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Geschichte der Versicherung in der Schweiz

Geschichte der Versicherung in der Schweiz

Einleitung 2

Spätzünder Schweizer Versicherungsmarkt: 1850–1914 5

Swiss Re 16

Die Schweizer Versicherer werden international: 1914–1945 25

Aufbruch in die Weltwirtschaft: 1945 bis heute 33 Spätzünder Schweizer Versicherungsmarkt – 1850 – 1914 Einleitung

Die eigentliche Entstehung der Versicherungsindustrie begann in der Schweiz mit der Gründung des Schweizer Bundesstaates. Während im Vorreiterland Grossbritannien bereits Ende des 17. Jahrhunderts erste moderne Versicherungsunternehmen gegründet wurden, konnten privatrechtliche Versicherungsgesellschaften in der Schweiz erst ab der Mitte des 19. Jahrhunderts Fuss fassen. Zuvor verhinderte die unein- heitliche Gesetzgebung der Kantone und ihre geringe Grösse die Bildung einer tragfähigen Versicherungsindustrie.

Begannen nach 1820 erste Bemühungen, Assekuranzunternehmen zu gründen, sollte es doch bis ins späte 19. Jahrhundert dauern, bis der Versicherungsgedanke auf breiteres Interesse in der Bevölkerung stiess. Doch die zwei Weltkriege in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts brachten das Geschäft der Schweizer Versicherer erneut in Gefahr.

Allerdings boten sich auch Chancen: Durch die unruhigen Zeiten auf dem europäischen Kontinent suchten die Unternehmen immer wieder Wachstumsmärkte, die sich ihnen vor allem in Übersee boten. Dadurch internationalisierten sich die Schweizer Versicherer früher als manche ihrer Wettbewerber und bauten die hiesige Branche zu einem Industriezweig aus, dessen Bedeutung heute weit über den Heimmarkt hinausgeht.

Swiss Re Geschichte der Versicherung in der Schweiz  2 Swiss Re Geschichte der Versicherung in der Schweiz 3 4 Spätzünder Schweizer Versicherungsmarkt: 1850–1914

Alfred Escher war der erste Industrielle, der ab Mitte des 19. Jahrhunderts die Gründung privater Versicherungsunternehmen vorantrieb – 150 Jahre nachdem sich in Grossbritannien Kaufleute und Reeder erstmals im Kaffeehaus des Edward Lloyd in London getroffen hatten, um Seeversicherungen abzu- schliessen, und damit eines der wichtigsten Ver- sicherungszentren der Welt initiiert hatten.

Ausländische Versicherer waren schon Zudem fehlte dem Land der direkte länger in der Schweiz vertreten. Seit Zugang zum Meer. Andere Länder den 1830er Jahren tätigten französische betrieben eine Handelsflotte, die eine Lebens- und Feuerversicherer wie Transportversicherung im grösseren La Nationale, Le Phénix und L’Union hier Stil erforderte und den Aufbau des Geschäfte, später kamen auch deutsche Versicherungswesens vorantrieb. und britische Versicherer hinzu. Die Schweiz konnte nicht mit dergleichen aufwarten. Aus diesen Gründen kamen Doch erst mit der Gründung des Schwei- erste Impulse für die Gründung einer zerischen Bundesstaates 1848 kamen privaten Versicherungswirtschaft in der heimische Versicherer hinzu. Zuvor war Schweiz aus dem Ausland. die Schweiz ein wirtschaftlich unein- heitliches Gebiet. Jeder der 25 Kantone Dies änderte sich mit Alfred Escher, hatte eigene Einfuhrzölle und Währungen. der der Überzeugung war, dass der junge Wer auf nationaler Ebene Versicherungen Schweizer Bundesstaat nur dann erfolg- verkaufen wollte, hatte keine andere reich sein könne, wenn es gelingen würde, Wahl, als sich bei jedem Kanton eine den breiten Mittelstand sozial zu stabili- eigene Lizenz zu besorgen. Die Enge der sieren. In genossenschaftlich organisierten in Stände und Talschaften aufgeteilten Lebensversicherungsvereinen sah er Wirtschaftsräume verhinderte den für die ein marktwirtschaftliches Instrument Versicherung nötigen Risikoausgleich. zur sozialen Sicherung von Bauern- und Handwerkerfamilien.

Links: Am Ostersonntag 1633 brannte die St. Leodegar Kirche in Luzern bis auf die Grundmauern ab.

Swiss Re Geschichte der Versicherung in der Schweiz 5 Spätzünder Schweizer Versicherungsmarkt: 1850–1914

Deswegen arbeitete Escher ab 1857 mit Conrad Widmer zusammen, dem Gründer der Schweizerischen Lebens- Frühe Formen der Versicherung versicherungs- und Rentenanstalt, der heutigen Swiss Life. Escher gab in der Schweiz Widmers Geschäftsmodell mit der ebenfalls noch jungen Schweizerischen Kreditanstalt eine Art «Rückversicherung». Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit Parallel dazu schlossen sich alleinstehende Er war überzeugt, dass Versicherung nur beruhte der Gedanke der Versicherung Handwerkergesellen zu Bruderschaften funktionieren könne, wenn sich genügend vor allem auf dem christlichen Gebot zusammen, die Beiträge erhoben, kranke Menschen bereit erklären würden, der Nächstenliebe. Eine wichtige Rolle Mitglieder unterstützten und sich um eine Prämien einzuzahlen. Die Kreditanstalt spielte die nachbarliche und berufs- angemessene Beerdigung von Verstorbe- leistete mit 15 Millionen Franken Gewähr ständische Solidarität. Klöster, Stifte nen kümmerten. In Zürich ist ein solcher für die von der Rentenanstalt einge- und Städte gründeten Spitäler und Zusammenschluss von Wollenschläger- gangenen Versicherungsverträge. Spendhäuser als Speichergebäude und Wollenwebergesellen erstmals 1336 Als Gegenleistung für die Garantie durfte für die Spendensammlung für Arme dokumentiert. die Kreditanstalt die Geschäftsleitung und in Not geratene Bürger. und die Hälfte des Aufsichtsrates stellen, erhielt anfänglich 40 Prozent des Gewinns und bekam alle Gelder der Versicherung zur Verwahrung. Als zweite Sicherungs- massnahme beteiligte sich die Regierung selbst. Drei Sitze im Verwaltungsrat der Rentenanstalt waren für die Regierung des Kantons Zürich reserviert.

Die Idee trug Früchte. Neben der Renten- anstalt entstanden zwischen 1858 und 1878 sechs weitere Lebensversicherer, darunter La Suisse, Société d’Assurances sur la Vie, die Basler Lebensversicherungs- gesellschaft und La Genevoise.

Zur Bedeutung der Transportversicherung Zwar bildete sich in der Schweiz als Binnenland keine Schifffahrtsversicherung heraus, doch dank ihrer frühen Industriali- sierung und engen Handelsbeziehungen entwickelte sich die Transportversicherung zu einem wichtigen Motor für die Schweizer Versicherungsindustrie.

Die Gründer dieser Sparte waren häufig Händler aus der Textil- und Stickerei- Branche und Industrielle. Für sie waren Schiffstransporte häufig die einzige Möglichkeit, ihre Waren in entfernte Absatzmärkte zu bringen. Das barg Risiken. Zwar boten ab 1850 deutsche, französische und englische Versicherer die Deckung von Baumwolle von der «Pflanze bis zur Spindel» an, doch die hiesigen Textilfabrikanten wollten nicht Nach Brandkatastrophen war es üblich, dass die Geschädigten eine Bettelerlaubnis bekamen, dauerhaft Prämien an ausländische um ihre Not zu lindern. Unternehmen zahlen, sondern selbst das Versicherungsgeschäft betreiben.

Swiss Re Geschichte der Versicherung in der Schweiz  6 Ein früher Vorläufer der Personenversi- Es folgten die kantonalen Brandversiche- cherung waren in der Schweiz die rungsanstalten. Kurz nach der Gründung Leibrentenverträge. Vor allem Wohlhabende der Helvetischen Republik 1798 unternahm nutzten sie zur Altersvorsorge. Der Versi- der Staat einen Schritt zur Absicherung cherte leistete eine Einmalzahlung und der Feuergefahr. Einer der ersten Vorschläge erhielt eine Jahresrente zwischen 8 und zur Gründung einer freiwilligen nationalen 12 Prozent. Das Rentenkapital nahmen «Brand-Assekuranz-Anstalt» kam von der vor allem Städte entgegen, das Geld Regierung. Das Projekt scheiterte am verwendeten sie zur Finanzierung öffent- Widerstand der Kantone und der kurzen licher Aufgaben. Für das einfache Volk Lebensdauer der Helvetischen Republik. wurden Begräbniskassen eingerichtet, Allerdings erkannten die fortschrittlicheren meist auf Grundlage der lokalen Zunft- unter den Kantonen bald nach deren Ende organisationen. Sie garantierten anfangs 1803, dass die Versicherungsidee soziales die Kosten der im Todesfall vorgeschrie- und finanzielles Potential besass. Nach der benen Rituale wie Begräbnis, Totengeleit Annahme der Napoleonischen Verfassung oder Prozessionen. An manchen Orten 1803 wurden erste Feuerkassen gegründet. entwickelten sich diese Sterbekassen im Gebete zum Heiligen Florian ersetzten lange Lauf des 16. und 17. Jahrhunderts zu Zeit die Feuerversicherung. Der Schutzpatron lokalen Sozialversicherungen, die gegen der Feuerwehr soll als Kind einen Brand wöchentliche Beiträge die wirtschaftlichen eigenhändig mit einem Eimer voll Wasser Folgen von Krankheit und Unfall deckten. gelöscht haben. Vereinzelt waren auch die Frauen und Kinder der versicherten Handwerker renten- berechtigt.

Erste Sachversicherungen entstanden im 18. Jahrhundert in Form von Wetterkassen bei Ernteausfall. Diese Kassen verlangten keine regelmässigen Prämienzahlungen, sondern es wurde im Schadenfall bei den nicht betroffenen Bauern Geld für die Geschädigten gesammelt.

Ähnlich solidarisch ging es bei Tierseuchen und Hagelschäden zu. Die Absicherung von Brandschäden wurde vorwiegend durch den Brandbettel organisiert. Dafür erhielten von einem Brand betroffene Familien einen Steuer- oder Bettelbrief, der ihnen den Verlust bescheinigte. So konnten sie von Tür zu Tür ziehen und um milde Gaben bitten. Allerdings waren die Ergebnisse gering. Zu viele Leute waren selber arm, nicht selten klopften auch Betrüger an. Brände gehörten zu den häufigsten Katastrophen im 18. und 19. Jahrhundert. Viele Schäden waren nicht versichert. Im Verlauf der allmählichen Liberalisierung des Wirtschaftslebens im 18. und 19. Jahrhundert verloren diese solidarischen Versicherungsformen an Bedeutung. Stattdessen entwickelten sich neue Formen. 1782 wurde in Zürich die erste private und freiwillige Feuerversicherung gegründet.

Swiss Re Geschichte der Versicherung in der Schweiz 7 Spätzünder Schweizer Versicherungsmarkt: 1850–1914

Um Kapital zu sammeln, schlossen sie sich mit örtlichen Banken in den Wirtschaftszentren Zürich, Basel, Genf, Der Brand von Glarus Winterthur und St. Gallen zusammen und bahnten so den Weg für erste Transportversicherer. In der Nacht vom 10. auf den 11. Mai Der Brand von Glarus, der oft als ein des Jahres 1861 brach in einer Scheune Auslöser für die Gründung der Schweizer Allerdings verstanden diese Wirtschafts- auf dem Gemeindeplatz in Glarus ein Rück angegeben wird, beschäftigte auch eliten nicht viel von der technischen Seite Feuer aus, das zwei Drittel des gesamten den Verwaltungsrat der Helvetia Allge- der Versicherung. Alle zehn Mitglieder Ortes zerstörte. Anfänglich vermuteten meinen. Er kritisierte die kantonalen des Gründungsverwaltungsrats der die Behörden eine Nachlässigkeit des Gebäudeversicherungsmonopole, die einen Zürich, darunter Carl Abegg-Arter, John Scheunenbesitzers. Lange galt die Risikoausgleich erschwerten. Parallel Syz-Landis, Adolf Guyer-Zeller und Robert Ursache als unbekannt. dazu machte er sich daran, eine Feuerver- Schwarzenbach, hatten geschäftlich sicherungs-Gesellschaft zu gründen. mit der Textilwirtschaft oder dem Finanz- 2011 recherchierte der Schweizer Im April 1862 konnte der Geschäftsbetrieb wesen zu tun. Das Know-how erwarben Journalist Walter Hauser in Archiven in der Schweiz aufgenommen werden. die Schweizer Assekuranz-Pioniere im und äusserte die Theorie, dass der Im Anschluss an die Katastrophe wurde benachbarten Ausland. So kamen die Brand absichtlich gelegt worden sei. auch die Gründung eines kantonalen ersten privaten Versicherungsmanager Der Schaden bezifferte sich auf Rückversicherungsverbandes diskutiert, aus Österreich-Ungarn, Deutschland, 10 Millionen Franken. Ohne massive der aber nicht zustande kam. 1863 kam den Niederlanden und Frankreich. Hilfe des Staates hätte der kantonale die Schweizer Rück hinzu. Anlass zu deren Versicherer die Geschädigten nicht Gründung war aber der Abfluss von Als ein weiterer Motor für die Gründung auszahlen können. Rückversicherungsprämien ins Ausland. privater Versicherungsunternehmen erwies sich der Bau der Eisenbahn in der Schweiz, denn ohne Versicherungsschutz wollte niemand die gewaltigen Risiken einer solchen Investition schultern.

Die Gründung der ersten Rückversicherer Auch auf die Entwicklung des Rückver- sicherungsgedankens hatten die frühen Erfolge der Transportversicherung Einfluss. Bevor Rückversicherer den Erstver- sicherern ihre Risiken abnahmen, wurde in der Schweiz zumeist das System der Risikoteilung praktiziert. Konnte eine einzelne Gesellschaft ein besonders hohes Risiko nicht alleine tragen, schlossen sich mehrere Versicherer zusammen. Vor allem den Feuerversicherern war dieses Prinzip jedoch ein Dorn im Auge: Sie wollten sensible Informationen über ihr Ge- schäftsmodell nicht mit ihren lokalen Wettbewerbern teilen. Stattdessen zedierten sie ihre Risiken lieber an inter- national tätige Rückversicherer oder ausländische Erstversicherer.

Swiss Re Geschichte der Versicherung in der Schweiz  8 Der Brand von Glarus war eine der schlimmsten Brandkatastrophen in der Schweizer Geschichte. Entsprechend vielzählig sind die zeitgenössischen Darstellungen.

Swiss Re Geschichte der Versicherung in der Schweiz 9 Spätzünder Schweizer Versicherungsmarkt: 1850–1914

Durch die wachsende Nachfrage nach Der Schriftsteller und Dichter Gottfried Erste soziale Sicherungssysteme Versicherungsdeckung in Handel und Keller, der zu dieser Zeit Staatsschreiber Der Markt für private Unfallversicherungen Industrie sowie als Folge der Brand- in Zürich war, unterschrieb das offizielle war bis 1870 relativ klein und konzentrierte katastrophe von Hamburg im Jahr 1842 Gründungsdokument. Für Geschäfts- sich vor allem auf die Eisenbahn und wurde diese Praxis als nicht mehr zeit- führung und Management verliessen sich die Maschinenindustrie. Einige Schweizer gemäss empfunden. Als direkte Antwort die Kapitalgeber erneut auf ausländische Industrielle reagierten vorausschauend wurde in Deutschland 1846 die Kölnische Experten. Einer der ersten Manager war auf die Einführung des Reichshaftpflicht- Rückversicherungs-Gesellschaft ge- Giuseppe Besso, der schon für die Generali gesetzes durch den deutschen Kanzler gründet, die, ähnlich wie ihr späteres in Triest gearbeitet hatte. Sein Bruder Otto von Bismarck 1871, das Besitzern Schweizer Pendant, dazu dienen sollte, Marco wurde 1877 Generalsekretär der von Eisenbahnlinien, Fabriken und anderen das Risikokapital im eigenen Land zu Triester Gesellschaft und 1909 ihr Betrieben eine strenge Haftpflicht behalten. Präsident. gegenüber ihren Angestellten, Besuchern und Kunden auferlegte. Der Zürcher Textil- Denn 1863 bekam auch die Schweiz ihren Swiss Re war nicht der einzige Neuling Kaufmann Carl Abegg-Arter und der ersten eigenen Rückversicherer. Die auf dem Markt. Einige Erstversicherer Winterthurer Industrielle Heinrich Rieter- Helvetia, die Basler Handelsbank und die arbeiteten ebenfalls an eigenen Rück- Ziegler gründeten 1875 die Schweize- Schweizerische Kreditanstalt schlossen versicherungstöchtern. 1869 rief die Basler rische Unfallversicherungs-Aktiengesell- sich auf Anregung von Helvetia-Direktor Transportversicherungs-Gesellschaft schaft in Winterthur. Auch die Zürich Moritz Grossmann zusammen und die Basler Rückversicherung-Gesellschaft Versicherung hat ihre Geburtsstunde gründeten die Schweizer Rück. Das Start- ins Leben. Fünf Jahre später folgte die in diesem Jahr. kapital betrug 6 Millionen Schweizer Schweizerische Lloyd Rückversicherungs- Franken. gesellschaft.

Der technische Fortschritt nach der Industriellen Revolution führte zu zahlreichen neuen Risiken, die von der Versicherung nicht mehr allein getragen werden konnten und der Verbreitung der Rückversicherung Vorschub leisteten.

Swiss Re Geschichte der Versicherung in der Schweiz  0 1 Alfred Escher – Visionär der ersten Stunde

Alfred Escher war einer der erfolgreich- sten und zugleich umstrittensten Wirtschaftsführer in der Schweizer Geschichte und ein Pionier der Versi- cherungswirtschaft. Seine Gegner verspotteten ihn als Eisenbahnbaron, schimpften ihn einen Plutokraten oder schlicht einen Diktator. Für seine Anhän- ger war er der wichtigste Politiker der Schweiz seit Wilhelm Tell: Kein anderer hat die Entwicklung des Landes im 19. Jahrhundert so stark geprägt wie Alfred Escher. Zwischen 1845 und 1869 wurden hier nur wenige wichtige politische und wirtschaftliche Entscheidungen getroffen, bei denen Escher nicht ein ent- scheidendes Wort mitgesprochen hätte.

1819 in Zürich geboren, gehörte Alfred Escher zu der alten und einflussreichen Zürcher Familie Escher vom Glas, aus der zahlreiche Politiker, Kaufleute, Industrielle, Wissenschaftler und Offiziere hervor­ gingen. Schon als Student schloss sich Alfred Escher den Liberalen an und promovierte 1837 an der Universität Zürich im Fach Jura.

Eines seiner wichtigsten Projekte war der Bau der Eisenbahn. Allerdings zeigte sich, dass die Finanzierung der Bahnen durch schweizerisches Kapital an seine Grenzen stiess. Escher gründete mit Geschäfts- partnern von der Nordostbahn 1856 die Schweizerische Kreditanstalt in Zürich. Vorbild war die Pariser Crédit Mobilier, eine Bank, die für Furore sorgte, weil sie die ungenutzten Ersparnisse der kleinen Leute anzapfte und das Kapital in die Industriefinanzierung leitete. Die Kredit- Alfred Escher (1819–1882), Politiker und Wirtschaftspionier. Der Gründer der Schweizerischen anstalt wurde bald zum führenden Kreditanstalt () unterstützte massgeblich die Gründung von Swiss Re. Institut in der Schweiz.

Damit legte der Visionär den Grundstein für die zukünftige Rolle der Stadt Zürich als bedeutendster Finanzplatz der Schweiz und als wichtigstes Versicherungszentrum. Die Kreditanstalt, die heutige Credit Suisse, beteiligte sich in ihren ersten Jahren massgeblich an der Gründung von Rentenanstalt, Schweizer Rück und der Zürich Versicherung.

Swiss Re Geschichte der Versicherung in der Schweiz 11 Spätzünder Schweizer Versicherungsmarkt: 1850–1914

1877 wurde das Eidgenössische Fabrik- gesetz in einer Volksabstimmung angenommen. Es brachte den Schweizern Erste Schweizer Versicherer den 11-Stunden-Tag, verbot Kinderarbeit sowie Nacht- und Sonntagsarbeit für Frauen und beinhaltete erste Haftpflicht- Zu den wenigen Schweizer Versiche- 1857 gründete Conrad Widmer mit Unter- vorschriften für Arbeitgeber. Dies führte rungsgesellschaften, die vor 1848 stützung von Alfred Escher die Schweizer zur Gründung weiterer Unfallversicherer gegründet wurden, gehörte die Schwei- Rentenanstalt, die heutige Swiss Life. und erschloss der Versicherungswirtschaft, zer Mobiliar. Sie war der erste professio- Seine Idee: Nur wenn es gelingt, den die bisher auf Industrierisiken ausgerichtet nelle private Versicherer des Landes. sozialen Mittelstand sozial zu stabilisieren, war, das Privatkundensegment. Das Unternehmen ist bis heute genossen- kann der junge Schweizer Bundesstaat schaftlich organisiert und beteiligt die überleben. Zwar kämpfte der Pionier Die Zürich und die Winterthur entwickelten Versicherten jährlich an den erwirtschaf- Widmer zunächst mit dem Misstrauen der sich später zu den wichtigsten Versicher- teten Überschüssen. Da die öffentlich- Prämienzahler, die nicht an den Gedanken ern der Schweiz. Die Zürich gründete rechtlichen Brandkassen und Gebäude- der Lebensversicherung auf Gegenseitigkeit schnell Filialen in Österreich, Preussen versicherungen keine Absicherung von glaubten. Doch gemeinsam mit Escher und den meisten deutschen Staaten sowie Interieur vorsahen, wollten die Gründer gelang es, ausreichend Startkapital und in Norwegen und Dänemark. Bereits der Mobiliar diese Lücke schliessen. Garantien von der Kreditanstalt zu organi- 1880 stammten nur noch 21 Prozent Wer damals eine Police brauchte, konnte sieren. 1857 lobte die Neue Zürcher ihrer Prämieneinnahmen aus der Schweiz. seine Prämien auch in Naturalien Zeitung: «Was uns am angenehmsten entrichten – etwa mit Gemüse, Eiern aufgefallen, ist der Stempel der Offenheit Die Grosse Depression von 1870, die auf oder Schinken. und Wahrheit, den sie tragen; sie wollen die Gründerzeit folgte, ging auch an der Niemanden bestechen, nach keiner Seite Schweizer Assekuranz nicht spurlos vorbei. Die Gründung ging vor allem von der hin mehr versprechen, als man halten kann.» Das Wachstum der neu gegründeten Initiative von Karl Anton von Lerber von Transport-Versicherer verlangsamte sich Arnex aus, der sich politisch engagierte Dank des finanziellen Rückhalts der zunehmend. Dennoch konnte sich der und einer der Gründer der Berner Kreditanstalt wuchs die Rentenanstalt Schweizer Versicherungsmarkt bis zur Kantonalbank war. Anfangs arbeitete kräftig. 1885, als sie ein Vermögen von Jahrhundertwende zum zweitgrössten die Gesellschaft nach dem reinen 20 Millionen Franken erreicht hatte, endete der Welt entwickeln, übertroffen nur vom Umlageverfahren. Die im Lauf des Jahres die Garantiebeziehung. Das Unternehmen britischen Versicherungsmarkt. eingegangenen Prämien wurden am war selbstständig geworden. Ende des Jahres an die Geschädigten Lebensversicherung ausgezahlt. Reichten die eingezahlten Fast zeitgleich, nämlich 1858, gründeten Während sich die Sach- und Haftpflicht- Beträge für besonders teure Schadenfälle in St. Gallen engagierte Geschäftsleute versicherung ab dem späten 19. Jahr- nicht aus, mussten die Versicherten und Unternehmer die Allgemeine Ver- hundert stetig entwickelte, wuchs die nachschiessen. sicherungs-Gesellschaft Helvetia. Ihnen Lebensversicherung in der Schweiz nur war wichtig, ihre Güter auf dem Weg langsam. Das lag zum einen an dem Allerdings blieb die Bevölkerung durch Europa gut abgesichert zu wissen. heterogenen Lebensversicherungsmarkt, gegenüber den neuen Versicherungen Die Helvetia bot daher zunächst Ver- der von vielen traditionellen und kleinen misstrauisch. Mehrere Gründungs- sicherung gegen die Gefahren des Land-, Rentenfonds wie Witwenkassen oder versuche blieben erfolglos. Die 1840 Fluss- und Seetransportes an. Lehrerpensionskassen geprägt war. ins Leben gerufene erste Lebensver- Zum anderen verfügten zahlreiche beruf- sicherungsgesellschaft, die Allgemeine Im gleichen Jahr wie Swiss Re wurde liche Versorgungswerke nur über eine Schweizerische Erb-, Witwen- und Alters- in Winterthur die Schweizerische Lloyd unzureichende technische Expertise und Casse des Kaufmännischen Directoriums Transport-Versicherungs-Gesellschaft gerieten daher leicht in die Insolvenz. St. Gallen wurde 1862 wieder liquidiert. gegründet, die sich finanziell auch an Die erste erfolgreich operierende Lebens- 1841 wurde die Schweizerische National- der Gründung von Swiss Re beteiligte. versicherung war die Schweizerische Vorsichts-Kasse in Bern als erster Ver- Während der Wirtschaftskrise der 1870er Lebensversicherungs- und Rentenanstalt. sicherer in Form einer Aktiengesellschaft Jahre kam sie aber in Schwierigkeiten und Gegründet wurde sie 1857 von der gegründet. Sie überlebte allerdings nur wurde 1883 aufgelöst und neugegründet. Schweizerischen Kreditanstalt. bis 1855. Aus dieser Neuen Lloyd wurde später die Nationale Suisse. Ebenfalls 1863 kam die Basler Versicherungsgesellschaft gegen Feuerschaden dazu, die ebenfalls in die neugegründete Swiss Re investierte.

Swiss Re Geschichte der Versicherung in der Schweiz  2 1 Schweiz als Vorreiter bei der Versicherungsaufsicht Mit der Einführung des «Bundesgesetzes betreffend Beaufsichtigung von Privat- unternehmen im Gebiete des Ver- sicherungswesens» von 1886 wurde die private Versicherungswirtschaft in der Schweiz das erste Mal staatlich reguliert. Für die Überwachung schuf der Bund eine eigene Behörde, das Eidgenössische Versicherungsamt. Oberste Ziele der staatlichen Aufsicht waren der Schutz der Versicherten und die Verhinderung von Risikokumulen.

Das Amt war befugt, in die Geschäfte der Versicherer einzugreifen, die Rechte der Verbraucher zu schützen und deren finanzielle Ansprüche zu wahren. Das Gesetz verpflichtete die Gesellschaften, Lizenzgebühren zu bezahlen, die sich an der Höhe ihres Geschäftsvolumens orientierten. Zudem sollten die Ver- sicherer künftig jährlich detaillierte Jahres- abschlussberichte veröffentlichen und ein Minimum an Reserven vorhalten.

Das Amt achtete streng darauf, dass Personen- und Sachversicherungen nicht von der gleichen Gesellschaft betrieben wurden, um Risikokumule zu verhindern. Banken und Versicherungen mussten getrennt bleiben.

Die strengen Regeln stellten das schwei- zerische Versicherungswesen landesweit auf eine einheitliche gesetzliche Grundlage und dienten als Vorbild für die europäische Aufsichtsgesetzgebung. Erst 1901 führte das Deutsche Reich eine ähnliche staat- liche Überwachung ein, Frankreich folgte 1905.

Indirekt hatte die neue Versicherungs- aufsicht einen protektionistischen Effekt. Ausländische Gesellschaften, die hier Versicherungspolice der Mobiliar von 1834, der ersten Schweizer Privatversicherung Geschäfte machen wollten, mussten die (1826 gegründet). Vorschriften ebenfalls erfüllen. 1886 bemühten sich rund 160 Unternehmen um eine Zulassung für die Schweiz. Knapp die Hälfte von ihnen wurde zu- gelassen. Davon waren ein Viertel Schwei- zer Versicherer. Deutsche und französische Gesellschaften waren stark vertreten. Die wenigen britischen und US-amerika- nischen Firmen zogen sich jedoch aus der Schweiz zurück, da sie nicht bereit waren, die erforderlichen Reserven vorrätig zu halten.

Swiss Re Geschichte der Versicherung in der Schweiz 13 Spätzünder Schweizer Versicherungsmarkt: 1850–1914

Vor 1886 verstanden sich Banken und Noch 1900 scheiterte die Einführung Die Zürich Versicherung reagierte Versicherer als Finanzdienstleister, die einer obligatorischen Unfallversicherung umgehend: Sie plante 1912 den grössten beide Produkte anboten. Erst das neue auf Bundesebene. Sie ging den Gewerk- Expansionsschritt ihrer bisherigen Aufsichtsgesetz errichtete eine klare schaften nicht weit genug, den Bauern Geschichte und eröffnete in New York Trennung zwischen Banken- und Ver- jedoch zu weit, denn sie befürchteten, eine erste Filiale. Die Entscheidung erwies sicherungsgeschäft in der Schweiz. dass die Versicherungspflicht auch für sich als vorausschauend. Während Europa Auch Lebens- und Nichtlebensgeschäft sie gelten könnte. Nach einem der in den kommenden Jahren im Ersten mussten künftig unabhängig voneinander aufwändigsten Abstimmungskämpfe Weltkrieg versank, erfolgte in den USA geführt werden. Versicherer durften keine in der Geschichte des Bundesstaates die Massenmotorisierung. Millionen von Bankgeschäfte mehr machen, Banken entschieden sich die Schweizer im Jahr Ford-T wurden produziert. Die Zürich blieb der Einstieg ins Versicherungs- 1912 jedoch für die Errichtung einer betrieb die «Workmen’s Compensation», geschäft verwehrt. staatlichen Monopolversicherungsanstalt. also die Arbeiterunfallversicherung, die Die Suva war geboren. Sie wurde jedoch Allgemeine Haftpflicht und die Autohaft- Die neuen Regelungen stärkten das erst nach dem Ersten Weltkrieg 1918 pflichtversicherung. Bereits im Jahr 1920 Vertrauen der Bevölkerung in die neuen eröffnet. Doch manche privaten Anbieter generierte sie über 50 Prozent ihrer Produkte. 1886 kam eine Police auf elf verloren umgehend rund 10 Prozent ihrer Prämien in den USA. Haushalte, im Jahr 1910 war es bereits jährlichen Prämieneinnahmen. eine Police auf dreieinhalb Haushalte. Die durchschnittliche Versicherungs- summe ging merklich zurück – ein Anzeichen dafür, dass sich zunehmend auch weniger begüterte Haushalte eine Versicherung leisteten.

Eine Branche organisiert sich Als Antwort auf die verschärfte Regu- lierung schlossen sich 1900 die grössten Versicherungsunternehmen zum Verband konzessionierter schweizerischer Ver- sicherungsgesellschaften zusammen. Gemeinsam wollten sie die Konzentration der obligatorischen Unfallversicherung in einer staatlichen Monopolanstalt verhindern, wie dies bereits in Österreich und Deutschland geschehen war.

Zu den Aufgaben des neuen Verbands gehörte auch die Erarbeitung von Muster- bedingungen für Versicherungsverträge und die Vereinheitlichung von Geschäfts- praktiken. Bis in die 80er Jahre behielt der Verband diese Aufgabe bei. Die Fachleute arbeiteten eng mit dem Eidge- nössischen Versicherungsamt zusammen. Noch in den 50er Jahren erteilten Regu- lierungsbehörde und Verband die neuen Lizenzen für ausländische Gesellschaften gemeinsam und schützten so den hei- mischen Markt vor unliebsamer auslän- discher Konkurrenz.

Die Helvetia wurde ursprünglich als Transportversicherungsgesellschaft gegründet. 1861 kam nach dem Brand von Glarus die Helvetia, Schweizerische Feuerversicherungsgesellschaft dazu.

Swiss Re Geschichte der Versicherung in der Schweiz  4 1 Zürich in den 1860ern – Ein Finanzzentrum etabliert sich

Zürich ist der jüngste der Schweizer Finanz- Dadurch begannen die Textilhäuser sich 1835 gab es in Zürich 11 866 Sparkassen- plätze. Er etablierte sich erst im 17. Jahr- auch als Banken zu betätigen. Das 1750 bücher mit Einlagen von 2,51 Millionen hundert, nachdem der Erste Villmergerkrieg, gegründete Seidenhaus der Familie Franken. 1869 waren es bereits 85 584 eine Auseinandersetzung zwischen Katho- Schulthess entwickelte sich zum reinen Bücher mit 19 Millionen Franken Einlagen. liken und Reformierten, beendet war. Bankhaus, das heute als die Bank Rahn Die aufstrebende Zürcher Textilindustrie und Bodmer, Banquiers firmiert. 1755 Die Währungsreform von 1850, die die erbrachte immer grössere Erträge, ein wurde die zu den Grossbanken zählende schweizerische Währung landesweit gewisser Wohlstand entstand. Eigentliche gegründet. Sie erhielt ihren Na- vereinheitlichte, kurbelte die Wirtschaft Bankhäuser gab es jedoch noch nicht. men nach dem damaligen Finanzminister weiter an. Durch den Bau der Eisenbahn- Einzelne Magistraten und Junker verliehen der Stadt Johann Jakob Leu. linien brauchten die Schweizer Unterneh- Geld im privaten Rahmen, aber die stark men zusätzliches Kapital. Um ausländi- von Zünften geprägte Politik und Beeinflusst durch die sozialpolitischen schen Banken zuvorzukommen, gründete Wirtschaftsstruktur verhinderten das Entwicklungen in Frankreich und Gross- Alfred Escher 1856 mit deutscher Beteili- Aufkommen von Banken. britannien wurden gleichzeitig immer gung die Schweizerische Kreditanstalt, mehr Sparkassen gegründet, die Hand- die zu Beginn unter der Kontrolle des Mit der zunehmenden Bedeutung der werkern, Gewerbetreibenden und Bauern Staates stand. Textilindustrie in Zürich wuchs auch halfen, ihr Geld anzulegen. In Zürich ent- der internationale Handel. Die Industriellen stand so die Sparkasse der Stadt Zürich. bezogen Baumwolle und Rohseide aus Sie verlor erst 1990 ihre Selbstständigkeit Frankreich und Italien. Die Textilindustrie und gehörte fortan zur Kantonalbank. produzierte erst in Heimarbeit, später aber Die Idee verbreitete sich rasch. auch in den ersten Fabriken mit mechani- scher Arbeitsweise. Geschäfte nach Übersee wurden getätigt.

Das älteste bekannte Bild eines Börsenrings in der Schweiz, an der Zürcher Börse ca. 1910. Der Ringhandel in Zürich startete 1876.

Swiss Re Geschichte der Versicherung in der Schweiz 15 Spätzünder Schweizer Versicherungsmarkt – 1850 – 1914 Swiss Re

Die Entstehung eines weltweit tätigen Risikoexperten

Die Entstehungsgeschichte von Swiss Re als global tätiges Unternehmen im Bereich Risikoübernahme und -management steht in engem Zusammenhang mit den einschneidenden sozialen, wirtschaftlichen und politischen Veränderungen, die sich in den letzten 150 Jahren vollzogen haben.

Das 19. Jahrhundert war von schnellem Aus der Asche... Eine Lösung war die Rückversicherung und tiefgreifendem Wandel geprägt. Durch die schnelle Industrialisierung und über die Landesgrenzen hinweg. Dies Die Bevölkerungszunahme sowie das Urbanisierung im 19. Jahrhundert kam es bedeutete aber wiederum, dass Kapital Wachstum beim Handel und in der zu einer Konzentration des Risikos. Daher ausser Lande floss. Industrie führten zu einem exponentiellen mussten die Versicherer ihre Portefeuilles Anstieg beim Risiko. Daher wurden für diversifizieren und einen Teil des Risikos Die ersten spezialisierten Rückver- die Übernahme und die Verteilung des weitergeben. Es entstand ein wachsender sicherungsgesellschaften wurden vor Risikos grosse, gut kapitalisierte Rückver- Markt für unabhängige Rückversicherer, allem zur Verhinderung eines solchen sicherer nötig. Swiss Re wurde 1863 zur welche die Risiken der Versicherer über- Kapitalabflusses und zur Stärkung der Deckung dieser Nachfrage gegründet nahmen und aufsplitteten. Grosse Risiken einzelnen Volkswirtschaften gegründet. und ist zu einem weltweit führenden Rück- waren damals oft im Rahmen einer Mit- Grosse Katastrophen wie der Hamburger versicherer geworden. versicherung zwischen mehreren Ver- Brand und das Feuer in Glarus trugen sicherern aufgeteilt worden. Der Nachteil ebenfalls zur steigenden Nachfrage nach dieses Vorgehens war, dass sich Kon- einer Risikoteilung bei, die über diejenige kurrenten gegenseitig Zugang zu ihren zwischen lokalen Versicherern hinausging. Büchern gewähren mussten. So entstand nach dem Brand in Hamburg von 1842 der erste spezialisierte Rückversicherer, die Kölnische Rück.

Standorte von Swiss Re Niederlassungen 1983.

Swiss Re Geschichte der Versicherung in der Schweiz  16 Die Anfänge von Swiss Re werden normalerweise mit einem verheerenden Feuer in Verbindung gesetzt, das die florierende Schweizer Stadt Glarus im Mai 1861 zerstörte. Die Versicherer vor Ort sahen sich mit Schadenersatzfor- derungen in der fünffachen Höhe ihrer Rückstellungen konfrontiert. Dies zeigte, welche Bedrohung für die Schweizer Versicherungsbranche von grossen Katastrophen ausging, und dass eine finanzielle Absicherung gegen grosse Katastrophen nötig war.

Die Schweizer Versicherungsbranche reagierte schnell: Bereits 1861 wurde die Feuerversicherungsgesellschaft Helvetia Feuer gegründet. Ihr Direktor, Moritz Grossmann, schlug dann die Gründung eines spezialisierten Schweizer Rück- versicherers vor. Allerdings führte er als Hauptargument an, dass damit der Von links nach rechts: Abfluss von Rückversicherungsprämien Giuseppe (Josef) Besso (1839–1901) von der Triester Familie, die die Generali Versicherung ins Ausland gestoppt werden könne. leitete. Generaldirektor von Swiss Re von 1865–1879.

Die Schweizerische Rückversicherungs- Charles Simon (1862–1942), Generaldirektor von Swiss Re von 1900–1919 und späterer Verwaltungsratspräsident. Gesellschaft öffnete am 19. Dezember 1863 in Zürich ihre Tore. Das Aktienkapital Erwin Hürlimann (1880–1968), der erste schweizerische Generaldirektor 1919–1930, betrug 6 Mio. Franken. Zum heterogenen danach Verwaltungsratspräsident bis 1958 und Ehrenpräsident bis 1966. Investorenkreis gehörten auch zwei Schweizer Banken. Unten: Moritz Ignaz Grossmann (1830–1910), Direktor der Helvetia Versicherung und Gründer von Swiss Re.

Swiss Re Geschichte der Versicherung in der Schweiz 17 SpätzünderSwiss Re Schweizer Versicherungsmarkt – 1850 – 1914

Grundlagen für den Erfolg Grossmann wandte sich an Giuseppe Die ersten Geschäftsführer von Swiss Re Besso, Mitglied einer bekannten italieni- legten den Grundstein für die Rückver- schen Familie mit Verbindungen zur sicherungsprinzipien, die dann von den Generali Versicherung. Als Geschäftsführer Entscheidungsträgern späterer Genera- kümmerte sich Besso um die internatio- tionen übernommen wurden. Swiss Re nale Diversifizierung und den Aufbau von war als internationales Rückversicherungs- Swiss Re zum finanzstarken und unab- unternehmen aufgebaut worden und hängigen Rückversicherer. achtete von Beginn an auf eine geo- graphische Streuung der Risiken, auf Frühe Diversifizierung starke Kundenbindungen und auf eine Swiss Re war von Anfang an international breite Kapitalbasis. orientiert. Nur zwei der ersten 18 Verträge wurden mit Schweizer Versicherern Die ersten Jahre waren anspruchsvoll. geschlossen. Die Rückversicherung war noch jung und ausgeklügelte Risikomanagement-Tools Um die Jahrhundertwende rückversicherte fehlten. Ausserdem war der Erstver- Swiss Re Risiken in Europa, den USA, sicherungsmarkt alles andere als trans- Lateinamerika, Russland und Asien. Ein parent. Die Beziehungen beruhten daher globales Netzwerk wurde aufgebaut, auf Treu und Glauben – unvergleichbar Geschäftsstellen in Übersee eröffnet und mit der heutigen von komplexen Trans- eine Strategie für das direkte Underwriting Links: aktionen und Vereinbarungen geprägten in wichtigen internationalen Märkten Gründungsurkunde von Swiss Re, unterschrie- Situation. erarbeitet. ben vom Staatsschreiber und Schrift- steller , 19. Dezember 1863.

Rechts: Der erste Vertrag von Swiss Re vom 1. Januar 1864 mit der Helvetia Allgemeinen in St. Gallen.

Swiss Re Geschichte der Versicherung in der Schweiz  18 Zu dieser Zeit begann Swiss Re auch Für Swiss Re bedeutete das Erdbeben Eine veränderte Welt damit, ihr Portefeuille über eine wachsende den grössten Einzelschaden relativ zu den Als die deutschen und russischen Rück- Anzahl von Sparten hinweg zu diversi- Nettoprämien in der Geschichte des versicherer während der beiden Welt- fizieren. 1864 wurde die erste Transport- Unternehmens. Dadurch konnte sich aber kriege vom internationalen Handel aus- rückversicherung abgeschlossen, 1865 auch die Marke Swiss Re in den USA geschlossen waren, konnte Swiss Re in wurden die ersten Lebensrückver- etablieren. Mit ihr wurde fortan eine den USA eine marktführende Position sicherungsverträge ausgestellt, 1881 finanzstarke und verlässliche Partner- erlangen. Allerdings wurden die Möglich- wurde der erste Unfall- und Krankenrück- schaft verbunden. keiten der Rückversicherer zur Risiko- versicherungsvertrag unterzeichnet und verteilung durch die völlig veränderten 1901 die erste Motorfahrzeugrück- Nur gerade vier Jahre später eröffnete Rahmenbedingungen nach dem Zweiten versicherung. Swiss Re eine Niederlassung in New York Weltkrieg eingeschränkt. und wurde zu einem wichtigen Teil des Die Form der Verträge entwickelte sich US-amerikanischen Versicherungsmarkts. Einige Märkte waren schlicht nicht mehr ebenfalls weiter. Es gab nicht mehr nur erreichbar. So verschwanden Zentral- die Möglichkeit, einen Anteil der Schäden Globaler Marktzugang und Osteuropa hinter dem Eisernen eines Versicherers zu übernehmen. Um in Zukunft auf Katastrophen in der Art Vorhang und die Rückversicherungen in Swiss Re begann, Rückversicherungen des San Francisco Erdbebens vorbereitet Brasilien und Indien wurden verstaatlicht. anzubieten, bei denen Schäden oberhalb zu sein, musste sich Swiss Re weiter Gleichzeitig durchlebten andere Märkte einer vereinbarten Schadenhöhe bezahlt diversifizieren. Also tätigte das Unter- einen Boom bei den Konsumausgaben. wurden. 1890 wurde der erste Schaden- nehmen einige Akquisitionen, durch die Dadurch entstanden grössere Risiko- exzedentenvertrag unterzeichnet. Diese nicht nur eine internationale Risikover- konzentrationen in Märkten wie den USA Vertragsart ermöglichte es den Rückver- teilung, sondern auch der Zugang zu und Europa. sicherern, sich auf die weniger häufigen Neugeschäft geschaffen wurde – Katastrophenrisiken zu konzentrieren. besonders dort, wo starke Bindungen Swiss Re versuchte weiterhin, sich nach zwischen lokalen Versicherern und Rück- Regionen und Produkten zu diversifizieren, Man könnte sagen: Das Zeitalter der versicherern organisches Wachstum und erreichte eine führende Präsenz in modernen Rückversicherung hatte erschwerten. neuen Märkten wie Kanada, Australien, begonnen. Südafrika und Asien sowie in schnell Dank der frühen Akquisitionen konnte wachsenden Branchen wie Energie und Katastrophenschäden Swiss Re in den äusserst wichtigen Luftfahrt. Die ersten Jahrzehnte des 20. Jahr- Märkten von London und Deutschland hunderts waren von Wachstum bei den Fuss fassen. Das Unternehmen erwarb Nachkriegsboom internationalen Exposures und grossen 1915 Beteiligungen an der Scottish Nach dem Zweiten Weltkrieg führten der Einzelrisiken geprägt. Die Spanische Mercantile and General Insurance Technologieboom und die zunehmende Grippe führte 1918 zu einem Verlust für Company (M&G) und 1924 an der Risikokonzentration in den reifen Märkten Swiss Re in Höhe von 1 Mio. Franken. Bayerischen Rückversicherung. zu einer wachsenden Nachfrage nach Auch die Titanic, die 1912 sank, war von Risikomanagement und grösserer Fach- Swiss Re rückversichert. Finanzkrise kompetenz seitens der Versicherer und Der Börsencrash 1929 und die Welt- Rückversicherer. Daher verpflichtete sich Wirklich aufgerüttelt wurde die Branche wirtschaftskrise zeigten das Exposure Swiss Re, ihr Risikofachwissen zu teilen. durch das San Francisco Erdbeben von der Versicherer und Rückversicherer Dies wurde zu einem wichtigen Bestandteil 1906. Das Beben und die in der Folge in gegenüber bedeutenden Risiken auf der der Geschäftskultur und ein Marken- vielen Stadtteilen ausgebrochenen Feuer Aktivseite der Bilanz. zeichen von Swiss Re. veränderten den Markt grundlegend. Das Ausmass der Zerstörung zwang die Swiss Re schrieb Vermögenswerte in 1960 wurde das Swiss Insurance Training Versicherer dazu, sich über potenzielle Höhe von beinahe 26 Mio. Franken ab Centre (SITC) gegründet. Es bot technische Schadengrössen und die Wichtigkeit und entnahm 1931 rund 30 Mio. Fran- Schulungen – vor allem für Versicherer von gut kapitalisierten Gegenparteien ken aus den Reserven, um die Rekord- aus Schwellenländern. Die wirtschafts- Gedanken zu machen. schäden zu decken. Für Swiss Re be- wissenschaftliche Flaggschiff-Publikation deutete die Krise aber auch den Anfang «sigma» von Swiss Re erschien erstmals Drei Jahre nach dem Erdbeben war eines bewussteren Asset Managements, 1968. Die in den Berichten publizierten San Francisco dank der Schadenersatz- das heute ein wichtiges Risikomanage- Daten und Analysen werden nach wie zahlungen der Versicherer und Rückver- ment-Tool für Versicherer und andere vor sehr geschätzt. sicherer praktisch wieder aufgebaut. Unternehmen ist. Die Mehrheit der Schäden war von Unternehmen aus dem Ausland bezahlt worden. Dies zeigt, wie globalisiert die Branche bereits war.

Swiss Re Geschichte der Versicherung in der Schweiz 19 SpätzünderSwiss Re Schweizer Versicherungsmarkt – 1850 – 1914

Fokus auf das Kerngeschäft Als Reaktion auf das wachsende Risiko- management und den Trend hin zu mehr Selbstbehalt in den 1980er Jahren begann Swiss Re ihr Dienstleistungsangebot auszuweiten. Versicherungsdienst- leistungsunternehmen wurden akquiriert und die Präsenz im Erstversicherungs- markt verstärkt.

Da sich die Geschäftsmodelle von Ver- sicherungs- und Rückversicherungs- unternehmen jedoch stark unterscheiden, traf eine neu zusammengesetzte Geschäftsleitung 1994 die strategische Entscheidung, dass sich die Geschäfts- tätigkeit des Unternehmens wieder voll auf die Rückversicherung konzentrieren sollte. Swiss Re re-investierte den Erlös aus dem Verkauf des Erstversicherungs- geschäfts mit dem Ziel, der grösste Rückversicherer der Welt zu werden. Die Katastrophenexponierungen nahmen zu und die Risikolandschaft wurde immer komplexer und globalisierter. Dadurch wuchs die Nachfrage nach grossen, gut kapitalisierten und erstklassigen Kapital- und Risikoverwaltern.

Swiss Re passte sich an die veränderte Situation an, baute ihr Lebensrückver- sicherungsgeschäft aus, entwickelte Möglichkeiten für einen Transfer von Risiken an die Kapitalmärkte, stärkte ihre Abteilung für direkte Unternehmensver- sicherung und globalisierte ihre Nicht- lebenrückversicherungstätigkeiten weiter.

Swiss Re war in den 1970er Jahren einer der ersten Rückversicherer gewesen, der die Bedeutung der Schwellenländer erkannte. In wichtigen Märkten wurden Geschäftsstellen eröffnet – mit dem Ziel, durch die lokale Präsenz starke Bezie- hungen und Fachkompetenz aufzubauen. Seit neustem verfügt Swiss Re über Das erste Büro von Swiss Re in der ersten Etage der Schoffelgasse 1 in Zürich Lizenzen in Korea, China, Japan und (das Haus in der Mitte). Taiwan.

Swiss Re Geschichte der Versicherung in der Schweiz  20 Oben: Das erste eigene Geschäftshaus von Swiss Re am Mythenquai in Zürich. 1913, Architekt: Alexander von Senger.

Unten: Das für 2017 geplante neue Geschäftsgebäude von Swiss Re in Zürich. Architekten: Diener & Diener.

Swiss Re Geschichte der Versicherung in der Schweiz 21 SpätzünderSwiss Re Schweizer Versicherungsmarkt – 1850 – 1914

In den 1990er Jahren nahm Swiss Re Eine Reihe von Übernahmen wurden Hurrikan-Saison 2005 wurde die Branche weitgehend ihre gegenwärtige Form an, zwischen 1995 und 2001 im Lebens- wiederum von verschiedenen Natur- bei der das Unternehmen mit einer rückversicherungsmarkt der USA getätigt. katastrophenereignissen getroffen, dies- einzigen Marke und einer globalen Kapi- Damit stieg der Anteil von Swiss Re im mal in der Pazifik-Region: Überschwem- talbasis operiert. So werden die Finanz- Lebensrückversicherungsmarkt der USA mungen in Australien, Erdbeben in stärke, die Fachkompetenz und die Tools auf rund 25%. Das Unternehmen über- Neuseeland und Japan – gefolgt von für die Kunden von Swiss Re am besten nahm die Marktführerschaft. Die Über- einem Tsunami – und Überflutungen in nutzbar und das Unternehmen bleibt für nahme von Life Re beinhaltete Chancen Thailand. eine breite Anlegerschaft attraktiv. im Hinblick auf AdminRe®, die auf den Kauf und die Verwaltung von Run-off-Ge- Wie die meisten Grossunternehmen blieb Neue Risikotransfermöglichkeiten schäft spezialisierte Geschäftseinheit von auch Swiss Re 2008 nicht von der Nachdem Hurrikan Andrew 1992 den bis Swiss Re. Finanzkrise verschont und musste einen dahin grössten Versicherungsschaden Verlust von 864 Mio. Franken ausweisen, aller Zeiten verursachte, ging Swiss Re Die grösste Akquisition in Höhe von dies hauptsächlich aufgrund von Anlage- mit der Credit Suisse eine Partnerschaft 7,6 Mrd. US-Dollar tätigte Swiss Re 2006, verlusten und der Performance von zwei ein – mit dem Ziel, alternative Finanz- als sie GE Insurance Solutions, den damals Credit Default Swaps. und Risikotransferlösungen zu erarbeiten. fünftgrössten Rückversicherer der Welt, übernahm. Die Transaktion festigte die Nach einer Risikoentlastung ihres Anlage- In den 1980er Jahren hatten Neuerungen führende Stellung von Swiss Re im Rück- portefeuilles und einer Fokussierung auf bei der versicherungsmathematischen versicherungsmarkt der USA. das Rückversicherungskerngeschäft ging Modellierung und ein wachsendes Inter- Swiss Re als führender Teilnehmer esse am Hedging von Risiken dazu Schwierige Zeiten am Rückversicherungsmarkt aus der geführt, dass Swiss Re die Trends an den Der 2001 verübte Terroranschlag auf das Krise heraus. Im Oktober 2011 hob Kapitalmärkten genauer unter die Lupe World Trade Center kostete nicht nur Standard & Poor’s das Finanzstärke-Rating nahm und zukunftsweisende Finanz- rund 3000 Menschenleben und verur- von Swiss Re auf AA– an und würdigte produkte für bestehende und neue Kunden sachte Sachschäden in Milliardenhöhe, damit den Umgang des Unternehmens entwickelte. Das Wachstum beim Geschäft er veränderte auch die Denkweise der mit der Krise. mit Finanzprodukten bedeutete die Über- Versicherer in Bezug auf das potenzielle schreitung einer Grenze. Durch den Schritt Ausmass von Schäden und die Vernetzung Der Zukunft entgegen von Swiss Re entstand eine dauerhafte scheinbar voneinander unabhängiger 2011 hat Swiss Re eine neue rechtliche Beziehung zwischen den Rückversicherern Risiken. Struktur zur Unterstützung ihrer strategi- und den Kapitalmärkten. schen Prioritäten und zur Optimierung Swiss Re hatte die Hälfte der 3,5 Mrd. ihres Geschäftsmodells umgesetzt. Es war der Anfang einer neuen Ära: Die US-Dollar hohen Deckung für das World Sie hat drei einzelne Geschäftseinheiten Kapitalmärkte standen nun als Quelle für Trade Center gezeichnet und die Schäden geschaffen: Reinsurance, Corporate zusätzliche und komplementäre Kapazität aus dem Ereignis trugen zum ersten Solutions und AdminRe®. offen. Innovative Produkte wurden Rein-verlust von Swiss Re seit 1868 bei. entwickelt, z.B. erste Insurance-Linked Schliesslich urteilte ein New Yorker Auch investiert das Unternehmen Securities, Public Private Partnerships Gericht zugunsten von Swiss Re und weiterhin in die Zukunft. 2003 nahm und Lösungen, die parametrische Trigger anderen Versicherern im grössten Ver- Swiss Re das preisgekrönte unter dem beinhalteten. sicherungsprozess aller Zeiten. Es wurde Namen Gherkin bekannte Gebäude entschieden, dass der Anschlag nicht – in London in Betrieb. Unterdessen haben Marktkonsolidierung und Expansion wie der Pächter der Zwillingstürme und die Arbeiten für den Bau eines neuen In den 1990er Jahren und den ersten Bauunternehmer Larry Silverstein geltend Gebäudes am Hauptsitz in Zürich Jahren des neuen Jahrtausends stärkte machen wollte – zwei, sondern nur ein begonnen. Swiss Re ihre Position durch die Akqui- Ereignis war. sition von Konkurrenten in verschiedenen Swiss Re ist den von den ersten Geschäfts- Märkten. Im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts führern des Unternehmens etablierten stellten sich neue Fragen im Hinblick auf Grundprinzipien der Rückversicherung die Versicherbarkeit einiger grosser Risiken. stets treu geblieben. Der Fokus liegt nach Hurrikan Katrina, der die bis dahin umfang- wie vor auf der Diversifikation und auf reichsten durch eine Naturkatastrophe beständigen Kundenbeziehungen. In ihrer verursachten Schäden zur Folge hatte, 150-jährigen Geschichte hat Swiss Re kostete Swiss Re 1,2 Mrd. US-Dollar. Die viele Stürme überstanden, und sie bleibt Widerstandfähigkeit der Versicherungs- für ihre Kunden weiterhin ein verlässlicher industrie wurde unter Beweis gestellt. Partner bei der Übernahme von Risiken. sechs Jahre nach der verheerenden

Swiss Re Geschichte der Versicherung in der Schweiz  22 Swiss Re in London, 30 St Mary Axe. 2004, Architekt: Norman Foster.

Swiss Re Geschichte der Versicherung in der Schweiz 23 Spätzünder Schweizer Versicherungsmarkt – 1850 – 1914

Swiss Re Geschichte der Versicherung in der Schweiz  4 2 Die Schweizer Versicherer werden international: 1914–1945

Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges begann für die Schweizer Versicherer eine schwierige Zeit. Zwar blieb die Eidgenossenschaft vom Krieg verschont, doch die Verbindungswege ins Ausland waren blockiert. Ein Teil der angestammten europäischen Märkte brach weg und auch im Inland kam es zu Zwistig­ keiten: Der deutschsprachige Teil der Schweiz ergriff offen Partei für die Mittelmächte, während sich der französischsprachige Teil für die Entente aussprach.

Prämien und Anlagen der Versicherer Hinzu kamen die Folgen der Geldent- kamen gleichzeitig unter Druck. Hundert- wertung nach dem Ende des Ersten tausende von Soldaten mussten Militär- Weltkrieges. Sie vernichtete Milliarden, dienst leisten, ohne dass sie für ihren denn die Wertpapiere, die die Versicherer Verdienstausfall Entschädigung erhielten. als Kapitalanlage erworben hatten, In die Krise geratene Firmen entliessen wurden teilweise wertlos. Gleichzeitig ihre Angestellten. Hinzu kam die Inflation. stiegen die Kosten für die Abwicklung Zwischen 1913 und 1918 betrug die von Schäden, während die Prämien aus Teuerungsrate über 100 Prozent. Viele vertraglichen Gründen nicht angepasst Menschen gerieten in Not, das Neu- werden konnten. geschäft stockte, viele Versicherer schlossen ihre Pforten, da auch Unter- Deutsche Versicherer in der Schweiz nehmen stillgelegt wurden. Für die deutschen Lebensversicherer in der Schweiz hatte die rasante Inflation Zahlungsmoral und Zahlungsfähigkeit fatale Folgen: Sie mussten sich zurück- der Kunden der Schweizer Versicherer ziehen, weil sie das im Schweizer litten unter den Auswirkungen von Krieg Kautionsgesetz vorgeschriebene Kapital und Krise. Und auch die Kunden aus den nicht mehr nachweisen konnten. Als kriegsbeteiligten Ländern hatten Schwie- Folge erlitten etwa 62 000 Schweizer rigkeiten, ihre Prämien rechtzeitig zu Versicherte mit rund 420 Mio. Franken bezahlen. Dies wurde zu einer grossen Versicherungssumme einen Totalverlust. Gefahr für die Schweizer Versicherer. Für viele war eine spektakuläre Hilfsaktion, die die eidgenössischen Räte 1924 genehmigten, die Rettung. Mit ihr wurde der deutsche Versicherungsbestand auf die schweizerischen Gesellschaften übertragen.

Links: Auftritt der Schweizer Versicherer und Rückversicherer an der Landesausstellung in Zürich 1939.

Swiss Re Geschichte der Versicherung in der Schweiz 25 Die Schweizer Versicherer werden international: 1914–1945

Die Schweizer Versicherer profitierten Die Attraktivität der Fremdwährungs- Die Kunden waren verunsichert und vom Marktrückzug der deutschen versicherungen, die in der Regel in ausländischen Gesellschaften gegenüber Anbieter: Innerhalb weniger Jahre Franken, US-Dollar oder britischen Pfund misstrauisch, und so wandten sie sich erlangten sie praktisch eine vollständige angeboten wurden, hielt auch während den Schweizer Versicherern zu – Marktdominanz. Am Vorabend des der Einführung der Devisenbewirt- besonders bei Lebens- und Rentenver- Zweiten Weltkriegs entfielen auf aus- schaftung in Deutschland bis 1933 an. sicherungen. ländische Versicherer in der Schweiz nur noch 1,4 Prozent des Geschäftsvolumens. Der Erste Weltkrieg hatte einen Umbau Mit der Vita hatte die Zürich 1922 eine des Lebensversicherungsmarktes mit Tochter ins Leben gerufen, mit der sie Transport- und Unfallversicherung sich gebracht. Ausländische Versicherer das Schweizer Kundenportfolio von in im Ersten Weltkrieg verloren Kunden und grosse Teile ihres Schieflage geratenen deutschen und Neben diesen Entwicklungen hatte der Prämieneinkommens – dies nutzten die französischen Gesellschaften in der Erste Weltkrieg ganz unterschiedliche Schweizer Versicherer. Lebensversicherung übernahm. Auswirkungen auf die einzelnen Versiche- rungssparten. Die Transportversicherer fuhren hohe Gewinne ein. Kriegsrisiken wie Handelsblockaden und Kriegsschäden an Handelsschiffen oder grösseren Mengen von Gütern trieben die Versiche- rungsprämien ins Unermessliche. Dieses kriegsbasierte Wachstum fand aber nach 1918 ein Ende. Danach folgte eine Zeit des aggressiven Wettbewerbs unter den Versicherungsgesellschaften. Manche versuchten, sich einen Vorteil zu verschaffen und ihre Konkurrenten auszustechen, indem sie einen Preiskrieg anzettelten, teilweise auf riskante Weise. Die Konsequenz: Nach Kriegsende war ein Drittel der neuen Unternehmen binnen weniger Jahre pleite.

Die Entwicklung der Unfall- und Haft- pflichtversicherung war stabiler. Jedoch mussten die Marktführer im europäischen Geschäft Verluste hinnehmen und für ihre engen Geschäftsbeziehungen zum Deutschen Kaiserreich büssen: Frankreich setzte Versicherer, die mit den Deutschen Geschäft betrieben, auf eine schwarze Liste und beschränkte mit der Sank- tionierung die Geschäftsmöglichkeiten der Anbieter.

Die 20er Jahre: Günstige Perspektiven für Auslandsexpansionen Die 20er Jahre boten den Schweizer Gesellschaften wieder günstigere Aussichten für die Auslandsexpansion. Da die Versicherer in den kriegsbeteiligten Märkten unter einem enormen Vertrauens- verlust litten, konnten die Schweizer diese Lücke füllen. Oben: Der Trend der Einzelspartenversicherung, Militärpatrouille während des Landesstreiks 1918. der bereits Ende des 19. Jahrhunderts eingesetzt hatte, verstärkte sich. Unten: Besonders auf dem deutschen Markt Vorbereitung für die Landesausstellung 1939 am Hafen Enge vor dem Hauptsitz von Swiss Re. profitierten die Schweizer Anbieter, weil sie Policen in starker Fremdwährung anboten.

Swiss Re Geschichte der Versicherung in der Schweiz  6 2 Die Gründung der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva)

Die Schweizerische Unfallversicherungs- Ein Berufsunfall kostete durchschnittlich anstalt Suva nahm am 1. April 1918 ihren 241 Franken, ein Freizeitunfall durch- Betrieb auf. Die Versicherungsprämien schnittlich 276 Franken. Ende des Jahres unterschieden die versicherten Betriebe zählte die Suva 525 Angestellte. nach Gefahrenklassen und Gefahrenstufen und schafften einen Anreiz, durch Das Verhältnis zwischen der Anstalt und Prävention das Unfallrisiko zu verringern. den Arbeitgebern war in den ersten Jahren schwierig. Unternehmen kritisierten Aufgrund der Auswirkungen des Ersten zu hohe Prämien, auch den Angestellten Weltkriegs und des Ausbruchs der Spani- waren sie vielfach zu teuer. Erst Mitte schen Grippe gestalteten den Start der der 30er Jahre entspannte sich die staatlichen Unfallversicherung nicht Vertrauenskrise zwischen den gewerk- einfach. Bereits im ersten Jahr wurden schaftlich organisierten Arbeitnehmern 105863 Unfälle gemeldet und insgesamt und der Suva. 849 Invalidenrenten gesprochen. Insge- samt zahlte die Suva 1918 Versicherungs- leistungen in Höhe von 9,9 Millionen Fran- ken aus.

Plakat von Emil Cardinaux, Beilage zum Suva Jahresbericht und der Jahresrechnung für das Jahr 1928, Luzern 1929.

Swiss Re Geschichte der Versicherung in der Schweiz 27 Die Schweizer Versicherer werden international: 1914–1945

Starker Franken und Hyperinflation

Die Zeit vom Ersten Weltkrieg bis zum So kam es nach dem Ersten Weltkrieg Anfang der 30er Jahre war entscheidend zu einem noch nie da gewesenen inter- für die Geschichte der Schweizer Ver- nationalen Aufschwung für die Schweiz. sicherer. Der Finanzplatz Schweiz spielte Während sich Versicherer in Ländern zwar schon vor dem Krieg eine wichtige mit stark geschwächten Währungen nur Rolle, doch erst mit dem Krieg und den langsam in der Nachkriegszeit erholten daraus resultierenden politischen und oder daran zugrunde gingen, war in der monetären Wirren wurde der Standort Schweiz eine neue Gründungswelle zu für ausländische Gesellschaften in hohem beobachten. Die Zahl der zugelassenen Mass attraktiv. Die Schweizer Assekuranz Versicherungsgesellschaften stieg profitierte zudem von der Schwächung von 29 im Jahr 1913 auf 45 Ende der der europäischen Grossmächte, die ihr 20er Jahre. weitere Entfaltungsmöglichkeiten auf dem Kontinent eröffnete. Auf dem Lebensversicherungsmarkt lag der Rückgang der ausländischen, vor allem Insbesondere die Neutralität und der der deutschen Versicherer, in erster Linie Schweizer Franken, der inzwischen zu an einer Reihe von Konkursen. Ihr Markt- einer der solidesten Währungen der Welt anteil sank von 55 Prozent vor dem Krieg Die zweite Banknotenserie der Schweizerischen geworden war, hatten sich bewährt. auf 2 Prozent im 1929. Nationalbank, gültig von 1911 bis 1956. Zwar beeinträchtigte der Erste Weltkrieg die Bedingungen für Finanzgeschäfte stark, doch die wirtschaftlichen und sozialen Probleme, mit denen die Schweiz konfrontiert war, hatten nicht das gleiche Ausmass wie in den kriegsführenden Staaten. Die Schweiz war besser gerüstet, um dem Werteinbruch an den Börsen und dem Zusammenbruch des Zahlungs- verkehrs standzuhalten.

Die Schweizerische Nationalbank ver- hinderte, dass die Krise systemische Aus- masse annahm. Nachdem die heikle Kriegszeit überwunden war, konnte die Schweiz von der Neutralität des Landes profitieren, denn sie ermöglichte eine Präsenz auf allen europäischen Märkten auch während der Konflikte.

Mit den Wechselkursschwankungen konnte die Schweizer Finanzbranche neue Geschäftsbereiche erobern, die sich auch nach dem Krieg als stabil erwiesen, wie der Devisen- und Bank- notenhandel. Ab 1915 wurde auch vermehrt Geld aus Ländern mit schwachen Währungen in Schweizer Franken auf Schweizer Banken hinterlegt.

Swiss Re Geschichte der Versicherung in der Schweiz  8 2 Die Winterthur Unfall gründete 1923 die Winterthur Leben, ähnlich ging die Helvetia Unfall vor, die 1925 die Helvetia Leben gründete.

Die Schweizer Schaden- und Unfallver- sicherer wie die Zürich waren bereits vor dem Ersten Weltkrieg auf internationalen Märkten vertreten, nicht nur in den Nachbarländern Deutschland, Frankreich und Italien, sondern auch in Spanien und Lateinamerika. Die Lebensversicherer folgten erst in den Jahren zwischen den Kriegen. Die Zürich expandierte mit der Vita 1923 nach Belgien, die Winterthur Leben folgte alsbald. Winterthur wagte sich zudem ab 1933 auch nach Frankreich und in die USA.

Swiss Re profitierte während des Ersten Weltkrieges von der politischen Neutralität der Schweiz und konnte weiterhin auf allen wichtigen europäischen Märkten operieren. In den USA eröffneten sich neue Geschäftsmöglichkeiten, da deutsche und österreichisch-ungarische Versicherer nach dem Kriegseintritt der USA den Marktzugang verloren. Durch den Kauf des britischen Rückversicherers Mercantile & General Insurance stand Swiss Re auch der britische Markt offen.

Nach dem Ersten Weltkrieg erlebten die Schweizer Rückversicherer einen weiteren erheblichen Aufschwung. Zwischen 1914 und 1927 steigerten die Gesellschaften ihre Prämieneinnahmen um 590 Prozent. Die nunmehr führende Stellung hatten sie auch dem Ausscheiden der deutschen Gesellschaften zu verdanken. Positiv dürfte sich weiterhin der Rückzug der russischen Oben: Rückversicherer als Folge der Oktober- Der Sitz der deutschen Union Rück in Zürich in der Villa Rosau. 1988 übernahm revolution ausgewirkt haben. Swiss Re die Union Rück.

In den 20er Jahren erlebten auch Unten: zahlreiche junge Sparten wie die Auto- Die Spanische Grippe soll von 1918 bis 1920 zwischen 25 und 50 Millionen Menschen Haftpflichtversicherung ihren Durchbruch. das Leben gekostet haben. Swiss Re zahlte rund eine Million Franken Schaden. Als eine der ersten Gesellschaften bot die Pandemien zählen heute zu den grössten Gefahren der Menschheit. Ein Subtyp des Influenzavirus La Défense Automobile et Sportive der Spanischen Grippe verursachte 2009 die sogenannte Schweinegrippe-Pandemie. (D.A.S.) ab 1926 auch Rechtsschutz- versicherungen für Autofahrer an. Mit innovativen Methoden versuchten die Versicherer, einkommensschwache Schichten zu erreichen, die zuvor wegen hoher Verwaltungskosten weniger im Fokus standen. Der zur Zürich gehörende Versicherer Vita führte 1926 als erster kontinentaleuropäischer Lebensversicherer periodische ärztliche Untersuchungen ein und entwickelte mit der Volksversicherung ein Produkt für den Massenmarkt.

Swiss Re Geschichte der Versicherung in der Schweiz 29 Die Schweizer Versicherer werden international: 1914–1945

Im Zweiten Weltkrieg Der deutsche Markt nahm im Zweiten Die Konsolidierung auf dem Heimmarkt Weltkrieg aus wirtschaftlichen und politi- und die schrittweise Expansion im schen Gründen eine Sonderstellung ein. Auslandsgeschäft setzten sich auch Insgesamt waren die schweizerischen im Zweiten Weltkrieg fort. Ähnlich wie Versicherer daran interessiert, mit dem im Ersten Weltkrieg waren die einzelnen nationalsozialistischen Regime zu koope- Versicherungssparten sehr unterschiedlich rieren, um ihren wichtigsten Auslandmarkt vom Krieg betroffen. Die Transportversi- nicht zu gefährden. Insbesondere die cherung erlebte durch die Prämienauf- schweizerischen Lebensversicherer ver- schläge einen vorübergehenden Boom, mochten ihre Präsenz auf dem deutschen die Unfall- und Haftpflichtversicherung Markt, aber auch in den von Deutschland profitierte von der kriegswirtschaftlich besetzten Gebieten, deutlich zu steigern, überhitzten Konjunktur. Andere Sparten nicht zuletzt, weil Konkurrenten aus den wie die Lebensversicherung oder die alliierten Staaten von diesen Märkten Autohaftpflichtversicherung brachen ausgeschlossen waren. dagegen vorübergehend ein, vor allem während der Mobilmachung der Wehr- Teilweise liessen sich die Unternehmen dienstpflichtigen. politisch vereinnahmen, wenn auch in unterschiedlichem Ausmass. Die meisten Bis 1946 litten die Schweizer Versicherer Firmen stellten in Deutschland NSDAP- darunter, dass sie nur begrenzten Zugang Parteimitglieder ein, beteiligten sich an zu den von Alliierten kontrollierten Märkten Arisierungskampagnen und widersetzten hatten. Die Vereinigten Staaten schlossen sich nur in Einzelfällen den Anordnungen beispielsweise ab 1939 Versicherungen des NS-Regimes. 2002 wurde im soge- im Militärsektor aus. Ab 1941 waren nannten Bergier-Bericht die Rolle der Während des Zweiten Weltkriegs unterstützte Kapitalbewegungen aus der und in die Schweiz und ihrer Unternehmen im Zwei- Swiss Re zusammen mit dem Roten Kreuz Schweiz verboten. ten Weltkrieg ausführlich aufgearbeitet Kriegsgefangene mit Materialtransporten auf und dargestellt. der Caritas International.

Swiss Re Geschichte der Versicherung in der Schweiz  0 3

Das Drei-Säulen-Modell

Das Schweizer Altersvorsorge-Modell Die finanziellen Mittel der Altersver- der drei Säulen, staatlich – betrieblich – sicherung waren zuerst noch begrenzt. privat, ist in der Verfassung des Landes Die Renten lagen unter dem Existenz- seit 1972 verankert. Die Mischung setzt minimum. Grund war die Konkurrenz sich zusammen aus einer staatlichen zwischen staatlicher Altersvorsorge Grundversorgung, einer betrieblichen und Pensionskassen, deren Entwicklung Pensionskasse, die sich an dem Ersparnis wesentlich schneller voranging. Dank von Einzahlungen und nicht nach dem grosszügiger Steuervergünstigungen Umlageprinzip orientiert, sowie der verbreiteten sie sich in der Zwischen- freiwilligen Lebensversicherung mit kriegszeit rasant und erlebten im Zweiten Steuerbegünstigung. Weltkrieg einen regelrechten Boom. Da die staatliche Rente auf ein Minimum Erste Ansätze zum Schweizer Renten- beschränkt war, wurden die Pensions- modell gab es bereits im frühen kassen explizit zum ergänzenden Element 20. Jahrhundert mit dem Aufstieg der der sozialstaatlichen Altersversorgung Pensionskassen. Die Idee einer staatlichen erhoben. Altersversicherung entstand in Anlehnung an die in Deutschland ab 1880 von Otto Die dritte Säule der privaten Altersvorsorge von Bismarck geschaffenen staatlichen kam in den 70er Jahren hinzu, als die Sozialversicherungen. Wegen politischer Pensionskassen im Reformstreit um das Widerstände wurde die staatliche Alters- bestehende Modell die steuerliche und Hinterlassenenversicherung (AHV) Begünstigung der privaten Initiative allerdings erst 1948 gesetzlich verankert. vorschlugen.

Das Plakat eines überparteilichen bürgerlich- liberalen Komitees zur Sicherung der AHV und Sanierung der IV in der Volksabstimmung vom 27. September 2009. Ein Ja solle die Türe für die dringend notwendige Sanierung der IV öffnen. Zudem befreie die Annahme der Vorlage die AHV dauerhaft vom Klumpenrisiko der IV, indem zwei voneinander unabhängige Fonds eingerichtet würden. Die befristete Ein Briefträger zahlt einer Rentnerin die AHV-Prämie aus, aufgenommen im Oktober 1955. Zusatzfinanzierung trage so massgeblich zur Der Verfassungsartikel für die Einführung einer Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) langfristigen Sicherheit und Stabilität der zwei in der Schweiz wurde am 6. Dezember 1925 von den Stimmberechtigten angenommen. wichtigen Sozialwerke bei, wie das Komitee Es dauerte jedoch weitere 18 Jahre bis zur Einführung der AHV: Am 6. Juli 1947 wurde das an einer Medienkonferenz verlauten liess. Gesetz für die AHV mit grossem Mehr angenommen.

Swiss Re Geschichte der Versicherung in der Schweiz 3 1 Swiss Re Geschichte der Versicherung in der Schweiz  2 3 Aufbruch in die Weltwirtschaft: 1945 bis heute

In der Nachkriegszeit etablierten sich die Schweizer Versicherer als wichtige Exporteure und Know-how- Träger der Risikobewertung. Durch das Geschäft mit industriellen und gewerblichen Kunden wuchsen die Unternehmen besonders stark. Die Branche profitierte vom Wirtschaftswachstum und der zunehmenden Bedeutung der Sozialversicherung. Gleichzeitig expandierten die Unternehmen durch Zukäufe ins Ausland, vor allem in Schwellenländer wie Indien, ostasiatische Länder und Australien.

Die 50er Jahre – Hin zu mehr Die Schweizer Handelsgruppe Migros Verbraucherschutz beispielsweise wollte sich mit der ameri- Nach dem Zweiten Weltkrieg begannen kanischen Allstate Insurance Company die Schweizer Erstversicherer ihren zusammentun, die der Kaufhauskette Kunden Versicherungslösungen in den Sears Roebuck gehörte. Migros wollte in unterschiedlichsten Sparten anzubieten. der Schweiz Versicherungen von Allstate Das bis anhin gängige Prämiensystem verkaufen, die ausserhalb des strengen der Schweizer Versicherer wurde hinter- Schweizer Prämiensystems lagen. Als der fragt. Die Mitglieder des Schweizer Plan scheiterte, gründete Migros 1955 Versicherungsverbandes diskutierten mit Secura einen eigenen Versicherer. die Marktöffnung für ausländische Gesell- schaften, doch nicht alle Anbieter waren Als Antwort lancierte Allstate 1959 eine davon gleichermassen begeistert. Schweizer Niederlassung und nannte sie Die kleineren Unternehmen scheuten den «Altstadt» – in phonetischer Anlehnung steigenden Wettbewerb, grössere und an den eigenen Unternehmensnamen. international agierende Firmen fürchteten Allerdings erwies sich das Geschäft mit um ihre dominierende Stellung. Dennoch den Policen ausserhalb des Prämien- kamen in den 50er Jahren viele Versicherer systems schwieriger als erwartet, und auf den Markt, die verbraucherfreundliche 1982 verkaufte Allstate ihre Schweizer Verträge anboten und sich nicht an Altstadt an die Zürich, während die Secura das herkömmliche, fixe Prämiensystem 1999 an die italienische Generali abge- hielten. geben wurde.

Links: Während viele Versicherer der Nachkriegszeit sich auf die boomenden Heimmärkte kon- zentrieren konnten, waren die Schweizer Versicherer auf internationales Geschäft ange- wiesen. Der Zugang zu den europäischen Märkten war aber schwierig. Die Bundesräte Hans Schaffner und Friedrich Traugott Wahlen kehren 1962 aus Brüssel zurück, wo sie die Ansichten der Schweiz zum Beitritt zur EWG dargelegt haben.

Swiss Re Geschichte der Versicherung in der Schweiz 3 3 Aufbruch in die Weltwirtschaft: 1945 bis heute

Neue Technologien – neue Risiken Mit dem Wirtschaftswachstum wurden auch die Risiken für die Versicherer immer komplexer. Durch die kommerzielle Nutzung der Kernenergie zur Stromer- zeugung sah sich die Branche zum Beispiel mit der Frage, wie mit einem Atomunfall umzugehen sei, konfrontiert. Erst- und Rückversicherer entschieden sich für eine gemeinsame Lösung mit den Betreibern und der Aufsichtsbehörde und gründeten 1957 den Schweizer Atompool, der eine weltweite Streuung des Risikos ermöglichte.

Auch andere komplexe Risiken wurden nach dem Pool-System versichert, indem die Risiken nach Quoten unter den be- teiligten Unternehmen aufgeteilt wurden. Bekannte Pools gibt es für Luftfahrtver- sicherungen, Terrorismusdeckungen sowie für die Abdeckung von Haftpflicht- risiken für Staudämme.

Mit den steigenden Risiken entstanden auch neue Schäden. Internationale Sach- und Haftpflichtkatastrophen wie der Dioxin-Unfall in Seveso (1976), die Chemiekatastrophe in Bhopal (1984), die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl (1986), der Brand in Schweizerhalle (1986) oder der Untergang der Exxon Valdez (1989) zeigten das Schaden- potential von Grossrisiken der modernen Industriegesellschaft auf. Da die Schwei- zer Versicherer wegen zahlreicher Über- nahmen und Neugründungen auf vielen bedeutenden Versicherungsmärkten der Welt präsent waren, wurden auch für sie diese Risiken ab den 70er und 80er Jahren zu den grossen Herausforderungen.

Die Verträge von Rom und die europäische Integration Die Autoversicherung war nach dem Zweiten Weltkrieg einer der am stärksten wachsenden Während der Ölkrise 1973 und 1974 Zweige der Versicherung, vor allem die Haftpflichtversicherung. Allerdings brachte dies auch zahlte sich die starke Präsenz der Probleme mit sich, da die technischen Resultate über Jahrzehnte hin negativ waren. Schweizer Versicherer im Ausland aus und liess sie die erste Wirtschaftskrise nach dem Zweiten Weltkrieg besser überstehen. Die Schaden- und Unfallver- sicherer wuchsen dank ihrer starken Wurzeln im Ausland auch während der Rezession. Allein die Transportversiche- rung musste kurzfristige Einbussen hinnehmen.

Swiss Re Geschichte der Versicherung in der Schweiz  4 3 Solvency I, Solvency II und der Schweizer Solvenz Test – Modelle für eine einheitliche Regulierung

2006 etablierte die Regierung in Bern ein Versicherungsaufsichtsgesetz, das auf dem Solvency-Modell der Europäischen Union basierte. Nur sozialpolitisch sensible Bereiche wie die Lebensversicherung im Zusammenhang mit Altersvorsorge blieben unverändert. In allen anderen Bereichen galten die Solvency-Kriterien für Eigen- kapital und Reserven.

Indem sie diese Regelungen grösstenteils übernahm, galten für die Schweiz auch die gesetzlichen Vorschriften von Solvency I. 2001 gab es auf europäischer Ebene immer mehr Diskussionen darum, Solvency I zu Solvency II weiterzuent- wickeln, basierend vor allem auf der Risikogewichtung qualitativer Kriterien wie Geschäftsrisiken und Corporate Governance. Die EU ist aber bis heute zu keiner Einigung gekommen.

Die Schweiz etablierte in einem neuen Versicherungsaufsichtsgesetz den Schweizer Solvenztest. Es wurde 2006 eingeführt und bewertet Versicherungs- gesellschaften regelmässig. Inzwischen ist das Schweizer Modell zu einem Vorbild für die Europäische Union geworden.

Die erste EWG-Richtlinie von 1973 zur Direktversicherung. Heute wird mit Solvency II ein umfassenderes Risikomanagement angestrebt.

Swiss Re Geschichte der Versicherung in der Schweiz 35 Aufbruch in die Weltwirtschaft: 1945 bis heute

Gebäudeversicherung

In den meisten Kantonen besteht für Feuer und Elementarschäden eine kantonale Gebäudeversicherung, die für alle Hauseigentümer obligatorisch ist. In den Kantonen Genf, Uri, Schwyz, Tessin, Appenzell Innerrhoden, Wallis und Obwalden können die Hauseigentümer aber wählen, ob sie sich beim Kanton oder über einen privaten Anbieter versichern wollen. In den Kantonen Genf, Tessin, Appenzell Innerrhoden und Wallis ist die Versicherung sogar freiwillig, da besteht kein Versicherungszwang.

Versicherte Elementargefahren sind Hochwasser, Überschwemmung, Sturm, Hagel, Lawinen, Schneedruck, Felssturz, Steinschlag und Erdrutsch. Das schwei- zerische System der Gebäudeversicherung In der Schweiz besteht auch ein Erdbebenrisiko. Das grösste Erdbeben im Land seit ist zudem eingebettet in ein ganzheitliches Menschengedenken ereignete sich 1356 in Basel. Die Stärke wird heute auf zwischen 6 und 7 Konzept hinsichtlich Schadenprävention auf der Richterskala geschätzt. und Schadenminderung und geniesst international höchstes Ansehen.

Überschwemmung

Überschwemmungen sind die häufigste Naturkatastrophe in der Schweiz. In den vergangenen 40 Jahren verursachten Fluten 71 Prozent aller Naturkatastrophen- schäden im Land. Im August 2005 waren Überschwemmungen mit Schäden von 2,3 Mrd. Schweizer Franken für den grössten versicherten Schaden der ver- gangenen 40 Jahre in der Geschichte des Landes verantwortlich.

Die Gefahr von Überschwemmungen wird tendenziell noch zunehmen, erwarten Experten. Das liegt zum einen daran, dass die Zersiedelung fortschreitet, bebaute Flächen immer grösser werden und Sachwerte damit automatisch ansteigen. Davon betroffen sind nicht nur das Schweizer Mittelland, sondern auch die Bergkantone. Andererseits investiert die Schweiz erhebliche Mittel in bauliche Massnahmen zur Schadenprävention sowie im Katastrophenschutz. Informationsblatt des Schweizerischen Im Herbst 1951 führten heftige Regenfälle zu Versicherungsvereins. Flutkatastrophen in Graubünden und im Tessin. Getragen werden die versicherten Im Bild das überschwemmte Lugano. Ein Teil Schäden einerseits von den privaten des Schadens wurde vom Bund getragen. Versicherern, andererseits von den kantonalen Gebäudeversicherungen.

Swiss Re Geschichte der Versicherung in der Schweiz  6 3 Insgesamt wurde die Schweizer Versiche- 1982 gab es einen ersten Entwurf einer Die Schweiz stand vor einem Dilemma. rungswirtschaft in den 70er Jahren immer detaillierten Versicherungsvereinbarung Sie musste den eigenen Markt liberali- europäischer: In der direkten Nachkriegs- zwischen der Schweiz und der Europäi- sieren, um den offenen Handel mit der zeit stammten zwei Drittel der Auslands- schen Union, der 1989 unterzeichnet EU aufrechtzuerhalten. Jedoch fürchtete umsätze aus der Europäischen Wirt- wurde und 1993 in Kraft trat. Die sie, die geringe Grösse des Landes schaftsgemeinschaft, der späteren Euro- Vereinbarung ermöglichte den Schweizer würde sie den Wirtschaftsriesen aus der päischen Union. Mit den Verträgen von Schaden- und Unfallversicherern, einen Nachbarschaft ausliefern. Rom und der Gründung der Europä- besseren Zugang zu den EU-Märkten. ischen Wirtschaftsgemeinschaft im Jahr Das gleiche galt für europäische Ver- Als das Land 1992 über den Beitritt zum 1957 schritt die europäische Integration sicherer auf dem Schweizer Markt. Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) ab- immer weiter voran, so dass die Schweiz Lebens- und Rückversicherer hatten stimmte, war die Versicherungswirtschaft reagieren musste. dagegen weiterhin mit Restriktionen zu für die europäische Integration. Die rechnen. Grenzüberschreitende Ver- Branche war überzeugt, sie sei wettbe- Als die Europäische Union 1973 die sicherung musste über Zweigstellen werbsfähig genug, um sich gegen die Direktive zur Integration von Schaden- im Ausland organisiert werden, da sie Konkurrenz aus Europa zu behaupten. und Unfallversicherungen innerhalb ihrer ebenfalls noch nicht dereguliert war. Hintergrund waren nicht zuletzt ihre über- Mitgliedsstaaten erliess, nahm die Schweiz durchschnittliche Kapitalisierung und die umgehend Verhandlungen mit der Euro- Zunehmender Wettbewerb im starken internationalen Netzwerke. päischen Union auf, um den Gesellschaften In- und Ausland einen gegenseitigen Marktzugang zu Gleichzeitig fielen die letzten Kartelle, die ermöglichen. geschaffen worden waren, um durch einheitliche Produkte, Tarife, und Bedin- In den Aufsichtssystemen wurden diskri- gungen einen gewissen Konsumenten- minierende Aspekte auf beiden Seiten schutz zu gewährleisten, aber auch um entfernt. Diese Verhandlungen betrafen den Markt gegen unliebsame Konkurrenz allerdings nicht die Rückversicherung abzuschirmen. Bereits 1988 untersuchte und die Lebensversicherung. die Schweizerische Kartellkommission den Sachversicherungsmarkt und verlangte zahlreiche Änderungen. Schliesslich hob das Bundesgericht bis 1996 in mehreren Schritten alle Bestim- mungen in den Verbandsstatuten auf, die Mitglieder zur Einhaltung von Preis- und Konditionsabsprachen verpflichteten.

Rückversicherung war für Versicherer in Entwicklungsmärkten besonders wichtig. Swiss Re unterstützte die Industrie in vielen Ländern mit ihren Kursen im Swiss Insurance Training Centre Versicherungswerbung wurde in den 50er (SITC) in Zürich. Registrierung zum Kurs in allgemeiner Versicherung am SITC 1964. Jahren auch in der Schweiz allgegenwärtig.

Swiss Re Geschichte der Versicherung in der Schweiz 37 Aufbruch in die Weltwirtschaft: 1945 bis heute

Stetige Marktliberalisierung Auch indirekt hatte die Ablehnung, Fusionen, Käufe, Krisen Der Antrag zum EWR-Beitritt fiel jedoch dem europäischen Wirtschaftsraum In den 80er Jahren wurde ein Teil der beim Schweizer Stimmvolk durch. In der beizutreten, Auswirkungen auf den Schweizer Versicherungswirtschaft von Folge konnten die Schweizer Versicherer Schweizer Versicherungsmarkt. Die der sogenannten Haftpflicht-Krise nur begrenzt vom Boom auf den osteuro- Regierung reagierte mit einer eigenen getroffen, deren Ursprünge im Rechts- päischen Märkten nach der EU-Oster- Liberalisierungs- und Deregulierungs- system der USA lag. Seit den 60er Jahren weiterung 2004 profitieren. Zahlreiche strategie, um zu zeigen, dass sie willens wurde die Rechtsprechung in Haftpflicht- Niederlassungen im Ausland wurden war, sich den europäischen Rahmen- fragen immer verbraucherfreundlicher. in selbstständige Tochtergesellschaften bedingungen zu stellen. Da die Entschädigungszahlungen stetig umgewandelt, um den Marktzugang zunahmen, erhöhte sich die Bedeutung auch langfristig sicherzustellen. Mit der Liberalisierung begann auch eine von Haftpflichtfragen für alle Berufs- Reihe ausländischer Versicherer, sich und Wirtschaftszweige. in der Schweiz niederzulassen. Seitdem haben sie ihre Präsenz in der Schweiz Die Krise erreichte so auch die Ver- kontinuierlich ausgebaut. sicherungsbranche. Ausländische Anbieter zogen sich aufgrund unkalkulierbarer werdender Risiken aus dem US-Markt zurück. Andere blieben und hofften auf Links: steigende Prämien. Beide Gruppen Der 1900 gegründete Verband konzessio- nierter schweizerischer Versicherungsgesell- mussten immense Verluste hinnehmen. schaften (SVV) setzt sich seither für die Unter den Schweizer Versicherern waren Belange der Schweizer Versicherungsindustrie vor allem die Zürich und als Rückver- ein. Werbung für die Schweizer Versicherer, sicherer naturgemäss Swiss Re betroffen. 1983/84.

Rechts: Ausgelöst unter anderem durch grosse Haft- pflichtklagen in den USA, sind Umweltfragen für die Versicherung in der jüngeren Geschichte zu einem wichtigen Thema geworden. Swiss Re beschäftigte sich schon früh mit diesen Heraus- forderungen. Publikation von Swiss Re aus dem Jahr 1979.

Swiss Re Geschichte der Versicherung in der Schweiz  8 3 Erdrutsch in Gondo

Am 14. Oktober 2000 kam es im Wallis und im Tessin zu verheerenden Unwettern. Vier Tage regnete es ununterbrochen. Der Lago Maggiore trat über die Ufer. Locarno war überflutet. Grosse Teile des Rhône-Tals standen unter Wasser. Die Naturkatastrophe verursachte in der Schweiz versicherte Schäden in Höhe von rund 300 Millionen Franken. Davon entfielen 4 285 Schadenfälle mit einer Summe von 140 Millionen Franken aufs Wallis und 4 360 Schadenfälle mit 155,5 Millionen Franken aufs Tessin. Insgesamt 16 Menschen starben.

Am schlimmsten traf es den Ort Gondo: Ein Erdrutsch zerstörte ein Drittel des Walliser Grenzdorfes und riss 13 Menschen in den Tod. Verschlimmert wurde die Situation durch Betonblöcke, die eigentlich zur Abwehr von herabstürzenden Felsbrocken gebaut worden waren. Sie stürzten mit in die Tiefe.

Oben: Die Luftaufnahme verdeutlicht die enorme Kraft des Erdrutsches in Gondo.

Unten: Die Schweiz hat eine grosse Anzahl an Bergstürzen erlebt. Die Katastrophe von Elm 1881 wurde durch den Abbau von Schiefer ausgelöst. Über hundert Menschen fanden den Tod.

Swiss Re Geschichte der Versicherung in der Schweiz 3 9 Aufbruch in die Weltwirtschaft: 1945 bis heute

In den 80er und 90er Jahren begann eine Zeit der Fusionen und Übernahmen, angeschoben durch den Börsenboom. Führende Versicherungsunternehmen konnten auf grosse Mengen von Eigen- kapital zugreifen und Zukäufe tätigen. Die Zürich hob ihre Marktkapitalisierung an und konnte auch dank zahlreicher Übernahmen eine wichtige Position auf dem US-Markt aufbauen.

Zunehmende Bedeutung des Kapitalmarkts Viele Unternehmen realisierten einen Grossteil ihrer Gewinne mit Kapitalanlagen und nicht mehr mit der Zeichnung von Risiken als ihrem Kerngeschäft – ein Prozess, der langsam das Selbstverständnis der Versicherer veränderte. Die 90er Jahre bescherten den Versicherern zwar eine Folge von Spitzenergebnissen. Hohe Finanzerträge und Dividendenaus- schüttungen verstellten aber den Blick auf teilweise extrem schlechte ver- sicherungstechnische Ergebnisse.

Warnende Stimmen wurden auch in der Schweiz, angesichts eines Swiss Performance Index, der sich zwischen 1990 und 1996 verdreifachte und bis 2000 nochmals um 120 Prozent stieg, überhört oder ignoriert. Aufgrund des verschärften Wettbewerbs und der sinkenden versicherungstechnischen Margen wurde das Geschäft zusätzlich angeheizt. Dieser Trend dauerte bis zum Börsencrash 2001/2002 und traf in der Schweiz vor allem die grossen Versicherer, die massiv auf dem internationalen Parkett expandiert hatten.

Insurance Linked Securities sind eine der bedeutendsten und erfolgreichsten Innovationen in der Assekuranz. Grosse Risiken können so über den Kapitalmarkt gedeckt werden. Swiss Re übernahm schon früh die führende Rolle in der Entwicklung solcher Instrumente.

Swiss Re Geschichte der Versicherung in der Schweiz  0 4 Schweizerhalle

Der Brand in Schweizerhalle war eine der Mit den gigantischen Löschwassermengen schlimmsten Umweltkatastrophen Europas gelangten über die Abflussrohre zwischen und machte als das «Tschernobyl der 10 und 30 Tonnen Agrochemikalien sowie Wasserwirtschaft» weltweit Schlagzeilen. mindestens 200 Kilogramm hochgiftiges Der Gesamtschaden lag bei 140,8 Millio- Quecksilber in den Rhein, der sich blutrot nen Schweizer Franken. färbte. Tausende Fische verendeten.

Kurz nach Mitternacht brach am Sandoz leistete Schadenersatzzahlungen 1. November 1986 in einer Lagerhalle von 42 Millionen Franken in der Schweiz, des Chemieunternehmens Sandoz in Frankreich, Deutschland und den Nieder- Schweizerhalle bei Basel ein Brand aus. landen. Der Ort des Brandes musste In der 100 mal 60 Meter grossen Leicht- geräumt und saniert werden. Doch noch bauhalle brannten und explodierten rund heute gibt es Kontroversen darüber, wie 1300 Tonnen Chemikalien. Hochwirksame stark das Areal belastet ist und welche Insektizide und Herbizide, 12 Tonnen Gefahren davon ausgehen. einer organischen Quecksilber-Verbindung sowie weitere vier Tonnen gelagerter Lösungsmittel gingen in Flammen auf, die bis zu 60 Meter hoch schlugen.

Aufräumarbeiten nach der Katastrophe vom 1. November 1986.

Swiss Re Geschichte der Versicherung in der Schweiz 4 1 Aufbruch in die Weltwirtschaft: 1945 bis heute

Lothar und Martin

Ende 1999 fegten die beiden schlimm- Beide Stürme waren ungewöhnlich stark. Die Schäden, die beide Stürme anrichteten, sten Winterstürme seit 1990 über Europa Lothar erreichte seine maximale Stärke an waren gewaltig. In der Schweiz starben hinweg – Lothar und Martin. Am 26. der französischen Atlantikküste, die durch Lothar 14 Menschen. Zudem Dezember überquerte Lothar zunächst Spitzengeschwindigkeit betrug 170km/h entstanden Schäden in Höhe von Nordfrankreich, dann Süddeutschland im Zentrum von und 180km/h am 600 Millionen Franken an Gebäuden und und die Schweiz. Obwohl der Sturm nur Flughafen Orly. Noch bevor Lothar über in Höhe von 750 Millionen Franken in der wenige Stunden wütete, hinterliess er Osteuropa nachliess, erreichte Martin Forstwirtschaft. Durch das darauf folgende eine Spur der Zerstörung. Am nächsten die französische Westküste. Er erzielte Überangebot von Holz auf dem Markt Tag folgte Martin, allerdings war eher teilweise Geschwindigkeiten von bis zu brachen die Holzpreise ein und konnten Südeuropa betroffen – Mittel- und 200km/h. sich erst nach mehreren Jahren wieder Südfrankreich, Nordspanien, Korsika erholen. 10 Millionen Bäume, rund und Norditalien. 13 Millionen Kubikmeter Holz, wurden umgeworfen. Die geschätzte Schadens- summe aller quantifizierbaren Schäden soll rund 1,78 Milliarden Franken betragen. Dieses Schadenausmass wurde nur noch durch die Winterstürme Daria, Herta, Vivian und Wiebke 1990 übertroffen.

Passanten am Genfersee am Sonntag, dem 26. Dezember 1999, als Lothar über die Schweiz hinwegfegte.

Swiss Re Geschichte der Versicherung in der Schweiz  2 4 Erste Konsolidierungswelle Die Konsolidierung beschränkte sich Das kurze Intermezzo der in den 80ern nicht auf die Lebensversicherung. Ähnlich Allfinanz-Idee Die Auflösung der Kartelle in den 80er entwickelte sich der Markt im Nicht- In den 90er Jahren gewann die Allfinanz- Jahren war ein weiterer Motor für eine Lebengeschäft. Bekannte Markennamen Idee international und auch unter den hohe Zahl von Übernahmen und die wie die Helvetia Feuer oder Helvetia Schweizer Versicherern immer mehr zunehmende Marktkonzentration. 1988 Unfall, die Neuenburger Allgemeine, Anklang: Versicherung, Anlageberatung wurde die La Suisse von der Rentenanstalt Union Suisse oder Elvia verschwanden. und Altersvorsorge aus einer Hand sollte übernommen. Die Winterthur kaufte die Dennoch behauptete sich die schweiz- ein Modell für die Zukunft werden. So Neuchâteloise. 1990 kaufte Swiss Re die erische Versicherungsbranche gut. 1988 kam es 1996 zur «strategischen Allianz» Elvia, und die Zürich akquirierte die Gen- beschäftigten die Schweizer Versicherer zwischen der Winterthur und der Credit fer Versicherung. Heute ist mehr als die in der Schweiz rund 44 000 und im Suisse Group und im folgenden Jahr zur Hälfte der 1982 aktiven schweizerischen Ausland rund 61 500 Personen. 2010 Übernahme der Versicherung durch die Lebensversicherungen nicht mehr auf waren es bereits rund 50 000 in der Bank. Die Credit Suisse Group definierte dem Markt, zumindest nicht mehr unter Schweiz und über 73 000 Arbeitnehmer sich fortan als Allfinanz-Konzern mit dem dem ursprünglichen Namen. im Ausland. Anspruch, an die Weltspitze der Finanz- industrie vorzustossen.

1992 scheiterte der Beitritt der Schweiz zum Europäischen Wirtschaftsraum. Die Schweizer Versicherungsunternehmen hatten es in der Folge schwerer, vom europäischen Aufschwung zu profitieren.

Swiss Re Geschichte der Versicherung in der Schweiz 43 Aufbruch in die Weltwirtschaft: 1945 bis heute

Das Modell war nicht überall erfolgreich, Die Lebensversicherer tangierte die Krise Insgesamt verloren die heimischen da die Synergien zwischen Versicherung vor allem indirekt. Die Zentralbanken der Anbieter in den letzten Jahren an Gewicht, und Bank zumindest auf etablierten westlichen Industrieländer senkten ihre während die Bedeutung ausländischer Märkten überschätzt wurden. Ähnlich Leitzinsen auf ein bisher nicht erlebtes Gesellschaften zunahm. Diese Ver- wie in anderen europäischen Märkten Niedrigzinsniveau. Diese niedrigen Zinsen schiebung begann bereits kurz nach dem wurde nach dem Platzen der dot.com- wurden somit zu einem erheblichen Pro- Börsencrash 1987, als die Schweizer Blase und spätestens mit dem Eintritt blem für die Schweizer Lebensversicherer. Versicherer in den Fokus ausländischer der Finanzkrise 2007 das wenig profitable Firmen rückten, die zukaufen wollten. Allfinanzmodell begraben. Einzig die so- Um eine weitere Aufwertung des Diese Entwicklung beschleunigte sich genannte bancassurance, der Vertrieb Schweizer Franken als Folge der Finanz- ab 2001. von Versicherungsprodukten via Bank- krise zu vermeiden, koppelte ihn die schalter, setzte sich in einigen Märkten Schweizer Nationalbank über einen Fin sehr erfolgreich durch. Minimalkurs an den Euro. Damit war die In den 200 Jahren ihrer Geschichte Schweiz aber auch an die europäischen erwarben sich die Schweizer Versicherer Die Krisen des 21. Jahrhunderts Niedrigzinsen gebunden, die wiederum einen Ruf als verlässliche und als gut Der Zusammenbruch der Börsenkurse über Mindestzins und Umwandlungssatz kapitalisierte Risikopartner, die sich aufs 2001/2002 war ein Wendepunkt für die erheblichen Einfluss auf das Ertrags- Risiko ebenso verstehen, wie auf die Schweizer Versicherungsindustrie. Weil potential von Lebensversicherungen Geldanlage und deren Unternehmen sie in den 80er und 90er Jahren viel in ausüben. vor politischen und wirtschaftlichen Aktien investiert hatte, verloren die Querelen wie Geldentwertung oder Ent- Portfolios der Unternehmen jetzt massiv Die Schweiz wird zum globalen eignung weitgehend verschont blieben. an Wert und bedrohten die Kapitalbasis. Rückversicherungszentrum Vor allem die Lebensversicherer kämpften Die Deregulierung der vergangenen zwei Die Europäische Integration machte auch mit hohen Verlusten. Die Sparte erholte Jahrzehnte führte zu einer verstärkten vor den Schweizer Toren nicht halt. Zwar sich bis 2004 nicht und die Krise führte Ansiedlung internationaler Versicherer wurde der von der Versicherungs- bei vielen Gesellschaften zu einer und vor allem Rückversicherer in der wirtschaft befürwortete Beitritt zum konservativeren Investmentstrategie und Schweiz. International tätige Anbieter wie Europäischen Wirtschaftsraum 1992 von einer Konzentration auf ihr Kerngeschäft. die Bermuda-Rückversicherer drängten der Bevölkerung abgelehnt. Die Branche in die Schweiz und begannen, mit wusste jedoch die Möglichkeiten der Das half bei der Bewältigung der Finanz- hiesigen Anbietern zu konkurrieren. europäischen Integration für sich zu krise, die ab 2007 ausbrach. Sie war zu nutzen. Heute zählt das Land zu den einem Teil auf den Einbruch komplexer Bermuda wurde in den 90ern als Offshore- wichtigsten internationalen Versicherungs- Investmentprodukte zurückzuführen. Versicherungsmarkt gross. Heute verfügen und Rückversicherungsmärkten. Die Verglichen mit den Banken war jedoch sie über einen Marktanteil von mehr als Versicherungsdichte pro Kopf ist eine die Versicherungsbranche – speziell die zehn Prozent am globalen Rückver- der höchsten weltweit. Schweizer – wenig betroffen. Diejenigen sicherungsmarkt. Traditionell sind sie auf Unternehmen jedoch, die ihr Geschäft den US-Markt fokussiert, doch in den um riskante Finanzmarktprodukte er- vergangenen Jahren begannen sie, ihr weitert hatten, mussten grosse Verluste Risikoportfolio auch auf den europäischen hinnehmen. Märkten zu diversifizieren. In der Schweiz liessen sich zahlreiche Gesellschaften nieder. Heute zählt der Standort Schweiz mehr als 40 international tätige Rück- versicherer, die meisten von ihnen sind in Zürich ansässig.

Swiss Re Geschichte der Versicherung in der Schweiz  4 4 Rückversicherung

Die Versicherung ist heute aus Seit Anbeginn war die Rück- Rückversicherer einen erheblichen unserem Leben kaum mehr versicherung international tätig Teil zur Unterstützung der wegzudenken. Ein Haus zu bauen, und konnte so den Kunden helfen, Wirtschaft bei. Davon profitieren ohne es zu versichern, ein Produkt ihre Risiken weltweit auszugleichen. das Wachstum und auch die ohne Deckung auf Markt zu Auch waren die Rückversicherer Gesellschaft allgemein. bringen, ein Fahrzeug ohne Haft- in vielen verschiedenen Bereichen pflichtabsicherung zu lenken, der Lebens- und der Sachver- Mehr als für irgendeine andere ein Alter ohne Vorsorge wären sicherung vertreten und konnten Finanzdienstleistungsindustrie undenkbar. so spezialisierten Versicherern liegt es in der Natur des Rück- eine breitere Streuung erlauben. versicherungsgeschäfts, sich mit Die Rückversicherung allerdings Durch die langjährigen Beziehun- dem Risikodenken und der Natur ist der breiten Öffentlichkeit nahezu gen mit ihren Kunden, viele davon des Risikos auseinanderzusetzen. unbekannt. Sie erfüllt jedoch eine über Jahrzehnte oder einige sogar Über Jahrhunderte angesam- äusserst wichtige Aufgabe bei seit dem vorletzten Jahrhundert, meltes Wissen wird heute der Übernahme von Risiken und haben die Rückversicherer das statistisch und in modernen als Förderer von wirtschaftlichem dritte wichtige Element ermöglicht, Modellen dazu eingesetzt, die Wachstum und Fortschritt. die Risikoverteilung über längere Gefahren des 21. Jahrhunderts Zeit. besser zu verstehen. Dies kommt Rückversicherung ist die direkt den Kunden und der «Versicherung der Versicherer». Mehr oder weniger alle Risiken Gesellschaft zugute. Das Prinzip der Versicherbarkeit werden von Rückversicherern basiert unter anderem darauf, dass übernommen. Von Naturkata- Aber Rückversicherer nehmen Risiken möglichst breit gestreut strophen über das Risiko steigen- auch aktiv am Risikodiskurs in der werden können. Je breiter diese der Sterblichkeit bis zu Öffentlichkeit teil. In den grossen geteilt werden, umso günstiger Automobilversicherungen oder Risikofragen, die unsere heutige können sie gedeckt werden. Flughaftpflichtrisiken. Über die Zeit bereithält, zur Bewältigung Erstversicherer werden diese von Naturgefahren oder Risiken an die Rückversicherer Epidemien, sowie bei der Absiche- weitergegeben. Dies wiederum rung von Grossprojekten und erlaubt es den Versicherern, Konsumprodukten, und nicht zu- weniger Risikokapital binden zu letzt in der alltäglichen Sicherheit müssen, und so können sie mehr von uns allen, ist die Rückversi- Geschäft zeichnen. cherung unabdingbar geworden.

Da die bezahlten Prämien für Rückversicherung über die Finanzmärkte investiert werden, tragen sowohl Versicherer wie

Swiss Re Geschichte der Versicherung in der Schweiz 45 ©2013/2017 Swiss Re. Alle Rechte vorbehalten. Titel: Geschichte der Versicherung in der Schweiz Autoren: Swiss Re Corporate History Redaktion und Realisierung: Swiss Re Corporate History Gestaltung und Produktion: Swiss Re Corporate Real Estate & Logistics/ Media Production, Zürich Fotografien: Swiss Re Archive Keystone (31, 33, 34, 41, 43, 44, 45) Suva (29) SVV (38, 40) SIX Swiss Exchange AG (17) Auf www.swissre.com haben Sie die Möglichkeit, Swiss Re-Publikationen herunterzuladen und gedruckte Exemplare zu bestellen. Bestell-Nr.: 1505695_13_DE 08/13 2000 de

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