Deutschland

AFFÄREN Trotzig im Ungefähren Eberhard von Brauchitsch stand im Mittelpunkt eines der spektakulärsten Politskandale der Nachkriegszeit. In seiner Autobiografie „Der Preis des Schweigens“, die Mitte dieser Woche erscheint, beschreibt der ehemalige Flick-Manager die Parteispenden- Affäre aus seiner Sicht: Eigenwilliges mischt sich dabei mit Spekulativem.

n einen seiner Peiniger schmierten – die vernünftigen kann sich Eberhard von Kräfte förderten, würde von ABrauchitsch natürlich Brauchitsch sagen. gut erinnern. Damals, im Flick- Der freundliche ältere Herr Untersuchungsausschuss, sei wird im November 73 Jahre alt. der Abgeordnete Gerhard Er hat „Deutschland verlas- Schröder „gähnend und hinge- sen“ und bezahlt doch seine fläzt, so nach Juso-Manier“, Steuern dort. Mit seiner Ehe- der Verhandlung gefolgt. frau Helga umkreist er „unser Und dann war da noch Otto Vaterland“. Das Paar nimmt Schily, der große Wortführer, Wohnung bei Nachbars: in „damals noch bei den Grü- Zürich, Monte Carlo oder im nen“. Ja, die Geschichte, die Salzburgischen. der ehemalige Flick-Manager Natürlich zieht es die von jetzt mit seiner Autobiografie Brauchitschs, die beide in Ber- wieder aufrührt, ist lange her*. lin aufgewachsen sind, öfters in Wie kaum eine zweite in den die Hauptstadt, vielleicht sogar 50 Jahren Bundesrepublik hat- für den Rest des Lebens – wären te sie für Furore gesorgt. Sie da nicht Geister der Vergangen- handelte vom großen Geld und heit. In Kleinmachnow hatten der Macht: wie Wirtschaftsfüh- sie sich in einem gehobenen Al-

rer und Regierungspolitiker M. KLIMEK tersheim eingekauft.Aber dann Hand in Hand zusammenwirk- Autor von Brauchitsch: Andeutungen, dass er könnte, wenn er wollte stellte er fest, dass dort „Sozis ten, ganz so, als wollten sie die aus der zweiten Brandt-Reihe“ marxistischen Agitprop-Märchen über den lassen“. Sein Urteil heute: „Die soge- ebenfalls ihren Lebensabend verbringen bösen Kapitalismus bestätigen. nannte Spendenaffäre war in Wahrheit eine wollten. Damit hatte sich das erledigt. Mitte der siebziger Jahre hielten Steu- ,Schutzgeldaffäre‘.“ In der Parteispenden-Affäre gab es da- erfahnder aus dem Bonner Vorort Sankt Auch die Friedrich Flick KG habe nur mals viele Täter, hunderte von Firmen hat- Augustin den ersten Zipfel der Affäre in „Schutzgelder bezahlt, um sich vor Re- ten gesündigt, dutzende von Parteifilialen der Hand. Es stellte sich heraus, dass pressionen in Form wirtschaftsfeindlicher genommen. In der Flick-Affäre aber ku- Wirtschaft und Politik höchst raffiniert ein Politik zu schützen“. Den „permanenten mulierte das Gemauschel zwischen dem illegales Parteienfinanzierungs-System auf- Bitten sämtlicher Parteien und ihrer großen Geld und der Staatsmacht. Und in gebaut hatten. Immer wieder hatte das Schatzmeister“ habe man sich einfach von Brauchitsch, der in Bonn die Drähte Bundesverfassungsgericht Hindernisse auf- nicht entziehen können. zog, während der schüchterne Konzern- gebaut, und immer wieder hatten listen- So erscheinen ihm die Parteispenden als chef Friedrich Karl Flick sich in München reiche Steueranwälte sich einen neuen „nichts anderes als eine Form der indirek- verkroch, hatte die Affäre ihr Gesicht. Dreh ausgedacht. Es ging im Kern um zwei ten Steuern“. Dass die Parteien sich da- Für die Nachgeborenen noch einmal Punkte: Jeder Spender, der mehr als 20000 mals wie heute gern mit dem Staat ver- eine Zusammenfassung: Flick verkaufte Mark stiftete, musste öffentlich genannt wechseln – da hat der Autor sicher Recht. Anfang 1975 aus seinem reichlichen Fir- werden. Außerdem musste das Geld aus Mafiamethoden, Erpressung, Steuer- menbesitz Aktien von Daimler-Benz für dem versteuerten Einkommen stammen. Schraubzwingen – was von Brauchitsch in gut zwei Milliarden Mark an die Deutsche Beides missfiel Firmen wie Parteien. dem Buch als seine Wahrheit anklingen Bank. Da der Konzern verständlicherwei- Also war eine Flut von Tarn-Organisatio- lässt, hält ihn allerdings nicht davon ab, se die fälligen Steuern von knapp einer nen gegründet worden, an die steuerfrei das neue System der Parteienfinanzierung Milliarde sparen wollte, griff man unter an- gestiftet werden konnte – in jeder Höhe als noch viel verwerflicher anzuprangern. derem auf den berühmten Paragraphen 6b und ohne Namensnennung. Dass nun die Parteien direkt aus Steuer- des Einkommensteuergesetzes zurück. Da- In seinem Buch versetzt von Brauchitsch geldern bezahlt werden, habe dazu geführt, nach blieb der Erlös steuerfrei, wenn das den ehemaligen Geschäftspartnern aus der dass „es in Deutschland heute keine wirk- Geld „volkswirtschaftlich besonders för- Politik einen kräftigen Tritt. Niemand aus liche konservative Partei“ gibt. Und über- derungswürdig“ wieder angelegt würde. der Wirtschaft „hätte aus freien Stücken haupt: Die Wirtschaft könne so nicht mehr Und das hatte der Wirtschaftsminister in einer politischen Partei Geld zukommen „an der Meinungsbildung mitwirken“. Absprache mit dem Finanzminister zu ent- Die „wirklich Konservativen“, heißt das scheiden. Damals waren diese Posten von im Umkehrschluss, konnten sich in der (FDP), Otto Graf Lambs- * Eberhard von Brauchitsch: „Der Preis des Schwei- gens. Erfahrungen eines Unternehmers“. Propyläen Ver- Bundesrepublik nur Gehör verschaffen, in- dorff (FDP) beziehungsweise Hans Apel lag, ; 304 Seiten; 44 Mark. dem sie Politiker und Parteien direkt (SPD) und Hans Matthöfer (SPD) besetzt.

42 33/1999 Während des jahrelangen Gerangels um damals Vizepräsident des BDI, ein uner- Der Stachel sitzt noch immer tief. Aber die Steuerbefreiung streuten Flick-Abge- schrockener „Kommunistenfresser“ gewe- es sei nicht Rachsucht, die ihn leite. Ob- sandte Geld unter die Bonner Parteien und sen sei, der sich strikt weigerte, zur Leip- wohl „das Schweigen“ ihm „Jahre der Ein- ihre Würdenträger. Ein gutes Ende bedurf- ziger Messe zu fahren, und zum Boykott samkeit“ eingetragen habe, weigert er sich te der „besonderen Pflege der Bonner der Olympischen Spiele in Moskau aufrief. auszupacken. Stattdessen gefällt sich der Landschaft“ – wie von Brauchitsch mit Von Brauchitsch argumentiert wie jener Mann, der in seiner Jugend im Boxring dem inzwischen geflügelten Wort in sei- berühmte Mann, der einen Hammer in der stand, in Andeutungen, dass er könnte, nen internen Notizen sein Aufgabengebiet Hand hält und dem nun die ganze Welt wenn er wollte. umriss. Sein Chefbuchhalter Rudolf Diehl wie ein Nagel erscheint. Hinter dem SPIE- Wer genau liest, findet kleine Seiten- hielt in seinen nicht minder Aufsehen er- GEL, man ahnt es, steckt das Böse hiebe auf Richard von Weizsäcker, den regenden Spendenlisten mittels des Kür- schlechthin: die Stasi. Sie hat ihn verraten. „langjährigen Nutznießer der Parteien- zels „wg.“ fest, wer das Geld bekommen Wichtigstes Indiz dafür ist ihm ein Sta- finanzierung“, oder den „Jasager hatte – mal „wg. Leisler Kiep 500000“, mal si-Mann, der einst zu seinen persönlichen Schäuble“. „wg. Brandt 40000“, mal „wg. Kohl 50000“ Freunden zählte: Hans-Adolf Kanter, als Wesentlich mehr, ein ganzes Kapitel, oder mal „wg. F.J.S. 250000“. CDU-Funktionär aus Rheinland-Pfalz ein widmet er einem alten Duzfreund. Über- Fassungslos nahm das Publikum Anfang guter Bekannter von , gleich- schrift: „Schatten auf Helmut Kohl“ (Aus- der achtziger Jahre, als die Staatsanwälte zeitig Flick-Lobbyist in Bonn. „Fichtel“, züge Seite 44). Schon lange bevor dieser ins der Affäre nachstiegen, zur Kenntnis, dass so sein Deckname, war der „dienstälteste höchste Regierungsamt gelangte, hatte ihn die Flick-Leute die Gelder oft in bar in Kundschafter in Westdeutschland“, wie der von Brauchitsch nach Kräften gefördert. Briefumschlägen überreicht hatten. Die DDR-Spionage-Chef Markus Wolf in sei- Und als Kohl „im Spenden-Schlamassel Empörung über „die gekaufte Republik“ nen Erinnerungen schreibt: „kaum weniger steckte“, habe er, sein Gönner und Knap- hielt sich jahrelang in den Schlagzeilen. wertvoll als Günter Guillaume“. pe zugleich, „die Kastanien aus dem Feu- „Ein Bargeld-Porno“, schrieb Heinrich Durch Kanter wusste die Stasi schon Jah- er geholt“ und ihn, den Kanzler, wie ge- Böll, der Literatur-Nobelpreisträger. re vor der Bonner Staatsanwaltschaft (und beten, mittels vornehmer Zurückhaltung Am Ende verurteilte das Bon- dem SPIEGEL) von den seltsa- geschont. ner Landgericht die Ex-Minister men Gebräuchen im Hause Flick. Undank war des Kanzlers Lohn, groß Friderichs (61 500 Mark) und Die Flick-Leute Aber schon „um unsere Quelle die Enttäuschung, dass Kohl ihn sogar noch Lambsdorff (180 000 Mark) so- überreichten zu schützen, widerstanden wir im Abseits schmoren ließ, als die neuen wie den Flick-Manager von die Gelder der Versuchung, das Material Bundesländer jeden Mann brauchten, der Brauchitsch (550000 Mark) we- oft in bar in westdeutschen Medien zuzuspie- etwas von Wirtschaft versteht. Vergeblich gen Steuerhinterziehung zu Brief- len“, schreibt Wolf. Und: „Zur verlangte er nach Ablauf seiner Be- Geldstrafen.Von Brauchitsch be- Aufdeckung des Parteispenden- währungsfrist ein öffentliches Signal von kam zusätzlich eine zweijährige umschlägen skandals im Jahre 1981 hat mein Kohl, vergeblich diente er seine Hilfe für Haftstrafe auf Bewährung. Vom Dienst nicht beigetragen.“ den Osten an. Erst nach quälender „Hin- Anklagepunkt der Bestechung wurde er Für von Brauchitsch ist dies „nicht stich- haltetaktik“ habe der Kanzler 1993 „in Be- freigesprochen. haltig“. In seinem „Kampagne“-Kapitel zug auf meine Person Flagge gezeigt“. Dem SPIEGEL, der in jenen Jahren den knüpft er lauter Mutmaßungen aneinan- Was heraussprang, war ein Aufsichts- Ermittlungen der Staatsanwaltschaft jour- der, die ihn zuletzt trotzig im Ungefähren ratsvorsitz bei der Buna in Schkopau. nalistisch folgte und zu der Affäre eine landen lassen: „Wie immer es gewesen sein Immerhin. Der alte Preuße ist’s zufrie- Reihe von Titelgeschichten druckte, wid- mag, fest steht, dass Ost-Berlin ein beson- den. met von Brauchitsch in seiner Autobiogra- deres Interesse an der Publikation meiner „Warum“, so fragt von Brauchitsch in fie unter der Überschrift „Die Kampagne“ vertraulichen Aufzeichnungen hatte.“ einem gemütlichen Gasthof unweit seiner ein Extra-Kapitel. Natürlich sieht sich von Brauchitsch als österreichischen Wohnung, „soll ich heute Was der SPIEGEL nicht müde wurde Opfer: Ein Mann mit allen preußischen Tu- noch jemanden bloßstellen?“ Nur mit sich öffentlich zu machen, alle Winkelzüge, die genden, der verlässlich seine Pflicht erfüllt, selbst tut er es. „Erfahrungen eines Unter- Flick-Leute mit Ministerialbeamten verab- wird von den Gegnern geschlachtet und nehmers“ heißt der Untertitel seines Bu- redeten, Vernehmungsprotokolle politi- von den Freunden im Stich gelassen. Wie- ches. Dabei war er auch zu den Zeiten, als scher Beamter oder Politiker – alles hatte derholt betont er: „Plötzlich litten die be- er zu den mächtigsten Männern der Repu- nur einen Grund: ihn, Eberhard von Brau- teiligten Politiker unter starkem Gedächt- blik zählte, immer nur Manager, Diener chitsch, zu treffen. Und warum? Weil er, nisschwund.“ anderer Herren. Joachim Preuss

SPIEGEL-Titel zur Spendenaffäre in den achtziger Jahren: Wer wusste von den seltsamen Gebräuchen im Hause Flick?

der spiegel 33/1999 43