Tages-Anzeiger · Freitag, 29. August 2008 KULTUR 47

ZÜRCHER PROTOKOLL: AFRIKAN BOY, RAPPER THEATER-SPEKTAKEL Der Tanz und «Vom Rassismus-Gejammer halt ich nichts» die Kursschiffe Eben noch klaute er bei Lidl ein schämt. Ich suche eher politische The- nur schöner Schein. Ich will nicht rumre- lich kriegen sie die Waffen von der So schön die Seebühne des Theater-Spek- men. Einzigartig ist, dass ich Afrika iro- den, aber wenn ich in Afrika investieren Strasse weg. takels ist, so schwer ist sie zu bespielen. Zu Poulet, jetzt wird er Popstar: nisch und positiv beschreibe. Französi- würde, dann in den Schulen. Mein Slogan: Nigeria nenne ich meine Heimat, und gross ist die Ablenkung auf allen Seiten. Aus kommt Afrikan Boy, sche Rapper schreiben traurige Songs Ausbildung zuerst. mit fühle ich mich verbunden. Ich Die Tanzgruppe Cultur Arte aus Maputo um der Welt ein anderes Afrika über Immigration und Identität, ich bring Weil ich zielstrebig bin und Werte ver- mag zum Beispiel meinen britischen Ak- hatte der abwechslungsreichen Umge- diese Themen mit Humor rüber. Manche trete, schauen die Leute aus zu zent. Also habe ich zwei Heimaten. Gut, bung leider nicht genug entgegenzusetzen. zu verkaufen. Morgen Abend sagen, das sei falsch, aber das Publikum mir auf. Die Gegend ist hart, aber ich mag aber nicht einfach. Ich bin noch nie in Ni- Choreograf Panaïbra Gabriel hat die auch am Theater Spektakel. fährt drauf ab. sie und nenne sie ungern Ghetto. Die Ge- geria aufgetreten, aber bin in Kontakt mit Gruppe, vom traditionellen afrikanischen walt hat zugenommen, und du solltest lokalen Radio-DJs. Ich glaube, ich kann die Tanz her kommend, nach eingehender Be- Die nigerianische Musik verändern nicht zur falschen Zeit am falschen Ort nigerianische Musik verändern. Hey, ich schäftigung mit westlichem, zeitgenössi- Aufgezeichnet sein. Auch ich wurde beraubt. Die Polizei bin Nigerias Antwort auf Lil Wayne! schem Tanz vor zehn Jahren gegründet. von Hannes Grassegger Viele denken, Afrika sei wie auf den versucht ihr Bestes, aber es gibt viel insti- Und schreib noch: Meine erste EP Im seinem Stück «Mafalala 2», benannt Plakaten von Oxfam: alle am Verhungern. tutionellen Rassismus, auch ich werde erscheint am 1. Oktober. Das ist der nach einem Vorort Maputos, zeigt er viele Wenn es einen afrikanischen Su- Solche Hilfsorganisationen verbreiten ein häufig kontrolliert. Bloss, vom ewigen nigerianische Unabhängigkeitstag. » kurze Szenen, in denen Tanz in Alltag perhelden gibt, dann bin ich das negatives Afrika-Bild. Dass ein ganzer Rassismus-Gejammer halte ich nichts. übergeht und umgekehrt. Abstrakte Bewe- « wohl. Ich bin zwar erst 19 Jahre alt Kontinent für einen Cheeseburger ster- Man kann aus allem Rassismus machen: Konzert morgen Samstag, 30. 8., 22 Uhr, gung wird zum Fussballspiel, das Anklei- und habe noch keine CD veröffentlicht, ben würde, das gibt es nicht. Also spende Ein Piano hat mehr weisse als schwarze am Theater-Spektakel, Club. den zum Tanz. habe aber schon Konzerte für Prince er- ich nicht für Oxfam. Viele Projekte sind Tasten – Rassismus! Trotzdem, hoffent- www.myspace.com/afrikanboy Später balancieren die Tänzer Gefässe öffnet und war mit M.I.A., dem tamilisch- auf dem Kopf und integrieren sie in ihre britischen Dancefloor-Star, auf Tournee. Bewegungen. Der Saxofonist (Orlando da Sogar Mos Def will etwas für mich einsin- Conceicão) wird locker umschmeichelt gen. Und, oh, ich bin auch ein guter oder handfest geplagt. Gabriel reiht die Schauspieler. Eben haben sie mir Drehbü- spielerischen Szenen unverbunden anei- cher vorgelegt. Sie wollen mich für eine nander. Da sind zwar einige schöne Mo- Hauptrolle, als Gangleader. mente dabei, doch entwickelt das Ganze Ich heisse Olushola Ajose, aber als ich nicht genug Spannung, die der Ablenkung mit Rappen anfing, gaben mir meine Lon- durch die abfahrenden Kursschiffe ge- doner Freunde den Namen Afrikan Boy. wachsen wäre. Ich mag den Namen und meine Herkunft. Die Tänzer (Domingos Bié, Idio Ich wurde in London als Kind nigeriani- Chichava, Benedito Cossa, Horácio Ma- scher Eltern geboren, wuchs aber in Lagos cuacua, Sónia Mulapha) aber gefallen mit auf. Um eine gute Ausbildung zu erhalten, ihrer frischen, dynamischen Art. Umso wurde ich nach England geschickt, ich schöner, dass man sie im zweiten Teil habe ja den britischen Pass. Jetzt mache noch in einer anderen choreografischen ich Musik und studiere Psychologie und Handschrift erleben kann: Präsentiert Soziologie. wird das Stück «Há mais», das der Schwei- zer Choreograf Thomas Hauert 2002 mit Ein gestohlenes Hühnchen Cultur Arte erarbeitet hat. Als Ausgangs- material dienten tradierte afrikanische Letztes Jahr habe ich mein Lied «One Tanzformen, welche verdichtet und mit Day I Went to Lidl» auf Myspace gestellt, improvisatorischen Teilen kombiniert und da ist alles explodiert. Auf Youtube wurden. Zusammen mit den bunten Kos- haben sich über 600000 Leute den Clip tümen und der expressiven Musik Stra- angesehen. winskys ergibt das einige mitreissende M.I.A. schrieb mir. Erst glaubte ich es Momente. fast nicht, dann sagte ich rasch zu, und Zwischen diesen üppigen Szenen ste- jetzt bin ich auf ihrem Album «Kala». hen immer wieder solche, die im gedämpf- «Lidl» ist eine wahre Geschichte. Ich war ten Licht sehr still sind. Von ihnen be- pleite, hatte Hunger und stahl im Lidl in kommt man leider nicht allzu viel mit. Spä- Woolwich, das ist mein Stadtteil im Süd- testens da erweist sich die Seebühne als osten , ein Hühnchen. Dabei Killer. Felizitas Ammann wurde ich erwischt. Im Song erzähl ich das Wort für Wort und mit ein paar Fet- Seebühne, noch heute, 29. August, 21 Uhr zen Yoruba, meiner nigerianischen Spra- che. Dann hats noch ein paar Zeilen darü- ber, wie man ein Visum für England be- kommt, indem man sein Alter einfach Prix Europa mit niedriger angibt. Und dann mit 14-Jähri- gen in die Schule geht. Schweizer Filmen Die Story rappte ich über einen be- Zürich. – Der Fernsehspielfilm «Jimmie» kannten Riddim von Skepta. Da- von Tobias Ineichen ist Schweizer Kandi- rum sagen viele, ich mache Grime. Das ist dat in der Kategorie TV Fiction beim Prix ein Londoner Hiphop-Stil, nur schneller, Europa. Der Wettbewerb findet vom 18. härter und düsterer. Aber in Musik und bis 25. Oktober in Berlin statt. In der Kate- Mode will ich immer individuell und der gorie TV Documentary ist «Die ganze Erste sein. Also sagte ich zu einem Welt anmalen – 1968 und die Schweiz – Freund: Hey, mach mir ein neues Instru- was wirkt weiter?» von Peter K. Wehrli mental für «Lidl», in einem neuen Stil. nominiert, und für den Prix Genève- Voilà: Afro-Grime. Meine Erfindung. Gri- Europe Yves Mattheys und Daniel Vouil- me-MCs sprechen meist über Gewalt und lamoz’ Drehbuch zum Fernsehfilm «Peti- Sex. Ich will weder sein wie die, noch, BILD WILL KAY/PD tes vacances à Knokke le Zout». (SDA) dass sich meine Mutter für meine Texte Raps ohne Gewalt und ohne Sex – seine Mutter soll sich nicht für seine Texte schämen: Afrikan Boy. Lauryn Hill und Cyndi Lauper in Basel Basel. – Vom 31. Oktober bis zum 16. No- vember findet in Basel die AVO-Session Der Einzug der Volksmusik in die heiligen Tonhallen statt. Im Programm sind diesmal u. a.: Ro- ger Hodgson, Cyndi Lauper, Lauryn Hill, Die Volksmusik ist in Bewegung, Zeit oft gestellt wird: Wie kommt ein klas- Holligers Komposition, aber auch ein den Ensembles dazu aufgefordert hat, in Zucchero, Peter Maffay, Patricia Kaas, und auch klassische Musiker sischer Musiker dazu, Hudigäggeler zu Film wie Cyrill Schläpfers «Ur-Musig» ihrem Konzertblock mindestens zehn Mi- Amy MacDonald, Jethro Tull und Mi- spielen? Seine Antwort: «Im Tonhalle-Or- von 1993 brachten die Volksmusik wieder nuten neu geschriebene Musik zu spielen. chael Bolton. Detailprogramm unter interessieren sich zunehmend für chester ist man stark auf einen Weg ver- in ein breiteres Bewusstsein und gaben Aber Achtung: Es geht nicht um «Neue www.avo.ch. (TA) sie: Dieses Wochenende findet pflichtet. Man übt, liest viele Noten und vielen Musikern den Impuls, sich wieder Musik», sondern schlicht darum, das Re- macht wunderschöne Musik. Es ist aber mit heimatlichen Klängen zu beschäftigen. pertoire zu erweitern. in der Tonhalle und auf dem ein sehr schmaler und auch enger Weg. Es ging einerseits um eine Rückkehr zu Bauschänzli eine Stubete statt. Mein Mitorganisator Johannes Schmid- den Quellen: Die Volksmusiksammlung Alte Notentexte, neue Interpretation REKLAME WH877-T Kunz verkörpert dazu das andere Extrem: Hanny Christen bildete dafür eine zentrale Er steht auf die Bühne und spielt auswen- Grundlage. Um eine Abgrenzung auch Florian Walser steht dem Begriff «Neue Von Thomas Meyer dig aus dem Moment heraus. Mich interes- vom kommerzialisierten volkstümlichen Volksmusik» skeptisch gegenüber: «Es siert beides. Es gibt so viele Musikstile, die Schlager hin zum weniger Geschniegelten, gibt immer Leute, die mit dem alten No- Lüpfig klingts bei dieser Probe durchaus, man miteinander verbinden kann.» wie Janett sagt. Andererseits strebte man tentext neu umgehen. Ich würde da keine A family affair since 1908 aber auch jazzig, frei improvisiert gar, und eine Weiterentwicklung Probleme suchen, son- der langsame Marsch in der Mitte des Eine Rückkehr zu den Quellen an. dern mich freuen über all Stücks erinnert an Mahler – oder weist zu- Mittlerweile feiern die die aktuellen Bewegun- mindest auf gemeinsame Wurzeln hin. Mit dieser Überzeugung ist Walser Medien diese «Neue Wie kommt ein gen. Die Hauptsache ist Überhaupt ist die Klangkombination unge- nicht allein. Musiker wie Janett oder auch Volksmusik», die Pro doch, dass die Zuhörer wohnt, ja schräg, denn Domenic Janett, Kla- Elmar Schmid von den (einst Oberwalli- Helvetia fördert sie. Das klassischer Musiker den Saal glücklich verlas- Sommersaison 2008: rinettist der Gruppe Ils Fränzlis da Tschlin, ser) «sCHpillit» – beides ebenfalls Klari- Label Musiques Suisses sen.» Auch Domenic 10. Juni bis 20. Oktober hat für seine neue Komposition «Das Länd- nettisten – sind klassisch ausgebildet, gibt eine passende CD- dazu, Hudigäggeler Janett weiss mit dem Be- lerorchester» alle Instrumente der Volks- Schmid ist ein wichtiger Interpret für zeit- Reihe heraus, in der ge- griff wenig anzufangen: musik in einem Mini-Orchester vereinigt. genössische Musik. Dank Musikern wie rade drei Alben von Töbi zu spielen? Wenn er einen jazzigen Das Stück hat den Charme des Ungeschlif- diesen kam es in den letzten Jahren gele- Tobler, Christoph Bau- Bass in ein Stück rein- fenen. Am Samstagabend wird es bei der gentlich zur Begegnung von Klassik und mann und Florian Wal- komponiere, dann nicht, «Stubete am See» uraufgeführt, und dabei Volksmusik. Das gab es gewiss schon frü- sers Schweizer Oktett erschienen sind. Die um etwas Neues oder etwas Besseres zu spielen etliche bekannte Volksmusiker mit. her: Janetts Lehrer Hansjörg Leuthold Einflüsse sind völlig unterschiedlich: Bei machen, sondern aus Freude: «Es kommt Die Mahler-Assoziation kommt nicht etwa arbeitete im Opernhaus-Orchester Tobler wird Beethoven zitiert; Baumann einfach so. Ich überlege mir nicht so viel. von ungefähr. So weit ist das doch gar und spielte nebenher Volksmusik. arbeitet mit Jazz; beim Schweizer Oktett Vielleicht merke ich ein paar Jahre später: nicht auseinander – wieso sollte es nicht Aber erst später «durfte» man das auch tauchen Elemente anderer Volksmusiken Ah, das war ja neu damals.» wieder zusammenkommen? Dennoch ist wieder offiziell. Ein Auslöser dafür war die auf, zuweilen sogar aus dem Rock. Stubete am See: Zürich, Tonhalle/ es ein Novum, wenn die Schweizer Volks- Geister- und Älplermusik von «Alb- Diese Breite deutet an, was nun auch Bauschänzli; Sa 14.30–23 h; So 10–17 h. musik am kommenden Wochenende Ein- Chehr», die Heinz Holliger 1991 zur Eröff- gleich zwei Tage lang mit 16 Gruppen bei www.stubeteamsee.ch zug in die heiligen Tonhallen hält. Feder- nung des Kornhauses Burgdorf schrieb der Stubete in der Tonhalle und auf dem CH-7514 Sils-Maria (Engadin) führend ist dabei erst noch ein Musiker und die sich als Hit der zeitgenössischen Bauschänzli ansteht: eine Art Panorama. Erwähnte CDs: Christoph Baumann: Kein Tel 081 838 51 00 des Tonhalle-Orchesters: Der Klarinettist Schweizer Musik entpuppte. ECM gab das «Dass wir jetzt in der Tonhalle auftreten, schöner Land; Schweizer Oktett: March- www.waldhaus-sils.ch Florian Walser mag die übliche Frage Stück auf CD heraus; diesen Sonntagmor- ist ein alter Traum von mir», sagt Organi- stei; Töbi Tobler: Tell-Musik (alle bei Mu- M. & F. Dietrich, U. Kienberger schon kaum mehr hören, die ihm in letzter gen ist es in Zürich wieder zu hören. sator Florian Walser, der alle mitwirken- siques Suisses). WH877T.19