf werden die Kollegen NEN sowie bei Abgeordneten der SPD und noch eingehen –, dann würden wir diese Kleinvermie- der LINKEN – Ulli Nissen [SPD]: Das hat sie ter verschrecken. Es würde niemand mehr in den Woh- doch gar nicht gesagt!) nungsneubau und in die Modernisierung des Bestandes investieren. Damit würden wir allen Menschen in unse- Wenn Mitglieder des rot-rot-grünen Senats sagen, Haus- rem Land schaden, den Mieterinnen und Mietern ganz besetzungen seien angesichts der Wohnungsknappheit ein legitimes Mittel, diesen Kampf zu führen, dann muss vorneweg. Deswegen werden wir Ihren Antrag ablehnen, man sich schon fragen, in welchem Staat man lebt. meine Damen und Herren. (Niema Movassat [DIE LINKE]: Da muss (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn man sich fragen, was in Berlin los ist, was da [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: fehlt!) Das ist aber ein spärlicher Applaus bei der Mit rechtsstaatlicher Attitüde hat das nichts mehr zu tun. Union!) (Ulli Nissen [SPD]: Herr Luczak würde an- ders reden, wenn in Berlin Wahlen wären!) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Wir haben als Koalition ein ehrgeiziges Programm. Vielen Dank, Herr Kollege Luczak. – Bevor ich dem Da geht es zum einen um die Wohnungsbauofensive – nächsten Redner das Wort erteile, bekommen Sie noch ich habe sie dargestellt –, aber natürlich wollen und wer- Gelegenheit, Ihre Ausführungen zu ergänzen; denn die den wir zum anderen auch Mieterinnen und Mieter schüt- Kollegin Canan Bayram bittet um eine Kurzintervention, zen. Sie wissen sehr genau, was wir im Koalitionsvertrag die ich zulasse. vereinbart haben. Wir wollen die Mietpreisbremse in ei- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4471

Dr. Jan-Marco Luczak (A) nigen Punkten ändern, zum Beispiel, wenn es um die Rü- – Herr Präsident, sagen Sie mal: Wollen Sie da nicht ein- (C) gepficht geht, für die wir die Hürden absenken wollen. greifen? (Niema Movassat [DIE LINKE]: Gibt es kei- ne Mieter in Ihrem Wahlkreis?) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Darüber hinaus wollen wir über eine Auskunftspficht in Ich stoppe zunächst mal Ihre Redezeit, Herr Maier, begrenzten Ausnahmenfällen mehr Transparenz schaf- und ich bitte wirklich um Ruhe, weil die wechselseitigen fen und in den Gebieten, in denen Wohnungsknappheit Vorwürfe, man habe die Anträge zu spät erhalten, in den herrscht, die Modernisierungsumlage von 11 auf 8 Pro- Reden ja immer in unterschiedliche Richtungen gemacht zent absenken. Außerdem werden wir eine Kappungs- werden. grenze einführen, sodass man in sechs Jahren nur maxi- mal 3 Euro pro Quadratmeter umlegen kann. Jens Maier (AfD): Wir haben also sehr viele sehr gute, aber eben auch Ich möchte einfach nur – – ausgewogene Maßnahmen in unserem Koalitionsver- trag. Damit ergreifen wir nicht einseitig Partei zulasten

der Vermieterinnen und Vermieter, so schutzbedürftig Vizepräsident Wolfgang Kubicki: die Mieterinnen und Mieter auch sein mögen; vielmehr Einen kleinen Moment, Herr Maier. Wenn ich sage, brauchen auch die privaten Kleinvermieter einen Anwalt Sie dürfen weitersprechen, dann dürfen Sie weiterspre- ihrer Interessen, und das sind auch wir als Union an die- chen. ser Stelle. (Beifall bei der CDU/CSU) Jens Maier (AfD): Sie benehmen sich hier wie Soldaten – – Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Ulli Nissen [SPD]: Soldaten müssen stillste- So, das war dieses. – Als Nächstes hat für die hen!) AfD-Fraktion der Kollege Jens Maier das Wort.

(Beifall bei der AfD) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Ich bitte auch um Ruhe und Aufmerksamkeit für den Jens Maier (AfD): Redner. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- (B) ren! Heute, genau eine Woche vor Beginn der Sommer- (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ (D) pause, beraten wir noch husch, husch über einen Antrag DIE GRÜNEN]: Können Sie das noch einmal der Grünen. Die Grünen haben diesen Antrag erst vor wiederholen, Herr Maier? Wiederholen Sie zwei Tagen unserer Fraktion zugänglich gemacht. das doch noch mal!) (Niema Movassat [DIE LINKE]: Das machen Sie doch ständig!) Jens Maier (AfD): Zur Begründung hieß es, der Antrag sei zwar schon Sie benehmen sich hier wie die Kindersoldaten von auf – – der Antifa; das muss ich mal ehrlich sagen. Ich will hier einfach nur reden. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist ja unparlamenta- (Beifall bei der AfD – Zurufe vom BÜND- risch! – Weitere Zurufe von der SPD und dem NIS 90/DIE GRÜNEN) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das zeigt Ihr Demokratieverständnis in aller Deutlich- – Hören Sie mal auf mit dem Geschrei! keit. Sie wollen uns gar nicht zu Wort kommen lassen, (Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Ulli Nissen [SPD]: Aber Sie machen das! Sie NEN]: Sie müssen auch einmal einen Antrag reden ja nie dazwischen! Bei der AfD ist im- lesen!) mer alles still!) Zur Begründung hieß es, der Antrag sei zwar schon auf weil Sie Angst vor uns haben, und Sie haben berechtigte die Tagesordnung des Plenums gesetzt worden, jedoch Angst. sei der Antrag noch nicht fertig und müsse erst fertigge- stellt werden. (Beifall bei der AfD – Stefan Schmidt [BÜND- (Ulli Nissen [SPD]: Wie machen Sie das NIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist das hier für denn, bitte? – Niema Movassat [DIE LINKE]: eine Rede!) 48 Stunden! Da schafen Sie doch, etwas zu Ich möchte jetzt mit meiner Rede fortfahren und von lesen!) Ihnen hier nicht niedergebrüllt werden. So, wie Sie sich Nach der Linkspartei wollen ofenbar auch die Grü- hier verhalten, macht das keiner von uns. nen – – (Lachen bei der SPD, der LINKEN und dem (Unruhe) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 4472 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: dann liefern Sie doch wenigstens die gleiche Qualität ab! (C) Liebe Kolleginnen und Kollegen: Ich bitte wirklich Legen Sie wenigstens für eine Ihrer 34 Forderungen ei- noch einmal um Ruhe und Aufmerksamkeit für den Red- nen eigenen Gesetzentwurf vor! Das, was wir hier vorge- ner, auch wenn es Ihnen schwerfällt. Aber das sind bisher legt bekommen haben, ist nichts weiter als das qualitativ die Usancen im Haus. Es gibt vielleicht einige, die einen minderwertige Produkt von Leuten, die man bestenfalls Kater haben, das rechtfertigt aber nicht, zu knurren. der akademischen Unterschicht zurechnen kann. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der AfD – Christian Kühn [Tü- bingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre Jens Maier (AfD): Beleidigungen hier im Hohen Haus sind uner- Jetzt haben wir das, glaube ich, geklärt, und jetzt will träglich!) ich hier weiter fortfahren. Wir wollen ja irgendwann auch Damit wollen Sie von den Grünen, die Sie an den hohen nach Hause. Mietkosten erhebliche Mitschuld tragen, allen Ernstes Also: Ich bin nicht der Meinung, dass es für die Ernst- soziale Kompetenz beweisen. haftigkeit dieses Antrags spricht, wenn Sie von den Grü- nen kurz vor Beginn der Sommerpause noch schnell (Ulli Nissen [SPD]: Sie haben jedenfalls kei- etwas zusammenschustern müssen, weil Sie es schon ne soziale Kompetenz!) vorher auf die Tagesordnung des Bundestages zur Bera- tung gesetzt haben. Das ist für meine Begrife nicht se- Die Grünen erkennen ofenbar nicht den Zusammen- riös. hang zwischen dem, was sie unter Unterstützung für den Klimaschutz verstehen, und der Steigerung von Mietkos- (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ten aufgrund energetischer Sanierung. Sie sehen nicht, Insgesamt fordern die Grünen die Bundesregierung dass ihre kunterbunten Vorstellungen gerade zu den Ur- zu 34 Maßnahmen auf, die mitunter völlig verschiede- sachen für Mietpreissteigerungen gehören. ne Rechtsgebiete betrefen: von Gruppenklagemöglich- (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Richtig!) keiten und einer Änderung der Umlagefähigkeit der Grundsteuer in den Betriebskosten über eine Anpassung Haben Sie sich einmal gefragt, wie viele betrofene des Wirtschaftsstrafgesetzes bis hin zu einer Umkehr des Mieter überhaupt kein Interesse an einer energetischen Beibringungsgrundsatzes laut § 280 BGB. Sie haben al- Sanierung haben? Diese führt nämlich zu Mietsteigerun- les da reingepackt, was Ihnen gerade mal so eingefallen gen. Es ist auch egal, ob die Umlage dann 11 oder 6 Pro- ist. Das erinnert an eine Art Brainstorming. (B) zent pro Jahr beträgt. (D) Aufällig ist, dass die Grünen wohl mangels eigener Ideen das, was die Linke unter dem Stichwort „echte (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ Mietpreisbremse“ hier vor kurzem servierte, zu großen DIE GRÜNEN]: Ist es nicht!) Teilen übernommen haben und jetzt als eigenen Beitrag In vielen Teilen baut der Antrag auf die bereits beste- verkaufen wollen. So fordern die Grünen wie die Lin- hende Mietpreisbremse auf, obwohl die Grünen selber ke die Rügepficht der Mieter bei unzulässig überhöhter einräumen, dass die Mietpreisbremse gescheitert ist. Miete durch eine Auskunftspficht des Vermieters zu er- setzen, (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wo räumen wir das denn DIE GRÜNEN]: Richtig!) ein? Können Sie da mal ein Zitat liefern? Sie zitieren doch so gerne!) § 5 des Wirtschaftsstrafgesetzes zu ändern und ein Kon- diktionsrecht zugunsten des Mieters für zu viel gezahlte Das Kernproblem der Mietpreisbremse ist es, dass pri- Miete vor Erhebung der Rüge einzuführen. Das alles ist vate Investitionen in den Wohnungsbau weniger rentabel bekannt und war schon mal da. werden. Die Mietpreisbremse bremst den dringend not- (Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wendigen Neubau von Wohnungen durch private Inves- NEN]: Alles richtig!) toren. Ein totes Pferd kann man nicht mehr reiten, auch dann nicht, wenn man ihm einen neuen Sattel aufsetzt. Es zeigt sich wieder mal, wie richtig es ist, die Grünen als Deshalb sind Maßnahmen, die die negativen Folgen der Wassermelone zu sehen: außen grün, innen tiefrot. Mietpreisbremse sogar noch verschärfen, konsequent ab- zulehnen. (Beifall bei der AfD) (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Richtig!) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus Durch die Mogelpackung Mietpreisbremse wird kein der FDP-Fraktion? einziges Problem gelöst. (Beifall bei der AfD) Jens Maier (AfD): Nein. – Wenn Sie schon von dem Antrag der Linken, Den größten Nachteil durch gestiegene Mieten in der bereits vor drei Wochen durchgefallen ist, abkupfern, Ballungsgebieten haben diejenigen, die für die Zukunft Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4473

Jens Maier (A) unseres Landes von höchstem Wert sind: Das sind die und dass zum Beispiel auch die freiwilligen Feuerwehren (C) deutschen Familien. überall genügend Mitglieder haben. (Ulli Nissen [SPD]: Das musste jetzt ja kom- Ergebnis der zunehmenden Urbanisierung ist aber men! Wir haben schon darauf gewartet! – Zu- auch, dass es zahlreiche Grundstücke in dünnbesiedelten rufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Gegenden gibt, die ausgesprochen billig sind und trotz- dem über Monate und Jahre auf einen Käufer warten. Wir Vornehmlich in den deutschen Familien wachsen die sollten uns deshalb Gedanken darüber machen, wie wir Leistungsträger von morgen auf. junge Familien überzeugen können, aufs Land zu ziehen, (Beifall bei Abgeordneten der AfD) wo Wohnraum noch billiger ist. Funktionieren kann das nur, wenn wir die Kommunen mit deutlich mehr Geld Es ist ein unhaltbarer Zustand, wenn junge Leute in ausstatten. Dadurch könnte die Infrastruktur verbessert Deutschland eine Familie gründen wollen, jedoch keinen werden. Insbesondere muss der öfentliche Nahverkehr bezahlbaren Lebensraum zur eigenen Entfaltung fnden. im ländlichen Raum verbessert werden. (Niema Movassat [DIE LINKE]: „Lebens- (Emmi Zeulner [CDU/CSU]: Arbeitsplätze raum“? Oh, oh, oh, oh! Was sprechen Sie hier müssen geschafen werden!) für eine Nazisprache? – Zurufe vom BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN): „Lebensraum“?) Vielleicht ein Tipp für junge deutsche Familien von mir als Dresdner: Wenn ihr es in den westdeutschen Wenn es Ihnen ernst damit gewesen wäre, junge Fa- Großstädten nicht mehr aushalten könnt, wenn ihr dort milien zu entlasten, dann hätten die Grünen in Mecklen- bezahlbaren Wohnraum sucht, aber nicht fndet, wenn ihr burg-Vorpommern das Vorhaben meiner Kollegen in der wollt, dass eure Kinder auf gute Schulen gehen, wenn dortigen Landtagsfraktion unterstützt, jungen Eltern ein ihr in Sicherheit leben wollt, dann müsst ihr zu uns nach Familiendarlehen zu gewähren, das verwendungsunab- Sachsen kommen; hängig gestellt wird und das man pro Kind gemindert zu- rückzahlen muss. Dieses Familiendarlehen wäre bei dem (Beifall bei Abgeordneten der AfD) dritten Kind vollständig erlassen worden. Es ist schade, denn bei uns ist die Welt noch einigermaßen in Ordnung. dass das nicht gekommen ist und dass Sie dagegen sind. Die AfD Sachsen wird dafür sorgen, dass das auch so Wir müssen dafür sorgen, dass generell mehr gebaut bleibt. wird. Die Einführung eines Baukindergeldes weist in die richtige Richtung, sollte aber nicht mit den Restriktionen Vielen Dank. versehen werden, wie das jetzt geplant ist. Auch Woh- (Beifall bei der AfD – Niema Movassat [DIE (B) nungen mit einer Fläche von über 120 Quadratmetern LINKE]: Wenn Sie so etwas sagen, ist das kei- (D) sollten als förderungswürdig angesehen werden. ne Werbung für Sachsen! Glauben Sie mir!) (Beifall des Abg. Armin-Paulus Hampel [AfD] – Widerspruch bei der CDU/CSU und Vizepräsident Wolfgang Kubicki: der SPD – Ulli Nissen [SPD]: Gucken Sie mal Herzlichen Dank, Herr Kollege Maier. in die Zeitung! – Zurufe vom BÜNDNIS 90/ Bevor ich das Wort erteile, erlauben Sie mir bitte eine DIE GRÜNEN) Bemerkung. Niemand in diesem Saal kann sich darüber Es müssen neue Baugebiete erschlossen werden. Das beschweren, dass ein Redner aufgrund der massenhaften ist eine gemeinsame Aufgabe von Bund, Ländern und Zurufe das Gefühl hat, niedergebrüllt zu werden, wenn Kommunen. Die Städte und Landratsämter brauchen ei- er sich als Abgeordneter selber daran beteiligt. Das sage nen größeren Personalpufer, damit Baugenehmigungen ich in Richtung der drei Fraktionen auf der linken Seite. und Baunutzungsänderungen schneller erteilt werden Ich mache das genauso bei der AfD-Fraktion. Wenn können. Wir müssen auch die Anzahl an bürokratischen ihre Abgeordneten massenhaft dazwischenrufen, bitte Vorgaben wie die Vorschrift zur Wärmedämmung verrin- ich auch darum, die Ordnung zu beachten. Das gilt wech- gern. selseitig, oder es gilt gar nicht. Ein Recht hat keine Farbe, (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Können sondern es ist in gleicher Weise anzuwenden. Ich bitte Sie das mit der Quadratmeterzahl jetzt mal wirklich darum, das zu beachten; denn das Bild, das wir richtigstellen?) da abgeben, ist kein gutes. Die notwendig gewordene gesetzliche Neuregelung (Beifall bei Abgeordneten der AfD) der Grundsteuer ist eine gute Gelegenheit, eine Regelung aufzustellen, nach der zum Beispiel die Anzahl der Haus- Als nächster Redner hat für die SPD-Fraktion der Kol- bewohner in einer Immobilie Einfuss auf die Substanz- lege Michael Groß das Wort. steuer hat. (Beifall bei der SPD) Zu guter Letzt noch ein Punkt: Der Trend, dass viele junge Menschen in die Großstädte ziehen, sorgt dafür, Michael Groß (SPD): dass ganze Landstriche im ländlichen Raum veröden. Nach dem Beitrag meines Kollegen muss ich erst Jeder, der vom Land in die Stadt zieht, fehlt in seinem einmal einen Schluck trinken. Ich möchte betonen: Herr Dorf. Wir wollen aber, dass der ländliche Raum lebt, dass Maier, ich lasse mir nicht von Ihnen ein Jota Angst einja- es auf den Dörfern eine ausreichende Infrastruktur gibt gen oder mir von Ihnen drohen. Das ist eine Art und Wei- 4474 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

Michael Groß (A) se, die Sie an den Tag legen! Und die wird dem Thema dass die Landesregierungen viel zu wenig tun, um neue (C) auch nicht gerecht. Wohnungen in Bindung zu schafen oder zu bauen. Un- ter Rot-Grün war Nordrhein-Westfalen noch deutscher (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Meister beim Schafen von Sozialwohnraum. Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen bezahl- (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Ha!) baren Wohnraum fnden, und ich glaube, dass wir im Ko- alitionsvertrag dafür eine gute Lösung gefunden haben. Leider ist das unter der neuen Regierung nicht mehr so. Ich hatte, als ich dem Herrn Luczak zugehört habe, nicht So kann man sehen, wie sich hier die Gemengelage dar- das Gefühl, dass wir immer über dasselbe sprechen. Ich stellt. Rot-Grün war dort auf einem guten Weg. Das ist glaube, wir müssen das Thema noch mal vertiefen. jetzt abgebrochen. NRW wird leider darunter leiden. Uns als Sozialdemokraten war wichtig, dass wir drei Was wollen wir bei der Stärkung des sozialen Miet- Dinge tun: Wir wollten einmal, dass mehr Wohnun- rechts erreichen? Wir wollen – ich habe das bereits an- gen geschafen werden. Wir brauchen in Deutschland gedeutet –, dass die Mietpreisbremse verbessert wird. 150 000 bezahlbare Wohnungen für untere und mittlere Sie ist besser als ihr Ruf; ich betone das noch mal. Es Einkommen. Das war für uns ein großes Ziel. Wir wollen gibt dazu Untersuchungen. Wenn Sie auf Online-Portale außerdem, dass mehr Eigentum geschafen wird, und wir gehen – auf das der Stiftung Warentest zum Beispiel –, wollen die soziale Funktion des Mietrechts gestalten. Es werden Sie feststellen: Alle Mieter, die sich trauen, da- ist jetzt aber leider so, dass Sie beim dritten Punkt, bei gegen vorzugehen, haben Erfolg, auch durch Vergleiche. der sozialen Funktion des Mietrechts, schon wieder auf (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Ja!) die Bremse treten. Die Justizministerin hat einen Refe- rentenentwurf vorgelegt, der bei Ihnen schon wieder auf- Sie, Herr Luczak, und viele Immobilienunternehmen gehalten wird. haben dafür gesorgt, dass die Mietpreisbremse einen schlechten Ruf hat. Wir werden dafür sorgen, dass durch Ich glaube, es wird der Sache nicht gerecht, wenn Sie ein vorvertragliches Transparenzgebot der Mieter darü- hier betonen, was wir alles machen wollen – die Moder- ber Bescheid weiß, wie hoch die Miete sein darf. Wir nisierungsumlage senken, die Härtefallregelung ändern werden seine Rechtsposition dadurch stärken. und gerade auch bei der Mietpreisbremse für Verbesse- rungen sorgen –, und gleichzeitig Ihren Ministerien sa- (Beifall bei der SPD) gen: Das ist nicht das, was wir wollten. Der zweite große Punkt ist die Modernisierungsum- (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Doch! lage. Wir haben eine Situation – gerade auch in meinem Wenn der Referentenentwurf so ist, wie es im Wahlkreis, von dem man nicht sagen kann, dass es ein (B) Koalitionsvertrag steht!) Hotspot in Deutschland ist –, in der die Modernisierungs- (D) umlage von 11 auf 8 Prozent sinkt. Das bedeutet, dass bei Wir beide waren ja dabei und konnten uns eigentlich einem Investment von 20 000 Euro – ich wiederhole das mehrfach nicht einigen. Wir haben dann schriftlich fest- immer wieder gerne – eben nicht mehr 183 Euro, sondern gelegt, was wir machen wollen. Und jetzt sagen Sie wie- nur noch 133 Euro dauerhaft umgelegt werden können – der: Das ist nicht das, worauf wir uns gemeinsam ver- ein Riesenschritt für die Menschen. Das bedeutet natür- ständigt haben. lich auch, dass wir verhindern werden, dass Menschen (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das rausmodernisiert werden können. stimmt nicht!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das wird aber den Menschen in Deutschland nicht ge- Ich komme zum nächsten Punkt. Ich glaube, es ist be- recht, nicht in Berlin, in Köln oder Hamburg. Sie müssen, sonders wichtig, dass wir die Menschen davor schützen, glaube ich, noch über einen großen Oxer springen. Das rausmodernisiert zu werden. Wir sagen: Es ist eine Ord- ist auch meine Erwartung, was Sie angeht. nungswidrigkeit, wenn jemand bewusst aus seiner Woh- (Hagen Reinhold [FDP]: Soll ich vielleicht nung vertrieben werden soll, weil die Kosten der Moder- ein bisschen Mediation anbieten?) nisierung schon so hoch angesetzt sind, dass er weiß: Ich kann das gar nicht bezahlen. Ich möchte noch einmal betonen, dass ich sehr froh bin, dass die Bundesregierung es geschaft hat, zusätzli- (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Wessen che 500 Millionen Euro für den sozialen Wohnungsbau Vorschlag war das gleich?) zur Verfügung zu stellen. Wir werden dies auch – zumindest sieht der Referen- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten tenentwurf das so vor – als Ordnungswidrigkeit mit ei- der CDU/CSU) nem Bußgeld belegen (Beifall bei der SPD) Wer hätte gedacht – auch die Grünen und die Linken –, dass wir eine Verantwortung des Bundes auch über 2019 sowie dem Mieter eine Möglichkeit zur Geltendmachung hinaus für die soziale Wohnraumförderung schafen? Das von Schadensersatz geben. Ich hofe, dass Sie dabei mit- war eine großartige Sache, die wir dort vereinbart haben, machen. Das wäre eine richtig gute Sache. weil viele Menschen davon proftieren werden. (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das war Wir haben viel zu wenige Wohnungen in Bindung. Es unser Vorschlag, Herr Groß! Vielleicht können ist leider immer noch so – das kann man in NRW sehen –, Sie sich erinnern! – Lachen bei der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4475

Michael Groß (A) – Nein, nein, nein. Das war nicht Ihr Vorschlag. Ich war Experten landauf, landab schon zur Wahlkampfdee Bau- (C) ja dabei. kindergeld gesagt haben, nämlich: sehr teuer, aber dafür sehr inefektiv. (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das ist partielle Amnesie!) Dann dampfen Olaf Scholz und Regierungsabrissmi- Ich hofe, dass Sie an dieser Stelle springen. Ich weiß nister Seehofer die Nummer so ein, dass sie wieder ins nur, dass Sie an dieser Stelle nicht springen wollen, Herr Budget passt, aber noch weniger zu den Bedürfnissen Luczak. bauwilliger Bürgerinnen und Bürger. Also: Fragen Sie Ihre Häuser! Seien Sie an dieser Stel- Diese Woche fndet die Drama-Koalition am Ran- le ehrlich. Denn Sie laufen auch intern herum und sagen: de des x-ten Krisentrefens dann die Lösung: Von einer Ich habe die Mietpreisbremse verhindert. Quadratmeterbegrenzung wird abgesehen; dafür wird das Ganze zeitlich auf drei Jahre begrenzt. (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das habe ich noch nie gesagt!) Lassen Sie das doch mit den Obergrenzen! Sie sehen ja, Sie laufen damit dauernd gegen eine Wand. Streichen Ich hofe, dass wir für die Menschen in Deutschland, Sie das Baukindergeld! Schafen Sie einen Freibetrag bei die Mieter in Deutschland, hier einen guten Weg fnden. der Grunderwerbsteuer! Danke schön. (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD) DIE GRÜNEN – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind wir uns einig, FDP und Grüne!) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Als Nächstes hat die Kollegin Katharina Willkomm Nun zum Antrag der Grünen. Es heißt, Politik begin- von der FDP-Fraktion das Wort. ne mit dem Betrachten der Wirklichkeit. Die Grünen schreiben, die Mietpreisbremse sei gescheitert; es gebe (Beifall bei der FDP) Verwerfungen auf dem freien Wohnungsmarkt; das stelle zahlreiche Familien vor ernste Probleme. Katharina Willkomm (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Wir starten also von derselben Ausgangslage. Die Kollegen! Wann ist Ihnen das letzte Mal der Begrif FDP begrüßt jeden Vorschlag, der die Selbstbestimmung „warten“ in den Sinn gekommen? Laut Duden bedeutet des Einzelnen stärkt, solange das nicht dazu führt, dass „warten“: sich noch mehr private Vermieter aus dem Mietwoh- (B) nungsmarkt zurückziehen. – So weit der gemeinsame (D) dem Eintrefen einer Person, einer Sache, eines Er- Lösungsansatz. eignisses entgegensehen, wobei einem oft die Zeit besonders langsam zu vergehen scheint … Leider haut es Sie in der nächsten Kurve wieder aus der Flugbahn. Von der Mietpreisbremse nur Erstmieten Haben Sie jetzt auch gerade an die Bundesregierung und im Neubau auszunehmen, reicht nicht. Die Mietpreis- den Mietwohnungsmarkt gedacht? Wir alle sehen der bremse muss gestrichen werden. Veröfentlichung eines Regierungsentwurfs entgegen. Vor allem Menschen, die dringend neuen und bezahlba- (Beifall bei der FDP – Christian Kühn [Tü- ren Wohnraum brauchen, scheint die Zeit hier besonders bingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das langsam zu vergehen. Aber bitte, liebe Bundesregierung, sehen wir anders!) liefern und nicht irgendwie mal was in den Raum stellen! Ihr Vorschlag zum Mieterhöhungssatz bei Moder- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten nisierung und zur Kappungsgrenze will vor allem eins, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nämlich die geleakten Vorschläge aus dem BMJV über- trumpfen. Die Folge wäre schlicht noch mehr Moderni- Ich darf an dieser Stelle aus dem CDU-Wahlpro- sierungsstau im Bestand. gramm zitieren: Sie wollen ein Mietminderungsrecht, wenn das Ge- Wir werden … keine Maßnahmen beschließen, die bäude nicht so energieefzient ist wie vorgeschrieben, die Schafung von Wohnraum zusätzlich verteuern. verzichten aber völlig auf eine Verknüpfung mit dadurch Diese Verteuerungsmaßnahme hat einen Namen. Es ist tatsächlich erhöhten Energiekosten für den Mieter. Das das Baukindergeld. Diese milliardenschwere Einladung ist etwas zu kurz gesprungen. mit Mitnahmeefekt muss durchgerutscht Im gleichen Atemzug schränken Sie die Möglichkeit, sein, als er diesen Satz ins Wahlprogramm geschrieben den Mieter an etwaigen Modernisierungskosten ange- hat. messen zu beteiligen, drakonisch ein. Das ist geradezu Wir Freie Demokraten als Partei der zweiten Chance frech. Am Ende schaden Sie damit dem richtigen Anlie- sagen: Einen einmal erkannten Fehler muss man auch gen, CO2 einzusparen. korrigieren dürfen. – Aber peinlich ist es schon. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ Erst verspricht die Union im Wahlkampf ein sündhaft DIE GRÜNEN]: Ich schicke Ihnen einmal den teures Baukindergeld. Dann rechnet der SPD-Finanz- Antrag zur Kraft-Wärme-Kopplung zu! Dann minister noch einmal nach. Dann stellt er das fest, was sehen Sie das gesamte Konzept!) 4476 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

Katharina Willkomm (A) Ich dachte immer, das sei Ihnen besonders wichtig. Wohnungspolitik vor der Sommerpause noch tatsächlich (C) beschließen wird. Das alles wird die Vermieter nicht motivieren, mehr Wohnraum zur Verfügung zu stellen. (Zuruf von der CDU/CSU: Super! – Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Nein, die Sehr geehrte Damen und Herren, über eine Baulandof- Musterfeststellungsklage auch noch!) fensive für bezahlbare Wohnungen und Infrastruktur in Es ist ein Lieblingsprojekt der Union, auch persönlich wachsenden Städten können wir reden. Darüber, quali- von favorisiert, aber nach Expertenmei- fzierte Mietspiegel auf eine rechtssichere und gerichts- nung wird das Baukindergeld vor allen Dingen dazu füh- feste Grundlage zu stellen, können wir reden. Über die ren, dass auf dem Land mehr Eigenheime gebaut werden. Weiterentwicklung des Gewerbemietrechts und die Er- stellung von Gewerbemietspiegeln können wir reden. (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das ist Über all das können wir reden. Nur noch länger warten, ja auch richtig! Das ist durchaus gewollt!) das können wir nicht. Aber mehr Eigenheime im Bayerischen Wald werden Vielen Dank. der Krankenschwester in München nichts nutzen. Das ist doch überhaupt nicht die richtige Antwort auf die Woh- (Beifall bei der FDP) nungsfrage in den Städten. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: NIS 90/DIE GRÜNEN) Für die Fraktion Die Linke hat nun das Wort die Kol- Für die Krankenschwester in München ist die Idee, legin Caren Lay. sich ein Eigenheim zu kaufen, wie für Millionen andere Normalverdiener in den Städten in weite Ferne gerückt, (Beifall bei der LINKEN) wegen geringer Löhne, wegen explodierender Mieten, weil sie gar keinen Kredit mehr bekommen und wegen der horrenden Boden- und Quadratmeterpreise. Daran Caren Lay (DIE LINKE): wird das Baukindergeld nichts ändern. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- ren! Wir sprechen heute zum dritten Mal in dieser Legis- (Beifall bei der LINKEN – Ulli Nissen [SPD]: laturperiode über das Mietrecht, zum dritten Mal auf An- Es gibt aber viele Leute auf dem Land! Die trag der Opposition. Das sollte Ihnen von der Koalition wollen auch wohnen!) (B) wirklich zu denken geben. Aber deswegen wird sie am Ende mit ihren Steuergel- (D) dern dem Zahnarzt im Bayerischen Wald sein Eigenheim (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- fnanzieren. Ehrlich gesagt, ich kann nicht erkennen, was NIS 90/DIE GRÜNEN) daran eine soziale Politik sein soll. Hatte die Justizministerin, Frau Barley, nicht ange- (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei kündigt, dass sie ihren Gesetzentwurf noch vor der Som- der CDU/CSU) merpause einreichen will? Dazu wäre am heutigen Tag die letzte Gelegenheit. In der nächsten Woche sprechen Es ist ein teures Wahlgeschenk für Seehofers Klientel. wir nämlich über den Haushalt. Nicht dass es so kommt Das Baukindergeld ist nicht die richtige Antwort auf die wie in der letzten Legislaturperiode, wo jeder Versuch, Wohnungsfrage in den Städten. Ich kann mich hier nur das Mietrecht im Interesse der Mieterinnen und Mieter wiederholen. zu verbessern, an der Union gescheitert ist oder im Kanz- (Beifall bei der LINKEN – Dr. Patrick leramt gestoppt wurde. Das, meine Damen und Herren, Sensburg [CDU/CSU]: Das ist für die Famili- darf nie wieder passieren. en! Und das wollen Sie nicht!) (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Es ist auch ein Irrglaube – das möchte ich der Union NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- jetzt wirklich noch einmal erklären –, dass „bauen, bau- ten der SPD) en, bauen“ die einzige Antwort auf die Wohnungsfrage ist. Die Frage, die hier heute gestellt ist, lautet: Mietrecht? Die Antwort der Union darauf: Baukindergeld. Also, ehr- (Beifall bei der FDP – Dr. Jan-Marco Luczak lich gesagt, da fällt doch auch jemandem, der kein Fach- [CDU/CSU]: Sie sagen ja selber gar nichts mann und keine Fachfrau ist, auf, dass an dieser Antwort zum Mietrecht, Frau Lay!) irgendwas nicht stimmen kann. Es kommt eben nicht darauf an, dass mehr gebaut wird. Es kommt doch darauf an, für wen und wo gebaut wird. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Das ist doch die entscheidende Frage. NIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Aber ich kann es Ihnen gerne noch mal erläutern. NIS 90/DIE GRÜNEN) Es wird ja so kommen, dass das Baukindergeld am Schauen wir uns doch einmal an, was in den Groß- Ende das Einzige ist, was diese Koalition im Bereich der städten gebaut worden ist. Es sind in den letzten Jahren Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4477

Caren Lay (A) nur 10 Prozent aller Wohnungen für Normalverdiener er- Wo wir dringend ranmüssen, ist die Deckelung der Mie- (C) schwinglich gewesen, ten im Bestand, die Deckelung bei Altmietverträgen.

(Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Spre- (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. chen Sie mal mit Frau Lompscher, die in Ber- Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lin überhaupt gar nichts baut! Ihre Senatorin!) NEN]) Denn auch hier steigen die Mieten enorm. Daran wird hier in Berlin sogar nur 5 Prozent. Aber gerade die Durch- kein Bauprogramm etwas ändern. Das ist der beste Be- schnittsverdiener, die Normalverdiener, und Menschen weis dafür, dass wir eine Deckelung im Mietrecht brau- mit geringem Einkommen brauchen doch die Unterstüt- chen, um die Mieterinnen und Mieter besser zu schützen; zung der Politik. Wenn wir für die was tun wollen, dann das ist doch völlig logisch. müssen wir mehr Sozialwohnungen bauen, dann müssen wir mehr Sozialwohnungen für Familien bauen. (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Wir ha- ben doch eine Kappungsgrenze im Bestand, (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: 2,5 Mil- Frau Lay!) liarden Euro geben wir dafür! Ich weiß gar nicht, warum Sie sich beschweren!) – Es stimmt, dass wir eine Kappungsgrenze haben. Aber diese ist viel zu großzügig berechnet. Deswegen gibt es Das wäre die richtige Antwort. von den Grünen einen anderen Vorschlag. Wir sagen: Wie wäre es, wenn wir uns angesichts der (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- horrenden Mietsteigerungen vielleicht darauf verständi- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) gen, dass die Mieten in den nächsten Jahren maximal so Ja, und wenn Sie was für Familien tun wollen, wie stark steigen wie der Infationsausgleich oder – wenn es wäre es denn, wenn Sie vielleicht damit anfangen, dass nach mir geht – wie die Löhne? Das wäre vielleicht auch mal eine soziale Antwort. einer alleinerziehenden Mutter mit Hartz IV das Kinder- geld nicht länger auf Hartz IV angerechnet wird? Das (Beifall bei der LINKEN – Dr. Jan-Marco wäre ein erster und sozialer Schritt, um die Situation von Luczak [CDU/CSU]: Wer baut dann?) Familien zu verbessern. Wir müssen an das Mietrecht ran. Wir brauchen einen (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- besseren Kündigungsschutz; das habe ich vor anderthalb neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Jahren an dieser Stelle schon mehrfach ausgeführt. Das (B) ist bei der Union bis heute nicht angekommen. Wir müs- (D) Meine Damen und Herren, jetzt zum Mietrecht. Es ist sen an den Mietspiegel ran. In seiner jetzigen Fassung ist schon erwähnt worden, dass die Mietpreisbremse in ihrer er ein Mieterhöhungsspiegel. So wird er nichts nutzen. jetzigen Form nicht funktioniert. Sie sollte ja auch nicht Letzter Punkt: die Modernisierungsumlage. Wir wol- funktionieren, weil der Druck der Bau- und der Vermie- len sie nicht wie die Grünen lediglich absenken, sondern terlobby sehr, sehr groß war. Aber was folgt denn jetzt abschafen; denn sie ist das Verdrängungsinstrument daraus? Es kann doch nicht sein, dass nun AfD, FDP Nummer eins in unseren Städten. Deswegen gehört diese und – manchmal habe ich fast das Gefühl – die Union Modernisierungsumlage abgeschaft. daraus schlussfolgern, dass sie jetzt gänzlich abgeschaft wird. Das Gegenteil ist richtig: Sie muss nachgebessert (Beifall bei der LINKEN) werden. Sie ist eigentlich eine Einladung für Spekulanten. Der (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Mietwohnungsmarkt ist inzwischen interessant für in- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ternationale Finanzspekulation; denn es handelt sich hier um eine Renditegarantie. Wo gibt’s denn so was? Hier Deswegen unterstützen wir dem Grunde nach auch müssen wir endlich ran. Das muss endlich aufhören. den Antrag der Grünen, auch wenn wir im Detail an ei- (Beifall bei der LINKEN) nigen Stellen darüber hinausgehen. Wir als Linke fnden, dass alle Ausnahmen gestrichen werden müssen. Das wäre ein ganz wichtiger Schritt. Wir fnden es auch un- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: möglich, dass die Mietpreisbremse jetzt nach zwei Jah- Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende. ren im Grunde auslaufen soll. Es ist ja nicht gesichert, ob sie überhaupt weiter besteht. Das wäre völlig absurd. Caren Lay (DIE LINKE): Selbstverständlich wollen auch wir, dass Vermieter, die sich nicht an die Mietpreisbremse halten, bestraft wer- Ich komme zum Schluss. – Ich fände es gut – und die den. Das sollte doch selbstverständlich sein. Mieterinnen und Mieter würden es Ihnen danken –, wenn die Union endlich aus ihrem mietenpolitischen Dornrös- (Beifall bei der LINKEN) chenschlaf aufwachen würde. Das wäre mal ein tolles Si- gnal am heutigen Freitagnachmittag. Wir brauchen einen echten Mietendeckel. Ansonsten Vielen Dank. bekommen wir das Problem nicht in den Grif. Die Miet- preisbremse bezieht sich aber nur auf neue Mietverträge. (Beifall bei der LINKEN) 4478 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

(A) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: stellen oder seine Bemerkung machen, um das vorweg (C) Der nächste Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion der zu sagen. Kollege Dr. Heribert Hirte. (Heiterkeit bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Nachdem Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): Chance vertan haben, lassen Sie mich meine Vorstellung von bezahlbarem Wohnraum für alle darlegen, eine Vor- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der stellung von bezahlbarem Wohnraum ohne überbordende Untertitel Ihres Antrags lautet „Bezahlbares Wohnen sichern“. Wenn man den Antrag genau durchliest, dann Bürokratie. Eine Fußnote – das haben Sie eben gesagt –: stellt man fest: Es geht nicht um das Sichern von bezahl- Jemand, der unter Berufung auf die Mietpreisbremse barem Wohnen für alle, sondern es geht darum, hippe In- klagt, bekommt sehr häufg recht. Das zeigt: Verdient nenstadtwohnungen für Ihre Klientel weiterhin billig zu wird an ganz anderen Stellen. Nicht die Wohnungen wer- halten. Das ist das, was uns unterscheidet. den billiger, sondern die Anwälte reicher. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der LINKEN und der FDP) dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Niema Movassat [DIE LINKE]: Und Sie wollen für Es soll darum gehen, dass auch bildungsferne Schichten Menschen bezahlbaren Wohnraum bauen? günstigen Wohnraum bekommen. Im Übrigen habe ich Das ist ja unverschämt! Das ist ein Schlag ins eine Vorstellung, die nicht davon ausgeht, dass der Staat Gesicht von den Menschen, die sich keinen alles regeln muss. Wohnraum leisten können!) Nach meiner Vorstellung brauchen wir mehr Wohnun- – Dass Sie nun laut zustimmen, ist klar; denn Sie haben gen, übrigens von der Größe, um es deutlich zu sagen, das gerade auch gesagt, Frau Lay. Ihnen geht es nicht darum, auch Menschen auf dem Land Wohnraum zu ver- die sich Bürgerinnen und Bürger wünschen, und nicht schafen, sondern Ihnen geht es genau um dieses Ziel. die, die irgendwelche Förderrichtlinien vorschreiben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Es geht Ihnen aber nicht um unser Ziel, bezahlbaren Wohnraum für alle zu erreichen. (B) Deshalb haben wir in der Koalition vor zwei Tagen zu (D) Recht verabredet – ich will das für die Kollegen, die das Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: nicht gehört haben, in Erinnerung rufen –, dass es in die- Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kol- sem Punkte beim Baukindergeld keine Flächenbegren- legen Liebich zu? zungen geben wird. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): und der FDP – Christian Kühn [Tübingen] Er soll zu Ende zuhören. Dann kann er beurteilen, ob [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war sich seine Zwischenfrage erledigt. auch nie unser Vorschlag!) Über einige Ihrer Vorschläge, die Sie uns vor ein paar Stunden gemacht haben, kann man durchaus nachden- Dazu braucht es günstiges Geld. Davon gibt es – das ken. Gegen eine vernünftige und übersichtliche Betriebs- muss man auch mal sagen – zurzeit genug. Wir brauchen kostenabrechnung hat niemand etwas einzuwenden. ein entschlacktes Baurecht, und wir brauchen schnelle Auch rechtssichere Mietspiegel wären nicht nur für Mie- Behördenentscheidungen mit praxisgerechten Bebau- ter, sondern auch für Vermieter ein Segen. Ihre anderen ungsplänen. Während wir über Ersteres im Bauausschuss Vorschläge – das sei gesagt, bevor ich auf weitere Punk- nachdenken werden, liegt der zweite Punkt, nämlich eine te, trotz der kurzen Vorlagefrist, eingehe – sind jedoch schnellere Entscheidung der Behörden, nicht in unserer nur Kosmetik und bedeuten nichts anderes als graduelle Macht, sondern es ist eine Sache der Länder und Kom- Änderungen des geltenden Mietrechts, die letztlich, wie munen. Deshalb ist es an uns allen, unsere Kolleginnen gesagt, den Besitzstand derjenigen wahren, die schon in und Kollegen in den Ländern und Gemeinden hier zu ei- einer schönen Wohnung drin sind. Uns geht es aber auch nem Umdenken zu motivieren. darum, Menschen Wohnraum zu verschafen, die noch keine Wohnung haben. Gleichzeitig gilt es, Regionen, Stadtteile, Straßenzü- ge und andere Gegenden attraktiver zu gestalten und so (Beifall bei der CDU/CSU) den Wohnungsmarkt zu entzerren. Wer etwa in meiner Von der Opposition müsste man eigentlich mehr erwarten Heimatstadt Köln nicht nach Sülz ziehen will oder kann, als nur Detailänderungen, etwa 50 Stück, Klein-Klein, für den müssen wir daran arbeiten, dass Mülheim ähn- nämlich eine Vision, wie das Wohnen in diesem Land lich hip wird, wie es Sülz und Ehrenfeld schon sind. Das besser gestaltet werden kann. – Jetzt will der Kollege bedeutet auch: Wir müssen das Gefälle zwischen Stadt Sven Lehmann fragen. Er kann auch gleich seine Frage und Land reduzieren; denn 30 Minuten mit dem Regio- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4479

Dr. Heribert Hirte (A) nalexpress von Berlin entfernt gibt es durchaus attrakti- Letztlich noch eine Anmerkung zum Thema „bezahl- (C) ven Wohnraum. barer Wohnraum für alle“. Auch mit einer Begrenzung der Mieterhöhung auf 10 Prozent in drei Jahren kommt (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – ein Geringverdiener nicht an Wohnraum; diese Maßnah- Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- me hilft nicht. NEN]: Das heißt: Die Familien mit Kindern sollen rausziehen!) (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Hä?) Neben der Entzerrung des Mietwohnungsmarktes bedarf es auch noch weiterer Anstrengungen, Wohnei- Sie sehen also: Unsere Fraktion und meine Partei ha- gentum, gerade von jungen Familien, zu steigern. Woh- ben alle Bürgerinnen und Bürger im Blick, private und nungseigentum macht nämlich unabhängig von Mietstei- gewerbliche Vermieter und natürlich auch den Grünen- gerungen, wähler, der gut verdient. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Vielen Dank. der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- bindet Kapital, das im Alter und in Notsituationen zur ordneten der FDP) Verfügung steht, und ist zudem – ich sage es ganz deut- lich – ein gutes Gefühl. Deshalb ist das Baukindergeld

der richtige Ansatz, auch wenn es ökonomische Kritik an Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: der einen oder anderen Stelle daran gibt; denn es rückt Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe zwei Wün- das Eigentum und das Eigentumsrecht weiter in die Öf- sche nach Kurzinterventionen. Einmal ist das Stefan fentlichkeit und lässt mehr Menschen über diesen Schritt Liebich, Fraktion Die Linke, und dann Sven Lehmann, nachdenken. Bündnis 90/Die Grünen. Die Betonung liegt auf „kurz“. Meine Damen und Herren, wenn wir schon bei gu- (DIE LINKE): ten Maßnahmen der Bundesregierung sind: Auch die Stefan Liebich aktuelle Niedrigzinsphase hilft bei der Finanzierung von Herr Hirte, Sie haben gesagt, ich solle Ihnen zuhören; Wohnungseigentum. Das sollte man in diesem Zusam- dann würde ich noch was lernen. menhang nicht unterschlagen. (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Verste- Wenn ich von schöneren Wohnungen spreche, die man hen muss man auch noch!) bekommen können soll, dann muss ich doch noch mal Ich habe jetzt zugehört. Es bleiben trotzdem noch ziem- auf Ihren Antrag zurückkommen. Sie beklagen an eini- lich viele Fragen ofen. (B) gen Stellen, dass die Menschen „herausmodernisiert“ (D) werden. Das ist an einigen Orten durchaus richtig. Ich Sie beschreiben hier eine Welt, in der ich wirklich sage es noch mal – der Kollege Luczak hat es ja schon nicht leben möchte. Sie sagen: Es ist völlig normal, dass im Zwischenruf deutlich gesagt –: Deshalb haben wir in sich Leute mit nicht so hohem Einkommen Wohnungen den Koalitionsvertrag Maßnahmen zu diesem Punkt hi­ in der Innenstadt nicht mehr leisten können. In meinem neinverhandelt. Wahlkreis, Prenzlauer Berg, ist die Bevölkerung seit 1990 komplett ausgetauscht worden. (Ulli Nissen [SPD]: Sie haben hineinverhan- delt? Das war die SPD!) (Lachen bei Abgeordneten der AfD) Da wird also etwas passieren. Früher haben dort Arbeiter gewohnt, Studenten gewohnt. Niemand von denen kann sich heute dort noch die Miete Was mir aber gar nicht gefällt, ist der Unterton, den leisten, und Sie sagen, dass diese Leute den Regionalex- wir in Ihrem Antrag an der einen oder anderen Stelle press nehmen und nach Brandenburg rausfahren sollen. herauslesen können, dass nämlich Vermieter lediglich geldgierige, herzlose Finanzinvestoren von den Cayman Was ist denn das für eine Welt! In den Städten nur Islands sind. noch die Reichen und Schönen, und die, die nicht mehr so viel Geld haben, wohnen halt am Stadtrand oder ganz (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Pfui!) woanders. Das ist eine Welt, in der ich nicht leben möch- Denn zumindest in meiner Heimatstadt besagt die Statis- te, und wir werden dagegen kämpfen. tik etwas ganz anderes: 66 Prozent der Mietwohnungen (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem sind in der Hand von Privatpersonen, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Genau!) 18 Prozent in der Hand öfentlicher Wohnungsunterneh- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: men. Nur bei 14 Prozent sind es privatwirtschaftliche Wollen wir erst noch den Kollegen Lehmann nehmen? Wohnungsunternehmen. Selbst wenn Letztere ihre Mie- Herr Hirte, dann können Sie auf beide Kurzinterventio- ter auspressen sollten, dann sind die anderen 86 Prozent nen zusammen erwidern. – Sven Lehmann, bitte schön. noch ordentliche Vermieter, und auch daran müssen wir denken. Sven Lehmann (Bündnis 90/Die Grünen): (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Herr Kollege Dr. Hirte, Sie haben mehrfach in Ihrer ordneten der FDP) Rede das Wort „hip“ benutzt und sozusagen suggeriert, 4480 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

Sven Lehmann (A) das Thema „explodierende Mieten“ sei irgendwie so ein Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (C) grünes Wohlfühlthema. Wir kommen beide aus demsel- Vielen Dank. – Der nächste Redner ist für die ben Wahlkreis, nämlich aus dem Kölner Südwesten. Ich FDP-Fraktion der Kollege Hagen Reinhold. möchte das Plenum jetzt nicht langweilen mit Kölner Interna, aber ich sage Ihnen einfach mal informations- (Beifall bei der FDP) halber: Die Kölner Südstadt hat ein ganz großes Problem mit explodierenden Mieten und Verdrängung. Köln- Hagen Reinhold (FDP): Zollstock – das liegt auch in unserem Wahlkreis – hat Schön, dass das so munter losgeht hier bei uns heute! ein sehr großes Problem, weil es einen hohen Anteil von Genossenschaftsbauten gibt und trotzdem explodierende (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Guten Mieten, Sanierung und Verdrängung. Wenn Sie hier sa- Morgen!) gen, das sei irgend so ein grünes Wohlfühlthema, igno- Deshalb möchte ich mir ein paar Sachen herausgreifen, rieren Sie, dass gerade Menschen mit geringem Einkom- die in der Debatte schon gebracht worden sind. men, gerade junge Familien massiv aus den Großstädten verdrängt werden. Es ist nicht in Ordnung, dass Sie das Erst mal: Ein guter Antrag. – In Teilen kann ich Ih- so als Wohlfühlthema hier darstellen. nen da zustimmen, aber wirklich nur in Teilen – ich sage auch gleich, in welchen ganz genau –, zum Beispiel (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wenn es um Bauland geht usw. usf. Bei manchen Teilen und bei der LINKEN) habe ich mich gefragt: Wer hat Ihnen bei diesem Absatz bitte schön die Feder geführt? Das haben Sie, Gott sei Dank, Frau Bayram, jetzt schon erklärt. Das waren ganz Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: ofensichtlich die Mitnahmeefekte vom Häuserkampf Herr Kollege Hirte. in Kreuzberg. Wenn Sie hier zum Beispiel den Kündi- gungsschutz für gemeinnützige Vereine noch auf deren Untermieter ausweiten wollen, einen besonderen Schutz Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): für die Untermieter wollen, dann wissen wir alle, für wen Sie das hier machen, und dann erklärt sich das auch von Zunächst mal: Zuhören wäre gut. Das, was Sie mir in ganz allein. Da ofenbaren Sie, für wen Sie hier kämpfen. den Mund gelegt haben, habe ich nicht gesagt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Widerspruch bei der LINKEN) der CDU/CSU – Canan Bayram [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Für wen denn sonst? (B) – Das müssen wir dann schon mal klarstellen. Ich habe Das ist repräsentative Demokratie! Ich vertre- (D) nicht gesagt, dass mir die Mieter in Berlin und in Köln te meinen Wahlkreis!) nicht am Herzen liegen. Sie liegen mir sehr am Herzen. – Entspannt, entspannt! (Niema Movassat [DIE LINKE]: Das hat man Ich fange mal mit den guten Sachen an. Bauland wol- aber in Ihrer Rede nicht gemerkt!) len Sie aktivieren. Da müsste noch viel mehr in Ihrem Antrag stehen. Da sind wir sehr dafür. Weisen wir Bau- Ich habe auch nicht zweimal von „hip“ gesprochen. land aus! Stocken wir da auf! Aktivieren wir Brachfä- Das haben Sie falsch verstanden. Aber das ist vielleicht chen! eine Überinterpretation durch Sie. (Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Lassen Sie es mich ganz deutlich sagen: Sie sehen nur NEN]: Keine Brachfächen!) auf eine Gruppe; das sind diejenigen, die im Bestand drin sind. Wir schauen auch auf diejenigen, die noch Wohn- Da bin ich bei Ihnen; alles gut. raum haben wollen; das sind insbesondere junge Fami- Mietpreisbremse nicht für die Erstvermietung; so lien. schreiben Sie. Gratulation! Da sind Sie schlauer als viele andere hier im Plenum. Da bin ich bei Ihnen. Lieber Kollege Lehmann, wir haben vor wenigen Ta- gen in Köln genau zu diesem Thema zusammengesessen. Auch die Frist für die Geltendmachung von Härtefäl- Pfarrer Mörtter hat auf meine Nachfrage, wie die Miet- len bei der Modernisierungsumlage – dafür haben Sie preisbremse wirkt, genau das gesagt, was ich hier gesagt meine Sympathie. habe: Sie wirkt nicht für die Zielgruppe, die uns auch am Aber ein paar Sachen sind dabei, da muss ich mich Herzen liegt, nämlich für diejenigen, die sich nicht den wirklich fragen, was hier passiert ist. Sie wollen eine Anwalt leisten und als Erstes Prozesse führen können, enger gefasste Mietpreisbremse, bei den Betriebskosten um dann eine billigere Miete zu bekommen. Wir wol- zum Beispiel. Ja, sorry! Wir wissen alle, die Betriebskos- len billigeren Wohnraum für alle, und daran arbeiten wir ten sind eine zweite Miete. Aber warum denn? Das sind auch in dieser Koalition. doch zum größten Teil die grün-getriebenen Strom- und Wärme- und Energiewenden der letzten Zeit gewesen, Vielen Dank. mit EEG-Umlagen noch und nöcher. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Johannes (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Fechner [SPD]: Da sind wir aber gespannt!) der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4481

Hagen Reinhold (A) Sorgen Sie doch dafür, dass die Betriebskosten billiger Da wäre ich sehr erfreut. Ich hätte noch einige andere (C) werden! Helfen Sie uns dabei, und begrenzen Sie sie Sachen parat. nicht! So ein Schwachsinn! Ehrlich! Ich freue mich auf die Debatte. Die guten Ansätze (Beifall bei Abgeordneten der FDP) übernehmen wir, bei den schlechten müssen wir Ihnen leider noch ein bisschen zeigen, wie es geht. Der Mietspiegel. Da bin ich sehr dabei. Meine Herren von der Union, da bin ich dankbar, dass auch Sie hier Danke. vorn gerade noch mal ofenbart haben: So richtig rechts- sicher ist das nicht. (Beifall bei der FDP) Bevor Frau Nissen wieder von anfängt, ma- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: che ich es: Oma Else in Frankfurt hat zwei Wohnungen und vermietet sie; das macht sie zu Recht. Wir verpfichten Der nächste Redner ist der Kollege Ulli Nissen für die sie mit der Mietpreisbremse in angespannten Wohnungs- SPD-Fraktion. märkten dazu, den Mietspiegel anzuwenden. Der Miet- (Zuruf von der SPD: Die Kollegin Ulli spiegel – Sie ofenbaren es in Ihrem Koalitionsvertrag – Nissen!) ist nicht rechtssicher. Dann können wir nicht per Gesetz Leute dazu verpfichten, diesen Mietspiegel anzuwenden. – Oh, Entschuldigung, die Kollegin Ulli Nissen! Ich bitte Deshalb ist da dringend Handlungsbedarf. Schade, dass um Nachsicht, Frau Kollegin. Das passiert nicht mehr. Sie die Mietpreisbremse hier nicht sogar aussetzen! Das wäre nämlich konsequent; denn Sie sagen: Die Grundlage Ulli Nissen (SPD): ist nicht mal rechtssicher. – So sieht es nämlich aus. Wir haben doch schon zusammen Präsidium gemacht, (Beifall bei der FDP) Herr Kollege. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kol- leginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute ein The- Die Absenkung der Modernisierungsumlage. Ich ma, das auch in meinem Frankfurter Wahlkreis eine hohe muss darauf eingehen. Sorry! Was Sie hier alles erzäh- Brisanz besitzt. len! Es gibt durch die Rechtsprechung schon mehr als genug Ausnahmefälle. Wir haben Härtefälle. Da bin ich (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Ach! Im sogar bei Ihnen, wenn Sie sagen: Wir wollen die Frist ersten Satz vertreten!) für die Geltendmachung verlängern. – Aber nehmen Sie Bezahlbares Wohnen hat für uns große Bedeutung. doch mal zur Kenntnis, dass das einen großen Teil, bis zu Ich freue mich, dass beim Koalitionsgespräch am Diens- 30 Prozent, gar nicht betrift. Bei den Profs, auf die Sie tag weitere Verbesserungen über den Koalitionsvertrag (B) alle so schimpfen, ist das gut institutionalisiert. Die ma- (D) hinaus erreicht wurden. Zu den bereits beschlossenen chen das in einem schönen Verfahren. Viele Leute, die es 2 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau kom- sich nicht leisten können, müssen die Modernisierungs- men jetzt noch mal 500 Millionen Euro dazu. Großartig umlage gar nicht tragen; sie sind nämlich davon ausge- ist auch, dass für die Städtebauförderung für 2019/2020 nommen. Deshalb macht das keinen Sinn. pro Jahr zusätzlich 50 Millionen Euro zur Verfügung ge- (Ulli Nissen [SPD]: Wo leben Sie denn? Auf stellt werden. 14 Euro pro Quadratmeter wurde erhöht!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) – Bleiben Sie entspannt! – Ich habe es nachgerechnet. Es Eigentumsförderung für Familien ist für mich auch ist ein soziales System, weil diejenigen, die es sich leis- ein Bestandteil des Wohnens. Ich bin Berichterstatterin ten können, die Modernisierungsumlage zahlen, und die- für das Baukindergeld und bin froh, dass am Dienstag in jenigen, die es sich nicht leisten können, sie nicht zahlen, der Koa-Runde beschlossen wurde, wie das Baukinder- weil sie Härtefälle sind. Wenn Sie meinen, dieses soziale geld kommt. Es gilt der Förderzeitraum vom 1. Januar System abschafen oder konterkarieren zu wollen, ist das 2018 bis zum 31. Dezember 2020, und es gibt keine De- doch der größte Fehler, den Sie machen können. ckelung der erlaubten Wohnungsgröße; das war für mich (Beifall bei der FDP) sehr wichtig. Wer glaubt, dass das sozial ist, der glaubt auch, dass (Beifall der Abg. Dr. Johannes Fechner [SPD] Merkel und Seehofer bereits zum Brüderkuss ansetzen. und Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]) (Ulli Nissen [SPD]: Das glauben wir nicht!) Pro Kind werden über einen Zeitraum von zehn Jah- ren jährlich jeweils 1 200 Euro gezahlt, also insgesamt Das ist der falsche Weg. Es tut mir leid, aber das muss 12 000 Euro. Das erleichtert jungen Familien das Bauen. ich ablehnen. Aber Voraussetzung ist, dass das zu versteuernde Ein- Jetzt blinkt das Signal für meine Redezeit. Stellen Sie kommen nicht über 75 000 Euro liegt. Deshalb gilt es doch bitte eine Zwischenfrage, Frau Nissen, damit ich nicht für den Zahnarzt in Bayern. weitermachen kann. Neben der Eigentumsförderung müssen wir dringend (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der die Situation der Mieter und Mieterinnen verbessern. FDP – Ulli Nissen [SPD]: Nee, bestimmt Erst mal will ich an etwas erinnern, was wir in der letzten nicht! Ich mache nur Zwischenrufe fürs Pro- Legislaturperiode umgesetzt haben – es wird häufg ver- tokoll!) gessen. Wir haben beschlossen: Wer den Makler bestellt, 4482 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

Ulli Nissen (A) muss ihn auch bezahlen. – Ich fnde das nach wie vor sagen: Wenn bei mir Modernisierungen vorgenommen (C) großartig. Das ist eine riesige Entlastung für Mieterinnen werden, werde ich diese Kosten nicht auf meine Mieter und Mieter. umlegen, weil ich etwas davon habe; es ist eine Wertver- besserung meiner Wohnung. Ich mache es anders. (Beifall des Abg. Dr. Johannes Fechner [SPD]) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Jetzt, zu Beginn der neuen Koalition, hat unsere Mi- Liebe Kollegen von den Grünen, in Ihrem Antrag for- nisterin zum Mietrecht einen aus meiner Sicht sehr gu- dern Sie auch einen verbesserten Kündigungsschutz. Sie ten Gesetzentwurf vorgelegt. Die Mietpreisbremse wol- sind seit fünf Jahren mit der CDU in Hessen in einer Ko- len wir schärfer stellen. Der Vermieter muss künftig die alition, und dort gilt leider immer noch die Kündigungs- Vormiete angeben, und es soll leichter sein, zu viel ge- sperrfrist von fünf Jahren – wie vorher unter CDU und zahlte Miete zurückzubekommen. Nur, wer seine Rechte FDP . Warum haben Sie das nicht geändert? Wenn die kennt, Herr Luczak, kann sie auch nutzen. Deshalb bin SPD drankommt, werden wir das ändern. Wir werden die ich dafür, dass Mieterinnen und Mieter besser über ihre Frist wieder auf zehn Jahre erhöhen. Rechte informiert werden. Dies kann zum Beispiel durch ein Beiblatt zum Mietvertrag, aber auch – das müssen (Beifall bei der SPD) wir machen – durch zusätzliche Informationskampagnen Liebe Kolleginnen und Kollegen – ich spreche jetzt passieren. insbesondere die Kollegen von CDU und CSU an –: (Beifall der Abg. Marianne Schieder [SPD]) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Persönlich bin ich dafür, dass auch möblierte Wohnun- Aber nur sehr kurz. gen unter die Mietpreisbremse fallen. Dem Missbrauch in diesem Bereich sollten wir einen Riegel vorschieben. Ganz wichtig ist auch – es wurde angesprochen –, dass Ulli Nissen (SPD): Modernisierungskosten künftig gedeckelt werden, bei Wir haben nach gut 100 Tagen Regierungszeit viel Gu- maximal 3 Euro pro Quadratmeter innerhalb von sechs tes für die Menschen auf den Weg gebracht, insbesondere Jahren. So werden künftig wohl nur noch sinnvolle und im Hinblick auf bezahlbares Wohnen. Die Menschen in wirtschaftliche Modernisierungsmaßnahmen vorgenom- Deutschland warten darauf, dass wir das für sie umset- men. zen. Lassen Sie die Menschen nicht im Stich! Raufen Sie sich zusammen! Lassen Sie uns gemeinsam weiter Gutes (Beifall bei der SPD) für die Bürgerinnen und Bürger tun! Die Grünen fordern in ihrem Antrag viele Dinge. Aber Herzlichen Dank. (B) ich frage mich: Warum machen Sie das nicht auch dort, (D) wo Sie vor Ort verantwortlich sind? Ich erinnere mich (Beifall bei der SPD sowie des Abg. gut daran, wie die Frankfurter Grünen die Mietpreis- Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]) bremse bei der städtischen Wohnungsbaugesellschaft ABG Frankfurt Holding mit gut 50 000 Wohnungen ab- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: gelehnt haben. Erst, als die SPD in die Stadtregierung Der nächste Redner ist der Kollege Christian Kühn, eintrat, konnte SPD-Oberbürgermeister Peter Feldmann Bündnis 90/Die Grünen. (Zurufe von der CDU/CSU: Aha! – Ingmar (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Jung [CDU/CSU]: 3.03 Minuten!)

umsetzen, dass die Mieten nur noch um 1 Prozent pro Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE Jahr angehoben werden können. GRÜNEN): (Beifall der Abg. Sonja Amalie Stefen Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr [SPD]) Präsident! Ulli Nissen, ich glaube, ich bin im falschen Film. So eine Mietpreisbremse will die hessische SPD – mit Thorsten Schäfer-Gümbel an der Spitze – nach Regie- (Ulli Nissen [SPD]: Das glaube ich nicht!) rungsübernahme auch auf andere Wohnungsbaugesell- Jetzt habe ich verstanden, dass das Baukindergeld auch schaften in Landesbesitz umsetzen. ein SPD-Projekt ist. (Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Ist das hier (Ulli Nissen [SPD]: Ja, logisch!) Landtagswahlkampf?) Jetzt habe ich auch verstanden, warum der Gipfel am Liebe Kolleginnen von den Grünen, das gilt für alle Ein- Dienstagabend die Ergebnisse produziert hat, die er pro- kommensgrenzen, nicht nur für besondere. duziert hat. Die Große Koalition pumpt 9 Milliarden (Beifall bei der SPD – Zurufe vom BÜND- Euro in einen eh schon überhitzten Wohnungsmarkt, und NIS 90/DIE GRÜNEN) dabei hat die SPD – sozusagen nebenbei – 1 Milliarde Euro für den sozialen Wohnungsbau rausgeholt. Aber Ich versuche, selber Vorbild zu sein: Seit 14 Jahren beim Mietrecht habt ihr nichts gemacht. bin ich Vermieterin; ich habe kein einziges Mal eine Be- standsmiete erhöht, und ich habe die Miete bei Neuver- (Ulli Nissen [SPD]: Das kommt noch, lieber mietung nur einmal um 20 Euro erhöht. Ich kann Ihnen Kollege!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4483

Christian Kühn (Tübingen) (A) Ich habe hier in der letzten Sitzungswoche gesagt: Wir brauchen eine Modernisierungsumlage, die nicht (C) Ich will die SPD beim Thema Mietrecht kämpfen se- darauf setzt, dass nach zehn Jahren die nächste Moderni- hen. – Bei diesem Gipfel habt ihr euch nicht hingestellt sierung folgt. Ich meine: Welcher Kollege innerhalb der und gesagt: Das Baukindergeld gibt es nur, wenn es auch Union saniert sein Haus alle zehn Jahre? Das macht nie- Verbesserungen beim Mietrecht gibt. Das habt ihr nicht mand; ein solches Investment gibt es nirgendwo. Deswe- hinbekommen. gen fordern wir eine Begrenzung auf maximal 6 Prozent. Damit haben Sie für 20 Jahre ein Investment abgedeckt. (Ulli Nissen [SPD]: Das wird noch kommen!) Das ist vernünftige Marktwirtschaft. Lassen Sie hier end- Das zeigt ganz klar: Das Mietrecht ist nicht auf der Agen- lich wieder die soziale Marktwirtschaft gelten, statt die- da der SPD. jenigen in den Blick zu nehmen, die mit dem Geschäft „Modernisierung“ am Ende Rendite machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Caren Lay [DIE LINKE]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen zudem eine Mietbegrenzung für den Der Referentenentwurf von Frau Barley vergammelt im- Bestand. Wir fordern eine maximale Steigerung der Mie- mer noch im Ministerium. Das ist ein mietenpolitischer ten von 10 Prozent in drei Jahren und nicht um 15 Pro- Skandal. Und das hat nichts mit der CDU zu tun, sondern zent, wie es im Augenblick im Gesetz steht. Wenn wir nur mit dem Willen der SPD, in dieser Frage Härte zu den Bestand nicht berücksichtigen, sondern immer nur zeigen. die Nebelkerze Neubau zünden, wird das nicht gelingen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Der Neubau in Deutschland macht 0,6 Prozent aus. Da- und bei der CDU/CSU – Ulli Nissen [SPD]: mit erreichen Sie gar nichts bei den derzeitigen massiven Unfug!) Mietsteigerungen. Die SPD lässt sich, wie in der letzten Wahlperiode, bei (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Wir der Mietenthematik über den Tisch ziehen. wollen ja auch mehr Neubau!) Herr Luczak, dass Sie an dieser Stelle lachen, kann Deswegen braucht es regulierende Instrumente im Miet- ich überhaupt nicht verstehen. Sie bremsen jede Verbes- recht. serung für die Mieterinnen und Mieter mittlerweile seit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) über fünf Jahren aus. Dass Sie hier bei jeder Rede den Mieterschutz betonen und Krokodilstränen vergießen, ist Ich fnde es, ehrlich gesagt, total traurig, dass gestan- wirklich unerträglich. dene Juristen hier nicht in der Lage sind, auf unseren An- (B) trag im Detail einzugehen; (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie der Abg. Cansel (Zuruf des Abg. Dr. Heribert Hirte [CDU/ Kiziltepe [SPD]) CSU]) denn im Detail, Herr Hirte, muss man konkret werden. Wenn Sie nicht zusammen klarkommen: Meine Kolle- Das werden Sie als CDU in dieser Frage leider nie. Sie gin Canan Bayram und ich haben ein bisschen Expertise halten hier nur Ihre Schönwetterreden. beim Mediationsverfahren. Vielleicht nehmen Sie uns einfach mal mit dazu, und dann reden wir miteinander. (Beifall der Abg. Katharina Dröge [BÜND- Dabei kommt vielleicht auch etwas für die Mieterinnen NIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Heribert Hirte und Mieter in Deutschland heraus. [CDU/CSU]: Schreiben Sie mal eine vernünf- tige Begründung!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das reicht einfach nicht aus für eine vernünftige Mieten- Wir brauchen eine Neujustierung des Mietrechts, politik und schon gar nicht, um den Mietenwahnsinn in und zwar eine soziale Neujustierung, weil die Mieten Deutschland zu bremsen. in Deutschland insgesamt zwischen 2012 und 2016 um 15 Prozent gestiegen sind und sich der Anstieg weiter er- Danke schön. höht hat. Das merken die Menschen, und sie haben Angst (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor Verdrängung. Deswegen braucht es eine Neujustie- und bei der LINKEN) rung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Und diese Neujustierung wird nur gelingen, wenn wir Für die CDU/CSU-Fraktion hat als Nächster das Wort eine funktionierende Mietpreisbremse haben. Die Nebel- der Kollege Michael Kießling. kerze Neubau funktioniert nicht beim Bestand; nur die (Beifall bei der CDU/CSU) Mietpreisbremse funktioniert beim Bestand. Ich sage Ih- nen eines: Unser Vorschlag bringt in Ihrem Wahlkreis, Michael Kießling (CDU/CSU): Herr Luczak, 29 Euro pro Monat Ersparnis. Das werden wir Ihnen vor Ort unter die Nase reiben. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Also, wir haben hier schon einiges (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN über Bayern gehört: über den bayerischen Zahnarzt und sowie der Abg. Caren Lay [DIE LINKE]) den Bayerischen Wald. Aber eines muss ich schon sagen, 4484 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

Michael Kießling (A) Frau Nissen, Frau Lay: Auch bei uns wohnen Leute, und – Ja, jetzt wird es spannend. – (C) auch bei uns gibt es Krankenschwestern, auch auf dem (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/ Land, die Wohnraum benötigen. DIE GRÜNEN]: Ja, wie Sie das machen!) (Beifall bei der CDU/CSU – Ulli Nissen Wir haben ja eine Mietpreisbremse. [SPD]: Da bin ich bei Ihnen, Herr Kießling! Ich habe über das Baukindergeld gespro- (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- chen! – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE NEN]: Die funktioniert aber nicht!) GRÜNEN]: Auf dem Land gibt es auch Wohn- Ein Kollege von der SPD hat vorhin gesagt: Die funktio- raum!) niert. – Ja, sie funktioniert. Wir müssen sie aber trotzdem nachbessern. Natürlich haben wir einen angespannten Wohnungsmarkt in Ballungsgebieten; auch das gibt es in Bayern, um bei (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD]) diesem Beispiel zu bleiben. Deswegen müssen wir als Wir haben uns im Koalitionsvertrag auch darauf geeinigt, verantwortungsvolle Politiker nachhaltig handeln und dass wir das tun. Mit diesem Gesamtpaket, glaube ich, dürfen keinen Schnellschuss machen. können wir den Menschen in Deutschland helfen. Auf eines können wir uns verständigen, darauf, dass Eines, liebe Grüne, muss ich aber sagen: Wenn Sie es keine einfache Lösung gibt, sondern dass wir mehr an- von 860 000 Wohnungslosen sprechen, suggerieren Sie bieten müssen als nur die Mietpreisbremse und den Neu- den Menschen draußen, die sich nicht mit diesem The- bau. Sie haben es angesprochen: Wir brauchen genauso ma beschäftigen, dass diese Menschen kein Dach über eine Städtebauförderung. Wir müssen auch in anderen dem Kopf haben. Das ist nicht der Fall. Wir wissen, dass Bereichen aktiv werden. Genau das machen wir seitens jeder der 860 000 Menschen einer zu viel ist. Aber wir der Koalition. Wir setzen uns für gleiche Lebensbedin- wissen auch, dass seit 2014 die Hälfte davon Fehlbeleger gungen ein, auf dem Land und in der Stadt. Wohnraum zu sind, also anerkannte Flüchtlinge, die in Sammelunter- schafen – das machen wir – gehört auch dazu, weil das künften leben. Dass das kein schöner Zustand ist, ist klar. zur Entlastung des Mietmarkts führt. Aber das gehört zum Thema „Zuwanderung“, das wir mit unserer Politik in den Grif bekommen müssen, und da (Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Das ist eine müssen wir alle zusammenwirken. Da hilft es nicht, sich Vision, obwohl sie aus Bayern kommt!) an skandalösen Zahlen hochzuziehen. Wir müssen an den Fakten arbeiten. Ich fnde, das tut die Koalition ganz gut – Ja, auch wir haben Visionen. Es gab mal jemanden, mit dem, was sie vorhat. der gesagt hat: Wer Visionen hat, muss zum Arzt gehen. (B) Aber manchmal helfen sie, eine Idee zu entwickeln, wo (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – (D) es hingehen soll. Ich glaube, die haben wir sehr gut im Ulli Nissen [SPD]: Wenn Sie das so ma- Koalitionsvertrag niedergelegt. chen! – Marianne Schieder [SPD]: Weiß Herr Seehofer auch davon? – Christian Kühn [Tü- Ja, wir schafen Eigentum für junge Familien. Wir bingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die wollen junge Familien dabei fördern. Reiche Leute, die 15 Prozent sind kein Skandal, sondern das ist sich das leisten können – die Einkommensgrenze liegt die Realität!) bei 75 000 Euro –, sind davon ausgeschlossen. Und wenn Wohnraum durch Eigentum geschafen wird, werden wo- – Natürlich ist das die Realität. Ich sage ja nicht, dass die anders Flächen frei. 860 000 nicht Realität sind. Aber wir haben einen sehr starken Zuwachs bekommen durch die Flüchtlinge, die (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ zu uns gekommen sind und anerkannt sind. Es ist kein DIE GRÜNEN]: Das ist nirgendwo bewie- schöner Zustand, dass sie in Sammelunterkünften leben sen!) müssen, weil wir keinen Wohnraum haben. Aber wir wis- sen, dass diese Sondersituation, die wir seit 2015 haben, So erreichen wir eine Entlastung auf dem Mietwoh- dazu geführt hat, dass wir Wohnraummangel haben und nungsmarkt. Das ist der erste Punkt. sich die ganze Problematik noch einmal verstärkt hat. Der zweite Punkt ist, dass wir den Mietwohnungsbau Noch einmal: Alles, was wir in der Koalition tun, ist, und den sozialen Wohnungsbau fördern. Sie haben von den Wohnungsmarkt zu entlasten und Angebote zu schaf- den Mittelerhöhungen für diesen Bereich gehört, die jetzt fen, und das über alle Gesellschaftsgruppen hinweg. Da auf den Weg gebracht wurden. Auch das ist Bestandteil schaue ich zu den Linken. einer nachhaltigen Wohnungsbaupolitik; das gehört ge- (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nauso gut dazu. Es gehört natürlich auch dazu, dass wir NEN]: Haben Sie eigentlich eine Ahnung, die Mieter schützen; da bin ich bei Ihnen. was eine vierköpfge Familie hier in Berlin für Miete zahlt?) (Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Aber wie denn? – Katharina Dröge – Ja, ich weiß es. Ich habe auch eine vierköpfge Fami- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben lie. Ich wohne in der Nähe von München; ich weiß, was kein Konzept! – Christian Kühn [Tübingen] man da an Miete zahlt. Auch in Starnberg – jetzt sagen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt wird es Sie sicher: Warum Starnberg? Da wohnen doch lauter spannend!) Reiche –, nein, auch dort wohnen Polizisten, Handwerker Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4485

Michael Kießling (A) und Krankenschwestern. Mit dem Einheimischenmodell aufgestockt. Wir werden ein Gebäudeenergiegesetz be- (C) wird dafür gesorgt, dass die einheimische Bevölkerung kommen, das nicht die Mieter bedroht, sondern die Um- vor Ort Wohnraum schafen kann. welt schützt, und wir werden eine neue Bodenpolitik machen, mit der BIMA, aber auch hinsichtlich der Eisen- Alles in allem, denke ich, sind wir gut aufgestellt. Las- bahner-Wohnungsbaugenossenschaften. sen Sie uns noch etwas Zeit, damit wir bei der Mietpreis- bremse – das ist heute unser Thema – in den Ausschüssen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zusammen eine gute Lösung erarbeiten können. Dann der CDU/CSU) sind wir schon einen Schritt weiter. Ob das noch vor der Sommerpause kommt oder erst nach der Sommerpause, Das ist vereinbart, und ich gehe fest davon aus, dass das ist nicht entscheidend. auch so umgesetzt wird. (Ulli Nissen [SPD]: Möglichst schnell!) Ich möchte auch etwas zur Bedeutung von Mietwoh- nungen sagen. Über die Hälfte der Deutschen wohnen in Wichtig ist, dass es möglichst schnell kommt. Ich den- Mietwohnungen. Wir haben hier viel über Eigentumsbil- ke, es ist wichtig, dass wir alle zusammen daran arbeiten. dung geredet; das ist wichtig. Aber Eigentumsbildung (Marianne Schieder [SPD]: Richten Sie das macht keinen Sinn, wenn die Menschen sich das nicht auch Horst Seehofer aus!) leisten können, weil sie zu wenig Einkommen und zu we- nig Eigenkapital haben. Wir dürfen auch nicht vergessen: Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Wir erwarten von den Menschen Flexibilität. Wir erwar- ten, dass sie umziehen, wenn sie den Arbeitsplatz wech- (Ulli Nissen [SPD]: Ich freue mich auf die seln. Diese Flexibilität erfordert einen guten Mietmarkt. gute Zusammenarbeit mit Ihnen!) Nehmen wir mal das Land in Europa als Beispiel, das Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. Wir se- die meisten Mietwohnungen hat. 56 Prozent der Schwei- hen uns dann nächste Woche. zer wohnen in Mietwohnungen. Dort funktioniert das. (Beifall bei der CDU/CSU) Sie haben ein strenges Mietrecht und gleichzeitig eine boomende Volkswirtschaft. Es geht beides zusammen. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Lassen Sie uns also dahin gucken! Ein gutes und starkes Mietrecht geht zusammen mit einer boomenden Volks- Für die SPD-Fraktion hat das Wort der Kollege Klaus wirtschaft. Das ist ein gutes Beispiel, das wir uns noch Mindrup. Er ist der letzte Redner zu diesem Tagesord- sehr genau anschauen werden. nungspunkt. (Beifall bei der SPD) (B) (Beifall bei der SPD) (D) Ich habe hier in der Vergangenheit schon mehrfach Klaus Mindrup (SPD): das Thema „Entmietung“ deutlich angesprochen. Es Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und gibt in meinem Wahlkreis einen absurden Fall. Dort be- Kollegen! Es ist vollkommen klar: Die Wohnungsfrage kommt jemand ständig Modernisierungsankündigungen ist die entscheidende soziale Frage in unserem Land, die und muss die Maßnahmen dulden. Er wehrt sich gegen wir zu lösen haben. die Modernisierungsankündigungen, gewinnt seine Pro- zesse, muss aber gleichzeitig die erhöhte Miete bezah- (Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- len, weil er ansonsten Gefahr läuft, wegen Mietverzugs NEN]: Und dann? Was kommt dann?) gekündigt zu werden. – Das geht nicht. Das werden wir Wir haben im Koalitionsvertrag zwei entscheidende uns angucken müssen; denn das läuft auf Herausmoder- Punkte vereinbart. Es geht darum, bezahlbaren Wohn- nisieren hinaus und muss gestoppt werden. raum neu zu schafen und bezahlbaren Wohnraum zu (Beifall bei der SPD und der LINKEN – sichern. Diese Vorhaben fnden sich ja auch im Titel Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Da sind wir des Antrags der Grünen, den wir jetzt in erster Lesung uns einig!) debattieren. Insofern werden wir zu den Details ja noch kommen. Manchmal höre ich von Eigentümern – gerade im Prenzlauer Berg; das ist ja schon vom Kollegen Liebich Ich gehe fest davon aus, dass nach der Sommerpause angesprochen worden –, dass man mit seinem Eigentum das erste Mietrechtspaket kommt. Wer sich nicht an den machen kann, was man will. Es ist unwürdig, welchen Koalitionsvertrag hält, weiß, was dann kommt. Insofern Umgang wir mit Mieterinnen und Mietern teilweise er- sagen wir ganz eindeutig: Wir werden dann zu ersten leben. Maßnahmen im Mietrecht kommen. Dem möchte ich zwei Punkte entgegensetzen. Erstens. Was kommt auf uns zu? Wir werden das Mietrecht Wir haben eine Sozialklausel im Grundgesetz. In Arti- stärken; das haben wir vereinbart. Wir werden die Miet- kel 14 Absatz 2 Grundgesetz steht: preisbremse schärfen. Wir werden die Modernisierungs- umlage senken und bei 3 Euro kappen. Wir werden das Eigentum verpfichtet. Sein Gebrauch soll zugleich Herausmodernisieren verbieten. Wir werden das Grund- dem Wohl der Allgemeinheit dienen. gesetz ändern – wenn wir dafür eine Mehrheit bekom- Das muss man immer wieder deutlich hervorheben. men –, damit wir weiter in den sozialen Wohnungsbau investieren können; wir haben die Mittel dafür bereits (Beifall bei der LINKEN) 4486 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

Klaus Mindrup (A) Es gibt noch einen zweiten Punkt. Das Bundesverfas- Handeln geschafen werden müssen. Nein, meine Damen (C) sungsgericht hat 1989 entschieden, dass das Besitzrecht und Herren, wir möchten das jetzt tun, damit diese Vor- des Mieters an der gemieteten Wohnung auch Eigentum kehrungen getrofen sind und die Beteiligten sich damit im Sinne des Artikels 14 ist. Es ist also auch von der Ei- vertraut machen. Oftmals funktioniert ja in solchen Situ- gentumsgarantie des Grundgesetzes erfasst. Das beach- ationen gerade das Zusammenspiel nicht. Wenn man das ten wenige. jetzt ordnet, hat man genügend Zeit, um solche Fragen durchzuarbeiten und auf allen Ebenen, die da beteiligt Unsere Aufgabe ist es, beides miteinander ins Lot zu sind – das ist ja sehr vielfältig –, klar zu wissen, wann bringen: die Eigentumsgarantie, die der Eigentümer hat, wer in welcher Weise agiert. Es bedarf einer Änderung und die Eigentumsgarantie des Besitzers. Dafür brauchen des Tiergesundheitsgesetzes und auch des Bundesjagd- wir ein soziales Mietrecht. Da haben wir noch einiges zu gesetzes, um dort die Grundlage für Ermächtigungen zur tun. Der Koalitionsvertrag bietet dafür eine gute Basis. Erweiterung der einschlägigen Verordnungen zu schaf- Ich denke, wir werden liefern. fen. Auch ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. In Ich möchte hier noch einmal betonen: Die ASP ist für der nächsten Woche geht die Arbeit weiter. Danke. den Menschen ungefährlich. Darüber gibt es ja immer (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) wieder Besorgnisse. Aber wie der Name sagt, betrift es die Schweine. Ein Ausbruch der Seuche hätte ganz erheb- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: liche Konsequenzen für die schweinehaltenden Betriebe in der Landwirtschaft und für den gesamten Schweine- Vielen Dank, Herr Kollege. – Ich schließe die Aus- feischsektor inklusive des Exports, und das sollte man sprache zu diesem Tagesordnungspunkt. nicht unterschätzen. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/2976 an die in der Tagesordnung aufge- Der Schaden muss im Fall der Einschleppung so ge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind damit ein- ring wie möglich gehalten werden. Die Einschleppung verstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. wäre insbesondere durch Wildschweine zu erwarten. Was viele hier im Lande nicht wissen, ist: Deutschland Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: hat einen sehr hohen Bestand an Wildschweinen. In den letzten zwei Jagdjahren wurden jeweils 600 000 Wild- Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ schweine geschossen. Trotzdem haben wir weiterhin eine CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge- sehr hohe Population. Übrigens wurden in Deutschland setzes zur Änderung des Tiergesundheitsge- mehr Wildschweine geschossen als in jedem anderen setzes und des Bundesjagdgesetzes (B) EU-Land. Ich sage das, damit man auch darüber einmal (D) Drucksache 19/2977 gesprochen hat. Überweisungsvorschlag: Unsere Maßnahmen setzen da an. Wir beziehen ins- Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) besondere die Erfahrungen in der Tschechischen Repu- Ausschuss für Inneres und Heimat Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz blik mit ein. Hier hat man erst jüngst wieder dazugelernt. Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Deswegen greifen wir auf, was uns von dort berichtet wird. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Es gibt dazu Wir ergänzen die bisherigen Verordnungen zur keinen Widerspruch. Dann ist auch das so beschlossen. Schweinepest und auch die Verordnung über die Jagdzei- ten durch – ich darf das noch kurz referieren – Maßnah- Ich eröfne die Aussprache und erteile das Wort dem men zur Absperrung eines von der zuständigen Behörde Parlamentarischen Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtel. zu bestimmenden Gebietes, zum Beispiel Umzäunungen, Beschränkungen des Personen- und Fahrzeugverkehrs Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär bei der für bestimmte Gebiete, Beschränkungen und Verbote Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft: der Nutzung von landwirtschaftlichen Flächen bis hin Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- zum Ernteverbot, Anordnung einer vermehrten Fall- gen! Es geht um weitere Vorkehrungen gegen die ASP, wildsuche, um die Infektionsmöglichkeiten gesunder die Afrikanische Schweinepest. Die Seuche konnte, Wildschweine zu minimieren, Durchführung verstärkter seitdem sie erstmals 2014 in einigen osteuropäischen Bejagung, auch durch andere Personen als die Jagdaus- Ländern aufgetreten ist, bislang noch nicht ausgerottet übungsberechtigten. Wir wollen mit der Änderung im werden. Bis dato ist aber erreicht worden, dass die ASP Bundesjagdgesetz auch dafür sorgen, dass die Länder von unserem Land ferngehalten wurde. Das möchten wir die Möglichkeit erhalten, aus Gründen der Tierseuchen- weiter sicherstellen. Wir haben bisher aktiv daran gear- bekämpfung ausdrückliche Ausnahmen für die Jagd in beitet. Setz- und Brutzeiten zu bestimmen. Natürlich geht es in all den Fällen auch um Entschädigungsfragen. Es besteht die Gefahr einer Einschleppung; das muss man klar sagen. Für diesen Fall brauchen wir eine Opti- Meine Damen und Herren, seit 2014 hat Deutschland mierung des Instrumentariums. Dieses Instrumentarium sehr viel unternommen. Es gab umfassende Aufklärungs- muss jetzt geschafen werden, damit bei Gefahr efektiv aktionen. Man hat versucht, die Fernfahrer, die mit ih- und ofensiv gehandelt werden kann und kein Zeitverlust ren Lkws durch Deutschland fahren, aufzuklären, dass entsteht, weil erst die notwendigen Grundlagen für das sie vorsichtig sind und nichts wegwerfen usw. Man hat Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4487

Parl. Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtel (A) in einer großen Aktion Erntehelfer informiert. Man hat werden, das heißt der gesamte Bestand. Das gefährdet (C) die Verordnung zum Schweinepest-Monitoring erlassen. Existenzen. Man hat die Schweinepest-Verordnung und die Verord- nung über die Jagdzeiten geändert; hier müssen wir al- (Beifall bei der AfD) lerdings noch einen Schritt weiter gehen. Man hat auch Durch das Gesetz soll eine Erleichterung für die zu- Bund-Länder-Übungen unter Einbeziehung aller Bun- ständigen Behörden im Ernstfall geschafen werden. Die desländer durchgeführt und jüngst erst, vor wenigen Wo- Kosten der Entschädigung, zum Beispiel bei Ernteverbo- chen, eine gemeinsame Übung von Polen und Deutsch- ten für betrofene Landwirte, sind zwar detailliert aufge- land veranlasst. listet, aber nur Deckungsbeiträge werden berücksichtigt. Meine Damen und Herren, mit dieser Gesetzesände- Die variablen Kosten wie für Saatgut und Dünger, die der rung wird die Chance, die ASP zu bekämpfen, weiter Bauer aufgewendet hat, sind nicht gedeckelt. Auch fehlt verbessert. Deswegen bitte ich Sie, dem vorliegenden eine Anpassung an den Markt. Silomais ist in diesem Gesetzentwurf zuzustimmen. Ich wünsche mir gute und Jahr mit 596 Euro pro Hektar berechnet, aber das kann vor allem eilige Beratungen in den nächsten Wochen. im nächsten Jahr schon wieder anders aussehen. Die Ent- schädigung scheint in § 6 Absatz 8 geregelt zu sein. Das Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. klingt beruhigend, das ist aber nur ein Verweis auf lan- (Beifall bei der CDU/CSU) desrechtliche Vorschriften. Die AfD sagt: Die Bekämp- fung der Seuche ist eine nationale Aufgabe. Der Standort sollte nicht zur Existenzfrage für Schweinebauern wer- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: den. Hier ist der Bund gefordert, Standards zu setzen. Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Die nächs- te Rednerin ist die Kollegin Verena Hartmann von der (Beifall bei der AfD) AfD-Fraktion. Die Änderung des Bundesjagdgesetzes sieht eine ver- (Beifall bei der AfD) stärkte Bejagung vor. Es wird davon ausgegangen, dass durchschnittlich acht Ansitze zu je fünf Stunden für die Erlegung eines Wildschweins notwendig sind. Das be- Verena Hartmann (AfD): deutet 40 Stunden pro Wildschwein. Das ist ein immens Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kollegen! Liebe hoher Zeitaufwand, zusätzlich zum jährlichen Abschuss­ Zuschauer! Wir beraten heute den von CDU/CSU und plan. Welcher Jäger hat derartig viel freie Zeit zur Verfü- SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Ände- gung? Da bleiben nur die übrig, die eine schlechte Ehe rung des Tiergesundheitsgesetzes und des Bundesjagd- führen. (B) gesetzes im Kampf gegen die Ausbreitung der Afrikani- (D) schen Schweinepest, kurz: ASP. (Beifall bei der AfD – Marianne Schieder [SPD]: Oh, oh!) Was ist die Afrikanische Schweinepest? Sie ist eine Viruserkrankung, die ausschließlich bei Wild- und Haus- Wir geben als Anregung: Polen gibt dafür Sonderurlaub. schweinen vorkommt und innerhalb von sieben bis zehn Wildschweine sind nachtaktive Wesen. Um das zu be- Tagen zum Tod führt. Es gibt keinen Impfstof; laut wältigen, sollte über die Aufhebung des Nachtjagdverbo- Friedrich-Loefer-Institut dauert das noch fünf Jahre. tes nachgedacht werden. Wie verbreitet sich der Virus? Ursprünglich kommt Uns fehlt es allgemein an Prävention. Es gibt keine der Virus – wie der Name schon sagt – aus Afrika. Über- intensiven Aufklärungskampagnen zur Sensibilisierung, träger war zunächst das Warzenschwein. Zuerst kam der erstens speziell für Landwirte, Forstwirte und Kommu- Virus nach Georgien, dann in den Kaukasus, nach Russ- nen und zweitens allgemein für die Bevölkerung. Es gibt land und ins Baltikum. Nun steht er direkt vor unserer keine Masterpläne, die gemeinsam mit den Kommunen Haustür, nämlich in Polen und Tschechien. Der Virus und den betrofenen Akteuren erarbeitet werden. Ja, es wird über Wildschweine in einer Geschwindigkeit von gibt Verbote der Einfuhr von Schweinefeisch aus Nicht- 25 Kilometern pro Jahr übertragen. Durch den Men- EU-Ländern und betrofenen Ländern Osteuropas. Es schen geschieht das viel schneller, und zwar mit einer gibt Desinfektionskontrollbücher für Tiertransporte. Geschwindigkeit von 90 Kilometern pro Stunde. Damit Aber was nützt dies alles ohne die dafür notwendigen können Tausende Kilometer Strecke überwunden wer- Kontrollen an den Grenzen? den, nämlich auf den Transitstraßen; denn der Virus ist in Essensabfällen, auf Schuhen, auf Kleidung, auf Lebens- (Marianne Schieder [SPD]: Aha!) mitteln und auf Lkw-Reifen. Auf gepökeltem Fleisch hält er sich 182 Tage, auf gefrorenem Fleisch mindestens Die Forderung der AfD ist eine bessere personelle 1 000 Tage. und materielle Ausstattung der Gewerbeaufsicht und der Produktprüfung. Es sollten Hygieneschleusen für Perso- Was bedeutet das für Deutschland? Es hat zwar kei- nen und Fahrzeuge errichtet werden, besonders an den ne gesundheitlichen Auswirkungen auf den Menschen, Grenzen zu Polen und Tschechien. Das wären gezielte aber Wildschweine und Hausschweine sind betrofen Maßnahmen. Auch Autobahnraststätten müssen umge- und damit unsere Bauern. Deutschland ist das Export- hend umzäunt werden. Mülleimer müssen verschlossen land für Schweinefeisch. Im Mai 2018 registrierte das bleiben und abendlich geleert werden. Nur so kann ver- Statistische Bundesamt 23 000 schweinehaltende Betrie- hindert werden, dass Wildschweine sich die Essensreste be. Wenn ein Schwein erkrankt ist, müssen alle getötet holen. 4488 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

Verena Hartmann (A) Zum Schluss möchte ich sagen: Der Gesetzentwurf ist uns als Vorbild und ist Grundlage für die Gesetzesanpas- (C) ein Schritt in die richtige Richtung, bedarf aber dringend sung. Man muss einfach sagen, dass in Tschechien bisher der Nachbesserung in den genannten Punkten. Wir, die noch kein Hausschweinebestand von der Afrikanischen AfD, hofen dabei auf das Beiseiteschieben von Animo- Schweinepest betrofen ist. Das ist gut; deshalb können sitäten und auf eine lösungsorientierte Zusammenarbeit wir uns daran orientieren. Das ist im Grunde auch eine in der Sache. Hier geht es um den bestmöglichen Schutz gute Nachricht für unsere Schweinehalter in Deutsch- vor einer konkreten Gefahr; denn die Seuche kommt land, weil die Afrikanische Schweinepest von dieser Sei- nach Deutschland, es ist nur eine Frage der Zeit. te nicht vorrückt. Danke schön. Ergo, mit einem guten Seuchenmanagement kann man die Afrikanische Schweinepest eindämmen. Dabei geht (Beifall bei der AfD) es zum Beispiel darum, dass die zuständigen Behörden vor Ort die Möglichkeit eingeräumt bekommen, ein be- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: stimmtes Gebiet abzusperren, also einzuzäunen, den Per- Für die SPD-Fraktion hat das Wort die Kollegin Katrin sonen- und Lieferverkehr zu beschränken – das ist immer Budde. unschön; das will keiner, aber in bestimmten Situationen ist das eben einfach nötig –, und die Behörden befugt (Beifall bei der SPD) werden, vermehrt Fallwildsuche, insbesondere bei den Wildschweinen, anzuordnen, damit die gesunden Tiere Katrin Budde (SPD): sich nicht anstecken können. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind Der Gesetzentwurf sieht außerdem vor, dass für be- uns alle darüber einig, dass der Ausbruch der Afrikani- stimmte landwirtschaftliche Flächen ein Nutzungsverbot schen Schweinepest in Deutschland fatale Auswirkungen ausgesprochen wird. Das kann dann auch heißen, dass hätte. Deshalb handeln wir ja auch heute. Wir wissen, eben nicht geerntet werden darf, damit die Wildschweine dass handelsrelevante Drittstaaten, auch so große wie in ihrem Bereich bleiben und nicht von dort wegwandern. China, vermutlich sofort ihre Importe aus Deutschland Wir wissen, dass das mit Entschädigungszahlungen ver- auf Eis legen würden. Das wäre in der Tat nicht nur nicht bunden sein muss, weil es zu wirtschaftlichen Ausfällen lustig, sondern verheerend. Das hätte wirtschaftliche bei den Landwirtinnen und Landwirten führt. Wir wissen Auswirkungen, die der Deutsche Bauernverband auf 2 auch, dass uns der Bundesrat, da das bei den Ländern bis 3 Milliarden Euro jährlich schätzt. Deshalb müssen liegt, schon aufgetragen hat, die Entschädigungszah- wir versuchen, das, was an Bundesgesetzgebung möglich lungen aufzubringen, natürlich in unbestimmter Höhe. ist, den Ländern an die Hand zu geben, um in einer Kri- (B) Wenn das so kommen würde, haben wir den Auftrag, da- (D) sensituation, also bei einem Auftreten der Schweinepest, rüber nachzudenken, ob wir als Bund nicht mit unterstüt- reagieren zu können. zen können. Es wird ganz sicher auch eine Aufgabe mit Was haben wir? Wir haben den Entwurf eines Ände- Blick auf den 2019er-Haushalt sein, darüber zu reden, ob rungsgesetzes, mit dem die Grundlage dafür geschafen wir die Bundesländer dabei unterstützen können. werden soll, dass die Afrikanische Schweinepest einge- Entschädigungszahlungen sind immer richtig und dämmt wird, wenn sie nach Deutschland eingeschleppt immer falsch. Man kann ganz viel darüber diskutieren: würde, also im Krisenfall ein Ausbruch verhindert wird. Welche sind die richtigen Grundlagen? Ist die Höhe in Dann soll die Möglichkeit bestehen, unverzüglich einzu- Bezug auf die Region, die angebaute Sorte und das Jahr greifen. Wenn die Afrikanische Schweinepest plötzlich richtig gegrifen? Da werden wir uns wahrscheinlich nie auftreten würde, bliebe sicherlich keine Zeit mehr, um einig werden. Deshalb, glaube ich, ist die Grundlage, die Gesetze zu ändern. Deshalb haben wir das heute auf der in diesem Gesetzentwurf vorgesehen ist, gut. Tagesordnung. Deshalb ist es gut, wenn wir das zügig beraten. Deshalb ist eine rasche Gesetzesänderung jetzt Wir müssen allerdings unterscheiden: Wir haben auf notwendig. Das ist ein Gebot der Stunde, damit wir auf der einen Seite das Ausbreitungsrisiko – es gibt schon das Szenario bestmöglich vorbereitet sind, ohne Ängste einige Vorschläge, wie man es für den Fall der Fälle ein- zu schüren oder Ängste zu verbreiten. dämmen kann –, und wir haben auf der anderen Seite die Einschleppungsgefahr. Daran kann ein Gesetz nicht viel Die Zahl der Ausbrüche in den osteuropäischen Län- ändern. Die Einschleppungsgefahr besteht weiter. Ja, sie dern ist zwar seit 2014 kontinuierlich gestiegen – zuletzt besteht über den Menschen. Ja, sie besteht über die be- war ein großer Hausschweinebestand im Nordosten von rühmte Wurststulle, die immer wieder angeführt wird. So Polen betrofen –; aber die Afrikanische Schweinepest ist es auch, wenn sie nicht aufgegessen wird. Dem Men- rückt nicht in dem Maße vor, wie wir das noch vor einem schen schadet sie nicht. Aber wenn sie zur Hälfte weg- Jahr gedacht haben. Also gemach und vernünftig mit der geworfen wird, am Wegesrand liegt, dann zufällig von Situation umgehen! Es hat auch seine Gründe, warum einem Schwein gefressen wird und etwas vom Virus auf sie eingedämmt worden ist – der Kollege Staatssekretär sich trägt, dann wäre das natürlich fatal und könnte zu hat schon darauf verwiesen –: Die Tschechen machen ei- einer Ausbreitung führen. Das ist über Lkw-Reifen und nen verdammt guten Job. Sie haben das ausprobiert und Pkw-Reifen möglich; das ist klar. frühzeitig reagiert. Die Änderungsvorschläge, die wir heute vorliegen haben und über die wir hier diskutieren, Es wird in der Tat sehr schwierig werden, die Ein- beruhen auf den Erfahrungen mit der Bekämpfung der schleppungsgefahr einzudämmen; denn wir können – mit Afrikanischen Schweinepest in Tschechien. Das dient Verlaub – nicht auf jeder Autobahn etwas unternehmen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4489

Katrin Budde (A) Aus den alten Zeiten von vor 1989 kenne ich es so – das heitsgesetz zu überprüfen. Aber Ihr Gesetzentwurf geht (C) wird heute auch noch so sein –, dass man, wenn man in hier eindeutig zu weit. einen landwirtschaftlichen Betrieb ging, durch eine Seu- chenmatte gehen musste. Dass wir das für alle Lkws und Erstens. Die bestehende grundsätzlich gute Zusam- alle Pkws auf den Autobahnen an den Grenzen machen menarbeit zwischen den Jägern in Deutschland und den können, halte ich für fraglich. Vermutlich werden wir Behörden wird hiermit aufs Spiel gesetzt. Mit der Schaf- dieses Risiko nur eindämmen können, indem wir auf die fung der Anordnungsbefugnis zur verstärkten Bejagung Vernunft derjenigen setzen, die etwas einführen und in wird das kooperative Miteinander über Bord geworden diesem Sinne Gefährder sein könnten, das Virus einzu- und unnötig durch den Gesetzesbefehl ersetzt. schleppen. (Beifall bei der FDP) Ja, der Virus kann Hunderte Kilometer zurücklegen. Das dürfen wir nicht aus den Augen verlieren, sondern Eines ist nämlich klar: Die Behörden werden von ihren wir müssen unsere Aufmerksamkeit auch auf diesen As- Befugnissen sicher Gebrauch machen, allein schon des- pekt richten. halb, um sich rechtlich abzusichern. Die Afrikanische Schweinepest kann aber nur mit den Jägern und nicht ge- Außerdem bestehen tierschutzrelevante Probleme. Ja, gen die Jäger bekämpft werden. wir wollen das Bundesjagdgesetz ändern. Es sieht vor, dass die Länder die Jagd in Setz- und Brutzeiten aus (Beifall bei der FDP) Gründen des Seuchenschutzes zulassen können. Dabei dürfen wir aber, meine Damen und Herren, nicht außer Zweitens. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Acht lassen, dass auch dies zu tierschutzrelevanten Pro- wird hier missachtet. Ohne Not werden behördliche Be- blemen führt. Ich will das an dieser Stelle nur anmerken; fugnisse geschafen, die nicht nur bei einer ausgebroche- denn diese Probleme sind in der Tat da. Das wird immer nen Seuche, sondern auch für den vorbeugenden Seu- eine Abwägung sein. Denn wenn Bachen geschossen chenschutz, nämlich die präventive stärkere Bejagung werden, sind irgendwo die Frischlinge, wenn es denn von Schwarzwild, gelten. Für den Schutz von Haus- welche gibt, und sie sind dann in der Tat hilfos, werden schweinen spielt der Wildschweinbestand in der jeweili- entweder verhungern oder von Raubtieren aufgefressen. gen Region jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Allen- Deshalb wird es immer eine Abwägung sein, inwieweit falls kann deshalb über die Anordnung einer Bejagung hier ein Risiko besteht. Wenn die Seuche das größere im konkreten Seuchenfall nachgedacht werden. Risiko ist, muss diese Genehmigung erteilt werden. Das müssten dann die Länder machen, aber wir schafen die Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Ermächtigung dafür. (B) Herr Kollege, es gibt eine Zwischenfrage aus Ihrer (D) Es geht also immer um eine Abwägung zwischen der Fraktion. Lassen Sie die zu? Lockerung des Bundesjagdgesetzes und den tierschutz- relevanten Problemen. Ich bin davon überzeugt, dass so- (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Nein, nicht aus wohl die Länder als auch die Jägerinnen und Jäger damit der FDP! – Zuruf von der SPD: Längere Re- sehr vernünftig umgehen werden. dezeit! – Stef Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht aus der eigenen Fraktion! Lassen Sie uns keine Zeit verlieren und die vorgeleg- Wo sind wir denn hier! Herr Präsident, wirk- ten Gesetzesänderungen rasch verabschieden, damit wir lich! Es wird immer peinlicher! Sylvia Kot- im Fall der Fälle – auch wenn wir alle hofen, dass ein ting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Seuchenfall nicht eintreten wird – efektiv und schnell geht doch nicht!) handeln können. Die Tschechen machen es uns mit ei- nem guten Seuchenmanagement vor. Wenn die Behör- den vor Ort über das richtige Instrumentarium verfügen, Karlheinz Busen (FDP): sind wir schon einen Schritt weiter. Ich jedenfalls weiß: Das war nicht abgesprochen. Wenn ich im Sommer in Tschechien im Urlaub bin, kann ich ungefährdet mein Picknickkörbchen packen. Darauf freue ich mich. Ich wünsche uns eine gute Beratung des Dr. Gero Clemens Hocker (FDP): Gesetzentwurfes. Vielen Dank, Herr Kollege Busen, dass Sie meine Zwischenfrage zulassen. – Ich kann die Erheiterung (Beifall bei der SPD) gleich zerstreuen; denn ich hätte von dem Kollegen ­Busen gerne einen Kommentar zu einer Aussage der Kol- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: legin Hartmann, die eben gesprochen hat und erklärt hat, Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Karlheinz dass es durchschnittlich acht Ansitze zu je fünf Stunden ­Busen das Wort. dauern würde, um ein Stück Schwarzwild zu schießen. Ich frage den passionierten Jäger Karlheinz Busen, ob er (Beifall bei der FDP) das tatsächlich für eine realistische Größenordnung hält. Vielen Dank. Karlheinz Busen (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist rich- (Marianne Schieder [SPD]: Das verlängert tig und wichtig, die nationalen Regeln zum Tiergesund- die Redezeit!) 4490 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

(A) Karlheinz Busen (FDP): Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (C) Wenn das so lange dauern würde, könnten wir keine Für die Fraktion Die Linke hat das Wort die Kollegin 600 000 Schweine schießen. Ich würde die Kollegin aber Amira Mohamed Ali. gerne einmal mit auf den Ansitz nehmen und ihr zeigen, (Beifall bei der LINKEN) wie das funktioniert.

(Beifall bei der FDP – Stef Lemke [BÜND- Amira Mohamed Ali (DIE LINKE): NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glauben wir aufs Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kol- Wort! – Stephan Brandner [AfD]: Hört! Hört!) legen! Liebe Gäste! Wir diskutieren heute über die Ge- fahr des Ausbruchs der Afrikanischen Schweinepest in Drittens müssen Entschädigungsansprüche auch für Deutschland und darüber, was zu tun ist, wenn dieser Fall Jagdausübungsberechtigte gelten. Besonders wenn ein eintritt. Diese Krankheit ist für Menschen ungefährlich. Ruhen der Jagd angeordnet wird, muss entweder der Ausschließlich Haus- und Wildschweine können daran Wildschadensersatz gegenüber den Geschädigten aus- erkranken. Für sie ist die Krankheit aber extrem gefähr- geschlossen oder den Jagdausübungsberechtigten ein lich. 90 Prozent der infzierten Tiere sterben daran. eigener Schadensersatzanspruch gegeben werden. Die Jagdausübungsberechtigten auf ihren Kosten sitzen zu Das Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit lassen, geht eindeutig zu weit. Hier muss der Gesetzent- hält den Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest in wurf noch geändert werden. Deutschland für sehr wahrscheinlich. Um es vorwegzu- sagen: Meine Fraktion hält die Maßnahmen in dem heute Es geht hier aber nicht nur um das Tiergesundheits- diskutierten Gesetzentwurf durchaus für sinnvoll. gesetz, sondern auch um das Bundesjagdgesetz. Wir (Beifall bei der LINKEN) brauchen auch Änderungen im Munitionsrecht, und für die Ausbildung brauchen wir bundeseinheitliche Regeln. Sie lösen aber nicht das Grundproblem, das sich hier wie- Die große Jagdrechtsnovelle, die Herr Seehofer 2016 der einmal besonders deutlich zeigt: Die Agrarindustrie verhindert hat, könnte hier beschlossen werden. in Deutschland ist ein Hochrisikosystem mit Hochrisiko- strukturen. Dieses System muss dringend und grundsätz- Daneben gibt es noch ein riesiges Problem. Jetzt lich geändert werden. kommt ein Satz, der nicht von mir stammt: Den Wolf (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. brauchen wir nicht. – Dieser Satz stammt vom grünen Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Umweltstaatssekretär aus Baden-Württemberg. Dass die NEN]) vielen grünen Wolfsromantiker das nicht hören wollen, (B) ist mir klar. Wenn die Afrikanische Schweinepest Deutschland (D) erreicht, werden Hunderttausende Tiere sterben müssen (Stef Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und entsteht ein riesiger volkswirtschaftlicher Scha- NEN]: Brauchen wir auch nicht! Man nennt den. Wir erinnern uns: Beim Ausbruch der klassischen das aber Naturschutz!) Schweinepest in den 1990er-Jahren mussten allein in Niedersachsen, wo ich lebe, über 2 Millionen Tiere ge- Wie in den meisten anderen Politikfeldern sind von Ihrer keult werden. Furchtbar war das! Hat diese Katastrophe Seite kaum Problemlösungen zu erwarten. zu einem Umdenken in der Agrarpolitik geführt? Nein! Im Gegenteil: Im Vergleich zu den 90er-Jahren haben wir (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten heute mehr Megaställe mit Zehntausenden von Schwei- der AfD – Stef Lemke [BÜNDNIS 90/DIE nen, gedrängt auf dichtestem Raum. Erreicht die Afrika- GRÜNEN]: Man kann ihn nicht ; das ist nische Schweinepest Deutschland, werden die Folgen richtig!) noch verheerender sein, zumal der Erreger noch gefähr- Sie können sich allerdings sicher sein, dass wir Freie licher ist. Man rechnet mit Schäden in Milliardenhöhe. Demokraten im Rahmen der Ausschussberatung zumin- Die Krankheitserreger der Afrikanischen Schweinepest dest die Aufnahme des Wolfes und weiterer problema- werden vor allem über kontaminierte Rohwurstwaren tischer Tierarten ins Jagdrecht beantragen werden. Der eingeschleppt; das wurde heute schon gesagt. Laut dem Überweisung werden wir zustimmen. Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit reicht es aus, wenn zum Beispiel ein Transit-Lkw-Fahrer verse- Danke. hentlich ein Wurstbrot auf dem Rastplatz liegen lässt, ein Wildschwein fndet es und frisst es auf. Damit ist der (Beifall bei der FDP – Stef Lemke [BÜND- Krankheitserreger im Land. So einfach kann das gesche- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir brauchen üb- hen. rigens auch keine Mücken, Herr Kollege! Darauf können wir auch verzichten! So eine Wie schnell sich die Krankheit dann ausbreitet, hängt blöde Argumentation! – Gegenruf des Abg. von der Populationsdichte der Wildschweine ab, die Stephan Brandner [AfD]: Damit kennen Sie sich gegenseitig anstecken. Die Wildschweinpopulation sich ja aus, Frau Kollegin! Das ist ja Ihr Stan- in Deutschland ist so hoch wie nie zuvor. Die Pest wird dardrepertoire! – Gegenruf der Abg. Stef sich also schnell verbreiten. Die Linke hat immer wieder Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit darauf hingewiesen, dass die Monokulturen, besonders Mücken kenne ich mich aus, ja!) beim Mais, für die Überpopulation der Wildschweine Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4491

Amira Mohamed Ali (A) verantwortlich sind. Die Schweine bekommen dadurch Friedrich Ostendorf (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) viel Futter, sie können sich gut verstecken. Die Mono- NEN): kulturen sind verheerend für unsere Böden, unsere Insek- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ten, allen voran unsere Bienen. Sie haben eben auch zur ist richtig, dass die Bundesregierung versucht, konkrete Folge, dass die Wildschweinpopulation aus den Fugen Maßnahmen zu ergreifen, um den Ausbruch der Afrika- geraten ist. nischen Schweinepest in Deutschland zu erschweren. Die Seuche, über die wir heute reden, bedroht uns Doch gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht, nicht seit gestern. Die Linke weist seit vielen Jahren da- liebe Kolleginnen und Kollegen. Zu Recht bemängeln rauf hin, dass sie auf dem Weg zu uns ist. Inzwischen hat die Jäger, dass die erweiterten Behördenermächtigungen sie unsere Nachbarländer Polen und Tschechien erreicht. sehr weit gefasst sind. Wurden denn die Verbände der Jagd bei der Erstellung dieser Gesetzesnovelle überhaupt Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: einbezogen? Auf wen hören Sie denn eigentlich bei der Erstellung? Wir Grüne fordern Sie auf: Binden Sie die Frau Kollegin, möchten Sie eine Zwischenfrage von Jäger als Fachleute bitte mit ein. dem Kollegen Röring zulassen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Karlheinz Busen [FDP]) Amira Mohamed Ali (DIE LINKE): Ich glaube, heute mal nicht. Zwei wichtige Punkte werden aus unserer Sicht nicht deutlich genug gefasst. Erstens. Ab wann gelten die er- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) weiterten Befugnisse und Ermächtigungen genau? Wer genau legt sie eigentlich fest? Wie viel Ermessensspiel- Wenn die Seuche nun Deutschland erreicht, müssten raum gibt es hier? Ist es denn vorstellbar, dass der eine die Wildschweine fächendeckend geschossen werden, Kreis das so handhabt und der andere Kreis anders? Wie natürlich auch die gesunden Tiere, um eine weitere Aus- wollen Sie das ausschließen? breitung zu verhindern. Alle Tiere im jeweiligen Wald- gebiet – das sind riesige Flächen – müssen dann getötet Zweitens. Welche anderen Personen können mit der werden. Was für ein grauenvolles Szenario! Ergreifen Jagd beauftragt werden? Wenn nicht nur die Jäger, wer Sie endlich die efektiven Maßnahmen zur Reduktion denn dann noch? Die paar Berufsjäger kann man sich da des Wildschweinbestandes, wie Die Linke sie seit Jahren noch vorstellen, okay. Aber das ist doch ein Tropfen auf fordert, Kolleginnen und Kollegen von der Bundesregie- den heißen Stein. Wer soll das denn noch sein? Sie müs- rung. sen hier konkretisieren und sagen, wer berechtigt sein (B) soll, hier tätig zu werden. Das verlangen wir. Wenn diese (D) (Beifall bei der LINKEN) Fragen nicht eindeutig geklärt werden, gibt es willkür- liche Entscheidungen. Es wird Zuständigkeitskonfikte, Was ist mit den Hausschweinen in den Ställen? In Durcheinander und massiven Vertrauensverlust geben. den Restriktionsgebieten werden auch sie alle vorsorg- Deshalb: Bessern Sie jetzt nach! Schafen Sie Klarheit! lich getötet werden, ob sie krank sind oder nicht. Ich möchte nicht in der Haut der Amtstierärzte stecken, die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) anordnen müssen, dass ein Stall mit 60 000 Schweinen aus Sicherheitsgründen komplett geräumt werden muss. So viel Sorgfalt, meine Damen und Herren, muss sein, Entsetzlich! Zehntausende, Hunderttausende Tiere müs- auch wenn die Zeit drängt. sen getötet werden, weil so viele Tiere an einem Standort Anfang dieses Monats gab es leider wieder einen neu- gehalten werden. Durch dieses Hochrisikosystem drohen en Fall der Afrikanischen Schweinepest im Nordosten horrende volkswirtschaftliche Schäden. Das ist ethisch Polens. Was uns alle aufhorchen ließ, ist, dass der betrof- nicht zu verantworten. Von diesem System müssen wir fene Bestand ein großer Akteur im Markt ist und schein- uns verabschieden. bar über modernste Sicherheitsmaßnahmen verfügt. Ein (Beifall bei der LINKEN) Einschleppen des Virus über natürliche Vektoren kann doch in diesem Fall wahrscheinlich ausgeschlossen wer- Setzen Sie endlich die verpfichtenden Maßnahmen den. Wie soll das denn gegangen sein? für eine bessere Tierhaltung um, die Die Linke schon so Damit kommen wir zu dem Punkt, den Sie gerne unter lange fordert. Die Reduzierung der Bestandsdichten wäre den Tisch fallen lassen: Wodurch wird das Virus eigent- ein wichtiger und dringend notwendiger Schritt. lich noch verbreitet? Durch Wildschweine? Doch wohl Vielen Dank. räumlich nur sehr begrenzt. Sind es nicht vor allem die internationalen Handelsströme, die Verkehre, die unab- (Beifall bei der LINKEN) lässig Ferkel und andere Tiere, Futter, Betriebsmittel usw. hin- und herkarren? Sind es nicht die vielen Menschen, die zwischen den Ländern und Betrieben unterwegs sind,

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: denen wir Einschleppung und Verbreitung verdanken? Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort der Kollege Friedrich Ostendorf. Die Viehdichte in den Intensivregionen Europas, vor allem auch Deutschlands – Niedersachsen und Nord- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) rhein-Westfalen –, hat ein kritisches Maß erreicht und oft 4492 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

Friedrich Ostendorf (A) überschritten. Der Seuchenfall wäre in diesen Gebieten Wir haben in Deutschland bisher Glück gehabt; denn (C) natürlich dramatisch. Selbst in der Nutztierstrategie des die Afrikanische Schweinepest ist bisher nicht aufgetre- Ministeriums vom Sommer 2017 wird kritisch ange- ten. Deshalb, Frau Kollegin Ali, sage ich jetzt einmal – – merkt, dass die Risiken in – ich zitiere – „hochverdich- teten Regionen ... für eine perspektivische regionale Di- (Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]: versifzierung der Tierbestände“ sprechen. Mohamed Ali!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Ja, Ali, gerne. Dem können wir aus unserer Sicht nichts hinzufügen. (Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]: Anders- rum! Mohamed Ali ist mein Name!) Aber was sagt eigentlich Ministerin Klöckner dazu? Denn nicht zu leugnen sind drei Punkte. – Frau Kollegin Mohamed Ali, zufrieden? – Okay. Erstens. Die Afrikanische Schweinepest ist ein großes Wir müssen schauen, welche Art der Tierhaltung Risiko – nicht für Verbraucherinnen und Verbraucher, hochrisikoreich ist. Bei uns ist diese Seuche noch nicht aber natürlich für die Produktion. Vor allem ist sie natür- aufgetreten. Schauen wir doch einmal dahin, wo die Seu- lich ein großes Risiko für den Export. che aufgetreten ist, und beurteilen wir dann, was risiko- reich ist und was nicht. Zweitens. Die ASP, die Afrikanische Schweinepest, wird ganz maßgeblich durch menschliche und technische (Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]: Aber Vektoren verbreitet – ein Beiwerk und Begleiter der in- wenn sie kommt, werden die Folgen umso ternationalen Agrarverfechtung. schlimmer sein! Das habe ich gesagt!) Drittens. Die Wildschweinpopulation ist außer Kon- – Ja, gut, dann müssen wir das fachlich einfach noch ver- trolle. Die primären Ursachen dafür sind die seit Jahr- tiefen. zehnten steigenden Stickstofeinträge in die Landschaft mit dem so reichlich gedeckten Futtertisch. – So schreibt (Stef Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- es selbst die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf. NEN]: Ja, bei euch!) Doch anstatt diesen Umstand zu berücksichtigen, ver- Meine Damen und Herren, die Viruserkrankung, die steifen Sie sich auf die einseitige Argumentation, Wild- Seuche befällt ausschließlich Haus- und Wildschweine. schweine müssten dezimiert werden. Das ist kurzsichtig; Sie ist für den Menschen und auch für die Bienen unge- das ist aktionistisch. fährlich. Die Krankheit kann aber sehr leicht durch di- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) rekten Kontakt von infzierten auf nicht infzierte Tiere (B) übertragen werden. Andererseits – das wurde auch an- (D) Dies trift aus unserer Sicht nicht den Kern der Proble- gesprochen – ist die Übertragung der Seuche aber auch matik. Wir müssen aber dem Kern der Problematik auf indirekt, nämlich über den Menschen, über verunreinig- den Grund gehen. Die Industrialisierung der Tierhaltung te Gegenstände, Werkzeuge, Fahrzeuge, Kleidung oder mit einer damit einhergehenden aberwitzigen Konzentra- kontaminierte Lebens- oder Futtermittel, möglich. Die tion ist das Problem, meine Damen und Herren. Inkubationszeit ist kurz; sie beträgt nur vier Tage. Die Reiten Sie diesen toten Gaul nicht weiter, steigen Sie Krankheit führt fast immer zum Tod des Tieres. Der Er- ab! Das raten wir Ihnen zum Wochenende. reger ist hoch widerstandsfähig. In toten Tierkörpern von Wildschweinen, die dann draußen im Wald liegen, bleibt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Virus viele Monate lang vermehrungsfähig. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Darin liegt auch das große Risiko. Die Hauptgefähr- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: dungsquelle sind tatsächlich Wildschweine, weil diese Der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist Tiere Allesfresser sind, weil bereits befallene Tiere über der Kollege Hermann Färber, CDU/CSU-Fraktion. Landesgrenzen hinweg wechseln können und weil Wild- schweine sich sehr rasch vermehren. (Beifall bei der CDU/CSU) Hier müssen wir allerdings unterscheiden. Die Über- tragung über weite Strecken – mehrere Hundert Kilo- Hermann Färber (CDU/CSU): meter – erfolgt weniger durch Wildschweine und mehr Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- durch Menschen, Fahrzeuge, Transport und Wegwerfen ren! Viele Themen wurden in den letzten Reden ange- kontaminierter Lebensmittel. Die Verbreitung vor Ort, sprochen; allerdings verstehe ich die Vorwürfe und die also die Übertragung der Seuche selbst, erfolgt allerdings Aufregung nicht so ganz. Denn dass man diese Themen in der Tat über die Wildschweine, die in dieser Region und Aufgaben jetzt angehen muss, ist doch der Grund da- leben. für, dass die Bundesregierung jetzt diesen Gesetzentwurf einbringt. Man hat den Handlungsbedarf erkannt. Ich bin sicher, dass wir das in diesem Zuge regeln können. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage zu? Herr Kollege Busen, jetzt sage ich einmal von Jäger zu Jäger: Wir werden eine Lösung fnden, mit der sich Landwirte, Jäger und Behörden insgesamt identifzieren Hermann Färber (CDU/CSU): können. Ja, gerne. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4493

(A) Verena Hartmann (AfD): Dabei muss zweifellos die Frage geklärt werden, ob (C) Vielen Dank. – Ich wurde gerade aus den Reihen der Jäger lediglich verendete Tiere suchen und die Geodaten FDP gerügt, weil ich behauptet habe, zur Erlegung eines des Kadavers melden sollen oder ob sie die Tiere auch Wildschweins seien durchschnittlich acht Ansitze zu je aus dem Gelände bergen müssen. Es muss also geklärt fünf Stunden notwendig. Das habe ich allerdings aus Ih- werden, von wem und wohin erlegte oder auch verendete rer Begründung. Es wäre nicht schlecht, wenn man das Tiere zu transportieren sind. Ganze einmal ordentlich lesen würde. Es stammt also Ferner ist zu klären, ob den Tierkörperbeseitigungsbe- nicht von mir, sondern aus Ihrer Begründung. Deshalb hörden bzw. den Veterinärämtern geländetaugliche Fahr- möchte ich fragen: War die Einschätzung des Zeitauf- zeuge und entsprechende Einrichtungen zur Verfügung wands jetzt eine Übertreibung? stehen, aber auch – das ist sehr wichtig –, zu welchem Zeitpunkt welche Maßnahmen angeordnet werden müs- Hermann Färber (CDU/CSU): sen. Sehen Sie, das sind immer Betrachtungen im Ganzen Wir müssen im Seuchenfall schnell und wirkungs- und Durchschnittswerte. Ich empfehle Ihnen: Machen voll handeln können. Die Ausbreitung der Afrikanischen Sie es so wie ich. Machen Sie den Jagdschein; Schweinepest in Deutschland würde neben den tödlichen (Lachen der Abg. Verena Hartmann [AfD]) Auswirkungen für die Tiere auch sehr schwere wirt- schaftliche Schäden nach sich ziehen. gehen Sie auf Ansitz; betreiben Sie die Jagd. Dann wis- sen Sie genau, wie es ist. – Danke schön. Jetzt wende ich mich an Sie von allen Fraktionen: Wir sollten den Gesetzentwurf an die Ausschüsse überwei- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und sen und ihn dort fachlich beraten und uns dabei mit allen der FDP) Argumenten auseinandersetzen. Ich bin sicher, dass wir Meine Damen und Herren, Erfahrungsberichte aus der dann auch eine ordentliche Lösung hinbekommen. Tschechischen Republik haben gezeigt, dass im Seuchen- Herzlichen Dank. fall besondere behördliche Maßnahmen helfen können, die durch das derzeitige Tiergesundheitsgesetz allerdings (Beifall bei der CDU/CSU) nicht abgedeckt sind. Dazu zählen Duftzäune und Ernte- verbote. Bei Einzäunungen muss man nicht zwingend an Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Elektrozäune oder Maschendrahtzäune denken. Es gibt auch Duftzäune, die die Tiere von bestimmten Gebieten Vielen Dank, Herr Kollege Färber. – Ich schließe die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt. (B) abhalten. Notwendig ist ferner eine vermehrte Suche (D) nach den toten Wildschweinen, um die Möglichkeiten Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- der Infektion gesunder Tiere zu minimieren. Weiterhin wurfs auf Drucksache 19/2977 an die in der Tagesord- kann die schon angesprochene reduzierte Schwarzwild- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es population dazu beitragen, zu verhindern, dass sich die anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann Seuche langfristig etabliert. ist die Überweisung so beschlossen. Genau dort setzt der heute vorliegende Gesetzentwurf Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 24 sowie Zu- an. Er soll es den zuständigen Behörden ermöglichen, satzpunkt 12: im Seuchenfall Vorschriften zu erlassen, um die eben genannten Maßnahmen in Kraft zu setzen. Gleichzeitig 24. Beratung des Antrags der Abgeordneten werden darin die Entschädigungsleistungen für den Fall Sebastian Münzenmaier, Christoph Neumann, geregelt, dass die Nutzung von Flächen – sei es für den Verena Hartmann, weiterer Abgeordneter und der Landwirt oder auch für den Jäger – beschränkt oder ver- Fraktion der AfD boten wird. Abschafung der sogenannten Urlaubssteuer Entscheidend für die erfolgreiche Bekämpfung der gemäß § 8 Nummer 1 Buchstabe e des Gewer- Schweinepest ist jedoch – das wurde heute noch nicht besteuergesetzes – Vermeidung von Insolven- so deutlich gesagt – der reibungslose Handlungsablauf zen kleiner Reiseveranstalter zwischen den Behörden, also zwischen allen Akteuren. Jeder Beteiligte muss genau wissen, in welchem Fall er Drucksache 19/2989 was zu tun hat, damit die Seuchenbekämpfung dann auch Überweisungsvorschlag: Hand in Hand ablaufen kann. Finanzausschuss (f) Ausschuss für Tourismus (f) Deshalb ist es besonders wichtig, dass die Entschei- Ausschuss für Inneres und Heimat dungsträger in Ländern und Kommunen bereits im Vor- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz feld Gespräche mit Jägern und mit Landwirten führen, Federführung strittig dass genügend Informationen bereitgestellt werden, dass ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian die entsprechenden Ansprechpartner bekannt gemacht Dürr, Dr. Florian Toncar, Frank Schäfer, weite- werden und dass Übungen durchgeführt werden. Denn rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP nur bei solchen Probeläufen stellt sich heraus, wo noch eine Lücke besteht und wo man noch etwas klären muss, Gewerbesteuerliche Hinzurechnung überprü- damit am Ende wirklich jeder weiß, was er zu tun hat. fen und bei Missständen Abhilfe schafen 4494 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) Drucksache 19/2990 Hohen Haus der deutsche Bürger, meine Damen und (C) Herren. Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) (Beifall bei der AfD – Marianne Schieder Ausschuss für Wirtschaft und Energie [SPD]: Oder vielleicht die Bürgerin!) Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss Noch schlimmer als diese Rechtsunsicherheit und Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für auch unnötige Preissteigerungen ist jedoch die Existenz- die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Es gibt keinen gefährdung unzähliger Firmen. Gerade Reiseveranstal- Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. ter, die traditionell mit sehr geringen Margen arbeiten, stehen massiv unter Druck. Sollte die gegenwärtige Pra- Ich eröfne die Aussprache mit dem ersten Redner. xis der Finanzverwaltung nicht gestoppt werden, drohen Das ist der Kollege Sebastian Münzenmaier von der nach Einschätzung des Deutschen ReiseVerbands Steu- AfD-Fraktion. ernachforderungen von mehr als 1,4 Milliarden Euro – 1,4 Milliarden Euro für eine Branche, die zum Großteil (Beifall bei der AfD) aus kleinen und mittelständischen Familienunternehmen besteht. Sebastian Münzenmaier (AfD): Großkonzerne hingegen werden letztendlich von der Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kollegen! Die ge- gewerbesteuerlichen Hinzurechnung sogar noch pro- werbesteuerliche Hinzurechnung, im Volksmund oft auch ftieren. Zum einen ist es für sie wesentlich einfacher, Urlaubssteuer getauft, besorgt Tausende von Menschen Rückstellungen zu bilden, und zum anderen können sie in Deutschland und treibt ihnen die Zornesfalten ins Ge- sich klammheimlich darüber freuen, dass viele kleine sicht. Ursprüngliche Intention des Gesetzgebers bei der Mitkonkurrenten in die Insolvenz gehen müssen. Wieder gewerbesteuerlichen Hinzurechnung war die Beteiligung einmal wird also unser Mittelstand – die Menschen, die der öfentlichen Hand an den Wachstumsinvestitionen das Rückgrat unserer deutschen Wirtschaft bilden – mas- der Industrie. Unternehmen, die also wachstumsbedingt siv geschädigt und vor nahezu unüberwindbare Schwie- neue Büros oder Werkshallen anmieten, sollten auf den rigkeiten gestellt. Mietpreis ebenfalls Gewerbesteuer entrichten. Die Be- (Beifall bei der AfD) steuerungsgrundlage sollte also verbreitert werden. Der Präsident des RDA, des Internationalen Bustou- Findige Finanzbeamte verkennen jedoch diesen ur- ristikverbands, rechnet damit, dass 25 Prozent aller Rei- sprünglichen Zweck der Vorschrift vollkommen und le- sebusunternehmen in Deutschland aufgrund der gewer- (B) gen jetzt dank eines 2012 ergangenen Ländererlasses, der besteuerlichen Hinzurechnung insolvenzgefährdet sind. (D) vom Bundesfnanzminister angestoßen wurde, die Ge- 25 Prozent, meine Damen und Herren! Welche Kommu- werbesteuerhinzurechnung völlig anders aus. Nun sollen ne hat denn einen Vorteil von einer vermeintlich höheren beispielsweise Reiseveranstalter auf die Kaltmiete für Gewerbesteuer, wenn danach ein Viertel aller ansässigen Hotelzimmer, die sie an Kunden weitervermitteln, plötz- Betriebe in diesem Bereich insolvent gehen? Dann gibt lich Gewerbesteuer zahlen. Diese Form der Auslegung es nämlich überhaupt keine Steuereinnahmen von diesen ist extrem umstritten und sorgt vor allem für erhebliche Firmen mehr. Rechtsunsicherheiten. (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Voraussetzung ist ein Mietverhältnis nach zivilrechtli- Oder wie wird sich die Situation in den grenznahen chen Grundlagen. Die Überlassung eines Hotelzimmers, Gebieten zu Polen, Frankreich oder Tschechien gestal- das vom Reiseveranstalter natürlich nicht selbst genutzt ten? Jeder Reiseveranstalter und jeder Busunternehmer wird, sondern an einen Kunden weitervermittelt wird, wird, um die eigene Existenz zu retten, den Sitz ins nahe- kann aber schwerlich als Mietverhältnis bezeichnet wer- gelegene Ausland verlagern, den. Wie soll man denn außerdem die Kaltmiete eines Hotelzimmers berechnen? (Marianne Schieder [SPD]: Ach Quatsch!) Sie merken schon: Steuererklärungen werden für Rei- sich so nicht nur die gewerbesteuerliche Hinzurechnung severanstalter in Zukunft zum türkischen Basar, auf dem sparen, sondern den deutschen Staat auch um sonstige je nach Finanzbeamten mal eine etwas höhere, mal eine Steuereinnahmen bringen, ganz zu schweigen davon, etwas geringere Belastung auf das Unternehmen zu- dass die gewerbesteuerliche Hinzurechnung wieder ein- kommt. Rechtssicherheit: Fehlanzeige. mal unsere deutschen Unternehmen vor einen Wettbe- werbsnachteil stellt, ausländische Anbieter besserstellt (Beifall bei der AfD) und Arbeitsplätze in Deutschland gefährdet. Außerdem stellt sich natürlich die Frage: Wer wird (Beifall bei der AfD) denn diese Zusatzbelastung am Ende übernehmen? Zahlt Wie so oft haben die Finanzminister der Länder und auch nicht letztendlich wieder der deutsche Michel, der so- des Bundes kurzfristig gedacht und sind sich überhaupt wieso schon knapp die Hälfte seines hart erarbeiteten nicht im Klaren über die massiven Folgen der verfehlten Lohns abgibt, einfach mehr Geld für den wohlverdien- Politik. ten Urlaub? Genauso wird es kommen. Experten rechnen mit einer Verteuerung von Reisen um durchschnittlich Fassen wir also kurz zusammen: Die gewerbesteuerli- 2,3 Prozent. Der Leidtragende ist wie so oft in diesem che Hinzurechnung bedroht Tausende von Arbeitsplätzen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4495

Sebastian Münzenmaier (A) in Deutschland, belastet insbesondere kleine und mittel- seit Bestehen der Gewerbesteuer. Insofern sind die Hin- (C) ständische Unternehmen und somit das Rückgrat unserer zurechnungen an sich nichts Neues und gehören zum deutschen Wirtschaft, sorgt für erhebliche Rechtsunsi- Wesen der Gewerbesteuer. cherheiten und verteuert das Reisen für unsere Bürger. Würde man diese Hinzurechnungen dem Grunde nach Aber es gibt Licht am Ende des Tunnels. Schließlich aufgeben, so wäre die Gewerbesteuer keine Realsteuer sind alle hier versammelten Fraktionen – von der Lin- mehr, sondern eine weitere zusätzliche Ertragsteuer – üb- ken bis zur AfD – im Ausschuss einhellig der Meinung rigens nicht einmal für alle Unternehmen –, und wir wür- gewesen, dass die gewerbesteuerliche Hinzurechnung im den automatisch – ich glaube, das ist das Ziel sowohl des Übernachtungsgewerbe gestoppt werden muss und dass AfD-Antrags als auch des FDP-Antrags – in eine Diskus- wir als Deutscher Bundestag hier in der Verantwortung sion über die Abschafung der Gewerbesteuer kommen. stehen. Werte Kollegen, bitte werden Sie dieser Verant- Liebe Kolleginnen und Kollegen der AfD, Sie for- wortung endlich einmal gerecht! Verstecken Sie sich dern sogar die gänzliche Abschafung der Gewerbesteuer bitte nicht wieder hinter irgendwelchen Formalien oder ohne jegliche Kompensation. Worthülsen, sondern entscheiden Sie wenigstens einmal bei einem Sachthema ohne parteipolitische Scheuklap- (Christian Dürr [FDP]: Das geht nicht!) pen. Gerne gehen wir mit gutem Beispiel voran. Als ehemaliger Kommunalpolitiker möchte ich ein Bei- (Beifall bei der AfD – Lachen bei Abgeordne- spiel nennen. In meiner Heimatstadt Nürnberg würde das ten der SPD) zu 450 Millionen Euro Mindereinnahmen pro Jahr füh- ren. Wir freuen uns auf die Debatte über den FDP-Antrag, der in die richtige Richtung geht, in den Ausschüssen. (Beifall der Abg. Dr. Dietlind Tiemann [CDU/CSU]) Wir als AfD-Fraktion stehen an der Seite der deutschen Wirtschaft. Wir stärken den Mittelstand. Wir kämpfen für Die Folge wäre: Schließung aller städtischen Schulen Rechtssicherheit und gegen soziale Ausgrenzung. Sprin- und aller städtischen Kindergärten sowie Kürzung aller gen Sie also doch bitte einmal über Ihren Schatten! Ent- freiwilligen Leistungen zum Beispiel für die Sportverei- scheiden Sie sich für unseren Antrag statt für eine Aus- ne. Ob das ein Wirtschaftsprogramm für den Mittelstand grenzung aus billigen parteipolitischen Motiven! ist, wage ich zu bezweifeln. Das ist mit uns nicht zu ma- chen. Das ist keine Alternative für Deutschland und auch Herzlichen Dank. keine Alternative für unsere Kommunen.

(B) (Beifall bei der AfD – Marianne Schieder (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (D) [SPD]: Eijeijei!) ordneten der SPD – Marianne Schieder [SPD]: Die AfD ist auch keine Alternative!) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Übrigens, die Frage der Hinzurechnung ist erst kürz- Der nächste Redner ist der Kollege Sebastian Brehm, lich, 2016, höchstrichterlich vom Bundesverfassungsge- CDU/CSU-Fraktion. richt entschieden und abschließend geklärt worden. Nun gibt es aber wie immer im Steuerrecht Entwicklungen – (Beifall bei der CDU/CSU) damit komme ich zum Kern –, die dem Grundgedanken der eigentlichen Gesetzgebung – es war 2008, als wir die Regelungen betrefend die Hinzurechnungen geändert Sebastian Brehm (CDU/CSU): haben – entgegenlaufen. Und da hilft es nicht, zu sagen – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wie in Ihrem Antrag –, die Ländererlasse sollten korri- geht nicht um Parteipolitik, Worthülsen oder Formalien, giert werden oder das Bundesfnanzministerium sollte sondern um die Anwendung geltenden Rechts, insbeson- angewiesen werden, hier für Klarstellung zu sorgen. dere des Steuerrechts. Darüber diskutieren wir. Wir wol- Wenn es hier Fehlentwicklungen gibt, dann müssen wir len wieder zur steuerpolitischen Debatte zurückkommen. als Gesetzgeber tätig werden und es in der Gesetzgebung angehen. Grundgedanke der Ermittlung des gewerbesteuer- lichen Einkommens war und ist, eben nicht die ertrag- (Beifall bei der CDU/CSU) steuerlichen Bemessungen heranzuziehen, sondern eine objektive Ertragskraft zu ermitteln. Das ist übrigens das In der Systematik der Hinzurechnung haben wir Wesen. Deshalb handelt es sich nicht um eine Ertragsteu- es aber mit mehreren Fragestellungen zu tun – es geht er, sondern um eine Realsteuer. Dies bedeutet, dass die eben nicht so einfach, wie Sie sich das immer malen –, Steuer nach einer objektiven Ertragskraft erhoben wer- die in dem Kontext mitbehandelt werden müssen. Ist es den soll, unabhängig davon, ob das Unternehmen mit Ei- zum Beispiel überhaupt sinnvoll, dass Unternehmen, die genkapital oder Fremdkapital fnanziert ist. Deshalb wird durch Hinzurechnungen Verlust machen, Gewerbesteu- der Jahresüberschuss seit jeher durch Hinzurechnungen er zahlen müssen? Das müssen wir mitbesprechen. Oder ergänzt. Den Grundgedanken der Hinzurechnung gibt es gibt es Hinzurechnungen, die dem eigentlichen Grund- seit 1936, gedanken zuwiderlaufen? 2016 gab es mehrere Urtei- le des Bundesfnanzhofs. In einem Fall ging es um die (Stephan Brandner [AfD]: Oh! – Karsten kurzfristige Anmietung von Zimmern. In einem anderen Hilse [AfD]: 1936, ganz schlecht!) Fall ging es um die kurzfristige Anmietung von Konzert- 4496 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

Sebastian Brehm (A) fächen. Hier hat der BFH gesagt, die Hinzurechnung sei rung an Ludwig Erhard abgegeben und das Bundeswirt- (C) gerechtfertigt. schaftsministerium kurzerhand zu einem Bundesmittel- standsministerium umdeklariert. Das waren große Worte In einem weiteren Urteil ging es um die kurzfristige von dem Minister. Doch was ist seitdem passiert? Was Vermietung von Messeplätzen. Da hat der BFH gesagt, hat die Große Koalition in den letzten 100 Tagen getan? die Hinzurechnung sei nicht gerechtfertigt. Deswegen, glaube ich, müssen wir auch bei den Hotelzimmern eine (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Sehr viel!) ganz klare Einordnung vornehmen und gucken, wie wir hier vorgehen. Das Verfahren vor dem Finanzgericht Tja, der Mount Everest der Bürokratie steht weiterhin Münster stammt aus 2016, und das regelt genau diese in Deutschland, und er wächst. Frage. Es ist derzeit beim BFH anhängig. (Marianne Schieder [SPD]: Sie hatten die Gerade bei der Hotelzimmeranmietung müssen wir Chance, aber wollten nicht!) unterscheiden. Da kommt es auf den Einzelfall an, auf Bei der Datenschutz-Grundverordnung hat die Große den einzelnen Vertrag. Es gibt zum Beispiel Reiseveran- Koalition mit viel Liebe zum Detail 120 Prozent umge- stalter, die sich ein komplettes Hotel für ein komplettes setzt, und das trift jetzt gerade unsere Kleinen und Mitt- Jahr mieten. Das ist dann Anlagevermögen, und damit leren mit voller Wucht. wird es eigentlich von den Hinzurechnungen wieder er- fasst. (Beifall bei der FDP) Aber es gibt natürlich auch Reiseveranstalter – das Auch beim Thema „gewerbesteuerliche Hinzurech- sind insbesondere die kleineren und mittleren –, die sich nung bei Reiseunternehmen“ liegt das Problem seit Jah- kurzfristig ein paar Zimmer zur sofortigen Weitervermie- ren auf dem Tisch, und es ist nichts passiert. Wir glauben, tung mieten. Dann ist es eben kein Anlagevermögen und dass die Debatte hier endlich wieder vorangetrieben wer- somit eigentlich von der Hinzurechnung nicht umfasst. den muss. Wir können unsere Unternehmer nicht so im Das ist eigentlich die Sachfrage, über die wir reden. Des- Regen stehen lassen. wegen sollten wir das Ganze an den Finanzausschuss überweisen und im Finanzausschuss noch einmal unter (Beifall bei der FDP) steuerfachpolitischen Gesichtspunkten miteinander be- Mittlerweile mag der Planungshorizont der Großen sprechen. Koalition auf Wochenmaß abgeschrumpft sein. Zum Es geht natürlich darum, dass wir die kleinen und Glück arbeitet unsere Wirtschaft anders. Wenn wir wol- mittleren Unternehmer unterstützen. Sie haben bei der len, dass unsere Unternehmen in Deutschland investieren und in Deutschland wachsen, dann müssen wir sie doch (B) Hinzurechnung auch einen Freibetrag von 100 000 Euro. (D) Aber es geht darum, die Systematik richtig zu begreifen bestmöglich unterstützen, und deswegen können wir uns und auch richtig einzuordnen. Das werden wir gemein- keine schwarz-roten Hängepartien mehr leisten. sam in einer guten steuerpolitischen Debatte im Finanz- (Beifall bei der FDP) ausschuss tun. Wir Freie Demokraten kämpfen für ein Unternehmen- Herzlichen Dank. steuerrecht, das eben nicht willkürlich die Substanz un- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- serer Betriebe, also das wertvolle Eigenkapital, besteuert. ordneten der SPD, der FDP und des BÜND- Wir wollen die stillen Helden unserer Wirtschaft, also die NISSES 90/DIE GRÜNEN) Mittelständler, unsere Familienunternehmen mit kluger Politik größer machen und ihnen die Wertschätzung ge- ben, die sie verdienen. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Vielen Dank. – Zu seiner ersten Rede im Deutschen (Beifall bei der FDP) Bundestag erteile ich nun das Wort dem Kollegen Dr. Marcel Klinge von der FDP-Fraktion. Wertschätzung ist eben nicht, wenn Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU – ich nenne jetzt mal keine (Beifall bei der FDP) Namen; lieber Herr Bareiß, wo sind Sie? – bei jeder Ge- legenheit eine Besserung bei diesem Thema versprechen, Dr. Marcel Klinge (FDP): dann aber nicht liefern. Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Da- der AfD) men und Herren! Die Große Koalition ist seit nunmehr 100 Tagen im Amt und hatte 100 Chancen, den Wirt- Das Problem liegt seit Jahren auf dem Tisch. Handeln Sie schafts- und Tourismusstandort Deutschland nach vorne endlich! Sie sind in der Regierung. Vielleicht haben Sie zu bringen. es ja vergessen. (Beifall bei der FDP – Marianne Schieder (Beifall bei der FDP) [SPD]: Sie wollten ja nicht regieren!) Vor diesem Hintergrund beantragen wir heute als Es hat hier ja sehr vielversprechend begonnen. Peter FDP-Fraktion, die Hinzurechnung bei der Gewerbesteu- Altmaier hat bei seiner Antrittsrede ein Loblied auf die er und ihre Auswirkung kritisch zu überprüfen. Und wir soziale Marktwirtschaft gesungen, eine Liebeserklä- wollen einen zweiten Schritt: Wir wollen dann Korrektu- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4497

Dr. Marcel Klinge (A) ren im Rahmen einer Unternehmensteuerreform vorneh- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (C) men. Für die SPD-Fraktion hat das Wort der Kollege (Beifall bei der FDP) Bernhard Daldrup. Diese Korrekturen sind überfällig und wichtig, aber eben (Beifall bei der SPD) nicht nur für Reiseunternehmen. (SPD): Natürlich freue ich mich als Tourismuspolitiker, wenn Bernhard Daldrup die Klassenfahrt mit dem Bus, wenn der Skiausfug, wenn Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! die Reise an den Strand weiterhin nicht teurer wird. Und Herr Dr. Klinge, auch ich gratuliere Ihnen natürlich zu natürlich freue ich mich als Tourismuspolitiker, wenn wir Ihrer ersten Rede, will aber zumindest sagen: Die ersten möglichst viele kleinere Reiseunternehmen weiterhin in 100 Tage, die wir regieren und in denen wir etwas zustan- Deutschland am Markt haben. Wir brauchen sie. Aber, de gebracht haben, das ist ungefähr die Zeitspanne, die liebe Kolleginnen und Kollegen, das Problem ist weitrei- Sie sozusagen in touristischer Manier auf dem Balkon chender, als es der AfD-Antrag suggeriert. verbracht haben und in der Sie nichts Vernünftiges hin- bekommen haben. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der SPD – Christian Dürr [FDP]: Nehmen wir doch das Beispiel Start-ups. Es ist eine Lassen Sie mich kurz überlegen: Wann hat die Absurdität der gewerbesteuerlichen Hinzurechnung, dass Große Koalition angefangen? 2005? 2005! Ich in bestimmten Fällen ein Firmengründer bereits Steuern rechne noch an den Tagen!) zahlen muss, obwohl er noch keinen einzigen Gewinn gemacht hat. Herr Brehm hat den Sachverhalt hier sehr schön steu- errechtlich eingeordnet. Ich will mal ein bisschen poli- (Beifall bei der FDP) tisch zur Sache Stellung nehmen. Da hat also jemand eine Idee, arbeitet sieben Tage die Wenn die AfD über Steuerrecht redet, hat sie meist Woche an deren Umsetzung, geht ins persönliche Risi- in petto, eine Steuer abzuschafen. Dieses Mal will sie ko und in Haftung, schaft Arbeitsplätze, hat noch keinen sogar eine Steuer abschafen, die es gar nicht gibt, al- Cent verdient, und trotzdem greift ihm der Finanzminis- lenfalls im Jargon der Lobbyisten: die Urlaubssteuer. Es ter in die Tasche. Wir glauben, das versteht keiner. geht aber natürlich – die Urlaubszeit steht vor der Tür – (Beifall bei der FDP) nicht darum, über marktbeherrschende Unternehmen und über die Frage zu sprechen, ob sie Preissprünge in der Das ist in Summe eine Steuersystematik, liebe Kolle- Hochsaison nicht reduzieren sollten, damit sich Familien (B) ginnen und Kollegen, die Leistungsbereitschaft und un- mit Kindern einen Urlaub leisten können. Vielmehr liegt (D) ternehmerisches Engagement eiskalt bestraft. Wir Freie alles angeblich am Staat, und das ist etwas, was kaum Demokraten wollen das ändern. glaubhaft ist. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Daher macht es auch keinen Sinn, liebe Kolleginnen Worum geht es eigentlich in der Diskussion? Herr und Kollegen von der AfD, sich jetzt einen Einzelfall he- Brehm hat darauf hingewiesen: Es geht um Steuern. rauszugreifen und zu bearbeiten. Konkret geht es um die Gewerbesteuer. Noch präziser: Es (Karsten Hilse [AfD]: Der erste Schritt, geht um Gleichbehandlung bei der Veranlagung zu dieser oder?) Steuer. Ich will daran erinnern, wie das eigentlich zum damaligen Zeitpunkt war: 2008 haben SPD und Union Wir brauchen vielmehr einen großen Wurf, von dem alle eine sehr große Steuerreform für Unternehmen durchge- Mittelständler in unserem Land proftieren. Deswegen führt. Wir haben die Körperschaftsteuer von 25 Prozent steht für uns fest: Ob Reiseunternehmen, Start-ups oder auf 15 Prozent gesenkt. Wir haben die Gewerbesteuer- kleine Busunternehmen – nur mit fairen und verlässli- messzahl von 5 Prozent auf 3,5 Prozent abgesenkt. Da- chen Rahmenbedingungen schafen wir es, den Unter- durch haben wir die Unternehmen in Deutschland um nehmergeist in Deutschland zu stärken und Menschen zu rund 5 Milliarden Euro pro Jahr entlastet. ermutigen, ihre Ideen auch zu verwirklichen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der FDP) der CDU/CSU) Deswegen: Lieber Herr Altmaier – ich hätte mich Selbstverständlich proftiert davon auch die Touris- gefreut, wenn Sie heute hier teilgenommen hätten –, musbranche jedes Jahr. Sollen wir diese Steuersenkung werden Sie endlich der Wirtschaftsminister, den unsere eigentlich jetzt zurücknehmen? Das ist ja die Frage, die Mittelständler verdient haben! Wir wissen, dass der Fi- sich stellt, wenn man die Anträge von AfD und FDP liest. nanzminister ein harter Gegenspieler ist. Der hockt wie Rosinenpickerei reicht ja wohl nicht aus; denn gleichzei- Dagobert Duck auf seinem Geld; das ist doch klar. Aber tig mit den Steuersenkungen im Jahr 2008 haben wir die unsere Unternehmer und ihre Mitarbeiter haben einen Regeln für die gewerbesteuerliche Hinzurechnung sys- Wirtschaftsminister verdient, der sich zu 100 Prozent für tematisiert, aktualisiert. Wie alt sie ist, hat Herr Brehm sie einsetzt. Nutzen Sie die nächsten 100 Tage genau da- eben gesagt. Damit haben wir erreicht, dass alle Unter- für! nehmen gewerbesteuerlich gleichbehandelt werden, egal (Beifall bei der FDP) ob sie betriebsnotwendiges Aktivvermögen fremd- oder 4498 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

Bernhard Daldrup (A) eigenkapitalfnanzieren, ob sie es anmieten oder im Ei- tur ist die Voraussetzung dafür, dass touristische Unter- (C) gentum nutzen. Ich will Ihnen ein Beispiel geben: Es nehmen überhaupt ihre Angebote realisieren können. kann doch nicht wahr sein, dass ein Reiseveranstalter, der ein Hotel im Eigentum hat, schlechtergestellt wird als ein (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Reiseveranstalter, der die Zimmer nur anmietet. Das ist Ich komme gleich zum Schluss. Ich will aber noch doch wohl nicht gerecht. ganz kurz sagen: Ich bin nicht so ganz sicher, ob dieser penetrante Lobbyismus seit vielen Jahren der Tourismus- (Beifall bei der SPD) industrie wirklich nützt, wenn man sich mal überlegt, Vor dem Hintergrund muss man sagen: Die massive wer eigentlich diese Interessen hier vertritt. Steuersenkung bei gleichzeitiger Hinzurechnung einzel- (Sebastian Münzenmaier [AfD]: Können Sie ner Tatbestände dient dazu, Gleichbehandlung zu errei- da genauer werden?) chen. Wer die Hinzurechnung nicht will, der kann auch die Steuersenkung nicht haben. Das war und das bleibt Darüber sollte man tatsächlich mal nachdenken. auch gerecht. Eine letzte Bemerkung zum Antrag der FDP, der im Grunde genommen darauf zielt, die Gewerbesteuer ab- Schauen wir mal anhand eines praktischen Beispiels, zuschafen. worum es eigentlich geht. Die Tourismusbranche selber sagt, dass eine Reise wegen der gewerbesteuerlichen (Christian Dürr [FDP]: Nein, steht da nicht, Gleichbehandlung um 2,3 Prozent teurer wird; das sind aber das wollen wir, ja!) bei einer Pauschalreise im Wert von 1 000 Euro also im- Ich sage Ihnen: Es geht hier um ein besonderes Thema, merhin 23 Euro. Das ist das Ergebnis einer lobbygetrie- aber Ihr Modell führt zu einer Verschärfung der Gegen- benen Berechnung. Es gibt andere Berechnungen – auch sätze zwischen wohlhabenden und strukturschwachen unsere eigene –, die zu dem Ergebnis kommen, dass Gemeinden in Deutschland; Ihr Modell führt nicht zu es – weil nur Teilbereiche der Kosten wie beispielsweise gleichwertigen, sondern zu gegensätzlichen Lebensver- unstreitig die Übernachtungskosten in die gewerbesteu- hältnissen in Deutschland. erliche Hinzurechnung einbezogen werden – gerade mal 0,6 Prozent, also 6 Euro bei einer 1 000 Euro teuren Rei- (Beifall bei der SPD – Dr. Marcel Klinge se, sind. Diese Summe müssen übrigens dann nur Unter- [FDP]: So ein Quatsch! Das ist falsch, Herr nehmen zahlen, die über den ebenfalls 2008 eingeführ- Kollege!) ten Freibetrag von 100 000 Euro kommen; darüber ist eben gesprochen worden. Dass man bei der Berechnung Das wollen wir auf gar keinen Fall. Ich kann Ihnen in einer Extradebatte mal zeigen: Was Sie da wollen, ist so (B) diferenzieren kann, wissen wir, weil die FDP seinerzeit (D) die Mövenpick-Steuer eingeführt hat. Da war das mit der kommunalfeindlich, wie es überhaupt nur sein kann. Das Auseinanderrechnung auch kein Problem. ist mit uns nicht zu machen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD – Lothar Binding [Hei- delberg] [SPD]: Da war es ganz leicht ausein- (Beifall bei der SPD) anderzurechnen!)

Also: Die Behauptung, wegen der gewerbesteuerlichen Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Hinzurechnung würden Urlaubsreisen zu teuer, hat nichts Nächste Rednerin: die Kollegin Kerstin Kassner von mit der Wirklichkeit zu tun. Die Forderung der AfD ist der Fraktion Die Linke. also erwartungsgemäß Unsinn. (Beifall bei der LINKEN) (Sebastian Münzenmaier [AfD]: Haben Sie das in der Fraktion abgesprochen? Sehen das Kerstin Kassner (DIE LINKE): alle so?) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Besucherinnen und Besucher! Die ge- Das gilt erst recht für die Anwendung auf einzelne werbesteuerliche Hinzurechnung ist ein wichtiges The- Branchen. Würde man den Sachverhalt so regeln, kämen ma, mit dem wir uns in den letzten vier Jahren immer andere Branchen an und würden sagen: Gleiches Recht wieder beschäftigt haben. Ehrlich gesagt, macht es mich für alle! – Die Messebauer beispielsweise würden da- wütend, dass wir das in der 19. Legislaturperiode immer rauf hinweisen, dass ihnen die Messehallen auch nicht noch tun müssen. Ich nenne Ihnen mal drei Gründe dafür: gehören. Die Logistiker würden selbstverständlich ent- sprechend darauf hinweisen. Es wäre ein Einfallstor, um Der erste Grund. Wenn ich den Kolleginnen und Kol- die Axt an die Gewerbesteuer zu legen. Das will die FDP. legen, die in der 17. Wahlperiode hier waren, trauen Das ist traurig, muss man sagen. darf – und ich habe keinen Grund, das nicht zu tun –, dann war es so, dass die gewerbesteuerliche Hinzurech- Es geht um Steuerrecht; es geht aber auch darum, was nung nicht die Tourismusbranche trefen sollte. Das ha- eigentlich mit der Gewerbesteuer fnanziert wird. Wer, ben mir immer wieder Kollegen gesagt. Nun ist es aber wenn nicht die Kommunen, produziert denn die Stand- anders gekommen, und seitdem schwebt über vielen tou- orte für die Tourismusindustrie? Die Kommunen produ- ristischen Unternehmen ein Damoklesschwert. Wie groß zieren die Standorte; das kann kein anderer. Und ich sage es ist, wird man sehen, wenn am Ende die Rechnung auf- Ihnen: Die von ihnen geschafene touristische Infrastruk- gemacht wird. Es gibt Veranlagungen bis ins Jahr 2008 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4499

Kerstin Kassner (A) zurück. Da kommen dann Summen zusammen, die tat- mir wünschen, dass das tatsächlich auf den Weg gebracht (C) sächlich existenzgefährdend sein können. wird. Der zweite Grund. Wie gesagt, der Bund wollte nicht, (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der dass diese Hinzurechnung die Tourismusbranche trift. FDP: Wünsch dir was!) Schlaue Finanzbeamte in den Ländern haben sich aber gedacht, dass sie auch für die Tourismusbranche gilt, und Ein letzter Wunsch: Wir müssen doch nicht warten, tun natürlich alles, um ihre Kommunen zu entlasten oder bis der Bundesfnanzhof entscheidet. ihnen mehr Mittel zur Verfügung zu stellen. Das macht (Christian Dürr [FDP]: Stimmt!) mich als Kommunalpolitikerin wieder wütend, denn da gibt es beileibe bessere Mittel. Denken wir nur an die Warum nimmt der Bundesfnanzminister nicht seine Län- vom Bund ausgereichten Förderprogramme, wo dann derkollegen an die Hand, setzt sich mit ihnen gemeinsam immer an den klebrigen Fingern der Finanzminister or- hin und fndet eine Lösung für dieses Problem, das so dentlich etwas hängen bleibt und in der Landeskasse lan- viele Menschen schon so viele Jahre belastet? Dann, lie- det, be Kolleginnen und Kollegen, hätten wir die Anträge von der AfD und von der FDP nicht mehr nötig. (Christian Dürr [FDP]: Die SPD-Finanzminis- ter, die gehen mir auch auf den Senkel! Kann (Zuruf von der AfD: Bis dahin haben wir sie ich bestätigen!) nötig!) statt dass das Geld direkt in die Kommunen wandert, wo Ich danke Ihnen. es eigentlich hingehört. (Beifall bei der LINKEN) Wir könnten auch hier im Bund darüber nachdenken, andere Regelungen für die Kommunalfnanzen auf den Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Weg zu bringen, zum Beispiel statt der Gewerbesteuer Der nächste Redner ist der Kollege Stefan Schmidt, eine tatsächliche Gewerbewirtschaftsteuer, bei der sich Bündnis 90/Die Grünen. alle an der Finanzierung für die Kommunen beteiligen müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN) Stefan Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es lohnt sich, darüber mal nachzudenken. Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- (B) nen und Kollegen! Lassen Sie mich eingangs ein paar (D) Der dritte Punkt, der mich wütend macht, ist die Un- grundlegende Punkte klarstellen. gleichheit an sich. Die FDP-Mövenpicksteuer wurde hier schon mehrmals genannt. Aber ich weiß, dass es Erstens. Es geht heute nicht um eine Urlaubssteuer; ganz viele Menschen in der Tourismusbranche gibt, die denn die gibt es in Deutschland gar nicht. Das ist eine zum Beispiel nicht mal die Aufwendung für den Weg Wortschöpfung der Tourismusbranche für gewerbesteu- zur Arbeit absetzen können, weil sie einfach so wenig erliche Hinzurechnungen von Hotelkontingenten. Diese Lohnsteuer bezahlen, dass sie gar keine Möglichkeit der will die Branche abschafen. Das Anliegen mag berech- Absetzung haben. Gleichzeitig haben große Unterneh- tigt sein; hier im Parlament sollten wir allerdings korrekt men die Möglichkeit, ihre Gewinne in andere Länder zu arbeiten. Die AfD will mit ihrem Antrag die Menschen schicken und sie so der Gemeinschaft zu entziehen. Das wieder mal etwas glauben machen, was es so in der Sa- macht wütend. che einfach nicht gibt und was einfach falsch ist. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Es macht noch etwas wütend, nämlich dass nicht alle reisen können. Ich würde mir wünschen, dass alle Men- Zweitens. Um sachlich korrekt zu arbeiten, brauchen schen diese Möglichkeit haben. Wir müssen feststellen, wir verlässliche Zahlen und schlüssige Argumente. Auch dass Schulklassen nicht reisen können, weil einzelne hier greift es zu kurz, diese ungeprüft vom Branchenver- Kinder die Reisekosten nicht aufbringen können und Sie band zu übernehmen. Um eine gesetzliche Änderung zu die Reisekosten nicht erstatten. fordern und zu begründen, kann man eben nicht mit nied- rigen Gewinnmargen oder mit hohem Konkurrenzdruck (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das argumentieren. Mit dieser Argumentation gäbe es keine liegt aber nicht an der Steuer!) Steuern und keinen Staat. Das macht mich wütend. Ich würde mir wünschen, dass Damit wäre ich bei meiner dritten Vorbemerkung. Die es dafür andere Regelungen gibt, dass wir uns solidarisch FDP will mit ihrem Antrag die Gewerbesteuer gleich erklären. Denn Reisen birgt viele Möglichkeiten: ganz abschafen und gefährdet damit die wichtigste Ein- nahmequelle der Kommunen in Höhe von 53 Milliarden (Beifall bei der LINKEN) Euro. Man lernt andere Menschen, Länder, Sitten kennen. Das (Christian Dürr [FDP]: Sie kennen schon das ist ein echter Weg zur Völkerverständigung. Ich würde gesamte Konzept, oder?) 4500 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

Stefan Schmidt (A) Was das für Schulgebäude, für Bibliotheken, für zen und eine für alle Seiten gute, tragbare politische Lö- (C) Schwimmbäder hieße, will ich mir gar nicht ausmalen. sung fnden. Solche Bestrebungen lehnen wir klar ab. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Christian Dürr [FDP]: Lesen Sie nur Über- schriften, oder sind Sie in der Lage, ganze Konzepte zu lesen?) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Abgeordnete Fritz Güntzler für die – Ich habe Ihren Antrag sehr genau gelesen: Schauen Sie CDU/CSU-Fraktion. auf Seite 1 unten, letzter Absatz; dort fnden Sie die Pas- sage. (Beifall bei der CDU/CSU)

Worum geht es also konkret? 2008 wurde eine Un- (CDU/CSU): ternehmensteuerreform beschlossen mit dem Ziel, die Fritz Güntzler Eigenkapitalquote der Unternehmen zu erhöhen und die Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen Einnahmen der Kommunen zu verstetigen. Deshalb hat und Kollegen! Liebe Zuschauer und Zuhörer! Es kann man die Hinzurechnungen bei der Gewerbesteuer aus- ja nichts Schöneres geben, als sich am Freitagnachmittag geweitet. So weit, so richtig. Das haben auch mehrere mit § 8 Nummer 1 Buchstabe e Gewerbesteuergesetz zu Gerichte so bestätigt. beschäftigen.

Bei der Umsetzung dieser Reform wurden dann aber Meine Vorredner haben ja schon die Bedeutung der auch von Reiseveranstaltern angekaufte Hotelkontingen- Gewerbesteuer hinsichtlich ihres Umfangs, aber auch te gewerbesteuerpfichtig. Bis zu einer abschließenden ihres Charakters dargestellt. Es ist eine Realsteuer bzw. juristischen Beurteilung wird diese Hinzurechnung aus- eine Objektsteuer. Deshalb ist es wichtig, Finanzierungs- gesetzt. Das heißt konkret: Die Steuer fällt bei den Unter- neutralität herzustellen, indem man Hinzurechnung nehmen im Moment gar nicht an. grundsätzlich macht. Wenn man diese Hinzurechnung abschaft – das ist das Ziel, das aus dem Antrag der FDP An diesem Punkt muss ich auch noch auf die Regie- zu ersehen ist –, dann legt man die Axt an die Gewer- rung zu sprechen kommen. Statt eine politische Klärung besteuer und will die Gewerbesteuer nicht weiterführen. anzustreben, sitzt sie hier das Problem aus und wartet auf Das muss man einfach feststellen; denn die Gewerbe- die juristische Beurteilung – und das schon seit Jahren. steuer als Objektsteuer, Realsteuer ohne Hinzurechnung Der Grund: Wieder einmal fehlt es an Einigkeit zwischen macht keinen Sinn. (B) (D) Union und SPD, wieder einmal fehlt es an Einigkeit (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- zwischen Wirtschaftsministerium und Finanzministeri- ordneten der SPD) um. Die Folge: Es gibt keine Rechtssicherheit und kei- ne Planungssicherheit, weder für Reiseveranstalter noch Das müssen Sie ehrlich sagen; darüber kann man ja dis- für Kommunen. Das ist das Schlechteste aller denkbaren kutieren. Auch in unseren Kreisen gibt es Leute, die über Szenarien. die Gewerbesteuer nachdenken. Aber Sie sollten es dann auch deutlich und ofen formulieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Zuruf des Abg. Christian Dürr [FDP]) Deshalb ist eine politische Korrektur durch den Gesetz- geber, also durch uns, den Deutschen Bundestag, über- Zur AfD: Sie sagen – wie Ihr Kollege eben auch –, die fällig. Finanzminister müssten sich mal zusammensetzen, dann würde man eine Lösung fnden. So einfach geht es nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Denn die Finanzminister würden sich dann über das ak- Sebastian Münzenmaier [AfD]: Also doch!) tuelle Urteil des Finanzgerichtes Münster hinwegsetzen, das die Auslegung dieses Gesetzes ja vorgenommen hat. Mit der Unternehmensteuerreform wollte der Bun- Der Bundesfnanzhof hat auch in mehreren Fällen mitt- destag zu Recht die Verbreitung von Sale-and-lea- lerweile gesagt, dass der Wortlaut recht ungenau sei. Von se-back-Modellen von Unternehmen reduzieren. Aber daher gibt es Anlass – da bin ich doch ein Stück weit bei der Ankauf von Hotelkontingenten sollte dabei nicht be- der FDP –, dass man sich die Auswirkungen der Urteile steuert werden. anschaut und dann darüber diskutiert, ob es so, wie wir es machen, noch richtig ist. (Bernhard Daldrup [SPD]: Wer sagt das?) In § 8 Nummer 1 Buchstabe e des Gewerbesteuerge- Denn bei diesem Ankauf von Hotelkontingenten handelt setzes ist von der „Benutzung der unbeweglichen Wirt- es sich eben nicht um solche Modelle und eben auch schaftsgüter des Anlagevermögens, die im Eigentum ei- nicht um fktives Anlagevermögen, sondern um Um- nes anderen stehen“ die Rede. Wenn diese im Eigentum laufvermögen. Eine politische Klarstellung seitens des eines anderen stehen, kann es gar kein Anlagevermögen Bundestages ist also nur folgerichtig. Mit den Vorlagen sein. Das ist sprachlich schon etwas verwirrend. Das der AfD und der FDP gelingt dies allerdings nicht. Umso führt natürlich im Ergebnis dazu, dass es zu unterschied- mehr hofe ich, dass wir uns noch mal intensiv, diferen- lichen Rechtsauslegungen kommt, die zur Verunsiche- ziert und sachorientiert mit dem Thema auseinanderset- rung führen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4501

Fritz Güntzler (A) Von daher hofen wir, dass der Bundesfnanzhof mög- Vizepräsidentin Petra Pau: (C) lichst bald entscheidet und Klarheit schaft. Denn die Ur- Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Michael ­Schrodi teile sind ja auch nicht ganz einheitlich: Wir haben die das Wort. Weitervermietung für Gewerbeimmobilien; da wurde so- zusagen dem Fiskus recht gegeben. Aber wir haben auch (Beifall bei der SPD) das BFH-Urteil zur Vermietung von Messeständen, das gegenteilig ausgefallen ist. Wenn man sich einige Argu- Michael Schrodi (SPD): mente aus dem Urteil anschaut, könnte man auf die Idee Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen kommen, dass der Bundesfnanzhof dem Finanzgericht und Herren! Die FDP hat inhaltlich einen sehr einseitigen Münster nicht recht gibt und die Reiseveranstalter sozu- und umfänglich einen halbseitigen Antrag eingebracht, in sagen gewinnen können. Das werden wir sehen. dem lediglich einige pauschale Auforderungen zu fnden sind. Dabei handelt es sich um Hinzurechnungsprüfun- Dann wird gesagt: Machen Sie doch mal schnell eine gen der Tatbestände und eventuelle Maßnahmen, die er- Regelung. – Ich hatte ja das Vergnügen – Sie noch nicht –, grifen werden sollen. in der letzten Legislaturperiode schon dabei zu sein. Da- mals war Bundeswirtschaftsminister und Zum einen wurde gerade vom Kollegen Güntzler ge- Walter-Borjans Finanzminister in NRW. Sie haben einen sagt, dass noch eine Entscheidung des Bundesfnanzhofs Gesetzesvorschlag gemacht. Dann ist aber deutlich ge- aussteht, die wir dann noch anschauen müssen. Zum an- worden, dass er verfassungsrechtlich sehr schwierig ist deren ist es aber auch ständige Übung, dann etwas an- und auch beihilferechtlich wahrscheinlich gar nicht um- zupassen, wenn wir der Meinung sind, dass wir es tun setzbar ist, sodass eine gesetzliche Lösung, die nur die müssen. Insofern ist es Sache des Ausschusses. Reiseveranstalter beträfe, nicht vorgelegt werden kann, (Dr. Marcel Klinge [FDP]: Das hätten Sie ohne die Tür zu weit aufzumachen. Wenn Sie eine Lö- schon seit sechs Jahren machen können!) sung haben, dann geben Sie uns diese. Dann können wir darüber gerne diskutieren. Die AfD tut etwas, was Sie, Kollegen der FDP, früher gemacht haben bzw. eigentlich immer noch tun; nur trau- Ich möchte noch zwei andere Anmerkungen zur Ge- en Sie sich nicht, es deutlich zu sagen: Sie macht Lob- werbesteuer machen. Die Gewerbesteuer hat für die byarbeit im Parlament und übernimmt gleich den Begrif Kommunen – der Kollege Daldrup hebt darauf ja im- „Urlaubssteuer“, den es nur auf der Kampagnenseite der mer ab – eine große Bedeutung. Aber wenn wir über Tourismusbranche gibt. die Hinzurechnungstatbestände reden, dann müssen wir beachten, dass der Finanzierungsanteil aus diesen Auf- (Dr. Marcel Klinge [FDP]: Das steht in unse- rem Antrag nicht drin!) (B) wendungen hinzugerechnet wird. Bei der Unternehmen- (D) steuerreform 2008 hatten wir ein anderes Zinsniveau als Sie wollen Sonderinteressen dieser Branche durchsetzen. heute. Ich fnde, man muss auch einmal darüber nach- Wir aber machen keine Gesetze für Branchen, sondern denken, ob die pauschalen Beträge bei unbeweglichen wir machen Gesetze, die gut für alle sind und nicht Son- Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens überhaupt noch derinteressen berücksichtigen. richtig sind; denn die Niedrigzinsphase muss sich ja auch irgendwann einmal im Steuerrecht niederschlagen. Eine (Beifall bei der SPD) andere Frage stellt sich im Zusammenhang mit § 6; aber Zur tatsächlichen Belastung und zur Unternehmen- ich glaube, auch darüber sollten wir im Ausschuss dis- steuerreform 2008 hat der Kollege Daldrup einiges ge- kutieren. sagt. Wenn Sie von der AfD sich auf der kommunalpoli- (Beifall bei der CDU/CSU) tischen Ebene nur ein bisschen auskennen würden, dann hätten Sie diesen Antrag so nicht gestellt und Ihre Ein- Ein letzter Punkt: Ich fnde, wenn man über die Ge- stellung zur Gewerbesteuer wäre auch anders. werbesteuer diskutiert, muss man auch das, was zum Beispiel in Meseberg unter dem Stichwort „Gemeinsame Als Kommunalpolitiker – ich mache das seit 15 Jah- Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage“ beschlossen ren bis heute – kenne ich die Situation vor Ort sehr gut. wurde, in die Debatte einbeziehen. Dazu lese ich im Vor- Zum einen sei Ihnen gesagt: Der überwiegende Teil klei- schlag für eine Richtlinie der Kommission, dass das Ziel ner und mittlerer Unternehmen, auf die Sie hier abstel- der GKB sei, einen einheitlichen Rahmen für die Unter- len, sind Personengesellschaften. Deren Gewerbesteuer nehmensbesteuerung zu schafen und die Steuerharmoni- wird zur Entlastung der Unternehmen auf die Einkom- sierung im Unternehmensrecht durchzusetzen. Wenn das mensteuer angerechnet. Die Gewerbesteuer wird bis zu das Ziel ist und wir das mit viel Aufwand machen, dann einem Hebesatz von 390 bzw. 400 Prozent vollständig kann man sich schon einmal die Frage stellen: Macht es verrechnet. Ihre Argumentation läuft also vollkommen dann Sinn, dass wir noch eine zweite Berechnung für die ins Leere. Gewerbesteuer haben? Denn das ist ja genau das Gegen- (Beifall bei der SPD) teil von Harmonisierung und Einheitlichkeit. Zum anderen: Weil Sie diese kommunale Ebene nicht Wir werden deshalb noch interessante Debatten über kennen, wissen Sie eben auch nicht, wie stark die Kom- die Gewerbesteuer im Rahmen der GKB führen. munen von der Gewerbesteuer abhängig sind und wie Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. sehr sie sie brauchen. In Ihrem Wahlprogramm steht übrigens kein einziges Wort zur Gewerbesteuer. Nun (Beifall bei der CDU/CSU) wollen auch Sie diese, wie man hört, wie die FDP ab- 4502 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

Michael Schrodi (A) schafen. Sie geben damit übrigens keine Antwort auf die es um Immobilien geht, viel enger und knapper sind. Von (C) Frage, wie die Gemeinden die Infrastruktur eigentlich daher: In den letzten Legislaturperioden war es regelmä- fnanzieren sollen – ßig so, dass die Tourismuspolitiker und auch die Wirt- schaftspolitiker der Aufassung waren, dass das 2008 (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nicht so beabsichtigt war, wie es sich jetzt ausgewirkt hat. der CDU/CSU) die Straßen und Brücken, die Kitas und Schulen, die Ja, es gibt die ersten Urteile zur Hinzurechnung von Sportplätze und Hallenbäder und auch die touristische Messedienstleistungen, angesichts derer man gesagt hat: Infrastruktur. Darauf geben Sie überhaupt keine Antwor- Das ist zu weit gefasst. – Ich persönlich bin, wie schon ten. Stattdessen greifen Sie lediglich Partikularinteressen gesagt, wie viele Fachpolitiker Ihrer Fraktion der Über- auf und wollen die Einnahmen der Kommunen schwä- zeugung: Wir haben im Bereich der gewerbesteuerrecht- chen. Das ist mit uns nicht zu machen, meine sehr geehr- lichen Hinzurechnung von Übernachtungsleistungen in ten Damen und Herren. der Reisebranche den Bogen zu weit gespannt. Ich würde es begrüßen, wenn dieser Antrag der AfD, wenngleich er (Beifall bei der SPD) an vielen anderen Schwächen leidet, Übrigens ist das in anderen Bereichen genauso. Aus (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: So ist es!) Ihren Reihen hört man, dass Sie die Grundsteuer, die drittwichtigste Einnahmequelle der Kommunen, auch zumindest dazu führt, dass wir in den nächsten Wochen gleich streichen wollen. Außerdem wollen Sie die obers- und Monaten die Diskussion über die Hinzurechnung ten 10 Prozent der Einkommen auch beim Soli entlas- noch einmal anfangen. ten. Sie wollen Vermögende entlasten und Unternehmen entlasten, haben aber natürlich kein, aber auch gar kein Frau Staatssekretärin Lambrecht, Sie haben mir ja Herz für die Kommunen und ihre Belange. Das ist die freundlicherweise im Auftrag des Herrn Ministers ge- Wahrheit. antwortet, Sie würden liebend gern auf das Urteil des Bundesfnanzhofes warten. Ich habe gelernt: Es gibt in (Beifall bei der SPD) Deutschland eine Gewaltenteilung. Es gibt eine Exeku- Deswegen werden wir dem Antrag nicht zustimmen. tive, es gibt eine Legislative, es gibt eine Jurisdiktion. Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss. (Jürgen Braun [AfD]: Das hat die Frau Danke schön. Merkel noch gar nicht begrifen!) (Beifall bei der SPD – Jürgen Braun [AfD]: Die AfD sagt: Wir wollen auf die Exekutive einwirken. – (B) Mit der Einstellung wird das nichts!) Ich sage: Wir sollten eigentlich als Bundesgesetzgeber (D) das Selbstbewusstsein haben, das Gesetz von 2008, das Vizepräsidentin Petra Pau: vielleicht nicht präzise genug formuliert worden ist, zu Das Wort hat der Kollege Paul Lehrieder für die CDU/ ändern und uns als Abgeordnete des Deutschen Bundes- CSU-Fraktion. tages weder hinter einem Bundesfnanzhof, hinter der Jurisdiktion, noch hinter der Exekutive verstecken. Statt- (Beifall bei der CDU/CSU) dessen sollten wir sagen: Jawohl, wir wirken auf einen gemeinsamen Ländererlass hin. Paul Lehrieder (CDU/CSU): (Sebastian Münzenmaier [AfD]: Ja, gerne!) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrter Kollege Marcel Klinge, Meine Kollegen von der AfD: Das ist zu wenig. Das erst einmal Gratulation zu Ihrer ersten Rede! Sie haben ist zu kurz gesprungen. wie viele Redner der FDP ein großes Lamento über die Arbeit der Großen Koalition vorgetragen. Ich gebe zu be- (Sebastian Münzenmaier [AfD]: Springen Sie denken: Bis in die Nachtstunden des 19. November 2017 weiter! Wir sind bereit!) waren wir dabei, eine gemeinsame Regierung zu bilden. Sie sind doch Bundestagsabgeordnete. Wir sollten das (Christian Dürr [FDP]: Waren Sie dabei?) hier in diesem Hause korrigieren, wenn es ein Stück weit Wenn Sie jetzt mitgestalten würden, bräuchten Sie nicht in die falsche Richtung gelaufen ist. zu jammern. (Sebastian Münzenmaier [AfD]: Wenn Sie (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und mehr wollen, gerne!) der SPD – Christian Dürr [FDP]: Ich war da- bei! Ich kann das sehr gut beurteilen! – Jürgen Deshalb: Lassen Sie uns hier über die entsprechenden Braun [AfD]: Es wird langsam langweilig!) Änderungen nachdenken. Ansonsten haben die Kollegen sehr vieles ausgeführt. Seit 2008 werden Mieten für Im- Herr Kollege Daldrup, Sie haben ausgeführt, dass Sie mobilien in gewissem Umfang hinzugerechnet. – Herr der Aufassung sind, dass die Einrechnung von Hotel- Daldrup will etwas fragen. übernachtungskosten in die Gewerbesteuerumlage 2008 beabsichtigt war. Zur Ehrlichkeit gehört aber auch dazu, zu sagen, dass gerade in der Reisebürobranche die Ge- Vizepräsidentin Petra Pau: winnmargen anders als in anderen Bereichen, in denen Ja, ich bin gerade dabei. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4503

(A) Paul Lehrieder (CDU/CSU): viel größeres Fass, als hier Abrundungsschwierigkeiten (C) Das verzögert zwar die nächsten Reden, aber wie zu präzisieren bzw. klarzustellen. schon gesagt: Wenn die Kollegen damit einverstanden Es geht darum, Ungerechtigkeiten zu beseitigen, die sind, freue ich mich auf Ihre Fragen, Herr Daldrup. sich in den letzten zehn Jahren ergeben haben und die im Übrigen kleine Reisebüros in den Kommunen mo- Vizepräsidentin Petra Pau: mentan mit großer Sorge erfüllen. Es sind nicht nur die Gut. Sie haben meine Frage schon beantwortet, ob Sie Großen der Branche, die zu uns kommen, Herr Daldrup. eine Bemerkung oder Frage des Kollegen Daldrup zu- Es sind auch die kleinen Büros. Es nutzt der Kommune lassen. überhaupt nichts, wenn sie kurzfristig ein paar Euro mehr Gewerbesteuereinnahmen hat und dieses Reisebüro ir- gendwann nach zwei, drei Jahren den Laden dichtmacht. Paul Lehrieder (CDU/CSU): Dann sind Arbeitsplätze weg, und die komplette Gewer- Immer. besteuer ist weg. (Sebastian Münzenmaier [AfD]: Ganz ge- Vizepräsidentin Petra Pau: nau!) Bitte schön, Sie haben das Wort. Das ist genau der Punkt, auf den wir achten sollten. Diese (Jürgen Braun [AfD]: Können Sie das nicht in Entwicklung hat man vor zehn Jahren in dieser Breite den Koalitionsverhandlungen noch mal klä- vielleicht nicht vorhergesehen. ren!) Ich bin den Fachpolitikern sehr dankbar für den Ein- satz kollektiver Intelligenz, auch bei der SPD. Im Wirt- Bernhard Daldrup (SPD): schaftsausschuss und im Tourismusausschuss haben wir Mir geht es um eine ganz einfache Frage: Wenn Sie uns darauf geeinigt, dass wir etwas ändern müssen. der Aufassung sind, wir sollten über die Frage der Ge- Lassen Sie uns gemeinsam, auch mit den Finanzern in staltung der Gewerbesteuer reden, wären Sie dann auch der SPD, noch einmal darüber reden, ob eine Ungleich- bereit, darüber zu diskutieren, dass wir die Bemessungs- behandlung gegeben ist. Aber lassen Sie uns bitte nicht grundlage so verbreitern, dass wir sie beispielsweise wie das Kaninchen vor der Schlange auf die Einschät- auch auf die freien Berufe ausweiten können? Somit hät- zung des Bundesfnanzhofs warten. Lassen Sie uns selbst ten wir die Möglichkeit, die Gewerbesteuerhebesätze zu etwas gegen die Schiefage tun. Dafür wäre ich Ihnen senken, weil wir die Basis der Gewerbesteuerzahler dann dankbar. – Ich bin jetzt mit der Antwort fertig. sozusagen deutlich verbreitern würden. (B) (D) Meine Damen und Herren, ich freue mich auf die Be- (Dr. Marcel Klinge [FDP]: Das wollen wir ratungen im Ausschuss. Durch die Zwischenfrage hat nicht, danke!) sich meine Redezeit verlängert. Danke, Herr Daldrup. Dann gäbe es sicherlich eine bessere Möglichkeit zur Ich schenke Ihnen 58 Sekunden, wünsche Ihnen noch Diskussion. Ich würde mich freuen, wenn Sie diese Frage einen schönen Tag und ein schönes Wochenende. mit Ja beantworten könnten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Dr. Marcel Klinge [FDP]: Wie viel denn ordneten der FDP) noch?) Vizepräsidentin Petra Pau: Paul Lehrieder (CDU/CSU): Ich schließe die Aussprache. Herr Kollege Daldrup, es wird Sie nicht überraschen: Ich bin gegen sozialistische Gleichmacherei. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/2989 an die in der Tagesordnung aufge- (Beifall des Abg. Karsten Hilse [AfD]) führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist 2008 haben wir meines Wissens auch zusammen regiert. jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und der Da hatten wir auch eine Große Koalition. Man hat aus SPD wünschen Federführung beim Finanzausschuss, die wohlgetrofenen Erwägungen genau diesen Punkt nicht Fraktion der AfD wünscht Federführung beim Ausschuss in die Gewerbesteuerberechnung einbezogen. für Tourismus. Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der Ich will Ihnen eins sagen: Ich bin grundsätzlich von Fraktion der AfD abstimmen, also Federführung beim Ihnen gar nicht so weit weg. Ich war selber jahrelang Ausschuss für Tourismus. Wer stimmt für diesen Über- Bürgermeister und weiß, welche Daseinsvorsorgeein- weisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- richtungen die Kommunen schafen, von der Infrastruk- hält sich? – Der Überweisungsvorschlag ist gegen die tur bis zu den Gewerbegebieten etc. Auch die Möglich- Stimmen der AfD-Fraktion mit den Stimmen der übrigen keit, überhaupt erst einmal ein Gewerbe auszuüben, wird Fraktionen abgelehnt. natürlich von Kommunen geschafen. Darum bin ich an- ders als die Kollegen von der FDP auch der Aufassung: Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der An der Gewerbesteuer sollten wir grundsätzlich festhal- Fraktionen der CDU/CSU und der SPD – Federführung ten. Die Einbeziehung der freien Berufe ist, wie schon beim Finanzausschuss – abstimmen. Wer stimmt für die- gesagt, eine andere Baustelle. Das ist natürlich ein noch sen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – 4504 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Wer enthält sich? – Der Überweisungsvorschlag ist an- dem heute vorliegenden Antrag den nötigen Rückenwind (C) genommen. verleihen können. Zusatzpunkt 12. Interfraktionell wird Überweisung (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Vorlage auf Drucksache 19/2990 an die in der Tages- der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind NISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die ­Hagen Reinhold [FDP]) Überweisung so beschlossen. Herzlichen Dank für die konstruktive Zusammenar- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: beit an alle Fraktionen, an alle, die mitgearbeitet haben, Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, auch an die, die mitgearbeitet haben, den Antrag aber lei- SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der nicht mit stellen durften. Vielen Dank auch an dieser Stelle an die Forscher vom Alfred-Wegener-Institut, die Meeresschutzgebiet im Weddellmeer der Ant- das wissenschaftliche Fundament für diesen Antrag ge- arktis legt haben. Sie stellten fest, dass mit rund 14 000 Tier- arten im Weddellmeer eine gleichhohe Artenvielfalt wie Drucksache 19/2985 auf einem tropischen Korallenrif herrscht. Das Weddell- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für meer ist eine fast unberührte Region in der Antarktis. die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- Hier hat es nie Fischerei gegeben, zumindest ofziell. nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Die Eisfäche ist auch in den Sommermonaten noch so groß, dass unter dem Eis immer noch genug Eisalgen und Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, zügig die Um- Bakterien leben, dass sie den Anfang der Nahrungskette gruppierungen vorzunehmen und auch wieder Platz zu bilden können für Krill, Fische, Pinguine, Robben und nehmen. Wale. Der Tisch für Fische und Säugetiere ist hier also immer noch gut gedeckt. Ich eröfne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Carsten Träger für die SPD-Fraktion. Vielleicht könnten dann als Nächstes auch die Ostant- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten arktis und die Antarktische Halbinsel geschützt werden. der CDU/CSU) Auch sie haben eine hohe Artenvielfalt. Ich könnte mir gut vorstellen, dass der Deutsche Bundestag dieses Vor- haben mit einer breiten Mehrheit unterstützen würde. Carsten Träger (SPD): (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LIN- (B) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen (D) und Kollegen! Der Meeresschutz ist eines der wichtigs- KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ten Themen der Umweltpolitik, und er wird zunehmend sowie des Abg. Hagen Reinhold [FDP]) immer wichtiger. Weltmeere als Ökosysteme sind in vie- Auch wenn es gelingt, das Weddellmeer unter Schutz lerlei Hinsicht bedroht: Überfschung, Erwärmung, Ver- zu stellen, bleibt ein Wermutstropfen: Dann steht das müllung, Stichwort „Plastikmüllinseln“, die uns derzeit Weddellmeer zwar formal unter Schutz, wichtig wären beschäftigen. Deshalb freue ich mich heute, dass es in- aber auch klare internationale Regeln, ein Management, terfraktionell gelungen ist, einen Antrag zum Schutz des das den Schutzstatus erhält, Monitoringmaßnahmen und Weddellmeeres in der Antarktis auf den Weg zu bringen. Verbote, die auch sanktioniert werden können. Deswe- Das Weddellmeer ist ein einzigartiges Ökosystem gen sollten wir auch als Parlament die Bemühungen der und ein Hotspot der Biodiversität. Das vorgeschlagene Bundesregierung unterstützen, ein international rechts- Schutzgebiet im Weddellmeer wäre mit fast 2 Millionen verbindliches Durchführungsabkommen zu etablieren. Quadratkilometern rund fünfmal so groß wie die Bun- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ desrepublik Deutschland und mit Abstand das größte DIE GRÜNEN) Meeres­schutzgebiet der Welt. Das wäre ein großartiger Erfolg für den globalen Meeresschutz. Lassen Sie uns zusammen artenreiche Schutzgebiete (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, als Rückzugsräume für Meereslebewesen erhalten. Der der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Schutz dieser Gebiete ist angesichts des Klimawandels GRÜNEN) und der Gefahr durch Übernutzung wichtiger denn je. Wir wollen mit dem vorliegenden Antrag die Bemü- Herzlichen Dank. hungen der Bundesregierung bei der Internationalen (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Kommission zur Erhaltung der lebenden Meeresschätze BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. in der Antarktis unterstützen. Deutschland ist die treiben- Hagen Reinhold [FDP]) de Kraft bei der Ausweisung von Meeresschutzgebieten und hat bereits im Oktober vor zwei Jahren einen Vor- schlag zum Schutz des Weddellmeeres vorgelegt, der Vizepräsidentin Petra Pau: von der EU übernommen und eingebracht wurde. Leider Das Wort hat der Abgeordnete Karsten Hilse für die fand er 2016 international keine Mehrheit. Beim nächs- AfD-Fraktion. ten Trefen im Herbst dieses Jahres wird dieser Schutzge- bietsantrag wieder gestellt. Wir hofen, dass wir ihm mit (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4505

(A) Karsten Hilse (AfD): antarktische Festland. Die reichen Krill- und Fischbe- (C) Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! stände locken, die Absatzmärkte wachsen. Ökologische Gestern gab es ja lautstarke Tumulte, als ich ein paar Belange, aber auch Ziele nachhaltiger Bewirtschaftung Analogien in den Mittelpunkt meiner Rede stellte. Heute dürften für Fischfangfotten insbesondere aus sich stark lass ich es etwas ruhiger angehen; entwickelnden Volkswirtschaften nachrangig sein. (Beifall des Abg. Hagen Reinhold [FDP]) Neben dem Zweck, die biologische Artenvielfalt und einzigartige Ökosysteme zu erhalten, ist auch aus diesem aber nicht deshalb, weil ich zwischenzeitlich zahmer Grund die Einrichtung weitfächiger Gebiete, in denen zu geworden bin, sondern weil der vorliegende Antrag im stark befschte bzw. bejagte Populationen geschützt sind Großen und Ganzen unseren Einstellungen entspricht. und sich regenerieren können, anzustreben. Daher unter- stützt die AfD-Fraktion die Forderung der Einrichtung Als konservative Partei tritt die AfD ein für den Erhalt eines Schutzgebietes im Weddellmeer. der natürlichen Lebensgrundlagen unserer Gesellschaft bei gleichzeitiger Berücksichtigung technischer, wirt- (Beifall bei Abgeordneten der AfD) schaftlicher Anforderungen der Entwicklung Deutsch- Beim Lesen der weiteren Ziele fel mir die Mahnung lands, aber auch weltweit. Umweltpolitische Konzepte des Kollegen Koeppen vom gestrigen Tag ein, der an- der AfD stellen unsere menschliche Gesellschaft in den mahnte, sich realistische Ziele und einen realistischen Mittelpunkt, ohne aber die Abhängigkeit menschlicher Erfüllungsrahmen zu setzen. Mit der Ausweisung von Gemeinschaften von intakten natürlichen Kreisläufen zu Meeresschutzgebieten ist es aber nicht getan. Ein großes vernachlässigen. AfD-Umweltpolitik folgt der Erkennt- Problem – Sie sprachen es an – ist die Vermüllung. Ein nis, dass das gegenwärtige wirtschaftliche Wachstum großer Schritt, um die Vermüllung der Meere zu stop- und die enorm steigende Bevölkerungsdichte in der Welt pen, wäre aus unserer Sicht, die Länder, die den größten unweigerlich an den rasant wachsenden Verbrauch na- Plastikeintrag in die Meere verursachen, dabei zu unter- türlicher Ressourcen gebunden sind. Ohne ideologische stützen, eine funktionierende Müllentsorgung und eine Scheuklappen suchen wir Wege, natürliche Ressourcen Recyclinginfrastruktur aufzubauen. Geld genug ist da. nachhaltig zu nutzen. Das Geld müsste nur aus den auch durch Deutschland Eine der wichtigsten Ressourcen unseres Planeten stel- und die EU geförderten sinnlosen Klimaschutzmaßnah- len die Ozeane in ihrer Gesamtheit dar. Die Ozeane sind men in diesen Ländern in die gerade genannten Projekte komplexe Ökosysteme, Wasserspeicher, Klimaregulator umgeleitet werden. Das wäre ein wirklicher Schutz der und Lebensraum von Tausenden Lebensformen. Sie sind Umwelt. aber auch Transportweg, Rohstof, Lagerstätte und Nah- (Beifall bei der AfD) (B) rungsmittellieferant für Milliarden von Menschen. Die (D) weltweite Fischerei fängt pro Jahr 140 Millionen Tonnen Trotz der kleinen Mängel im Antrag werden wir diesem Fisch, also durchschnittlich 20 Kilogramm je Mensch. In zustimmen. weiten Bereichen wie dem Mittelmeer, in Skandinavien, vor der südamerikanischen Westküste und im Chinesi- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und ein schönes schen Meer sind einst reiche Fischbestände stark redu- Wochenende. ziert worden. Die riesigen Fischfangfotten und die in- (Beifall bei der AfD) dustrielle Verarbeitung auf See erzeugen einen Druck auf die Fischbestände, dem die Regenerationsfähigkeit vieler Vizepräsidentin Petra Pau: Arten nicht gewachsen ist. Viele dieser Bestände brau- chen dringend Erholung von der übermäßigen Nutzung. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Michael von Abercron für die CDU/CSU-Fraktion. Fangquoten sind hilfreich bei der Schonung von ge- schwächten Beständen. Dorsch und Hering haben sich (Beifall bei der CDU/CSU) zum Beispiel nach deutlicher Überfschung in den 70er-, 80er- und 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts in vielen Dr. Michael von Abercron (CDU/CSU): Gebieten wieder erholt. Die Erholungsphase dauerte teil- Frau Präsidentin! Meine lieben Kollegen! Sehr ver- weise sehr lange, zum Beispiel bei den Heringsbeständen ehrte Damen und Herren Gäste auf den Tribünen! Wed- vor Norwegen circa 20 Jahre. Bei einigen Arten sind län- dellmeer – wer konnte sich eigentlich etwas darunter ger anhaltende strikte Fangverbote notwendig. Je gefähr- vorstellen? Ich glaube, bei einer entsprechenden 1 000- deter eine Art ist, umso länger müssen die Fangverbote oder 10 000-Euro-Frage wäre so manch einer geschei- rigoros durchgesetzt werden. An den sich langsam erho- tert. Ich gebe zu, dass auch ich selber nicht gewusst habe, lenden Walbeständen wird das deutlich. Leider werden um welchen geografschen Ort es sich handelt: Liegt es häufg Fangquoten und -verbote mehr oder weniger ig- irgendwo am Steinernen Meer, oder liegt es beim Stein- noriert bzw. halblegal unterlaufen. huder Meer? Die ständig steigende Nachfrage der wachsenden Nein, meine Damen und Herren, wir reden tatsächlich Weltbevölkerung nach proteinhaltiger Nahrung und die über ein Gebiet, das weit weg von uns ist, und wir haben Minderung der Erträge in den traditionellen Fanggebie- einen Antrag vorliegen, der im Wesentlichen drei Beson- ten lenken immer mehr Fangfotten in bisher nicht be- derheiten hat: Er ist ein interfraktioneller Antrag, es geht wirtschaftete Meeresregionen, zum Beispiel in die Ant- um ein Gebiet – das habe ich eben schon gesagt –, das arktis. Dazu gehören zum Beispiel die Gebiete um das wenigen von uns geläufg ist und das die Allerwenigs- 4506 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

Dr. Michael von Abercron (A) ten von uns jemals gesehen haben, außer im Fernsehen, ganz tolle Sache. Diese Antarktischen Seehechte sind (C) und wir reden über einen Kontinent, der 14 500 Kilome- natürlich auch ein ganz wichtiger Baustein der Nahrung ter von uns entfernt und normalerweise selten Thema im für die Orcawale bei deren Aufzucht. Auch daran merkt Bundestag ist. man, wie sehr das Ganze vernetzt ist. Die Durchschnittstemperatur beträgt dort minus Mit einer stetig wachsenden Weltbevölkerung steigt 55 Grad; es ist also relativ kalt. Das Weddellmeer liegt – natürlich überall der Verbrauch an Fisch und all dem – jetzt machen wir ein bisschen Geografe – im nordwest- 90 Millionen Tonnen pro Jahr –, was aus dem Meer ge- lichen Teil des Kontinents Antarktika; so heißt er of- wonnen wird. Deswegen müssen wir alles tun, um gerade ziell. Ich hofe, dass dieses Thema, obwohl es um ein auch diese Region vor Überfschung zu schützen. polares Gebiet geht, heute nicht polarisiert; aber ich habe das Gefühl, das tut es nicht. Ich bitte um eine breite Zu- Vorbild für diese Unterschutzstellung ist das Ross- stimmung zu diesem Antrag. Ich bedanke mich bei der meer, das schon 2016 von der Internationalen Kommissi- Kollegin Frau Lemke, die unsere gemeinsame Arbeit im on zur Erhaltung der lebenden Meeresschätze in der Ant- Hinblick auf diesen Antrag koordiniert hat. arktis, der 24 Mitgliedstaaten angehören, unter Schutz gestellt wurde. Das war ein guter Anfang, und ich glau- (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜND- be, wir wollen versuchen, dass das mit dem Weddellmeer NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- noch weitergeht. Wenn wir das nicht schafen würden, ten der SPD, der FDP und der LINKEN) hätte das gravierende Auswirkungen – wir haben es ge- sagt – auf die Nahrungskette, auf die Biodiversität, aber Ziel ist es, die Bundesregierung in ihrem Bemühen zu auch auf diese besonderen Arten, die kälteangepasst le- unterstützen, dieses Gebiet als internationales Schutzge- ben und dort einen Rückzugsraum brauchen. biet einzustufen. Wir haben seine Größe gehört: Es ist fünfmal so groß wie die Bundesrepublik Deutschland, Warum sollte die Weltgemeinschaft die Verantwortung 1,8 Millionen Quadratkilometer. Unser Ziel ist sehr am- gerade für diese abgelegene Region übernehmen? Die bitioniert, weil es dort – auch das ist sicherlich eine span- bisher kaum belasteten Gebiete sollten in einem mög- nende Frage – auch Nutzungskonfikte gibt, insbesondere lichst natürlichen Zustand bleiben. Die Biodiversität ist beim Thema Fischerei. unter den vorherrschenden extremen Bedingungen ein- malig. Die Besonderheiten bieten auch den Forschern – Wozu ist der Schutz eigentlich notwendig? Wir haben auch aus Deutschland sind welche dort – einen besonde- schon viel über die besondere Biodiversität dieses Gebie- ren Referenzstandort für die schwierige Klimaforschung. tes gehört. Es wird von Wissenschaftlern häufg mit Ko- rallenrifen verglichen, weil es dort so viele Arten gibt. Unser Bundesminister Schmidt hat einmal sehr richtig (B) Das Besondere ist, dass es in einem Kaltgewässer liegt. gesagt: (D) Dieses Gebiet ist die zentrale Grundlage für vielfältiges Leben. Es gibt dort viele Robben, Wale, Sturmvögel und Das Meeresschutzgebiet soll allein der wissen- Kaiserpinguine. schaftlichen Forschung vorbehalten bleiben und die internationale Kooperation auf diesem Gebiet stär- Für all dieses Leben ist eine Art von besonderer Be- ken. Beides bildet die Säulen des Antarktisvertra- deutung, nämlich der Krill. Wie Sie wissen, ist der Krill ges. Es ist unsere historische Aufgabe, einzigartige eine Garnelenart, etwa 6 Zentimeter groß, und er wird Ökosysteme wie die Antarktis zu schützen. inzwischen leider zu einem großen Teil von großen inter- nationalen Fangfotten aus Russland, Korea oder China Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. gefangen. Alle mögen diesen Krill gerne. Wofür wird er Insofern bin ich froh, dass wir eine Vielzahl von For- gebraucht? Er wird zur Herstellung der berühmten Ome- schungseinrichtungen haben, die dort tätig sind, unter an- ga-3-Fettsäuren gebraucht, die mancher aus dem Droge- derem das Alfred-Wegener-Institut, das Forschungsschif riemarkt kennt und die in der westlichen Welt gerne zu „Polarstern“, das gerade zurückgekommen ist, und auch sich genommen werden. die Forschungsstation Neumayer III, die in der Region Ein anderer wichtiger Fisch dort ist der Antarktische forscht. Seehecht, der auch in den angrenzenden Gewässern vor- Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hofe, kommt. Er soll eine große Delikatesse sein und ist in- dass wir das durchkriegen und dass die 24 Mitgliedstaa- zwischen auch sehr begehrt. Die Beliebtheit bei den Fi- ten positiv entscheiden – wir brauchen hier eine Einstim- schern hat erheblich zugenommen. Inzwischen werden migkeit – und keine kalten Füße kriegen. 30 000 Tonnen pro Jahr gefangen – zum Teil auch illegal. Diese sehr lukrative Wilderei muss gestoppt werden. Ich Herzlichen Dank. habe gehört, dass ein Fang von 1 500 Tonnen einen Wert (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- von etwa 67 Millionen Euro hat. Sie sehen, mit welchen ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ wirtschaftlichen Interessen wir es hier zu tun haben. DIE GRÜNEN) Was noch ganz besonders ist: Die Antarktischen See- hechte können Glykoproteine herstellen. Sie kennen das Vizepräsidentin Petra Pau: Thema Glykol vielleicht noch aus einer anderen Diskus- Das Wort hat der Abgeordnete Hagen Reinhold für die sion, die wir hier hatten. Die Fische brauchen eben kei- FDP-Fraktion. nen Schnaps zu trinken, wenn es kalt ist, sondern sie kön- nen diese Glykoproteine selber herstellen. Das ist eine (Beifall bei der FDP) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4507

(A) Hagen Reinhold (FDP): Wir alle wissen: Auch Deutschland strebt mittlerweile (C) Sehr geehrte Präsidentin! Meine sehr geehrten Da- in bestimmten Gebieten auf dem Meer eine Nutzung an. men und Herren! Wir haben jetzt nach einem manchmal Da stehen Pilot Mining Tests an. All das stellt uns vor doch recht kontroversen und hektischen Tag eine sehr die Herausforderung, Technologien zu entwickeln, die in versöhnliche Stimmung bei uns im Parlament. Das freut sensiblen Gebieten eingesetzt werden können. Diese An- mich natürlich umso mehr. Auch mein Dank gilt zualler- strengungen müssen wir unternehmen. erst der Kollegin Lemke, die es nicht nur geschaft hat, Da hilft es wenig, sich über einen solchen Antrag zu uns alle zusammenzuholen, freuen – das mache ich auch –, sondern es geht darum, gemeinsam im Haushaltsausschuss dafür zu sorgen, dass (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und dem die Forschungsinstitute eine sinnvolle Ausstattung erhal- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ten. Als Beispiel nenne ich den Neubau von Forschungs- sondern auch, immer im Blick zu behalten, was die schifen, was wir mit Dampf und Druck unterstützen Grundlage dieses Antrages ist, nämlich die nachhaltigen müssen. Ein anderes Stichwort ist das Ocean Techno- Entwicklungsziele der Vereinten Nationen, die nicht nur logy Center, das demnächst in Rostock aufgebaut wird. den Schutz, sondern auch die nachhaltige Nutzung unse- Auch sollten wir den Bau eines neuen und innovativen rer Meere in den Mittelpunkt stellen. Forschungsstandortes der Universität in der Nähe voran- treiben. All das ist wichtig, damit wir diese nachhaltige Ich glaube, so ist es uns auch gelungen, einen Antrag Nutzung sicherstellen können. zu entwickeln, der aufzeigt, dass uns schon bewusst ist, (Beifall des Abg. Frank Sitta [FDP]) dass wir auf dieser Welt etwas tun müssen, dass es Ge- biete gibt, die besonders sensibel sind und die wir unter Es kommt mir darauf an, zu zeigen: Wir schützen; das Schutz stellen müssen, dass wir aber genauso im Blick wollen wir. Es gibt sensible Gebiete. In diese sollte ein behalten müssen, dass es notwendig ist, alles dafür zu Forscher gerne fahren, aber kein Forscher, der wie mit tun, eine nachhaltige Nutzung der Meere zu ermöglichen, einem großen Bagger etwas aus dem Boden reißen will. und darauf möchte ich noch einmal eingehen. Gleichzeitig gibt es Gebiete, die wir in Zukunft dafür brauchen werden, unseren Wohlstand und die Ernährung Die Kollegen Träger und von Abercron haben das der Welt zu sichern. Dafür braucht es Technologien. Wir Wedellmeer ja schon ein bisschen vorgestellt und einen sind Weltmeister bei diesen Technologien. Diesen Fort- kleinen Vorgeschmack darauf gegeben, was da los ist. schritt sollten wir weiter ausbauen. Dafür ist es bitter Ich glaube, der Kollege Träger war es, der schon gesagt notwendig, Forschung und Entwicklung in diesem Land hat: Die Kontrolle ist ein besonders wichtiger Punkt der voranzutreiben. (B) Unterschutzstellung; darauf möchte auch ich hinweisen. (D) Dafür braucht es nämlich Technologien, und zwar immer Ich fordere Sie auf, interfraktionell mitzuarbeiten, bessere Technologien. Deshalb sollten wir in Deutsch- wo immer es geht. Unterstützen Sie unsere Forscherin- land nicht nachlassen, in der Meeresforschung weiterhin nen und Forscher. Ich glaube, dann ist dieser Ausgleich weltweit führend zu bleiben. zwischen Schutz und Nutzung der Meere gut möglich. Ich bin mir sicher, dass dieses Haus auch dabei mit einer Die „Polarstern“ ist vom Kollegen gerade angespro- Stimme spricht. Ich fordere Sie auf, demnächst an wei- chen worden. Mein Gott, das Schif wurde 1982 gebaut. teren Initiativen gemeinsam zu arbeiten, um diesem Ziel Ganz ehrlich: Noch ist jeder einigermaßen zufrieden da- näherzukommen. mit. Aber nach so langer Zeit wird es nötig – auch für unsere Forscherinnen und Forscher vom Alfred-Wege- Ich danke Ihnen recht herzlich. ner-Institut –, über einen Neubau nachzudenken. Die- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ser – viele von Ihnen wissen das sicherlich – lässt seit der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS- 2011 auf sich warten. Vor daher: Die Grundlagen dafür, SES 90/DIE GRÜNEN) dass wir diesen Antrag heute miteinander besprechen können, sind Forschungsergebnisse, die unsere qualitativ hochwertige Forschung in Deutschland geliefert hat. Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Abgeordnete Ralph Lenkert für die (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Fraktion Die Linke. Dr. Klaus-Peter Schulze [CDU/CSU]) (Beifall bei der LINKEN) Die Forscher zu unterstützen, ist bitter notwendig. Ich hofe, dass wir genauso interfraktionell darauf hinarbei- Ralph Lenkert (DIE LINKE): ten, Forschung und Entwicklung in Deutschland voran- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen zutreiben. Es ist zum Schutz sensibler Gebiete notwen- und Kollegen! Unsere Natur zu schützen, gerade in emp- dig, diese zu erforschen. Wir wüssten wahrscheinlich gar fndlichen Polarregionen, ist eine Zukunftsversicherung nicht, dass da 14 000 Tiere und viel mehr lebten, wenn es für die Menschheit. Der Antrag zum Schutz des Weddell- unsere Forscher nicht gäbe. Genauso müssen wir darauf meeres wird zwar von Union, SPD, FDP und Grünen ein- hinwirken, dass wir in Zukunft eine nachhaltige Nutzung gebracht, aber mit ausgearbeitet hat ihn auch Die Linke. der Meere sicherstellen, indem wir Technologien entwi- ckeln, mit denen sensible Gebiete geschützt werden kön- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. nen. Hagen Reinhold [FDP]) 4508 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

Ralph Lenkert (A) Wir haben alle gemeinsam ein Interesse daran, dass Liebe Koalition, liebe Unionistinnen und Unionisten, (C) die Wale vor norwegischen und japanischen Walfängern Die Linke hilft Ihnen erneut gern bei der Ausarbeitung geschützt werden, dass Kreuzfahrtschife eben nicht den eines solchen Antrages. Vielleicht lernen Sie ja mittel- letzten Winkel des Planeten erkunden und dass nicht fristig, in Sachfragen auch mit uns zusammenzuarbeiten. überall nach Rohstofen geschürft wird. Deswegen ist es Uns geht es um den Schutz der Menschen; uns geht es so wichtig, diesen Antrag zu unterstützen. Wir werden um den Schutz der Umwelt, damit alle Menschen – egal diesem Antrag selbstverständlich zustimmen. ob afrikanischer, amerikanischer, asiatischer, australi- scher, ozeanischer oder europäischer Herkunft – ein lan- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- ges glückliches Leben in Gesundheit und einer intakten neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ Umwelt führen können. DIE GRÜNEN und des Abg. Stephan Thomae [FDP]) Vielen Dank. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, wir alle (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- wünschen der Bundesregierung eine gute Hand bei den NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeord- Verhandlungen, damit die Unterschutzstellung des Wed- neten der SPD und des Abg. Hagen Reinhold dellmeeres in der Antarktis beizeiten gelingt. [FDP]) Der Antrag wurde schon umfangreich erläutert. Ich Vizepräsidentin Petra Pau: möchte auf einen anderen Punkt zu sprechen kommen. Die Temperaturerhöhungen, insbesondere in der Arktis, Das Wort hat die Kollegin Stef Lemke für die Frakti- sorgen dafür, dass weite Gebiete zukünftig eisfrei sein on Bündnis 90/Die Grünen. werden. 2007 konnte das erste Mal ein Frachtschif das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nordpolarmeer im Winter passieren, ohne dass ein Eis- brecher helfen musste. Es besteht in der Nordpolarmeer- region dringender Handlungsbedarf. Stef Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen Schon beginnen die USA, Russland, Kanada, Nor- und Kollegen! „Was macht Deutschland eigentlich in wegen und Dänemark, um Einfusssphären und Außen- der Antarktis?“, könnte man ja fragen. Viele wissen viel- wirtschaftszonen zu streiten. Es ist dringend geboten, zu leicht nicht, dass die territoriale Nutzung der Antarktis verhindern, dass Spekulanten die Rohstofförderung in auf einen Vertrag von 1959 zurückgeht, in dem sich die den Meeren in Gang setzen, dass Fischfanggründe ab- Staaten, die Interessen in der Antarktis angemeldet hat- gesteckt werden und Spediteure schon berechnen, wie ten, darauf geeinigt haben, die Antarktis von wirtschaftli- (B) die Frachtkosten nach China bzw. Asien und umgekehrt cher Ausbeutung und militärischer Nutzung freizuhalten. (D) sinken werden, wenn man über das Nordpolarmeer fährt. Das heißt, dass zu dieser Zeit – 1959 befnden wir uns Im Norden haben wir ein Ökosystem, das mit am im Kalten Krieg – international möglich war, was wir uns empfndlichsten auf die Klimaänderung reagiert. Deswe- heute manchmal nicht mehr vorstellen können. Deshalb gen fordern wir die Bundesregierung auf, mit demselben ist die Antarktis nicht nur in ökologischer, sondern inzwi- Einsatz für Meeresschutzgebiete in der Arktis zu kämp- schen auch in politischer Hinsicht absolut faszinierend. fen. Ich hofe, dass alle Fraktionen diesen Kampf eben- falls unterstützen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Das ist eine Verpfichtung auch für uns als Parlamen- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE tarier und Demokratinnen und Demokraten in Zeiten, GRÜNEN) in denen der Umweltschutz, der Klimaschutz, der Na- Es geht darum, dafür zu sorgen, dass auch Eisbären, turschutz und auch der Meeresschutz zunehmend unter Walrosse, Narwale und andere Tierarten überleben kön- Druck geraten und in der politischen Debatte um ihre im- nen. Deshalb brauchen wir internationale Schutzgebie- mense Bedeutung kämpfen müssen. Hinzu kommt, dass te, die verhindern, dass im Nordpolarmeer Öl und Gas im Meer, im Ozean die menschengemachten Probleme gefördert werden, dass der Kohleabbau auf Spitzbergen gerade kumulieren: sei es die Klimakatastrophe, sei es wieder startet und dass in Grönland eventuell Mineral- das Artensterben, sei es die Überfschung, sei es die Aus- stofe abgebaut werden. beutung der Ressourcen, seien es die Überhitzung und Übersäuerung. Alle diese Probleme kumulieren im Meer Noch gibt es ein Zeitfenster. Denn wegen der derzei- und führen dazu, dass in der Tat ein Ökosystem, das wir tigen Kälte ist es noch unwirtschaftlich, diese Rohstofe alle, glaube ich, bewundern und lieben und nach dem wir zu gewinnen. Und solange es noch unwirtschaftlich ist, uns kurz vor der Urlaubszeit sehnen, weltweit in seiner besteht eine höhere Chance, Schutzgebiete einzurichten. Existenz bedroht ist. Deswegen sollten wir jetzt handeln – die Vertragsgestal- tung ist jetzt leichter –, damit diese Gebiete auch zukünf- Deshalb freue ich mich, dass unser Parlament heute tig geschützt sein werden. die Kraft fndet, einen interfraktionellen Antrag zu ver- abschieden, um der Bundesregierung in den Verhandlun- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- gen auf internationaler Ebene um das dann – wenn es neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE zustande kommt – weltweit größte Meeresschutzgebiet GRÜNEN) Rückenwind zu geben, um sie in ihren Bemühungen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4509

Stef Lemke (A) zu unterstützen, dieses Meeresschutzgebiet tatsächlich lich ist. Das ist ein Missstand, der beseitigt werden muss. (C) durchzusetzen. Auch dort müssen wir vorankommen. Ich freue mich, dass wir uns in diesem Antrag eben- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) falls gemeinsam nicht nur zu der internationalen Ziel- Frau Präsidentin, bitte gestatten Sie mir noch, mit ei- setzung, bis 2020 weltweit 10 Prozent der Meere unter nem Dank an die Kollegen zu enden. Die gemeinsame Schutz zu stellen, bekannt haben, sondern auch zu dem Arbeit an diesem Antrag hat Spaß gemacht. Vielleicht weitergehenden Ziel, bis 2030 30 Prozent der Meere un- sollten wir öfter interfraktionell arbeiten. Vielen Dank ter Schutz zu stellen. Das deutsche Parlament nimmt sich für dieses gemeinsame Werk! Ich hofe, dass wir daran mit diesem Beschluss heute ebenfalls vor, diese Bestre- anknüpfen können und es auch unseren Diskurs freund- bungen zu unterstützen. Das hat, fnde ich, schon eine schaftlicher und besser gestaltet. gewisse historische Dimension. Danke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, LINKEN) bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN) Wichtig dabei ist aus meiner Sicht, dass dieses Mee- resschutzgebiet hinterher kein Papiertiger bleiben darf.

Dazu haben sich die Kollegen der anderen Fraktionen Vizepräsidentin Petra Pau: auch bekannt. Es muss ausgefüllt werden. Hierzu muss Für die CSU/CSU hat der Kollege Dr. Klaus-Peter es ein Managementsystem geben. Dafür werden wir auch Schulze das Wort. auf internationaler Ebene die entsprechenden Ressourcen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- brauchen. ordneten der SPD) Es darf nicht sein, dass es zu einem Wettlauf zwischen den Staaten kommt. Das Rossmeer als im Moment welt- Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU): weit größtes Meeresschutzgebiet wurde schon erwähnt. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Es darf nicht sein, dass jetzt jeder Staat der größte Mee- Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf den Tri- resschützer sein will, das Ganze aber als Papiertiger lan- bünen! Als James Cook von 1772 bis 1775 seine zweite det, obwohl es einmal als großer Wunsch und große Idee Forschungsreise in die Antarktis machte, war der deut- des Meeresschutzes entwickelt worden ist. Das wird die sche Forscher Georg Forster zusammen mit seinem Va- nächste – nicht leichte – Aufgabe sein, wenn diese Unter- (B) ter mit dabei. Georg Forster hat dort wissenschaftliche (D) schutzstellung gelingt. Grundlagen gesammelt. Später war er ein bekannter Eth- nograf in Preußen. Sicherlich hat die DDR 1987 die erste Wenn wir das schafen, wird es auch ein sehr starkes deutsche Antarktisstation deshalb nach ihm benannt. Signal für die Verhandlungen im Rahmen der sogenann- ten UNCLOS sein. Hier geht es um die Verhandlungen Insgesamt hat Deutschland jetzt fünf Stationen in der darüber, wie Meeresschutz auf hoher See, also in Ge- Antarktis. Von meinen Vorrednern, insbesondere vom bieten außerhalb der Hoheitsrechte von Nationalstaaten, Kollegen der FDP, ist schon angesprochen worden, wel- funktionieren kann. Dafür soll jetzt ebenfalls eine inter- che Rolle die Forschungsleistungen von Deutschland nationale Rechtsakte entwickelt werden, um dort weiter- spielen, wenn es darum geht, dort Informationen zu sam- zukommen und den nächsten Schritt zu gehen. Denn wir meln. wissen alle, dass auf hoher See einiges im Argen liegt. Das Weddellmeer ist als Randmeer des Südpolarmee- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN res nach meinen Informationen 2,8 Millionen Quadrat- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und kilometer groß. Das entspricht in etwa der achtfachen der SPD und des Abg. Ralph Lenkert [DIE Fläche der Bundesrepublik. LINKE]) (Stef Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Eine Anmerkung möchte ich noch machen, und zwar NEN]: Darüber würde ich mich nicht strei- nicht im Sinne von Polarisieren – diese Befürchtung hat- ten!) ten Sie geäußert –, sondern im Sinne einer Mahnung und Die beiden Kollegen Träger und von Abercron haben eines Auftrags an die Bundesregierung, schon den nati- sich sicherlich auf den Schutzgebietsbereich bezogen, onalen Meeresschutz stärker in den Fokus zu nehmen. der vorgesehen ist, und sind deshalb auf die fünfache Wer beim Meeresschutz international Vorreiter sein will, Fläche gekommen. muss auch national seine Hausaufgaben machen. Zur Artenvielfalt ist bereits einiges gesagt worden. Im (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Weddellmeer sind etwa 14 000 Tierarten nachgewiesen worden. Das ist eine beeindruckende Zahl – zumal wir Es kann nicht sein – verstehen Sie es bitte wirklich als bei der Antarktis ja immer denken: Lange kalt, viel Dun- Mahnung und als Auftrag –, dass elf Jahre nach der Aus- kelheit! Was soll da tatsächlich los sein? weisung der deutschen Meeresschutzgebiete in diesen Naturschutzgebieten nach wie vor naturzerstörerische Der Mensch ist insgesamt ein seltener Gast. Höchstens Fischerei mit Grundschleppnetzen und Stellnetzen mög- die von mir schon genannten Forscher – etwa 4 000 For- 4510 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

Dr. Klaus-Peter Schulze (A) scher arbeiten derzeit dort –, Fischer und zunehmend Lemke und ihren Mitarbeitern ausgegangen ist. Auch da- (C) Touristen sind dort anzutrefen. für noch einmal herzlichen Dank. Der zunehmende Schifsverkehr führt natürlich auch (Beifall bei Abgeordneten der FDP) dazu, dass durch die Ablagerung der Rußpartikel auf den Ich wünsche uns allen ein schönes Wochenende und Eis- und Schneefächen die Refexion der Sonnenstrah- schenke Ihnen eine Minute. lung nicht mehr so stark ist, weshalb Gletscher schneller abschmelzen, als es ohne diesen Eingrif der Fall wäre. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN Wir wollen aber, dass dieses wertvolle Ökosystem und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) erhalten bleibt. Deshalb unterstützen wir, wie es meine Vorredner schon gesagt haben, unsere Bundesregierung Vizepräsidentin Petra Pau: im Hinblick auf die Verhandlungen im Oktober dieses Jahres. Wenn es gelingt, das Weddellmeer unter Schutz Das Wort hat der Kollege Johann Saathof für die zu stellen, haben wir eine Fläche von 1,8 Millionen Qua- SPD-Fraktion. dratkilometer und kämen damit zu dem größten Meer- (Beifall bei der SPD) esschutzgebiet der Welt. Zurzeit sind 3,4 Prozent der Meeresfäche unter Schutz. 10 Prozent sind das Ziel, das Johann Saathof (SPD): wir in zwei Jahren erreichen wollen, und ich glaube, Frau Lemke, wir sind uns einig: Das werden wir nicht schaf- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen fen. Ob die Zielsetzung 30 Prozent im Jahr 2030 realis- und Kollegen! Ich fnde es gut, dass wir in diesen Zei- tisch ist, würde ich auch gerne hinterfragen. ten, in denen auf allen Ebenen Uneinigkeit zutage tritt, parteiübergreifend Einigkeit demonstrieren. Die Aus- Warum ist es gerade jetzt notwendig, die Schutzmaß- wirkungen einer Unterschutzstellung des Weddellmeers nahmen voranzubringen? Viele Länder, beispielsweise scheinen auf die bayerische Landtagswahl keine großen aus Südostasien und Ostasien, sind zunehmend stärker Auswirkungen zu haben. Deswegen schafen wir es auch, im Weddellmeer aktiv, um Krill zu fschen. Krill enthält hier Einigkeit zu haben. Omega-3-Fettsäuren, die ein sehr bekanntes Nahrungser- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gänzungsmittel sind. Mit der Zunahme von Weltbevölke- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der rung und Wohlstand wird die Nachfrage danach immer CDU/CSU, der FDP und der LINKEN) größer. Als Kind der Küste und als ehrenamtlicher Deichrich- (B) Inzwischen gibt es aber Möglichkeiten, Omega-3-Fett- ter einer Deichacht, in deren Gebiet rund 135 000 Men- (D) säuren synthetisch herzustellen, oder man kann auf ande- schen vor dem Meer geschützt werden, hat das Meer für re Öle ausweichen. Wir Lausitzer zum Beispiel haben mit mich eine ganz besondere Bedeutung. Die Gewalt des dem Mangel überhaupt nichts zu tun. Wir essen regelmä- Meeres bei Sturmfuten setzt sich über alles hinweg – ßig Quarkkartofeln mit Leinöl, das viele Omega-3-Fett- sprichwörtlich, aber auch tatsächlich. Immer wieder ha- säuren enthält, nämlich etwa 70 Prozent. Damit haben varieren Schife wie zuletzt die „Glory Amsterdam“. wir also kein Problem. Das Meer ist äußerst respekteinfößend. Deshalb tun (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- wir gut daran, es zu respektieren und zu schützen. wie bei Abgeordneten der LINKEN) (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Richtig!) Im Übrigen ist es der Gentechnik gelungen, in Raps Überall dort, wo sich der Mensch schon in die Natur und Leindotter die Gene der Mikroalge einzubauen. Das eingemischt hat, müssen wir heute eine Balance zwi- zeigt, dass man mit sinnvollem Einsatz – ich betone: schen dem Schutz und dem Nutzen herstellen. Wir tun sinnvollem Einsatz – der Grünen Gentechnik auch Res- dies leider viel zu oft auf Kosten der Natur. sourcenschutz betreiben kann. Das will vielleicht nicht jeder hören, aber das ist tatsächlich so. Aber in den letzten Jahren haben wir auch einiges er- reicht; auch das muss gesagt werden. Die EU setzt zum (Stef Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Beispiel Fischfangquoten fest, die deutlich nachhaltiger NEN]: Ihr wolltet nicht polarisieren, sage ich sind als noch vor einigen Jahren. Wir haben mit SECA- nur!) und NECA-Gebieten die Schadstofemissionen von Schifen verringert. Das ist jedenfalls der theoretische – Ich polarisiere ja auch nicht. Ich stelle nur fest. Ansatz. Die Praxis darf gerne noch folgen. Es ist also eine Schatzkammer auf unserer Erde. Des- Wir sind also auf dem Weg, meine Damen und Her- halb sollten wir uns alle dafür starkmachen, dass wir ren. Auf diesem Weg wollen wir uns nun um das Wed- a) die Unterschutzstellung schafen und b) dann über dellmeer in der Antarktis kümmern: einen Teil der Erde, Managementpläne das, was wir schützen wollen, ent- der aus unserer Perspektive quasi ganz unten, aber auf sprechend umsetzen. jeden Fall sehr weit weg ist. Und aus der Perspektive von Alexander Gerst auf der ISS gehört das da unten auf Auch ich möchte mich bei allen Kollegen, die an der der Erde alles zusammen. Genauso müssen wir das auch Erarbeitung beteiligt waren, ganz herzlich bedanken. Ich sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen; denn wenn der will noch einmal betonen, dass die Initiative von Frau Meeresspiegel steigt, steigt er überall. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4511

Johann Saathof (A) Wenn wir im Weddellmeer Gutes tun, hat das auch Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: (C) positive Auswirkungen bei uns zu Hause. Im Weddell- meer bestehen – das ist ungewöhnlich – 90 Prozent der Beratung des Antrags der Abgeordneten Fabio pelagischen Fische nur aus einer Art, dem Antarktischen De Masi, Jörg Cezanne, Klaus Ernst, weiterer Silberfsch. Dieser kann nur dort leben; denn seine Fort- Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE pfanzung kann nur da erfolgreich sein, wo es eine be- Geldwäsche und Terrorfnanzierung in stimmte Eisschicht gibt. Es gibt 14 000 Arten auf dem Deutschland wirksam bekämpfen – Financial Meeresboden, von denen die allermeisten nur dort leben Intelligence Unit befähigen können. Das Weddellmeer ist zudem enorm wichtig für den Salzgehalt der globalen Tiefsee und damit auch für Drucksache 19/2592 ihre Biodiversität. Das Weddellmeer ist also nicht nur Überweisungsvorschlag: ein Bereich irgendwo in der Antarktis, den wir schützen. Finanzausschuss (f) Vielmehr handelt es sich ein Stück weit um globalen Ausschuss für Inneres und Heimat Schutz. Größte Teile der Biodiversität sind weitgehend Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz unerforscht. Die Zone, in der gerade Alexander Gerst he- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für rumfiegt, ist wesentlich erforschter als die Tiefsee; dort die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- besteht noch enormes Forschungspotenzial. Der Lebens- nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. raum ist einzigartig. Wir wollen, dass diese weitgehend unberührte Natur genauso bleibt, nämlich unberührt. Ich bitte wieder, die notwendige Aufmerksamkeit zü- gig herzustellen und Platz zu nehmen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Ich eröfne die Aussprache. Das Wort hat der Abge- geordneten der FDP und der LINKEN) ordnete Fabio De Masi für die Fraktion Die Linke. Vor zwei Jahren hat es schon einmal einen Versuch (Beifall bei der LINKEN) gegeben. Jetzt soll es endlich klappen. Die Bundesregie- rung ist zu Recht sehr engagiert in dieser Angelegenheit. Fabio De Masi (DIE LINKE): Se löppt sük noch de Mors ut de Hacken; so sagt man Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! das in Ostfriesland. Dieses Engagement wollen wir gerne Deutschland ist Gangster’s Paradise insbesondere im Im- unterstützen. Der von Deutschland erarbeitete Schutzge- mobiliensektor. Hunderte Milliarden Euro schmutziges bietsvorschlag umfasst eine Fläche von rund 1,8 Millio- Geld aus Korruption, Menschen-, Wafen- und Drogen- nen Quadratkilometer, fünfmal so groß wie Deutschland, handel oder Steuerhinterziehung der Reichen und Mäch- das größte Meeresschutzgebiet der Erde. Ich möchte an (B) tigen werden jährlich in Deutschland gewaschen. Es geht (D) dieser Stelle einen Dank aussprechen an unsere ehema- auch um Terrorfnanzierung. Deutschland legt Justiz und lige Bundesministerin Barbara Hendricks, die dafür ge- Fahndern bei Vermögensabschöpfung und Steuerge- sorgt hat, dass daraus eine europäische Initiative wird. heimnis Handschellen an. Ein Immobilienregister wird Das gehört an dieser Stelle dazu. nach wie vor von der Bundesregierung blockiert. Die Fi- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, nanzaufsicht verhängt viel zu geringe Strafen bei Verstö- der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE ßen von Banken gegen Geldwäschegesetze. ’s GRÜNEN) Next Trump-Model Markus Söder verhökerte 32 000 landeseigene Wohnungen in Bayern an zwielichtige Oli- Das Schutzgebiet soll ein weiterer Baustein für den garchen der PATRIZIA AG. Auch hier besteht Verdacht umfassenden Schutz sensibler Lebensräume darstellen. auf Geldwäsche. Wir sind zuversichtlich, dass der Antrag im Herbst auf der Tagung in Hobart in Tasmanien eine Mehrheit fnden Palermos Antimafastaatsanwalt Roberto Scapinato wird, und wünschen dem Bemühen viel Erfolg. Wir je- sagt: „Wenn ich Mafoso wäre, würde ich in Deutsch- denfalls unterstützen Sie dabei, so gut wir können. land investieren.“ Frank Buckenhofer, Vorsitzender der Bezirksgruppe Zoll der Polizeigewerkschaft, fordert Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. eine Bundesfnanzpolizei und sagt: „Die Politik will nicht wirksam gegen Geldwäsche vorgehen.“ Sebastian (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem ­Fiedler, Vizechef des Bundes der Kriminalbeamten, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- warnte prophetisch vor Schafung der neuen Geldwä- geordneten der FDP und der LINKEN) scheeinheit beim Zoll, der Financial Intelligence Unit, kurz: FIU, dass es zu massiven Verschlechterungen in Vizepräsidentin Petra Pau: der Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfnan- Ich schließe die Aussprache. zierung kommen werde. Heute spricht Fiedler von einer „sicherheitspolitischen Katastrophe“. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/ (Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Das hat sich Die Grünen auf Drucksache 19/2985 mit dem Titel „Mee- aber nicht bewahrheitet!) resschutzgebiet im Weddellmeer der Antarktis“. Wer stimmt für den Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer Ich deckte per Anfrage auf, dass sich bei der FIU enthält sich? – Der Antrag ist einstimmig angenommen. zwischenzeitlich 30 000 Geldwäscheverdachtsmeldun- gen stapelten; fast 80 Prozent aller eingegangenen Mel- (Beifall im ganzen Hause) dungen waren unbearbeitet. Aktuell sind es noch immer 4512 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

Fabio De Masi (A) 38 Prozent, nachdem die Bundesregierung versprochen sprechen: Ich fnde, dies ist „ein Angebot, das Sie nicht (C) hatte, den Rückstand bis zum 1. April 2018 abgearbeitet ablehnen können“. zu haben. Das war dann wohl doch eher ein Aprilscherz. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN – Dr. Jens Zimmermann [SPD]: Das ist bestenfalls Aber es zählt nicht nur Quantität, sondern auch Qua- Schlussverkauf hier!) lität. Gestern schmiss FIU-Chef Andreas Bardong seinen Job hin. Aber der Fisch stinkt vom Kopf her. Die Politik trägt Verantwortung für das Geldwäschechaos, und Fi- Vizepräsidentin Petra Pau: nanzminister Olaf Scholz muss das jetzt zur Chefsache Das Wort hat der Abgeordnete Sepp Müller für die machen. CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sepp Müller (CDU/CSU): Beim BKA und den Landeskriminalämtern waren Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolle- etwa 300 Beamte mit kriminalistischer Erfahrung für ginnen und Kollegen! Gut, dass wir zur Kafeezeit am Geldwäsche zuständig, bei der FIU sind es bisher nur Freitagnachmittag über das spannende Thema Geldwä- gut 100. Geldwäscheverdachtsmeldungen wurden dabei sche im Bundestag reden, gut, dass die Linken bei der auch durch Langzeitarbeitslose bearbeitet und per Fax Bekämpfung der Geldwäsche richtig Gas geben möch- übermittelt. Nun hat das Finanzministerium 475 Stellen ten; schlecht nur: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht bei der FIU versprochen. Das ist gut. Aber wie schrieb mit Steinen werfen. Hätte Die Linke diesen Ehrgeiz bei mir Sebastian Fiedler dazu heute früh? der Aufklärung der Geldwäsche nicht vor Jahren schon selbst zeigen können? Es bleibt beim Opernglas zur Erforschung des Welt- raums. Nun gibt es mehr Leute mit Operngläsern! Lieber Kollege De Masi, ich schätze Sie persönlich sehr, auch in der Sache, auch im Hinblick auf Ihre kri- (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der tischen Nachfragen. Die Erläuterungen dazu teile ich in LINKEN – Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Blöd- der Regel nicht. Aber wieso klärt Ihre Partei nicht selbst sinn!) bei der Geldwäsche auf? Wie scheinheilig ist das denn, wenn die Linksfraktion heute einen Antrag zur Geldwä- (B) Warum? Dem Zoll fehlen Beamte mit Ermittlungser- sche einbringt, (D) fahrungen und der Zugang zu relevanten polizeilichen (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Datenbanken. Auch die beste IT ersetzt keine krimina- NEN]: Vorsicht! Sie kommen von der CDU! listische Spürnase. Laut Geldwäschegesetz soll zwar Wer auf andere mit dem Zeigefnger zeigt, der ein Datenabgleich mit dem BKA erfolgen; aber es lässt deutet mit drei Fingern auf sich selbst!) sich in den Datenbanken nicht selbstständig recher- chieren. Uns wurde im Finanzausschuss von Experten obwohl vor ein paar Tagen aus gewaschenem SED-Ver- geschildert, dass potenziell kriminelles Geld vielfach mögen 185 Millionen Euro ausgeschüttet wurden? nicht festgesetzt wurde, weil die FIU Fristen nicht halten (Beifall bei der CDU/CSU, der AfD und der konnte. Wir haben nun gemeinsam mit Experten einen FDP – Widerspruch bei der LINKEN) Antrag erarbeitet, der das EU-rechtswidrige Chaos bei der Geldwäschebekämpfung beenden, die FIU mit den Liebe Kollegen der Linken, auch wenn das wehtut, analytischen Fähigkeiten ausstatten soll, die sie benötigt, muss das gesagt werden: Ihre Vorgängerparteien, SED und die Expertise der Landeskriminalämter wieder ein- und PDS, haben Millionen Euro ins Ausland gebracht bezieht. und wollten diese waschen. Mit Ihrem Antrag wollen Sie den Bock zum Gärtner machen. Und nun eine Überraschung für die schlecht gelaun- ten Gesichter bei der SPD: Unser Antrag basiert auf ei- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – ner Initiative der SPD-Fraktion im Landtag von Nord- Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Haben rhein-Westfalen. Sie keine anderen Argumente?) Es sitzen heute noch Genossen in Ihren Reihen, die da- (Beifall bei der LINKEN) mals Verantwortung getragen haben. Nun bin ich lange genug im Geschäft, um zu wissen, (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Ja, dass Sie einem Antrag der Linksfraktion nicht zustim- klar!) men werden; aber mir geht es um die Sache. Wie wäre Wieso übernehmen Sie nicht jetzt die Verantwortung und es, Sie schreiben den Antrag einfach ab und „Koalitions- sagen uns endlich, wo Ihre Millionen an gewaschenem fraktionen“ darüber? Meine Fraktion wird ganz uneitel Vermögen versteckt sind? zustimmen; denn uns geht es darum, kriminelles Geld in Deutschland auszutrocknen und die Sicherheitsrisiken (Beifall bei der CDU/CSU, der AfD und der abzuwenden. Um mit Marlon Brando in „Der Pate“ zu FDP) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4513

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: Sie endlich Ross und Reiter nennen, wenn diejenigen, die (C) Kollege Müller, gestatten Sie eine Frage oder Bemer- wissen, wo das Geld gewaschen wurde, das sagen. kung des Abgeordneten Klaus Ernst? (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab- geordneten der AfD und der FDP – Ralph Sepp Müller (CDU/CSU): Lenkert [DIE LINKE]: Wie ist das mit der Selbstverständlich. Helmut-Kohl-Spende gewesen? Klären Sie die Spendenafäre von Helmut Kohl mal auf! – Weitere Zurufe von der LINKEN) Klaus Ernst (DIE LINKE): Also, Herr Sepp Müller, ich habe den Eindruck, Sie haben das Thema total verfehlt. Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall bei der LINKEN – Sebastian Brehm Kollege Müller, kleinen Moment! – Fürs Erste hat der [CDU/CSU]: Das ist immer so!) Kollege Müller überwiegend das Wort. Aber die Uhr ist noch angehalten. Wenn Sie ideologische Kampfreden halten wollen, dann gehen Sie doch in ein Bierzelt zur CSU; da können Sie (Markus Herbrand [FDP]: Schade!) das vielleicht sehr gut machen. Ich sage gleich vorsorglich: Sollte der Kollege Müller (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- noch eine Frage oder Bemerkung zulassen, ist das die SES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der letzte im Rahmen dieses Redebeitrags, weil wir gehalten AfD – Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Ach- sind, die verabredeten Redezeiten einzuhalten. tung! Achtung!) Gestatten Sie noch eine Bemerkung oder Frage der Gegenwärtig geht es darum, dass Sie mit dem, was Sie Kollegin Paus? hier treiben, mit Ihren Aussagen, genau die Geldwäscher schützen, die wir gerade an den Pranger stellen. Sepp Müller (CDU/CSU): (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Selbstverständlich. NIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei Abge- ordneten der AfD) Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ist Ihnen eigentlich klar, was Sie hier machen? Wenn Herzlichen Dank. – Herr Müller, Sie liegen vielleicht Sie in dieser Art und Weise weitermachen, dann sieht gar nicht falsch, wenn Sie darauf hinweisen, dass es sein (B) wenigstens das geneigte Publikum, welche Rolle Sie könnte, dass das Geldwäscheproblem in Deutschland – (D) von der CDU/CSU in diesem Zusammenhang spielen, das BKA schätzt: 100 Milliarden Euro werden jedes Jahr nämlich: Sie sind Schutzpatron der Verbrecher, die mit in Deutschland gewaschen und nicht entdeckt – vielleicht Geldwäsche ihr Geschäft machen; das will ich Ihnen mal etwas damit zu tun hat, dass es auch Geldwäsche bei den sagen. Parteien gegeben hat und gibt. Deswegen würde mich in (Beifall bei der LINKEN – Sebastian Brehm diesem Zusammenhang auch etwas interessieren. Sie ha- [CDU/CSU]: Oioioi! – Zuruf von der AfD: ben nicht völlig unrecht, was die SED/PDS/Linkspartei Linke Logik!) angeht. Da wüsste ich auch gern noch das eine oder an- dere. Aber ich wüsste auch gern was zur CDU. Sepp Müller (CDU/CSU): Da ist es ja nun mal so gewesen: Es gab einen Walther Sehr geehrter Herr Ernst, das gibt mir die Möglichkeit, Leisler Kiep. Es gab einen Helmut Kohl, der sein Ehren- mit einem Irrglauben aufzuräumen. Ich bin selber aus wort gegeben hat und die Information darüber, wer es den neuen Ländern, in der wunderschönen Lutherstadt gewesen ist, mit ins Grab genommen hat. Es gab einen Wittenberg geboren. Schauen Sie, die Bundesanstalt für Herrn Koch, der gesagt hat, er habe das Geld sozusagen vereinigungsbedingte Sonderaufgaben hat erst 20 Jahre aus jüdischen Vermächtnissen bekommen. All diese Din- nach der Wende die ersten 230 Millionen Euro an ge- ge hat es gegeben. Der versuchte Kampf der Finanzbe- waschenem Geld aus SED-Vermögen reingeholt. Dieses amten in Hessen gegen Geldwäsche hat unter anderem Geld steht den Menschen in den neuen Ländern zu. Es dazu geführt, dass es Mobbing gegeben hat, dass Finanz- wäre schön, wenn Ihre Partei zur Aufklärung beitragen beamte aus der hessischen Finanzverwaltung rausge- würde, damit meine Geistigbehindertenschule im Wahl- grault worden sind. kreis endlich gebaut werden kann. Also, wie sieht es aus mit dem Kampf gegen die Geld- (Beifall bei der AfD sowie bei Abgeordneten wäsche der CDU? Sind Sie hier und heute bereit, mir zu der CDU/CSU) sagen, dass es jetzt doch endlich mal einen gemeinsamen Kampf geben sollte und dass wir damit aufhören müssen, Sie schützen nämlich diejenigen, die gewaschen haben, sonntags über Geldwäsche zu reden, aber im Alltag alles und nicht wir. dafür zu tun, dass Geldwäsche in Deutschland weiterhin (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Ich nicht!) unbemerkt bleibt? Wir sind dafür, aufzuklären. Arbeiten Sie mit! Sie sind (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN herzlich dazu eingeladen. Ich würde mich freuen, wenn sowie des Abg. Klaus Mindrup [SPD]) 4514 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

(A) Sepp Müller (CDU/CSU): Wenn Sie die Antwort durchlesen, die Sie von Staatsse- (C) kretärin Lambrecht bekommen haben, die gerade vertre- Liebe Frau Paus, herzlichen Dank. – Heute ist nicht ten wird, Sonntag, sondern Freitag zur Kafeezeit, und da blei- ben wir auch bei den Realitäten, dass die CDU zu Recht (Fabio De Masi [DIE LINKE]: Dann sind es dementsprechend abgestraft wurde. Wir bleiben auch bei immer noch 38 Prozent!) den Realitäten, dass danach das Parteiengesetz gestraft wurde. Wir bleiben auch bei den Realitäten, dass die Ver- dann wissen Sie, dass es über 30 000 in Bearbeitung antwortlichen, die ermittelt wurden, zur Rechenschaft befndliche Fälle gibt. Das heißt, die Erstbewertung ist gezogen wurden. abgeschlossen. Eventuelle terroristische Risiken wurden den LKAs gemeldet. Dann frage ich Sie tatsächlich: Wo (Stef Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ist denn der Rückstau bei der Bearbeitung? Bleiben Sie NEN]: Ehrenvorsitzender!) da bitte ehrlich. Dann fordern Sie – zweitens – die Bundesregierung Deswegen ist Deutschland – anders als Sie mit Ihrer Fra- auf, den Finanzausschuss und den Innenausschuss lau- ge suggerieren – kein Geldwäscheland; das will ich hier fend über den Fortschritt zu unterrichten. Ich weiß, dass noch mal klar und deutlich sagen. Wir haben aufgeklärt, Sie das mit Ihren Fragen sowieso erreichen, Herr De und wir stehen weiterhin zur Verfügung, um weiter auf- Masi von den Linken. Aber was wollen Sie denn jetzt? zuklären. Herzliche Einladung dazu! Wollen Sie, dass die Behörde arbeitet, oder wollen Sie eine Arbeitsbeschafungsmaßnahme für die Behörde, da- (Beifall bei der CDU/CSU) mit sie jederzeit unsere Fragen beantwortet und uns den Kommen wir doch zum Inhalt Ihres Antrages, liebe aktuellen Bearbeitungsstand meldet? Linken. (Fabio De Masi [DIE LINKE]: Sie interes- siert das nicht?) (Beifall des Abg. Fabio De Masi [DIE LINKE] – Fabio De Masi [DIE LINKE]: Das Mit uns als Union wird es keine Arbeitsbeschafungs- wäre schön! – Helin Evrim Sommer [DIE maßnahme für die FIU geben. Wir wollen, dass die Be- LINKE]: Jetzt zum Thema!) amtinnen und Beamten dort ihre Arbeit machen, und das machen sie richtig gut. Die Zahl der unbearbeiteten Fälle Seit knapp einem Jahr gilt die Vierte Geldwäschericht- nimmt auch ab. Das heißt für uns: Wir unterstützen die linie in diesem Land, und seit knapp einem Jahr arbei- FIU weiterhin dabei, ihre Arbeit zu machen. Das sollte tet die FIU; das ist die Stelle, die für die Geldwäsche- auch mal in dieser Klarheit hier gesagt werden. (B) (D) verdachtsmeldungen zuständig ist. Ja, Sie haben recht: Es gibt strukturelle Probleme, die aber sicherlich nor- (Beifall bei der CDU/CSU – Fabio De Masi mal sind, wenn eine Behörde anfängt, zu arbeiten. Und [DIE LINKE]: Das sehen die aber anders!) glauben Sie mir: Als Berichterstatter habe ich da auch Sie fordern in Ihrem Antrag – drittens –, eine Reform schon sehr kritisch nachgefragt. Ich will jetzt nicht sa- des Rechtsrahmens der Geldwäschebekämpfung zeitnah gen, dass das zur Folge hatte, dass der Verantwortliche einzuleiten. Ist Ihnen entgangen, dass die Fünfte Geldwä- gehen musste – das nicht –, aber wir stehen zu unserer scherichtlinie vor der Tür steht? Verantwortung. (Fabio De Masi [DIE LINKE]: Nee, ich habe Forderung 1 a in Ihrem Antrag ist, Sofortmaßnah- die mitverhandelt in Brüssel!) men zu ergreifen, um einen reibungslosen Ablauf der Wenn solche Schaufensteranträge weiterhin zur Kafee- Bearbeitung und Weiterleitung von Geldwäschever- zeit eingebracht werden, ist das ja auch schön für das dachtsmeldungen zu gewährleisten. Was sollen denn das Publikum, um einfach mal mitzukriegen, wie hier mit für Sofortmaßnahmen sein? Die Bundesregierung hat diesem Parlament umgegangen wird. veranlasst, dass die Zahl der Mitarbeiter in der FIU im letzten Jahr auf 50 erhöht wurde. Im Korridor sind jetzt (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Dann gehen Sie 475 Beschäftigte vorgesehen. Die Bundesregierung hat doch Kafee trinken! – Helin Evrim Sommer mit Unterstützung der Fraktionen auch eine Software- [DIE LINKE]: Wir sind hier im Parlament!) lösung eingeführt. Das sind Sofortmaßnahmen, die dazu führen – auch jetzt, nachdem wir festgestellt haben, dass Aber solche Debatten brauchen wir nicht, weil es bereits mehr Geldwäscheverdachtsmeldungen kommen –, dass die ersten Berichterstattergespräche zur Fünften Geldwä- ein Abschmelzen der in Bearbeitung befndlichen Fälle scherichtlinie gibt. Wenn Sie sich daran beteiligen möch- stattfndet. ten, Herr De Masi, sind Sie herzlich dazu eingeladen, hier Reformen im Rechtsrahmen für die Geldwäschebe- Forderung 1 b: Der derzeitige Rückstau bei der Bear- kämpfung einzuführen. beitung soll unverzüglich abgebaut werden. – Welchen (Zuruf der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/ Rückstau meinen Sie denn? Sie sagten, es gibt 30 000 DIE GRÜNEN]) unbearbeitete Fälle. In diese Debatte bringen wir uns als Union gerne sach- (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: lich ein, und zwar mit folgenden Diskussionspunkten Ja!) und Fragestellungen: Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4515

Sepp Müller (A) Benötigen wir zukünftig Schwellenwerte, um einen – Durch die Zwischenrufe wird Ihre falsche Aussage (C) Verdacht zu melden? auch nicht richtiger.

Müssen die Geldwäschebeauftragten als einzige Be- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- auftragte in Kreditinstituten persönlich haftbar sein, ist neten der AfD – Helin Evrim Sommer [DIE das weiterhin notwendig? Aktuell läuft es nach dem Mot- LINKE]: Sie sagen die Unwahrheit!) to: Melden macht frei. – Jeder Tatbestand wird gemeldet. Übrigens fnden sich auch die Mehrfachmeldungen in der Es ist tatsächlich so, dass 500 Abgänge bei der Polizei bis Statistik, die Sie abgefragt haben. Auch das gehört zur 2021 beschlossen sind. Da sollten Sie sich in der Tat ganz Ehrlichkeit dazu. ehrlich machen.

Wie lange wollen wir noch aus sogenannten Daten- Vizepräsidentin Petra Pau: schutzgründen darauf verzichten – Sie haben das rich- Kollege Müller, auch wenn ofensichtlich großer De- tigerweise angesprochen –, automatisch auf lokale battenbedarf besteht: Ihre Redezeit ist schon weit über- Polizeidaten zugreifen zu können? Das Stichwort „Po- schritten. Ich bitte, einen Punkt zu setzen. lizei 2020“ spielt hier eine große Rolle. Wir müssen uns tatsächlich darüber unterhalten, wie schnell auch die FIU (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) auf die Polizeidaten vor Ort zugreifen können soll.

Wo soll die neue, große Behörde, die auf 475 Ange- Sepp Müller (CDU/CSU): stellte anwächst, untergebracht werden? Wir verstehen es Der Punkt kommt. – Liebe Kollegen der Linken, wir im Geiste des Koalitionsvertrages so – Stichwort „De- lehnen Ihren Schaufensterantrag ab. Kehren Sie lieber zentralisierungsstrategie“ –, dass die Standorte dezentral selbst vor Ihrer eigenen Tür. Da haben Sie genügend in Deutschland, insbesondere im ländlichen Raum, unter- Dreck. gebracht werden. Das verbessert unserer Meinung nach die Kommunikation und Akzeptanz der neugeschafenen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Behörde. neten der AfD – Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Sie auch! Besonders Sie!) (Fabio De Masi [DIE LINKE]: Hauptsache nicht im Konrad-Adenauer-Haus!) Vizepräsidentin Petra Pau: Was werden wir in der nahen Zukunft erleben? Wenn Das Wort hat der Abgeordnete Stefan Keuter für die die Anlaufschwierigkeiten, die es tatsächlich gibt und AfD-Fraktion. (B) (D) die wir auch zu Recht kritisieren, durch die bereits be- sprochenen Maßnahmen, die eingeleitet wurden – mehr (Beifall bei der AfD) Personal, bessere Softwarelösungen, mehr Vernetzung; endlich ist es auch online möglich, einen Verdachtsfall Stefan Keuter (AfD): zu melden –, behoben sind, dann werden auf die Länder Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Wer- deutlich mehr Geldwäscheanzeigen bei den Landeskri- te Zuschauer hier im Saal, an den Fernsehgeräten und in minalämtern zukommen. den sozialen Medien! Der Antrag der Fraktion der Lin- Es ist richtig, dass im Vorgrif die unionsgeführten ken birgt eine gewisse Form des Humors; aber dazu kom- Bundesländer den Personalbestand bei der Polizei und men wir später. Ich hätte nicht gedacht, dass mich heute, beim LKA signifkant erhöht haben. an einem Freitagnachmittag, ein Kollege von der CSU so zur Zustimmung treibt. (Beifall bei der CDU/CSU – Thomas Jurk (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: [SPD]: Den Sie vorher gekürzt haben!) CDU!) Es ist aber kontraproduktiv, wenn Die Linke in Thüringen Vielen Dank, Sie haben mir aus dem Herzen gesprochen. seit Jahren Personal bei den Sicherheitsbehörden abbaut. Sprechen Sie doch mit Ihrem Kollegen Herrn Ramelow. (Beifall bei der AfD) (Widerspruch bei der LINKEN – Ralph Nicht, dass wir uns hier falsch verstehen: Die AfD un- Lenkert [DIE LINKE]: Das stimmt doch terstützt selbstverständlich jedwede Form des Kampfes überhaupt gar nicht! Das ist eine Falschaus- gegen Geldwäsche und Terrorfnanzierung. Allerdings sage! – Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: verwundert es uns ganz schwer, dass gerade die Nach- Das stimmt doch gar nicht, was Sie da sagen!) folgepartei der SED, Die Linke, jetzt meint, hier so aufs Gaspedal treten zu müssen. Es ist kontraproduktiv, wenn der rot-rot-grüne Senat in Berlin über 500 Abgänge bei der Polizei beschließt. (Beifall bei der AfD – Dr. Irene Mihalic Dann schafen wir es nämlich nicht, dass in den Landes- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat Herr kriminalämtern die Geldwäsche bekämpft werden kann. Müller sein Manuskript liegenlassen? – Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Transparenz! (Pascal Meiser [DIE LINKE]: Es ist gelogen, Erklären Sie mal Ihre Spenden! Hallo! Spen- was Sie sagen!) den! Erklären Sie die Spenden der AfD!) 4516 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

Stefan Keuter (A) – Sparen Sie sich erst mal Ihre Zwischenrufe. Sie sitzen Stefan Keuter (AfD): (C) hier noch nicht mal mit zehn Leuten und bringen einen Wenn er uns sagt, wo das Geld geblieben ist, ja, an- Antrag ein. Erst mal ruhig sein, zuhören. Da kommen wir sonsten nein. Herr De Masi, wir werden uns im Ausschuss gleich zu. noch ausgiebig damit beschäftigen. Dort haben Sie dann nicht die große Bühne wie hier, die große Schaufenster- (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Spen- politik zu betreiben. den!) (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Sie ha- Liebe Genossinnen und Genossen, wie war das noch ben doch gesagt, Sie würden eine Zwischen- mit der Verschiebung dreistelliger Millionenbeträge – frage zulassen!) Geld, das zu Wendezeiten durch Ihre Vorgängerin ver- schoben worden ist, vornehmlich in die Schweiz? Gut, es ist dann tranchenweise nach mehreren Gerichtsurteilen Vizepräsidentin Petra Pau: zurückgefossen; es fehlt immer noch was. Ich würde von Also ja oder nein? Ihnen eine Zwischenfrage zulassen, (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Nein! – Stefan Keuter (AfD): Klaus Ernst [DIE LINKE]: Es reicht, dass wir Nein. – Danke. zuhören müssen!) Wer ablehnt, dass wir auf unsere Grenzen aufpassen, wenn Sie die stellen wollten, aber nur, wenn Sie uns ver- der öfnet förmlich Kriminalität Tür und Tor. raten, wo das Geld geblieben ist. (Beifall bei der AfD – Stef Lemke [BÜND- (Beifall bei der AfD – Dr. Jens Zimmermann NIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil die Konten [SPD]: Die AfD hat nie Geld aus der Schweiz sonst die Grenzen überqueren, oder was?) angenommen? Ist das richtig?) Erinnern Sie sich, liebe Genossinnen und Genossen: Es Das, liebe Genossinnen und Genossen, was Sie hier ver- waren Ihre Vorväter, die damals die Grenzen verbarrika- anstalten, ist genau unser Humor. diert haben, die nichts und niemanden hinein, aber auch niemanden rausgelassen haben. (Lachen des Abg. Uwe Kekeritz [BÜND- (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Helin NIS 90/DIE GRÜNEN – Renate Künast Evrim Sommer [DIE LINKE]: Das sind nicht [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist daran meine Vorväter! Die waren noch nicht mal Humor? Das ist stinklangweilig!) (B) dort! Die kommen aus Kurdistan meine Vor- (D) Wir als AfD haben im Namen unserer Bürger großes väter!) Interesse daran, dass organisierte Kriminalität, Geldwä- Das ist ofensichtlich Ihr Humor. sche und Terrorismus bekämpft werden. Aber, liebe Ge- nossinnen und Genossen, Sicher ist es richtig, dass die Behörden den Verdachts- meldungen der Banken und anderer Stellen nachgehen (Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Wie bitte? Kön- müssen. Mit der Androhung von Gefängnisstrafen, ho- nen Sie das mal lassen?) hen Sanktionen für die zuständigen Mitarbeiter in den das funktioniert nicht, wenn wir uns hier an einem Frei- Banken provoziert man allerdings nur zusätzliche Ver- tagnachmittag hinstellen, einen abgedroschenen Antrag dachtsmeldungen, und wir lösen hiermit eine Flut aus, bringen mit einem Inhalt, der eh schon geltendes Recht die mit Sicherheit vom Gesetzgeber nicht gewollt ist. Wir ist, noch mal draufhauen und sagen: Wir müssen drin- haben es eben schon von Herrn Müller gehört: „Melden gend Maßnahmen ergreifen. – Das ist linke Polemik, macht frei“, genauso funktioniert das hier. Die Relevanz meine Damen und Herren. dieser Meldungen ist häufg gering und hat überhaupt keine zielführende Bedeutung. (Beifall bei der AfD – Helin Evrim Sommer Wir sind beim Thema Massenvorfälle. Die manuelle [DIE LINKE]: Das müssen wir uns sagen las- Bearbeitung dieser Massenvorfälle, deren Relevanz – wir sen!) haben es schon gehört – in den allermeisten Fällen eher Terrorismus und Geldwäsche bekämpft man in erster gering ist, kann niemals efektiv sein. Damit haben Ihre Linie dadurch, dass man auf seine Grenzen aufpasst, dass Altvorderen ofensichtlich Erfahrung: Ende der 80er-Jah- man überlegt, wen man ins Land lässt. re gab es, liebe Genossinnen und Genossen, in der DDR (Dr. Jens Zimmermann [SPD]: Geldwäsche an (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Wir sind der Grenze abweisen! – Helin Evrim Sommer nicht Ihre Genossinnen und Genossen! Hören [DIE LINKE]: Grenzen dichtmachen!) Sie damit auf!) schon mal Massenvorfälle. Sie wollen eine im Moment Vizepräsidentin Petra Pau: noch suboptimal funktionierende Bürokratie mit noch mehr Bürokratie bekämpfen. Das ist ofensichtlich Ihre Herr Keuter, ich habe Ihre Uhr angehalten. – Fürs Ers- linke Ideologie. te bitte ich mal um Ruhe. – Gestatten Sie eine Bemer- kung oder Frage des Abgeordneten De Masi? (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4517

Stefan Keuter (A) Denken wir mal an unser Umfeld: Wo fndet Geldwä- jetzt noch erklären, wo Frau Weidel ihr Geld versteuert, (C) sche statt? Stellen Sie sich eine Innenstadt Ihres Belie- zum Beispiel in der Schweiz, bens vor: Wettbüros, Call Shops, Spielhallen, Dönerlä- den reihen sich in Unmenge nebeneinander. Da fragt man (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und sich: Wie kann so etwas funktionieren? der SPD) dann erkläre ich Ihnen, was mit irgendwelchen Geldern (Dr. Jens Zimmermann [SPD]: Da fehlt der passiert ist. Ich möchte Sie nur darauf hinweisen, dass AfD-Parteishop, in dem man Gold kaufen ich im Unterschied zu Frau Weidel meine Steuererklä- kann!) rung im Internet veröfentliche. Natürlich gibt es jede Menge ehrlicher Betriebe; aber es (Beifall bei der LINKEN) ist tatsächlich so, dass hier arbeitstäglich häufg kleinere Bargeldtranchen auf Geschäftskonten eingezahlt werden.

Das führt zu keinen Kontrollmeldungen. Wie sagt man Vizepräsidentin Petra Pau: im Ruhrgebiet: Und sauber ist die Kohle. – Da muss man Sie haben das Wort zur Erwiderung. ran. Aber nicht mit Ihrer pseudokulturellen Duldungs- starre, sondern da muss man mit harter Hand rangehen. Stefan Keuter (AfD): Herr De Masi, vielen Dank für Ihre Kurzintervention. Ich spreche das Thema Schrottimmobilien an, wieder Für jede Verlängerung der Redezeit sind wir natürlich so ein Thema, wo Sie meinen, Ihre Ideologie verbreiten dankbar, auch wenn es freitagnachmittags ist. Ich sage zu können. Hier holen sich Menschen, bei denen die mal, wir hatten von den Linken eigentlich nichts anderes Umsätze nicht so laufen, unsere Wohltaten ab. Dagegen erwartet als linke Polemik, wenn wir über Steuererklä- muss man vorgehen. Wir werden natürlich der Überwei- rungen reden. Solange hier keine Steuerstraftaten vorlie- sung in den Ausschuss zustimmen. Da werden wir Ihnen, gen, bedarf es auch keiner Veröfentlichung. Dafür haben Herr De Masi, in der Praxis noch mal erklären, was hier wir ein Steuergeheimnis in Deutschland. Wir reden hier tatsächlich passieren muss. Mir bleibt an dieser Stelle nur über schwere Straftaten. Dass Sie sich erdreisten, hier noch, Ihnen ein schönes Wochenende zu wünschen und aufzustehen für die Linke und uns nicht mal erklären der AfD einen erfolgreichen Bundesparteitag in Augs- wollen, wo das Geld geblieben ist, ist schon ein starkes burg. Stück. Vielen Dank. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Peinlich seid ihr!) (B) (Beifall bei der AfD) (D) Ich möchte Ihnen keine weitere Plattform bieten. Wir sind auf Ihren Antrag ausgiebig eingegangen. Wir reden Vizepräsidentin Petra Pau: im Ausschuss miteinander, und dann schauen wir weiter. Ganz so weit ist es noch nicht. Wir haben noch eine Vielen Dank. Tagesordnung abzuarbeiten. Zu einer Kurzintervention hat der Abgeordnete De Masi das Wort. Ich weise aller- (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Peinlich! Sehr, dings darauf hin – das gilt für alle nachfolgenden Red- sehr peinlich!) nerinnen und Redner und auch für den nachfolgenden Tagesordnungspunkt –: Wir haben eine verabredete De-

batten- und Redezeit. Ich bitte darum, auch zu schauen, Vizepräsidentin Petra Pau: dass wir nicht die Redezeiten durch Bemerkungen, Zwi- Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat der Ab- schenfragen und anderes verdoppeln, auch darüber haben geordnete Dr. Jens Zimmermann für die SPD-Fraktion. wir im Ältestenrat gesprochen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Jens Zimmermann (SPD): Herr De Masi, Sie haben das Wort. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich bitte zu Beginn sagen: Dieses Thema ist wirk- Fabio De Masi (DIE LINKE): lich viel zu wichtig, als dass ihm diese unwürdige De- batte, die wir gerade erlebt haben, auch nur annähernd Ich bedaure es ja außerordentlich, dass ich jetzt Ihre gerecht werden würde. Redezeit noch mal verlängere. Ich bin im Unterschied zu Ihnen in der Lage, für das viele Geld, das ich verdiene, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten auch freitagnachmittags noch zu arbeiten. Sie sprachen der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN) davon, dass hier linke Ideologien verbreitet werden. Ich Das muss man leider in verschiedene Richtungen sagen. möchte Sie darauf hinweisen, dass ich selbstverständlich Allerdings sollte eine Partei, die in ihrem Partei-Shop meine Hausaufgaben gemacht habe und diesen Antrag Gold verkauft, beim Thema Geldwäsche vielleicht ein unter anderem mit dem Bund Deutscher Kriminalbeam- bisschen vorsichtig sein. ter und der Deutschen Polizeigewerkschaft vorbereitet habe. Ich frage Sie, ob unsere Strafermittler in Deutsch- (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie land täglich linke Ideologien verbreiten. Wenn Sie mir bei Abgeordneten der CDU/CSU) 4518 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

Dr. Jens Zimmermann (A) Das sind bestimmt tolle Erinnerungen, und das gibt es Bundesregierung fordern. Sie fordern, dass die Abläufe (C) bestimmt auch auf Ihrem Parteitag; aber der eine oder ordentlich organisiert werden. Dass das passieren wird, andere hat da Bedenken. hat uns, glaube ich, die FIU erklärt. Das wird geschehen. Der Rückstau soll aufgearbeitet werden. Ich habe eben Lassen Sie uns auf die Financial Intelligence Unit gesagt: Bis Mitte Juli wird das der Fall sein. Sie fordern schauen. Was ist da in den letzten Monaten passiert? Ja, es gibt nichts schönzureden: Bei der Umstellung gab es mehr Stellen. Der Haushaltsschuss schlägt die Schafung Probleme. Es wurden Fehler gemacht; es sind Meldun- von 172 neuen Stellen vor. Sie wollen, dass der Finanz- gen aufgelaufen. Das bestreitet niemand; das bestreitet ausschuss unterrichtet wird. Wir hatten bereits eine An- auch die Bundesregierung nicht. Wir hatten dazu im Fi- hörung und haben das Thema mehrfach unter dem Ta- nanzausschuss eine Anhörung. Ich glaube, es ist eigent- gesordnungspunkt „Aktuelles“ diskutiert. Das hat also lich relativ klar, wo die Fehler lagen und was zu tun ist. stattgefunden. Sie sind zu einem großen Teil bereits abgestellt worden. Außerdem wollen Sie, dass die Vorgaben der Vier- (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ten Geldwäscherichtlinie umgesetzt werden. Sie haben Leider nicht!) eben selbst gesagt: Sie hätten an der Fünften Richtlinie Das ist erst einmal der richtige Weg. mitgearbeitet. Die Umsetzung der Vierten Geldwäsche- richtlinie haben wir im Deutschen Bundestag bereits be- Ich will aber schon eines in Ihre Richtung sagen, Herr schlossen. Aber – der Kollege Sepp Müller hat das schon Kollege De Masi: Dafür, dass Sie an der Geldwäsche- angesprochen – wir werden natürlich auch die weiteren richtlinie im Europäischen Parlament mitgearbeitet ha- europäischen Vorgaben der Geldwäschebekämpfung hier ben, ist mir das, was Sie abliefern, ein bisschen zu wenig. umsetzen. Wir haben 2020 die nächste Länderprüfung durch die Financial Action Task Force. Aus der letzten Länderprü- Also bleibt mir am Ende des Tages nur, sachlich und fung ging die Reorganisation der Financial Intelligence ohne Schaum vor dem Mund zu sagen: Wir können Ihren Unit als eine zentrale Forderung hervor. Man hat gesagt: Antrag für erledigt erklären. So, wie das in Deutschland organisiert ist, ist es nicht zielführend. Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.

Ich kann verstehen – ich stehe mit den Gewerkschaf- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) ten genauso wie Sie in Kontakt –, dass das nicht überall auf Freude stößt. Reorganisationen bringen immer viele Probleme mit sich, egal wo sie vorgenommen werden. Vizepräsidentin Petra Pau: Aber – das kann ich für die SPD-Fraktion sagen – das (B) Das Wort hat der Abgeordnete Markus Herbrand für (D) war ein notwendiger Schritt, und jetzt geht es darum, die- die FDP-Fraktion. sen, so gut es geht, zu machen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der FDP) Ich kann sagen: Die aufgelaufenen Verdachtsmeldun- gen sind zu einem großen Teil abgearbeitet. Ich bin mir Markus Herbrand (FDP): sicher, dass sie, wie angekündigt, bis Mitte Juli komplett bearbeitet sind. Wir haben uns in der Bereinigungssit- Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen zung des Haushaltsausschusses darauf geeinigt, dass es und Kollegen! Ich mache es jetzt mal andersherum, Herr 172 zusätzliche Stellen für die Financial Intelligence De Masi – wenn es so ist, dass man die Linken unterstüt- Unit geben soll; auch das ist die richtige Maßnahme. zen kann, dann wollen wir es auch sagen –: Der Antrag verdient auch liberale Unterstützung, jedenfalls was die Wir müssen aber auch weiter nach vorne schauen. Wir Stoßrichtung dieses Antrags angeht. müssen uns anschauen, was die Länder machen; denn sie sind unsere eigentliche Achillesferse. Es ist relativ egal, (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der ob ich nach Thüringen, Bayern oder Hessen schaue. Die LINKEN) Länder machen da momentan nach wie vor keine gute Figur. Denn auch wir Liberalen wollen einen funktionierenden Rechtsstaat. Mich ärgert, dass durch die Konzentration auf dieses Problem bei der Financial Intelligence Unit der Fokus in Mit aller notwendigen Härte müssen wir Geldwäsche, der Debatte verloren geht. Es ist ein Baustein von vielen. Wirtschaftskriminalität und jeder Art von Terror, ob von Daran müssen wir arbeiten; das ist überhaupt keine Fra- rechts oder von links oder aus islamistischer Richtung, ge. Aber wir haben noch jede Menge andere Baustellen. entgegentreten. Deshalb müssen wir dringend die Finan- (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: zierungstümpel dieser Verbrecher austrocknen. Dabei Tun Sie mal was!) könnte die FIU wertvolle Arbeit leisten. Diese inzwi- schen ja beim Zoll angesiedelte Behörde soll maßgeblich Deswegen greift das Daraufherumreiten – ich kann ver- dazu beitragen, dass ebendies gelingt. Im Fachgespräch stehen, dass Sie diesen Ball aufnehmen – zu kurz. des Fachausschusses zu diesem Thema wurde unmiss- Wenn man in Ihren Antrag hineinschaut, stellt man verständlich deutlich – das kann wirklich niemand be- fest, dass es ja relativ überschaubar ist, was Sie von der zweifeln –, dass diese Einheit in alarmierender Weise Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4519

Markus Herbrand (A) geschwächt ist, um nicht zu sagen: Sie ist kaum arbeits- stehen. Was nicht in Ihrem Antrag steht, uns auch vonei- (C) fähig – jedenfalls gewesen. nander trennt, sind die Mittel, mit denen diese Ziele er- reicht werden sollen. So sprechen wir uns beispielsweise (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten jetzt schon gegen unverhältnismäßige Doppelstrukturen der LINKEN und der Abg. Lisa Paus [BÜND- und auch gegen nicht zielführende Register aus. Wir sind NIS 90/DIE GRÜNEN]) auch nicht davon überzeugt, dass jede Meldung wirklich Durch die von der Bundesregierung vorgenommenen notwendig ist; das hat auch der Kollege der AfD gesagt. Änderungen in der Organisationsstruktur – es hat ja unter Das werden wir in den Fachberatungen des Ausschusses anderem auch den Wechsel vom Innenministerium zum aber miteinander vertiefen. Ich kann Ihnen versprechen, Zoll gegeben – wurde eine Einheit mit unzureichenden dass wir ganz genau darauf achten werden, dass die Kompetenzen und überforderten, weil zu wenigen Mit- Eingrife in die Rechte der Bürgerinnen und Bürger im arbeitern geschafen – wahrscheinlich noch nicht einmal Verhältnis zu dem damit verbundenen Ziel stehen. Der in böser Absicht. Aber nichts muss sich Politik so sehr Zweck heiligt auch hier nicht alle Mittel. vorwerfen lassen, als sehenden Auges in eine Katastro- (Beifall bei der FDP) phe zu steuern. Hier wurden die Augen verschlossen vor dem, was ansonsten leicht erkennbar gewesen wäre. Der Überweisung werden wir zustimmen. Auf die (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Fabio De dringend erforderliche nähere Auseinandersetzung im Masi [DIE LINKE] und Lisa Paus [BÜND- Finanzausschuss freuen wir uns selbstverständlich. NIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich bedanke mich. Die FIU ist von der Bundesregierung stiefmütterlich (Beifall bei der FDP) behandelt worden. Chaotische Zustände von Beginn an sorgten dafür, dass auch heute noch nicht das notwendige Personal bereitgestellt ist. Auch hätte man eigentlich er- Vizepräsidentin Petra Pau: kennen können, dass die Software nach der Verlagerung Das Wort hat Lisa Paus für die Fraktion Bündnis 90/ der FIU zum Zoll nicht schnell genug einsatzbereit sein Die Grünen. würde. Im Ergebnis stapelten sich dann bei der FIU die Verdachtsmeldungen sehr schnell zu wirklich unüber- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schaubaren Türmen. Und deswegen kommen diese dann zu spät bei den zuständigen Stellen der Strafverfolgungs- Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): behörden an. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist (B) In der Praxis, liebe Kolleginnen und Kollegen, sieht jetzt genau ein Jahr her: Am 30. Juni 2017 schrieb die (D) das dann so aus, dass Geldtransfers, mit denen mögli- „Bild“-Zeitung unter dem Titel „Das sind Schäubles Ma- cherweise internationale Terrortruppen fnanziert wer- fa-Jäger“: den, nicht mehr gestoppt werden können. Damit das klar ist: Wir sprechen hier von Meldungen, die von der Na- Schäuble … hat jetzt sein eigenes FBI! … Spezi- tur der Sache her zeitnah und mit ganz großer Sorgfalt aleinheit … „Financial Intelligence Unit“ (FIU) ist bearbeitet werden müssen; sonst kann man darauf auch nun endlich einsatzbereit. verzichten, Herr Kollege Zimmermann. Es nutzt nichts, Aber, meine Damen und Herren, die Wahrheit ist: wenn man das in monatelanger Arbeit verrichtet. Das Selbst heute, zwölf Monate später, ist eben Schäubles muss zeitnah geschehen. FBI noch immer nicht einsatzbereit. Nach wie vor steht (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten die Frage im Raum: Wann geht es endlich los mit der der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Bekämpfung von Geldwäsche in Deutschland durch die GRÜNEN) FIU? Und das ist ein Skandal. So jedenfalls – das sollte klar sein – kann Geldwä- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sche und Terrorfnanzierung nicht angemessen und auch und bei der LINKEN) nicht wirksam bekämpft werden. Da lachen im Grunde Die Zahlen wurden schon genannt: 58 000 Geldwä- genommen die Gauner die Behörden aus. scheverdachtsmeldungen gab es in diesem einen Jahr, Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Folgen dieses aber nur die Hälfte davon wurde abschließend beantwor- eklatanten Politikversagens der Koalition sind alarmie- tet. So lautete auch die Antwort auf unsere Kleine An- rend; denn es geht hierbei neben den Fragen der Steu- frage. Es ist eben nicht wie in anderen Behörden, dass ergerechtigkeit und Ernsthaftigkeit bei der Bekämpfung es egal ist, wenn sich einfach mal so die Akten stapeln, des Terrorismus letzten Endes auch um Fragen innerer weil man sie auch ein Jahr oder zwei Jahre später abar- Sicherheit unseres Landes. Spätestens dann, wenn die beiten könnte. Vielmehr geht es hier um Fälle von Ter- OECD 2020/2021 den Stand der Geldwäschebekämp- rorfnanzierung. Deswegen sagt zum Beispiel der Bund fung in Deutschland überprüft, wird es ein böses Erwa- Deutscher Kriminalbeamter, dass es sich um eine sicher- chen geben. Wir sollten nicht so lange warten, wir sollten heitspolitische Katastrophe handelt. Nicht meine Worte, hier aktiv werden. deren Worte! Und Sie sitzen hier und tun nichts. Herr De Masi, im Ziel sind wir also vereint. Die Be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kämpfung dieser Kriminalität muss auf stabilen Füßen und bei der LINKEN) 4520 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

Lisa Paus (A) Im Moment ist es so, dass diese Behörde nur 100 Mit- momentan praktisch keine Leitung. Es gibt immer noch (C) arbeiter hat, lieber Herr Zimmermann. Erst vor vier zu wenig Personal. Ich muss schon sagen: Die 100 Tage Wochen hat die Bundesregierung auf unsere Nachfrage Schonfrist, die jedem Minister eingeräumt werden, sind hin dann doch eingeräumt: Ja, das war wohl doch ein auch bei Herrn Olaf Scholz inzwischen vorbei. Deswe- bisschen zu gering kalkuliert. Eigentlich bräuchte man gen möchte ich insbesondere Ihnen von der SPD heute 475 Stellen. – Sie haben gerade gesagt, der Haushalts- sagen: Es waren nicht wir, sondern es war die SPD aus ausschuss habe mehr Stellen bewilligt – aber immer noch Nordrhein-Westfalen, die in den vergangenen Wochen nicht diese 475 Stellen; dabei hat die Bundesregierung bei einer Anhörung im Landtag in Nordrhein-Westfalen selbst schon vor vier Wochen gesagt: Das ist eigent- von chaotischen Organisationsstrukturen, von fehlenden lich das Minimum, was man angesichts des derzeitigen Kompetenzen, von überforderten Mitarbeitern und von Chaos braucht. – Auch hier wird wieder nicht vernünf- einer eklatanten Sicherheitslücke gesprochen hat. tig geliefert. Das Problem gehört auf die Tagesordnung. Deswegen ist der vorliegende Antrag der Linken richtig, (Dr. Jens Zimmermann [SPD]: Den Antrag hat meine Damen und Herren. der Gleiche geschrieben, der da im Landtag den Antrag textete!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Deswegen muss ich klar sagen: In Ihrem Koalitions- Es verhält sich noch schlimmer: Unter den 100 Mit- vertrag steht zu diesem Thema einfach zu wenig drin. arbeitern gibt es ganze zwei Polizisten, dafür gibt es Daran sieht man ganz klar: Das Thema hat bei Ihnen kei- viele Azubis und viele Studierende, also in der Sache ne Priorität. Das Wort „Geldwäsche“ taucht zweimal auf. nicht qualifzierte Personen. Und: Niemand unter diesen Außerdem heißt es da, Sie wollen das Ganze efzient und 100 Personen war vorher mit dem Thema Geldwäsche unbürokratischer gestalten. Das ist eindeutig zu wenig; bzw. Terrorfnanzierung befasst. Die Vorgänge werden denn das, was wir haben, ist nicht efzient. also komplett von neuen Leute bearbeitet, die unterquali- fziert oder falsch qualifziert sind. Vizepräsidentin Petra Pau: (Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Das ist eine Un- Kollegin Paus, kommen Sie bitte zum Schluss. terstellung!)

Das ist das neue FBI von Herrn Schäuble? Das ist ei- Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): gentlich ein Witz! Aber man kann nicht wirklich darüber lachen. Ich komme zum letzten Satz. – Wenn die Gewerbeauf- sichtsämter und die Standesbeamten in Deutschland nach (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wie vor für die Bekämpfung der Geldwäsche zuständig (D) und bei der LINKEN) sind, wenn die zentrale Behörde auf Bundesebene so auf- Zu allem Überfuss war der Chef dieser Behörde je- gestellt ist, dann ist das nicht efzient. Das funktioniert mand, der vorher als Referatsleiter im Kartellamt tätig nicht. Das ist von daher eine zentrale Aufgabe Ihres Fi- gewesen ist. Auch das ist nicht wirklich ein Ausweis an nanzministers. Qualität. (Dr. Jens Zimmermann [SPD]: Und Ihrer Das Ergebnis der ganzen Angelegenheit ist, dass grünen Wirtschaftsminister!) Deutschland, das schon vorher international als Geld- wäscheparadies bekannt war, dieses immer noch ist. Fangen Sie jetzt endlich an, diese Aufgabe wahrzuneh- Ich habe eben die Zahl schon genannt: Nach Schätzun- men! gen der Bundesregierung und des BKA fießen pro Jahr 100 Milliarden Euro schwarzes Geld nach Deutschland, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auch im Zusammenhang mit Terrorverdacht. Das war und bei der LINKEN) schon vorher so, aber – das muss man leider sagen – dank Schäubles vermurkster Umsetzung sind wir heute mehr Vizepräsidentin Petra Pau: denn je ein Geldwäscheparadies. Das ist eine echte Bank- rotterklärung dieser Regierung. Das Wort hat der Abgeordnete Sebastian Brehm für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU) Dass der Chef dieser Behörde zurückgetreten ist, wie gestern bekannt wurde, ist zwar angesichts dieses De- Sebastian Brehm (CDU/CSU): sasters keine wirkliche Überraschung; aber das ist lei- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und der, meine Damen und Herren, auch keine Lösung des Kollegen! Geldwäsche und Terrorfnanzierung schaden Problems. Deswegen unterstützen wir den Antrag der unserer sozialen Marktwirtschaft und müssen daher – ich Linken, in dem ja nichts anderes formuliert wird als die glaube, da sind wir uns alle einig – mit allen Mitteln be- dringendsten Maßnahmen, die man jetzt angehen muss. kämpft werden. Aber, Herr Kollege De Masi, wenn Sie Diese muss man jetzt auch wirklich umgehend umsetzen. vom „Gangster’s Paradise“ Deutschland sprechen und Herr Zimmermann, dass jetzt, wie Sie eben gesagt ha- die Mittelständler in Deutschland als Oligarchen be- ben, alles gut wird, stimmt einfach nicht. Die Behörde hat zeichnen, dann fangen Sie mit einer Klassenkampfrheto- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4521

Sebastian Brehm (A) rik an, die zu einer Debatte führt, die eigentlich an dem die Mitarbeiterin der Sparkasse ist persönlich in der Haf- (C) Thema, mit dem wir uns beschäftigen, vorbeigeht. tung für die Geldwäscheanzeigen. Ich glaube, deswegen werden unheimlich viele Meldungen gemacht. Vor einem (Beifall des Abg. Markus Herbrand [FDP] – halben Jahr waren 31 000 Geldwäscheanzeigen noch Zuruf des Abg. Fabio De Masi [DIE LINKE]) nicht bearbeitet. Wenn eine Großmutter ihrem Enkel Es geht darum, dass wir Geldwäsche bekämpfen, und Geld überweist für eine Reise in die USA, dann ist das zwar sinnvoll durch die Umsetzung der Vierten EU-Geld- schon eine Geldwäschemeldung wert, die danach natür- wäscherichtlinie. lich aussortiert wird; ist doch klar. Man muss sich klar- machen: Angesichts einer drohenden persönlichen Straf- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. barkeit geht man natürlich nach dem Motto „Lieber eine Markus Herbrand [FDP]) Meldung zu viel abgesetzt als eine Meldung zu wenig“ Kommen wir zur sachlichen Debatte zurück. Der vor, weil man sonst unter Umständen persönlich strafbar Deutsche Bundestag hat die Neuausrichtung der Zentral- ist. Darüber muss man deshalb noch einmal diskutieren. stelle für Finanztransaktionsuntersuchungen – auf Eng- lisch: FIU, Financial Intelligence Unit – beschlossen. Die Ein weiterer Punkt, über den wir nachdenken müssen, vormalige arbeitsteilige Organisation ist vereint worden; ist die Einführung einer Erheblichkeitsschwelle, einer sie ist neu strukturiert worden im Bundesfnanzministeri- Wesentlichkeitsschwelle, damit nicht jeder Sachverhalt um. Das ist für meine Begrife richtig, weil Geldwäsche gemeldet wird. Es geht ja nicht darum, den Mittelstand – und Terrorfnanzierung oft einhergehen mit Steuerhinter- also diejenigen, die Sie, Herr De Masi, als Oligarchen ziehung. Im Vorfeld wurden viele Gespräche geführt, und bezeichnen – ständig zu kontrollieren. Mich stört, dass in wir haben gefragt, ob die FIU ausreichend leistungsfähig der Debatte immer wieder gesagt wird, der ganze Mittel- ist oder nicht. Die reine Umorganisation und der Wechsel stand würde da Probleme machen. der Zuständigkeit ins Finanzministerium ist überhaupt (Zuruf des Abg. Fabio De Masi [DIE kein Problem, weil es in der Verwaltung oftmals so ist, LINKE]) dass Einheiten versetzt oder umorganisiert werden. Das ist völlig unkritisch. Sie bezeichnen die Mittelständler sogar als Oligarchen. Daran sieht man ja schon, welches Feindbild Sie haben. Kritisch ist natürlich schon die anfängliche Entwick- Darum geht es doch gar nicht. lung der FIU zu sehen, weil die Software nicht funktio- niert hat, weil zu wenig Personal da war und weil letzt- Es geht darum, dass wir die internationale Kriminalität lich auch die Abstimmung mit den LKAs und dem BKA und Terrororganisationen, die versuchen, in Deutschland nicht reibungslos funktioniert hat. Geld zu waschen und Schindluder zu treiben, herausfl- (B) (D) Ich glaube von daher, der schwierige Start der FIU hat tern und deren Transaktionen innerhalb von 24 Stunden mehrere Gründe: bekämpfen. Deswegen ist es wichtig, dass man jetzt zu zeitnaher Abarbeitung kommt. Die Meldung muss inner- Erstens. Natürlich müssen wir jetzt beim Personal halb von 24 Stunden bearbeitet werden, damit Transak- nachrüsten. Die Aussage, dass es sich um 100 Perso- tionen aufgehalten werden können, damit das Geld ein- nen handle, ist übrigens falsch. 300 Mann sind im Wege gefroren werden kann. Darum geht es, nicht darum, dass der Amtshilfe noch dabei. Insgesamt arbeiten dort also man den Mittelstand beschimpft und sagt: Wir wollen 400 Personen. noch mehr Kontrollen haben. – Das ist der Punkt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU (Beifall bei der CDU/CSU – Fabio De Masi sowie des Abg. Dr. Jens Zimmermann [SPD]) [DIE LINKE]: Sie beleidigen doch den Mit- Zweitens. Die IT muss funktionieren. Die IT hat am telstand! Die Mafa ist jetzt deutscher Mittel- Anfang nicht funktioniert. So richtig funktioniert übri- stand! Das ist doch absurd!) gens auch die Abstimmung mit den Polizeistellen bzw. den LKAs und dem BKA noch nicht; das müssen wir Das Signal, das von heute ausgehen muss, ist nicht noch klären. Ich glaube, es geht hier um datenschutz- Ihr Signal: „Deutschland ist Gangster’s Paradise“, son- rechtliche Fragen, die wir bearbeiten müssen. dern es lautet: Geldwäsche und Terrorfnanzierung ha- ben in Deutschland keinen Platz. – Dafür setzen wir Drittens. Ich denke, die neue Spitze der Behörde, über uns ein. Es muss das Signal nach außen gehen: Jedem, die heute in der „FAZ“ berichtet wurde, wird ein posi- der in Deutschland Geldwäsche betreibt oder versucht, tives Signal senden und zeigen, dass die FIU leistungs- Terrorfnanzierung oder Ähnliches in Deutschland zu fähig ist und willig ist, die Terrorbekämpfung und die platzieren, werden wir den Garaus machen, mit allen ge- Geldwäschebekämpfung anzugehen. setzlichen Möglichkeiten. Darum geht es. Und dieses Si- gnal senden wir aus; denn wir als Bundestag werden uns Ich glaube, über einen Punkt müssen wir noch nach- dahinterklemmen, dass die ganzen Fragen, die noch zu denken, nämlich über die Fülle der Geldwäscheanzei- beantworten sind, schnellstmöglich gelöst werden. gen. Ich will nicht, dass dabei Qualität verloren geht; aber über die Fülle der Geldwäscheanzeigen müssen wir (Fabio De Masi [DIE LINKE]: Na, dann noch einmal nachdenken. Eine wesentliche Rolle dabei macht mal!) spielt – das wurde auch in der Anhörung deutlich – die persönliche Strafbarkeit nach § 261 StGB für den Geld- Das ist unsere Aufgabe. Ich freue mich auf die Diskussi- wäschebeauftragten. Also nicht die Sparkasse, sondern on im Finanzausschuss. 4522 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

Sebastian Brehm (A) Danke schön. gegangen ist. Es gibt aber keine Leitungslücke. Er hat (C) gestern gesagt, dass er zum 1. August dieses Jahres ge- (Beifall bei der CDU/CSU) hen wird. Zum 1. August dieses Jahres wird dann jemand Neues eingestellt. Die Gründe für seinen Weggang kennt Vizepräsidentin Petra Pau: keiner von uns. Deswegen sollte man da nicht spekulie- Das Wort hat die Kollegin Ingrid Arndt-Brauer aus der ren. Aber ich denke, die neue Behördenleitung weiß um SPD-Fraktion. die Probleme und wird sie verstärkt angehen. (Beifall bei der SPD) (Beifall des Abg. Sepp Müller [CDU/CSU])

Ingrid Arndt-Brauer (SPD): Ich fand das Niveau der Diskussion schon ein bisschen bedenklich. Was das SED-Vermögen angeht, möchte ich Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! als Mitglied einer Partei sagen, die im Osten zwangsver- Liebe Kollegen! Das Ziel der Bekämpfung von Geld- einigt wurde: Wenn es irgendwann einmal auf den Markt wäsche und Terrorfnanzierung ist ja nicht neu. Ich weiß kommt, gehört uns als SPD davon die Hälfte. nicht, wie viele Jahre es schon formuliert wird und wie viele Jahre man es schon in irgendeiner Form erreichen (Heiterkeit bei der SPD, der CDU/CSU und möchte. Wenn die Bekämpfung von Geldwäsche und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen Terrorfnanzierung gut funktioniert hätte, hätten wir das bei der LINKEN – Markus Herbrand [FDP]: vor einem Jahr ja nicht reformiert. Wenn die Landesbe- Jetzt wird das Niveau aber nicht höher!) hörden so toll gearbeitet hätten, wie der NRW-Antrag suggerieren will, und wenn alles, was die Landesbehör- Ansonsten würde ich das nicht mehr aufgreifen wollen, den gemacht haben, so toll gewesen wäre, dann hätten weil gegenseitige Beschimpfungen nicht zielführend wir keine Neustrukturierung gebraucht. Übrigens: Die sind. Auch zu denken, dass man nur die Grenzen schlie- Ähnlichkeit zwischen dem SPD-Antrag aus NRW und ßen müsse und die Probleme dann gelöst seien, ist ein Ihrem Antrag beruht darauf, dass man beim Schreiben bisschen zu platt. Auch darauf möchte ich nicht näher des Antrags den gleichen Berater hatte. Deshalb ähneln eingehen. sich die beiden Anträge. Deshalb wird der Inhalt aber lei- der nicht richtiger. Natürlich fnde ich es immer schön, wenn die FDP Linken-Anträge unterstützt. Dann denke ich: Meine (Heiterkeit des Abg. Sepp Müller [CDU/ Güte, da scheint ja etwas im Gange zu sein, was viel- CSU]) leicht etwas richtig Großes werden könnte. (B) Wir haben natürlich immer das Ziel, kein „Gangster’s (D) Paradise“ zu sein. Wir wollen auch nicht in irgendeiner (Markus Herbrand [FDP]: Machen Sie sich Form Mafagruppen ermöglichen, nach Deutschland zu da mal keine Hofnung!) kommen. Das ist überhaupt nicht das Ziel. Deshalb ha- Aber die Unterstützung hat sich ja doch nicht als so ziel- ben wir die FIU gegründet. Die FIU hat natürlich An- führend erwiesen. Deswegen, glaube ich, sollten wir im fangsschwierigkeiten gehabt. Die Personaldecke wurde Ausschuss sehr sachlich darüber reden, was von dem An- angesprochen. Es kam zu Ausleihungen von anderen trag überhaupt umsetzbar ist und was nicht. Die meisten Behörden, weil man ganz schnell qualifziertes Personal Forderungen des Antrags sind im Augenblick nämlich brauchte. überhaupt nicht umsetzbar, auch wenn Sie Sofortmaß- Jeder, der Kriminalarbeit schon einmal seriös in ir- nahmen einfordern. Es ist weltfremd, Sofortmaßnahmen gendeiner Form begleitet hat, weiß, dass man jahrelang und einen reibungslosen Ablauf bei einer Behörde einzu- ausbilden muss, um das wirklich vernünftig zu machen. fordern, die gerade 171,5 neue Stellen bewilligt bekom- Diese Leute stehen nicht irgendwo herum. Aber ich fn- men hat und einstellt. Diese Stellen müssen – das wissen de, es ist ein bisschen niederträchtig, zu sagen, dass das Sie selber – ausgeschrieben werden. Die Leute müssen alles unqualifzierte Menschen, Azubis oder Langzeitar- einbestellt, ausgewählt und eingearbeitet werden. Man beitslose waren. Ich weiß nicht, wo Sie die alle gefunden kann so viele Sofortmaßnahmen fordern, wie man will, haben wollen. Das ist, wie ich fnde, eine Unterstellung, aber das wird nicht reibungslos funktionieren. die wir nicht mittragen können. (Fabio De Masi [DIE LINKE]: Man kann (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sofort damit anfangen! – Gegenruf des Abg. der CDU/CSU) Dr. Jens Zimmermann [SPD]: Wird ja ge- macht, sobald der Haushalt beschlossen ist!) Man hat sich also redlich bemüht und hat sogenannte Geschäftsaushilfen genutzt. Sie werden auch – das hat Man hat uns versichert, dass man den derzeitigen uns jedenfalls das Ministerium auf Nachfrage berichtet – Rückstau bis Mitte Juli verstärkt abgebaut haben wird. nach und nach abgebaut. Parallel wird nach und nach Ich denke, das ist für den neuen Behördenleiter dann qualifziertes Personal aufgebaut. auch eine gute Voraussetzung, um vernünftig zu arbeiten. (Fabio De Masi [DIE LINKE]: Nach und nach!) Zum ausreichend qualifziertem Personal – Ihr Punkt 1 c – habe ich schon was gesagt. Das wird sich in Zu- Weder ich persönlich noch irgendjemand von uns, die kunft fnden, und dann kann auch vernünftig gearbeitet wir hier sitzen, weiß, warum der Behördenleiter gestern werden. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2018 4523

Ingrid Arndt-Brauer (A) Laufend unterrichtet werden wir alleine schon durch – usw. – (C) Ihre fast täglichen Anfragen, festzustellen. (Beifall des Abg. Fabio De Masi [DIE Da die Beschlussfähigkeit durch den Sitzungsvor- LINKE]) stand bezweifelt wurde und die Fraktion Die Linke diese und ich denke, das wird auch weiterhin der Fall sein. ebenso bezweifelt, müssen wir in Verbindung mit der Ab- stimmung über die Ausschussüberweisung der Vorlage Ich bin ganz optimistisch – meine Redezeit ist zu auf Drucksache 19/2592 nun auch zur Feststellung der Ende –, dass wir das vernünftig hinkriegen. Es wird in Beschlussfähigkeit kommen. Dazu haben wir ein Verfah- Zukunft vor allen Dingen eine bessere Umsetzung als in ren, das wir in dieser Woche in einem anderen Zusam- der Vergangenheit geben. Allein das ist schon ein positi- menhang schon einmal geübt haben. ves Signal. (Stef Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Dr. Jens Zimmermann [SPD]: Das ist der NEN]: Nein!) Punkt!) – Die Kollegin Lemke hat noch ein weiteres Geschäfts- Ich freue mich darauf, dass wir diesen Antrag, wie ich ordnungsanliegen. denke, mit der Zustimmung von allen in den Ausschuss überweisen und da dann bitte sachlich, ohne Kameras (Abg. Stef Lemke [BÜNDNIS 90/DIE und vernünftig darüber reden werden. GRÜNEN] begibt sich zum Präsidium) Vielen Dank. – Die Kollegin Lemke hat eine Unsicherheit bezüglich der Geschäftsordnung. Ich bin mir aber sehr sicher, dass (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wir hier mit einem Hammelsprung die Beschlussfähig- der CDU/CSU) keit feststellen müssen. Nur in der Kernzeit kann ich die Beschlussfähigkeit auch durch Handaufheben feststellen. Vizepräsidentin Petra Pau: Das war genau das, was ich eben beim Zitat ausgelassen habe. Ich entschuldige mich dafür. Die einzelnen Para- Ich schließe die Aussprache. grafen sind da entsprechend festgeschrieben. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Wir müssen das Verfahren des Hammelsprungs in Drucksache 19/2592 an die in der Tagesordnung aufge- Gang setzen. Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, führten Ausschüsse vorgeschlagen. und zwar bitte zügig – ich habe heute schon einmal einen (Abg. Helin Evrim Sommer [DIE LINKE] Hinweis auf die fortgeschrittene Zeit gegeben –, den Saal (B) meldet sich zur Geschäftsordnung) zu verlassen. (D) – Ich sehe, es gibt eine Meldung von Frau Sommer. Ich gebe auf dem Weg nach draußen noch einen Hin- weis: Wir haben jetzt zwei Abstimmungen in einer. Wir stimmen einmal über die Überweisung in die Ausschüsse Helin Evrim Sommer (DIE LINKE): ab. Das heißt, wer der Ausschussüberweisung zustimmt, Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich habe aufgrund kommt dann, nachdem die Türen geschlossen und wieder der Zahl der Anwesenden den Eindruck, dass die Be- geöfnet wurden, durch die Tür mit dem „Ja“ in den Saal. schlussfähigkeit hier jetzt nicht gegeben ist, und hinter- Wer die Ausschussüberweisung nicht wünscht, kommt frage hiermit, ob das tatsächlich so ist. nachher durch die Tür mit dem „Nein“ in den Saal. Wer (Unruhe) sich enthalten will, kommt durch die dritte Tür „Enthal- tung“ in den Saal. Gleichzeitig wird durch die Schrift- führerinnen und Schriftführer, die ich schon vorsorglich Vizepräsidentin Petra Pau: bitte, ihre Plätze einzunehmen, gezählt, wie viele Abge- Ich bitte jetzt erst mal um Ruhe. – Wir sind im Mo- ordnete insgesamt an ebendieser Abstimmung über die ment noch bei der Ausschussüberweisung, und ich kläre Ausschussüberweisung der Drucksache 19/2592 teilneh- jetzt erst einmal, ob der Sitzungsvorstand die Beschluss- men. Wir stellen nachher beide Abstimmungsergebnisse fähigkeit, das heißt die Anwesenheit von 355 Abgeord- und die Folgerungen daraus fest. neten, hier vorne zweifelsfrei feststellen kann. Dazu gibt es eine Regel. Damit ich das exakt so mache, brauche ich Ich bitte darum, dass die Schriftführerinnen und die Geschäftsordnung. Schriftführer die vorgesehenen Plätze einnehmen. Sie wissen – das ist eine ständige Übung –: An jeder Tür § 45 Absatz 2 unserer Geschäftsordnung lautet: muss eine Schriftführerin oder ein Schriftführer aus ei- ner Oppositionsfraktion anwesend sein, und an jeder Tür Wird vor Beginn einer Abstimmung die Beschluss- muss eine Schriftführerin oder ein Schriftführer aus einer fähigkeit von einer Fraktion oder von anwesenden der die Koalition tragenden Fraktionen anwesend sein. fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages Da alle Fraktionen hier anwesend sind, bitte ich darum, bezweifelt und auch vom Sitzungsvorstand nicht dafür zu sorgen, dass sowohl die Oppositionsfraktionen einmütig bejaht oder wird die Beschlussfähigkeit als auch die die Koalition tragenden Fraktionen ihrer vom Sitzungsvorstand im Einvernehmen mit den Verantwortung nachkommen. Fraktionen bezweifelt, so ist in Verbindung mit der Abstimmung die Beschlussfähigkeit durch Zählung Ich bitte um ein Zeichen, während die letzten Kolle- der Stimmen nach § 51 ... ginnen und Kollegen den Saal verlassen, ob an jeder Ab- 4524 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

Vizepräsidentin Petra Pau (A) stimmungstür die erforderlichen Schriftführerinnen und und Fotoaufnahmen weder im Plenum des Deutschen (C) Schriftführer anwesend sind. – Gut. Wenn ich das richtig Bundestages noch durch Besucherinnen und Besucher überblicke, ist auch kein Kollege mehr in den Reihen. erlaubt sind. Ich bitte, die Türen zu schließen. – Die Türen sind ge- schlossen. (Jürgen Braun [AfD]: Aber durch Abgeordne- te sehr wohl!) Wir öfnen die Türen wieder. Die Abstimmung ist er- öfnet. – Auch durch Abgeordnete nicht, Kollege Braun. Das haben wir gestern noch einmal zweifelsfrei festgestellt. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, durch die Tür ihrer Wahl den Saal zu betreten und erinnere daran, dass (Jürgen Braun [AfD]: Fotograferen dürfen wir nicht nur die Beschlussfähigkeit feststellen, son- Abgeordnete schon lange! – Gegenruf der dern gleichzeitig auch über die Ausschussüberweisung Abg. Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: abstimmen. Das heißt, wer der Überweisung zustimmt, Nein, dürfen sie nicht! Für Sie gelten wohl nimmt die Tür, die mit „Ja“ gekennzeichnet ist. Wer die keine Regeln! – Gegenruf des Abg. Jürgen Ausschussüberweisung ablehnt, nimmt die Tür, die mit Braun [AfD]: Erzählen Sie doch nicht so ei- „Nein“ gekennzeichnet ist. Wer sich enthalten möchte, nen Quark! – Gegenruf der Abg. Helin Evrim kommt durch die dritte Tür, von mir aus gesehen rechts, Sommer [DIE LINKE]: Sie erzählen einen und enthält sich damit bei der Abstimmung über die Aus- Quark!) schussüberweisung. Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schrift- Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die Abstim- führern ermittelte Ergebnis der Abstimmung über die mung zügig durchzuführen, das heißt, durch die Tür ihrer Ausschussüberweisung bekannt: abgegebene Stim- Wahl zur Ausschussüberweisung wieder den Saal zu be- men 125. Mit Ja haben 122 Abgeordnete gestimmt, mit treten, und im Übrigen die Plätze einzunehmen. Nein haben 3 Abgeordnete gestimmt, es gab keine Ent- haltungen. Ist noch ein Mitglied des Bundestages anwesend, wel- ches den Saal nicht wieder betreten konnte? – Ich bitte Anhand dieses Ergebnisses stellen wir gleichzeitig die Kolleginnen und Kollegen, die dort hinten vor den fest, dass die Beschlussfähigkeit nicht erreicht wurde. Da Türen stehen, uns den Blick auf die Türen frei zu ma- zur Beschlussfähigkeit 355 Stimmen erforderlich sind, chen, damit wir uns davon überzeugen können, dass nie- sind wir nicht beschlussfähig. mand daran gehindert wird, an ebendieser Abstimmung Daraus folgt erstens, dass eine Ausschussüberweisung teilzunehmen. nicht erfolgt ist. (B) Darf ich davon ausgehen, dass die Personen, die noch Infolge der Beschlussunfähigkeit habe ich zweitens (D) vor den Türen stehen, keine Mitglieder des Bundestages die Sitzung gemäß § 20 Absatz 5 der Geschäftsordnung sind? – Das ist der Fall. aufzuheben. Dann ist die Abstimmung geschlossen. Ich bitte die Der Präsident des Deutschen Bundestages hat an der Schriftführerinnen und Schriftführer, das Ergebnis fest- Abstimmung teilgenommen und mir gerade übermitteln zustellen und mir mitzuteilen. lassen, dass er von seinem Recht, am heutigen Tage eine (Abg. Stephan Thomae [FDP] hat ein Smart- weitere Sitzung des Deutschen Bundestages einzuberu- phone in der Hand – Gegenruf der Abg. Helin fen, keinen Gebrauch macht. Es bleibt also bei der Auf- Evrim Sommer [DIE LINKE]: Nicht fotogra- hebung der Sitzung. feren!) Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- – Liebe Kolleginnen und Kollegen, während das Abstim- tages auf Dienstag, den 3. Juli 2018, 9 Uhr, ein. mungsergebnis noch festgestellt wird, habe ich Anlass, Die Sitzung ist geschlossen. auf Folgendes hinzuweisen: Erst gestern haben wir im Ältestenrat noch einmal darüber gesprochen, dass Film- (Schluss: 17.07 Uhr) Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018 4525

(A) Anlagen zum Stenografschen Bericht (C)

Anlage 1 Entschuldigte Abgeordnete

Abgeordnete(r) Abgeordnete(r)

Bareiß, Thomas CDU/CSU Roth (Heringen), Michael SPD

Barley, Dr. Katarina SPD Schäfer (Bochum), Axel SPD

Beutin, Lorenz Gösta DIE LINKE Schimke, Jana * CDU/CSU

Brugger, Agnieszka* BÜNDNIS 90/ Schulz, Jimmy FDP DIE GRÜNEN Stafer, Katrin CDU/CSU Buchholz, Christine DIE LINKE Storch, Beatrix von AfD Bülow, Marco SPD Ullmann, Dr. Andrew FDP Bystron, Petr AfD Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/ Cronenberg, Carl-Julius FDP DIE GRÜNEN

Dağdelen, Sevim DIE LINKE Wiese, Dirk SPD

Deligöz, Ekin BÜNDNIS 90/ * aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes DIE GRÜNEN

(B) Dörner, Katja BÜNDNIS 90/ (D) DIE GRÜNEN Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO Felser, Peter AfD der Abgeordneten Lisa Paus, Lisa Badum, Can- Ferschl, Susanne DIE LINKE an Bayram, Katharina Dröge, Erhard Grundl, Dr. Kirsten Kappert-Gonther, Uwe Kekeritz, Gabriel, Sigmar SPD Katja Keul, Christian Kühn (Tübingen), Sven Lehmann, Beate Müller-Gemmeke, Ingrid ­Nestle, Held, Marcus SPD Filiz Polat, Tabea Rößner, Corinna Rüfer, Ulle Schauws, Dr. Gerhard Schick, Dr. Wolfgang Heßenkemper, Dr. Heiko AfD Strengmann-Kuhn und Margit Stumpp (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Hofmann, Alexander CDU/CSU Abstimmung über den Antrag des Bundesministe- riums der Finanzen Kamann, Uwe AfD Finanzhilfen zugunsten Griechenlands: Korte, Jan DIE LINKE Vierte und letzte Überprüfung des ESM-Anpas- sungsprogramms, mittelfristige schuldenbezogene Merkel, Dr. Angela CDU/CSU Maßnahmen Möller, Siemtje SPD (Zusatztagesordnungspunkt 11) Durch den heutigen Beschluss soll Griechenlands Mortler, Marlene CDU/CSU Rückkehr an den Kapitalmarkt gesichert werden. Aber auch dann bleibt Griechenland auf viele Jahre in einem Müntefering, Michelle SPD engen Korsett von Vorgaben, die die Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Situation erschweren. Wir Nord, Thomas DIE LINKE stimmen dem Antrag zu, weil das Land es ohne weitere Hilfen noch schwerer haben würde. Ortleb, Josephine SPD Das langfristige Problem der übermäßigen Staatsver- Pellmann, Sören DIE LINKE schuldung ist nach wie vor nicht gelöst, denn sie verharrt 4526 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

(A) mit etwa 180 Prozent des BIP auf einem gefährlichen Ni- Schuldenschnitt/Schuldenrückkauf: Ein Schulden- (C) veau. Dieses kann zu einer erneuten Zuspitzung der Si- schnitt in Höhe von 64 Milliarden Euro. Allein Deutsch- tuation führen, falls sich die wirtschaftliche Lage in Eu- land hat damals beim Schuldenschnitt der Bad Banks ropa oder die Finanzmarktsituation verschlechtern. Die somit 7,5 Milliarden Euro verloren. Zusätzlich musste notwendigen substanziellen Schuldenerleichterungen die Bundesbank 2011, 2012 die Einzahlungen an den für Griechenland werden erneut aufgeschoben. Die Kri- Internationale Währungsfonds (IWF) infolge der not- senpolitik der Bundesregierung, sich Zeit zu erkaufen, wendigen Eigenkapitalerhöhung des IWF auf 41,5 Milli- während tiefgreifende Reformen in der Währungsunion arden Euro ebenfalls erhöhen. Dafür musste die Bundes- vertagt werden, ist nicht nur kurzsichtig, sondern treibt bank Risikorückstellungen in einer Größenordnung von auch mögliche Folgekosten weiter in die Höhe. 16,5 Milliarden Euro bilden. Das heißt, die Bundesbank hat diese hohe Summe vorsorglich hinterlegt, da nicht Der Beschluss geht nicht weit genug. Er bleibt sogar eingeschätzt werden kann, ob überhaupt und wann Grie- hinter bereits Versprochenem zurück. Griechenland hat chenland Rückzahlungen leisten wird. seine Verpfichtungen eingehalten, und deswegen soll- te auch die Euro-Gruppe ihr Wort halten. Die Europäer Zufüsse aus EU-Fonds: Im Zeitraum 2007 bis 2013 stemmen das dritte Programm nun doch ohne Beteili- hat Griechenland rund 42 Milliarden Euro an EU-Mitteln gung des IWF. Das ist grundsätzlich zu begrüßen. Aber erhalten. Für den Zeitraum 2014 bis 2020 sind für Grie- die Motivation, damit Schuldenerleichterungen zu ver- chenland Mittel in Höhe von bis zu 37 Milliarden Euro meiden, ist falsch, und das einst von Wolfgang Schäuble aus EU-Fonds vorgesehen. Seit 2014 hat Griechenland (CDU) gegenüber dem Bundestag gegebene Versprechen bereits über 15 Milliarden Euro aus Europäischen Fonds wird gebrochen. erhalten. Der Schuldendienst muss an die wirtschaftliche Ent- Unterstützung durch die EU im Kontext der Migrati- wicklung gekoppelt und die teuren IWF-Kredite in onskrise: Seit 2015 hat Griechenland etwa 400 Millionen ESM-Darlehen umgewandelt werden. Dass diese öko- Euro aus dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds nomisch und sozial notwendigen Maßnahmen an der (AMIF) und dem internen Sicherheitsfonds (ISF) als Blockade der Bundesregierung in der EU gescheitert Hilfe zur Bewältigung des Flüchtlingszustroms erhal- sind, ist eine bittere Konzession an CDU und CSU, die ten; insgesamt sind für die Periode 2014 bis 2020 über uns noch allen auf die Füße fallen wird. Von der Ver- 950 Millionen Euro an Fördermitteln aus dem AMIF und pfichtung Griechenlands auf weitere Rentenkürzungen dem ISF zugesagt. Griechenland ist zudem bislang der in den nächsten Jahren, die wirtschaftlich nicht zwingend einzige Empfänger von Mitteln aus dem EU-Soforthil- sind, sollten die Gläubiger unbedingt absehen. feinstrument und hat für humanitäre Sofortmaßnahmen (B) zur Integration und Unterbringung von Flüchtlingen seit (D) 2016 über 500 Millionen Euro erhalten; insgesamt sind für den Zeitraum 2016 bis 2018 650 Millionen Euro zu- Anlage 3 gesagt. Erklärungen nach § 31 GO Internationale Finanzinstitutionen: Die Europäische zu der namentlichen Abstimmung über den Antrag Investitionsbank (EIB) hat allein in den vergangenen des Bundesministeriums der Finanzen fünf Jahren Griechenland Darlehen und Garantien in Höhe von rund 9 Milliarden Euro vergeben. Das gegen- Finanzhilfen zugunsten Griechenlands: wärtige aktive Kreditportfolio der EIB in Griechenland beträgt 14,4 Milliarden Euro. Vierte und letzte Überprüfung des ESM-Anpas- sungsprogramms, mittelfristige schuldenbezogene Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen und fnanz- Maßnahmen politischen Krise wurde Griechenland 2015 temporär unter anderem auf Initiative Deutschlands der Einsatz- (Zusatztagesordnungspunkt 11) landstatus bei der Europäischen Bank für Entwicklung und Wiederaufbau (EBWE) verliehen. Die EBWE soll Veronika Bellmann (CDU/CSU): Hiermit zeige ich fnanzielle Mittel, insbesondere zur Stärkung des Pri- an, dass ich, in der Kontinuität meines Abstimmungsver- vatsektors und der Verbesserung marktwirtschaftlicher haltens aus der Vergangenheit, auch den heutigen Finanz- Strukturen, bereitstellen und so das makrofnanzielle En- hilfen, die Griechenland in einem vermeintlich letzten gagement Europas und des IWF ergänzen. Ende 2015 be- Schritt gewährt werden sollen, nicht zustimme. Lassen teiligte sich die EBWE auch an der Rekapitalisierung der Sie mich kurz rekapitulieren, über welche solidarischen systemrelevanten Banken in Griechenland – Alpha Bank: Hilfen Griechenland seit der schweren Finanz- und Wirt- 65 Millionen Euro, National Bank of Greece: 50 Millio- schaftskrise aus dem Jahr 2010 verfügen konnte: nen Euro, Piraeus Bank: 70 Millionen Euro, Eurobank EFG: 65 Millionen Euro. Der bis 2020 laufende temporä- Hilfsprogramme: Das Volumen der europäischen re Einsatzlandstatus soll auf Bitten Griechenlands um Hilfskredite aus dem ersten, zweiten und dritten Pro- fünf Jahren verlängert werden. Eine Entscheidung steht gramm beträgt derzeit rund 230 Milliarden Euro. Grie- noch aus. Deutschland unterstützt die Verlängerung. chenland proftiert dabei von den geringen Zinsen der Kredite – Zinsersparnis 6,3 Prozent auf das BIP – und Technische Hilfe: Griechenland wurde in den letz- von den sehr langen Laufzeiten des dritten Programms ten Jahren auch umfassende technische Unterstützung bis 2060. durch den sogenannten Structural Reform Support Ser- Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018 4527

(A) vice (SRSS) der Europäischen Kommission (KOM) in will. Deshalb hat die Bundesbank nicht wie üblich die (C) Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten und internati- Zinsgewinne an den Bundeshaushalt überführt, sondern onalen Organisationen gewährt. Derzeit leistet die KOM sie an die Europäische Zentralbank (EZB) überwiesen, unter anderem technische Hilfe, um die Inbetriebnah- die die Gelder ihrerseits wiederum an Griechenland aus- me wichtiger Abwasserprojekte, die Einrichtung eines gezahlt hat. Grundbuchs und die Digitalisierung der griechischen Wirtschaft voranzubringen. Heute geht es deswegen für mich um eine Grundsatz­ entscheidung. Es geht um die Grundsatzentscheidung, Angesichts dieser doch sehr großzügigen und solidari- ob wir das Haus Europa gemeinsam bauen wollen. Ich schen Hilfen lohnt sich dann doch auch eine Analyse, ob bin gerne dazu bereit, aber nur dann, wenn sich alle auch und inwieweit diese Unterstützung etwas zum Guten be- an die Hausordnung halten. Angesichts von mehr als wegt hat. Griechenland hatte 2010 einen Schuldenstand, 50 Fonds, die in Europa den Versuch machen, wirtschaft- gemessen am Bruttoinlandsprodukt, von 145 Prozent. liche Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern be- Heute stehen wir trotz der oben genannten Hilfen bei ei- ziehungsweise Regionen auszugleichen, mache ich mir nem Schuldenstand von 180 Prozent. Das ist das Dreifa- keine Sorgen, ob wir in Europa zu wenig solidarisch sind. che dessen, was nach den vertraglichen Grundlagen der Deutschland ist Nettozahler und damit ein solidarischer Währungsunion zulässig ist. Kein Wunder, dass sich der Helfer; aber ich werde nicht zustimmen, wenn wir als IWF mittlerweile aus der Mitfnanzierung zurückgezo- Deutsche beginnen, für die Schulden unserer Nachbarn gen hat und nur noch bei der Überwachung der Program- aufkommen zu müssen. Für mich steht fest, dass heute me begleitend tätig sein möchte. Der IWF wurde gegen- hier ein Programm verabschiedet wird, dass selbstver- über uns Abgeordneten von der Bundesregierung bisher ständlich nicht das letzte sein wird. Die Wirtschaftsfach- als „seriöser Lockvogel“ instrumentalisiert, um die Zu- leute sagen: Ohne einen Schuldenschnitt wird Griechen- stimmung zweifelnder Abgeordneter zu den Rettungs- land kaum wieder auf eigenen Beine stehen. – Es ist nur paketen zu bekommen. Er sieht die Notwendigkeit eines eine Frage der Zeit, bis das endlich auch in der Politik Schuldenschnitts für Griechenland, weil er die Schulden- eingesehen wird. tragfähigkeit trotz milliardenschwerer Hilfspakete und Bürgschaften insbesondere nach Anstieg der Verschul- Eine Weisheit der Dakota-Indianer besagt: „Wenn Du dung von 145 Prozent im Jahr 2010 auf 180 Prozent in merkst, dass Du ein totes Pferd reitest, steig’ ab!“ Ich bin 2018 weder kurz-, mittel- noch langfristig für gegeben bereits bei den vorherigen Hilfspaketen gar nicht erst auf- hält. Das ist ein Ofenbarungseid, der eben gerade nicht gestiegen. Das werde ich angesichts der oben genannten für das Erreichen der Ziele der Hilfspakete für Griechen- Analyse nicht aufsatteln, weil ich keinesfalls Steigbügel- land spricht. halter einer vermeintlichen Euro-Rettung sein möchte, (B) die rechts- und vertragswidrig den Weg in die Transfer- (D) Des Weiteren wird seitens der Bundesregierung der und Haftungsunion in großen Schritten beschreitet. Austritt des IWF bagatellisiert, indem behauptet wird, dass der vom IWF geforderte Schuldenschnitt sehr viel nachteiliger für Gläubiger und Geberländer wäre. Kein Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU): Bei der heu- Wort darüber, dass der IWF für Griechenland einen tigen Abstimmung über die Finanzhilfevereinbarung Schuldenschnitt als einzige Möglichkeit sieht, das Land für Griechenland enthalte ich mich. Auch wenn ich die vor der Insolvenz zu bewahren. Kein Wort auch darüber, bisherigen Fortschritte Griechenlands anerkenne, bin ich dass von Griechenland lediglich 34 der 55 vorgesehenen weiterhin der Meinung, dass Europa keine „Transferuni- Reformen legislativ umgesetzt wurden, dass die Hilfen on“ werden darf, und halte insbesondere die nochmalige in erheblicher Höhe weiterlaufen inklusive technischer Verschiebung des Tilgungsbeginns und weitere Zinsstun- und personeller Unterstützung und das erhebliche Schul- dungen zum jetzigen Zeitpunkt für völlig falsche Signale denerleichterungen inklusive Laufzeitverlängerung der an die griechische Regierung. Darlehen und Bürgschaften, Stundung und Absenkung von Zinsen nichts anderes sind als ein Schuldenschnitt durch die Hintertür. Dies ist, wenn auch nicht ofen zu- Mark Hauptmann (CDU/CSU): Im Rahmen der na- gegeben, die Bestätigung der Aufassung des IWF, dass mentlichen Abstimmung am 29. Juni 2018 stimme ich Griechenlands Schuldenlastfähigkeit einfach nicht ge- dem oben genannten Antrag nicht zu. Diese Entschei- geben ist, trotz alles in allem etwa 450 Milliarden Euro dung trefe ich auf Grundlage folgender Argumentation. Rettungshilfe. Das entspricht in etwa dem Zweieinhalb- fachen des jährlichen griechischen BIPs. Die Schuldenquote Griechenlands betrug am Ende des Jahres 2017 178,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Wenn dem Parlament kurz vor der Abstimmung zur Heute steht der Schuldenstand bei über 180 Prozent. Griechenlandhilfe suggeriert wird, die Bundesrepublik Nach dem Inkrafttreten von Rettungspaketen in einer Deutschland hätte wegen angeblicher Zinsgewinne in Größenordnung von rund 300 Milliarden Euro und ei- Höhe von 3 Milliarden Euro ein Geschäft bei der Zeich- nes Schuldenschnitts sowie eines Schuldenrückkaufs in nung griechischer Staatsanleihen gemacht, dann ist der einer Größenordnung von 64 Milliarden Euro entspricht Punkt erreicht, wo ich mir als Abgeordneter die Gesund- das Ausmaß des Schuldenstands von Griechenland dem beterei beziehungsweise Schönfärberei nicht mehr anhö- Dreifachen dessen, was nach den vertraglichen Grund- ren kann. Jeder weiß, dass die Finanzminister 2012 schon lagen der Währungsunion zulässig ist. Die Entwicklung beim ersten Schuldenschnitt gesagt haben, dass kein Ge- der letzten Jahre sowie der Status quo verfestigen meine berland aus den Hilfen für Griechenland Proft schlagen Einschätzung, dass wir die grundlegende Problematik 4528 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018

(A) mit der Fortführung der Finanzhilfen nicht lösen, son- pakete für Griechenland habe ich meine Zustimmung (C) dern nur weiter in die Zukunft verschieben. verweigert. Besonders kritisch betrachte ich vor diesem Hinter- Die Finanzminister der Euro-Staaten haben sich auf grund die Erhöhung der maximalen durchschnittlichen ein Ende des Programms für Griechenland geeinigt, das gewichteten Laufzeit der EFSF-Kredite um zehn Jahre, acht Jahre lang am Tropf der internationalen Geldgeber die Verschiebung des Tilgungsbeginns der Haupttran- hing. Das dritte Hilfsprogramm soll damit wie geplant am che der EFSF-Kredite auf das Jahr 2033 (ursprünglich 20. August 2018 auslaufen. Die Euro-Gruppe beschloss 2023) sowie die Verlängerung der Zinsstundung bis zum eine Verlängerung der gewährten Kredite sowie eine grö- Jahr 2032. Die Entlastung durch diese Schuldenstreckung ßere Atempause von zehn Jahren bis zu ihrer Rückzah- für Griechenland bezifert das Bundesfnanzministerium lung. Zudem erhält die griechische Regierung aus dem auf 34 Milliarden Euro. Ich betrachte diese Maßnahmen letzten Programm 15 Milliarden Euro als Liquiditätspuf- als eine Verschleppung der bestehenden Probleme, die fer, um die Finanzmärkte nicht so schnell anzapfen zu vor allem durch die mangelnde Wirtschaftskraft und die müssen. Seit 2010 hat Griechenland rund 260 Milliarden fehlende Efzienz von Reformen in Griechenland be- Euro an Hilfen erhalten. gründet sind. Das Geld foss teils in Form direkter Kredite der Eu- Es wird die Hofnung zugrunde gelegt, dass Griechen- ro-Staaten, teils über die Rettungsschirme EFSF und land die beim jüngsten Trefen der Euro-Gruppe ver- ESM und teils über den IWF. einbarten Vorgaben erfüllt und in den Jahren nach 2022 Die Geschäftsgrundlage für die Griechenland-Rettung jährliche Primärüberschüsse im Haushalt von 2,2 Pro- hat sich nie materialisiert. Der Bundestag hat dem dritten zent des Bruttoinlandsprodukts ausweist, um für das Jahr Hilfspaket nur in der Erwartung zugestimmt, dass sich 2060 eine Schuldenquote von 127 Prozent des Bruttoin- der IWF beteiligt. Die Weigerung des IWF symbolisiert landsprodukts zu erreichen. Das wäre immer noch mehr die Befürchtung, dass das Geld verloren ist. Denn anders als doppelt so viel wie durch den EU-Stabilitätspakt als die EU-Finanzminister und die Euro-Gruppe in Brüs- vorgegeben. Aber selbst diese Prognose ist aufgrund der sel glaubt der IWF nicht daran, dass Griechenland ohne wirtschaftlichen Entwicklung Griechenlands mehr als Schuldenschnitt zu retten ist. Warum soll man also verlo- fragwürdig. Unter diesen Umständen halte ich die mit- renem Geld noch mehr hinterherwerfen. telfristigen schuldenbezogenen Maßnahmen für falsch, da sie die Eigenverantwortung Griechenlands nur weiter Mit dem Antrag werden Kredite verlängert, Zinsen untergraben. gesenkt und die Tilgung ausgesetzt mit dem Efekt, dass augenscheinlich die Schuldenlast verringert wird. Den späteren unausweichlichen Ofenbarungseid trefen spä- (B) Arnold Vaatz (CDU/CSU): Ich lehne den Antrag tere Generationen. (D) auf Zustimmung des Bundestages gemäß § 3 Absatz 1 i . V. m. Absatz 2 Nummer 2 StabMechG – zur Änderung der Bedingungen der bestehenden Fi- Anlage 4 nanzhilfefazilität zur Abschafung der in der Finanz- hilfevereinbarung mit Griechenland vorgesehenen Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung zusätzlichen Zinsmarge auf die Schuldenrückkaufs­ Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie tranchen der EFSF-Darlehen ab dem Jahr 2018, gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen – zur Fortführung der Abführung des rechnerischen Ge- absehen: genwertes der Zentralbankgewinne aus dem Halten griechischer Staatsanleihen im Rahmen des SMP-Pro- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz gramms aus dem Bundeshaushalt (Titel: „Zahlungen – Unterrichtung durch die Bundesregierung an die Hellenische Republik“) ab dem Bundeshaus- halt 2018 an Griechenland sowie zur Weiterleitung der Verbraucherpolitischer Bericht der Bundesregie- 2014 aus dem Bundeshaushalt an den ESM bereits aus rung 2016 oben genannten Titeln geleisteten Zahlungen an Grie- Drucksachen 18/9495, 19/1709 Nr. 14 chenland, Haushaltsausschuss – zur Änderung der Bedingungen der bestehenden Finanzhilfefazilität zur Verlängerung der maxima- – Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof len durchschnittlichen gewichteten Laufzeit der Bericht nach § 99 der Bundeshaushaltsordnung EFSF-Kredite um zehn Jahre sowie zur weiteren Ver- über die Feststellungen zur finanzwirtschaftlichen schiebung des Tilgungsbeginns und zur weiteren Zins- Entwicklung des Bundes – Herausforderungen und stundungen bei den EFSF-Krediten von zehn Jahren Handlungsoptionen für die 19. Wahlperiode ab. Drucksachen 19/26, 19/491 Nr. 1.1 Der vorliegende Antrag wird zwar unter den Regulari- Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben en der zeitlich befristeten Europäischen Finanzstabilisie- mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Uni- rungsfazilität (EFSF) gestellt, deren Errichtung ich 2011 onsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer zugestimmt habe. Den darauf folgenden drei Rettungs- Beratung abgesehen hat. Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 43 Sitzung Berlin, Freitag, den 29 Juni 2018 4529

(A) Ausschuss für Inneres und Heimat Ratsdokument 7959/18 (C) Drucksache 19/2233 Nr. A.5 Drucksache 19/2233 Nr. A.15 Ratsdokument 7960/18 Ratsdokument 7400/18 Drucksache 19/2233 Nr. A.16 Ratsdokument 7966/18 Innenausschuss Drucksache 19/2233 Nr. A.17 Ratsdokument 7967/18 Drucksache 19/910 Nr. A.13 Drucksache 19/2233 Nr. A.18 Ratsdokument 13478/17 Ratsdokument 7973/18 Drucksache 19/910 Nr. A.20 Drucksache 19/2233 Nr. A.19 Ratsdokument 15861/17 Ratsdokument 7974/18 Drucksache 19/1053 Nr. A.13 Ratsdokument 5661/18 Drucksache 19/2773 Nr. A.9 Drucksache 19/1252 Nr. C.1 Ratsdokument 9373/18 Ratsdokument 8715/16 Drucksache 19/1252 Nr. C.2 Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ratsdokument 8838/17 Drucksache 19/1252 Nr. C.3 Drucksache 19/910 Nr. A.88 Ratsdokument 11313/16 Ratsdokument 14977/17 Drucksache 19/1252 Nr. C.4 Ratsdokument 11317/16 Ausschuss für Arbeit und Soziales Drucksache 19/1252 Nr. C.5 Ratsdokument 11318/16 Drucksache 19/1780 Nr. A.25 Ratsdokument 7416/18

Finanzausschuss Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Drucksache 19/1780 Nr. A.13 Ratsdokument 7219/18 Drucksache 19/910 Nr. A.103 Drucksache 19/1930 Nr. A.3 Ratsdokument 13330/17 EU-Dok 122/2018 Drucksache 19/910 Nr. A.108 Drucksache 19/2233 Nr. A.8 Ratsdokument 14333/17 Ratsdokument 7798/18 (B) (D) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi- Haushaltsausschuss cherheit Drucksache 19/2233 Nr. A.10 Drucksache 19/1780 Nr. A.27 ERH 9/2018 Ratsdokument 6916/18 Drucksache 19/2233 Nr. A.11 Drucksache 19/1780 Nr. A.28 Ratsdokument 7992/18 Ratsdokument 7321/18 Drucksache 19/1780 Nr. A.29 Ratsdokument 7470/18 Ausschuss für Wirtschaft und Energie Drucksache 19/1252 Nr. C.28 Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ratsdokument 5278/17 Drucksache 19/1252 Nr. C.29 Drucksache 19/2233 Nr. A.30 Ratsdokument 5281/17 EP P8_TA-PROV(2018)0183 Drucksache 19/1252 Nr. C.30 Ratsdokument 5283/17 Drucksache 19/1252 Nr. C.31 Ausschuss für Kultur und Medien Ratsdokument 5284/17 Drucksache 19/1252 Nr. C.63 Drucksache 19/2233 Nr. A.14 Ratsdokument 9479/16

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