Einzelveröffentlichungen Der Historischen Kommission Zu Berlin Band 80
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EINZELVERÖFFENTLICHUNGEN DER HISTORISCHEN KOMMISSION ZU BERLIN BAND 80 VOM GENERALPLAN OST ZUM GENERALSIEDLUNGSPLAN Herausgegeben von CZEStAW MADAJCZYK unter Mitarbeit von STANISLAW BIERNACKI, KARIN BORCK, HANS HENNING HAHN, ELIGIUSZ JANUS, BLANKA MEISSNER UND MICHAEL G. MÜLLER K · G · SÄUR MÜNCHEN · NEW PROVIDENCE · LONDON · PARIS 1994 Gedmckt mit finanzieller Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Bonn-Bad Godesberg Die Schriftenreihe der Historischen Kommission Zu Berlin erscheint mit Unterstützung der Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung, Berlin. Lektorat der Schriftenreihe Christian Schädlich Thomas Revering Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufhahme Vom Generalplan Ost zum Generalsiedlungsplan ·. Dokumente / hrsg. von Czestaw Madajczyk unter Mitarb. von Stanisfaw Biernacki ... - München ; New Providence ; London ; Paris : Säur, 1994 (Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin ; Bd. 80) ISBN 3-598-23224-1 NE: Madajczyk, Czeslaw [Hrsg.]; Historische Kommission <Berlin>: Einzelveröffentlichungen der Historischen ... Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier Alle Rechte vorbehalten / All Rights strictly Reserved K. G. Säur Verlag GmbH & Co. KG, München 1994 A Reed Reference Publishing Company Printed in the Federal Republic of Germany Satz: Historische Kommission zu Berlin, Berlin Druck: Strauss Offsetdruck, Mörlenbach Binden: Thomas Buchbinderei GmbH, Augsburg ISBN 3-598-23224-1 EINLEITUNG Die herausjagende Bedeutung des Generalplans Ost für die Zeitgeschichte ist unbestritten. Sowohl die Tragweite seiner Zielsetzungen als auch die Radikalität der Mittel, mit denen diese Ziele erreicht werden sollten, lassen ihn historisch einmalig erscheinen. Die Vorstellungen der Nationalsozialisten, wie und mit welchen Konse- quenzen Ostmittel- und Osteuropa im Geiste ihrer Rassenideologie umgestaltet wer- den sollten, fanden hier ihre Präzisierung zu einem konkreten Szenario, das gewis- sermaßen den Kulminationspunkt aggressiver deutscher Bestrebungen in bezug auf seine östlichen Nachbarn bezeichnet. Um nicht weniger als tausend Kilometer sollte die ethnische Grenze des Reiches, die sogenannte Volkstumsgrenze, durch germani- sche Neusiedlung nach Osten verschoben werden; noch weiter östlich, erst am Ural, sollte eine zweite Grenze, die sogenannte Wehrgrenze, verlaufen. Was unter dem Begriff „Generalplan Ost" im einzelnen zu verstehen ist, bedarf der Präzisierung. Der Bezeichnung selbst begegnen wir zuerst um 1940/41, und zwar in Akten des Heinrich Himmler unterstellten Apparats, der für die Aussiedlung von Polen aus den eingegliederten Ostgebieten1 verantwortlich war. Dazu gehörte die Dienststelle des Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums (RKF), die später umgebildet wurde zum SS-Stabshauptamt. Die ersten Planüngsentwürfe wurden Himmler im Frühjahr 1940 von Konrad Meyer, Professor für Ackerbau und Landpolitik, unterbreitet, hu Juli 1941 legte dieser dann weitere Entwürfe vor, und als Ziel seiner Planungsaufgaben bezeichnete er nun die Erstellung des General- plans Ost. In der Forschung ist dieser Komplex verschiedentlich als der „erste Gene- ralplan Ost" klassifiziert worden.2 Meyer selbst behauptete nach dem Krieg bei den 1 Eine detaillierte Beschreibung der „eingegliederten Gebiete" bei Martin Broszat, National- sozialistische Polenpolitik 1939-1945, Stuttgart 196l, S. 36 ff. (mit einer entsprechenden Karte auf S. 222 f.); vgl. auch Czesiaw Madajczyk, Die Okkupationspolitik Nazideutschlands m Polen 1939-1945, Berlin 1987, S. 30 ff. 2 Ein Überblick über den Forschungsstand aus marxistischer Sicht bei Dietrich Eichholtz, Der „Generalplan Ost", in: Jahrbuch für Geschichte 26 (1982), S. 215-255; vgl. auch Helmut Heiber, Der Generalflan Ost, in: Vierteljahrsbefießir Zeitgeschichte 6 (1958), H. 3, S. 280-325; Czesiaw Madajczyk, Generalplan Ost, in: Przeglad Zachodni (196l), H. 3, S. 66-103, ders., Generalplan Ost, in: Polish Western Affairs (1962), H. 3, S. 391-442; ders., Die Okkupations- politik. ..; femer Rolf-Dieter Müller, Industrielle Interessenpolitik im Rahmen des „Generalplan Ost". Dokumente zum Einfluß von Wehrmacht, Industrie und SS auf die wirtschaftliche Zielset- zung für Hitlers Ostimperium, in: Müitärgeschichtliche Mitteilungen29 (1981), H. l, S. 101- 140. Zuletzt Karl Heinz Roth, Konrad Meyers erster „Generalplan Ost", in: Dokumentations- stelle zur NS-Sozialpolitik, Hamburg. Mitteilungen, l (1985), H. 4, S. 45-53. VI Einleitung Verhören während des VIII. Kriegsverbrecherprozesses in Nürnberg freilich,3 daß sich seine Tätigkeit für Himmler auf die Bearbeitung dieser ersten Variante des Plans beschränkt habe. Doch kam es ihm dabei wohl darauf an, seine Richter über den Charakter und die Dimensionen der späteren Varianten des Generalplans Ost zu täu- schen. Diese späteren Varianten befaßten sich mit der „Germanisierung des Bodens" in Ostmitteleuropa, hatten darüber hinaus aber auch Pläne für Bevölkerungsver- schiebungen in West- und Südeuropa (Elsaß, Lothringen, Untere Steiermark, Ober- krain) sowie in den als „germanisch" betrachteten Ländern Holland, Norwegen und Dänemark (als Rekrutierungsländer für Neusiedler) zum Gegenstand. Am frühesten schilderte Reinhard Heydrich, der damalige Chef des Reichssicher- heitshauptamts (RSHA) und faktische Reichsprotektor in Böhmen und Mähren, am 2. Oktober 1941 in einer Rede in Prag die Grundlagen künftiger Bevölkerungsex- pansion des Dritten Reiches nach Osten. Die Bezeichnung Generalplan Ost tauchte in seiner Rede nicht auf. Doch skizzierte Heydrich recht genau die Grundlinien für eine etappenweise durchzusetzende deutsche Herrschaftsordnung in Osteuropa.4 Der Rassenexperte Dr. Erhard Wetzel, seit Herbst 1941 Referent für rassenpoliti- sche Fragen in Rosenbergs Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete, wußte seinerseits schon im November desselben Jahres, daß das von Heydrich geleitete RSHA, das sich auch mit Aufgaben im Bereich der „Festigung des Deutschtums" befaßte, an einem allgemeinen Plan für die Ostgebiete arbeitete; nach seiner Kennt- nis sah der Plan die Aussiedlung von 31 Millionen Menschen aus den bewußten Gebieten vor.5 Drei Monate später notierte er, daß die Dienststelle, aus der der Generalplan Ost stamme, das Amt III B im RSHA sei. Bald darauf, schon im April 1942, unterzog er den dort ausgearbeiteten Plan einer kritischen Analyse, wahrscheinlich im Auftrag Alfred Rosenbergs, des Reichsmini- sters für die besetzten Ostgebiete. Der Plan war nach dem Krieg nicht mehr auffind- bar; über seinen Inhalt gibt jedoch vor allem Wetzels Gutachten Auskunft,6 das in den Einzelheiten ziemlich kritisch ausfiel und direkt die Inkompetenz der Planer aus dem RSHA bloßstellte. So seien die Einwohnerzahlen der für die Kolonisierung vor- gesehenen Gebiete zu niedrig angesetzt worden (nicht 45 Millionen, sondern 60- 65 Millionen Menschen seien betroffen), ebenso die Zahlen bezüglich der aus- zusiedelnden Bevölkerung (46-51 Millionen anstatt 31 Millionen Menschen).7 Ferner 3 Vgl. Dok. Nr. 99- 4 Die Rede abgedruckt in: Die Vergangenheit warnt. Dokumente über die Germanisierungs- und Austilgungspolitik der Naziokkupanten in der Tschechoslowakei, zusammengestellt, mit Vorwort u. Anmerkungen versehen von Vaclav Kral, Auswahl der Dokumente von Karel Fre- mund u. Vaclav Kral, Prag I960, S. 160 ff. 5 Vgl. Dok. Nr. 16. 6 Ebda. 7 Wetzel scheint seinerseits nicht die durch die Evakuierung ins Landesinnere der UdSSR verursachten Bevölkerungsverluste berücksichtigt zu haben. Die geschätzte Geburtenrate für dieNachkriegsjahre (30 Jahre) setzte er zu hoch an. Auch bezog er die Tatsache, daß es nach Einleitung VII habe man die Menschenreserven für die Ansiedlung viel zu optimistisch einge- schätzt: nicht zehn Millionen, sondern nur acht Millionen Menschen. Die Vorgabe schließlich, daß Sibirien als Auffanggebiet für ausgesiedelte Slaven, darunter solche Nationen wie Polen, „die man nicht liquidieren kann wie die Juden", und Ukrainer, dienen solle, stehe im Widerspruch zu den Interessen des Reiches. Die Zielsetzung des Generalplans Ost, das heißt die Kolonisierung Ostmitteleuropas, fand jedoch Wetzels vorbehaltlose Zustimmung. Als ein Vorhaben des Reichskommissars Heinrich Himmler gewann der Plan höchstwahrscheinlich Ende 1941 oder Anfang 1942 Gestalt. Er sollte in einem Zeit- raum von dreißig Jahren nach der Beendigung des Krieges verwirklicht werden. Ein- schließlich der Siedler aus anderen „germanischen" Ländern und der „Volksdeut- schen" in ganz Europa sollten etwa zehn Millionen Menschen für die Kolonisierung Osteuropas aufgeboten werden. Als Siedlungsgebiete sah die Planung des RSHA fol- gende Gebiete vor: das besetzte Polen (die eingegliederten Ostgebiete, das General- gouvernement und der Bezirk Biatystok), die baltischen Republiken, Weißrußland, die ukrainischen Gebiete von 2itomir, Kamenec-Podolsk und teilweise Vinnica sowie zwei besondere Siedlungsgebiete: die Region von Leningrad (Ingermanland) und die Krim einschließlich des Dnjepr-Bogens. Von den 45 Millionen Bewohnern dieser Gebiete sollten 31 Millionen, die als „rassisch unerwünscht" galten, nach Westsibirien ausgesiedelt werden. Die Wahl Sibiriens, das als „altes europäisches Siedlungsgebiet" die slavischen Aussiedler aufnehmen sollte, hielt auch Wetzel für richtig. „Würde Europa ein unter seiner Hoheit befindliches Siedlungsreservat in Sibirien besitzen", schrieb er in seinem Gutachten, „brauchen die vielen Menschen nicht verlorenzugehen, die es bisher verlor, die es aber in Zukunft dringend im Hin- blick auf die großasiatische Idee gebrauchen wird." Wetzels Expertise