BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT Drucksache 21/10768 21. Wahlperiode 30.10.17

Schriftliche Kleine Anfrage

der Abgeordneten Christiane Schneider (DIE LINKE) vom 25.10.17

und Antwort des Senats

Betr.: : Was ist dran an der Kritik zum Vorgehen der Hamburger Polizei?

Am 30. September wurden 171 Personen auf der Anreise zum Nordderby auf einem Parkplatz in Hamburg-Lurup gestoppt und von der Polizei kontrolliert. Die Kontrolle umfasste neben den 171 Personen auch 31 Pkws und dauerte fast sechs Stunden. Die gesamte Personengruppe kam deshalb nicht recht- zeitig zum Spiel.

Die Geschäftsführung von Werder bezeichnet diese Maßnahme als „überzogen und nicht nachvollziehbar“. Und weiter: „Wenn die Argumentation des Hamburger Polizeisprechers Schule macht, dann können wir gleich die Gästebereiche aller Stadien schließen“. Auch die Bundesarbeits- gemeinschaft Fanprojekte (BAG) kritisierte die Hamburger Polizei für diesen Einsatz.

Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat:

Das Verhältnis zwischen den Fans des Hamburger Sportvereins (HSV) und den Fans des SV Werder Bremen wird nach polizeilichen Erkenntnissen aus Bremen und Ham- burg als traditionell feindschaftlich eingestuft und ist immer wieder von Auseinander- setzungen geprägt. Diese Auseinandersetzungen werden sowohl in Vorspielphasen, während der Spiele als auch im Nachlauf von Problemgruppierungen beider Vereine aktiv gesucht. Um polizeilichen Maßnahmen zur Verhinderung solcher Auseinander- setzungen zu entgehen, findet regelhaft eine konspirative Anreise eines Teils der Problemfans des Vereins SV Werder Bremen zum Nordderby nach Hamburg statt. Problemfans sind Fans der Kategorien B (gewaltbereit) und C (gewalttätig). Beim Heimspiel des HSV in der Saison 2015/2016 am 22. April 2016 wurden Angehö- rige der Bremer Ultragruppierungen und weitere Problemfans aus Bremen während der Anfahrt kurz nach Erreichen der Landesgrenze Hamburgs angehalten. Nach Auf- finden von Passivbewaffnung, Betäubungsmitteln, Pyrotechnik und Vermummungs- material wurde die Weiterreise in das Hamburger Stadtgebiet verwehrt und die vier Busse im Rahmen polizeipräventiver Maßnahmen polizeilich begleitet nach Bremen zurückgeführt. Beim Heimspiel des HSV in der Saison 2016/2017 am 26. November 2016 reisten Bremer Ultras konspirativ mit vier Reisebussen zum Bahnhof Ellerau in der Nähe von Quickborn an. Einige davon betraten zuerst vermummt die Waggons der AKN-Bahn und klebten Kameras ab, bevor die gesamte Ultragruppierung in die Bahn stieg. Die dort eingesetzten Polizeibeamten setzten 239 Ultras, überwiegend Fans der Kategorie B und C, fest und fanden bei ihnen eine erhebliche Anzahl von Passivbewaffnung, Vermummungsmaterial und Pyrotechnik. Im Anschluss an die Maßnahmen wurden Drucksache 21/10768 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode die Personen im Rahmen polizeipräventiver Maßnahmen unter Begleitung von uni- formierten Kräften nach Bremen zurückgeführt. In der aktuellen Saison kam es am 10. September 2017 in Berlin zu gewalttätigen Handlungen der Bremer Ultraszene. Elf Polizeibeamte wurden verletzt, als wiederer- kannte Straftäter aus der Vorspielphase festgenommen werden sollten. Das Nordderby am 30. September 2017 wurde nach Schätzungen der Polizei und des Bremer Vereins von circa 4.000 Bremer Fans besucht. Davon haben circa 3.830 Bre- mer Fans als Zuschauer das Spiel im Stadion verfolgen können, darunter auch eine große Anzahl von Problemfans, die zuvor offen mit Bussen und der Bahn angereist waren. Teile dieser Problemfans sind ebenfalls polizeilichen Kontrollmaßnahmen unterzogen worden. Nachdem bei ihnen kein gefahrenbegründendes Verhalten fest- gestellt und/oder gefährliche/verbotene Gegenstände gefunden wurden, konnten sie ihren Weg fortsetzen. Auf dem Parkplatz in Hamburg-Lurup hatte sich eine größere Gruppe von Problem- fans gesammelt, die von der Polizei angetroffen wurde. Insgesamt wurden dort 170 Personen kontrolliert, von denen 107 bereits bei den Einsätzen am 22. April 2016 beziehungsweise 26. November 2016 als Problemfans festgestellt worden waren. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Aus welchem Grund, mit welchem Ziel und auf welcher rechtlichen Grundlage hat die Hamburger Polizei am 30. September 2017 171 Per- sonen fast sechs Stunden festgehalten? Die Rechtsgrundlage ergibt sich aus dem Hamburger Gefahrenabwehrrecht bezie- hungsweise in Einzelfällen aus der Strafprozessordnung (StPO). Rechtsgrundlagen sind § 4 des Gesetzes über die Datenverarbeitung der Polizei (PolDVG), §§ 3, 13 bis 15 sowie 15 a des Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (SOG) sowie §§ 102, 127 Absatz 2 und 163 StPO. Darüber hinaus siehe Vorbemerkung. 2. Von welcher Stelle und wann wurde über eine Kontrolle der Personen entschieden? Die Entscheidung erfolgte am 30. September 2017 um 15.16 Uhr durch den Poli- zeiführer nach Bekanntwerden des Angriffs auf Polizeibeamte in Zivil auf dem Park- platz Grandkuhlenweg (Siehe Antwort zu Frage 12. c.). 3. Sollte die Anreise der 171 Werder-Fans zum Nordderby durch das beschriebene Vorgehen unterbunden werden? Nein. a. Wenn nein, warum dauerte die Kontrolle so lange? Der Zeitaufwand ist auf die Anzahl der Personen, die Anreise mit zahlreichen ver- schiedenen Fahrzeugen und die unübersichtlichen Örtlichkeit an zwei belebten, nebeneinanderliegenden Supermarktparkplätzen am Samstagnachmittag zurückzu- führen. b. Warum wurden nicht einzelne Fans (nach der Kontrolle) entlassen? Aufgrund der polizeilichen Lageerkenntnisse wurden nicht einzelne Fans nach der Kontrolle entlassen. Die Polizei hatte festgestellt, dass sich Hamburger Problemfans in Gruppen in direkter Umgebung und angrenzenden Straßen zum Parkplatz Grand- kuhlenweg aufhielten. Um eine Konfrontation zwischen den Gruppen im Anschluss an die polizeilichen Maßnahmen zu verhindern, ist durch den Polizeiführer entschieden worden, die Bremer Fans nicht allein oder in Kleingruppen aus dem Parkplatzbereich in Richtung Stadion gehen zu lassen. 4. Hat es konkrete Bemühungen seitens der Polizei gegeben mit dem Ziel, der überwiegenden Mehrheit der nicht tatverdächtigen Personen in der Durchsuchungsmaßnahme ein rechtzeitiges Erreichen des Stadions zu ermöglichen?

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Wenn ja, wann und welche? Nein. Darüber hinaus siehe Antwort zu 3. b. 5. Gab es einen Rahmenbefehl für den Einsatz am 30. September? Enthält dieser Rahmenbefehl das Ziel, angereiste Werder-Ultras am Betreten des Stadions durch entsprechend lange Kontrollmaßnahmen zu hin- dern? Nein. 6. Gab es im Vorfeld des Nordderbys eine Auswertung über vorangegan- gene Maßnahmen (seit dem Spiel 2016), durch die die Bremer Ultrasze- ne am Betreten des Volksparkstadions gehindert wurde? a. Wenn ja, welchen Tenor hatte diese Auswertung? b. Welches Ergebnis hatte sie? Im Rahmen der Bundesliga-Vorauslage gab es eine Einschätzung der Landesinforma- tionsstelle Sport Hamburg (LIS). Diese ist als Verschlusssache eingestuft. Die zurück- liegenden Einsätze sind im Rahmen der Nachbereitung ausgewertet und zur Gefah- renprognose für diesen Einsatz herangezogen worden. Im Übrigen berührt die Frage- stellung die Einsatztaktik der Polizei, zu der aus grundsätzlichen Erwägungen keine Angaben gemacht werden. 7. Gab es zur Frage der Anreise ein Gesprächsangebot der Werder Ultra- Gruppe „Infamous Youth“ an die Hamburger Polizei? Wenn ja, wurde es angenommen und mit welchem Ergebnis bezie- hungsweise warum wurde es nicht angenommen? Nein. 8. Wie wird „konspirative Anreise“ polizeitaktisch und rechtlich konkret defi- niert? Der Begriff „konspirative Anreise“ ist polizeitaktisch rechtlich nicht definiert. Unter einer „Konspirativen Anreise“ wird eine nicht offen dargelegte, geheime Anreise verstanden. a. Was müsste getan werden, damit eine Anreise aus polizeilicher Sicht nicht als „konspirativ“ gewertet wird? Die Bewertung kann nur anhand eines konkreten Einzelfalles vorgenommen werden; im Übrigen siehe Antwort zu 8. b. Inwiefern und auf welcher Rechtsgrundlage ist eine „konspirative Anreise“ strafbar oder hinreichender Anlass für gefahrenabwehr- rechtliche Maßnahmen wie beispielsweise gruppenbezogene Durchsuchungen und Identitätsfeststellungen? Siehe Antwort zu 8. a. 9. Inwiefern war die Bremer Polizei bei Planung und Durchführung der Durchsuchungsmaßnahmen in Hamburg-Lurup am 30. September betei- ligt? Die Frage berührt die Einsatztaktik der Polizei, zu der aus grundsätzlichen Erwägun- gen keine Angaben gemacht werden. 10. Waren Bremer Polizeibeamte vor Ort? Wenn ja, mit welchem konkreten Auftrag? Ja; im Übrigen siehe Antwort zu 9. 11. Welche Informationen hat die Bremer Polizei im Zusammenhang mit dem Nordderby am 30. September an die Hamburger Polizei übermittelt bezüglich mutmaßlich relevanter Personen(gruppen), Anreisewegen nach Hamburg und gegebenenfalls zu treffender Maßnahmen? Von wie

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vielen Personen ist hier die Rede und inwiefern waren diese Informatio- nen ursächlich für die Kontrolle? Die Polizei Bremen hat am 26. September 2017 im Rahmen des standardisierten Informationsaustausches einen Vorausbericht zum bevorstehenden Bundesligaspiel zwischen dem Hamburger SV und dem SV Werder Bremen an die LIS übermittelt. Hiernach musste mit einer Anreise von circa 5.500 Bremer Fans gerechnet werden, darunter etwa 400 Ultras, hiervon circa 240 bis 250 Personen der Kategorie B und circa 40 bis 50 Personen der Kategorie C. Im Allgemeinen war von einer Anreise mit Personenkraftwagen, Gruppenfahrzeugen, der Bahn sowie über organisierte Busrei- sen auszugehen. Des Weiteren musste damit gerechnet werden, dass einzelne Fans der Kategorie A aufgrund der hohen Emotionalisierung bei sich bietender Gelegenheit problemfantypisches Verhalten zeigen. Das Verhältnis zwischen den Problemfans beider Vereine wurde übereinstimmend als feindschaftlich eingestuft. Inwieweit diese Informationen ursächlich für die in Rede stehende Kontrolle waren, unterliegt im Ergebnis der Polizeitaktik, zu der aus grundsätzlichen Erwägungen keine Angaben gemacht werden. 12. Sind Augenzeugenberichte zutreffend, wonach Polizeibeamtinnen/Poli- zeibeamte ihre Dienstwaffe gezogen haben sollen? Wenn ja: a. Waren dies Beamtinnen/Beamte der Hamburger Polizei? Ja. b. Waren sie vermummt? Nein. c. Was ist die genaue Begründung für beides? Ein eingesetzter Polizeibeamter ist massiv von einem später festgestellten Bremer Ultra bedroht und genötigt worden. Ein entsprechendes Strafverfahren wurde eingelei- tet. Da sich der bedrohte Beamte allein in seinem Fahrzeug befand und der Täter die Tür aufgerissen hatte, um augenscheinlich körperlich auf den Polizeibeamten einzu- wirken, sind ihm weitere Polizeibeamte mit zur Eigensicherung gezogenen Dienstwaf- fen zu Hilfe geeilt. 13. Wie viele Tatverdächtige hat die Polizei nach Kenntnis des Senates ermittelt und welche Straftaten beziehungsweise Ordnungswidrigkeiten werden ihnen konkret vorgeworfen? Nach bisherigem Kenntnisstand wurden gegen zwei Betroffene Ordnungswidrigkei- tenverfahren wegen des Mitführens von Vermummungsgegenständen eingeleitet. Darüber hinaus konnten fünf Tatverdächtige ermittelt werden, gegen die ein Strafver- fahren eingeleitet wurde: In vier Fällen wird wegen des Verstoßes gegen das Ver- sammlungsgesetz (VersammlG) gemäß § 17 a in Verbindung mit § 27 VersammlG, in einem Fall wegen Nötigung gemäß § 240 Strafgesetzbuch ermittelt. 14. Welche polizeilichen Maßnahmen wurden durchgeführt und welche Gegenstände sichergestellt? Die Polizei hat folgende Maßnahmen getroffen: Durchsuchungen von Personen und Sachen, Identitätsfeststellungen, Ingewahrsamnahmen, Festnahmen, Sicherstellun- gen. Sichergestellt wurden Sturmhauben, Schlauchschals, Mundschützer, Handschu- he, Pfefferspray und Einhandmesser. 15. Hat es im Nachgang des Nordderbys am 30. September eine Auswer- tung der Durchsuchungsmaßnahmen vonseiten oder mit Beteiligung der Bremer Polizei gegeben? Wenn ja, mit welchem Ergebnis? Mit Beteiligung der Bremer Polizei: nein. Darüber hinaus liegen keine Erkenntnisse vor.

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16. Wie bewertet der Senat die Durchsuchungsmaßnahmen hinsichtlich a. ihrer Dauer, b. der Zahl der kontrollierten Personen, c. der Zahl der konkret Tatverdächtigen und d. dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit? Die Maßnahmen wurden im Rahmen des rechtlichen Zulässigen unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit getroffen. 17. Sieht der Senat die Gefahr, dass das angespannte Verhältnis von Teilen der Fanszene zur Polizei durch Maßnahmen wie die beschriebene weiter verschlechtert werden könnte? Nein; im Übrigen orientiert sich polizeiliches Einschreiten allein am gesetzlichen Auf- trag sowie an den damit verbundenen Eingriffsbefugnissen zur Abwehr von Gefahren und zur Verhinderung von Straftaten beziehungsweise zur Strafverfolgung.

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