2017-10-18 10-58-48 --- Projekt: transcript.anzeigen / Dokument: FAX ID 026f474678049510|(S. 1- 2) VOR2935.p 474678049518 Aus:

Eike Wittrock Arabesken – Das Ornamentale des Balletts im frühen 19. Jahrhundert

November 2017, 358 Seiten, kart., zahlr. Abb., 39,99 €, ISBN 978-3-8376-2935-4

Die Arabeske ist nicht nur eine der wichtigsten Positionen des klassischen Ballettvo- kabulars, mit ihr lässt sich auch das Ornamentale des Balletts im frühen 19. Jahrhun- dert beschreiben. Aus bisher größtenteils unveröffentlichten ikonografischen Quellen entwickelt Eike Wittrock eine Ästhetik des Balletts, die sowohl die Einzelfigur Arabes- ke wie auch die Gruppenformationen des corps de ballet erfasst. Lithografien, choreo- grafische Notationen, Abbildungen in Traktaten, Musterbücher und Buchverzierun- gen werden dabei als historiografische Medien von Tanz verstanden, die die fantasti- sche Bildlichkeit dieser Ballette in der Aufzeichnung weiterführen.

Eike Wittrock ist Tanzwissenschaftler an der Freien Universität Berlin und forscht dort zur Tanzgeschichte. Außerdem arbeitet er als Dramaturg und Kurator im Bereich des zeitgenössischen Tanzes.

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Inhalt

1. Einleitung | 7 Le Délire d’un peintre: Figur und Fantasie | 11 Zur Methode | 20 Der Begriff Arabeske | 36 Tanzhistorischer Forschungsstand | 53

2. Danseuses d’Herculanum | 65

3. Genealogie der Arabeske | 97 Drei frühe Auftritte der Arabeske | 104 Carlo Blasis’ Theorie der Arabeske | 108 Eingebildete Linien | 131 Of the figure that moves against the wind | 146 Finale Arabeske/Unzählige Variationen | 149 Im Cirque Olympique | 159 Arabesken in Giselle | 168

4. Thea, oder: Die Blumenfee | 195

5. Voyages dans les espaces imaginaire | 217 Ballet fantastique | 236 Unterwasserwelten | 266 The fading form of the Ondine | 277 Von einer Schönheit, die im Rahmen wohnt | 284 Letzte Arabesken (Fanny Elßler) | 294

6. Schluss | 309

7. Literaturverzeichnis | 319

8. Abbildungsverzeichnis | 353

1. Einleitung

Book I/Part I/Theory/General Information As the art of dance is essentially decorative and aesthetic, the dancer should try to mold his body into vigorously aesthetic forms; this gives the poses, even transiently, all that grace and artistic beauty that never grates upon the eye of the audience. 1 GRAZIOSO CECCHETTI

Diese tanzhistorische Arbeit entwickelt sich aus einem einzigen Muster her- aus: der Arabeske. Parallel zu den Entwicklungen in Literatur, Philosophie und Bildender Kunst zu Beginn des 19. Jahrhunderts spielt auch im europäi- schen Bühnentanz das eine zentrale Rolle in jenen tiefgreifenden Umwälzungsprozessen, die sich in den Künsten im Registerwechsel von der Rhetorik zur Ästhetik vollziehen: „Die Problematik des Ornaments entstand […] im Spannungsfeld zweier Paradigmen: dem antiken Paradigma der Rhe- torik und dem modernen Paradigma der ausdifferenzierten Sphären der Er- kenntnis (Wahrheit), der Moral und der Ästhetik. Sobald es nicht mehr aus- schließlich als bloßer Bestandteil der Rhetorik verstanden wurde, wurde das Ornament zum Streitobjekt.“2 Das Auftauchen einer Figur namens Arabeske

 1 Grazioso Cecchetti: Classical Dance. A Complete Manual of the Cecchetti Method, Bd. 1, hg. von Flavia Pappacena, Rom 1997, S. 17. 2 Frank-Lothar Kroll, Gérard Raulet: „Ornament“, in: Karlheinz Barck u.a (Hg.): Äs- thetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, Bd. 4, Stutt- gart/Weimar 2002, S. 656-683, hier S. 656. Die unterschiedlichen Ornamentbe- griffe der Rhetorik (‚aristotelisch und grammatisch‘) und der Ästhetik (‚kantianisch und substantialisch‘) arbeitet sehr gut heraus: Danièle Cohn: „Der Gürtel der Aph- 8 | ARABESKEN im Ballettvokabular dieser Zeit – zuerst als Gruppenfigur, dann als singuläre Pose – ist das deutlichste Indiz dieser Veränderung im künstlerischen Büh- nentanz. Die Verbindungen, Übertragungen und Transpositionen zwischen Tanz und den anderen Künsten nehmen in dieser Arbeit dabei eine heraus- gehobene Position ein, da die Arabeske nicht nur eine Ornamentfigur ist, die zwischen den Künsten wandert, sondern die medialen Übergänge selbst ver- körpert bzw. reflektiert: sie vermittelt zwischen Schrift und Bild, und (kon)notiert darüber hinaus Bewegung an sich. Die Pose Arabeske ist jedoch nur ein Aspekt des Ornamentalen im Bal- lett des 19. Jahrhunderts.3 Das Ornamentale ist ein modus operandi, der sich – als das Arabeske – auf verschiedenen Ebenen dieser Ballette wiederfindet: neben der Ornamentalisierung der einzelnen Tänzer*innen-Figur auch in Gruppenformationen, wie den tableaus und décors, der Dramaturgie dieser Werke, als auch in Erinnerungsobjekten von Balletten und Tänzer*innen. In den Zwischenräumen von visuellen und schriftlichen Dokumenten, zwi- schen Notationen, Bildern und Texten, soll so eine implizite Theorie der Äs- thetik des Balletts im frühen 19. Jahrhundert aufgesucht werden.

Die Kategorie des Ornamentalen, so wenig theoretische Aufmerksamkeit diese bisher erfahren hat, lässt sich bis in die Frühgeschichte des europäi- schen Tanzes zurückverfolgen. Grotesktanz, die Komplementärgattung der Arabeske, bezeichnet seit dem 18. Jahrhundert die Perversion bzw. Umkeh- rung des klassisch schönen Tanzideals.4 Auch in Tanzreformbewegungen erscheint das Ornament stets als Negativfolie. So argumentiert Jean-Georges Noverre im 18. Jahrhundert gegen das Ornament des höfischen Tanzes als ‚bloßes Accessoire‘, um den Tanz als selbstständige Kunstform aufzuwerten:  rodite. Eine kurze Geschichte des Ornaments“, in: Vera Beyer, Christian Spies (Hg.): Ornament. Motiv – Modus – Bild, München 2012, S. 149-178. 3 Die vorliegende Untersuchung verwendet statt dem epochalen Begriff „Romanti- sches Ballett“ die Bezeichnung Ballett im (frühen) 19. Jahrhundert, und operiert mit Begriffen wie dem Fantastischen und der Feerie, die Selbstbezeichnungen wie ballet fantastique und ballet féerique entlehnt sind. 4 Vgl. dazu Rebecca Harris-Warrick, Bruce Alan Brown (Hg.): The Grotesque Dancer on the Eighteenth-Century Stage. Gennaro Magri and His World, Madison 2005; wie auch für eine Diskussion der tänzerischen Groteske im 20. und 21. Jahrhun- dert: Susanne Föllmer: Valeska Gert. Fragmente einer Avantgardistin in Tanz und Schauspiel der 1920er Jahre, Bielefeld 2006; und dies.: Am Rand der Körper. In- venturen des Unabgeschlossenen im zeitgenössischen Tanz, Bielefeld 2009. EINLEITUNG | 9

„Je ne puis m’empêcher de dire que tous les ornemens postiches, inutiles et incohé- rens dont on a farci ce ballet [Le Jugement de Pâris], ont absolument étouffé l’impression qu’il devoit produire; que la danse, quelque agréable et quelque magnifi- que qu’elle soit, ne peut être regardée que comme accessoire, et que c’est un grand art de savoir la placer à propos, et d’éviter de s’en servir, lorsqu’elle peut être nuisible à l’action et à l’intérêt que peut faire naître la pantomime.“5

Die Reformkämpfe um die Kunstform Tanz im 20. Jahrhundert entzünden sich ebenfalls an der Frage des Ornaments und wiederholen so unter ande- ren Vorzeichen ästhetische Kämpfe des 18. Jahrhunderts (siehe Kapitel 2). Einerseits findet das Ballett in abstrakten Choreografien wie jenen Georges Balanchines im Ornamentalen zu einer ‚reinen‘ Form des Tanzes,6 anderer- seits lehnt der Moderne Tanz jedwede Ornamentalität als Vorwurf eines bloßen Divertissements ab:

„Aus der Pariastellung, nur zur Unterhaltung und zur Auffrischung toter und müder Stunden zu dienen, ist [der Tanz] herausgekommen. Die Mißbewertung, so etwas wie ein arabeskenhaftes Kunstgewerbe zu sein, in einer technisch einfachen und leicht er- lernbaren Bewegung zu einer Musik zu bestehen, hat man überwunden.“7

Jenseits dieser tanzhistorischen Polemiken soll in dieser Arbeit ein zeitlich begrenzter Abschnitt des Balletts und seiner Aufzeichungsformen auf ihr Ornamentales hin betrachtet werden, um das ästhetische, operative und re- flexive Potenzial dieser Kategorie – zumindest für diesen begrenzten Zeit- raum – aufzudecken.

 5 Jean-Georges Noverre: Lettres sur les Arts Imitateurs en général, et sur la Danse en particuliér, Bd. 2, Paris 1807, S. 414. 6 Balanchines Choreografien wurden von der Kritik oft als ‚pure dance‘ gefeiert, vgl. exemplarisch Emily Coleman: „Apostle of the Pure Ballet. George Balanchine has little patience with costumes, scenery, frills, even plot. Nothing must distract from the dance“, in: New York Times, 1.12.1957, S. 37-43. 7 Fritz Böhme: Tanzkunst, Dessau 1926, S. 26, vgl. auch S. 103, dort nennt Böhme die rhythmischen Elemente des Tanzes „nichts als ein ins Arabeskenhafte umge- formter natürlicher Trieb“. 10 | ARABESKEN

Der Fokus dieser Arbeit liegt dabei auf dem europäischen Bühnentanz im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts, in dem Ornament und Tanz eine be- sonders produktive Verbindung eingehen und in einen vielfältigen Aus- tausch treten. Diese Arbeit versucht in der Konzentration auf einen heraus- gehobenen ästhetischen Aspekt – das Ornamentale – gleichsam die Materiali- tät (und Medialität) der historischen Übertragung zu bedenken. Im Folgen- den geht es also stets auch um die Aufzeichnung des europäischen Bühnen- tanzes im frühen 19. Jahrhundert im Ornamentalen. Somit stellt sich eben- falls die Frage, welchen Einfluss die ästhetische Gestaltung der Aufzeich- nungsformen von Tanz – die Lithografien, Traktate und Erinnerungsalben, aber auch Notationen und Skizzen – auf die Ästhetik des Bühnentanzes die- ser Zeit (und das heutige Bild davon) haben. Weniger um die Darstellung einer Epoche der Tanzgeschichte geht es also im Folgenden um einen Ab- schnitt in der Geschichte der Tanznotation und -illustration und ihre theore- tischen und ästhetischen Folgen.

Der Bühnentanz im frühen 19. Jahrhundert ist ein gesamteuropäisches Phä- nomen mit verstreuten Zentren und unterschiedlichen lokalen Entwicklun- gen, die sich überlagern, überschneiden und kreuzen. Das Ballett der Pariser Oper nimmt als Institution eine herausgehobene Stellung in dieser Arbeit ein, da die bedeutendsten Werke an diesem Ort uraufgeführt wurden. Paris ist auch im Ballett die Hauptstadt des 19. Jahrhunderts.8 Im Folgenden wer- den jedoch auch Werke aus anderen Ballettmetropolen, wie London, Wien und Berlin, untersucht, wie auch Werke jenseits der Zentren. Die Thesen dieser Arbeit werden aus close readings von tanzhistorischen Dokumenten entwickelt: aus Bild- und Textdokumenten, wie Lithografien, Traktaten, Libretti, Keepsakes, sowie choreografischen Arbeitsmaterialien, wie den Notationen von Henri Justamant und sogenannten Musterbüchern. Die Auswahl der Beispiele ist durch den Sammlungscharakter der Archive, die für diese Arbeit untersucht wurden, beeinflusst.9 So tritt mit dem Cho-  8 Die sozialen und politischen Gegebenheiten der Julimonarchie, die diese Entwick- lung begünstigt haben, werden dargelegt in Anselm Gerhard: Die Verstädterung der Oper. Paris und das Musiktheater des 19. Jahrhunderts, Stuttgart/Weimar 1992, besonders S. 16-42 skizzieren die unternehmerischen und baulichen Ver- änderung der Pariser Opéra und die neue Ausrichtung auf ein bürgerliches Publi- kum. 9 Forschungen für diese Arbeit fanden in der Pariser Bibliothèque-Musée de l’Opéra, den Derra de Moroda Dance Archives in Salzburg, der Theaterwissen- EINLEITUNG | 11 reografen Henri Justamant ein für die Ästhetik des 19. Jahrhunderts eher pe- ripherer Künstler in den Fokus der Betrachtung, da seine umfangreichen Notationen bis heute das größte Konvolut von Aufzeichnungen des europäischen Bühnentanzes im 19. Jahrhundert darstellen und so für diese materialbasierte Untersuchung einen zentralen Bezugspunkt darstellen. Künstlerische Werke aus Mailand, Stuttgart oder Kopenhagen, die bedeu- tende ästhetische Impulse für diese Zeit geliefert haben, treten hingegen in den Hintergrund. Ziel dieser Arbeit ist das Ornamentale – jenseits einer Hierarchie von Bild und Rahmung, Figur und Dekor oder Haupt- und Nebensache – als grundsätzliche Kategorie der Ordnung und Anordnung aufzuwerten, die Ballett im 19. Jahrhundert jenseits von Narration, Bedeutung oder Körper- technik strukturiert.

LE DÉLIRE D’UN PEINTRE: FIGUR UND FANTASIE

Mit der Arabeske übernimmt der Tanz eine Ornamentfigur aus der Bilden- den Kunst und überträgt sie in eine still gestellte Pose, die Bewegung (kon)notiert: aufzeichnet und gleichzeitig bildlich darstellt. Eine Verschrän- kung von Bild und Bewegung – als Bild der Bewegung, in Bewegung gesetz- tes Bild, wie auch Bild, das Bewegung anhält – durchzieht das Ballett im 19. Jahrhundert. Diese Verschränkung wird besonders im Ornamentalen dieser Werke deutlich, bezeichnet darüber hinaus jedoch auch eine generelle Herausforderung der tanzhistoriografischen Forschung, die sich oft auf iko- nografische Quellen bezieht, in denen Bewegung im Bild festgehalten ist.

Gabriele Brandstetter hat das Verhältnis von Bild und Bewegung ausgehend von einer Fotografie von Vaslav Nijinsky mit der Metapher des Bild-Sprungs beschrieben. Bild-Sprung ist dabei nicht nur die Abbildung eines Sprungs im Bild, Sprung markiert ebenso „die Bildlichkeit der Bewegung – im Bild“ wie auch  schaftlichen Sammlung Schloss Wahn, der Performing Arts Library in New York, dem Österreichischen Theatermuseum in Wien, wie auch in der Lipperheideschen Kostümbibliothek in Berlin statt. Darüber hinaus greift diese Arbeit auf die Samm- lungskataloge von Debrah und Madison Sowell, die Allison Delarue Collection der Princeton University sowie auf Materialien aus der Sammlung von George Chaf- fee, die sich in der Harvard Theatre Collection befinden, zurück. 12 | ARABESKEN

„die Unterbrechung, die sich im Übergang der Medien zeigt; in der Sistierung von Bewegung, die – als flüchtiges Ereignis – nicht zu halten ist, und doch umgekehrt als Bewegungsbild erst entsteht mit der ‚Animation‘ des in Pose Still-Gestellten: in der medientechnischen Animation und in der Belehnung mit Bewegtheit im Blick des Be- trachters.“10

Die Ballettpose Arabeske ist ein Bild-Sprung in besonderer Weise. Diese Fi- gur entsteht nicht nur aus einem Übertrag in ein anderes Medium (vom Bild in den Tanz), sondern trägt in den Tanz Aspekte des Bildlichen ein: in der Stillstellung der einzelnen Figur, wie auch in ihrer grafischen Abstraktion und Zeichenhaftigkeit. Sprünge von Bild zu Bild finden sich darüber hinaus auch in ornamentalen Gruppenchoreografien, die ein weiteres Merkmal der Ballette des frühen 19. Jahrhunderts sind. Schlussendlich liegt jeder Form von Tanz-Notation ein Bild-Sprung zugrunde, in der Aufzeichnung von Be- wegung im Bild (bzw. in Text/Bild-Hybriden, wie in den Notationen von Henri Justamant), sowie in dem stets drohenden Sprung aus dem Bild- Rahmen, der Rückübersetzung der Notation in Bewegung (Re-Animationen) oder der Fortführung der Bewegung in der Imagination der Betrachtenden.

Es ist ein besonderer Bild-Sprung, der ins Zentrum der Frage nach dem Or- namentalen des Ballets im 19. Jahrhundert führt. Es handelt sich um das Bild einer Tänzerin, Fanny Elßler, die aus dem (ornamentalen) Rahmen springt (Abb. 1). Diese Lithografie, die 1844 als Beilage der Wiener Allgemei- nen Theaterzeitung veröffentlicht wurde, zeigt den (narrativ) entscheidenden Moment des kurzen Divertissements Le Délire d’un peintre (dt. Des Malers Traumbild), das Jules Perrot 1843 in London für Fanny Elßler choreografiert hat: der Maler erschrickt über das plötzlich zum Leben erweckte Gemälde einer Tänzerin, die aus dem Bilderrahmen steigt.11

 10 Gabriele Brandstetter: „Bild-Sprung. TanzTheaterBewegung im Wechsel der Me- dien“, in: dies.: Bild-Sprung. TanzTheaterBewegung im Wechsel der Medien, Ber- lin 2005, S. 6-14, hier S. 7. 11 „Fanny Elssler / in dem Divertissement: / ‚Des Malers Traumbild‘“, erschienen am 23.5.1844 als „Costume-Bild zur Theaterzeitung“ Nr. 99. Gezeichnet von „Cajetan“, das ist ein Pseudonym von Dr. Anton Elfinger. Vgl. Fritz Schobloch: Wiener Theater, Wiener Leben, Wiener Mode in den Bilderfolgen Adolf Bäuerles (1806-1858). Ein beschreibendes Verzeichnis, Wien 1974, S. 136. EINLEITUNG | 13

Abbildung 1: Fanny Elßler in „Des Malers Traumbild“

Lithografie, Beilage der Wiener Allgemeinen Theaterzeitung, 1844.

Die Zusammenfassung der Handlung dieses kurzen Werks, das das Vor- spiel für drei Bravournummern bildet, 12 sei hier aufgrund seiner Unbe- kanntheit (fast) vollständig aus der Kritik der Londoner Times von 1843 wie- dergegeben:

„Perrot is discovered sitting, pale, dejected, and with the air of a maniac, by the side of a veiled picture. Behind that veil he has embodied in colours the one form which pos- sesses his entire mind, which reigns over his whole soul, and commands its deepest devotion. It is that of Blanche D’Oviedo, Ellsler [sic], a lovely and fascinating dancer, the incarnation of all beauty and all grace, whom he has once seen, and whose charms have so indelibly impressed themselves upon his being, that he has been enabled to paint her from memory, and henceforth to that presentable image he devotes a life of rapturous contemplation. In short, he becomes a madman, and not all the endeavours of his mother can divert him from his wild delirium. During a short moment of ab-  12 Ein Pas de deux von Elßler und James Sylvain, ein Pas de deux von Gosselin für Elisa Scheffer und Adeline Plunkett und ein spanischer Bolero, La Castilliana, den Jules Perrot für Elßler und sich selbst choreografiert hat. Vgl. Ivor Guest: Jules Perrot. Master of the Romantic Ballet, London 1984, S. 110. 14 | ARABESKEN sence from his atelier, the real Blanche d’Oviedo appears, and learning the whole sto- ry of the young painter’s extraordinary passion, resolves to put an end if possible to his madness. She steps behind the curtain, and standing within the frame in the atti- tude of her portrait, awaits his return. He comes, and drawing aside the veil, kneels as usual in devout contemplation of the adored image, when to his awe the form grace- fully steps forward and approaches him. He stands amazed and enraptured while the lovely dancer hovers around him, exhausting every grace the human form is capable of, now turning through a thousand fascinating evolutions, now approaching him with impassioned movements, and hanging over him like an angel of love. Steps are heard, and she vanishes through the frame again, leaving the painter still wilder in the madness of his passion; and when he again tears aside the veil, he finds Blanche in her common costume, no longer a dream, but a reality – ready to give him a token of it by becoming his wife. […] We cannot give an idea of the inexhaustible grace which flowed from every limb of Ellsler, dazzling the eye and confounding the senses as she flitted around the enraptured painter, mingling the most sparkling playfulness with the most deep-souled passion as she alone can do.“13

Das In-Bewegung-Setzen des Bildes (und das Innehalten des Betrachters darüber), das die Lithografie dieser Szene festhält, ist eine verschobene Wie- derholung des Pygmalion-Motivs. An diesem wurden bereits im 18. Jahr- hundert paradigmatisch darstellungstheoretische Fragen der Verlebendi- gung in Bild, Theater und Bewegung verhandelt, wie sie auch für die Dis- kussion der Arabeske im 19. Jahrhundert von zentraler Bedeutung sind. An- hand von Pygmalion-Balletten des 18. Jahrhunderts hat Gabriele Brandstetter diese Fragen am Begriff der Figur, im doppelten Sinne von Plastik und Be- wegungsgestalt, entwickelt. Der Pygmalion-Stoff bildet dabei den „Schlüs- selmythos“ einer ästhetischen Reflexion über die Materialität des (inszenier- ten) Körpers und „seiner ‚Animation‘ im Sinne von Beseelung und Bewe- gung (als Bewegtheit)“,14 wie sie auch in Le Délire d’un peintre wiederzufin- den ist.  13 „Her Majesty’s Theatre“, in: The Times (London), 4.08.1843, S. 5. 14 Gabriele Brandstetter: „Figura: Körper und Szene. Zur Theorie der Darstellung im 18. Jahrhundert“, in: Erika Fischer-Lichte, Jörg Schönert (Hg.): Theater im Kul- turwandel des 18. Jahrhunderts. Inszenierung und Wahrnehmung von Körper – Musik – Sprache, Göttingen 1999, S. 23-38, hier S. 29; vgl. auch dies.: „Der Tanz der Statue. Zur Repräsentation der Bewegung im Theater des 18. Jahrhun- derts“, in: Mathias Mayer, Gerhard Neumann (Hg.): Pygmalion. Die Geschichte des Mythos in der abendländischen Kultur, Freiburg 1997, S. 393-422. EINLEITUNG | 15

Die Szene der Belebung einer unbelebten Statue, die auf die Darstellung von Empfindsamkeit zielt, unterstreicht (und unterwandert) die Differenz von Natur und Kunst, in dem sie Kunst gleichsam natürlich erscheinen lässt, während der ‚natürliche‘ Körper der Darstellerin Künstlichkeit simuliert. In ihrer Darstellungstheorie bezieht sich Brandstetter auf Erich Auerbachs Fi- gur-Begriff, der aus einer philologischen Betrachtung eine Reihe von Bedeu- tungsdimensionen herausgearbeitet hat. 15 Das lateinische figura bedeutet „plastisches Gebilde“, bezeichnet aber auch im späteren rhetorischen Sinn bei Quintilian den ornat als Figur der Rede. Aus der Wortbildung vom Stamm und nicht vom Supinum behält figura jedoch etwas „Lebend- Bewegtes, Unvollendetes und Spielendes“, und trägt das „neu Erscheinende, sich Wandelnde“16 als Begriff mit sich. Mit figura lässt sich Gestaltwandel al- so auch sprachlich erfassen. Im Gegensatz zu forma oder imago, die jeweils auf eine Seite des Abbildungsprozesses festgelegt sind, oszilliert figura zwi- schen Ur- und Abbild.17 Gabriele Brandstetter hat Auerbachs Figur-Begriff erweitert und für den Tanz wie auch für die allgemeine Theorie der (theatralen) Darstellung fruchtbar gemacht.18 Sie weist darauf hin, dass genau die Unschärfe-Relation der Figur „symptomatisch für die Darstellungsästhetik im 18. Jahrhundert und für Aspekte ihres Wandels verstanden werden kann, wird doch damit gerade die Problematik der Beziehung zwischen Körper und Schrift, zwi- schen Bewegung und Bild, zwischen Text und szenischem Prozeß bezeich- net.“19 Bettina Brandl-Risi erweitert diese Reflexion über das Bildhafte der  15 Erich Auerbach: „Figura“ [1938], in: ders.: Gesammelte Aufsätze zur romani- schen Philologie, Bern/München 1967, S. 55-92. 16 Ebd., S. 55. 17 Ebd., S. 58. 18 Neben plastischer Gestalt, rhetorischer Figur der abweichenden Rede und Lese- formel der Figuraldeutung listet Brandstetter noch die Wahrnehmungsdimensi- on (Figur-Grund-Relation) auf. Vgl. Gabriele Brandstetter: „Defigurative Choreo- graphie. Von Duchamp zu William Forsythe“, in: Gerhard Neumann (Hg.): Post- strukturalismus. Herausforderung an die Literaturwissenschaft, Stuttgart/Wei- mar 1997, S. 598-623; sowie dies.: „Figura: Körper und Szene“. Vgl. auch Gab- riele Brandstetter, Sybille Peters (Hg.): de figura. Rhetorik – Bewegung – Gestalt, München 2002; sowie Gabriele Brandstetter, Gottfried Boehm, Achatz von Mül- ler (Hg.): Figur und Figuration. Studien zu Wahrnehmung und Wissen, München 2007. 19 Brandstetter: „Figura: Körper und Szene“, hier S. 24. 16 | ARABESKEN

Darstellung in ihrer Studie BilderSzenen zu einer transmedialen Wahrneh- mungstheorie, die sie anhand der Körperinszenierungspraktiken der Attitü- den und Tableaux vivants, theatralen Tableau-Effekten und einem tableau- haften Erzählmodus der Literatur entwickelt.20 Brandl-Risi betont dabei die Destabilisierung der Repräsentation, die Unschärfe der (verzitterten) Ver- körperung, in der die Übersetzbarkeit von Text in Performance (und vice ver- sa) in Frage gestellt wird und Lesbarkeit und Sichtbarkeit sich als zwei ver- schiedene Wahrnehmungsmodi ausdifferenzieren.

Der Sprung aus dem Bild im Délire d’un peintre – der der Tanzpose Arabeske ähnelt – wendet sich in zentralen Punkten von der Darstellungstheorie des 18. Jahrhunderts ab und verweist auf die Verschränkung von Bild und Bewe- gung im Ornamentalen. In der Differenz dieses Divertissements zum Pyg- malion-Mythos wird dies deutlich. In Le Délire d’un peintre ist das Objekt der Verlebendigung keine dreidimensionale Statue, sondern ein (zweidimensio- nales) Gemälde. Der (mediale) Sprung zwischen planem Vorbild und körper- licher Verlebendigung ist vergrößert, wie auch die Abstraktionsleistung der Betrachtenden, diese als identisch zu begreifen. Das ‚Traumbild‘ dieses Ma- lers spielt mit der Wahrnehmung und täuscht die Betrachtenden (auf und außerhalb der Szene). Diese Täuschung beruht dabei nicht auf ‚natürlicher‘ Darstellung, sondern ist ein Effekt des Deliriums des Malers, der Kunst und Realität verwechselt. Die zum Leben erwachte, sich in Bewegung setzende, tanzende Tänzerin ist kein Traumbild, sondern (Bühnen-)Realität, die der Maler im Delirium verkennt. Sein Delirium ist im Ornamentalen vorge- prägt, das den Rahmen darstellt, aus dem die Tänzerin hervortritt und der ihre Bewegungen organisiert – ihre arabeske Pose übersetzt ästhetische Qua- litäten des Rahmens.21 In dieser Darstellung der Tänzerin wird die Differenz zwischen Kunst und Natur aufgehoben und durch einen theatralen Mechanismus ersetzt. Die Tänzerin muss kein unbelebtes Kunstwerk imitieren, wie es in den  20 Bettina Brandl-Risi: BilderSzenen. Tableaux vivants zwischen Bildender Kunst, Theater und Literatur im 19. Jahrhundert, Freiburg 2013. 21 Gabriele Brandstetter hat anhand Fokines Le Pavillon d’Armide über einen ähn- lichen Belebungsvorgang das „Ballett als Tapisserie“ beschrieben, als tanzen- des (textiles) Ornament. Gabriele Brandstetter: „Die Inszenierung der Fläche. Ornament und Relief im Theaterkonzept der Ballets Russes“, in: Claudia Jesch- ke, Ursel Berger, Birgit Zeidler (Hg.): Spiegelungen. Die Ballets Russes und die Künste, Berlin 1997, S.147-163. EINLEITUNG | 17

Pygmalion-Balletten und den Attitüden und Tableaux vivants ihre größte Herausforderung ist, sondern die Szene ist von Anbeginn als theatrale ent- worfen. Der Vorhang lässt das Gemälde zu einer Bühne werden (der orna- mentale Rahmen ist ihr Portal), auf der die Tänzerin auftritt. Im Délire d’un peintre ist in der Verlebendigung keine Erziehung zur Natürlichkeit verbor- gen, wie in den Pygmalion-Balletten,22 sondern sie aktualisiert die dargestell- te Bewegung im Bild. Die Natur bleibt im Délire d’un peintre außen vor und wird durch eine halluzinatorische Vorstellungskraft ersetzt. Diese Szene der Verlebendigung ist somit weniger eine Reflexion über die Lebendigkeit und Natürlichkeit der Darstellung, als vielmehr ein Kom- mentar über das Bildhafte des Theaters: sie weist darauf hin, dass das Thea- ter im tableau und anderen ornamentalen Raumkonfigurationen, wie auch in Posen wie der Arabeske, Kompositions- und Organisationsprinzipien aus der Bildenden Kunst übernimmt, die keine lesbaren Zeichen auf dem Thea- ter produzieren, sondern Arabesken, die in sich in verschiedene Richtungen verzweigen. Dabei springt das Ornament (in einer Übersetzung, die in beide Richtungen funktioniert) zwischen räumlicher und zeitlicher Dimension, zwischen einer stillgestellten (flachen oder dreidimensionalen) Figur und ih- rer Übertragung in Bewegung. In der Lithografie, die dem gedruckten Wort der Wiener Allgemeinen The- aterzeitung als bildliches Supplement beigelegt wurde, ist der Sprung aus dem Bild als Bild festgehalten (Abb. 1). Der Sprung aus dem Bild in die Szene (und die Rückübertragung dieses Sprungs ins Bild) markiert die Überschrei- tung der Gattungsgrenzen, die dem Prozess der Aufzeichnung zugrunde liegt und die wiederum die Basis dieser historiografischen Arbeit bildet. Die- se Bild-Szene legt nahe, dass das ideale Medium der Aufzeichnung dieser Bewegungen nicht die Schrift ist, sondern das Bild. Tanzkritik, Paradigma einer beschreibenden Nachschrift von Tanz, be- dient sich, wie das Beispiel aus der Times belegt, gerade nicht der Hypotypo- se, also einem lebhaften Vor-Augen-Stellen,23 sondern der Auslassung der Beschreibung, also einer Praeteritio.24 Der Kritiker evoziert die Größe des

 22 Vgl. Brandstetter: „Figura: Körper und Szene“, S. 34 f. 23 Vgl. dazu Brandl-Risi: BilderSzenen, S. 192 ff. 24 Christina Thurner listet den Unsagbarkeitstopos als Aspekt des „Diskurses der Emphase“ der romantischen Tanzkritik. Christina Thurner: Beredte Körper – be- wegte Seelen. Zum Diskurs der doppelten Bewegung in Tanztexten, Bielefeld 2009, S. 163 ff. Gegenüber dem Unsagbarkeitstopos impliziert die Praeteritio 18 | ARABESKEN

Beschriebenen, in der Behauptung es nicht beschreiben zu können: ‚we cannot give an idea…‘. Erst im Delirium des Malers wird sichtbar, was dem Schreibenden entgeht.

Das Ornamentale in seiner Position zwischen Schrift und Bild erweist sich im 19. Jahrhundert – so eine der zentralen Annahmen dieser Arbeit – besser geeignet als die rein schriftliche oder symbolische Notation, um das optische Spektakel des Balletts zu erfassen, wie auch um deren Stil und Grazie wie- derzugeben. (Wort-)Schrift und symbolische Notation bilden im frühen 19. Jahrhundert nur ein Element der hybriden Aufzeichnungsformen des Bal- letts und stehen in einem Ensemble mit Diagrammen, Zeichnungen, Skiz- zen und anderen konventionalisierten Systemen wie der Musiknotation. Die (ornamentalen) Linien, die den Tanz aufzeichnen, können sich als Wort- schrift realisieren, wie auch als Symbole oder Zeichen einer Notation, als Zeichnung oder Arabeske, die sich zwischen diesen Formen bewegt. Zentral bleibt auch im 19. Jahrhundert der Figur-Begriff. Er gewinnt im Ornamentalen eine neue Dimension hinzu und sein Verhältnis zum Rah- men, wie auch zum Grund der Darstellung, tritt in den Vordergrund. Die Figur tritt, in diesem neuen optischen Figurverständnis,25 gleichermaßen zurück ins Bild: die einzelne Figur geht in die Gruppenfiguration über, die Figur löst sich im (ornamentalen) Dekor auf und der Körper selbst wird Or- nament. Diese Figuren sind phantasmata, deren Möglichkeit in den (orna- mentalen) Notationen entworfen wird und die in diesen Notationen als Nach-Bilder aufgezeichnet werden. Der Einbildungskraft kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Dieser Begriff wurde im frühen 16. Jahrhundert als deutsche Übertragung der grch. phan- tasia eingeführt, dem Vermögen, das Bilder (phantasmata) produziert. Bis zum 18. Jahrhundert werden Einbildungskraft, Fantasie und das lateinische Äquivalent Imagination meist gleichbedeutend verwendet und zwar allesamt unter negativen Vorzeichen. Einbildungskraft wird als materielles und kör- perliches Vermögen konzeptualisiert, das gegenüber der (immateriellen) transzendentalen Wahrheit unzuverlässig und anfällig für Fehler sei.26 Im  einen Abbruch der Rede, der hier in einem Medienwechsel vom Text zum Bild resultiert. 25 Vgl. Kap. 5 dieser Arbeit. 26 Jochen Schulte-Sasse: „Einbildungskraft/Imagination“, in: Karlheinz Barck u.a. (Hg.): Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, Bd. 2, Stuttgart/Weimar 2001, S. 88-120, hier S. 93. EINLEITUNG | 19

18. Jahrhundert vollzieht sich ein abrupter Bruch in der Bewertung der Ein- bildungskraft. In der aufkommenden Disziplin der Ästhetik, der idealisti- schen Philosophie und der literarischen Romantik wird diese radikal aufge- wertet und erhält subjektkonstituierenden Status. Im Gegensatz zum klassi- schen Ideal der Mimesis imitiert die Einbildungskraft die Wirklichkeit nicht, sondern führt diese weiter und produziert Bilder, die das Auge nicht sieht. Dabei entwickelt die Einbildungskraft einen Bezug auf die Zukunft und wird (produktives) Entwurfsvermögen: „Das autonome Individuum der Moderne, dem eine kreative Einbildungskraft zugeschrieben wird, stellt sich damit als ein sich auf imaginäre ‚Bilder‘ beziehendes heraus.“27 Im 18. Jahrhundert scheiden sich außerdem begrifflich Einbildungskraft und Fantasie. Die ro- mantische Philosophie des 19. Jahrhunderts wertet die zügel- und regellose Fantasie auf und setzt sie erkenntniskritisch gegen die poetisch disziplinier- te (und disziplinierende) Einbildungskraft ein.28 Dem folgt die romantische Literatur. Autoren wie E. T. A. Hoffmann, Jean Paul und später Charles No- dier erkunden die Grenzen und Möglichkeiten der Fantasie und versuchen die Kräfte zu wecken, „die in der Sprachkraft der Bilder schlummern und die vom schöpferischen Autor wie vom produktiven Leser als wucherndes Ima- ginäres aus dem Buchstaben erweckt werden können.“29 Während die romantische Literatur vielfach den Übergang (oder Sprung) zwischen Schrift und Bild versucht (und problematisiert), erfordert die Prä- senz des Körpers im Ballett ein triadisches Modell zwischen inkorporierter Skulptur, Zeichnung und Zeichen. Die physikalische Realität des Körpers auf der Bühne setzt der Fantasie einerseits Grenzen, andererseits entwickelt das Ballett des 19. Jahrhunderts ästhetische Strategien, die einen fantasti- schen Blick auf Körper ermöglichen bzw. diesen erst erzeugen. Die wuchernde Aufzeichnung des Balletts des frühen 19. Jahrhunderts in unterschiedlichen Medien und Notationsformen korreliert so mit dem fan- tastischen Aspekt dieser Ballette, da diese selbst delirierende Effekte erzeugt.  27 Ebd., S. 92 f. 28 Vgl. Jochen Schulte-Sasse: „Phantasie“, in: Karlheinz Barck u.a. (Hg.): Ästheti- sche Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, Bd. 4, Stutt- gart/Weimar 2002, S. 778-798. Für Friedrich Schlegel sind Fantasie und die Form Arabeske eng verwandt. Vgl. Karl Konrad Polheim: Die Arabeske. Ansich- ten und Ideen aus Friedrich Schlegels Poetik, München/Paderborn 1966, S. 242 ff. 29 Gerhard Neumann, Günter Oesterle: „Einleitung“, in: dies.: (Hg.): Bild und Schrift in der Romantik, Würzburg 1999, S. 9-23, hier S. 12. 20 | ARABESKEN

Das Ornament ist somit ideale Aufzeichnungsform der Ballette im frühen 19. Jahrhundert, da es den halluzinatorischen Effekt, den diese zum Ziel ha- ben, in der Aufzeichnung – und der Betrachtung der Aufzeichnung – wiederholt. Die Notationen dienen weniger zur Sicherung der Werke als zu ihrer phantasmatischen Ergänzung. Sie zeichnen die Bilder nach, die im Kopf der Betrachtenden entstanden sind: Le Délire du spectateur.

ZUR METHODE  Diese Arbeit ist, wie bereits angedeutet, geprägt vom Archiv. Archive des Tanzes, als institutionalisierte Orte der Sammlung tanzhistorischen Materi- als, bilden den Ausgangspunkt dieser Untersuchung. Archive des Tanzes sind im erweiterten Sinn auch ihr zentraler Gegenstand, denn Aufzei- chungsmedien wie Lithografien, Skizzen, Traktate und Notationen sind ebenfalls Speicherorte der tänzerischen Bewegung. Das Verfahren, mit dem sich diese Arbeit dem Archiv nähert, ist die Archäologie. In dieser Arbeit gibt es einen zweifachen Bezug zur Archäologie: einer- seits als metaphorische Bezeichnung einer historiografischen Methode ‚nach Foucault‘, die die mediale Verfasstheit der Überlieferung und Konstitution von Geschichte mitbedenkt; sowie andererseits als konkrete historische Aus- grabungspraxis, die an der kunsthistorischen Wiederbelebung des Ornamen- talen und insbesondere der Arabeske im 18. Jahrhundert beteiligt war. Mit dem Archiv und dem korrespondierenden Verfahren der Archäologie sind die methodischen Grundsätze dieser Arbeit benannt, die im folgenden Ab- schnitt vorgestellt werden.

Phantasmagorische Historiografie  Tanzgeschichtsschreibung findet bis weit ins 20. Jahrhundert größtenteils außerhalb der akademischen Institutionen statt. Eine Theoriedebatte über Tanzhistoriografie hat erst in den letzten Jahren eingesetzt.30 Tanzgeschichte  30 Vgl. die Beiträge von Christina Thurner und Gabriele Klein in der von Gerald Siegmund herausgegebenen Ausgabe von Forum Modernes Theater 23/1 (2008) und den Band Christina Thurner, Julia Wehren (Hg.): Original und Revival. Geschichts-Schreibung im Tanz, Zürich 2010. Im englischsprachigen Raum hat die akademische Reflexion darüber bereits in den 1990er Jahren eingesetzt, vgl. exemplarisch Susan Leigh Foster: „Choreographing History. Manifesto for EINLEITUNG | 21 zu schreiben bedeutete davor, auf der Basis von Kritiken, Lithografien, Bio- grafien und anderen Quellen ein möglichst abschließendes und vollständi- ges Bild einer Epoche, Institution oder des Werks einzelner Tänzer*innen oder Choreograf*innen zu entwerfen. Der gelernte Rechtsanwalt Ivor Guest, dessen Schriften im englischsprachigen Raum bis heute stark rezipiert wer- den, hat mit dieser Herangehensweise das Ballett des 19. Jahrhunderts be- schrieben. Seine Bücher legen den Grundstein für eine historische Beschäf- tigung mit diesem Jahrhundert und stellen häufig die erste umfassende Dar- stellung ihres Gegenstands dar. Guests Fokussierung auf Anekdotisches, Biografisches, seine psychologisierenden Narrative und fehlende Quellenkri- tik erschweren heute jedoch eine akademische Verwendung dieser Arbeiten. Guest selbst ist sich dabei der fehlenden theoretischen Fundierung seiner Arbeiten bewusst:

„When it was pointed out to him, in conversation, that he was being criticized in some quarters for a failure to rise above the historical record and synthesize larger theories, he replied (in his usual unflappable way) that he was not good at such things and so worked away at what he was good at – basic research and establishing a clear historical record – so that others could use this material to come to their own conclusions.“31

Guests Idee eines clear historical record ist jedoch ein Phantasma, denn jede Geschichte ist zugleich Historie wie Erzählung und nach subjektiven Er- kenntnisinteressen verfasst.32 Guest beabsichtigt mit seinen Arbeiten, wie er in den Adventures of a Ballet Historian erklärt, „to achieve a detailed reconstruction of the past – in short, to bring it to life for the reader.“33 Er

 Dead and Moving Bodies“, in: dies. (Hg.). Choreographing History, Bloomington 1995, S. 3-21. 31 George Dorris: „Ivor Guest. An Appreciation“, in: Dance Chronicle 24/1 (2001), S. 1-5, hier S. 3. 32 Die von Reinhart Koselleck in den 1970er Jahren eingeführte Reflexivierung der Geschichtswissenschaft betrifft auch die Tanzwissenschaft, vgl. Christina Thur- ner: „Zeitschichten, -sprünge und -klüfte. Methodologisches zur Tanz-Geschichts- Schreibung“, in: Forum Modernes Theater 23/1 (2008), S. 13-18, wie auch Sa- bine Huschka: „Vom vergangenen Tanz Wissen“, in: Nicole Haitzinger, Karin Fenböck (Hg.): DenkFiguren. Performatives zwischen Bewegen, Schreiben und Erfinden, München 2010, S. 224-233. 33 Ivor Guest: Adventures of a Ballet Historian. An Unfinished Memoir, London 1982, S. 17. 22 | ARABESKEN geht in seinem historiografischen Projekt wie in einer Geisterbeschwörung vor – womit er ein häufiges Motiv der Ballette im 19. Jahrhundert wiederholt. Seine Historiografie ist somit eher eine Phantasmagorie als ‚clear record‘, nüchterne Wiedergabe von Fakten, und somit selbst immanent romantisch. Mehr noch als die Theaterwissenschaft ist die Tanzhistoriografie geprägt vom ‚Verlust des Ereignisses‘, dem vergänglichen und irreduzibel verlorenen Untersuchungsgegenstand, wie Sabine Huschka bemerkt. Huschka weist auf die Historizität der Denkfigur des Flüchtigen hin, die aus dem 18. Jahr- hundert stamme, und ordnet das historiografische Ziel eines klaren und le- bendigen Bildes einer historischen Aufführung als romantisch ein. Sie for- muliert dagegen die Notwendigkeit, der Vergänglichkeit der Aufführung nicht (melancholisch) anzuhängen, sondern in eine Reflexion über das Transitorische der Gattung umzuwenden: „Die mögliche Radikalität der Tanzwissenschaft und ihrer Historiographie liegt […] in der unbedingten Anerkennung des Verlusts und einer hierüber eingesetzten Erinnerungskul- tur im Schreiben.“34 Auch zeitgenössische, reflexive Tanzgeschichtsschreibung wie die vorlie- gende Arbeit ist phantasmatisch affiziert.35 Von den Geistern und Traumer- scheinungen, die dabei in „historiografischen Visionen“ zum Sprechen und Tanzen gebracht werden,36 lässt sich diese jedoch nicht erschrecken, son- dern vollzieht die (phantasmagorischen) Mechanismen ihrer Hervorbrin- gung nach.

Das Archiv ist der Ort für diese Erinnerung, eine institutionalisierte Ge- dächtnisstütze. Es bildet die Grundlage der vorliegenden Arbeit, deren Mate- rial verschiedene Aufzeichnungsformen von Tanz sind, verschiedene Medi- en, die sich um Ballettwerke gruppieren. Da die folgenden Ausführungen sich primär mit Aufzeichnungstechniken und sekundär mit deren Reflexen in der Aufführung oder im Werk – wenn diese überhaupt in den Aufzeich- nungen erkennbar sind – beschäftigen, werden performative Kategorien wie Virtuosität, die in der Ballettästhetik des 19. Jahrhunderts eine zentrale Rolle

 34 Huschka: „Vom vergangenen Tanz Wissen“, S. 232. 35 „Historiographie scheint in der Tanzwissenschaft aber nicht nur mit vergange- nen Praktiken umzugehen, sondern sie ist gewissermassen von einem letztlich verlorenen Ereignisraum von Tanz und Bewegung (phantasmatisch) affiziert.“ Sabine Huschka: „Vom vergangenen Tanz Wissen“, S. 231. 36 Christina Thurner: „Tänzerinnen-Traumgesichter. Das Archiv als historiografische Vision“, in: Tanz und Archiv: Forschungsreisen 2 (2010), S. 12-21. EINLEITUNG | 23 spielt, nur am Rande verhandelt. Das Präsentische der Aufführung, das Erika Fischer-Lichte über die Analyse von Theater und Performance im 20. Jahrhundert als leibliche Ko-Präsenz von Akteur und Zuschauer be- stimmt,37 ist nicht Gegenstand dieser Arbeit, sondern die Spuren oder An- zeichen einer vergangenen Präsenz sowie die (fantastische bzw. phantasma- tische) Mechanik ihrer Wahrnehmung. Denn das Archiv wird, wie Jacques Derrida ausführt, „niemals das Gedächtnis noch die Anamnese in ihrer spontanen, lebendigen und inneren Erfahrung sein. Sondern ganz im Ge- genteil: das Archiv hat Statt (a lieu) an Stelle (au lieu) einer ursprünglichen und strukturellen Schwäche besagten Gedächtnisses.“38 Das Archiv ist hy- pomnestisch: mnemotechnisches Supplement, Hilfsmittel oder Gedächtnis- stütze.39 Diese Arbeit beschreibt Archivdokumente und die Art und Weise, in der diese das Ornamentale des Balletts im frühen 19. Jahrhundert entwer- fen und aufzeichnen, wie auch die fantastischen Effekte des Lesens und Be- trachtens dieser Dokumente, die eine theatrale Betrachtungsweise wiederho- len oder präfigurieren. Sie beschreibt die Mechanismen einer historischen Phantasmagorie, ohne dabei selbst Geister zum Leben erwecken zu wollen.

Archäologie

Der Begriff Archäologie ist seit einigen Jahren zum Leitbegriff verschiedener kulturwissenschaftlicher, historiografischer und künstlerischer Arbeiten ge- worden, die sowohl an die wissenshistorischen Arbeiten von Michel Foucault anschließen, wie auch an die archäologischen Methoden Sigmund Freuds, Walter Benjamins oder Aby Warburgs.40

 37 Erika Fischer-Lichte: Ästhetik des Performativen, Frankfurt/Main 2004. 38 Jacques Derrida: Dem Archiv verschrieben. Eine Freudsche Impression, Berlin 1997, S. 25. 39 Vgl. ebd. 40 Die hier vorgestellte Ornamentarchäologie ist bis zu einem gewissen Grade der Methode Aby Warburgs verwandt, die ebenfalls archäologisch vorgeht. Das Or- namentale, besonders die Arabeske, nimmt eine in dieser Studie analoge Posi- tion zu Warbugs Pathosformeln ein, die als ‚Dynamogramme’ ebenfalls Bewe- gung indizieren. Für Warburg speichern die Pathosformeln jedoch Affekte und (psychische) Energien und sind somit Untersuchungsinstrumente einer Psycho- historie, die in dieser Studie explizit nicht verfolgt wird. Vgl. dazu Aby Warburg: „Mnemosyne Einleitung“, in: ders.: Werke in einem Band, hg. von Martin Treml, Sigrid Weigel und Perdita Ladwig, Frankfurt/Main 2010, S. 629-639; sowie Gab- 24 | ARABESKEN

Seit Foucaults Archäologie des Wissens (1969/1973) hat in den Geschichts- und Kulturwissenschaften ein Umdenken bezüglich der Narration von Geschich- te und der Materialität der Übertragung geschichtlichen Wissens eingesetzt, in dem das Archiv, als Ort seiner Speicherung, zunehmend in den Blick ge- treten ist: „An der Basis dieser Revision [in den Geschichts- und Kulturwis- senschaften] steht die Erkenntnis, dass Techniken und Medien, Apparate und Instrumente nicht externe Träger des kulturellen Wissens um die Ver- gangenheit sind, sondern zu deren primären Produzenten zählen.“41 Archäologie fasst seit Foucault schlagwortartig unterschiedliche Weisen materialbasierter historiografischer Forschung zusammen, die das Augen- merk auf die Medialität der Geschichtsschreibung lenken. Dabei geraten insbesondere unterschiedliche Speichermedien und Aufzeichnungstechni- ken in den Blick, sowie die Art und Weise, wie diese Wissen konfigurieren. Der Weg führt dabei oft an den physischen Speicherort von Wissen, ins buchstäbliche Archiv, das bei Foucault hingegen ‚nur‘ metaphorisch auf- taucht: „Räumlich sind die Erben Foucaults […] dort angekommen, wo das Archivdenken seinen metaphorischen Ausgang nahm.“42 Foucault nennt in der Archäologie des Wissens die neue Ausrichtung der Historiografie eine „Infragestellung des Dokuments“,43 in dem die Geschich- te nicht mehr die „Frische seiner Erinnerungen“44 wiederfindet, sondern das Dokument in ein Monument transformiert wird, um dieses

„von innen zu bearbeiten und es auszuarbeiten: [die Geschichte] organisiert es, zer- legt es, verteilt es, ordnet es, teilt es nach Schichten auf, stellt Serien fest, unterschei- det das, was triftig ist, von dem, was nicht ist, findet Elemente auf, definiert Einhei-

 riele Brandstetter: Tanz-Lektüren. Körperbilder und Raumfiguren der Avantgar- de, 2. erweiterte Auflage, Freiburg 2013. 41 Knut Ebeling: „Die Mumie kehrt zurück II. Zur Aktualität des Archäologischen in Wissenschaft, Kunst und Medien“, in: ders., Stefan Altekamp (Hg.): Die Aktuali- tät des Archäologischen in Wissenschaft, Medien und Künsten, Frankfurt/Main 2004, S. 9-30, hier S. 15; vgl. auch Knut Ebeling: Wilde Archäologien 1. Theo- rien der materiellen Kultur von Kant bis Kittler, Berlin 2012. 42 Knut Ebeling, Stephan Günzel: „Einleitung“; in: dies. (Hg.): Archivologie. Theorien des Archivs in Philosophie, Medien und Künsten, Berlin 2009, S. 7-26, hier S. 12. 43 Michel Foucault: Archäologie des Wissens. Eine Archäologie der Humanwissen- schaften, Frankfurt/Main 1973, S. 14, herv. i.O. 44 Ebd., S. 15. EINLEITUNG | 25 ten, beschreibt Beziehungen. Das Dokument ist also für die Geschichte nicht mehr jene untätige Materie, durch die hindurch sie das zu rekonstruieren versucht, was die Menschen gesagt oder getan haben, was Vergangenheit ist und wovon nur die Spur verbleibt: sie sucht nach der Bestimmung von Einheiten, Mengen, Serien, Beziehun- gen in dem dokumentarischen Gewebe selbst.“45

Diese methodische Neuausrichtung verlangt ein (historiografisches) „Den- ken der Diskontinuität“,46 das lineare historische Narrative aushebelt, und verunmöglicht die Idee einer unmittelbaren Erkenntnis der Vergangenheit im Angesicht der ‚authentischen‘ und ‚originalen‘ Aussagen in den Doku- menten. Die Tanzwissenschaft scheint hier besonders prädestiniert dafür, das „Vergangene in seiner Transitorik“47 zu bedenken und steht damit grund- sätzlich der Archäologie, wie sie nach Foucault beschrieben wird, nahe:48 Im Tanzarchiv trifft man nicht auf die unmittelbare Ansicht der vergangenen Bewegung (wie in einer Phantasmagorie oder dem Kino), sondern auf ihre (hypomnestischen) Spuren und Reste, ihre traces (in einer Doppeldeutigkeit als Spur und Zeichnung), wobei der Tanz selbst die Leerstelle bleibt.49 Thea- ter- und Tanzgeschichtsschreibung, die eine Geschichte der Aufführung an- strebt, verfügt, wie Friedemann Kreuder herausgestellt hat, ausschließlich über Dokumente und keine Monumente. 50 Die vorliegende Arbeit kon-  45 Ebd., S. 14, Herv. E.W. 46 Ebd., S. 13. 47 Huschka: „Vom vergangenen Tanz Wissen“, S. 230. 48 Knut Ebeling spricht von einer „fundamentalen Verborgenheit“ der Archäologie, deren Vergangenheit meist nicht nur verschwunden, sondern auch zerstört ist. Vgl. Ebeling: „Die Mumie kehrt zurück II“, S. 21. Giorgio Agamben beschreibt sie als „Ruinologie“: „Die Archäologie ist […] eine Wissenschaft von den Ruinen, ei- ne ‚Ruinologie‘, deren Gegenstand, obschon er kein transzendentales Prinzip im eigentlichen Sinne konstituiert, niemals wirklich als ein empirisch gegebenes Ganzes präsent ist.“ Giorgio Agamben: Signatura rerum. Zur Methode, Frank- furt/Main 2009, S. 102. 49 Vgl. Gabriele Brandstetter: „Fundstück Tanz. Das Tanztheater als Archäologie der Gefühle“, in: Johannes Odenthal (Hg.): tanz.de. Theater der Zeit Arbeitsbuch 2005, Berlin 2005, S. 12-19. 50 Friedemann Kreuder: „Theaterhistoriographie“, in: Erika Fischer-Lichte, Doris Ko- lesch, Matthias Warstat (Hg.): Metzler Lexikon Theatertheorie, Stuttgart/Weimar 2005, S. 344-346, hier S. 344. 26 | ARABESKEN zentriert sich auf die Dokumente, die in der hier skizzierten Herangehens- weise selbst zu Monumenten werden. Statt den Werken, werden Notationen und Aufzeichnungen – besonders deren dokumentarisches Gewebe – zu Monumenten, die archäologisch beschrieben werden.51 Diese Arbeit lehnt sich methodisch an Foucault an, folgt seiner Methode jedoch nicht streng und modifiziert sie für den hier betrachteten, ästheti- schen Gegenstand. Archiv und Archäologie werden dabei enger (und buch- stäblicher) gefasst als bei Foucault, gleichzeitig werden aber auch Aspekte seiner (metaphorischen) Verwendung beibehalten. So steht der Begriff Ar- chiv für die ‚realen‘ Archive, aus denen das (größtenteils unveröffentlichte) Material für diese Studie gehoben wurde. Die Sammlungskriterien dieser Archive, die Techniken und Praktiken der archivarischen Aufbewahrung, Ka- talogisierung, Sortierung, Speicherung und Veröffentlichung sind zwar nicht Gegenstand dieser Arbeit,52 geben dieser jedoch den Rahmen. Be- stimmte Fragen, wie z.B. wann genau die Arabeske zu der Pose geworden ist, wie wir sie heute kennen, müssen aufgrund fehlender Dokumente (vor- erst) offen bleiben. Dennoch lässt sich auch Foucaults metaphorischer Begriff des Archivs für diese Untersuchung anwenden. Notation, die hier auch Skizzen, Litho- grafien, Keepsakes, Kritiken, Libretti und Traktate umfasst, lässt sich (meta- phorisch) als Archiv bezeichnen. Die Notation und das Ornament bilden „das allgemeine System der Formation und Transformation der Aussagen“53 (des Tanzes) und stellen ihre mediale Grundlage dar. Die Herangehensweise die-

 51 Für einen ähnlichen historiografischen Ansatz in Bezug auf das 20. Jahrhundert vgl. Tessa Jahn, Eike Wittrock, Isa Wortelkamp: „Bilder von Bewegung. Eine Ein- führung“, in: dies. (Hg.): Tanzfotografie. Historiografische Reflexionen der Mo- derne, Bielefeld 2015, S. 11-28. 52 Für unterschiedliche Ansätze in diese Richtung vgl. Nicole Haitzinger, Claudia Jeschke: „Körper und Archive. Die Derra de Moroda Dance Archives in Salz- burg“, in: Johannes Odenthal (Hg.): tanz.de. Theater der Zeit Arbeitsbuch 2005, Berlin 2005, S. 29-31; Karin Fenböck: „Derra de Moroda. Dem Archiv verschrie- ben?“, in: Tanz und Archiv: Forschungsreisen 3 (2010), S. 12-19; sowie zu Jo- seph Cornells Archivhalluzinationen, Eike Wittrock: „Clowns, Elephants, and Bal- lerinas. Joseph Cornell’s Vision of 19th Century Ballet in Dance Index (as colla- ge)“, in: Conversations Across the Field of Dance 31 (2011), S. 14-23. 53 Michel Foucault: Archäologie des Wissens, S. 188. Herv. i.O. EINLEITUNG | 27 ser Arbeit lässt sich somit als Archäologie des Ornamentalen bezeichnen, die gleichzeitig eine Archäologie der Notation ist.54 Dem Verständnis von Archäologie als historiografischer Methode nach Foucault, die erlaubt Techniken der grafischen/zeichnerischen Übertragung und den medialen Status der Arabeske zu reflektieren, steht ein konkretes Interesse des frühen 19. Jahrhunderts an der Archäologie gegenüber. Das Ornamentverständnis dieser Zeit ist, bis ins Ballett hinein, archäologisch ge- prägt. Eine der Urszenen der Ornamentdiskussion des 18. und 19. Jahrhun- derts, die archäologischen Ausgrabungen der Arabesken und der Tänzerin- nen von Herculaneum, ist Gegenstand des 2. Kapitels.

Notation

Notationen des Ornamentalen und ornamentale Notationen des Balletts im frühen 19. Jahrhundert bilden den zentralen Untersuchungsgegenstand die- ser Arbeit. In der Geschichte der Tanznotation stellt das 19. Jahrhundert je- doch eine Übergangszeit dar, in der sich keine standardisierte oder Univer- salität beanspruchende Form der Tanzaufzeichnung durchsetzt.55 Im Ge- gensatz zur musikalischen Notenschrift, die in Europa seit dem 12. Jahrhun- dert eine mehr oder minder kontinuierlich sich ausdifferenzierende Ent- wicklung einer einzigen Notationsform darstellt, reagiert der Tanz mit einer Vielzahl unterschiedlicher Entwürfe auf die historisch spezifischen Anforde- rungen an Tanzschrift.56 Im 19. Jahrhundert werden eine Vielzahl nicht syn-  54 Théophile Gautier hat dieses Vorgehen bereits 1844 angekündigt, als er das Al- bum Les Beautés de l’Opéra als künftiges „précieux ouvrage d’archéologie dra- matique“ anpries. Théophile Gautier: „Reprise de la Sylphide. Rentrée de Mlle. Taglioni“, in: La Presse, 3.06.1844, S. 1. 55 Zur Tanzschrift des 18. Jahrhunderts vgl. S. 238 ff. dieser Arbeit. Die Bemühun- gen von Rudolf Laban um Tanznotation, wie die Entwicklung seiner Labanotati- on, dokumentiert die Zeitschrift Schrifttanz, die von 1928-1931 in der Universal Edition erschien. Vgl. Schrifttanz. Eine Vierteljahresschrift. Schriftleitung Alfred Schlee 1-4 (1928-1931), Neudruck hg. von Gunhild Oberzaucher-Schüller, Hil- desheim 1991. 56 Für einen systematischen Überblick zur Geschichte der Tanznotation siehe Ann Hutchinson Guest: Choreo-Graphics. A Comparison of Dance Notation Systems from the Fifteenth Century to the Present, New York 1989; wie auch Claudia Je- schke: Tanzschriften. Ihre Geschichte und Methode. Die illustrierte Darstellung eines Phänomens von den Anfängen bis zur Gegenwart, Bad Reichenhall 1983. 28 | ARABESKEN thetisierbarer Notationsexperimente entwickelt, die der Herausforderung ei- ner zunehmenden technischen Komplexität der körperlichen wie räumli- chen Bewegungen auf der Tanzszene des 19. Jahrhunderts eklektisch und idiosynkratisch begegnen.57 Diese Arbeit betrachtet daher unterschiedliche Aufzeichnungsformen und beschreibt, welche Rückwirkungen deren Möglichkeiten und Beschrän- kungen auf den Gegenstand der Aufzeichnung – das Ballett – ausüben. Auf- zeichnung darf dabei nicht als vollständige und wahrheitsgetreue Übertra- gung, exakte Reproduktion einer Bewegung oder Tanzaufführung verstan- den werden, da der Medienwechsel der Notation notwendigerweise Trans- formation impliziert.58 Notation wird hier mit Gabriele Brandstetter verstan- den, die Nelson Goodmans normative Definition von Notation als Identifika- tion eines Werks59 zugunsten eines offenen Verständnisses von „Formen des Notationellen“ als „Formen der Strukturierung künstlerischer Gestal- tungsprozesse“ 60 erweitert. Als Notationen werden im Folgenden unter- schiedliche Materialien verstanden, die das Ornamentale des Balletts im frü-  57 Vgl. Claudia Jeschke, Gabi Vettermann, Nicole Haitzinger: Interaktion und Rhyth- mus. Zur Modellierung von Fremdheit im Tanztheater des 19. Jahrhunderts, München 2010, S. 488 (Autorin dieses Abschnitts ist Claudia Jeschke). 58 „Mit der Auf-Zeichnung, mit der Übertragung – die stets einen Medienwechsel impliziert – ist immer schon eine Transformation geschehen. […] Dies zu reflek- tieren und zu zeigen, wäre […] ein wesentliches Moment der Beschreibung selbst, die Aufzeichnung und Episteme des Aufzeichnens als ‚Kunst‘ (im Sinne von techné) begreift.“ Gabriele Brandstetter: „Aufführung und Aufzeichnung – Kunst der Wissenschaft?“, in: dies.: Bild-Sprung. TanzTheaterBewegung im Wechsel der Medien, Berlin 2005, S. 199-210, hier S. 200 f. 59 Nelson Goodman: Sprachen der Kunst. Entwurf einer Symboltheorie, Frank- furt/Main 1995, S. 125. Ein emphatischer Werkbegriff, der von Aufführung zu Aufführung identisch ist, bildet sich im Tanz erst gegen Ende des 19. Jahrhun- derts aus. Einige der hier betrachteten Notation von Henri Justamant können als Indiz der Etablierung dieser Kategorie betrachtet werden. 60 Gabriele Brandstetter, Franck Hofmann, Kirsten Maar: „Einleitung. Notationen und choreographisches Denken“, in: dies. (Hg.): Notationen und choreographi- sches Denken, Freiburg 2010, S. 7-26, hier S. 7. Vgl. ebenfalls Gabriele Brand- stetter: „Schriftbilder des Tanzes. Zwischen Notation, Diagramm und Ornament“, in: Sybille Krämer, Rainer Totzke, Eva Cancik-Kirschbaum (Hg.): Schriftbildlich- keit. Wahrnehmbarkeit, Materialität und Operativität von Notationen, Berlin 2012, S. 61-77. EINLEITUNG | 29 hen 19. Jahrhundert sowie deren technischen, ästhetischen, theoretischen und aufführungspraktischen Aspekte aufzeichnen, vorzeichnen und nach- zeichnen. Diese Notations- und Aufzeichnungsformen sind Hybride und in- tegrieren verschiedene Schrift-, Zeichen- und Zeichnungsformen. Sie sind sowohl Entwurfsinstrument, wie auch Imaginationsmaschine (ein spiritisti- sches Medium), um die ornamentale (arabeske) Fortführung der Bewegun- gen und Posen in der Vorstellung der Betrachtenden anzustoßen. Notation wird dabei als Aufzeichnung von Bewegungen und Posen ge- dacht, die zwar immer wieder an Schrift heranrückt, aber im weiteren Feld des Graphismus zu verorten ist, der sowohl Schrift wie (bildhafte) Zeich- nung und das Ornamentale umfasst. Im Folgenden tritt das präskriptive Moment der Notation gegenüber dem bewahrenden und analytischen Mo- ment der Aufzeichnung in den Hintergrund.61 Aufzeichnung erscheint hier dennoch nicht jenseits der Aufführung, sondern daneben, am Rande der Aufführung: parergonal.62 In diesem Notationsverständnis werden jene Aspekte wichtig, die von Sybille Krämer als Schriftbildlichkeit beschrieben wurden. Krämer akzentu- iert mit diesem Begriff einen Perspektivwechsel hin zu einem lautsprachen- neutralen Schriftkonzept, das die operative Dimension von Schriften und Notationen in den Vordergrund rückt. Die von Krämer für Schrift aufgestell- ten Kriterien – Räumlichkeit, Graphismus, Operativität/Explorativität und Mechanisierbarkeit – treffen jedoch nicht alle in der von Krämer (gemein- sam mit Rainer Totzke) beschriebenen Weise für den hier bearbeiteten Ge-

 61 Vgl. Gabriele Brandstetter: „Notationen im Tanz. Dance Scripts und Übertragung von Bewegung“, in: dies., Franck Hofmann, Kirsten Maar (Hg.): Notationen und choreographisches Denken, Freiburg 2010, S. 87-108, hier S. 90. 62 Tanznotation unterscheidet sich hier von musikalischer Notation. Notation nimmt in der europäischen Tanzgeschichte keine so fundamental (gattungs-) identitätsstiftende Funktion ein wie in der Musik, ebenso dient Tanznotation auch nur äußerst selten zur Kommunikation zwischen Choreograf*in und Inter- pret*in. Zur Funktion der musikalischen Notation vgl. die Beiträge von Heidy Zimmermann, Peter Weibel und Angela Lammert im Katalog zur Notationsaus- stellung der Akademie der Künste, Berlin, die jedoch die Entwicklungen im 20. Jahrhundert fokussieren, in denen Notation selbstreflexiv wie entgrenzend eingesetzt wird. Hubertus Amelunxen, Dieter Appelt, Peter Weibel (Hg.): Notati- on. Kalkül und Form in den Künsten, Ausstellungskat. Akadmie der Künste Ber- lin, Berlin 2008. 30 | ARABESKEN genstand zu.63 Ihr Verständnis von Schriftbildlichkeit ist auf Sinn und Refe- renz ausgerichtet. Das Ornamentale und die Notation gehören zwar dem Feld des Graphismus an, das Aspekte der Schriftbildlichkeit berührt, sind jedoch in Krämers und Totzkes Verständnis von Schrift, aufgrund dessen hermeneutischer Ausrichtung, explizit ausgeschlossen.64 Im Folgenden tritt dagegen der Referenzcharakter in den Hintergrund. (Tanz-)Notation hat zwar notwendigerweise einen Bezug zur Aufführung, zu Bewegung oder Tanz, dieser ist jedoch operativ und muss nicht zwingend als Bedeutung oder Referenz gedacht werden. Notation hat primär eine organisierende und strukturierende Funktion 65 und ist auf Handlungen bezogen, nicht auf Sinn.66 In der Notation entfaltet sich der Operationsraum67 einer „wilden Diagrammatik“68, der sich durch graphic suggestiveness und manoeuvrability (Handhabbarkeit)69 auszeichnet, und sowohl entwerfendes, generatives wie auch analytisches Potenzial70 sowie eine fantastische Dimension beinhaltet.  63 Vgl. dazu Sybille Krämer, Rainer Totzke: „Einleitung. Was bedeutet ‚Schriftbild- lichkeit‘?“, in: dies., Eva Cancik-Kirschbaum (Hg.): Schriftbildlichkeit. Wahr- nehmbarkeit, Materialität und Operativität von Notationen, Berlin 2012, S. 13- 35. 64 Ebd., S. 19. Krämers und Totzkes Abgrenzung der Schrift vom Ornament basiert auf einem traditionellen Vorurteil gegenüber dem Ornament, nicht referenziell zu sein. Einen Überblick zu jüngeren Positionen der Ornamenttheorie gibt Kroll, Raulet: „Ornament“. 65 Vgl. dagegen Krämer, Totzke: „Einleitung. Was bedeutet ‚Schriftbildlichkeit‘?“, S. 19. 66 Diese Unterscheidung ließe sich noch weiter ausformulieren, bzw. ebenso der Schnittpunkt dieser beiden Begriffe aufzeigen. Vgl. exemplarisch dazu Hans Ul- rich Gumbrecht: Diesseits der Hermeneutik. Die Produktion von Präsenz, Frank- furt/Main 2004. 67 In Anlehnung an Sybille Krämer: „‚Operationsraum Schrift‘: Über einen Perspek- tivenwechsel in der Betrachtung der Schrift“, in: dies., Gernot Grube, Werner Kogge (Hg.): Schrift. Kulturtechnik zwischen Auge, Hand und Maschine, Mün- chen 2005, S. 23-57. 68 Brandstetter, Hofmann, Maar: „Einleitung. Notationen und choreographisches Denken“, S. 13. 69 Diese Begriffe wurden von Ursula Klein zur Beschreibung von ‚paper tools‘ her- angezogen. Ursula Klein: „Paper Tools in Experimental Cultures“, in: Studies in History of Philosophy and Science, 32/2 (2001), S. 265–302. Klein übernimmt diese Begriffe von Nelson Goodman, der diese Eigenschaften jedoch als unwe- EINLEITUNG | 31

Mit dem Begriff der „wilden Diagrammatik“, einer Übertragung von Aleida Assmanns Theorie der „wilden Semiose“71 auf die Notation, lässt sich die fantastische Dimension der Lektüre greifen, die – besonders im 19. Jahrhun- dert – mit der Materialität von Schrift verbunden ist. Brandstetter, Hofmann und Maar leiten davon eine „imaginative Grundoperation“72 in der Übertra- gung von Notation in Bewegung ab, die das Verhältnis von Notation und Tanz an ihrem Kern berührt und in der impliziten Schriftbildlichkeit des Balletts im 19. Jahrhundert reflektiert ist. Notation, so könnte man formulie- ren, rückt dabei einen Aspekt der Schriftbildlichkeit ins Zentrum, der in lite- rarischen Schrifttechniken besonders im Lesen zum Tragen kommt. Susan- ne Strätling verortet im Changieren der Schrift zwischen optischer und phantasmatischer Anschauung ein Vermögen, „die Wahrnehmbarkeit des Buchstabens mit der Vorstellbarkeit des Bildes zu verbinden“73 und gewinnt daraus ein Verständnis von Schrift (auch) als „Imaginationstechniken, als Operatoren von Phantasmen.“ 74 Das Ornament kann paradigmatisch für dieses Modell des Lesens einstehen, in dem das Schriftbild als Konstellation,

 sentlich für eine „grundlegende theoretische Funktion von Notationssystemen“ ansieht und daher nicht weiter verwendet. Vgl. Goodman: Sprachen der Kunst, S. 149. 70 „Zum Charakter der ‚Auf-Zeichnung‘ tritt die aktive, die schöpferische und analy- tische Seite der Notation.“ Brandstetter, Hofmann, Maar: „Einleitung. Notationen und choreographisches Denken“, S. 14. 71 Mit „wilder Semiose“ bezeichnet Assmann einen alternativen Modus des Lesens (den ‚faszinierenden Blick‘, das ‚Starren‘), das nicht zum Sinn durchdringt, son- dern an der Oberfläche und Materialität der Zeichen hängenbleibt und so die Schrift zum Bild macht. Aleida Assmann: „Die Sprache der Dinge. Der lange Blick und die wilde Semiose“, in: Hans Ulrich Gumbrecht, K. Ludwig Pfeiffer (Hg.): Materialität der Kommunikation, Frankfurt/Main 1988, S 238-251. 72 Brandstetter, Hofmann, Maar: „Einleitung. Notationen und choreographisches Denken“, S. 16. 73 Susanne Strätling: „Schrifterscheinungen. Das Alphabet als Medium von Epiphanie, Invention und Alterität (N.V. Gogol’)“, in: Sybille Krämer, Rainer Totz- ke, Eva Cancik-Kirschbaum (Hg.): Schriftbildlichkeit. Wahrnehmbarkeit, Materia- lität und Operativität von Notationen, Berlin 2012, S. 287-301, hier S. 293. 74 Susanne Strätling, Georg Witte: „Die Sichtbarkeit der Schrift zwischen Evidenz, Phänomenalität und Ikonizität. Zur Einführung in diesen Band“, in: dies. (Hg.): Die Sichtbarkeit der Schrift, München 2006, S. 7-18, hier S. 11. 32 | ARABESKEN als eine Anordnung von Elementen, gelesen wird.75 Über diesen Begriff des Schriftbilds und dessen magische Seite sind, wie Menke und Brandstetter mit Walter Benjamin formulieren, Ornament und Tanz verwandt.76 Diese Verwandtschaft wird in den ornamentalen Tanznotationen dieser Arbeit ex- plizit. Über diese imaginäre Grundoperation ist der Graphismus, den man im Ornamentalen des Balletts im 19. Jahrhundert auffinden kann, nicht auf die zweidimensionale Fläche77 beschränkt. Die Pose Arabeske ist eine Übertra- gung eines Ornaments in den dreidimensionalen Raum der Bühne und ope- riert im Zwischenspiel von flächiger Zweidimensionalität und räumlicher Dreidimensionalität. Sie exemplifiziert – als Pose – den kippfiguralen Aspekt des Ornaments, das mit der Illusion von Tiefe arbeitet und erschafft auf der Bühne die Illusion von Fläche. Schriftbildlichkeit fällt also in dieser Arbeit in zweifacher Weise ins Ge- wicht. Zum einen ist damit eine gemeinsame Dimension der vielfältigen No- tationen und Aufzeichnungsformen von Tanz angesprochen, die die materi- ale Grundlage dieser Arbeit bilden. Zum anderen verweist dieser Begriff auf ein Schriftbild-Werden des Tanzes selbst, wie es im 19. Jahrhundert an der Pose Arabeske und anderen ornamentalen Formationen zu beobachten ist. Das implizite Schriftbild des Tanzes kann so als performative Reflexion auf den historischen Stand der Tanznotation im 19. Jahrhundert, die eklektisch  75 Bettine Menke entwickelt dieses Modell mit Walter Benjamins „Lehre vom Ähn- lichen“. Benjamin nennt die im „Schriftbild“ der Wörter aufbewahrten „unsinnli- chen Ähnlichkeiten“ mit Bedeutung die ‚magische Seite‘ der Schrift, dessen Lesbarkeit er phylogenetisch vor der Schrift ansiedelt: „‚Was nie geschrieben wurde, lesen.‘ Dies Lesen ist das älteste: das Lesen vor aller Sprache, aus den Eingeweiden, den Sternen oder Tänzen.“ Ornament, Tanz und Sternkonstellatio- nen stehen bei Benjamin metonymisch für eine Grundoperation des Lesens (und Schreibens, bzw. Aufzeichnens) ein. Bettine Menke: „Ornament, Konstellation, Gestöber“, in: Susi Kotzinger, Gabriele Rippl (Hg.): Zeichen zwischen Klartext und Arabeske, Amsterdam 1994, S. 307-326; vgl. Walter Benjamin: „Lehre vom Ähnlichen“ sowie „Über das mimetische Vermögen“, in: ders.: Gesammelte Schriften, Bd. 2,1, hg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt/Main 1977, S. 204-213, hier S. 213. 76 Menke: „Ornament, Konstellation, Gestöber“, S. 310; Brandstetter, Hofmann, Maar: „Einleitung. Notationen und choreographisches Denken“, S. 15. 77 Für Krämer und Totzke eines der Merkmale von Schrift. Krämer, Totzke: „Was bedeutet ‚Schriftbildlichkeit‘“?, S. 16. EINLEITUNG | 33 und unsystematisch auf die veränderte Tanzästhetik reagiert, gelesen werden kann. In der Arabeske zeichnet sich Tanz selbst (auf). Im Folgenden soll einerseits die wilde Diagrammatik dieser Notationen rekonstruiert und ihre fantastischen Dimensionen auf dem Papier wie auf der Bühne beschrieben werden. Andererseits wird dabei selbst eine wilde Semiose praktiziert, in dem die Dokumente jenseits ihrer Rückübersetzbar- keit78 verortet und die Materialität dieser Zeichen und Zeichnungen auf ihre Ornamentalität hin betrachtet werden, die – so die These dieser Arbeit – ei- nen zentralen Aspekt des Balletts in dieser Zeit ausmachen.

Das Justamant-Konvolut  Einen zentralen, in dieser Arbeit immer wiederkehrenden, Materialkorpus bilden die choreografischen Notationen von Henri Justamant, daher soll die- ser hier kurz eingeführt werden. Claudia Jeschke hat die Tanzforschung auf diese Dokumente aufmerksam gemacht, die den bisher größten zusam- menhängenden Korpus von Ballett- und Inszenierungsnotationen des 19. Jahrhunderts bilden.79 Justamant hat seine Notationen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts angefertigt, unter ihnen finden sich auch Auf- zeichnungen zu zentralen Werken des frühen 19. Jahrhunderts, wie die frü- heste erhaltene choreografische Notation von Giselle.80 Justamants Notate wurden, möglicherweise als Nachlass, im Pariser Auk- tionshaus Drouot am 15. Mai 1893 versteigert. Die Auktion umfasste zwölf Konvolute, darunter befanden sich Notationen kompletter Werke mit teil- weise zusätzlichen Materialien wie Bühnenbild- oder Kostümskizzen, Tanz- einlagen und Notate einzelner Rollen, sowie einzelne Pas und Divertisse-  78 Einen Überblick über die praktischen Verwendungen von Bewegungsschrift gibt Jeschke: Tanzschriften, S. 44 f. 79 Vgl. Claudia Jeschke: „Inszenierung und Verschriftung. Zu Aspekten der Choreo- graphie und Choreo-Graphie im 19. Jahrhundert“, in: Katharina Keim, Peter M. Boenisch, Robert Braunmüller (Hg.): Theater ohne Grenzen. Festschrift für Hans- Peter Bayerdörfer zum 65. Geburtstag, München 2003, S. 256-265. Und dies. mit Robert Atwood: „Expanding Horizons: Techniques of Choreo-Graphy in Nineteenth-Century Dance“, in: Dance Chronicle 29/2 (2006), S. 195-214. 80 Das Manuskript befindet sich im Deutschen Tanzarchiv Köln und wurde 2008 in einer Faksimileausgabe veröffentlicht. Frank-Manuel Peter (Hg.): Giselle ou Les Wilis. Ballet Fantastique en deux actes. Faksimile der Notation von Henri Justamant aus den 1860er Jahren, Hildesheim 2008. 34 | ARABESKEN ments. Heute sind die Konvolute auf verschiedene Archive verteilt, ihr zwi- schenzeitlicher Verbleib ist teilweise ungeklärt.81 Größere Teile besitzen je- weils die Theaterwissenschaftliche Sammlung Schloss Wahn bei Köln, die Bibliothèque Nationale, Département de l’Opéra, Paris und die Performing Arts Collection der Public Library New York. Der Verbleib zweier Konvolute mit Choreografien aus dem Théâtre des Folies-Bergère (1872 und 1887-1889) sowie das Konvolut Nr. 11 Ballet divers ist unbekannt. Dieser Verlust ist inso- fern bedauernswert, als es sich dabei mit 60 Bänden um das umfangreichste Konvolut der Auktion handelt, das u.a. eine „importante réunion des livrets d’anciens ballets de l’Acadèmie de Musique et d’autres théâtres de Paris“82 sowie einen Werk-Katalog von Justamant enthält. Zu diesem Konvolut ge- hörte auch die Kölner Giselle-Notation, die 2002 als einzelne Notation auf einem Trödelmarkt in Regensburg auftauchte.83 Henri Justamant hat mit seinen Choreografien bislang keinen prominen- ten Platz in der Tanzgeschichte gefunden.84 Die Stationen seines beruflichen Werdegangs sind mittlerweile jedoch gut dokumentiert.85 Justamant beginnt  81 Aus dem Bestandsverzeichnis der Theaterwissenschaftlichen Sammlung Schloß Wahn geht hervor, dass die Notationen durch Carl Niessen in den Besitz dieses Archivs gelangt sind und vorher mindestens ein weiteres Mal den Besitzer ge- wechselt haben. Paul Ludwig: Henri Justamant (1815-1890). Kommentiertes Bestandsverzeichnis seiner Ballett-Notationen in der Theaterwissenschaftlichen Sammlung Schloß Wahn, Köln 2005, S. 11. 82 Catalogue de Livres Anciens et modernes et des manuscrits originaux des bal- lets et divertissements de M. Henri Justamant, Paris 1893, S. 20. Teilabdruck in Ludwig: Henri Justamant, S. 20. 83 Vgl. Frank-Manuel Peter: „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten: Die unsterbliche Giselle tanzt noch immer auf ihrem Grab“, in: ders. (Hg.): Giselle ou Les Wilis, S. vii-xvi, hier S. xv. 84 In Ivor Guest: The Ballet of the Second Empire 1858-1870, London 1953, wird Justamant nur einmal erwähnt, und zwar in seiner Rolle als kurzzeitiger maître de ballet an der Pariser Opéra. Das Divertissement für Gounods Faust Oper 1869 ist die einzige Choreografie von ihm, die Guest erwähnt, vgl. ebd., S. 114. 85 Seine Lebensdaten hat Gabi Vettermann anhand behördlicher Dokumente re- konstruiert. Justamant wurde am 29.03.1815 in Bordeaux geboren und starb am 2.02.1886 in Saint-Maur-des-Fossés bei Paris. Wie mit diesem Sterbedatum seine gut 20 Notationen aus den Jahren 1887 bis 1890 vereinbar sind, kann auch Vettermann nicht erklären. Gabi Vettermann: „In Search of Dance Crea- tors’ Biographies: The Life and Work of Henri Justamant“, in: Claudia Jeschke, EINLEITUNG | 35 seine Theaterkarriere wahrscheinlich 1828 als chef d’emploi am Grand Théât- re in Bordeaux, wo er 1837 maître de ballet wird. Anschließend arbeitet er in Theatern in Marseille, Lyon und Brüssel, ab 1866 in verschiedenen Pariser Theaterhäusern, u.a. als premier maître de ballet an der Pariser Opéra, aber auch an théâtres secondaires wie dem Porte Saint-Martin oder den Folies- Bergère. Weitere Anstellungen führen ihn nach Berlin und London. Justamants Notationen verfahren nach einem einfachen Schema (vgl. Abb. 6, 18-21, 27, 29-30 & 34-35). Sie sind stets als Buch gebunden86 und be- inhalten als Kern choreografische Notation. Teilweise sind neben den Cho- reografien noch Inhaltszusammenfassungen, Libretti, Kostümfiguren, Büh- nenbild- und Requisitenskizzen, Fotos von Tänzerinnen und Zeitungsaus- schnitte beigelegt. Seine Notationsweise erläutert Justamant in der Regel zu Beginn des Bandes in einer kurzen Legende. Die einzelnen Tänzer und Tän- zerinnen werden als Strichfiguren dargestellt, die aus einem rombenförmi- gem Oberkörper und einem glockenförmigen Rock bestehen, ihr Geschlecht ist farblich (rot für Damen, schwarz für Herren) indiziert.87 Diese Strichfigu- ren können zu einem kleinen Kreis oder Punkt abstrahiert werden, die Bo- denwege werden als gestrichelte Linie aufgezeichnet. Die Schritte werden als Text unter den Zeichnungen erläutert, in der gleichen Weise wie auch die pantomimischen Dialoge transkribiert werden – der Unterschied zwischen Bewegungsanweisung und pantomimischen Dialogen wird aus dem Zu- sammenhang und dem Vokabular deutlich. Am Rand der Seite ist jeweils eine Spalte abgetrennt, in der die „Figuren“ der Choreografie nummeriert und die Länge der Sequenzen in (musikalischen) Takten angegeben werden. Claudia Jeschke beschreibt die komplexe Konstruktion von Justamants Nota- ten:

„Die Inszenierungsnotate versuchen einerseits das, was man sehen und darstellen konnte, zu figurieren. Andererseits verweist die Wahl der graphischen Zeichen auf eine Wahrnehmungsebene jenseits des Visuellen: Das Bild ist so kein (mimetisches) Abbild, keine Imitation des realen Geschehens; vielmehr formen variable und kom- plexe Parameter Synthesen und Hybride aus Gesehenem, Vorgestelltem und körper-

 Gabi Vettermann, Nicole Haitzinger: Les Choses espagnoles. Research into the Hispomania of 19th Century Dance, München 2009, S. 124-136. 86 Es ist wahrscheinlich, dass die Notationen erst posthum für die Auktion gebun- den wurden, Unregelmäßigkeiten bei der Paginierung weisen darauf hin. 87 In Ausnahmen, z.B. für die Darstellung von Schmetterlingen, Teufeln oder ande- ren besonderen Figuren, weicht Justamant von dieser Darstellungsweise ab. 36 | ARABESKEN lich und tänzerisch Präsentiertem. Die entstehende Darstellung liest sich wie ein multivalenter Text – jedoch chaotischer, weil die Leserichtung nicht vorbestimmt ist.“88

Justamants Notationen verwenden ein einfaches Zeichenvokabular und sind, wenn man mit dem Ballettvokabular vertraut ist, ohne große Einführung zu entziffern. Es existieren Aufzeichnungen sowohl seiner eigenen, wie auch von fremden Choreografien. Teilweise scheinen die Notationen für Wieder- aufnahmen von Inszenierungen gedacht zu sein, teilweise spricht aus ihnen aber auch ein Wille zur Autorschaft, wenn Justamant die Aufzeichnungen mit großer Geste signiert oder Plagiatsvorwürfe gegenüber einzelnen Tän- zer*innen erhebt. Der ästhetische Reiz seiner Aufzeichnungen liegt dabei in der Naivität seiner Notierungsweise, gleichwohl aber auch in der Deutlich- keit, in der die Tanzästhetik des 19. Jahrhunderts aus ihnen spricht.

DER BEGRIFF ARABESKE

Der folgende Abschnitt definiert zentrale Begriffe dieser Arbeit. Zuerst wird der Begriff des Ornamentalen, der für diese Arbeit zentral ist, vom Orna- ment abgesetzt: das Ornamentale bezeichnet einen modus operandi, der die Darstellung strukturiert. Anschließend wird der historische Begriff der Ara- beske des 19. Jahrhunderts rekonstruiert, um daraus eine Arbeitsdefinition abzuleiten, die den historischen Mehrdeutigkeiten der Arabeske Rechnung trägt und ihre Integrationsfähigkeit produktiv macht. Desweiteren wird an dieser Stelle auch die orientalistische Dimension dieses Begriffs deutlich gemacht.

Das Ornamentale als modus operandi

Der Begriff des Ornamentalen ist jenseits der Diskussion um die Randstän- digkeit oder Zentralität des Ornaments verortet und setzt an einer grundle- genden Ebene der Darstellung und ästhetischen Organisation an.89 Niklas  88 Jeschke, Vettermann, Haitzinger: Interaktion und Rhythmus, S. 496 f. 89 Damit grenzen sich die folgenden Überlegungen von einer Ontologisierung des Ornaments als Parergon ab, wie sie einen Großteil der Ornamenttheorien be- stimmt. Darunter fallen auch Isabelle Frank, Freia Hartung (Hg.): Die Rhetorik des Ornaments, München 2001; wie auch Gérard Raulet, Burghart Schmidt EINLEITUNG | 37

Luhmann operiert in systemtheoretischer Perspektive mit dem Begriff des Ornamentalen, das für ihn die „Infrastruktur des Kunstwerks“90 bildet und dazu dient, Raum und Zeit zu organisieren.91 Die abgrenzende Funktion des Ornaments (im Sinne eines Rahmens) faltet Luhmann ins Innere des Kunstwerks ein und dekonstruiert so die Opposition von guter Proportion und bloßer Verzierung. „Indem das Ornament sich als Verzierung ins Äu- ßerliche verliert, entsteht es im Innern neu“,92 formuliert Luhmann ange- sichts der historischen Entwicklung des Ornaments im 18. Jahrhundert. Der Begriff des Ornamentalen wurde in der Folge in jüngeren bildtheo- retischen Herangehensweisen eingesetzt, um sich gegenüber einem ontolo- gischen Verständnis des Ornaments als identifizierbares Motiv abzugren- zen.93 Mit dem Begriff des Ornamentalen lassen sich (An-)Ordnungen des Sichtbaren beschreiben, die sich jenseits einer Opposition von Abstraktion und Figuration positionieren. Vera Beyer und Christian Spies bestimmen das Ornamentale als Struktur der Darstellung, die sich der mimetischen Re- präsentation entzieht:

„Über die Funktion von Ornamenten lässt sich die strukturierende Kapazität bildli- cher Darstellung thematisieren, die den Möglichkeiten der Figuration und der Reprä-

 (Hg.): Vom Parergon zum Labyrinth. Untersuchungen zur kritischen Theorie des Ornaments, Wien 2001. Vgl. dazu die Kritik dieser beiden Bände von Claudia Sedlarz, http://www.h-net.org/reviews/showrev.php?id=6775, zuletzt abgerufen am 25.02.2017. Jacques Derrida dekonstruiert diese Unterscheidung in „Das Parergon“, in: ders.: Die Wahrheit in der Malerei, Wien 1992, S. 56-176. 90 Niklas Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft, Frankfurt/Main 1997, S. 186. 91 Als Beispiel der Ornamentalisierung von Zeit nennt Luhmann den Tanz, ebd., S. 185. 92 Ebd. 93 Thomas Golsenne verortet das Ornament in einer grundsätzlichen Dialektik der Philosophie und Politik des Okzidents zwischen Essenz und Erscheinung, dem Eigentlichen und Nebensächlichen, Zentrum und Rand. Thomas Golsenne: „L’ornemental: esthétique de la différence“, in: Perspective. La revue de l’INHA, 2010/2011-1 Ornement/Ornemental, S. 11-26. Isabelle Frank hat die Idee des ‚körperlosen Ornaments’ historisiert und als Effekt der Darstellungspraktiken des 19. Jahrhunderts beschrieben. Isabelle Frank: „Das körperlose Ornament im Werk von Owen Jones und “, in: dies., Freia Hartung (Hg.): Die Rheto- rik des Ornaments, München 2001, S. 77-99. 38 | ARABESKEN sentation als eine Art Matrix zugrunde liegt. Ornamente können als eine Maßgabe bildlicher Ordnung verstanden werden.“94

Beyer und Spies führen Luhmanns systemtheoretischen Ansatz, der die Funktionalität des Ornaments betont, mit kunsthistorischen Ansätzen zu- sammen. Sie beziehen sich dabei auf eine französische Theorie des Orna- mentalen, wie sie vom Mediävisten Jean-Claude Bonne als kunsthistorische Kategorie zur Beschreibung mittelalterlicher Kunst wiederbelebt wurde. Bonne beschreibt das Ornamentale als transversalen modus operandi, der ei- ne konstruktive Rolle und eine Ausdrucksfunktion einnimmt.95 Den Unter- schied zwischen Ornament und ornamental illustriert Bonne anhand von Schrift. Er vergleicht farbig oder filigran verzierte Initialen mit Buchstaben, die ornamental gebaut sind: „On pourrait ainsi distinguer entre les lettres (canoniques) simplement ornées, comme une lettrine colorée ou filigranée, et les lettres dont le bâti (végétal, zoomorphe, abstrait…) est lui-même devenu véritablement ornemental.“96 Bonne räumt ein, dass diese analytische Dis- tinktion am konkreten Objekt stets ein fließender Übergang ist, dieses Flie- ßen und Übergehen jedoch zur Natur des Ornamentalen gehöre und seiner Neigung entspricht, alles zu durchdringen und zu verflechten.97

 94 Vera Beyer, Christian Spies: „Einleitung. Ornamente und ornamentale Modi des Bildes“, in: dies. (Hg.): Ornament. Motiv – Modus – Bild, München 2012, S. 13-23, hier S. 14. 95 „Cette ornementalité, directement intriquée aux figures, ne peut être interprétée en termes purement ‚stylistiques‘ (comme cela a été longtemps le cas), car elle joue un rôle à la fois constructif et expressif à l’égard de ce qu’elle affecte et met en valeur.“ Jean-Claude Bonne im Gespräch „Y a-t-il une lecture symbolique de l’ornement?“, in: Perspective. La revue de l’INHA, 2010/2011-1 Orne- ment/Ornemental, S. 27-42, hier S. 30, Herv. i.O. Vgl. auch Jean-Claude Bonne: „De l’ornemental dans l’art médiéval (VIIe-XIIe siècle). Le modèle insulaire“, in: Jérôme Baschet, Jean-Claude Schmitt (Hg.): L’image. Fonctions et usages des images dans l’Occident médiéval (= Cahiers du léopard d’or 5), Paris 1996, S. 207-240. 96 Bonne: „De l’ornemental dans l’art médiéval“, S. 213. 97 Bonne verwendet hier den englischen Begriff pervasiveness und als französi- sche Umschreibung s’immiscer partout, was über das lateinische immiscere nicht nur als Allesdurchdringung, sondern auch als Allesverflechtung übersetz- bar wäre. Ebd., S. 213. EINLEITUNG | 39

Die Ornamentalisierung, so Bonne, geht in die Konstruktion der Figuren ein und interferiert mit ihr. Das Ornamentale übernimmt eine strukturierende Funktion, errichtet Beziehungen und funktioniert als (ästhetische) Maßgabe, die zwischen den Genres vermittelt.98 Indem es ein bestimmtes (An-)Ord- nungssystem impliziert, funktioniert das Ornamentale als Denkfigur und transportiert eine (historisch spezifische) Ästhetik und Epistemologie, die das Sichtbare strukturiert: „l’ornemental s’avére capable de fonctionner comme une sorte de transcodeur abstrait.“99 Das Ornamentale definiert sich durch die Fähigkeit, Elemente in eine Beziehung zu setzen und diese Bezie- hung auch über Genre- und Formgrenzen zu erhalten. „L’ornemental est donc profondément transversal: il traverse tant les ordres formels (la figura- tion, l’abstraction) que les catégories (beaux-arts, arts décoratifs). Cette capa- cité virtuelle infinie de tout transformer en ornement constitue sa force.“100 Im Folgenden bildet die Materialität des Ornamentträgers (sei es der Tänzer*innenkörper, ornamentale Requisiten oder die Materialität der Auf- zeichnungsform) stets den Ausgangspunkt der Untersuchung. Das Orna- mentale des Tanzes ist dennoch nicht deckungsgleich mit der Körperlichkeit der Tanzenden. Gerade das Beispiel der Arabeske wird zeigen, wie die Figur sich vom Ornamentträger lösen kann, um sich in der Vorstellung der Be- trachtenden zu entfalten. Daraus resultiert keine abstrakte Stilgeschichte, sondern eine Beschreibung der Transformationen im Übergang zwischen verschiedenen Materialitäten. Die Geschichte des Ornamentalen umfasst de- ren historisch sich wandelnde Funktion, Funktionsweise und Status.101 Mit dem Konzept des Ornamentalen wird die Opposition von Ornament und Sinn/Bedeutung unterlaufen. Der von Beyer und Spies beschriebene Modus der bildlichen Bedeutungsgenerierung, der Figuration und Repräsen- tation ermöglicht, lässt sich um eine notationelle Dimension erweitern, die über Repräsentation und Bedeutung hinausgeht und Handlungsanweisun-  98 „[L]’ornemental appelle moins une interprétation qui le fonderait qu’il ne fonde lui-même une pensée de l’ordre ou même de l’organisation […]. [Il] élucide leurs rapports en leur donnant une mesure […].“ Ebd., S. 237. 99 Ebd., S. 239. 100 Golsenne: „L’ornemental: esthétique de la différence“, S. 14. 101 „Il semble donc que l’ornemental ait plusieurs fois changé non seulement de forme, ce qui n’a rien d’étonnant, mais, plus fondamentalement, de statut, de mode de fonctionnement et certainement de fonction. Il y aurait différentes façons d’être de l’ornemental.“ Bonne: „De l’ornemental dans l’art médiéval“, S. 210. 40 | ARABESKEN gen enthält oder Affekte speichert.102 Diese notationelle (und somit auch operative) Dimension des Ornamentalen wird besonders deutlich im Laby- rinth, das gleichzeitig Muster und Bewegungsanleitung ist.103 Unter diesen Aspekt fällt auch die immer wieder beschriebene Lebendigkeit des Orna- ments, die mit dessen Fähigkeit Bewegung aufzuzeichnen und zu speichern, eng verwandt ist (vgl. Kapitel 2).

Historische Arabeskendefinitionen

Das Ornamentale ist somit ein grundlegendes Strukturprinzip, das sich in konkreten Mustern oder Motiven aktualisieren kann. Das Ornamentmotiv Arabeske, mit dem sich besonders die erste Hälfte dieser Arbeit beschäftigt, steht im frühen 19. Jahrhundert emblematisch für den ornamentalen modus operandi und dessen Fähigkeit alle Genres zu durchdringen. Von ca. 1780 an erscheint die Arabeske gehäuft als ästhetischer und philosophischer Begriff, der von Bildender Kunst und Ornamenttheorie auf Literatur, Ästhetik, Tanz und Musik übertragen wird. Es fiel und fällt dabei schwer, eine generelle, universale oder absolute Definition der Arabeske zu treffen. Der Eintrag in Brockhaus’ Conversations-Lexikon von 1809 macht die ambivalente Haltung gegenüber diesem Begriff, wie auch die Schwierigkeiten seiner Definition und die Vielfalt der Referenzen im 19. Jahrhundert deutlich:

„Die Arabesken, so nennt man eine Art von Verzierungen, welche jetzt überaus Mode geworden ist, so wenig auch der Geschmack derselben durchgängig Beifall verdient. Es sind Verzierungen, die größten Theils aus Pflanzen, Strauchwerk, schwachen Zweigen und Blumen zusammen gesetzt, und auf einen willkührlichen Grund ge-  102 Diese affektspeichernde Dimension wird zu Beginn des 20. Jahrhundert wichtig. Sowohl Wilhelm Worringers Ornamenttheorie, wie auch Aby Warburgs Begriff der Pathosformel lassen sich hier anschließen. Vgl. Fn. 40 dieses Kap., wie auch zum „Vitalismus“ des Ornaments, Golsenne: „L’ornemental: esthétique de la dif- férence“, S. 13 f. 103 vgl. Bettine Menke: „Kritzel – (Lese-)Gänge“, in: Christian Driesen, Rea Köppel, Benjamin Meyer-Krahmer, Eike Wittrock (Hg.): Über Kritzeln. Graphismen zwi- schen Schrift, Bild, Text und Zeichen, Berlin 2012, S. 189-213. Vgl. auch Brand- stetter: Tanz-Lektüren, S. 361. Siehe dazu auch die Notation in Fabritio Carosos Nobiltà di Dame (Venedig 1600, S. 241), in der die Bewegung als Ornament aufgezeichnet ist. Vgl. Brandstetter, „Notationen im Tanz“, S. 92; wie auch Oskar Bie: Der Tanz, Berlin 1919, S. 170. EINLEITUNG | 41 mahlt oder auch in erhabener Arbeit angebracht sind. Man verziert damit die Abthei- lungen der Wände, die Einfassungen von Geräthschaften, Büchern u. s. f. Arabesken heißen sie von den Arabern, die keine Thiere und Menschen abbilden durften, und daher nur mit Laub und Blumen verzierten. Sie heißen auch Moresken, weil sich auch die Mauren derselben bedienten; ferner Grottesken, weil man in den Zimmern der verschütteten Gebäude der alten Römer und in den Gewölben unter der Erde, die man Grotten nannte, ähnliche Verzierungen fand.“104  Auch andere Enzyklopädien verweisen auf multiple Vorlagen. Der Artikel aus Diderots und d’Alemberts Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sci- ences, des arts et des métiers von 1751 leitet die Arabesken ebenfalls von arabi- scher Kunst ab und vergleicht sie mit antikisierenden Grotesken, nennt je- doch vorwiegend zeitgenössische französische Beispiele wie das Schloss von Meudon und Arbeiten von Bérain, Gillot und Watteau.105 Auch Larousses Grand dictionnaire universel du XIX. siècle (1866) definiert als Deko- ration gemäß eines „goût des Arabes“ und zählt als Referenz vorwiegend an- tike römische Ornamente auf.106 Unter dem Sublemma „Par anal[ogie]“ lis- tet das Grand Dictionnaire jedoch eine Reihe von Belegstellen auf, die die Reichweite und Übertragbarkeit des Begriffs Arabeske – ihre pervasiveness oder Allesverflechtung107 – verdeutlichen:

„Le prince prit un nouveau cigare, et contempla les de sa fumée livrée aux vents. ([Honoré de] Balz[ac])108 || Evolutions capricieuses: Décrire les ARABESQUES de leur danse est chose impossible au langage vulgaire. (M[aurice] Alhoy.) || Se dit, au fig. et dans la critique littéraire, des caprices de l’imagination et du : Jules Janin, un faux

 104 Brockhaus Conversations-Lexikon, Bd. 1. Amsterdam 1809, S. 73. 105 Jacques-François Blondel: „Arabesque ou Moresque“, in: Denis Diderot, Jean le Rond d’Alembert (Hg.): Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences des arts et des métiers, Bd. 1, Paris 1751 [Reprint Stuttgart 1966], S. 569. 106 „Arabesque“, in: Pierre Larousse (Hg.): Grand dictionnaire universel du XIX. siècle, Bd. 1, Paris 1866, S. 540-541. 107 Siehe Fn. 97 dieses Kap. 108 Dieses Zitat stammt aus Massimilla Doni (1837/39). Der Satz lautet korrekt: „Le prince prit un nouveau cigare et contempla les arabesques de sa fumée livrée au vent, comme pour voir dans leurs caprices une répétition de sa dernière pensée.“ Honoré de Balzac: La Comédie humaine, Bd. 10, Études philoso- phiques, Paris 1979, S. 552. 42 | ARABESKEN

bonhomme qui cache son érudition sous les ARABESQUES de son esprit, et qui connaît l’antiquité aussi bien que le jardin du Luxembourg. (Ed[mond] Texier.)“109

Die Zusammenschau dieser Textstellen macht deutlich, in welchen hetero- genen Materialitäten Arabesken vorgefunden werden. Es handelt sich in die- sen Fällen bezeichnenderweise um flüchtige bis immaterielle Erscheinun- gen, die als arabesk bezeichnet werden: Rauchschwaden sowie Denk- und Tanzbewegungen, die mit der ‚einfachen‘ Sprache nur schwer wiederzuge- ben seien.

Im 20. Jahrhundert setzen sich in der Bestimmung der Arabeske in der Fol- ge von Alois Riegl stilgeschichtliche Erklärungsmuster durch, die eine be- reits im 18. und 19. Jahrhundert erkannte Verwandtschaft von antiker römi- scher und arabischer Verzierung110 als direktes Abstammungsverhältnis be- schreiben. Die Arabeske wird dort als antinaturalistisches Rankenornament definiert, das sich zwischen dem 10. und 12. Jahrhundert herausgebildet hat und vegetabile Vorlagen abstrahiert, geometrisiert und symmetrisch anord- net.111 Hinter dieser orientalistischen Erklärung,112 die die Arabeske als „urei- genste Schöpfung arabischen Geistes“113 ausweist, treten die Verwendungs- weisen des 19. Jahrhunderts zurück. In seiner Definition in der Enzyklopa- edie des Islām (1. Auflage) beschreibt Ernst Herzfeld die Historizität des Be- griffs, die lokalen Unterschiede in der Begriffsverwendung wie den inhären- ten Orientalismus dieses Begriffs als „populäre Bedeutung“, von der man sich abzuwenden habe:

„Das Wort A r a b e s k e bezeichnet in der deutschen Sprache das P f l a n z e n - r a n k e n - O r n a m e n t in der Kunst des I s l ā m , in etwas weiterem Sinne schon seit der Zeit des Barock das Ornament in dieser Kunst überhaupt. Ein fast synonymer Ausdruck ist M o r e s k e , eigentlich auf die Kunst des Islām in

 109 „Arabeske“, in: Larousse (Hg.): Grand dictionnaire, S. 540. 110 So z.B. in Owen Jones: The Grammar of Ornament [1856], London 1868, S. 56- 59. 111 Alois Riegl: Stilfragen. Grundlegungen zu einer Geschichte der Ornamentik [1893], Berlin 1923, S. 302 f. 112 Siehe unten. 113 Ernst Kühnel: Die Arabeske. Sinn und Wandlung eines Ornaments [1949], 2. vermehrte Auflage, Graz 1977, S. 3. EINLEITUNG | 43

Spanien bezüglich. Das Wort Arabeske wird aber in der modernen Sprache vielfach für dasjenige Ornament der Renaissancekunst verwandt, welches korrekter als G r o - t e s k e zu bezeichnen ist. – Im Englischen liegt es ähnlich. Der Terminus wird all- gemein, aber historisch ungenau, für die Grotesken-Dekoration gebraucht und oft die Moreske von ihm als eigentliches Ornament der islāmischen Kunst unterschieden. – Im Französischen bezeichnet das Adjektiv a r a b e s q u e seit jeher Kunstwerke aus den islāmischen Ländern. Seit der Renaissance wird auch das Substantiv a r a b e s - q u e für die gleiche Ornamentation gebraucht und der Name dann auf die Grotes- ken-Dekoration übertragen.“114  In der zweiten Auflage dieser Enzyklopädie kritisiert Ernst Kühnel Herzfelds Artikel für sein weites Arabeskenverständnis und gibt eine kürzere und strengere Definition dieses Musters:

„The principles which regulate the arabesque are reciprocal repetition, the formation of or calice forms by pairs of split leaves, the insertion of geometric interla- cings, medaillons or cartouche compartments. In every instance, two aesthetic rules are scrupulously observed: the rhythmical alternation of movement always rendered with harmonious effect, and the desire to fill the entire surface with ornament.“115

Mit diesem Gesetz lassen sich unendliche Motivvariationen unter dem Be- griff Arabeske klassifizieren, wobei eine geografische und historische Be- schränkung bestehen bleibt.

Im Folgenden soll der Begriff Arabeske weder auf islamische Kunst be- grenzt, noch soll vor der Begriffsvielfalt kapituliert werden.116 Die unendliche Variabilität und scheinbar endlose Übertragbarkeit dieses Musters stellen dagegen die Herausforderung dieser Arbeit dar, die Arabeske konzeptuell zu  114 Ernst Herzfeld: „Arabeske“, in: Martijn Theodor Houtsma (Hg.): Enzyklopaedie des Islam. Geographisches, ethnographisches und biographisches Wörterbuch der muhammedanischen Völker, Bd. 1, Leiden/Leipzig 1913, S. 380-384. 115 Ernst Kühnel: „Arabesque“, in: Clifford Edmund Bosworth (Hg.): The Encyclope- dia of Islam. New Edition, Bd. 1, Leiden 1960, S. 558-560, hier S. 558. Vgl. auch die gleichnamige Monografie von Kühnel. 116 Der Kunsthistoriker Günter Irmscher rät z.B. aufgrund „der nicht exakt abgrenz- baren Definition des Begriffs“ davon ab, den Begriff typologisch zu aktualisieren. Günter Irmscher: Kleine Kunstgeschichte des europäischen Ornaments seit der frühen Neuzeit (1400-1900), Darmstadt 1984, S. 65. 44 | ARABESKEN erfassen: ihre Integrations- und Anpassungsfähigkeit wird dabei zu einem prägenden Merkmal. Der folgende Abschnitt dient dazu, das historische Be- griffsfeld im frühen 19. Jahrhundert zu umreißen. Bevor jedoch die wichtigs- ten Referenzfelder der Arabeske im 18. und 19. Jahrhundert beschrieben werden, soll die orientalistische Dimension dieses Begriffs beleuchtet wer- den.

Orientalismus der Arabeske  Die Arabeske beinhaltet in ihrem Namen eine geografische Referenz, die sie als arabisches Ornament erscheinen lässt. Der Verweis auf diese Herkunft ist jedoch eine (teilweise fälschliche) Zuschreibung, in der sich Dekorations- praktiken im arabischen Raum mit europäischen Fantasien des Orients vermischen. Die Arabeske ist eine genuin orientalistische Kategorie. Sie ist ein Be- schreibungsinstrument europäischer Wissensordnungen, das einen homo- genen ästhetischen Raum des Orients schafft, dessen Eigenschaften mit de- nen übereinstimmen, die der Orientalismus des 18. und 19. Jahrhunderts seinem Gegenstand zuschreibt. Die europäische Faszination mit islami- schen Ornamenten, die es seit Mittelalter und Renaissance gibt,117 findet ih- ren Höhepunkt in der Ornamenttheorie des 19. Jahrhunderts, in der sich Kunsttheorie mit dem Diskurs des Orientalismus vermischt. Werke wie Owen Jones The Grammar of the Ornament (1856)118 versuchen universelle Gestaltungsprinzipien aufzustellen und machen die Arabeske dabei zur „unifying essence of Islamic visual culture“.119 Gülru Necipoğlu hat in ihrer Studie zu islamischen Architekturentwürfen aus dem 15./16. Jahrhundert die wissenschaftliche Literatur zur Arabeske und ihre essenzialistischen An- nahmen, die bis weit ins 20. Jahrhundert beibehalten werden, dekonstruiert und dem orientalistischen Diskurs des 19. Jahrhunderts zugeordnet:  117 Früheste Belege finden sich bereits im 12. Jahrhundert, z.B. im Traktat De diversis artibus von Theophilus. Das erste Musterbuch mit Arabesken-Motiven ist Francisco di Pellegrinos Vorlagensammlung von 1530, veröffentlicht als La Fleur de la Science de Pourtraicture. Patrons de Broderie, Facon arabicque et ytalique (oft als Maureskenbuch bezeichnet). Vgl. Gülru Necipoğlu: The Topkapı . Geometry and Ornament in , Santa Monica 1995, S. 84 Fn. 2. 118 Siehe S. 208 ff. dieser Arbeit (Abschnitt „Art Botany“). 119 Necipoğlu: The Topkapı Scroll, S. 61. EINLEITUNG | 45

„The arabesque came to be identified as the primary characteristic of by Orientalists focusing on the material culture of the Arabs in Syria, Egypt, North Afri- ca, and Spain during the nineteenth century, when artistic styles very often were defi- ned as reflections of racial and religious mentalities. The presence of figural imagery […] was conspicuously downplayed in constructing the ‚otherness‘ of the Arabo- Islamic visual tradition. Generally classified in terms of its geometric, vegetal, and cal- ligraphic variants, the so-called arabesque (occasionally intertwined with stylized figu- res and animals) was assigned a purely decorative function that differed fundamental- ly from the iconographic tradition of Western representational art. The arabesque’s al- leged absence of meaning facilitated its appropriation by modern European architects and industrial designers.“120  Die sogenannte orientalische Kunst wird dabei als zeitlos konzipiert und nicht in historischen, sondern ethnografischen Kategorien beschrieben.121 Der (westlich-europäisch) geprägte Diskurs der Kunstgeschichte subsumiert dabei eine geografisch und historisch weit gestreute heterogene Kunstpraxis unter einem singulären Begriff, der die Exteriorität dieser Motivklasse mar- kiert und sie als der westlich-europäischen Kunst essenziell fremd darstellt. Ihre Fremdheit wird dabei in mehrfacher Hinsicht behauptet: im Gegensatz zur komplexen Evolution europäischer Kunst handele es sich bei der Ara- beske um eine statische, lokale Tradition, ihr fehle es gegenüber der europä- ischen Kunst an Bedeutung oder Referenz und schließlich verkörpere sie als Ornament den klassischen Gegensatz zu den schönen Künsten.122 Dieser Gegensatz zwischen Arabeske, die paradigmatisch für die ‚Kunst des Orients‘ steht, und europäischer Kunst schließt so an den Gegensatz an, den der Orientalismus des 18. und 19. Jahrhunderts generell zwischen Euro- pa und dem Orient aufmacht. Edward Said paraphrasiert diese Gegenüber- stellung: „The Orient is irrational, depraved (fallen), childlike, ‚different‘; thus the European is rational, virtuous, mature, ‚normal‘.“123 Wie der ‚orien-  120 Ebd., S. 62. 121 Ebd., S. 66. 122 Vgl. ebd., wie auch Golsenne: „L’ornemental: esthétique de la différence“, S. 12; wie Rémi Labrusse: „Face au chaos: grammaires de l’ornement“, in: Perspecti- ves. La revue de l’INHA, Ornement/Ornamental 1 (2010/2011), S. 97-121, hier S. 111 f. 123 Edward Said: Orientalism [1978], London 2003, S. 40. Seit der Erstveröffentli- chung 1978 hat Saids Orientalism zahlreiche Weiterführungen wie auch Kritik erfahren. Zusammenfassend dazu María do Mar Castro Varela, Nikita Dhawan: 46 | ARABESKEN talische Charakter‘ vom Orientalismus als universal und essenziell beschrie- ben wird,124 gibt es trotz aller lokalen Differenzen und historischen Stilent- wicklungen nur „e i n e Arabeske, der alten und neuen Zeiten, in Ost und West, in Süd und Nord.“125 Die Arabeske ist das Andere der europäischen Kunst: sie ist statisch und unveränderlich, abstrakt und nicht-abbildend, oh- ne Autor*in, und wird – als dekorative Form – implizit als weiblich begrif- fen.126 Diese orientalistische Dimension der Arabeske, die eine europäische Be- zeichnung einer islamischen Dekorationspraxis ist, trägt sich bis in heutige Bestimmungen dieses Motivs.127 Dennoch wird der Begriff in kunsthistori- schen und bildtheoretischen Werken wie im musealen Kontext immer noch zur Bestimmung von Motiven der islamischen Architektur verwendet,128 und  Postkoloniale Theorie. Eine kritische Einführung, 2. Auflage, Bielefeld 2015, S. 104-119. In der hier vorliegenden Analyse geht es nicht um Möglichkeiten des Widerstands lokaler Subjekte gegenüber Kolonialisierung, wie in den Arbeiten von Gayatri Chakravorty Spivak und Homi K. Bhabha, oder um die ‚korrekte‘ Be- schreibung nichtwestlicher Tänze, sondern um ästhetische Figurationen und de- ren politische Implikationen innerhalb des europäischen Diskurses, also um ei- ne spezifisch europäische Imagination. 124 Vgl. Said: Orientalism, S. 38. 125 Herzfeld: „Arabeske“, S. 384. 126 Necipoğlu: The Topkapı Scroll, S. 67 f. 127 Necipoğlu verweist hier insbesondere auf die Veröffentlichungen im Rahmen des World of Islam Festival 1976, die mit antimodernistischem Unterton das orientalistische Verständnis der Arabeske als „primary ‚essence‘ of Islamic visu- al culture“ affirmieren und aus mystischen Sufi-Meditationen ableiten. Ebd., S. 74 ff. Ludger Schwarte hat ebenfalls auf die Kategorienfehler zeitgenössi- scher kunsthistorischer Bestimmungen der Arabeske hingewiesen. Ludger Schwarte: „Die Kunst, das Unvernehmen anzuerkennen. Bemerkungen über die Arabeske“, in: Christoph Wulf, Jacques Poulain, Fathi Triki (Hg.): Die Künste im Dialog der Kulturen, Berlin 2007, S. 116-128. 128 Ludger Schwarte verweist auf die Definition von Annemarie Schimmel aus dem Katalog Ornament und Abstraktion von 2001, die die Arabeske nach Riegl als Gabelblattranke definiert und mit einer theologischen Erläuterung schließt: „Arabesken sind das Ergebnis höchst komplizierter mathematischer Formeln, die, wie es der Muslim empfindet, auf den wunderbaren Bau der Welt hinweisen […]“, zitiert nach Schwarte: „Die Kunst, das Unvernehmen anzuerkennen“, S. 118. EINLEITUNG | 47 damit die generalisierende Vorstellung eines vermeintlich universalen ‚ori- entalischen‘ Ornaments fortgeführt.129 Obwohl André Paccard bereits 1980 eine alternative, arabische Terminologie für die einzelnen Formen von Ara- besken vorgeschlagen hat, wird diese nur vereinzelt eingesetzt. Paccard un- terscheidet für die traditionelle architektonische Verzierung in Marokko zwi- schen vier Begriffen. Tawrīq und tachjir130 sind die Arabesken aus gekrümm- ten Pflanzenmustern, tastīr die geometrischen Bandornamente und naskhī die kalligrafischen Schriftverzierungen.131 Für diese Arbeit muss daher festgehalten werden, dass der Begriff Ara- beske weder eine arabische, islamische oder orientalische Herkunft impli- ziert noch einen arabischen, islamischen oder orientalischen Geist oder Cha- rakter repräsentiert. Die Arabeske bezeichnet eine Form oder ein Motiv, das in Europa als arabisch empfunden wird. Arabeske ist ein genuin europäi- scher Begriff, der auf eine orientalistische Fantasie verweist, die ihren Ur- sprung im mittelalterlichen Europa hat und im 19. Jahrhundert ihren Höhe- punkt gefunden hat. Sie ist die Fantasie einer abstrakten Form, die aus ei- nem Pflanzenornament entwachsen ist und das Muster einer ästhetischen und kulturellen Projektion, die aus der (imaginären) Zusammenführung verschiedener Aspekte ihr Potenzial entwickelt.

 129 Günter Irmscher verschiebt diese Problematik nur, wenn er vorschlägt, statt von Arabeske von Moreske oder ‚Grotteske‘ zu sprechen. Irmscher: Kleine Kunstge- schichte des Ornaments, S. 65. 130 Der arabische Begriff tawrīq leitet sich vom Verb warraķa ab, „the act of putting forth leaves, branches“ „Tawrīķ“, in: Clifford Edmund Bosworth (Hg.): The Ency- clopedia of Islam. New Edition, Bd. 10, Leiden 2000, S. 395. 131 Auch naskh. Dazu kommt noch eine unbenannte Kategorie für die Füllelemente. André Paccard: Le Maroc et l’artisanat traditionnel islamique dans l’architec- ture, Paris 1980, S. 145. Gülru Necipoğlu bezeichnet die geometrischen Orna- mente der Topkapı-Rolle („star-and-polygon pattern“) als (persisch für Kno- ten). Necipoğlu: The Topkapı Scroll, S. 102. Die Grove Encyclopedia of Islamic Art and Architecture von 2009 unterscheidet zwar zwischen verschiedenen Sti- len der Arabeske, wie z.B. rūmī oder hatāyī, verwendet sonst aber durchgehend den Begriff Arabeske zur Bezeichnung des islamischen Pflanzenornaments. Rūmī ist türkisch für „römisch“ und bezeichnet eine Blattverzierung in der ottomani- schen Kunst und Architektur im 16. Jahrhundert; hatāyī ist türkisch für „chine- sisch“ und meint Ornamente mit Voluten, die von der Lotus-Form abgeleitet sind. 48 | ARABESKEN

Im Folgenden wird Arabeske nicht durch einen ‚korrekten‘ Begriff der Or- namentformen ersetzt, nach denen die Ballettfigur benannt wurde, sondern mit dem schillernden (oder anders gesagt: ungenauen und politisch frag- würdigen) Begriff der Arabeske des 19. Jahrhunderts gearbeitet, dessen Hauptreferenzen im folgenden Abschnitt dargelegt werden.

Arabeske als Hybrid von Schrift und Bild  In den Beschreibungen der Arabeske im 18. und 19. Jahrhundert lassen sich zwei zentrale Referenzfelder ausmachen. Arabesken heißen dort (1.) antike Wandverzierungen, besonders aus den Grotten der Domus Aurea und den zu dieser Zeit entdeckten Häusern von Pompeji, sowie Raffaels Loggien im Vatikan, die diese imitieren.132 Daneben verweist der Begriff Arabeske zu dieser Zeit (2.) auch auf ein ideelles islamisches Schriftornament, ohne zwi- schen kalligrafischen (naskhī), vegetabilen (tawrīq) oder geometrischen Or- namenten (tastīr) zu unterscheiden. Ihre Vorbilder findet diese Arabeske in den architektonischen Verzierungen der Alhambra, wie auch in arabischen Schriftverzierungen. Gemeinsam haben diese beiden Stränge der Arabeske, dass sie – jeweils unterschiedlich gewichtet – Eigenschaften von Schrift und Bild ineinander überblenden. Die Beispiele unter (1.) lassen sich als grotesker Strang der Arabeske be- zeichnen, der architektonische Elemente mit Akanthusmotiven, Tier- und Menschenfiguren vermischt. Günter Irmscher charakterisiert die Groteske als fantastisch-irreales, statische und räumliche Gesetze negierendes Muster, das „flächenüberdeckende Wandmalereien als Ganzes, wie sie durch die Domus Aurea vermittelt wurden, aber ebenso Mischwesen aller Art, phan- tastische Landschaften und komposite Architekturen als auch literarische Produkte“133 bezeichnen kann. Beispiele für dieses Arabesken-Verständnis finden sich um 1800 in der Malerei bei Philipp Otto Runge, in der Literatur bei Friedrich Schlegel, wie aber auch in der Raumdekoration und in Raffaels vatikanischen Loggien, die als kanonische Vorlage dienten.134 Werner Busch stellt einen Merkmalkatalog dieses Arabeskenverständnisses auf:  132 Vgl. dazu z.B. Jakob Ignaz Hittorff: „Parallèle entre les Arabesques peintes des anciens et celles de Raphaël et de ses élèves“, in: L’Artiste, Série 4 (1844), S. 33-36. 133 Irmscher: Kleine Kunstgeschichte des europäischen Ornaments, S. 147. 134 Die bedeutendste Publikation mit Darstellungen dieser Zeit ist G. Ottaviani und G. Volpato: Le loggie di Raffaele nel Vaticano, Rom 1772-77. Vgl. Grazia Bernini EINLEITUNG | 49

„die Arabeske ist ausgezeichnet durch kreisenden, gestaltlosen Rhythmus, künstlich geordnete Verwirrung, Häufung von Bildern, reizende Symmetrie, universale Korres- pondenzen, musikalischen Aufbau, Fülle und Leichtigkeit, sie abstrahiert und setzt dadurch allegorische Potenz frei, durch ihren Verweisungscharakter ist die Arabeske schließlich, im Sinne der Romantiker, eine kritische Form.“135

Diese Arabeske kann Gegenstände unterschiedlicher Realitätsebenen mitei- nander verbinden, und zwischen Traum und Wirklichkeit, Sichtbarem und Unsichtbarem changieren. Ihr kommt dabei die geschichtsphilosophische Aufgabe zu, Erfahrungsfragmente einer Reihe von Brüchen zu binden.136 Diesen ersten Strang der Arabeske, der ornamenttheoretisch als grotesk benennbar ist und der sich vornehmlich auf der Bild-Ebene entwickelt, be- tont die Fähigkeit, Motive und Elemente verschiedenster Herkunft zusam- menzuführen, sie visuell zu organisieren, und zu einer fantastischen, die Gesetze des Raumes und der Logik aushebelnden Komposition zu vereini- gen, die zwischen Realitätsebenen vermittelt. 137 Mit Rekombinierbarkeit, Abstraktion und Grammatikalisierung verfügt dieses Ornament im Bereich des Bildlichen über Elemente, die sonst eher dem Bereich der Schrift zuge- ordnet werden.138

 Pezzini, Stefania Massari, Simonetta Prosperi Valenti Rodinò (Hg.): Raphael in- venit. Stampe da Raffaello nelle collezioni dell’Instituto Nazionale per la Grafica, Rom 1985, S. 104 ff., wie auch dort die Abbildungen auf S. 468-489. 135 Werner Busch: „Umrißzeichnung und Arabeske als Kunstprinzipien des 19. Jahrhunderts“, in: Regine Timm (Hg.): Buchillustration im 19. Jahrhundert, Wiesbaden 1988, S. 117-148, hier S. 137. Sowie Werner Busch: Die Notwendi- ge Arabeske. Wirklichkeitsaneignung und Stilisierung in der deutschen Kunst des 19. Jahrhunderts, Berlin 1985, bes. S. 44-55. 136 Werner Busch bezieht die Arabeske auf den Bruch zwischen Form und Inhalt im Kunstwerk und Symbol, die Zerstückelung der Gegenwart nach der französi- schen Revolution sowie auf eine generelle postkantische Wahrnehmungs- und Wahrheitskrise. Busch: „Umrißzeichnung und Arabeske als Kunstprinzipien des 19. Jahrhunderts“, S. 132. 137 Damit ist sie auch der Bild- und Denkformel des Capriccio verwandt. Vgl. dazu. Roland Kanz: Die Kunst des Capriccio. Kreativer Eigensinn in Renaissance und Barock, München/Berlin 2002. 138 Vgl. Krämer: „Operationsraum Schrift“. 50 | ARABESKEN

Die Beispiele zu (2.) lassen sich als mauresker Strang der Arabeske bezeich- nen. Diese „formal zwischen reiner Linie, Band und naturalistischer Ran- ke“139 angesiedelten Arabesken werden mit islamischer Kalligrafie assoziiert. Dieser Form der Schriftverzierung hat Oleg Grabar in seiner Studie über das Ornament in der islamischen Kunst beschrieben.140 Vom 10. bis ins 13. Jahr- hundert wird Schrift in der populären islamischen Kultur irakischer, irani- scher, syrischer und turanischer Großstädte zur Verzierung von Objekten eingesetzt. In einem kurzen historischen Abriss zeigt Grabar, wie dort in ei- nigen Fällen die Bedeutung des Textes gegenüber der Gestaltung und An- ordnung der Buchstaben sekundär werden kann. Die Lesbarkeit einzelner Buchstaben oder Passagen tritt zugunsten esoterischer und mystischer Funktionen in den Hintergrund:

„Letters can be modified, extended, looped, shortened, thickened; dots and diacritical marks float around letters rather than help fix their specificity; loops and hastae become flowers of leaves; poems are set obliquely on the page […] and the endless proverbs of Nishapur ceramics work their way uncomfortably around the rims of pla- tes, while ‚correct‘ orthography is frequently violated for the sake of the compositi- on.“141

Unter diesem Strang der Arabeske werden auch andere architektonische Verzierungen, wie Flechtwerke (entrelacs) und geometrische Muster subsu- miert. Auf dieses Verständnis des Arabesken berufen sich um 1800 Goethe in seinem West-östlichen Divan, E. T. A. Hoffmann in Der goldne Topf und Balzac in La Peau de chagrin, die diese Form der Verzierung aufgrund ihrer häufigen Verwendung in Buchmalerei und auf Bucheinbänden142 mit dem Medium Schrift assoziieren. Andrea Polaschegg beschreibt, wie von diesen Autoren die arabische Schrift als „arabeske Gestalt“143 wahrgenommen wird.  139 Irmscher: Kleine Kunstgeschichte des europäischen Ornaments, S. 267. 140 Oleg Grabar: The Mediation of Ornament, Washington 1992, hier Kap. II „The In- termediary of Writing“, S. 47-118. 141 Ebd., S. 106. 142 Irmscher: Kleine Kunstgeschichte des europäischen Ornaments, S. 269. 143 Andrea Polaschegg: „‚Diese geistig technischen Bemühungen…‘ Zum Verhältnis von Gestalt und Sinnversprechen der Schrift: Goethes arabische Schreibübun- gen und E. T. A. Hoffmanns Der goldene Topf“, in: Gernot Grube, Werner Kogge, Sybille Krämer (Hg.): Schrift. Kulturtechnik zwischen Auge, Hand und Maschine, EINLEITUNG | 51

Sowohl die arabischen Schreibübungen, die Goethe während seiner Arbeit am Divan angefertigt hat, wie auch die Kopiertätigkeiten von Anselmus, Pro- tagonist von E. T. A. Hoffmanns Erzählung Der goldne Topf, sehen von der Referenzialität der Schrift ab und lassen Schriftgestalt und Bewegungsfigu- ren beim Schreiben in Erscheinung treten. Dabei vollzieht sich ein Aspekt- wechsel zu einem „Sehen der Schrift als Bild“:

„Es ist die aufwendige künstlerische Gestaltung der Manuskripte, es ist die ornamen- tale Rahmung des Geschriebenen, die in Goethes Auge ein Schrift-Bild spiegelte, das jenseits konventionalisierter Referentialität gleichsam indexikalisch – nämlich als Er- gebnis eines sichtbar hohen Maßes an betriebenem handwerklichen Aufwand – von der Hochachtung der Kalligraphen für das geschriebene Wort und seine Autoren zeugte. Der ornamentale Rahmen, der selbst nicht Schrift ist, hat das Auge des Wei- marer Betrachters dazu verlockt, die gesamte Fläche des Textblatts, das Ornament und die von ihm eingerahmte Schrift, als Bild wahrzunehmen.“144

In den orientalischen Schriften nähern sich für die (oftmals des Arabischen unkundigen) europäischen Lesenden das Ornament und die Schrift anei- nander an, zu einer Schrift, deren Referenz nicht greifbar ist, und einem Ornament, das Sinn verspricht, ohne es zu geben. Die bildhafte Dimension der Schrift tritt in den Vordergrund, und zwar in einem Blick, der das Schriftstück als Arrangement auf der Seite betrachtet, in der Schrift und Bild kaum mehr zu unterscheiden sind. Polaschegg betont, dass Goethes Lesart zwar von der tatsächlichen Referenz der Schrift absieht, in seiner Handha- bung der arabischen Schrift jedoch das Sinnversprechen der (für ihn stets unlesbaren) Schrift in Dienst nimmt. Sowohl Goethe als auch Hoffmanns Figur Anselmus fokussieren dabei die Bewegung des Schreibens.145 In An- selmus’ Halluzination der kristallinen Stimme Serpentinas, „die als Schlan- ge die arabischen Schreibbewegungsfiguren des Anselmus mit ihrem gan- zen Körper vollzieht“,146 wird das Schreiben zu einem körperlichen Bewe- gungsvorgang, dessen Energie von dieser Schriftarabeske gespeichert wird. Die Serpentina-Figur tritt als figura serpentinata, Bewegungsmuster, Klang  München 2005, S. 279-304, hier S. 282. Vgl. auch Gerhard von Graevenitz: Das Ornament des Blicks. Über die Grundlagen des neuzeitlichen Sehens, die Poetik der Arabeske und Goethes „West-östlichen Divan“, Stuttgart 1994. 144 Polaschegg: „‚Diese geistig technischen Bemühungen…‘“, S. 285. 145 Polaschegg beschreibt diese als „tänzerisch anumutend“, ebd., S. 298. 146 Ebd., S 297. 52 | ARABESKEN und Sprachrhythmus auf, und verkörpert eine allumfassende Naturschrift mit mystisch-metaphysischem Anspruch.147 In der organischen Ableitung dieser Arabeske aus dem Pflanzenornament überträgt sich darüber hinaus eine Wachstumsvorstellung,148 die auch im grotesken Strang der Arabeske zum Tragen kommt. In dieser Arabeske ist die digredierende Weiterentwick- lung wichtiger als der identische Rapport. Mit Balzacs La Peau de chagrin lässt sich außerdem der magische Aspekt dieser Arabeske begreifen, der das fantastische Potenzial der Schrift aktiviert und bei den Lesenden Tagträume, Halluzinationen und Geistererscheinungen hervorruft.149 Dieser zweite Strang der Arabeske entwickelt sich vornehmlich auf der Ebene der Schrift. Als zur Linie und zum Band abstrahierte Pflanzenranke wird die maureske Arabeske dabei über den geteilten graphematischen Hin- tergrund im Linienzug der Handschrift und der Assoziation mit arabischer Buch- und Schriftkultur in die Nähe der Schrift gerückt. Die für den europä- ischen Blick verstellte Lesbarkeit und die esoterischen und mystischen Kom- ponenten eröffnen das Feld des Asemantischen und Rätselhaften mit einem Hang zum Metaphysischen, das zwar Sinn verspricht aber nicht einlöst. Die- ser Strang der Arabeske operiert in der aisthetischen Dimension der Schrift, die dennoch stets ein (uneingelöstes) Sinnversprechen mit sich führt. Ara- beske Schrift ist unlesbar, hat aber den Anschein einer Bedeutung und sti- muliert fantastische Lesarten. Die Arabesken-Diskussion im 18. und 19. Jahrhundert führt diese beiden Stränge in einem hybriden Begriff der Arabeske zusammen und wiederholt somit eine Fähigkeit des Grotesken, Disparates zu vereinigen. Die Arabeske verzweigt sich zu einer Vielzahl von individuellen Aktualisierungen dieser Ornamentform, und behauptet – trotz oder gerade wegen den Verwandlun- gen, Proliferationen und Imaginationen, die diese Figur ausmachen – eine organische Einheit.  147 Vgl. dazu Günter Oesterle: „Arabeske, Schrift und Poesie in E. T. A. Hoffmanns Kunstmärchen ‚Der goldne Topf‘“, in: Athenäum. Jahrbuch für Romantik 1 (1991), S. 69-107. 148 Busch: „Umrißzeichnung und Arabeske“, S. 138. 149 Die Arabeske ist in La Peau de chagrin doppelt präsent: einerseits in der aus Sternes Tristram Shandy zitierten Erzähllinie, die dem Roman als Motto voran steht, wie auch in der arabischen Schrift auf der magischen Eselshaut. Vgl. Sa- bine Mainberger: „Im Bann einer Linie. Zu Balzacs La Peau de chagrin“, in: Wer- ner Busch, Oliver Jehle, Carolin Meister (Hg.): Randgänge der Zeichnung, Mün- chen 2007, S. 95-117. EINLEITUNG | 53

TANZHISTORISCHER FORSCHUNGSSTAND

Die Forschungsliteratur zum Ballett im frühen 19. Jahrhundert ist, auch auf- grund der noch jungen Geschichte des Fachs Tanzwissenschaft, begrenzt. Besonders zu Spezialfragen, wie der Bedeutung des Ornamentalen, gibt es wenig Vorarbeiten. Zwar betrachtet sowohl Andrei Levinson bereits in den 1920er Jahren das Ballett des 19. Jahrhunderts unter ästhetischen Fragestellungen,150 wie auch Serge Lifar, der anlässlich des 100-jährigen Bühnenjubiläums eine choreo- grafische Analyse von Giselle unternimmt und dabei die Figur Arabeske als Symbol beschreibt.151 Bei Levinson und Lifar stehen jedoch einzelne Persön- lichkeiten und Werke im Vordergrund. So auch in den Arbeiten von Ivor Guest. Guest breitet in seinen enzyklopädischen Werken, die seit den 1960er Jahren erscheinen, ein detailliertes Panorama des Balletts im 19. Jahrhundert aus, geht dabei aber ausschließlich positivistisch vor.152 Guest folgt der gän- gigen Epochenbezeichnung und betrachtet das Ballett im frühen 19. Jahr- hundert als „romantisch“, wobei er einen stark verkürzten Romantik-Begriff verwendet. 153 Erik Aschengreen orientiert sich ebenfalls am Romantik- Begriff, fokussiert dabei jedoch die sogenannte schwarze Romantik.154 Die enzyklopädische Arbeit von Guest hat Marian Smith, ohne Über- nahme des Epochenbegriffs, in Ballet and Opera in the Age of Giselle fortge- führt und dort das Ballett des frühen 19. Jahrhunderts in den Kontext von Musiktheaterwerken seiner Zeit gestellt. Smith zeigt den geteilten Motiv- schatz und die gemeinsame Aufführungspraxis von Oper und Ballett und  150 Andrei Levinson: Meister des Balletts, Potsdam 1923, besonders die Kapitel zu Carlo Blasis und Théophile Gautier. 151 Serge Lifar: Giselle. Apothéose du Ballet Romantique, Paris 1942, S. 45 f. 152 Guests The Romantic Ballet in Paris wurde 1966 zuerst veröffentlicht. 2007 er- schien eine überarbeitete und erweiterte Auflage. Besonders die tabellarischen Auflistungen von Aufführungen und Werken im Anhang sind für die Orientierung auf diesem Gebiet äußerst nützlich. 153 Die Romantik ist für Guest ein „revolutionary movement“, die „liberation from the bonds of classical restraint“ sucht. Die Romantiker entwickelten dabei, so Guest, eine „heightened sensitivity“, und schufen Werke „which throbbed with energy and vitality and spoke directly to the senses of the spectator, the listener or the reader.“ Ivor Guest: The Romantic Ballet in Paris, S. 2 ff. 154 Erik Aschengreen: The Beautiful Danger. Facets of the Romantic Ballet (= Dance Perspectives 58, Sommer 1974). 54 | ARABESKEN rekonstruiert anhand von répétiteurs (Probenpartituren) den hohen Anteil pantomimischer Szenen in Balletten dieser Zeit, die in Inszenierungen des vergangenen Jahrhunderts meist gekürzt wurden.155 Ende der 1990er Jahre betonen eine Reihe von feministischen US- amerikanischen Tanzwissenschaftlerinnen die Darstellung von Geschlecht und Nation im Ballett des frühen 19. Jahrhunderts, wie auch dessen soziale Aspekte. In ihrem Aufsatz „The ballerina’s phallic pointe“ untersucht Susan Leigh Foster die Geschlechterbilder, die sich in Technik und Narration die- ser Werke wiederfinden und das Ballett bis heute prägen.156 In ihrer breit angelegten Studie Choreography & Narrative. Ballet’s Staging of Story and Desi- re erweitert Foster diese These und beschreibt, wie der Körper des Balletts im 18. und 19. Jahrhundert zeitgenössische soziale, politische und geschlechtli- che Diskurse auf der Bühne spiegelt, festigt und hervorbringt.157 Besonders Fosters Thesen zum Geschlechterbild des Balletts haben Eingang in die vor- liegende Arbeit gefunden. Im Gegensatz zu Fosters Ansatz wird hier jedoch kein umfassender Anspruch verfolgt, eine Geschichte des Balletts als Ent- wicklung von Körperbildern, sozialen und körperpolitischen Aspekten zu schreiben, sondern ein herausragender ästhetischer Aspekt beschrieben, den Foster nur andeutet. Foster analysiert die Arabeske als Figur des Begeh-

 155 Marian Smith: Ballet and Opera in the Age of Giselle, Princeton 2000. 156 Susan Leigh Foster: „The ballerina’s phallic pointe“, in: dies. (Hg.): Corporeali- ties. Dancing Knowledge, Culture and Power, London 1996, S. 1-24. 157 Susan Leigh Foster: Choreography & Narrative. Ballet’s Staging of Story and De- sire, Bloomington 1996. Einen Teilaspekt untersucht Felicia McCarren. Sie be- trachtet das Ballett Giselle vor einem medizin- und sozialhistorischen Hinter- grund. Felicia McCarren: Dance Pathologies. Performance, Poetics, Medicine, Stanford 1998, S. 49-112. Einen noch größeren Bogen spannt Dorion Weick- mann: Der dressierte Leib. Kulturgeschichte des Balletts (1580-1870), Frank- furt/Main 2002. Weickmann begreift Balletttechnik wechselweise als Sprache oder Schrift, geht auf das Ornamentale jedoch nicht ein, da sie sich vornehmlich auf Textdokumente (Kritiken, Libretti, Traktate, Biografien) stützt. Einzig in ihren Bemerkungen zur Notation lassen sich Ansatzpunkte für die Fragestellung die- ser Arbeit finden. Carlo Blasis’ pädagogische Methode begreift Weickmann als „optisches Medium“ (ebd., S. 123), Arthur Saint-Léons Sténochorégraphie nennt sie eine „Bilderschrift“ (ebd., S. 145). Sie liest diese Modelle jedoch als Indiz ei- ner „Segregation“ des Körpers, die einen Moment der Geschichte der Körper- disziplinierung darstellen, die das Ballett für sie ist. EINLEITUNG | 55 rens158 und setzt an, die Dichotomie zwischen Abstraktion und Darstellung im Tanz zu historisieren,159 ohne diesen Strang jedoch explizit ausführen. Das Ornamentale könnte als Scharnier dieser Unterscheidung begriffen werden. Lynn Garafola fasst den Stand jener Diskussion der 1990er Jahre im Vorwort zu Re-Thinking the Sylph. New Perspectives on the Romantic Ballet zu- sammen.160 Ihr Band versammelt feministische Lesarten, weitet den Blick auf die Internationalität dieses Phänomens aus und widmet den National- und Charaktertänzen einen längeren Aufsatz. Lisa C. Arkin und Marian Smith plädieren dort, diese folkloristischen und exotistischen Tänze als in- tegralen Bestandteil der Ballettästhetik des 19. Jahrhunderts zu begreifen. In ihrer Typologie von Nationaltänzen, die sich nach Bournonville in den ‚krie- gerischen‘, den ‚wolllüstigen‘ und den ‚keuschen‘ Typus unterteilen, kom- men sie auch auf den Orientalismus dieser Ballette zu sprechen, ohne die- sen aber im Rahmen des generellen Orientalismus des 19. Jahrhunderts zu verorten.161 Obwohl Garafolas Band reich mit historischem Bildmaterial aus- gestattet ist und das Vorwort auf die Rolle von Lithografien in der Verbrei- tung und Etablierung ‚romantischer‘ Körperbilder hinweist,162 gehen die Bei- träge ihres Bands größtenteils von der Handlung der Ballette aus und basie- ren ihre Analysen auf Libretti und Kritiken.163 Weder Choreografie noch  158 Foster: Choreography & Narrative, S. 204 f. 159 Ebd., S. xvii und 277, Fn. 7. 160 Lynn Garafola: „Introduction“, in: dies. (Hg.): Re-Thinking the Sylph. New Per- spectives on the Romantic Ballet, Hanover/London 1997, S. 1-10. 161 Lisa C. Arkin, Marian Smith: „National Dances in the Romantic Ballet“, in: Garaf- ola (Hg.): Re-Thinking the Sylph, S. 11-68, hier S. 41. Vgl. auch Lisa C. Arkin: „The Context of Exoticism in Fanny Elssler’s ‚Cachucha‘“, in: Dance Chronicle 17/3 (1994), S. 303-325. Für eine Betrachtung vor dem Hintergrund des Orien- talismus vgl. dagegen den Abschnitt „Heroism in the Harem“ in Deborah Jowitt: Time and the Dancing Image, New York 1988, S. 48-65. 162 Garafola: „Introduction“, S. 1 f. 163 Joellen Meglins dreiteilige intertextuelle Analyse der Ballette im frühen 19. Jahr- hundert unter dem Begriff des Fantastischen steht ebenfalls in dieser Tradition. Joellen Meglin: „Behind the Veil of Translucence: An Intertextual Reading of the Ballet fantastique in France, 1831-1841“ Teil 1 „Ancestors of the Sylphide in the Conte Fantastique“, in: Dance Chronicle 27/1 (2004), S. 67-129; Teil 2 „The Body Dismembered, Diseased and Damned: The Conte Brun“, in: Dance Chro- nicle 27/3 (2004), S. 313-317; Teil 3 „Resurrection, Sensuality, and the Palpab- 56 | ARABESKEN

Ikonografie der Ballette des frühen 19. Jahrhunderts werden dort zum Ge- genstand einer näheren Analyse. Ebenfalls auf das Diskursive fokussiert sind die Arbeiten von Monika Woitas und Christina Thurner, die beide historische Tanztraktate untersu- chen. Sie erweitern damit den Untersuchungsgegenstand von den Kritiken, Anekdoten und Libretti auf technische Traktate. Monika Woitas betrachtet in Im Zeichen des Tanzes den „ästhetischen Diskurs der darstellenden Künste zwischen 1760 und 1830“, untersucht tanztheoretische Quellen von Jean- Georges Noverres bis Carlo Blasis auf darstellungstheoretische und ästheti- sche Fragen und rückt sie in den Kontext der Schauspielästhetik ihrer Zeit. Woitas sucht in der sogenannten Ballettreform, in der der menschliche Kör- per zum ästhetischen Zeichen und empfindsamen Subjekt wird, den Aus- gangspunkt für einen (vermeintlichen) Widerspruch von Form und Aus- druck im Tanz, der – laut Woitas – erst im Ausdruckstanz und dem Regie- und Tanztheater des 20. Jahrhunderts aufgelöst wird. Im Wandel der dar- stellenden Künste vom 18. zum 19. Jahrhundert beobachtet sie „eine zuneh- mende Liberalisierung mimetischer Postulate zugunsten formalästhetischer Wertkriterien,“164 die jedoch im „Romantischen Ballett“ zu einer zeitweiligen Lösung des Form/Ausdrucks-Widerspruchs führt:

„Paradoxerweise ist es die hier einsetzende Emanzipation von den Zwängen sprach- orientierter Strukturen und Konzeptionen, die im Tanzstil des Romantischen Balletts schließlich kulminiert und in dieser Etablierung tanzspezifischer Ausdrucksqualitä- ten jene von der Ballettreform initiierte Aufwertung der Bewegung zum eigenständi- gen Kommunikationssystem tatsächlich realisieren kann. Die Dramatisierung des Balletts mündet gewissermaßen in einer Poetisierung der Bewegung, die im schwere- los-ätherischen Tanz Marie Taglionis schließlich die adäquate Verkörperung romanti- scher Sehnsüchte feiert.“165

Woitas Darstellung ist jedoch von einem impliziten Verfallsdiskurs geprägt, da sie das „Verhältnis bzw. Gewichtung von Ausdruck und Form als Fun- damentalprinzipien künstlerischer Gestaltung“166 begreift, in der sie das Or-  le Presence of the Past in Théophile Gautier’s Fantastic“, in: Dance Chronicle 28/1 (2005), S. 67-142. 164 Monika Woitas: Im Zeichen des Tanzes. Zum ästhetischen Diskurs der darstel- lenden Künste zwischen 1760 und 1830, Herbolzheim 2004, S. 351. 165 Ebd., S. 79 f. 166 Ebd., S. 352. EINLEITUNG | 57 nament wiederholt pejorativ als dekoratives und unnützes Anhängsel be- schreibt.167 Mit dem Begriff des Ornamentalen, den diese Arbeit als Analy- seinstrument für das Ballett im frühen 19. Jahrhundert vorschlägt, lässt sich die von Woitas vollzogene Dichotomie zwischen Form und Ausdruck unter- laufen. Christina Thurner denkt Woitas’ Ansatz weiter und befasst sich in ihrer Arbeit Beredte Körper – bewegte Seelen ebenfalls mit dem Verhältnis von inne- rer und äußerer Bewegung. Thurner untersucht in ihrer Studie, wie histori- sche Tanztraktate diese „doppelte Bewegung“ nicht nur be-schreiben, son- dern auch er-schreiben.168 Sie zeigt, wie sich im 19. Jahrhundert ein neues Rezeptionsverständnis von Tanz etabliert, das die subjektive Wahrnehmung über eine objektive, instruktive Beschreibung stellt und dessen adäquates Textgenre folglich nicht mehr das Traktat ist, sondern die Tanzkritik im lite- rarischen Feuilleton. Thurner beschreibt den „Diskurs der Emphase“ bei Tanzkritikern wie Théophile Gautier und Jules Janin nicht als Abbild, son- dern als Übertragung der Wahrnehmung des Tanzens in das Schreiben.169 Thurner bietet in dieser Hinsicht ein Modell für die Frage dieser Arbeit, wie in Aufzeichnungsformen von Tanz ästhetische Dimensionen des Balletts übertragen werden. Die bisher vorgestellten Arbeiten beschäftigen sich vornehmlich mit Tanztexten, also mit Dokumenten, die Tanz in Form von Schrift bewahren bzw. beschreiben. Ikonografische Dokumente werden dort in der Regel nur als Illustration herangezogen170 und nicht auf ihren medialen Status, auf die Weise wie in ihnen Bewegung und Ballettästhetik aufgezeichnet wird, be- fragt. Bildliche Aspekte des Balletts im frühen 19. Jahrhundert wurden so

 167 Vgl. ebd., S. 256, 279 und 357. 168 Vgl. Thurner: Beredte Körper – bewegte Seelen, Klappentext. 169 Ebd., S. 151 ff. Mit einem ähnlichen Ansatz nähert sich der Feuilletonkritik Lucia Ruprecht: „‚Elle danse, tout est dit‘ – die Metapher des Poetischen in der Kritik des romantischen Balletts“, in: Gunhild Oberzaucher-Schüller (Hg.): Souvenirs de Taglioni, Bd. 2 „Bühnentanz in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts“, Mün- chen 2007, S. 333-343. 170 So werden die Illustrationen aus dem Album Les Beautés de l’Opéra häufig als Abbild einer Bühnenrealität genommen, anstatt sie im Kontext der begleitenden Texte und der Gesamtgestaltung des Buches zu betrachten. Vgl. z.B. Foster: Choreography & Narrative, S. 244 und 246. 58 | ARABESKEN bisher nur in Ansätzen beschrieben.171 Mit dem Fokus auf das Ornamentale und der Hinzuziehung einer Vielzahl nichtschriftlicher Quellen versucht die vorliegende Arbeit dieses Defizit auszugleichen. Dabei kann sich diese Arbeit auf einige Vorarbeiten stützen, die ikono- grafische Dokumente und selten bearbeitetes Archivmaterial vorstellen. Die beiden Bände der Reihe Souvenirs de Taglioni enthalten Hinweise auf Ar- chivdokumente, in denen das bildliche Element stärker dominiert, und von denen einige im Folgenden eingehender untersucht werden.172 Claudia Je- schke hat dort und in verschiedenen anderen Aufsätzen auf das Justamant- Konvolut und die Musterbücher von Franz Opfermann hingewiesen, und in knappen Thesen das Ornamentale dieser Blätter benannt.173 Sie nennt das

 171 Bisher wurde vornehmlich das Ballett des 18. Jahrhunderts unter dieser Katego- rie betrachtet. Vgl. Gabriele Brandstetter: „‚Die Bilderschrift der Empfindung‘. Jean-Georges Noverres Lettres sur la Danse und Friedrich Schillers Abhandlung Über Anmut und Würde“, in: Achim Aurnhammer, Klaus Manger, Friedrich Strack (Hg.): Friedrich Schiller und die höfische Welt, Festschrift für Peter Michelsen zum 65. Geburtstag, Tübingen 1990, S. 77-93. Dem Verhältnis von Tanz und Bild und ihren Übertragungen widmet sich Gabriele Brandstetter ausgehend von Henri Matisse und der Arabeske „als Figuration von Bewegung im Raum, als rhythmisierte Zeichnung“, in Gabriele Brandstetter: „SchnittFiguren. Intersektio- nen von Bild und Tanz“, in: dies., Gottfried Boehm, Achatz von Müller (Hg.): Figur und Figuration. Studien zu Wahrnehmung und Wissen, München 2007, S. 13-32, hier S. 15. 172 Gunhild Oberzaucher-Schüller (Hg.): Souvenirs de Taglioni, 2 Bd., München 2007. 173 Claudia Jeschke: „Inszenierung und Verschriftung“; dies.: „Schals und Schleier als choreographische Verfahren im Tanztheater des 19. Jahrhunderts“, in: Gun- hild Oberzaucher-Schüller, Daniel Brandenburg, Monika Woitas (Hg.): „Prima la Danza!“ Festschrift für Sybille Dahms, Würzburg 2003, S. 261-275; dies., Robert Atwood: „Expanding Horizons: Techniques of Choreo-Graphy in Nineteenth- century Dance“; dies.: „‚Tanz-Gruppen‘ – das Musterbuch von Franz Opfer- mann“, in: Gunhild Oberzaucher-Schüller (Hg.): Souvenirs de Taglioni, Bd. 1 „Taglioni-Materialien der Derra de Moroda Dance Archives“, München 2007, S. 67-75; dies.: „‚Les Choses espagnoles‘: Hispanomanie in Tanztheorie und Choreographie. Ein Forschungsbericht“, in: Gunhild Oberzaucher-Schüller (Hg.): Souvenirs de Taglioni, Bd. 2 „Bühnentanz in der ersten Hälfte des 19. Jahrhun- derts“, München 2007, S. 175-193. EINLEITUNG | 59

Ornament ein „wesentliches Merkmal der Ballettästhetik der Zeit“,174 das die „optische Wirkung“ des corps de ballet steigert und den „Schauwert“ wie das „Sensationspotenzial“ des Balletts entfaltet. 175 In Opfermanns Musterbü- chern werden die Tanzenden zu „skulpturalen Gebilden, die ein reges Abs- traktionspotenzial für die Entwicklung des Performativen zwischen Schau und Verkörperung in sich bergen.“176 Claudia Jeschkes Thesen werden in dieser Arbeit an close readings einzelner Notate differenziert und weiterentwi- ckelt, wobei der Fokus im Folgenden auf der operativen Dimension der No- tate und Aufzeichnungsformen und ihrem choreografischen Entwurfspo- tenzial liegt. Als hilfreich bei der Materialsuche erwies sich außerdem das Magazin Dance Index, das zwischen 1942 und 1949 von Lincoln Kirstein in enger Zu- sammenarbeit mit den Dance Archives des Museum of Modern Art (aufge- gangen in der Dance Division der New York Public Library) herausgegeben wurde. Einzelne Ausgaben, wie die von Marian Hannah Winter und George Chaffee, bilden wichtige Ausgangspunkte für die Archivrecherche, darüber hinaus praktizieren einige Ausgaben einen surrealistischen Zugang zur Tanzgeschichte, auf den an späterer Stelle eingegangen wird.177 Die Frage nach dem Ornamentalen des Tanzes wurde bisher nur in An- sätzen gestellt. Laurent Ferec vergleicht in „Getanzte Geschichte. Ornament und Bühnentanz“ die Agamemnon-Choreografien von Jean-Georges Noverre und Rudolf von Laban in ihrem Verhältnis zum Ornament. Er skizziert die Bedeutung des Ornamentalen im barocken Bühnentanz, wie auch die histo- rische Verbindung von Tanz und Ornament in der Ableitung von Sternbil- dern.178

 174 Jeschke: „Tanz-Gruppen“, S. 72. 175 Jeschke: „Inszenierung und Verschriftung“, S. 264. 176 Ebd., S. 261. 177 Vgl. den Zirkus-Abschnitt im 3. Kapitel dieser Arbeit, sowie Marian Hannah Win- ter: Theatre of Marvels, (= Dance Index 7/1-2, 1948); George Chaffee: Three or Four Graces, (= Dance Index 3/9-11, 1944); ders.: American Souvenir Litho- graphs of the Romantic Ballet 1825-1870 (= Dance Index 1/2, 1942); ders: American Romantic Ballet Music Prints (= Dance Index 1/12, 1942); und ders.: The Romantic Ballet in London (= Dance Index 2/9-12, 1943). 178 Laurent Ferec: „Getanzte Geschichte. Ornament und Bühnentanz“, in: Ursula Franke, Heinz Paetzold (Hg.): Ornament und Geschichte. Studien zum Struktur- wandel des Ornaments in der Moderne, Bonn 1996, S. 133-148. 60 | ARABESKEN

Gabriele Brandstetter hat über das Ornament in Inszenierungen der Ballets Russes ein Spiel mit der Wahrnehmung und eine perspektivische Brechung zu Beginn des 20. Jahrhunderts beschrieben. Das Ornament, das Bühne, Kostüm und Körper zusammenführt, wird für Brandstetter zum Bild einer neuen Darstellungsweise, die zwischen Figur und Grund, Raum und Fläche oszilliert und die Vervielfältigung der Betrachter*innenperspektive im Kör- per der Tänzer*innen wiederholt.179 Das Ornamentale im Ballett des frühen 19. Jahrhunderts stellt für die folgende Arbeit ebenfalls die Figur einer neuen Wahrnehmungsweise, dem Fantastischen, dar, wie im 5. Kapitel dieser Ar- beit gezeigt wird. Einen weiteren Aspekt der Geschichte des Ornamentalen im Tanz be- schreibt Mark Franko in seiner Untersuchung des Barocktanzes als Text.180 Franko betrachtet den geometrischen Barocktanz vor dem Hintergrund von zwei Modellen, dem Labyrinth und der Hieroglyphe, deren Figurations- und Defigurationsprozesse auch als Schriftbild bzw. Ornament betrachtet werden können.181 Frankos Analyse des geometrischen Tanzes bildet eine Grundlage für die Betrachtung der ornamentalen Gruppentänze in Kapitel 5. Ausgangspunkt, sich mit dem Ornamentalen im Tanz zu beschäftigen, war die Ballettpose Arabeske. Den Anstoß dazu gab ein Aufsatz von Gabriele Brandstetter zu Carlo Blasis’ The Code of Terpsichore, in dem die Arabeske ei- ne bevorzugte Figur darstellt. Brandstetter beschreibt die Arabeske dort als „Figur der Figur“, die ein flächiges Linienornament als Raumfigur refigu- riert.182 Sie verortet die Arabeske dabei zwischen tanzästhetischer Darstel- lungstheorie und mechanischen Bewegungswissenschaften als Figur, in der Mechanik als Matrix der Grazie wirksam ist. Sabine Huschka führt Gabriele Brandstetters wissenspoetologische Herangehensweise183 an Blasis’ Traktat  179 Brandstetter: „Die Inszenierung der Fläche“. 180 Mark Franko: Dance as Text. Ideologies of the Baroque Body, Cambridge 1993. 181 Ebd., S. 25. 182 Gabriele Brandstetter: „The Code of Terpsichore. Carlo Blasis’ Tanztheorie zwi- schen Arabeske und Mechanik“, in: dies., Gerhard Neumann (Hg.): Romantische Wissenspoetik. Die Künste und die Wissenschaften um 1800, Würzburg 2004, S. 49-72, hier S. 69. 183 Vgl. zu dieser Methode Gabriele Brandstetter, Gerd Neumann: „Einleitung“, in: dies. (Hg.): Romantische Wissenspoetik. Die Künste und die Wissenschaften um 1800, Würzburg 2004, S. 9-13; wie auch Gabriele Brandstetter: „Tanz als Wis- senskultur. Körpergedächtnis und wissenstheoretische Herausforderung“, in: Sabine Gehm, Pirkko Husemann, Katharina von Wilcke (Hg.): Wissen in Bewe- EINLEITUNG | 61 fort. Huschka betrachtet den Körper als Ort, an dem sich das Wissen des Tanzes zeigt und den es formt. Sie weist auf die Rolle der Einbildungskraft in der Übertragung der Ornamentfigur Arabeske auf den Körper der Tän- zer*innen hin und beschreibt die „phantastische Aufladung“ der Körper in der Arabeske.184 Im Vergleich dazu liegt im Folgenden der Fokus weniger auf einem zu rekonstruierenden Wissen des Tanzes, als auf den poetischen und poetologi- schen Prozessen und Stilfragen, die sich in historischen Dokumenten des Tanzes auffinden lassen und der Operativität (manoeuvrability) von Notatio- nen,185 wobei letzteres auch als „tacit knowledge“186 zu fassen wäre. Dabei rücken Stilfragen, wie die orientalistische Dimension der Arabeske, und die Schriftbildlichkeit des Balletts im Ornamentalen ins Zentrum. Das Ballett des frühen 19. Jahrhunderts wird darin zu einem Schauplatz einer Neuver- handlung von (nicht nur ästhetischer) Wahrnehmung: das Ornamentale, als Ungrund oder Vorstufe von Sichtbarkeit und Anordnung, geht eine enge Bindung mit dem Fantastischen ein, das Ästhetik und Physiologie verbindet und die subjektive Dimension der Vorstellungskraft produktiv macht. Die ikonografischen Vorlagen der Pose Arabeske und ihre Übertragun- gen in den Tanz sind von den italienischen Tanzhistorikerinnen Flavia Pap- pacena und Francesca Falcone bereits ausführlich beschrieben worden, die die Antikenrezeption der Arabeske über die Tänzerinnendarstellungen von Antonio Canova fassen.187 Pappacena ergänzt ihren Kommentar zu Blasis’

 gung. Perspektiven der künstlerischen und wissenschaftlichen Forschung im Tanz, Bielefeld 2007, S. 37-48. 184 Sabine Huschka: „Wissen vom Tanzen: Carlo Blasis’ Instruktionen zur Anmut“, in: Gunhild Oberzaucher-Schüller (Hg.): Souvenirs de Taglioni, Bd. 2 „Bühnen- tanz in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts“, München 2007, S. 113-136. 185 Vgl. oben die Definition von Notation nach Gabriele Brandstetter. 186 Böhme und Huschka übernehmen diesen Begriff von Michael Polanyi. Hartmut Böhme, Sabine Huschka: „Prolog“, in: Sabina Huschka (Hg.): Wissenskultur Tanz. Historische und zeitgenössische Vermittlungsakte zwischen Praktiken und Diskursen, Bielefeld 2009, S. 7-22, hier S. 11. 187 Francesca Falcone: „The Arabesque. A Compositional Design“, in: Dance Chro- nicle 19/3 (1996), S. 231-253; dies.: „The Evolution of the Arabesque in Dance“, in: Dance Chronicle 22/1 (1999), S. 71-117; Flavia Pappacena: Carlo Blasis’ Treatise on Dance 1820-1830, Lucca 2005; dies.: „Dance Terminology and Iconography in Early Nineteenth Century“, in: Gunhild Oberzaucher-Schüller 62 | ARABESKEN

Tanztraktaten mit einem umfangreichen Bildessay; sie beschreibt die Über- tragung der Ornamentfigur Arabeske in den Tanz dabei jedoch als Inspirati- ons- und Einflussverhältnis mit dem Ziel „künstlerische Freiheit“ von aka- demischer Strenge zu erlangen.188 Während diese Arbeit auf Pappacenas und Falcones Katalogen ikonografischer Vorlagen aufbauen kann, werden hier hingegen die Mechanismen der stilistischen Übertragungen und das Bild- und Ornamentalwerden des Balletts im frühen 19. Jahrhundert fokus- siert. Claudia Jeschke, Isa Wortelkamp und Gabi Vettermann haben in einem gemeinsamen Aufsatz die Figurationsprozesse der Arabeske um die „Strate- gien der Visualisierung von Fremdem“ erweitert.189 Sie stellen die Arabeske als ‚Fremdes‘ der Technik, der Erzählung und als dekorative Entgrenzung der Inszenierung, als „ornamentale räumliche Figuration“190 dar. In ihrem Ansatz ist der analytische Übergang von der Arabeske als singuläre orna- mentale Körperfigur zu ornamentalen Raumgestaltungen mit Körpern, den diese Arbeit vollzieht, angedeutet. Der Inszenierung von Fremdheit im Ballett des 19. Jahrhunderts im All- gemeinen haben sich Claudia Jeschke, Gabi Vettermann und Nicole Hait- zinger in einer weiteren Studie gewidmet.191 In Interaktion und Rhythmus un- tersuchen sie einen breiten Materialkorpus von Tanztraktaten, medizini- schen Diskursen des 19. Jahrhunderts, Libretti, Kritiken und Inszenierungs- notaten und beschreiben Fremdheit als „Generator szenischer und narrati- ver Möglichkeiten, der choreographischen Transgression und des tänzeri- schen Überflusses.“192 Jeschke, Vettermann und Haitzinger verwenden ei- nen weitgefassten Begriff von Fremdheit, der Nationaltänze, die Hispano-

 (Hg.): Souvenirs de Taglioni, Bd. 2 „Bühnentanz in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts“, München 2007, S. 95-112. 188 Pappacena: Carlo Blasis’ Treatise on Dance 1820-1830, S. 293-306; dies., „Dance Terminology and Iconography in Early Nineteenth Century“, S. 105. 189 Claudia Jeschke, Isa Wortelkamp, Gabi Vettermann: „Arabesken. Modelle ‚frem- der‘ Körperlichkeit in Tanztheorie und -inszenierung“, in: Claudia Jeschke, Hel- mut Zedelmaier (Hg.): Andere Körper – Fremde Bewegungen. Theatrale und öf- fentliche Inszenierungen im 19. Jahrhundert, Münster 2005, S. 169-210. 190 Ebd., S. 204. 191 Jeschke, Vettermann, Haitzinger: Interaktion und Rhythmus. 192 Ebd., S. 516. EINLEITUNG | 63 manie des 19. Jahrhunderts,193 Bewegungsqualitäten, groteske Körperbilder wie auch Krankheit und Wahnsinn umfasst. Der Orientalismus des 19. Jahr- hunderts, der für die Arabeske einen zentralen Referenzpunkt des Fremden darstellt, wird dagegen nur beiläufig erwähnt.194 Eine Theorie und Analyse des Ornamentalen im Ballett des frühen 19. Jahrhundert, die sowohl die Pose Arabeske wie auch ornamentale Insze- nierungsstrategien (also räumliche und zeitliche Dimension des Ornamenta- len) auf der Basis ikonografischen Materials betrachtet, wie diese Arbeit sie anstrebt, betritt damit Neuland.

 193 Vgl. dazu auch Nicole Haitzinger, Claudia Jeschke, Gabi Vettermann: „Les Cho- ses Espagnoles“, in: Gunhild Oberzaucher-Schüller (Hg.): Souvenirs de Taglioni, Bd. 2 „Bühnentanz in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts“, München 2007, S. 137-193; sowie dies.: Les choses espagnoles. Research into the Hispanoma- nia of 19th century dance, München 2009. 194 Jeschke, Vettermann, Haitzinger: Interaktion und Rhythmus, S. 459 ff.