1/2020 Heft ISSN 0940-4163 Militärgeschichte im Bild: Spielende Kinder im kriegszerstörten vor der Ruine der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche Das Kriegsende 1945 in Europa Deutsch-Französischer Krieg 1870/71 Das Große Hauptquartier 1914‑1918 Der Kapp-Lüttwitz-Putsch

ZMS Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr Impressum Inhalt

Militärgeschichte Zeitschrift für historische Bildung Das Ende des Zweiten Weltkrieges Herausgegeben in Europa 4 vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr durch Kapitän zur See Dr. Jörg Hillmann und Oberst Dr. Frank Hagemann (V.i.S.d.P.) Oberstleutnant PD Dr. John Zimmermann, geb. 1968 in Bruchsal/Baden, Verantwortliche Redakteure der aktuellen Leiter Forschungsbereich Deutsche Ausgabe: Militärgeschichte bis 1945 am ZMSBw Oberleutnant Helene Heldt M.A. Oberstleutnant Dr. Harald Potempa

Redaktion: Cornelia Grosse M.A. (cg) Oberleutnant Helene Heldt M.A. (hh) Der Deutsch-Französische Major Chris Helmecke M.A. (ch) Krieg 1870/71 10 Fregattenkapitän Dr. Christian Jentzsch (cj) Oberstleutnant Dr. Harald Potempa (hp) Oberstleutnant Dr. Klaus Storkmann (ks) Wissenschaftlicher Oberrat Dr. Gerhard Bauer, Bildredaktion: Esther Geiger geb. 1963 in Erding, Sachgebietsleiter Lektorat: Dr. Aleksandar-S. Vuletić Uniformen/Feldzeichen am Karten: Dipl.-Ing. Bernd Nogli, Militärhistorischen Museum Dresden Frank Schemmerling Layout: Carola Klinke Anschrift der Redaktion: Redaktion »Militärgeschichte« Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr Das Große Hauptquartier von Postfach 60 11 22, 14411 Potsdam 1914 bis 1918 14 E-Mail: ZMSBwRedaktionMilGeschichte@ bundeswehr.org Homepage: www.zmsbw.de Oberst a.D. Dr. Gerhard P. Groß, geb. 1958 Manuskripte für die Militärgeschichte werden in Mainz, ehemaliger Leiter des an obige Anschrift erbeten. Für unverlangt ein- Forschungsbereiches Deutsche gesandte Manuskripte wird nicht gehaftet. Durch Militärgeschichte bis 1945 am ZMSBw Annahme eines Manuskriptes erwirkt der He- rausgeber auch das Recht zur Veröffentlichung, Übersetzung usw. Die Honorarabrechnung er- folgt jeweils nach Veröffentlichung. Die Redak­ tion behält sich Änderungen von Beiträgen vor. Die Wiedergabe in Druckwerken oder Neuen Medien, auch auszugsweise, anderweitige Ver- Der Kapp-Lüttwitz-Putsch vielfältigung sowie Übersetzung sind nur nach Krise der Weimarer Republik 18 vorheriger schriftlicher Zustimmung erlaubt. Die im März 1920 Redaktion übernimmt keine Verantwortung für die Inhalte von in dieser Zeitschrift genannten Oberstleutnant Dr. Martin Hofbauer, Webseiten und deren Unterseiten. geb. 1969 in Passau, Leiter Projektbereich Für das Jahresabonnement gilt aktuell ein Preis Einsatzunterstützung am ZMSBw von 14,00 Euro inklusive Versandkosten (inner- halb Deutschlands). Die Hefte erscheinen in der Regel jeweils zum Ende eines Quartals. Die Kün- digungsfrist beträgt sechs Wochen zum Ende des Bezugszeitraumes. Ihre Bestellung richten Sie Service bitte an: Das historische Stichwort: Druckhaus Plagge GmbH Siegessäule und Friedensengel 22 An der Feuerwache 7, 49716 Meppen, E-Mail: [email protected] Neue Medien 24 © 2020 für alle Beiträge beim Lesetipps 26 Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) Die historische Quelle 28 Druck: Geschichte kompakt 29 Druckhaus Plagge GmbH, Meppen Ausstellungen 30 ISSN 0940-4163 Grußwort Liebe Leserinnen, liebe Leser,

8. Mai oder 2. September 1945? Wann ge­ nau endete der Zweite Weltkrieg? In Eu­ Militärgeschichte ropa ist die Antwort klar: am 8. Mai. An je­ nem Tag trat die von Generaloberst Alfred Jodl gegenüber dem Oberbefehlshaber der im Bild alliierten Streitkräfte in Europa, General Dwight D. Eisenhower, am Tag zuvor un­ Mahnmal für Frieden terzeichnete bedingungslose Kapitulation und Versöhnung 31 in Kraft. Am 8. Mai unterschrieb General­ feldmarschall Wilhelm Keitel eine zweite Kapitulationserklärung gegenüber der Sowjetunion. Im Pazifik kämpften die Alli­ ierten gegen Japan und seine Verbündeten indes weiter. Hier dauerte der Krieg noch bis zum Spätsommer 1945. Mit den beiden Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki fand er ein erschreckendes Ende. Japan kapitulierte am 2. Sep­ tember 1945. Beide Daten sind somit inhaltlich korrekt und verdeutlichen gleichwohl ei­ nes der Kernprobleme der Geschichtswissenschaft: Die Annäherung an eine historische Wahrheit – mehr als das ist nicht möglich – ist immer eine Frage der Perspektive. Diese, ob regional, national oder global, individuell oder kol­ lektiv, leitet die historische Interpretation des Faktischen und bestimmt dar­ über hinaus die Erinnerung. Der Blick auf das Ende eines historischen Ereignisses oder Prozesses ist zu­ Spielende Kinder im kriegszerstörten Berlin vor gleich oft mit einer Bilanzierung verknüpft. Und diese ist für den Zweiten der Ruine der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche. Weltkrieg nicht nur unvorstellbar in ihren Dimensionen, sondern durch Foto: akg-images/Fritz Eschen nackte Zahlen auch kaum auszudrücken: 65 Millionen Kriegstote. Zusammen mit den Opfern von Verbrechen im Krieg sind es etwa 80 Millionen Tote. Über 30 Millionen Menschen verloren außerdem ihre Heimat, Städte und Regionen wurden völlig zerstört, Familien auseinandergerissen oder ausgelöscht. John Zimmermann blickt in der vorliegenden Ausgabe der Militärge- schichte auf das Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa. Er beschreibt die Skrupellosigkeit der deutschen Kriegführung seit Beginn des Krieges und be­ leuchtet insbesondere die Ereignisse im letzten Kriegsjahr: Von den Versu­ chen der deutschen politischen und militärischen Führung, durch immer neue Operationen die unvermeidliche Niederlage hinauszuzögern, über den Umgang mit Deserteuren innerhalb der Wehrmacht bis hin zu den Teilkapi­ tulationen. Auch für die Wehrmacht wurde das letzte Kriegsjahr dadurch zum brutalsten: Die Verluste waren höher als in allen vorherigen Kriegsjah­ ren zusammen. In der kommenden Ausgabe der Militärgeschichte wird sich Takuma Mel­ ber mit dem Zweiten Weltkrieg nach dem Mai 1945 befassen und seinen Blick, weg von Europa, hin zum pazifischen Raum wenden. Dort befand sich Japan mit China bereits seit 1937 im Krieg. Nach dem Angriff auf Pearl Harbor am 7. Dezember 1941 gerieten die USA in schwere Insel- und Flottengefechte mit dem japanischen Militär. Der Zweite Weltkrieg war ein globaler Krieg. So, wie man sein Ende aus un­ terschiedlichen Perspektiven betrachten kann, so auch seinen Anfang. Doch das ist wieder ein anderes Thema. Ich wünsche Ihnen eine erkenntnisreiche Lektüre!

Ihr Chris Helmecke Ende des Zweiten Weltkrieges IMAGNO/Votava/Süddeutsche Zeitung Photo IMAGNO/Votava/Süddeutsche

5Mai 1945: Zwei Soldaten der Roten Armee in der Neuen Reichskanzlei in Berlin. Zu ihren Füßen liegt das zerstörte Symbol der nationalsozialistischen Herrschaft.

Das Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa

Unmittelbar kamen 65 Millionen Men- tungskrieg im Osten Europas. Im Un­ Der Anfang vom Ende schen zu Tode und mittelbar weitere terschied zum Ersten Weltkrieg kann 15 Millionen, mehr als 30 Millionen mus- man über das Motiv 1939 nicht strei­ Jenes hatte ihn und seine National­ sten als Flüchtlinge ihre Heimat verlassen. ten. Adolf Hitler hatte nie einen Hehl sozialistische Deutsche Arbeiterpartei Ungezählte Menschen wurden an Körper daraus gemacht, wie er sich die Welt (NSDAP)­ in mehreren Wahlen hinter­ und Seele verletzt. Schon die nackten Zah- vorstellte und wie er diesen Zustand einander zur mit weitem Abstand len künden von den unvorstellbaren Di- herzustellen gedachte. Die militärische stärksten politischen Kraft gemacht. mensionen des Zweiten Weltkrieges, den Führung des Deutschen Reiches weihte Viele sehnten sich nach einem »starken die Aggressoren aus Deutschland und Ja- er bereits 1933 ein, vier Tage nachdem Mann«, der Ordnung, Sicherheit und pan über ihre Nachbarn gebracht hatten. er vom Reichspräsidenten Paul von Wohlstand versprach. Sie waren in der Hindenburg zum Reichskanzler er­ »Weimarer Republik« nie wirklich an­ m Zweiten Weltkrieg sind beispiel­ nannt worden war: Es ging um die gekommen oder hatten sie gar von An­ lose Verbrechen von Deutschen oder Wiederherstellung des Großmachtsta­ fang an abgelehnt, nicht wenige be­ Iin deutschem Namen begangen wor­ tus und die Eroberung von Lebens­ kämpften sie aktiv. Zählt man die den: allen voran die Ermordung der raum im Osten Europas für das deut­ Stimmen derjenigen zusammen, die europäischen Juden und der Vernich­ sche Volk. bei den Reichstagswahlen 1932/33 für

4 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2020 Eine Kolonne sowjetischer Kriegsge- SZ Photo/Süddeutsche Zeitung Photo fangener marschiert im Oktober 1941 in ein Sammellager.

Parteien votierten, die im Kern Repu­ blik und Demokratie ablehnten, so war beides mit überwältigender Mehrheit abgewählt worden. Insofern wird die nach Kriegsende gelieferte Argumen­ tation, die Mehrheit der Deutschen habe Hitler nie gewählt, sehr deutlich relativiert. Zudem unterstützten die weitaus meisten die unter ihm rasch installierte Diktatur. Noch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges meinte rund die Hälfte der Deutschen, der Na­ tionalsozialismus sei eine im Grunde gute Idee, die nur schlecht ausgeführt worden sei. Insbesondere die Friedens­ jahre des NS-Regimes empfanden viele im Nachhinein als »die gute Zeit«, manche sogar als die beste Zeit in der deutschen Geschichte. Das erscheint unfassbar angesichts tionen bestehend durchstreiften mit der verhungern oder sich für die Deut­ der Tatsache, dass das NS-Regime von vorher zusammengestellten Listen schen zu Tode schuften. Der »slawische Anfang an ein verbrecherisches war, ­Polen, verhafteten und ermordeten Untermensch«, wie ihn die NS-Propag­ das seine Gegner oder zu solchen Er­ ­Menschen von der politischen über die anda bezeichnete, hatte nur als Arbeits­ klärte ausgrenzte, kriminalisierte und Bildungs- bis hin zur religiösen Elite. sklave eine Berechtigung, ansonsten ermordete. Über sechs Millionen Nicht nur das Land selbst wurde skru­ war er völlig entrechtet. Schon in den ­jüdische Männer, Frauen und Kinder pellos ausgeplündert, sondern die Befehlen an die Wehrmacht vor Beginn wurden umgebracht, die Mehrzahl in ­polnische Bevölkerung gleich mit. des Überfalls auf die Sowjetunion hob eigens dafür eingerichteten »Mord­ Hunderttausende wurden als Zwangs­ die militärische Führung jede Be­ fabriken«. arbeiterinnen und Zwangsarbeiter schränkung auf. Die programmatische Im Osten Europas führte die Wehr­ missbraucht. Und all das sollte doch Bezeichnung Unternehmen »Barba­ macht einen geplanten und organisier­ nur der »Auftakt zum Vernichtungs­ rossa« war dabei angelehnt an den ten Raub- und Vernichtungsfeldzug. krieg« (Jochen Böhler, Historiker) sein, Stauferkaiser Friedrich I. »Barbarossa«, Gefangene polnische Soldaten erschoss der 1941 in die Sowjetunion hineinge­ der im 12. Jahrhundert einen Kreuzzug man bereits 1939 nach dem Überfall tragen wurde. ins »Heilige Land« angeführt hatte. Zi­ auf ihr Land mitunter einfach. Mörder­ Über drei Millionen kriegsgefangene vilisten konnten nicht nur Opfer des banden aus Polizei- und NS-Organisa­ sowjetische Soldaten ließ man entwe­ Kriegsgeschehens werden, die Men­ schen in der Sowjetunion waren das Ziel der militärischen Operationen. Rund 27 Millionen fielen der deut­ schen Kriegführung und ihren Folgen in der gesamten Sowjetunion zum Op­ fer! Nur etwa die Hälfte von ihnen wa­ ren Soldaten – und damit immer noch weit mehr als doppelt so viele, wie die Gesamtverluste der Wehrmacht im SZ Photo/Süddeutsche Zeitung Photo Zweiten Weltkrieg ausmachten. Die Wehrmacht unterstützte die NS- Mörderbanden bei ihren Vernichtungs­ zügen nicht nur logistisch, sondern sie beteiligte sich oft genug direkt an den Kriegsverbrechen und beging sie selbst, vom Raub bis zu Vergewalti­ gung und Mord. Für so gut wie nichts mussten sich deutsche Soldaten ver­

Gefangene nach der Befreiung des Konzentrationslagers Wöbbelin bei Ludwigslust durch amerikanische Sol- daten (undatierte Aufnahme).

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2020 5 Ende des Zweiten Weltkrieges

antworten. Im Gegenteil: Etliche Be­ zweite Front in Europa. Nach harten Die deutsche Kriegführung fehle verboten gar jedes Mitgefühl und Kämpfen gelang dort der Ausbruch ordneten ausdrücklich grausames aus dem Brückenkopf und von da an Ab der zweiten Jahreshälfte 1944 Handeln an. Bis auf ganz wenige Aus­ gab es kein Halten mehr. Im September konnte der Wehrmacht daher immer nahmen exekutierte die deutsche Ge­ 1944 war die Wehrmacht in die Nieder­ weniger geliefert werden, was sie für neralität und Admiralität Hitlers Wei­ lande und auf die Reichsgrenze zu­ eine noch so rudimentäre Kriegfüh­ sungen fraglos – und nicht nur an rückgedrängt, hatte zuvor in Frank­ rung benötigte. Für die Fahrzeuge dieser Front: Die Hakenkreuzfahne reich Hunderttausende Männer und fehlte es an Treibstoff, für die Panzer wehte an der Jahreswende 1942/43 nahezu ihr gesamtes Großgerät verlo­ und Geschütze noch dazu an Munition. vom höchsten Berg Europas, dem El­ ren. Nur weil der Nachschub den ra­ Bis hinunter zu den Handwaffen der brus im Kaukasus, über dem Balkan, santen Erfolgen der eigenen Verbände Soldaten setzte sich das Waffenarsenal den griechischen Inseln im Mittelmeer, nicht hinterherkam, musste die westal­ zu immer größeren Teilen aus Bestän­ über Nordafrika, West- und Nordeu­ liierte Führung den Vormarsch stop­ den aller von der Wehrmacht ausge­ ropa bis hinauf zum Nordkap. pen und ihre Truppen neu ordnen. plünderten Länder zusammen – mit Durch die vielen Eroberungen waren Nicht anders im Osten: Abgestimmt ­allen Folgeproblemen für den Nach­ die deutschen Linien am Ende völlig auf die Landung in der Normandie schub. Aus Kriegsgefangenen und überdehnt. Zwar gelang 1944 der deut­ überrannte die Rote Armee die Heeres­ Zwangs­arbeitern mussten an wichti­ schen Rüstungsindustrie noch ein Re­ gruppe Mitte, drängte die deutsche gen Hangstraßen »Schiebekomman­ kordausstoß an Waffen und Munition Ostfront auf einer Breite von über tau­ dos« zusammengezogen werden, weil – auf dem Rücken der Zwangsarbeite­ send Kilometern bis zu 600 Kilometer es sich beim Fuhrpark der Wehrmacht rinnen und Zwangsarbeiter, die sich nach Westen zurück und schnitt die um eine denkwürdige Ansammlung im Reich zu Tode schuften mussten, Heeresgruppe Nord von allen Land­ von pferdebespannten Gefährten, aber auch durch die skrupellose Aus­ verbindungen ins Reich ab. Drei der landwirtschaftlichen Zugmaschinen beutung der besetzten Länder, vor al­ vier Armeen der Heeresgruppe Mitte und handelsüblichen Kraftfahrzeugen lem der Sowjetunion. wurden dabei aufgerieben, 28 ihrer 38 handelte, darunter so viele mit Holz­ Die Niederlage von Stalingrad An­ Divisionen zerschlagen, rund 190 000 vergasern, dass in jeder Ortschaft ent­ fang 1943 und die Kapitulation der Mann getötet oder verwundet und lang der Hauptstraßen Depots mit Heeresgruppe Afrika wenige Monate 160 000 gefangengenommen. Auch hier Tankholz angelegt werden mussten. später markierten die Kriegswende. erlaubten alleine sowjetische Nach­ Die meisten Fahrzeuge hatte außerdem Von da an befand sich die Wehrmacht schubschwierigkeiten den deutschen keine Gummireifen mehr, die solange auf dem Rückzug im Osten und nach Truppen, die Front noch einmal eini­ durch Holzreifen ersetzt wurden, bis den gelungenen Landungen der west­ germaßen zu stabilisieren. auch jene zur Mangelware wurden. lichen Alliierten in Italien im Sommer Zusätzlich bombardierten westalli­ Das Gros der Soldaten war aber oh­ 1943 allmählich auch im Westen, bis ierte Flugzeugflotten Tag und Nacht nehin zu Fuß unterwegs, wenn sie der Sommer 1944 schließlich die end­ deutsche Städte. Sie konnten nun von nicht zu den wenigen fahrradbewegli­ gültige Entscheidung brachte: Die Flugfeldern auf dem europäischen chen Verbänden gehörten, die allen Landung der Westalliierten in der Nor­ Kontinent starten, errangen bald die Ernstes als »Mittel der oberen Führung mandie und in Südfrankreich schuf die Luftüberlegenheit und zerstörten un­ zur beweglichen Bekämpfung durch­ von Stalin lange schon geforderte gehinderter vor allem die Infrastruktur. gebrochener Panzerkräfte« und zur »bewegliche[n] Reserve der oberen Führung« eingesetzt wurden. Fast ist es müßig zu sagen, dass auch diese bald auf den Felgen daherkamen. Doch die Deutschen kämpften weiter – jedenfalls im Osten, wo sie die Rache der Roten Armee fürchteten und eine Evakuierung der Bevölkerung erst sehr spät erlaubt wurde. Im Westen SZ Photo/Süddeutsche Zeitung Photo hingegen hatte das Regime die Eva­ kuierung der Einwohner angeordnet, aber die meisten wollten nicht gehen: Die Menschen dort hatten vor den ei­ genen Soldaten bald mehr Angst als vor den gegnerischen, was nicht nur am teilweise marodierendem Verhal­ ten, sondern vor allem an der Art und Weise lag, wie die Wehrmacht den Krieg auf eigenem Boden fortsetzte.

Angehörige der Wehrmacht auf Fahrrä- dern mit Panzerfäusten, eingesetzt als »fliegendes Jagdkommando« gegen so- wjetische Panzer in Breslau, März 1945.

6 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2020 Die während der deutschen Ardennen- offensive 1944 belagerte und bombar- dierte Stadt Bastogne.

Bereits Mitte September 1944 hatte Hitler gefordert, dass das Erreichen der Reichsgrenzen die Kampfführung nicht nur der Truppen, sondern der ge­ samten Bevölkerung fanatisieren müsse. Jedes Haus, jedes Dorf und jede Stadt sollten zur Festung werden, un­ ter deren Ruinen sich die Verteidiger notfalls begraben zu lassen hätten. Die Aufstellung des »Volkssturms« im Ok­ tober 1944 mobilisierte alle noch nicht einberufenen männlichen Deutschen zwischen 16 und 60 Jahren. Der militä­ rische Wert des »Volkssturms« war ge­ ring, und oft genug erwiesen sich seine Verbände für die Wehrmacht mehr als Belastung denn Verstärkung. Kaum ausgerüstet und ausgebildet, kämpfte IMAGNO/Votava/Süddeutsche Zeitung Photo die Miliz an der Ostfront stellenweise verzweifelt, im Westen hingegen löste um dessen Aussichtslosigkeit sie längst brach jedoch die Offensive zusammen; sie sich meist schnell wieder auf. wusste, verweist auf eine weitere Di­ knapp sechs Wochen nach dem Beginn Hatte Skrupellosigkeit die deutsche mension ihrer Verantwortungslosig­ standen die deutschen Verbände wie­ Kriegführung von Anfang an gekenn­ keit. Weder existierte ein Plan zur der in ihren Ausgangsstellungen. Bis zeichnet, wurde sie im Kontext der zu­ Reichsverteidigung noch standen nach zu diesem Zeitpunkt waren beiderseits nehmenden Unzulänglichkeiten sogar den Desastern an der West- und Ost­ der Fronten rund 143 000 Mann tot, zur Tugend umgedeutet. Der »Füh­ front ausreichend Bodentruppen zur verwundet, vermisst oder gefangen. rer«-Befehl vom 28. November 1944 Verfügung, Luftwaffe und Marine wa­ Militärisch bewirkt hat die Offensive verlangte den »rücksichtslosen Einsatz ren völlig ineffektiv. das genaue Gegenteil der eigentlichen jedes einzelnen, todesmutige Tapfer­ Stattdessen überboten sich die militä­ Absicht: Sie hatte endgültig alle deut­ keit der Truppen, standhaftes Aushar­ rischen Führer mit pathetischen schen Reserven aufgebraucht, von nun ren aller Dienstgrade und unbeugsame Durchhaltebefehlen. Ausschlaggebend an lebten die deutschen Truppen im überlegene Führung«. Dass die Wehr­ dafür, ob eine Maßnahme noch ange­ Westen nur noch »von der Hand in den machtführung einen Krieg fortsetzte, ordnet wurde, war kein militärischer Mund«. Nutzen mehr. Entscheidend war al­ Trotzdem wurde der Krieg fortge­ leine die Tatsache, dass die Mittel für setzt, mit noch jüngeren, noch schlech­ die befohlene Aktion noch vorhanden ter oder gar nicht ausgebildeten und waren. Daneben sekundierten die be­ ausgerüsteten Soldaten. Anfang 1945 fehlshabenden Offiziere ihrem »Füh­ war zunächst der Geburtsjahrgang rer« weiterhin beim Terror, jetzt auch 1928 an der Reihe, im Februar lief be­ gegen die eigene Bevölkerung und reits die Einziehung des Jahrganges Truppen, und schickten die ihnen an­ 1929 an. Die noch verbliebenen Ausbil­ vertrauten Soldaten in die aussichtslo­ dungs- und Ersatzeinheiten wurden an sesten Gefechte. die Front geworfen und sogar die Auf­ stellung eines Frauenbataillons ange­ Die letzte deutsche ordnet – ein Tabubruch, denn aus NS- Großoffensive Sicht sollten Frauen sich um Heim und Herd kümmern und den Männern die Als Paradebeispiel kann dafür die Ar­ Kriegführung überlassen. Statistisch dennenoffensive gelten: Als niemand betrachtet, hatte ein Anfang 1945 ein­ mehr mit einer solchen Operation rech­ gezogener Rekrut dieselbe Überleben­ nete, griffen drei deutsche Armeen am schance wie einer, der seit 1939 bereits 16. Dezember 1944 zwischen Mon­ Soldat war, nämlich vier Wochen. schau und Echternach Richtung Ant­ So avancierte die Ardennenoffensive werpen an. Kaum acht Tage später zum Menetekel für all das, was an

Deutsche Soldaten, die von fliegenden Standgerichten zum Tode verurteilt und zur Abschreckung öffentlich gehängt​ wurden. Sie hatten geplant, Wien unter Vermei-

SZ Photo/Süddeutsche Zeitung Photo dung weiterer Kämpfe an die vorrückenden sowjetischen Trupp​en zu übergeben, Frühjahr 1945.

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2020 7 Ende des Zweiten Weltkrieges

»Kriegführung« im letzten halben Jahr Terrorisierung und Fanatismus Mehr als Menschenleben vermochte des Krieges in Europa noch kommen die deutsche Führung ihren Gegnern sollte. In einem Weltkrieg voller Tief­ Wer all das nicht mehr mitmachen in der letzten Phase des Krieges nicht punkte bildete sie einen weiteren in wollte, wurde zunehmend drangsa­ mehr entgegenzusetzen, als die Alli­ der Reihe der skrupellosen Unterneh­ liert. Bei abgeschnittenen Truppentei­ ierten im Januar 1945 ihre Großoffensi­ mungen der Wehrmachtführung. len räumte ein Befehl des Oberkom­ ven zur endgültigen Eroberung des Diese hatte vorher gewusst, dass es ih­ mandos der Wehrmacht Ende Januar Reichsgebietes starteten. Im Westen ren Verbänden längst an allem man­ 1945 jedem Soldaten gleich welchen setzten sie im März über den Rhein gelte, was für eine solche Operation ge­ Dienstgrades ein, die Kommandoge­ und erreichten im April die Elbe, wo braucht wurde. Sie war nicht einmal walt zu übernehmen, sofern er nur be­ sie auf die vorstoßende Rote Armee mehr fähig, die Pläne »handwerklich reit war, mit seiner Truppe weiterzu­ trafen – medienwirksam inszeniert bei korrekt« umzusetzen: Wegen der ange­ kämpfen. Im Monat darauf wurde Torgau. Hart gekämpft wurde aber ordneten Geheimhaltung fanden keine nicht nur verlangt, dass auf »Überläu­ weiterhin im Osten, im Westen nur Erkundungen statt und wegen der fer [...] von jedem sofort das Feuer zu dort, wo fanatisierte Endkämpfer dazu ständig drohenden alliierten Jagdbom­ eröffnen« sei, sondern auch verfügt, zwangen oder ein rechtzeitiges Aus­ bergefahr konnte nur nachts bis in die dass »[j]eder, der nicht schießt, [...] zu weichen nicht mehr möglich war. Re­ Angriffsräume marschiert werden. Die bestrafen« sei. Außerdem waren Solda­ lativ willkürlich kam es dabei zu bluti­ Truppen stießen in der Regel in ihnen ten, »die abseits ihrer Einheit auf Stra­ gen Gemetzeln wie jenem im völlig unbekanntes Terrain vor, und ßen, [...] ohne verwundet worden zu Hürt­genwald, manchmal auch in eini­ zudem auf einen Gegner, über den sie sein angetroffen werden und angeben, gen Städten, Dörfern oder auch nur nichts wussten; weder Absprachen Versprengte zu sein, standrechtlich zu Gehöften. noch Verbindungen untereinander erschießen«. Die jeweiligen Komman­ Anders als im Ersten Weltkrieg, gab funktionierten. deure hatten dazu wöchentlich zu mel­ es keinen in der militärischen Führung Doch auch damit nicht genug: Als den, nicht ob, sondern »wie viel [sic!] des Deutschen Reiches, der für einen die Ardennenoffensive längst abgebro­ Soldaten standrechtlich erschossen Waffenstillstand oder gar eine Kapitu­ chen war, starteten am 1. Januar 1945 wurden«. Deren tatsächliche Zahl wird lation die Verantwortung zu überneh­ rund 900 deutsche Kampfflugzeuge ei­ wohl nie genau ermittelt werden kön­ men bereit gewesen wäre. Die Männer nen Angriff auf alliierte Frontflug­ nen. und Frauen des 20. Juli 1944 waren es, plätze in Belgien, den Niederlanden Von allen Fronten liegen Beispiele doch nach dem gescheiterten Attentat und in Nordfrankreich. Fast ein Drittel vor, dass tatsächliche oder vermeintli­ und Putschversuch fand sich niemand der Maschinen wurden dabei abge­ che Deserteure, Befehlsverweigerer mehr. Selbst die verbrecherischen Pala­ schossen, auch von der eigenen Luftab­ oder sogenannte Defätisten kurzer­ dine des Regimes wie Hermann Gö­ wehr. Das Unternehmen »Boden­ hand an Bäumen und Laternen aufge­ ring, Heinrich Himmler oder Joseph platte« war so konspirativ vorbereitet hängt oder einfach niedergeschossen Goebbels dachten früher über eine worden, dass man die deutsche Luftab­ worden sind. Dabei stand die Wehr­ Aufgabe nach als die Generale und Ad­ wehr schlicht nicht informiert hatte. macht der NSDAP oder SS in nichts mirale. nach. Mit SS-Obergruppenführer und Ge­ bpk/US-Army Unter diesem Terror, aber auch aus neral der Waffen-SS Karl Wolff war ein Überzeugung, die Pflicht tun zu müs­ Angehöriger der NS-Nomenklatura sen, führten die Soldaten einen Krieg der Strippenzieher der ersten Teilkapi­ fort, der nach dem Juli 1944 fast ge­ tulation in Norditalien am 29. April nauso viele Tote von der Wehrmacht 1945. Sein Oberbefehlshaber Südwest, forderte, wie in den Jahren zuvor zu­ Generaloberst Heinrich von Vieting­ sammengerechnet, indem ab Dezem­ hoff – genannt von Scheel, der das ber 1944 monatlich noch etwa 300 000 ­Vorgehen absegnete, wurde dafür von deutsche Soldaten fielen, im Januar seinem Vorgesetzten, Generalfeldmar­ 1945 gar 450 000. Darüber hinaus kos­ schall Albert Kesselring, zwischenzeit­ tete dieses Weitermachen auch in den lich sogar festgenommen. Erst nach anderen an dem Krieg beteiligten der Selbsttötung Hitlers am 30. April Streitkräften Tote und Verletzte und wurde die unterzeichnete Kapitula­ ermöglichte außerdem die Fortfüh­ tionsurkunde bestätigt, am 2. Mai ka­ rung der eskalierenden Mordmaschi­ pitulierte der Kampfkommandant von nerie des NS-Regimes. Und bevor die Berlin, zwei Tage später der neu er­ SS die Vernichtungslager vor dem An­ nannte Oberbefehlshaber der Kriegs­ sturm der Rotarmisten zerstörte, um marine, Generaladmiral Hans-Georg die eigenen Blutspuren zu verwischen, von Friedeburg, im Hauptquartier des schickte man die noch Lebenden auf britischen Generalfeldmarschalls Ber­ Todesmärsche in Richtung der eigenen nard L. Montgomery bei Lüneburg für Frontlinien, was weitere mehr als alle im Nordraum kämpfenden Trup­ 700 000 Opfer forderte. pen; am 5./6. Mai gaben die deutschen

In der Isenschnibber Feldscheune wurden 1016 KZ-Häftlinge am 13. April 1945 von der SS ermordet und anschließend verbrannt.

8 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2020 Das Foto eines amerikanischen Kriegsberichterstatters zeigt die in ihren Kampfstellungen im Hürtgen­ wald gefallenen Kinder­soldaten von Hitlers letztem Aufgebot.

davon aber nichts gewusst. Zwei Tage

Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo zuvor hatte er für Aussagen gegenüber den Alliierten Folgendes empfohlen: »Hunger, Seuchen, Kommunismus. Das ist die Parole.« Am 19. Mai folgte schließlich noch eine präzisierende Unterrichtung zur »Einstellung zur Frage des uneingeschränkten Gehor­ sams und damit gegen die Anschuldi­ gungen über die sogenannten Kriegs­ verbrecher«. »Unsauber« sei in diesem Krieg »die Menschenvernichtung Himmlers und Hitlers« gewesen, aber gegen sie habe er, Dönitz, »in der Hauptsache aus Unkenntnis« nichts unternommen. Mit den zentralen Stichworten »Hel­ dentum«, »Kameradschaft«, »Ehre«, »Pflicht«, »Volk«, »Vaterland« und Truppen im Süden auf – das alles ge­ Truppenbewegungen nicht stören »Familie« nahm Dönitz darüber hin­ schah freilich nicht im Sinne Hitlers: durften und der Transportraum für aus die Argumentationsmuster der Denn bevor er sich erschoss, hatte den militärischen Nachschub einge­ deutschen Memoirenliteratur vorweg, der deutsche Diktator den Oberbe­ setzt worden ist. Der ultimativen For­ die schließlich die Legende von der fehlshaber der Kriegsmarine, Großad­ derung des Oberbefehlshabers der »sauberen Wehrmacht« kreierten. Em­ miral Karl Dönitz, zu seinem Nachfol­ westalliierten Streitkräfte, Dwight D. pathiefrei gegenüber den Opfern eig­ ger ernannt. Dönitz forderte noch am Eisenhower, nach einer Gesamtkapitu­ neten sich die vormaligen Generale die 5. Mai zum Weiterkämpfen gegen die lation konnte sich aber schließlich auch Meinungsführerschaft an. Hier spre­ Rote Armee auf. Auch eine ganze Reihe Dönitz nicht mehr entziehen. Am chen schon die gewählten Titel für von Truppenführern wie der Nazi-Ge­ 7. Mai unterzeichnete Generaloberst sich: »Heer in Fesseln« (Siegfried West­ neral schlechthin, Generalfeldmar­ Alfred Jodl im westalliierten Haupt­ phal, 1950), »Erinnerungen eines Sol­ schall Ferdinand Schörner, schlossen quartier in Reims die Bedingungslose daten« (Heinz Guderian, 1950), »Sol­ jegliche Kapitulation aus, und wollten Kapitulation, am 8./9. Mai wurde der dat unter Soldaten« (Dietrich von wie die in Skandinavien kommandie­ Akt im Hauptquartier der Roten Ar­ Choltitz, 1951), »Soldat bis zum letzten renden Generale Franz Böhme und mee in Berlin-Karlshorst wiederholt. Tag« (Kesselring, 1953), »Verlorene Georg Lindemann lieber »die letzte an­ Damit war der Zweite Weltkrieg in Eu­ Siege« (Erich von Manstein, 1955) oder ständige Schlacht dieses Krieges schla­ ropa formal beendet. »Verratene Schlachten« (Hans Frieß­ gen« als aufzugeben. Auflösungser­ ner, 1956). Schließlich erklärten sich scheinungen wurden genauso rigide Das Ende und der Beginn der auch die Angehörigen der Waffen-SS bekämpft wie zuvor unter Hitler. An Legende zu »Soldaten wie andere auch« (Paul und hinter den Fronten wurde weiter Hausser, 1966). gemordet, auch durch Henker aus den In den Köpfen allzu vieler endete der Fast ein halbes Jahrhundert ge­ eigenen Reihen. Dabei ging es Dönitz Krieg so aber nicht, denn hinterher schichtswissenschaftlicher Forschung um eine wie auch immer geartete wollte kaum jemand die Verantwor­ und politischer Bildungsarbeit waren ­illusorische Vorstellung von einem ver­ tung für das Geschehene übernehmen. nötig, um das Konstrukt von der »sau­ handelbaren Kriegsende und die Fort­ Missbraucht sei man worden, ge­ beren Wehrmacht« als das zu dekonst­ schreibung der obskuren Tra­ditions­ täuscht und terrorisiert, von den Ver­ ruieren, was es ist: eine infame Lüge linie eines vermeintlich besonderen brechen gewusst habe man bestenfalls und eine Verhöhnung der Opfer. deutschen Soldatentums. vom Hörensagen, verübt hätten sie oh­ Die Rückführung von ungefähr nehin »die Nazis«. Tatsächlich hatte je­  John Zimmermann 1,8 Millionen Soldaten und circa zwei doch das bis zum 23. Mai 1945 amtie­ Millionen Flüchtlingen aus dem Osten rende Staatsoberhaupt Dönitz die Literaturtipps in den letzten Kriegswochen als Erfolg Leitlinien dazu ausgegeben. Auf die Michael Epkenhans und John Zimmermann, Die Wehr- darzustellen, mag deswegen ihre funk­ Bekanntmachungen zu den Vorgängen macht – Krieg und Verbrechen, Ditzingen 2019 tionale Berechtigung haben, darf aber in den Konzentrationslagern hin ließ er (= Kriege der Moderne). nicht darüber hinwegtäuschen, dass am 14. Mai 1945 mitteilen, er verur­ Peter Lieb, Die Schlacht um Berlin und das Ende des Evakuierungen dort erst in letzter Mi­ teilte die Vernichtungsmaßnahmen in ­Dritten Reichs 1945, Ditzingen 2020 (= Kriege der Mo- nute gestattet wurden, weil sie die den Lagern zwar »schärfstens«, habe derne).

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2020 9 Der Deutsch-Französische Krieg akg-images

Attacke der Brigade Bredow in der Schlacht bei Vionville am 16. August 1870. Farblithografie nach einem Aquarell von Franz Amling, 1890. Der Deutsch-Französische Krieg 1870/71

Der Deutsch-Französische Krieg gilt nach Der Weg in den Krieg In Frankreich stieß diese Kandidatur dem Deutsch-Dänischen und dem Preu- auf Empörung. Man befürchtete eine ßisch-Österreichischen Krieg als der dritte Bei der Affäre, an der sich ihr Zorn preußische Umklammerung. Geschürt und letzte der »Reichseinigungskriege«, entzündete, handelte es sich zunächst wurden diese Ängste durch den fran­ aus denen der kleindeutsche Nationalstaat, um eine Erbfolgefrage. Um den nach zösischen Außenminister Antoine also ohne Österreich unter der Führung dem Sturz von Königin Isabella II. Alfred Agénor de Gramont. Schon Preußens hervorgegangen ist. seit 1868 vakanten spanischen Thron nach dem Preußisch-Österreichischen neu zu besetzen, suchte die Madrider Krieg von 1866, dem zweiten »Reichs­ er Bauer Xaver Stegmeier, ge­ ­Übergangsregierung an europäischen einigungskrieg«, war es zu Verstim­ nannt »Glasl« wurde einberu­ Höfen nach einem Nachfolger, unter mungen zwischen Frankreich und Dfen, just als er im Begriff war, ei­ anderem im Fürstentum Hohenzol­ Preußen gekommen. Napoleon III. nen Hof zu übernehmen und zu heira­ lern-Sigmaringen. Vom preußischen hatte sich damals neutral verhalten, in ten. Am 21. Juli 1870 meldete er sich Ministerpräsidenten und Kanzler des der Hoffnung, dafür durch Gebietser­ zum Dienst beim 2. Infanterie-Regi­ Norddeutschen Bundes Otto von Bis­ weiterungen entschädigt zu werden. ment Kronprinz in München. Für ihn marck er­mutigt, kandidierte daraufhin Jedoch konnte das französische Kaiser­ kam der Krieg überraschend. Viele an­ Prinz Leopold aus der Sigmaringer Ne­ reich dann weder vom erzwungenen dere Deutsche und Franzosen aber sa­ benlinie der auch in Preußen herr­ Rückzug Österreichs aus Italien profi­ hen den Krieg nicht nur kommen, son­ schenden Hohenzollern am 21. Juni tieren, noch 1867 Luxemburg erwer­ dern sie forderten ihn geradezu. 1870 für den spanischen Königsthron. ben. Napoleon III. realisierte aber vor

10 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2020 allem, dass durch den preußischen Personal und Ausrüstung der nach heftigen Kämpfen zum Rückzug Sieg über Österreich die Vormachtstel­ gegnerischen Heere zu auf Châlons-sur-Marne gezwungen. lung Frankreichs auf dem europäi­ Kriegsbeginn am 31.8.1870 Am Tag von Wörth endete der fran­ schen Festland ins Wanken geraten 1 476 zösische Vorstoß auf preußisches Ge­ war. Französisches Heer biet. Teile der deutschen 1. Armee at­ Deutsches Heer Die Lage schien sich 1870 zunächst tackierten das französische II. Korps. zu beruhigen, als Prinz Leopold in Ab­ Sie gerieten jedoch in Bedrängnis, so­ sprache mit König Wilhelm I. von 1 000 dass sie von der deutschen 2. Armee Preußen am 12. Juli seinen Verzicht auf 900 ©ZMSBw unterstützt werden mussten. Mit der 08286-02 780 die Thronkandidatur erklärte. 800 Erstürmung der Spicherer Höhen fan­ Dann eskalierte die Situation erneut. den diese Kämpfe ihren blutigen Hö­ Der französische Gesandte Vincent Be­ 700 hepunkt. Frossard, der durch Bazaine nedetti forderte vom in Bad Ems wei­ 600 keine Unterstützung mehr erhoffte, lenden Wilhlem I., sich förmlich zu 500 zog sich mit seinen Truppen in Rich­ entschuldigen und die Garantie zu ge­ 409 tung Sarreguemines (Saargemünd) zu­ 400 354 ben, niemals wieder eine hohenzoller­ 332 rück und gab den Weg nach Metz frei. sche Thronkandidatur zu unterstüt­ 300 244 220 zen. Verärgert darüber informierte der 200 Vom Angreifer zum Verteidiger König seinen Ministerpräsidenten Bis­ 154 144 100 48 marck von seinem Kurort aus über 29,5 Der Krieg verlagerte sich von da an 0 seine Weigerung der Aufforderung 0 nach Frankreich hinein. Die deutsche Infan- Kaval- Pionier- Artillerie- Ge- Mitrail- terie- lerie- kompa- batterien schütze leusen nachzukommen. Bismarck kürzte, ver­ batail- esca- nien 2. Armee erhöhte stetig den Druck auf schärfte den Ton der Nachricht und lone dronen Bazaines Truppen. In mehreren rasch ließ die »Emser Depesche« zur Veröf­ Quellen: Regensberg, 1870/71, Bd. 1, Beilagen 1 bis 3. aufeinanderfolgenden Schlachten in fentlichung an die Presse weitergeben. der Umgebung von Metz war die fran­ Beide Seiten fühlten sich nun Preußens waren auf die 2. und vor al­ zösische Führung nicht imstande, brüskiert. In Frankreich wie in den lem auf die 3. Armee verteilt. Die 1. Ar­ Schwächen des Gegners auszunutzen. deutschen Staaten forderte die Öffent­ mee war vor Beginn der Kampfhand­ Die Schlacht bei Mars-la-Tour am lichkeit, mit Gewalt zu reagieren. Am lungen zwischen Saarlouis und 16. August, auch unter den Namen der 19. Juli erklärte Frankreich Preußen Blieskastel aufmarschiert. Die 2. Armee nahegelegenen Ortschaften Rezonville den Krieg. Die Entscheidung dazu aber stand zwischen Homburg und Eden­ und Vionville bekannt geworden, en­ war in Paris schon vor der Veröffentli­ koben und dazu aufschließend befand dete in einem Patt. chung des Schriftstücks gefallen. Nun sich die 3. Armee auf dem rechten Ufer Ungeachtet der nach wie vor starken aber schien es einen öffentlichkeits­ des Rheins in der Pfalz und Baden zwi­ französischen Position, ordnete Ba­ wirksamen Grund zu geben. Der schen Heidelberg und Landau. zaine einen Rückzug auf Stellungen Norddeutsche Bund hatte mit den süd­ Das deutsche Operationsziel war, die bei Gravelotte und Saint-Privat an, die deutschen Staaten Baden, Bayern, Hes­ Truppen Mac-Mahons und Bazaines jedoch am 18. August von Teilen der sen-Darmstadt und Württemberg be­ getrennt voneinander zu schlagen, um deutschen 1. und 2. Armee unter hor­ reits vorher ein Bündnis für den Fall so auch zu verhindern, dass sie sich renden Verlusten gestürmt wurden. eines französischen Angriffs geschlos­ vereinigen konnten. Zuerst ging Ba­ Besonders das preußische Gardekorps sen. zaine nur einen Tag nach der franzö­ verzeichnete viele Gefallene und Ver­ sischen Kriegserklärung in die Offen­ wundete. Das sächsische Armeekorps, Kriegsbeginn sive. Am 19. Juli 1870 rückte das das zur Unterstützung eingriff, erlitt fran­zösische II. Korps des Generals sogar an jenem Tag seine schwersten Frankreich hatte sein Feldheer zweige­ Charles Auguste Frossard im Beisein Verluste im gesamten Krieg. teilt. Die Armeekorps unter dem Befehl des Kaisers und seines Sohnes auf Bazaine beschloss nach der Schlacht von Marschall Patrice de Mac-Mahon preußisches Territorium vor und be­ bei Gravelotte–Saint-Privat, sich mit sei­ waren im Unterelsass konzentriert, im setzte am 2. August Saarbrücken. nen Truppen in die Festung Metz zu­ Vorfeld der nördlichen Vogesen. Sie Gleichzeitig waren Teile der deut­ rückzuziehen, anstatt zu versuchen, bildeten damit den rechten Flügel des schen 3. Armee gegen Wissembourg sich zur Armee Mac-Mahons durchzu­ französischen Aufmarsches. Das von (Weis­sen­burg) vorgestoßen. Am 4. Au­ kämpfen. Metz wurde daraufhin von Marschall François-Achille Bazaine ge­ gust überrannten sie die dort lagern­ der deutschen 1. und von Teilen der führte Armeekorps bildete den linken den französischen Truppen. 2. Armee eingeschlossen. Aus den übri­ Flügel und bedrohte den Raum zwi­ Zwei Tage später entwickelte sich bei gen Teilen der 2. Armee wurde nun die schen Saarlouis und Saarbrücken. Wörth aus einem Schusswechsel zwi­ deutsche 4. Armee gebildet, die auch als Den Franzosen standen drei deut­ schen französischen und deutschen Pa­ »Maas-Armee« bekannt wurde. An ihre sche Armeen mit preußischen Genera­ trouillen eine der ersten großen Spitze trat Kronprinz Albert von Sach­ len an der Spitze gegenüber. Karl Schlachten des Krieges, ausgefochten sen, der bis dahin das XII. (königlich Fried­rich von Steinmetz führte die von der 3., der »Kronprinzenarmee« sächsische) Armeekorps geführt hatte. 1. Armee,­ Prinz Friedrich Karl die 2. und drei französischen Korps unter Albert marschierte zuerst auf die Ar­ und der preußische Kronprinz Frie­ dem Oberbefehl von Marschall Mac- gonnen zu. Die 3. Armee unter Kron­ drich Wilhelm befehligte die 3. Armee. Mahon. Dieser hatte die Stärke des prinz Friedrich Wilhelm bildete im Sü­ Die Kontingente der Bündnispartner Gegners unterschätzt und sah sich den den linken Flügel des deutschen

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2020 11 Der Deutsch-Französische Krieg

Vormarschs. Mac-Mahon hatte nun sich selbst zu den deutschen Linien nen kontrollierten Gebieten verstärkt keine Möglichkeit mehr, Bazaine im und führte mit dem preußischen Mi­ durch die Aktivitäten französischer belagerten Metz zu Hilfe zu kommen. nisterpräsidenten von Bismarck in ei­ Partisanen, von »Franctireurs«, be­ Seine »Armée de Châlons« rückte aber nem Weberhäuschen in Donchéry ein droht würden. Mit den Geländegewin­ auch nicht, wie nun geplant und auf vorbereitendes Gespräch, bevor er sich nen wurden die deutschen Nach­ deutscher Seite gemutmaßt, näher an mit dem König von Preußen beim na­ schublinien länger und damit Paris heran, um die Hauptstadt zu hegelegenen Schloss Bellevue traf und verwundbarer. schützen, sondern bezog auf politi­ sich gefangen gab. Die eigentlichen Somit waren die Deutschen gezwun­ schen Druck hin bei Sedan Stellung. Unterhandlungen fanden später dort gen, immer mehr Truppenkörper von ohne seine Beteiligung statt. Napoleon ihren vier Armeen abzuziehen. Belage­ Sedan reiste anschließend von Sedan aus als rungen mussten aufrechterhalten wer­ Kriegsgefangener nach , wo er den, eroberte oder besetzte Festungen Von diesem Manöver erfuhr die deut­ auf Schloss Wilhelmshöhe bis März und Städte mit Garnisonen versehen sche Führung nicht zuletzt aus franzö­ 1871 interniert blieb. und die Versorgungs- und Kommuni­ sischen Zeitungsberichten. Daraufhin kationslinien gesichert werden. Die bekamen Friedrich Wilhelms und Al­ September 1870 bis März 1871 verbliebenen Armeekräfte sollten die berts Armeen den Befehl, in Richtung Operationen vorantreiben, um den Sedan zu marschieren. Somit war Mac- Sedan brachte den Untergang des na­ Gegner zum Frieden zu zwingen. Mahon von überlegenen Kräften ein­ poleonischen­ Kaiserreichs, aber nicht Doch stark befestigte und mit be­ gekreist. Der deutsche Angriff begann das Ende des Krieges. In Paris wurde trächtlicher Artillerie versehene Städte am frühen Morgen des 1. September, am 4. September 1870 die Republik wie Straßburg und Metz waren in der begleitet von massiver Artillerieunter­ ausgerufen und eine Weiterführung Lage, die deutschen Operationen emp­ stützung. Die bayerischen Korps bis­ des Krieges verkündet. Die republika­ findlich zu stören. Deutsche Truppen sen sich an den von der französischen nische Regierung bemühte sich, neue unter dem Befehl des preußischen Ge­ Marinedivision verteidigten Ortschaf­ Armeen aufzustellen. Die deutschen nerals August von Werder schlossen ten Balan und Bazeilles fest. Die fran­ Streitkräfte sahen sich fortan mit einem Straßburg am 13. August 1870 ein. Um zösischen Truppen wurden immer Gegner konfrontiert, der sich aus den eine schnelle Übergabe zu erzwingen, weiter auf Sedan zurückgedrängt. Resten des kaiserlichen Heeres, der ließ Werder die Stadt beschießen. Napoleon III., krank und matt, nahm Marine und der Afrikaarmee, aber Straßburg kapitulierte schließlich am keinen Einfluss auf die Operationsfüh­ auch aus Mobilgarden und Freiwilli­ 28. Septe­ m­ber 1870 nach schweren Zer­ rung, fällte am Abend des 1. Septem­ genverbänden unterschiedlichster störungen. Ein Drittel der Einwohner ber aber die Entscheidung zur Kapitu­ Qualität zusammensetzte. Die deut­ war obdachlos geworden. lation. Angekündigt durch General schen Befehlshaber befürchteten nun In Metz entschied sich Marschall Ba­ André-Charles-Victor Reille, begab er auch, dass ihre Truppen in den von ih­ zaine, der zuvor wenig energisch ver­

Olly Tannerie Fleigneux La Seierie Moulin la Breche Givonne Schlacht bei Sedan am 1.9.1870 Usine Verbois St. Menges xxx La Chapelle Illy St. Albert V. Maison rouge Die »Zange« zwischen Vrigne-aux-Bois xxx Floing Maas-Armee und 3. Armee La Virée Ferme XI. schließt sich um 11.30 Uhr Iges la Foulerie Montimont Briancourt xxx Floing xxx Givonne Garde Marancourt VII. xxx Villers Cernay xxxx Tour à Glaire Cazal I. xxx Haybes 3. Villette le xxxx Dancourt V. Glaire Maas Ferme du Manil Umleitungs-kanal Torcy Daigny

Bellevue La Rapille Francheval Petite Moncelle xxx Donchery Sedan La Ramorie XII. sächs. La Jonquette xxx Filature Auberge Maas-Übergang Teile Wadelincourt xxx Rubécourt de Condé 04.00 Uhr II. bayr. La Platinerie XII. Lamécourt Forges Balan le Rulle Frénois xx 7. IV. Bazeilles Maas Le Rulle 0 1 000 2 000 3 000 m xxx Raffinerie I. Moulin de Montrutz Le Pont Maugy bayr. Cheveuges Filature Höhenangaben Noyers xx Douzy Chiers 340 m Maas-Übergang 8. IV. 310 m Foulerie 04.00 Uhr 280 m Coulan Ferme du Milieu 250 m Aillicourt 220 m 190 m 160 m Quelle: Kriegsgeschichtliche AbteilungChaumont-St. des Großen Quentin General- Thelonne ©ZMSBw < 160 m stabes, Der Deutsch-französische Krieg 1870 – 71, Plan 9A. Remilly 08285-02

12 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2020 sucht hatte, den Belagerungsring auf­ war entschlossener und wagemutiger dem 28. Mai, dem letzten Tag der »blu­ zubrechen, am 28. Oktober 1870 zur als noch im Sommer. Die deutschen Ar­ tigen Woche«, erlebte Paris wiederum Ka­pitulation. Seine Soldaten empfan­ meen vermochten nicht mehr wie im schreckliche Bombardements und eine den dies als besonders schändlich, weil August und September, Erfolg an Er­ gewaltsame Eroberung. der Marschall das deutsche Angebot folg zu reihen. eines ehrenvollen Abzugs der Garni­ Ein letzter französischer Versuch, Pa­ Die Folgen son ausgeschlagen hatte. Neben ris zu befreien, scheiterte am 19. Januar 150 000 Kriegsgefangenen konnten die 1871 bei Saint Quentin. Schon am Der Krieg zwischen Deutschen und Sieger die größte Fahnenbeute des 12. Januar war in der Schlacht von Le Franzosen endete schließlich mit dem Krieges machen. Mans die französische Loire-Armee Frankfurter Frieden am 10. Mai 1871: Vor Belfort hingegen scheiterten die des Generals Alfred Chanzy als Bedro­ Frankreich trat das Elsass und Teile Lo­ deutschen Belagerer. Die Besatzung hung für die Belagerer von Paris end­ thringens an das Deutsche Reich ab. Es der Zitadelle hielt unter Colonel Pierre gültig ausgeschieden. hatte innerhalb von drei Jahren Repa­ Philippe Denfert-Rochereau bis zum Nahezu zur selben Zeit, zwischen rationen von 5 Milliarden Francs zu Waffenstillstand aus und übergab die dem 15. und 17. Januar 1871, wehrte die entrichten. Besatzungstruppen sollten Festung erst am 18. Februar 1871. Armee Werders an der Lisaine letzte in Frankreich stationiert bleiben, bis Angriffe von Charles-Denis-Sauter die Forderungen erfüllt waren. 1873, Paris Bourbakis Ostarmee ab. Da Edwin von früher als festgelegt, waren die Repara­ Manteuffels Truppen der Ostarmee den tionen gezahlt. Geleitet von der Annahme, die Ein­ Rückzugsweg Richtung Lyon versperr­ Die Ergebnisse des letzten der deut­ nahme von Paris würde das Krieg­ ten und Werders Armee die Verfolgung schen »Reichseinigungskriege« ver­ sende bringen, zielte der deutsche aufgenommen hatte, rückte Bourbaki schoben die Machtverhältnisse in Eu­ Hauptstoß auf die französische Haupt­ mit seiner Armee immer näher an die ropa und belasteten jahrzehntelang stadt. Die Belagerung von Paris begann Schweizer Grenze heran. Nach Ab­ das deutsch-französische Verhältnis. am 19. September 1870. Paris war stark schluss eines Abkommens mit dem Zu den damit verbundenen außenpoli­ befestigt und bewaffnet. 350 000 Mann Schweizer General Hans Herzog über­ tischen Problemen kamen Fragen der standen letztlich für die Verteidigung schritten die kaum noch kampfbereiten inneren Reichsgründung. Was machte zur Verfügung. Allerdings galt nur ein Reste der französischen Ostarmee bei die deutsche Nation aus und wer sollte Drittel von ihnen als kampfstark. Die Les Verrières zwischen dem 1. und zu ihr gehören? Auf den Vollzug der deutschen Belagerungstruppen von 3. Februar 1871 die Schweizer Grenze. staatlichen Einigung folgte eine Serie anfänglich 150 000 Mann wuchsen von Ausgrenzungsversuchen im In­ durch Verstärkungen ebenfalls bis auf Versailles 1871 nern des neu geschaffenen Reiches: 400 000 Mann an. Der Chef des preußi­ Bismarcks gegen die katholische Kir­ schen Generalstabes, Generalfeldmar­ Inzwischen war einer der wichtigsten che gerichteter »Kulturkampf« wie schall Helmuth von Moltke, hatte ge­ politischen Akte der Epoche, die Grün­ auch seine gegen die Arbeiterbewe­ hofft, Paris auszuhungern, um eine dung des deutschen Nationalstaats, gung gerichteten Sozialistengesetze. schnelle Kapitulation zu erzwingen. nahezu unbemerkt vollzogen worden. Außerdem belasteten ein unter dem Als es Ende 1870 noch keine ­Anzeichen Die Proklamation des preußischen Kö­ Vorwand der Gründerkrise 1873 für eine Bereitschaft zur Kapitulation nigs Wilhelm I. zum Deutschen Kaiser aufkom­mender Antisemitismus, aber gab, eröffneten deutsche Batterien am am 18. Januar 1871 vereinte zwar Gäste auch der fortbestehende Ausschluss 27. Dezember das Feuer auf die Forts aus ganz Deutschland und Abordnun­ von Frauen von politischer Teilhabe und andere Befestigungsanlagen. Ab gen der deutschen 3. Armee im Schloss das Reich im Innern. dem 5. Januar 1871 fielen Granaten von Versailles, doch nahmen weder die Das Militär hingegen genoss im Deut­ auch auf die Viertel im Süden und Truppen auf den anderen Kriegsschau­ schen Kaiserreich höchstes Ansehen. Es Westen der Stadt. plätzen noch die Presse eine besondere galt nicht nur als das Instrument, das Abseits des Belagerungskordons um Notiz von diesem Ereignis. die Einigung ermöglicht hatte, sondern Paris konzentrierte sich die deutsche Kurz darauf, am 23. Januar, begannen auch als Garant nationaler Stärke. Operationsführung darauf zu verhin­ Verhandlungen unter Leitung Otto von Bis zum 31. Januar 2021 präsentiert dern, dass neu aufgestellte franzö­ Bismarcks und des französischen Au­ das Militärhistorische Museum der sische Armeen Paris zu Hilfe kamen. ßenministers Jules Favre, die am 28. Ja­ Bundeswehr die Ausstellung »Krieg Durch erneute Vorstöße in den Westen, nuar mit dem Abschluss der »Conven­ Macht Nation – Wie das deutsche Kai­ Süden und Norden der Republik soll­ tion von Versailles« endeten. Sie hatten serreich entstand«, die die »Reichseini­ ten weitere Mobilisierungen verhin­ die Einstellung der Kampfhandlungen gungskriege« zum Thema haben wird. dert werden. Die harschen Witterungs­ und faktisch die Übergabe von Paris bedingungen im Spätherbst und im zur Folge. Mit Erlaubnis und Unter­  Gerhard Bauer Winter 1870/71 zehrten die Soldaten stützung der Sieger wurden umgehend beider Seiten aus. Ausfälle, verursacht Lebensmittel in die Stadt geschafft. durch Krankheiten, nahmen zu. Paris kam jedoch nicht zur Ruhe. Auf­ Literaturtipps Dennoch trat keine Pause in den grund der Opposition der Kommune Tobias Arand, 1870/71. Die Geschichte des Deutsch-Fran- Kampfhandlungen ein. Die neuen fran­ von Paris gegen die Regierung der Re­ zösischen Krieges erzählt in Einzelschicksalen, Hamburg zösischen Armeen waren aus Trup­pen­ publik wurde die Stadt ein weiteres 2018. teilen unterschiedlichster Qualität zu­ Mal belagert, nun durch französische Michael Epkenhans, Der Deutsch-Französische Krieg sammengesetzt, doch ihre Führung­ Truppen. Zwischen dem 18. März und 1870/71, Ditzingen 2020 (= Kriege der Moderne).

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2020 13 Das Große Hauptquartier

akg-images/Sammlung Berliner Verlag/Archiv

5Großes Hauptquartier in Kassel-Wilhelmshöhe, November 1918. In der ersten Reihe (Mitte) Generalfeldmarschall Paul von ­Hindenburg (Ausschnitt).

Das Große Hauptquartier von 1914 bis 1918

Das Große Hauptquartier (GrHQ) war Angepasst an die Lageentwicklung Kaiserreiches im GrHQ vertreten. Die weder eine einheitlich organisierte Militär- des Landkrieges, wechselte das GrHQ entscheidende und größte Formation behörde noch ein ausgewähltes Gremium. im Verlauf des Krieges mehrfach seine im GrHQ war die OHL. Hier liefen un­ Vielmehr war es eine Ansammlung ver- Standorte. Bis zu 4000 Soldaten und ter Führung des Chefs des Generalsta­ schiedener politischer und militärischer Beamte sowie zivile Angestellte sorg­ bes des Feldheeres alle Fäden der Land­ Dienststellen. Zugleich war das GrHQ im ten in den Standorten Koblenz, Luxem­ kriegführung zusammen. Im Zentrum Ersten Weltkrieg die zentrale Leitungsin- burg, Charleville-Mézières, Pleß, des GrHQ stand jedoch Wilhelm II., der stanz für alle politischen und militärischen Kreuz­nach und Spa für einen reibungs­ qua Verfassung den Oberbefehl über Angelegenheiten Deutschlands. losen Dienstbetrieb. Zeitweise gab es die deutschen Streitkräfte innehatte sogar ein GrHQ West (Charleville-Mé­ und im Schatten seiner militärisch be­ it der am 1. August 1914 durch zières) und ein GrHQ Ost (Pleß, heute gabten Vorfahren dem Führungsan­ den Obersten Kriegsherrn, Pszczyna, Polen). spruch der preußischen Soldatenkö­ MKaiser Wilhelm II., verfügten Neben dem Kaiser, in dessen Person nige, zumindest nach außen, gerecht Mobilmachung der deutschen Streit­ die militärische und politische Führung werden musste. Trotz seiner großspuri­ kräfte wurde auch das GrHQ mobilge­ zusammenlief, der Obersten Heereslei­ gen Ankündigungen, im Kriegsfall die macht. Einen Tag vor Abschluss der tung (OHL), dem Chef des Admiralsta­ Armee selbst zu führen, gab er, sich sei­ Mobilmachung des Heeres, am 16. Au­ bes, den Chefs der Zivil-, Marine- und ner unzulänglichen militärischen Fä­ gust 1914, verlegte das GrHQ von Ber­ Militärkabinette war mit dem Reichs­ higkeiten wohl bewusst, wie sein Groß­ lin nach Koblenz. kanzler auch die zivile Führung des vater Wilhelm I. zu Kriegsbeginn 1870

14 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2020 die Befehlsgewalt über die Landstreit­ den Mannschaftsheimen und am Hof Die meisten Offiziere, aber wahr­ kräfte an den Chef des Generalstabes des Kaisers. Sie wuschen Wäsche, rei­ scheinlich auch viele Soldaten und Be­ des Feldheeres ab. nigten die Unterkünfte und Gebäude, amte standen in engem Briefkontakt Während Helmuth von Moltke der erledigten die Schreibarbeit, pflegten mit ihren Gattinnen, Freundinnen und Jüngere, , Paul die Pferde, entsorgten den Müll, fuh­ Müttern. Auf der einen Seite erreichten von Hindenburg und Erich Ludend­ ren und reparierten die Fahrzeuge und damit auf diesem Wege, entgegen aller orff im Verlauf des Krieges den opera­ schnitten die Haare – kurzum sie erle­ Zensurbestimmungen, viele Informa­ tiv-strategischen, unter der III. OHL digten alle Aufgaben, die in einem grö­ tionen die Heimat, auf der anderen (1916‑1918) auch den politischen Füh­ ßeren Haushalt anfielen. Während sich Seite waren die Briefe, bei höheren Of­ rungsanspruch des Kaisers beschnit­ Soldaten und zivile Angehörige die fizieren auch das Telefon das Band, das ten, beharrte Wilhelm II. bis kurz vor »Haushaltsarbeit« teilten, gab es ho­ die Ehen und Beziehungen zusammen­ Kriegsende 1918 auf seinem Oberbe­ heitliche Aufgaben, wie beispielsweise hielt. fehl über die kaiserliche Marine. Erst die Bewachung des GrHQ und die Si­ Auch wenn im GrHQ Männer die im Sommer 1918 übergab er die opera­ cherstellung der Fernmeldeverbindun­ Entscheidungen trafen, spielten Frauen tive Führung der Marine an die neuge­ gen, die ausschließlich in den Händen dort sehr wohl im Hinter- und ab und bildete Seekriegsleitung. von Soldaten lagen. an auch im Vordergrund eine bedeut­ same Rolle. Als Kaiserin nahm Au­ Ein großer »Haushalt« »Frauenwirtschaft«? guste Viktoria eine herausgehobene Stellung im Hofstaat ein. Von Kriegs­ Die Personalstärke des GrHQ wuchs Das GrHQ war gemäß der Mobilma­ beginn an bemühte sie sich, so oft wie im Verlauf des Krieges kontinuierlich chungsplanung eine Männerdomäne. möglich im GrHQ anwesend zu sein. an. Grund dafür waren die steigende Doch schon zu Kriegsbeginn gehörten Auch wenn sie immer wieder in Intri­ Komplexität des Kriegsgeschehens auch Frauen dazu. Zum einen arbeite­ gen verwickelt war, ist ihr Einfluss auf und die damit verbundenen Heraus­ ten sie als Bedienstete in verschiedenen ihren Ehegatten nur schwer abzuschät­ forderungen für die Führung von Hun­ Funktionen, zum Beispiel in den Kasi­ zen. Die vehemente Ablehnung, auf derttausenden Soldaten auf See, in der nos. Zum anderen weilten mit Fort­ die die Anwesenheit Auguste Viktorias Luft und auf dem Land, aber auch das dauer des Krieges nicht nur die Kaise­ bei der engeren Entourage des Kaisers Anwachsen des kaiserlichen Gefolges. rin, sondern vermehrt auch die stieß, lässt jedoch darauf schließen, Waren zu Kriegsbeginn nur ca. 2000 Ehefrauen höherer Offiziere, aber auch dass ihr Einfluss nicht unterschätzt Soldaten und Beamte für das GrHQ von Unteroffizieren im oder in der werden darf. eingeplant, sorgten am Kriegsende fast Nähe des GrHQ. Während die Anwe­ Die Kaiserin war sich des physisch 4000 Soldaten und Beamte sowie eine senheit der Ehefrauen höherer Offi­ und psychisch labilen Gesundheitszu­ unbekannte Zahl örtlicher ziviler Mit­ ziere, wie die von Hindenburgs Gattin stands ihres Ehegatten bewusst. Sie arbeiter für einen reibungslosen in der Nähe von Kreuznach, still­ versuchte, unterstützt von wichtigen Dienstbetrieb. Die allermeisten Ange­ schweigend toleriert wurde, ging die Vertretern des persönlichen Gefolges hörigen des GrHQ hatten mit der Füh­ Führung des GrHQ immer wieder ge­ des Kaisers, wie dem ersten Komman­ rung des Krieges wenig zu tun. Sie gen die »Frauenwirtschaft« bei den danten des GrHQ Hans von Plessen, kochten und bedienten in den Kasinos, Mannschaften und Unteroffizieren vor. alle belastenden Dinge von Wilhelm II. fernzuhalten. bpk Nervenzusammenbrüche und andere Leiden

Trotzdem erlitt der Kaiser während des Krieges immer wieder in Folge von schlechten Nachrichten leichte Ner­ venzusammenbrüche. Zudem klagte er in Stressphasen immer wieder über Nerven- und Rückenschmerzen, Ma­ gen- und Darmbeschwerden sowie Herzprobleme. Letztlich stand wäh­ rend des Krieges zwar kein unzurech­ nungsfähiger, aber ein unter verschie­ denen Krankheiten leidender, psychisch labiler und kaum belastba­ rer Monarch an der Spitze des GrHQ. Aber auch viele der engsten Mitarbei­ ter Wilhelm II. litten alters- oder stress­ bedingt an Herz- und Kreislauf- sowie Magen- und Darmerkrankungen. Von Im Großen Hauptquartier an der Westfront: Prinz Heinrich von Preußen und seine den Chefs der OHL erlitt Moltke d.J. Gemahlin Irene, Kaiserin Auguste Viktoria und Kaiser Wilhelm II. sowie General schon wenige Wochen nach Kriegsbe­ (von links nach rechts), o.J. ginn einen Nervenzusammenbruch

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2020 15 Das Große Hauptquartier

bpk zu entkommen suchten oder zur Jagd gingen, gab es für die einfachen Solda­ ten kaum Möglichkeiten, dem Alltag zu entfliehen. Die Zeit verlief im GrHQ zudem mit unterschiedlichen Ge­ schwindigkeiten. Auf der einen Seite gab es die vielen Soldaten, die mit ih­ ren Repräsentationsaufgaben und dem Wachdienst in ihren eintönigen Routi­ netätigkeiten gefangen waren, sowie das Gefolge des Kaisers, das in der Langweile des Hofzermoniells er­ stickte. Auf der anderen Seite standen die Generalstabsoffiziere der OHL, welche in verschiedenen Abteilungen die Kriegführung organisierten und sehr oft sechzehn Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche unter gro­ ßem Arbeitsdruck bis spät in die Nacht arbeiteten. Aber auch die Generalstabs­ offiziere klagten immer wieder über Villa Neubois – Residenz Kaiser Wilhelms II. und Sitz des Großen Hauptquartiers, die Monotonie ihres Dienstes. Spa (­Belgien) um 1917. Ein probates Mittel, der Eintönigkeit des Alltags zu entgehen, waren die re­ und sein Nachfolger Erich von Falken­ gesellschaftliche Rolle. Spannend war gelmäßigen Mahlzeiten. Sie struktu­ hayn klagte aufgrund der hohen Belas­ auch das Verhältnis der Religionsge­ rierten den Tag und waren wichtiger tung unter schweren Nervenschmer­ meinschaften im GrHQ untereinander. Bestandteil der Freizeitgestaltung. Al­ zen im Gesicht. Ludendorff musste in So war es von großer Bedeutung, dass kohol, im unterschiedlichen Maße ge­ den letzten Monaten des Krieges der Wilhelm II. im protestantisch domi­ nossen, gehörte für alle Angehörigen hohen psychischen Belastung Tribut nierten Umfeld des GrHQ den in pro­ des GrHQ zum Alltag. Wie im Frie­ zollen und sich in Behandlung bege­ testantischen Kreisen des Kaiserreichs densbetrieb aßen und lebten die Offi­ ben. Hindenburg dagegen verfügte weitverbreiteten antikatholischen Vor­ ziere in ihrer Freizeit getrennt von den über eine sehr robuste Gesundheit. In­ urteilen den Wind aus den Segeln Unteroffizieren und Mannschaften. wieweit und ob die Erkrankungen der nahm, indem er den katholischen Feld­ Das Zentrum des gesellschaftlichen Entscheidungsträger und ihre medika­ geistlichen Ludwig Berg freundlich Lebens bildeten die verschiedenen Ka­ mentöse Behandlung Auswirkungen wahrnahm. Berg trat zudem, wie seine sinos. Regelmäßig wurden Einla­ auf ihre Führungsfähigkeit hatten, ist Mitbrüder an der Front, konsequent dungen ausgesprochen, um im Kreis im Nachhinein nicht abschließend fest­ dem Eindruck entgegen, Katholiken Gleichgesinnter gemütlich zu speisen zustellen. Auszuschließen sind sie je­ seien vaterlandslose Gesellen. Er inte­ und zu trinken. Diese Einladungen doch nicht. grierte sich gerne in die militärische dienten nicht nur dem geselligen Bei­ Hie­rarchie des GrHQ. sammensein, sondern auch zur infor­ Glaube und Religion(en) mellen Informationsgewinnung. Einla­ Der Alltag: Langweile und Stress dungen an die Tafeln des Kaisers Eng verbunden mit der gesundheitli­ waren eine besondere Ehre, und ein chen und familiären Situation waren Neben seinen geistlichen Aufgaben Sitzplatz in der Nähe Wilhelms II. galt auch die Fragen nach dem Tod. Viele kümmerte sich Berg, wenn auch aus als besondere Auszeichnung. Gemein­ höhere Offiziere, die mit ihren Befeh­ Sicht der Militärseelsorge nicht gänz­ same Mahlzeiten waren ein weiches, len täglich Soldaten in den Tod schick­ lich uneigennützig, um die Freizeitge­ aber wirksames Machtmittel, das nicht ten, standen wie alle Väter große staltung im GrHQ. Die von ihm orga­ nur Wilhelm II., sondern auch Hinden­ Ängste um das Wohlbefinden ihrer an nisierten Ausflüge an den Rhein boten burg regelmäßig und gerne einsetzte. der Front oder zur See dienenden den Soldaten und auch den Offizieren Söhne aus. Einige, wie der Chef des die Chance, in geselliger Runde der Versagen Militärkabinetts Moriz von Lyncker, Eintönigkeit und der Langweile des der den Tod zweier Söhne zu beklagen Alltags für wenige Stunden zu entflie­ Wilhelm II. hätte im GrHQ sowohl die hatte, zerbrachen fast an diesem hen. politische als auch die militärische Schicksal. Die Religion bot Lyncker Langeweile war im GrHQ ein weit­ Führung des Krieges steuern müssen. und vielen anderen, wenn auch nicht verbreitetes Phänomen. Vom Kaiser bis Ist er dieser Aufgabe gerecht gewor­ allen, Trost in schwerer Zeit. Religion zum einfachen Wachsoldaten waren den? Diese Frage ist mit »Nein« zu be­ spielte jedoch nicht nur bei den sonn­ auf unterschiedliche Weise fast alle An­ antworten. täglichen Gottesdiensten in Anwesen­ gehörigen des GrHQ davon betroffen. Die ihm durch sein monarchistisches heit des Kaisers und beim sich an­ Während der Kaiser und andere hoch­ Selbstverständnis und die Verfassung schließenden Vorbeimarsch der rangige Offiziere und Beamte der Ein­ zugewiesene Aufgabe, die Kriegfüh­ Stabswache eine große politische und tönigkeit des Alltags durch Ausflüge rung zwischen Marine, Armee und Po­

16 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2020 litik zu koordinieren und damit die st­ renz-, Prestige- und Ressortdenken en­ bpk rategischen Zielvorgaben zumindest dete auch im Krieg nicht. Im Gegenteil: mit zu formulieren, nahm Wilhelm II., Es verschärfte sich, da die zivile und wenn überhaupt, nur am Rande wahr. militärische Sphäre letztlich nur in der Denn einerseits ging der psychisch la­ Person des Monarchen zusammenge­ bile Monarch lieber zur Jagd und führt werden konnten. Um die Gunst spielte Skat, andererseits fehlten ihm des Kaisers, dessen Entscheidung letzt­ schlicht die Fähigkeiten, die ihm in der lich bei nicht zu klärenden Ressortstrei­ Verfassung zugewiesene Aufgabe zu tigkeiten notwendig war, zu gewin­ erfüllen. nen, war den meisten handelnden Das GrHQ steht symbolisch für die Akteuren, fast jedes Mittel recht – wie ungelösten Strukturdefizite der über­ zum Beispiel bei der Erklärung des un­ lebten Verfassung des Kaiserreiches. eingeschränkten U-Bootkrieges. Oft Denn das GrHQ war doch letztlich waren die Entscheidungen Wil­ eine Mischung aus militärischer Füh­ helms II. nur begrenzt vorhersehbar rungszentrale und kaiserlichem Hof, und ähnelten oft von Launen gepräg­ dem sich die politische Leitung des ten Ad-hoc-Entscheidungen. Es kam Reiches, der Reichskanzler und der daher immer darauf an, wie Mann, Staatssekretär des Auswärtigen, schon aber auch Frau, mit dem Kaiser konnte. nach wenigen Monaten durch die Wei­ Nicht nur die labile Persönlichkeit Großes Hauptquartier im Ersten Welt- terführung ihrer Dienstgeschäfte in der Wilhelms II. verhinderte eine einheitli­ krieg: Kaiser Wilhelm II. im Gespräch Hauptstadt Berlin entzogen. Und dort che Führung, sondern im Besonderen mit einem deutschen General, 1915. »spielte die Musik«. auch das Kabinettssystem. Es ver­ Zudem war das Große Hauptquar­ stärkte die Zersplitterung der Füh­ Machtverlust Wilhelms II. Auch wenn tier ein Zentrum von Intrigen, an de­ rung, förderte Ressortstreitigkeiten die III. OHL noch ein ganzes Stück von nen sich sowohl die militärische als und begünstigte eine Überbewertung einer Militärdiktatur entfernt war, hat auch die politische Führung beteilig­ des Militärischen bei gleichzeitiger sie die Verselbstständigung des Mili­ ten. Das Ränkespiel erforderte die Auf­ Gering­schätzung des Politischen. Der tärs und, einhergehend mit einer merksamkeit der handelnden Akteure massive Einfluss der III. OHL unter schleichenden Entmachtung der politi­ und band, wie die Beispiele Molt­ Hindenburg und Ludendorff war der schen Führung, die Totalisierung des kes d.J. und Falkenhayns zeigen, Höhepunkt dieser Entwicklung. Krieges stark vorangetrieben. Kräfte, die für die Kriegführung verlo­ Dass der Kaiser die Kriegführung ren gingen. Wie sollte in dieser Atmo­ steuerte, war eine nur für die Bevölke­ Fazit sphäre die schon in Friedenszeiten rung und für das Ausland aufrechtge­ nicht entworfene und nach dem Schei­ haltene Fiktion, auf die Wilhelm II. je­ Letzten Endes war es somit nur ein tern der Offensive 1914 dringend not­ doch größten Wert legte. In der Realität Trugbild, dass der Kaiser im Zentrum wendige Gesamt­strategie entwickelt versagte dieses System. Diese »irreale des GrHQ stand. Vielmehr stand die werden? Fassade der Militärmonarchie« er­ OHL mit dem Chef des Generalstabes Das in den deutschen Streitkräften schwerte die Entscheidungsfindung des Feldheeres an der Spitze des im Frieden weitverbreitete Konkur­ und führte letztlich zum schleichenden GrHQ. Hier spielte letztendlich die

Musik und mit Fortdauer des Krieges immer lauter. Als Führungszentrale des Landkrieges hat das GrHQ seine Aufgabe, trotz einiger Geburtsfehler und Schwächen, im Wesentlichen er­ füllt. Beweglich und gut vernetzt wur­ den die deutschen Armeen, gegen Kriegsende sogar große Teile der ver­ bündeten Streitkräfte, nicht nur an der West- und Ostfront, sondern auch auf dem Balkan, im Kaukasus, in Palästina und an Euphrat und Tigris geführt. Als bpk/Geheimes Staatsarchiv, SPK/Bildstelle GStA PK bpk/Geheimes Staatsarchiv, strategische Führungszentrale war das GrHQ jedoch eine Fehlplanung. Denn dort wurde, obwohl die wichtigsten militärischen und politischen Entschei­ dungsträger des Kaiserreiches auf engstem Raum zusammen waren, keine aufeinander abgestimmte Strate­ gie für die Kriegführung des Kaiserrei­ Feier zum 30-jährigen Regierungsjubiläum Wilhelms II. im Großen Hauptquartier, ches entwickelt. 15. Juni 1918. Im Vordergrund Wilhelm II. im Gespräch mit einem General, im Mit- telgrund Kronprinz Wilhelm von Preußen im Gespräch mit Paul von Hindenburg.  Gerhard P. Groß

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2020 17 Der Kapp-Lüttwitz-Putsch akg-images

5Anhänger des Kapp-Lüttwitz-Putsches fahren im März 1920 über den Potsdamer Platz in Berlin.

Der Kapp-Lüttwitz-Putsch Krise der Weimarer Republik im März 1920

Vom 13. bis 17. März 1920 erschütterte und sich radikalisiert. Auf der anderen Politiker, seien für die militärische Nie­ der Kapp-Lüttwitz-Putsch, auch Kapp- Seite aber unterschätzte die Regierung derlage und das unzumutbare »Ver­ Putsch genannt, die Weimarer Republik. die »Welle von rechts« (Ernst Tro­ sailler Diktat« verantwortlich. Der Aufstand rechter Politiker und Mili- eltsch, DDP), also die zunehmende Ge­ Mit der »Dolchstoßlegende« lenkten tärs brach bereits nach wenigen Tagen zu- fahr, die von der politischen Rechten deren Schöpfer und Verfechter vom sammen. Er zeigte aber die Krisenanfällig- ausging. Versagen der politisch-militärischen keit der jungen parlamentarischen Krise des Kaiserreiches ab. Sie luden Demokratie im damaligen Deutschland. Die Dolchstoßlegende gleichzeitig die Schuld an der militäri­ schen Niederlage und den daraus re­ ie aus der »Weimarer Koalition« Zentraler Angelpunkt der konservativ- sultierenden Problemen auf die Träger von Sozialdemokratischer Partei nationalistischen Mythenbildung war der Revolution und letztlich der Wei­ DDeutschlands (SPD), Zentrums­ die »Dolchstoßlegende«: Das deutsche marer Demokratie. Entbehrte die partei und Deutscher Demokratischer Heer sei im Felde unbesiegbar gewe­ »Dolchstoßlegende« auch einer fakti­ Partei (DDP) gebildete Reichsregie­ sen, ihm sei die Heimat in den Rücken schen Grundlage, so wirkte sie in weite rung sah bis Anfang 1920 in der politi­ gefallen; ausgelöst durch die zerset­ Teile der deutschen Bevölkerung hin­ schen Linken die größte innenpoliti­ zende Politik der Reichstagsmehrheit ein und unterminierte die junge Repu­ sche Gefährdung. Tatsächlich hatte die und die Propagan­ da­ der Sozialdemo­ blik. sozialistische Unabhängige Sozialde­ kratie, die schließlich in die Revolution Als Zielscheibe antirepublikanischer mokratische Partei Deutschlands vom Nov­ ember 1918 mündete. Die Kräfte taugte besonders Reichsfinanz­ (USPD) in den vergangenen Monaten »Novemberverbrecher«, so General Er­ minister (Zen­ einen deutlichen Linksruck vollzogen ich ­Ludendorff, also linke Parteien und trum), der neben einer verhassten Steu­

18 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2020 1919 zur Nationalen Vereinigung in Berlin unter Führung des ostpreußi­ akg-images schen Generallandschaftsdirektors akg-images Wolfgang Kapp zusammenschloss. Kapp hatte 1917 gemeinsam mit Groß­ admiral Alfred von Tirpitz die Deut­ sche Vaterlandspartei gegründet und wurde später Vorstandsmitglied in der DNVP. Eine weitere zentrale Rolle bei den Putschvorbereitungen spielte der Kommandierende General des Reichs­ wehr-Gruppenkommandos I in Berlin, Walther Freiherr von Lüttwitz. Er stand de facto an der Spitze der Trup­ pen im Reich und bildete den militäri­ schen Arm der Umsturzbewegung. Walther Freiherr von Lüttwitz, Foto Die Pläne der Nationalen Vereini­ Wolfgang Kapp, Foto um 1920. 1920. gung veränderten sich von Anfang 1919 bis zum Herbst von einer lokalen erreform an fast allen politischen »Gegenerhebung« in Ostpreußen ge­ plätze. Sie hatten gehofft, in die Aktionen seit 1917 beteiligt war, die gen linke Arbeiter- und Soldatenräte neu­ge­bildete übernom­ der Rechtsopposition so unerträglich hin zu einem Staatsstreich, der im ge­ men zu werden, was sich nun durch schienen: an der Friedensresolution samten Reich die innenpolitische Si­ die starke Reduzierung der Streitkräfte des Reichstages 1917, an der Waf­ tuation radikal verändern sollte. Die als Illusion erwies. Hier tat sich ein so­ fenstillstandsdelegation 1918, am Ver­ Errichtung eines autoritären Regimes zialer Sprengsatz mit hohem revoluti­ sailler Vertrag 1919. und die Forcierung einer aktiven Revi­ onärem Potenzial auf. Der führende Vertreter der Deutsch­ sionspolitik gegenüber den Sieger­ Die Forderungen der Siegermächte nationalen Volkspartei (DNVP) Karl mächten des Ersten Weltkrieges war bedeuteten auch das Ende der Frei­ Helfferich bezichtigte Erzberger der nun das Ziel. Mit Unterstützung des korps. Diese in großer Zahl aufgestell­ Korruption und streute diese Behaup­ ehemaligen Ersten Generalquartier­ ten Freiwilligenverbände wurden seit tung öffentlichkeitswirksam in der meisters und Stellvertreters Paul von Ende 1918 im Innern zum Schutz der Hetzschrift »Fort mit Erzberger«. Erz­ Hindenburgs, General Erich Ludend­ Regierung und zur blutigen Nieder­ berger wehrte sich und strengte im Ja­ orff, galt Kapp bald als politischer Füh­ schlagung linksradikaler und separa­ nuar 1920 einen Beleidigungsprozess rer und künftiger Reichskanzler. tistischer Aufstände sowie entlang der an. Am 12. März 1920 – einen Tag vor neu entstandenen Grenze zu Polen ge­ dem Putsch – wurde das Urteil ver­ Inkrafttreten des Versailler Ver- gen den polnischen Vormarsch und an­ kündet. Helfferich wurde zwar zu ei­ trages rückende bolschewistische Truppen ner geringen Geldstrafe verurteilt, das eingesetzt. Gericht gab ihm aber in­haltlich­ recht. Am 10. Januar 1920 trat der Versailler Damit war Erzberger selbst in seiner ei­ Vertrag in Kraft. Damit erhielten die »Gewitterschwüle Zeit« genen Partei nicht mehr haltbar. Noch Umsturzpläne eine neue Dynamik. am selben Tag trat er von seinem Mi­ Unter anderem forderten die Alliierten Am 29. Februar 1920 erließ der sozial­ nisteramt zurück. die Auslieferung und Verurteilung von demokratische Reichswehrminister Dieser Skandalprozess war nicht nur Hunderten »deutschen Kriegsverbre­ den Befehl, unter ande­ ein Beispiel für die tendenziöse Hal­ chern«, zu denen zahlreiche ranghohe rem die Marinebrigade II, besser be­ tung der Weimarer Justiz, sondern und bekannte Offiziere des Ersten kannt als Brigade Ehrhardt, benannt vollzog sich auch unter reger Anteil­ Weltkrieges wie auch Angehörige des nach ihrem Führer Korvettenkapitän nahme der deutschen Bevölkerung. Adels gehörten. Ferner sollten die Hee­ Hermann Ehrhardt, aufzulösen. Das Die öffentliche Stimmung war so natio­ resstärke der Reichswehr von nun­ war zuvor im Baltikum ein­ nalistisch aufgeheizt, dass im Januar mehr noch über 250 000 Mann auf gesetzt worden und bildete mit seinen ein Mordanschlag auf Erzberger ver­ 100 000 Mann, die Marine auf 15 000 rund 6000 Mann, nun bei Berlin statio­ übt wurde, den er verletzt überlebte. Mann reduziert und die Luftwaffe niert, die schlagkräftigste Truppe von Vor dem Hintergrund der radikali­ gänzlich abgeschafft werden. General von Lüttwitz. Anlässlich des sierten öffentlichen Meinung in Für weite Teile des Offizierkorps wa­ einjährigen Bestehens der Brigade am Deutschland Anfang 1920 gab es kon­ ren diese Forderungen unerträglich. 1. März 1920 drückte Lüttwitz dies mit krete Motive im »Kampf gegen das Sie wurden als demütigend empfun­ folgenden Worten aus: »Ich werde System« durch rechte Gruppierungen. den, nagten am Selbstwertgefühl und nicht dulden, dass mir eine solche schürten Orientierungs- und Perspek­ Kern­truppe in einer so gewitter­ Die Nationale Vereinigung tivlosigkeit. Zahlreiche Soldaten kann­ schwülen Zeit zerschlagen wird!« Da­ ten neben der Schule nichts anderes als mit sprach er der gesamten Truppe aus Seit 1919 sammelte sich ein Bündnis den Krieg, besaßen keine Berufsausbil­ dem Herzen, widersetzte sich aber zu­ von gegenrevolutionären und nationa­ dung, und für eine gelingende Integra­ gleich öffentlich dem Befehl des listischen Kreisen, das sich im Oktober tion ins Zivilleben fehlten Arbeits­

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2020 19 Der Kapp-Lüttwitz-Putsch

Reichswehrministers, die Truppe auf­ Reichswehrminister erließ Haftbefehle einer innenpolitischen Zerreißprobe he­ zulösen. gegen den Verschwörerzirkel. Kapp raushalten und an der Schaffung einer Die Situation spitzte sich zu, als Lütt­ und andere Hauptbeteiligte wurden »unpolitischen Reichswehr« arbeiten. witz am 10. März abends bei Reichs­ aber aus dem Polizeipräsidium heraus Das Kabinett beschloss daraufhin präsident in Anwesen­ gewarnt, sodass sie sich einer Verhaf­ notgedrungen die Flucht von Reichs­ heit von Reichswehrminister Noske tung entziehen konnten. präsident und -regierung nach vorsprach. Lüttwitz verlangte die Wolfgang Kapp wurde von den sich Dresden, später . Nur Vize­ Rücknahme des Auflösungsbefehls plötzlich überstürzenden Ereignissen kanzler (DDP) blieb in und seine Ernennung zum Oberbe­ völlig überrascht. Auch wenn er in den Berlin zurück. Wenig später mar­ fehlshaber der gesamten Reichswehr. vergangenen Monaten Lüttwitz mehr­ schierte die Brigade Ehrhardt unbehel­ Zudem stellte er politische Forderun­ fach zu einem raschen Schlag hatte be­ ligt durch das Brandenburger Tor und gen an die Regierung: die Einsetzung wegen wollen, war sein Staatsstreich besetzte die Schaltzentralen des politi­ von »Fachministern« in mehreren Res­ jetzt völlig ungenügend vorbereitet, so­ schen Berlin. Kapp zog in die Reichs­ sorts und vor allem die sofortige Auf­ dass nun eine »kabarettreife Groteske« kanzlei ein und ernannte sich zum lösung der Nationalversammlung mit (Hagen Schulze, Historiker) folgte. Reichskanzler, Lüttwitz zum Reichs­ Neuwahlen zum Reichstag. Letzteres Doch auch seitens der rechtmäßigen wehrminister. war einen Tag zuvor als gleichgerichte­ Regierung lief nicht alles reibungslos. ter Antrag der Rechtsparteien in der Als die Brigade Ehrhardt in der Nacht Militärische und politische Nationalversammlung gescheitert. von Freitag, den 12. März auf Samstag, Fehleinschätzungen Ebert und Noske lehnten die unange­ den 13. März 1920 bereits Richtung messenen und ultimativ vorgetrage­ Berlin marschierte, beriet Reichswehr­ Bald zeigte sich jedoch die Aussichtslo­ nen Forderungen erwartungsgemäß minister Noske mit den führenden Mi­ sigkeit des Staatsstreiches. Lüttwitz strikt ab. Es kam zum Bruch. Noske litärs die Lage. Allein Noske und der hatte die militärische Lage falsch beur­ entzog Lüttwitz noch am selben Abend Chef der Heeresleitung, General teilt, da er angenommen hatte, die ge­ das Kommando über die Brigade Ehr­ Walther Reinhardt, sprachen sich da­ samte Reichswehr stünde fest hinter hardt. Tags darauf, am 11. März, wurde für aus, »Gewalt mit Gewalt« zu beant­ ihm. Zwar traten zahlreiche Komman­ er beurlaubt. worten. Alle übrigen anwesenden Offi­ deure offen für ihn und Kapp ein, doch Lüttwitz stand nun unter Zugzwang. ziere waren da­gegen, teils weil sie eine die meisten hielten der rechtmäßigen Wenn er seine Beurlaubung und dro­ militärische Aus­einandersetzung für Regierung die Treue oder warteten die hende Absetzung sowie die Auflösung wenig aus­sichtsreich­ hielten, teils weil weitere Entwicklung ab. der Marinebrigade nicht hinnehmen sie bei einem Kampf von Reichswehr- Für Kapp rächten sich die Fehlein­ wollte, so glaubte er, blieb ihm nur der und Freikorps­truppen den inneren Zu­ schätzung der politischen Situation Staatsstreich. Er traf sich mit Ehrhardt sammenhalt der Truppe als gefährdet und die improvisierte Vorbereitung und wies ihn an, sobald wie möglich ansahen. des Putsches. Auf die gesamte Presse mit seiner Brigade nach Berlin zu mar­ In diesem Zusammenhang soll der im Reich hatte Kapp keinerlei Einfluss. schieren und das Regierungsviertel zu ebenfalls anwesende Chef des Trup­ Ihm gelang es nicht einmal, die beiden besetzen. penamtes, General , Rechtsparteien DNVP und Deutsche die vielzitierten Worte geäußert haben: Volkspartei (DVP) hinter sich zu brin­ Der Putsch der 100 Stunden »Truppe schießt nicht auf Truppe.« gen. Entscheidend für das Scheitern Quellenmäßig­ belegt ist dieser Aus­ des Putsches wurde jedoch, dass sich Nun verdichteten sich in Berlin spruch nicht. Der Haltung und Zielset­ der Großteil der Beamtenschaft, beson­ schlagartig Meldungen über einen zung nach traf die Äußerung gleich­ ders die Ministerialbürokratie, wei­ konkret bevorstehenden Putsch. Der wohl zu. Seeckt wollte die Truppe aus gerte, Kapps Anordnungen Folge zu leisten, und eine abwartende Haltung einnahm. Damit blieb »die gesamte Staatsmaschinerie in den Händen der alten Regierung«, so Reichsvizekanzler Schiffer. Hinzu kam die Proklamation zum Generalstreik, dem sich die Arbeiter­ schaft nicht nur in Berlin, sondern in akg-images/TT News Agency/SVT weiten Teilen des Reiches spontan an­ schloss. Noch am 13. März kursierte der Aufruf mit den Unterschriften von Ebert, den Reichsministern der SPD und ihrem Parteivorsitzenden Otto Wels. Es handelte sich aber um eine ei­

Die Marinebrigade unter Führung von Hermann Ehrhardt (Mitte) gehörte zu den wesentlichen Stützen des Kapp- Lüttwitz-Putsches. Sie traf am 13. März 1920 in Berlin ein.

20 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2020 Maschinengewehrposten auf dem Spit- telmarkt in Berlin, März 1920.

Reichswehr zurückgreifen, die soeben noch den Putsch unterstützt oder ihm abwartend gegenübergestanden hat­ ten. Die bürgerkriegsähnlichen Zu­ stände endeten erst Mitte April 1920 mit zahlreichen Toten und Verletzten. Dies belegt die dauernde Zwangslage zwischen Links und Rechts, in der sich die Reichsregierung und insbesondere die SPD befanden. akg-images Das Ende der Weimarer genmächtige Aktion des Pressechefs Willen Eberts seinen Posten zur Verfü­ Koalition der Reichsregierung, Ulrich Rauscher, gung, nachdem er in der Nationalver­ von der vermutlich nur Noske und sammlung auch aus seiner eigenen Als schwerwiegendste Folge für die Wels Kenntnis hatten. Die treibende Partei heraus schweren Angriffen aus­ Geschichte der Weimarer Republik er­ Kraft hinter dem Generalstreik lag oh­ gesetzt gewesen war. Ihm wurde unge­ wiesen sich die folgenden innenpoliti­ nehin nicht bei der SPD, sondern bei rechtfertigterweise ein beträchtlicher schen Verschiebungen. Ursprünglich den Gewerkschaften. War der Gene­ Anteil am Putsch angelastet. Nachfol­ wollte die Regierung die beabsichtig­ ralstreik zwar das sichtbarste Zeichen ger wurde der bisherige Wiederauf­ ten Wahlen zum Reichstag frühestens des Widerstandes, so ist in der For­ bauminister von der DDP. im Herbst 1920 abhalten. Nach dem schung dennoch umstritten, welchen Damit verlor die SPD eine Schlüsselpo­ Kapp-Lüttwitz-Putsch wurden die konkreten Einfluss er auf das Scheitern sition in der Regierung. Wahlen auf den 6. Juni vorgezogen. des Putsches hatte. Auch General Reinhardt bat aus So­ Die Wähler quittierten auf den Denn Kapp und Lüttwitz gelang es lidarität mit Noske um seinen Ab­ Stimmzetteln­ ihre Unzufriedenheit mit von Anfang an nicht, auch nur den An­ schied. Ihm folgte als Chef der Heeres­ der damaligen Lage. Zahlreiche Wäh­ schein einer funktionierenden Regie­ leitung General Hans von Seeckt. ler der SPD wanderten nach links, rung zu erwecken. Zudem verhinder­ Unter seiner Leitung wurde die Reichs­ Richtung USPD, die des Zentrums und ten inhaltliche Differenzen über die wehr entpolitisiert und zum viel zitier­ vor allem der DDP nach rechts, Rich­ Zielsetzung des Staatsstreiches ein ein­ ten »Staat im Staate«. tung DVP und DNVP. Die Parteien der heitliches Vorgehen. Leitende Beamte Für das Verhältnis zwischen der »Weimarer Koalition« aus SPD, DDP und höhere Offiziere erkannten schnell Reichswehr und den legalen Gewalten und Zentrum erlitten eine deutliche die dilettantische Vorbereitung des der Republik hatte der Putschversuch Schlappe und sackten von über 78 Pro­ Putsches und isolierten die Aufrührer. zwei weitere Folgen. Erstens konnte zent der Mandate in der Nationalver­ Bereits am Mittwoch, den 17. März sich der demokratische Staat von Wei­ sammlung auf knapp 45 Prozent im 1920 endete das Putschunternehmen mar in einer Krisensituation nicht Reichstag ab. Sie verloren also ihre par­ sang- und klanglos. Kapp und Lütt­ zweifelsfrei auf sein neues Militär ver­ lamentarische Mehrheit und sollten sie witz traten zurück. Kapp floh nach lassen. Dieses Defizit traf übrigens auf auch nie mehr wiedererlangen. Schweden, Lüttwitz blieb zunächst in den gesamten Sicherheitsapparat zu. Nach zähen Verhandlungen kam es Berlin, nachdem ihm der Abschied bei Zweitens musste die Reichswehr als schließlich zur Bildung eines bürgerli­ voller Amnestie und Gewährung der Folge des Kapp-Lüttwitz-Putsches ei­ chen Minderheitskabinetts aus Zen­ Pensionsansprüche durch den Reichs­ nen fühlbaren Verlust ihrer innenpoli­ trum und DDP, unter Beteiligung der vizekanzler zugesichert worden war. tischen Stellung hinnehmen. DVP und Tolerierung durch die SPD. Als weiteres Erschwernis für die Die innenpolitische Verschiebung ge­ Weitreichende Folgen Reichsregierung kam hinzu, dass der fährdete die Bildung einer dauerhaften Generalstreik nach dem Scheitern des demokratischen Regierung und dies, Dauerte das ganze Kapp-Lüttwitz­ Staatsstreiches keineswegs beendet wie sich herausstellen sollte, über die sche-Intermezzo auch nur etwa wurde. Im Gegenteil: Vor allem im gesamten Jahre der Weimarer Repu­ 100 Stunden,­ so hatte es doch weitrei­ Ruhrgebiet entwickelte die Streikbe­ blik: eine schwere Hypothek. chende Folgen. Die bisherige Reichsre­ wegung eine eigene Dynamik. Aus gierung war den Nachwirkungen des dem relativ spontanen Zusammen­  Martin Hofbauer Putsches nicht gewachsen und wurde schluss vieler politischer Richtungen bis zum 27. März 1920 umgebildet. erwuchs innerhalb kürzester Zeit eine Literaturtipps Nachfolger von Reichskanzler Gustav »Rote Armee« mit schätzungsweise Horst Möller, Die Weimarer Republik. Demokratie in Bauer wurde der bisherige Außenmi­ 50 000 Mann, die den größten Teil des der Krise, überarb. Neuausgabe, München 2018. nister Hermann Müller, beide SPD. Ruhrgebietes unter ihre Kontrolle Heinrich August Winkler, Weimar 1918‑1933. Die Zahlreiche Ministerposten wurden brachte. Um dort wieder Herr der Lage Geschichte der ersten deutschen Demokratie, 4., durch- neu besetzt. zu werden, musste die Reichsregie­ ges. Aufl., München 2005. Bereits am 18. März 1920 stellte rung notgedrungen ausgerechnet auf Gunther Mai, Die Weimarer Republik, 3., durchges. Aufl. Reichsw­ ehrminister Noske gegen den Verbände der Freikorps und der 2018.

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2020 21 Service Das historische Stichwort picture alliance/imageBROKER/Mara Brand

5Friedensengel in München. Siegessäule und Friedensengel

uf den ersten Blick sind die bei­ an den Auszug zum dänischen Feld­ Denkmals Auskunft: »Das dankbare den vom Autoverkehr um­ zug und an den Sturm auf die Düp­ Vaterland dem siegreichen Heere«. Aschlossenen Denkmale grund­ peler Schanzen 1864. Hinzu kommt die Im Innern des Denkmals finden sich verschieden: die heute 67 Meter hohe unterste der heute insgesamt vier Gür­ Mosaike, die den Krieg, den Sieg und Siegessäule in Berlin (1873/1939) und tungen an der Säule, die u.a. aus erbeu­ die Kaiserproklamation am 18. Januar der 34 Meter hohe Friedensengel in teten Kanonenrohren, besteht. 1871 verherrlichen. Bekrönt wird die München (1899). Daraus ließen sich Der Sieg Preußens über Österreich Siegessäule von der ­vergoldeten Bron­ voreilige Schlüsse ziehen: Einerseits und den Deutschen Bund, darunter zeskulptur der römischen­ Siegesgöttin war da das kriegerische Herrscherhaus auch Bayern, von 1866 wird durch die Victoria, die in der Rechten einen Sie­ Hohenzollern, das der deutschen Füh­ zweite Gürtung ebenfalls mit Kanonen gerkranz und in der Linken ein Feld­ rungsmacht Preußen im Kaiserreich symbolisiert. Ein zweites Relief zeigt zeichen in Form eines angedeuteten vorstand und mit der Siegessäule an die Schlacht bei Königgrätz sowie Be­ Speeres mit Eisernem Kreuz hält. Auf die Siege von 1864, 1866 sowie 1871 er­ gebenheiten aus dem Deutschen Krieg. dem Kopf trägt sie einen mit einem innerte. Andererseits gab es die fried- Der Sieg des Norddeutschen Bundes preußischen Adler gezierten Helm, und kunstliebende Dynastie Wittels­ unter Führung Preußens und der mit weswegen sie nicht nur als Victoria, bach, die mit dem Friedensengel die 25 ihm verbündeten süddeutschen Staa­ sondern auch als Borussia – also als Friedensjahre seit dem Sieg von 1871 in ten über Frankreich 1870/71 fand in ei­ weibliche Figur die Preußen symboli­ den Vordergrund stellte. ner dritten Kanonengürtung sowie in siert – angesprochen werden kann. Auf den zweiten Blick jedoch sieht zwei weiteren Reliefs seinen Nieder­ Die Siegessäule wurde am 2. Sep­ die Sache etwas anders aus. Mit den schlag: Schlacht bei Sedan sowie Ein­ tember 1873 feierlich eingeweiht. Sie Arbeiten an der Siegessäule wurde zug in Paris und Einzug der siegrei­ befand sich auf dem Königsplatz in 1865 nach dem preußisch-österreichi­ chen preußischen Truppen in Berlin. Berlin unweit des 1884 begonnenen schen Sieg über Dänemark begonnen. Ein heute nicht mehr erhaltenes Reichs­tagsbaues, dem heutigen Sitz Ein Bronze-Relief am Sockel erinnert Schriftband gab über den Sinn des des Bundestages.

22 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2020 Als die Nationalsozialisten 1933 an beerkranz und Palmzweig stehen für picture alliance/Bildagentur-online die Macht gelangten, wollte Hitler Ber­ den Frieden. Dieser bildet die Voraus­ lin zur Welthauptstadt Germania um­ setzung für Wohlstand und Segen der wandeln. Neue breite Straßen für den Kultur, dem Thema des vierten Mosa­ wachsenden Verkehr, aber auch für iks. Die Kultur wird durch eine Frau Militärparaden und Parteiaufmärsche mit Fackel und Ähren sowie zwei sollten angelegt, monumentale Ge­ Schmiede und einen Landwirt symbo­ bäude errichtet werden. Im Rahmen lisiert. Hinzu kommen Schiffe und der Neugestaltung wurde die Sie­ Füllhörner für Handel und Wohlstand. gessäule 1938/39 an ihren heutigen Somit thematisieren zwei Mosaike Standort, den Großen Stern, Mittel­ den Krieg und den Sieg sowie zwei punkt des größten Berliner Kreisver­ den Frieden und seine Segnungen. kehrs, verlegt, ebenso die Statuen Vor­aus­setzung für den Frieden aber ist preußischer Generale und Kriegsmi­ oder besser in diesem Falle war ein nister wie und sieg­reicher Krieg mit entsprechendem Helmuth von Moltke. Bei dieser Verle­ Friedens­schluss. gung wurde die Siegessäule in Berlin Das Königreich Bayern und seine Ar­ zugleich um einen vierte Gürtung mit mee waren 1864 nur begrenzt am Krieg Kanonen erhöht, um künftiger Siege gegen Dänemark beteiligt, standen zu gedenken. 1866 auf der Verliererseite. Das Denk­ Hingegen ist in München der Sockel mal betonte nun den eigenen Anteil am unterhalb der Säule mit dem Frieden­ Sieg von 1871, am Frieden und am Kai­ sengel im Innern als griechischer Tem­ serreich seit 1871. Schließlich war es pel gestaltet. Wie in Berlin befinden der bayerische König Ludwig II. gewe­ sich auch am Friedensengel Bilder der sen, der im Namen der deutschen Mo­ preußischen Generale Roon und narchen, Fürsten und Städte dem preu­ Moltke, allerdings in kleiner Porträt­ ßischen König Wilhelm I. den Titel form am Säulensockel. Zudem werden »Deutscher Kaiser« angetragen hatte. sie ergänzt durch die bayerische Gene­ Insofern verwundert es nicht, dass sich ralität: Ludwig von der Tann, Jakob am Friedensengel, im Gegensatz zur von Hartmann und Siegmund von Siegessäule, keine Erinnerung an 1864 Pranckh, der bayerischer Kriegsminis­ und 1866 findet. ter war. Hinzu kommen die Konterfeis Die Ursprungsidee des Denkmals in 5Siegessäule in Berlin. des preußischen Ministerpräsidenten München war es, sowohl »die Ruhme­ und seit 1871 deutschen Reichskanz­ staten« der bayerischen Armee und ihr die griechische Siegesgöttin und somit lers Otto von Bismarck, sowie der preu­ Leid 1870/71 als auch die 25-jährige das Gegenstück zur römischen Victo­ ßischen Könige und deutschen Kaiser Friedensphase seit 1871 zu verherrli­ ria, der Figur auf der Berliner Sie­ Wilhelm I., Friedrich III. und Wil­ chen. Der Grundstein wurde am gessäule. helm II. Natürlich sind auch die Abbil­ 10. Mai 1896, zum 25. Jubiläum des Insgesamt betrachtet, handelt es sich der der bayerischen Könige Ludwig II. Friedensschlusses zu Frankfurt a.M., um zwei Denkmale, die in einer ähnli­ und Otto I. sowie des Prinzregenten gelegt, die Einweihung erfolgte erst am chen Situation, allerdings zeitlich ver­ Luitpold angebracht. An der Nord- 16. Juli 1899, dem 28. Jahrestag der Sie­ setzt, entstanden. Die Berliner Säule und Südseite der vier Eckpfeiler des gesparade der bayerischen Truppen in wurde kurz nach den drei Kriegen er­ Sockels befinden sich Relief-Medail­ München. richtet und verherrlicht die Siege. Das lons, welche die zwölf Taten des anti­ Da es sich um ein »Friedensdenk­ Münchner antikisierende Gegenstück ken Halbgottes Herakles darstellen. mal« handelte, bürgerte sich der Name entstand über 25 Jahre später, stellte Die vier Seiten des Tempels sind mit »Friedensengel« für die vergoldete den siegreichen Krieg von 1870/71 und großformatigen Mosaiken verziert. Je­ Bronzeskulptur auf der Säule über den Friedensschluss heraus. In seiner des hat ein anderes Thema. Der Krieg dem Tempel ein. Für diese Deutung allegorischen Darstellung war der sieg­ wird durch zwei antike griechische spricht, dass die weibliche Figur mit reiche Krieg aber die Vorbedingung ei­ Kämpfer symbolisiert, zugleich setzen Flügeln in ihrer Rechten keinen Sie­ ner 25-jährigen Friedensperiode, in der im Ornamentrahmen zwei Giftschlan­ geskranz, sondern einen Ölzweig und Wohlstand, Kultur und Kunst gedei­ gen zum Biss an. Beim Thema Sieg in der Linken keine Lanze mit Eiser­ hen konnten. wird ein Kämpfer von der griechischen nem Kreuz, sondern ein sogenanntes Somit bietet das Ensemble zwei un­ Siegesgöttin Nike, dem Gegenstück Palladion, also eine kleine Statue der terschiedliche Interpretationen und zur römischen Victoria mit einem bewaffneten Athena trägt. Ein solches Akzentsetzungen der drei sogenann­ ­Siegeskranz versehen. Zwei weiße Miniaturheiligtum sollte in der Antike ten Reichseinigungskriege und beson­ springende Löwen auf blauem Grund die jeweilige Stadt schützen und ihr ders des Deutsch-Französischen Krie­ symbolisieren die bayerischen Landes­ Frieden sowie Wohlstand bringen. Bei ges von 1870/71, an dessen Ende das farben und damit den Anteil der baye­ der großen weiblichen Figur handelt es neue Kaiserreich und damit ein (klein-) rischen Armee am Sieg über Frank­ sich aber eben weder um einen Engel deutscher Staat stand. reich. Ein Denker und ein Bildhauer noch um Eirene, die griechische Göttin sowie eine weibliche Person mit Lor­ des Friedens. Es ist tatsächlich Nike, Harald Potempa

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2020 23 Service Neue Medien

rellen Bedeutung der jeweiligen Stadt. zogen haben, um die alliierten Kräfte Beim Eintrag zu Potsdam (Bd 2, S. 554) in eine Falle tappen zu lassen. Dabei ist etwa angegeben, dass es sich um die wird der Soldat Blake zusätzlich emo­ ehemalige Residenzstadt der Hohen­ tional unter Druck gesetzt, da sein Bru­ Reiseführer: »Baedeker« zollern mit vielen Kasernen, wenig In­ der ebenfalls in diesem Bataillon einge­ dustrie und lediglich einer Einrichtung setzt ist. Was nach einer moderneren r war Buchhändler, Verleger und der Reichsbahn handelt. Version von »Der Soldat James Ryan« EAutor von Reisehandbüchern: Karl Eine interessante, aber bemerkens­ klingt, entwickelt sich schnell zu einem Baedeker (1801‑1859). Seine Bücher wert-beklemmende, nun elektronisch packenden Film, der augenscheinlich glänzten mit Detailangaben zu Orten, zugängliche Quelle. mit nur einem einzigen Schnitt bis zum Sehenswürdigkeiten, Verkehrsverbin­ Ende die Spannung aufrecht erhält. dungen, Unterkünften und Preisen. hp Diese fiktive Geschichte orientiert »Der Baedeker« war im 19. und frühen sich an den Kriegserzählungen von 20. Jahrhundert nicht nur in Deutsch­ Mendes' Großvater, der als Soldat den land der Inbegriff des Reiseführers Ersten Weltkrieg erlebte. Eine kleine schlechthin. Vor diesem Hintergrund Portion Hollywood wird dabei mit gu­ ist es nicht überraschend, dass wäh­ ter historischer Genauigkeit verbun­ rend der Luftschlacht um England 1940 1917 den. Viele Zufälle, aber auch Glück be­ die Briten Teile der deutschen Luftan­ stimmen das Schicksal der handelnden griffe »Baederker Raids« nannten, da s ist ein sonniger Tag am 6. April Personen. Das Heldenepos weicht da­ sie navigatorisch leicht zu findende E1917 in Nordfrankreich. Im Hinter­ bei der nüchternen Realität. und berühmte Städte zum Ziel hatten, grund der ersten Szene weht der Wind Die Szenen, die sich zum großen Teil darunter London, Belfast oder Glasgow leise durch das grüne, mit Blumen ge­ in Schützengraben und Straßen abspie­ So verwundert es auch nicht, dass die spickte Gras und man hört einige Vö­ len, wurden mit einer modernen und Royal Air Force während ihrer eigenen gel zwitschern. Die Kamera schwenkt geradezu sehr kleinen Spezialkamera Luftoffensive gegen Deutschland im auf die beiden, vor sich hindösenden, aus Deutschland gedreht. Dabei wur­ Jahre 1943 ihrem Zielkatalog den Na­ britischen Lance Corporals Schofiel den die Darsteller oft von vorne ge­ men »Bomber's Baedeker« gab. Die (George MacKay) und Blake (Dean- filmt, sodass der Zuschauer nun den Universität Mainz hat diese Quelle, ge­ Charles Chapman). Diese etwa 30-se­ Eindruck gewinnt, selbst Teil des Film­ nauer gesagt die zweite Auflage von kundige Idyllle wird unterbrochen von geschehens zu sein. Auf diese Weise 1944, digitalisiert und online gestellt. der Anordnung des Vorgesetzten, sich gelingt es dem Regisseur, die inzwi­ Das Werk ist zweibändig angelegt: bei General Erinmore wegen eines schen lang vergangenen Überlieferun­ Band 1: Aachen – Küstrin, Band 2: Lahr dringenden Befehls zu melden. So be­ gen aus dem Ersten Weltkrieg in einer – Zwickau. Beide verzeichnen deut­ ginnt der Einstieg in den neuen Kriegs­ neuen Art und Weise erlebbar zu ma­ sche Städte, Märkte und Gemeinden film »1917« vom namhaften Regisseur chen. So kann der Zuschauer neben und bewerten sie hinsichtlich ihrer Sam Mendes (»Skyfall«). Der Befehl der eigentlichen Handlung auf den (kriegs)wirtschaftlichen Bedeutung. des Generals lautet, dem etwa 14 km Schlachtfeldern auch viele Details ent­ Sie listen die einzelnen Städte mit ihren entfernten Bataillon von Colonel decken, die einen nahezu erschaudern geografischen Positionen, ihrer Ein­ Mackenzie bei Écoust-Saint-Mein die – ja sogar ekeln lassen. Obwohl das wohnerzahl und mit ihrer Entfernung Nachricht zu überbringen, dass die Thema des Ersten Weltkrieges bereits (Luftlinie in Meilen) von Großbritan­ morgige Offensive gegen die deut­ in zahlreichen Filmen behandelt nien aus gesehen auf. Hinzu kommen schen Feindkräfte nicht stattfinden wurde, hat dieser Film das Potenzial, Angaben, in welcher Region die jewei­ darf. Hintergrund ist das sogenannte sich einen Namen zu machen. Um lige Gemeinde liegt und welche kriegs­ Unternehmen Alberich, bei dem sich nicht zu viel vorwegzunehmen, bleibt wichtigen Fabriken in ihr beheimatet die deutschen Kräfte damals bis zur so­ an dieser Stelle nur zu sagen, dass viele sind. Namentlich geht es um Produk­ genannten Hindenburglinie zurückge­ dramatische und überraschende Ereig­ tionsanlagen inklusive postalische nisse am Ende wieder zum Zwitschern ­Anschriften für Flugzeuge, Motoren, der Vögel führen und der Wind durch Fahrzeuge, Geschütze, Munition, Ra­ das Gras weht. keten, Gummi, Textilien und elektri­ sche Bauteile. Hinzu kommen Anga­ Sebastian Karl ben zu Raffinerien. Weiterhin sind die

Straßen- und Eisenbahnverbindungen picture alliance/Photoshot nebst den Bahnhöfen und Eisen­ bahnausbesserungswerken aufgelistet. Allen diesen potenziellen Zielen waren im »Bomber's Baedeker« selbst unter­ schiedliche Prioritäten zugewiesen. Zusammenbruch Des Weiteren finden sich Angaben zu Kasernen, in Teilen aber auch zur gene­ ommer 1940 – »Die holen uns nicht Sein, die überrennen uns. Wir sind https://visualcollections.ub.uni-mainz.de/urn/urn:nbn: am Arsch.« Dünkirchen ist gefallen. de:hebis:77-vcol-20056 Filmplakat 1917, Universal Pictures Die französische Armee erkennt, dass medien24 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2020 Wer mehr von Shigeru Mizuki lesen will: Er hat mit »Hitler« ein weiteres Comic nach historischer Vorlage ge­ Antikriegscomics aus Japan schaffen. Darin erzählt er vom Aufstieg Adolf Hitlers vom obdachlosen Ge­ Shigeru Mizuki, Auf in den Heldentod!, Berlin: Re­ brauchsmaler zum Führer des Deut­ produkt-­ Verlag 2019. ISBN 978-3-95640-178-7; 384 S., schen Reiches. Auch hier kombiniert er 20,00 Euro, und Shigeru Mizuki, Hitler, Berlin: Repr­ o­ den Manga-Stil mit Hintergründen, die neuedukt-Verlag 2019. ISBN 978-3-95640-177-0; 288 S., auf Fotografien der realen Ereignisse 18,00 Euro basieren, etwa vom Putschversuch 1923. Dieses Werk ist ebenfalls schon higeru Mizuki (1922‑2015) gehört älter, das japanische Original erschien Szu den bekanntesten Manga-Auto­ erstmals 1971. Das bedeutet, dass sich ren und den Wegbereitern der moder­ die wirklich gut recherchierte Story auf nen Graphic Novel. Bekannt ist er vor den Forschungsstand der 1960er Jahre allem für seine Geister-Geschichten. stützt – vor dem Boom der geschichts­ Pascal Rabaté, Zusammenbruch, Berlin: Reprodukt- Doch er hat sich auch mit historischen wissenschaftlichen Hitler- und NS-For­ Verlag 2019. ISBN 978-3956401848; 216 S., 20,00 Euro Themen beschäftigt und 1972 einen schung. Daher ist so einiges aus heuti­ Band veröffentlicht, in dem er seine Er­ ger Perspektive nicht mehr stimmig, sie keine Chance gegen die Wehrmacht lebnisse als Soldat im Pazifikkrieg auf gar widerlegt. Insbesondere fällt die hat, und befiehlt ihren Soldaten, sich Rabaul (Neuguinea) verarbeitet hat. geringe Thematisierung von Anti­ zu ergeben. Unter ihnen: Videgrain, »Heldentod« basiert zu 90 Prozent auf semitismus und Shoah ins Auge. Dies Lehrer, Ehemann, Vater. Gemeinsam seinen eigenen Erfahrungen. Und nach entspricht aber der Entstehungszeit mit dem jungen Landwirt André ist er der Lektüre kann man dem Manga-Ex­ des Mangas, auch in Deutschland gerade erst wieder zu seinem Regi­ perten Frederik L. Schodt nur zustim­ ment zurückgeirrt, nur um sich direkt men: »Heldentod« ist »einer der stärks­ in Kriegsgefangenschaft begeben zu ten Antikriegs-Comics, die jemals ge­ müssen. Wie eine immer länger wer­ zeichnet wurden.« Nun ist er erstmals dende Raupe windet sich der Zug der auf Deutsch erschienen. Poilus durch die nordfranzösischen Im Sommer 1945 sind Einheiten der Ebenen, Richtung Osten. Doch Amédée Kaiserlichen Japanischen Armee auf will in die andere Richtung, nach Paris, den Inseln Neuguineas stationiert, um nach Hause, in die Arme seiner gelieb­ gegen die USA zu kämpfen. Die Ku­ ten Juliette. Gemeinsam mit ein paar lisse ist ein trügerisches Paradies von Kameraden schmiedet er einen Plan endlosen Stränden und Palmen, bald zur Flucht. blutversehrt und brennend. Der Kapi­ In reduzierten Farben und dem für teltitel »Knochenarbeit und Prügel« den francobelgischen Comic typischen sagt schon alles darüber, wie es den einfachen Zeichenstil lässt uns Pascal Soldaten geht. Die Versorgung ist mi­ ­Rabaté die Geschehnisse durch die Au­ serabel, die Strafen drakonisch. Vom gen von Amédée Videgrain miterle­ fanatischen Major werden sie in einen ben. Dabei erzählt er keine Geschichte Banzai-Angriff, ein Selbstmordkom­ von Helden und Schurken, von großen mando, geführt. »Mir scheint, Sie wol­ Taten und hoher Moral, nichts vom len einfach nicht mit mir sterben«, ruft heroischen Kampf gegen den Feind bis der Major seinen Männern vor dem zum letzten Schuss, sondern von ganz Sturm auf die US-amerikanischen Stel­ normalen Männern, die hungern, stin­ lungen zu. Und ja, einige wenige über­ ken und von Darmproblemen geplagt leben und entscheiden sich, ihr Leben werden; Männer, die keinen Bock mehr nicht erneut einzusetzen. Eine Schande aufs Soldatsein hatten, die Lehrer wa­ für die Armee, die so nicht akzeptiert ren oder Professoren oder einfache Ar­ werden kann. beiter und die jetzt nicht mal mehr Sol­ Mizukis Stil ist einzigartig: Die einfa­ daten sein können. Stattdessen werden chen Mangazeichnungen der Figuren – wollte bis in die späten 1960er Jahre sie wie Vieh durch die Lande getrieben und das sind nicht wenige, glücklicher­ niemand etwas von der Vernichtung – und je nach Laune und Hautfarbe weise gibt es ein Register – stehen von sechs Millionen Juden gewusst ha­ auch wie solches behandelt, von den Landschaftsbildern gegenüber, die wie ben. Übrigens: 1971 erschien auch erst­ »Boches« ebenso wie von ihren Kame­ fotorealistische Stiche wirken. Einziger mals eine kurze Geschichte zur Shoah raden. Auch Videgrain ist kein Un­ Wermutstropfen ist die konsequent fal­ des US-ame­rikanischen Zeichners Art schuldiger und die traurige Erkenntnis sche Übertragung von (陸軍)中尉 (riku­ Spiegelman, die sich bis 1986 zum epo­ ist: Am Ende ist sich jeder selbst der gun) chūi – Oberleutnant: Wenn der chalen »Maus«-Comic weiterent­ Nächste. »Oberstleutnant« als Zugführer vom wickeln sollte. Major Befehle entgegennehmen muss, Friederike Höhn fällt sofort auf, was hier nicht stimmt. Friederike Höhn medien Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2020 25 Service Lesetipps

Athen oder Sparta 1870/71 Der Wintersoldat

Niemand, der sich für die altgriechi­ Was haben Otto von Bismarck, Paul »Der Wintersoldat« von Daniel Mason sche Geschichte interessiert, vermag von Hindenburg, Napoleon III., Alfred erzählt die Geschichte von Lucius, ei­ es, jenen großen innergriechischen Krupp, Friedrich Nietzsche und Frie­ nem Medizinstudenten aus Wien, der Krieg des 5. Jahrhunderts v.Chr. aus­ drich Engels gemeinsam? Sie alle waren sich zu Beginn des Ersten Weltkrieges zublenden: den Peloponnesischen Zeitzeugen des Deutsch-Französischen begeistert und freiwillig zum Dienst in Krieg 431–404 v.Chr. Die mächtigen Krieges, dessen Beginn sich 2020 zum der österreichisch-ungarischen Armee Stadtstaaten Athen und Sparta kämpf­ 150. Mal jährt. Gemeinsam mit 31 ande­ meldet. ten 27 Jahre um die Vorherrschaft auf ren Personen sind sie in dem Band von Mason schafft es in seinem Roman, dem Peloponnes und zogen dabei die Tobias Arand »1870/71« aufgeführt. die unterschiedlichen Realitäten des ganze griechische Welt in den Strudel Durch diese gewaltige Auswahl Krieges darzustellen. Zum einen be­ der Gewalt. Wolfgang Will beschreibt macht der Autor überdeutlich: Krieg ist schreibt er die verschiedenen Verlet­ diesen Krieg, wobei er nicht nur die weit mehr als Schlachten, Belagerun­ zungsmuster, mit denen Lucius auf­ militärischen Operationen in den Blick gen, Vormärsche, Aufstände und Hin­ grund des Krieges konfrontiert wird, nimmt, sondern diese mit der Innenpo­ terhalte. Die genannten Elemente kom­ auf eine solch detailreiche Weise, dass litik und der gesellschaftlichen Ent­ men dabei allerdings auch nicht zu man sich mitten im Geschehen wähnt. wicklung verknüpft. Der Schwerpunkt kurz. Schließlich kostete der Krieg ins­ Zum anderen erzählt er von der im Ge­ seiner Ausführungen liegt dabei auf gesamt etwa 200 000 Menschen auf bei­ gensatz dazu fast idyllischen Abge­ dem demokratischen Athen und nicht den Seiten das Leben, etwa drei Millio­ schiedenheit des Lazaretts, das weit auf dem oligarchischen Sparta. nen Mann standen insgesamt unter hinter der Front liegt und dessen Be­ Sehr nah an den antiken Historiogra­ Waffen. Der Autor bindet die Zeitzeu­ legschaft nicht direkt mit Kampfhand­ fen Thukydides und Xenophon wird genberichte gekonnt in seine Schilde­ lungen in Berührung kommt. die Gewalteskalation eines über Jahr­ rungen sowie Auswertungen der Eines Tages wird ein am Körper un­ zehnte andauernden Konflikts an­ Kriegsereignisse­­ ein und interessiert verletzter Soldat eingeliefert. Lucius ist schaulich beschrieben. Interessant ist sich bei beiden Kriegsparteien sowohl fasziniert von den Symptomen des vor allem die Frage, was ein solcher für die »Adlerperspektive« der Ober­ Mannes, der zeitgenössisch als Kriegs­ Krieg für Spuren in den Zivilgesell­ kommandos als auch für die »Frosch­ zitterer bezeichnet wurde. Er kann ihn schaften hinterlässt. Antworten liefert perspektive« der Männer bei den aber nicht heilen, sondern verschlim­ Will mit seinem Blick auf die demokra­ Kämpfen. mert dessen Zustand noch. tischen Entscheidungsfindungspro­ Arand beginnt zunächst mit der poli­ Später wird Lucius vom Lazarett ge­ zesse und die langsame Erosion der tisch-militärischen Vorgeschichte des trennt, sucht aber Monate lang nach demokratischen Strukturen durch oli­ Konflikts. Er erzählt die mit »Eisen Margarete, eine Krankenschwester in garchische Gruppierungen. Das noch und Blut« überschriebene Geschichte die er sich verliebt hatte. Als er schließ­ heute als Demokratieprototyp gel­ der Kriege gegen Dänemark (1864) lich nach Wien versetzt wird, zeigen tende Athen driftete während des Krie­ und gegen Österreich (1866). Zudem sich die Spuren, die der Krieg bei ihm ges in zwei oligarchische Umstürze, geht er auf die Entwicklungen im zwei­ hinterlassen hat. Zum einen quälen ihn die sich aber jeweils auch demokrati­ ten französischen Kaiserreich Napole­ seine Gedanken, weil er dem verletz­ scher Werkzeuge bedienten. ons III. ein. Es folgen der »Weg in den ten Soldaten nicht helfen konnte, zum Am Ende bietet das Buch noch einen Krieg« in den Jahren 1867 bis 1870 so­ anderen seine nun getrennte Liebe zu Ausblick auf die Selbstheilung der wie der Krieg selbst. Margarete. ­attische Polis und eine »Neue Demo­ Während das zweite Kaiserreich Der Krieg erscheint bis zum Ende des kratie«. Gerade durch diese innenpoli­ Frankreichs endete, wurde das zweite Buches als etwas weit Entferntes, seine tische Perspektive bietet Will eine in­ Kaiserreich Deutschlands errichtet. Schrecklichkeit zeigt er in dem, was er teressante Militärgeschichte, die zum Auch davon und von den Aus- und mit den Menschen anrichtet. Ein schö­ Nachdenken über gegenwärtige politi­ Nachwirkungen erzählt dieses bemer­ ner Roman, der den Leser in seinen sche Entwicklungen anregt. kenswerte Buch. Bann zieht.

cj hp Tim Döbler

Wolfgang Will, Athen oder Sparta. Tobias Arand, 1870/71. Eine Geschichte des Die Geschichte des Peloponnesischen Deutsch-Französischen Krieges, München 2019. Krieges erzählt in Einzel- Daniel Mason, Der ISBN 978-3-406-74098- schicksalen, 2. Aufl., Wintersoldat, 5; 352 S. mit 9 Abbil- Hamburg 2019. ISBN München 2019. ISBN dungen und 11 Karten, 978-3-05510-167-1; 978-3406739613; 26,95 Euro 697 S., 30,00 Euro 430 S., 24,00 Euro

26 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2020

Konstantinopel – Istanbul Berliner Mauer Auf Napoleons Spuren

Im Jahre 476 n.Chr. endete das Römi­ Die deutsch-deutsche Teilung und vor Bildern ist nicht zu trauen. Ihre Wir­ sche Reich. Ganz? Nein! »Nur« dessen allem die Berliner Mauer sind Themen, kung ist ungeheuer groß und sie kön­ weströmischer Teil. Ostrom, das sich die scheinbar zeitlos sind. Und das nen heute mit Photoshop und Co. weiterhin als Römisches Reich bezeich­ nicht nur zu besonderen Jahrestagen schnell, aber nachhaltig verändert wer­ nete und heute vor allem als Byzantini­ oder Jubiläen. Aber natürlich rückten den. Dass Historienmaler vergangener sches Reich oder kurz Byzanz bekannt beide Themen angesichts des 30. Jah­ Zeiten die Kunst der Veränderung ist, bestand noch knapp eintausend restages des Falls der Mauer im No­ ebenfalls sehr gut, wenn nicht gar bes­ Jahre lang fort. Erst 1453 wurde es von vember 2019 verstärkt in das Licht der ser beherrschten, zeigt Thomas Schu­ den Osmanen erobert. Öffentlichkeit. lers Buch. Er stellt insgesamt neun eu­ Beherrscht wurde Byzanz von sei­ Pünktlich dazu erschien 2019 das Ta­ ropäische Städte vor, die im Leben nem Zentrum aus, von einer Stadt, die schenbuch des Historikers und Stadt­ Napoleons eine bedeutsame Rolle auf zwei Kontinente verteilt ist und die führers Bernd Guberlet mit dem er­ spielten. an der Meerenge zwischen Mittelmeer klärten Ziel, das Wissen um die Er beginnt mit dem Großen St. Bern­ und Schwarzem Meer liegt. Die Stadt Berliner Mauer kompakt und dennoch hard und damit mit dem legendären änderte mehrfach ihre offiziellen und von A bis Z zusammenzutragen. Und Alpenübergang Napleons und seiner inoffiziellen Namen. Die bekanntesten auf den ersten Blick scheint ihm dies Armee im Jahre 1800. Jacques-Louis sind Konstantinopel und Istanbul. auch gut gelungen: Angefangen von David hielt diese für die Zeitgenossen Malte Fuhrmann stellt die Geschichte der Vorgeschichte der Teilung und des und für die Nachwelt so wirkmächtige dieser heutigen Millionenmetropole Mauerbaus, über die Umstände und Szene in insgesamt fünf Versionen in am Bosporus von den Anfängen bis in Einblicke in Fluchten an und rund um Öl auf Leinwand fest. Die vierte zeigt die Gegenwart dar. Schon die Vielzahl die Mauer, die alltäglichen Orte der Napoleon hoch zu Ross. Sein Schim­ der Namen deutet auf die vielschichti­ Teilung und das Leben mit der Mauer, mel hat die Vorderhufe in der Luft und gen Entwicklungen: Das neue zweite bis hin zur Nachbetrachtung aus Fried­ steht nur auf den Hinterhufen. Nach Rom, östliches Rom, Alma Roma, By­ licher Revolution, den Monaten da­ Art der Cäsaren trägt Napoleon einen zantias Roma, Nova Roma, Konstanti­ nach und den Mauerschützenprozes­ roten Mantel, der dramatisch, quasi nopel, Konstantinoúpolis, Byzantion, sen trägt dieses Taschenbuch eine Fülle fliegend in Szene gesetzt ist. Die linke Konstantiniyye, Islambol, Dersaadet, an Informationen zusammen. Hand hält die Zügel, die rechte deutet Stambul und Istanbul. Die einzelnen Kapitel sind dabei de­ vorwärts. Auf einem Felsblock am lin­ Fuhrmann geht auf die dazugehöri­ tailliert, aber zugleich auch kurz, bün­ ken unteren Rand sind die Namen gen Reiche und Staaten der Griechen, dig und gut lesbar gehalten. Sie zweier weiterer Alpenüberquerer ein­ der Römer, der Ost-Römer, der Osma­ schrecken somit auch »Gelegenheitsle­ gemeißelt: Hannibal und Karl der nen und der Türken ein. Er stellt deren ser« nicht von der Lektüre ab. Kleine Große. Herrscher, ihre Herrschaftsmethoden, Tabellen, Statistiken, eine Chronologie Tatsächlich benutzte der große Korse die ethnische und religiös-konfessio­ der Ereignisse und ein »Mauer-ABC« ein schlichtes Maultier, das zudem von nelle Zusammensetzung der Bevölke­ mit den wichtigsten Abkürzungen und einem Einheimischen geführt wurde, rung sowie die Armeen der Reiche vor Schlagworten runden das kompakte für den Alpenübergang. Es war kalt, und fragt nach Verfassung sowie Ver­ »Kraftpaket« gelungen ab. Somit über­ Napoleon war in einen Mantel gehüllt fasstheit der Reiche oder Staaten. zeugt das Nachschlagewerk für die und ein etwaiger Schneesturm hätte Zudem beschreibt Fuhrmann die Hosentasche auch auf den zweiten seine Armee sowie seinen gewagten Al­ vielfältigen Belagerungen, Eroberun­ Blick und empfiehlt sich für alle, die penübergang zunichtemachen können. gen und Besetzungen der Stadt. Der Mauer-Kenner sind, oder es noch wer­ Somit zerstört das Buch genau das, Autor schafft in diesem lesenswerten den wollen. Mehr »Mauerwissen« was ein gutes historisches Werk tun Buch, die Vielschichtigkeit der Ge­ brauchen weder Berlinerinnen und soll: langlebige Mythen. Dies tut es auf schichte von Konstantinopel/Istanbul Berliner, noch jene, die die Stadt besu­ gut recherchierte, leicht lesbare und gekonnt darzustellen. chen. unterhaltsame Art.

hp Jochen Maurer hp

Malte Fuhrmann, Konstantinopel Bernd Ingmar Gutberlet, Thomas Schuler, – Istanbul. Die Berliner Mauer für Auf Napoleons Stadt der Sultane die Hosentasche: Was Spuren. Eine Reise und Rebellen, Frank- Reiseführer verschwei- durch Europa, furt a.M. 2019. ISBN gen, Frankfurt a.M. 2019. München 2019. ISBN 978-3-10- 397262-7; ISBN 978-3596522958; 978-3-406-73529-5; 464 S., 26,00 Euro 304 S., 10,00 Euro 408 S., 26,95 Euro

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ServiceService Die historische Quelle

Postkarte

Die brennende Kathedrale Notre-Dame von Reims

und eine Million Besucher besichtigen jedes Jahr und vermuten ließen, das Gotteshaus sei bis auf die die Kathedrale Notre-Dame (dt. Unsere Liebe Grundmauern abgebrannt. RFrau, gemeint ist Maria, die Mutter Jesu) von Eine Umkodierung des Gedächtnisortes Reims gelang Reims. Errichtet von 1211 bis 1516, ist sie ein Meister­ erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Charles de Gaulle, Ge­ werk gotischer Baukunst, Krönungskirche der franzö­ neral und Held des »Freien Frankreich«, seit 1959 franzö­ sischen Könige und zentraler Erinnerungsort der natio­ sischer Staatspräsident, nahm am 8. Juli 1962 gemeinsam nalen französischen Identität. Seit 1991 steht sie auf der mit Bundeskanzler Konrad Adenauer an einem Hochamt Liste der UNESCO-Weltkulturerbe-Stätten. in der Kathedrale teil. Erst dieser symbolträchtige Besuch Der Beschuss der Kathedrale durch deutsche Trup­ und das ähnlich ikonografische Bild der beiden betagten, pen im September 1914, der einen Großbrand auslöste, gemeinsam ins Gebet vertieften Staatsmänner ließ die rief weltweites Entsetzen hervor. Das zerstörte Gottes­ Kathedrale fortan zu einem Ort gelungener deutsch-fran­ haus wurde zu einem Hauptmotiv der alliierten Propa­ zösischer Versöhnung werden. ganda und zu einem der größten Medienereignisse des So alt wie der Krieg selbst bleibt die Zerstörung von Ersten Weltkrieges. Die Deutschen galten fortan als Kulturgütern. Der deutsche Beschuss der Kathedrale von kulturlose Vandalen oder Hunnen – ein Vorwurf, dem Reims ist nur ein Beispiel dafür. Erst 1954 wurde die Haa­ sich das Kaiserreich vergeblich, auch durch einen Auf­ ger Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffne­ ruf von 93 Wissenschaftlern und Kulturschaffenden, ten Konflikten verabschiedet. Ein verlässlicher Schutz ist entgegenzustemmen versuchte. selbst das nicht. Dies verdeutlicht nicht nur die Zerstö­ Infolge rascher Verbreitung von Fotografien der bren­ rung der UNESCO-geschützten Buddha-Monumentals­ nenden Krönungskathedrale, wie der auf dieser Seite tatuen von Mamiyan durch die Taliban in Afghanistan im abgebildeten, wurde Reims zum Synonym für deut­ März 2001, sondern auch die Drohung des US-amerikani­ sche »Barbarei«. Dabei waren alle entsprechenden Post­ schen Präsidenten Donald Trump vom Anfang dieses kartenmotive bearbeitet – schon, weil die fotografische Jahres, im Falle weiterer iranischer Aggressionen auch Technik der Zeit dynamische Motive wie einen Groß­ kulturelle Ziele im Iran anzugreifen, was weltweit Entset­ brand noch nicht einfangen konnte. Um die Dramatik zen und den Vorwurf der Planung von Kriegsverbrechen des Geschehens abzubilden oder teilweise sogar zu auslöste. überhöhen, wurden die Bilder an bestimmten Stellen übermalt. Dies lässt sich besonders in den Flammen im Esther Geiger Seitenschiff und im Dach erkennen. Meldungen, dass die stark beschädigte Kathedrale völlig zerstört sei, Literaturtipp wurden von offizieller französischer Seite zwar korri­ Thomas W. Gaehtgens, Die brennende Kathedrale. Eine Geschichte aus dem Ers- giert, hielten sich aber hartnäckig angesichts solcher ten Weltkrieg, München 2018. Fotografien, die vermeintlich die Wirklichkeit zeigten

akg-images

3Kolorierte und retu- schierte Bildpostkarte. Solche Fotografien der brennenden Kathedrale waren auch nach dem Ende des Ersten Weltkrie- ges noch lange verbreitet.

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Geschichte kompakt

2. April 2010 10. Mai 1940

Karfreitagsgefecht Westfeldzug

m 2. April 2010 standen in der nordafghanischen er Historiker Marc Bloch nannte es »L‘étrange de­ Ortschaft Isa Khel deutsche Soldaten zum ersten faite«, die »seltsame Niederlage«. Als französischer AMal seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges in ei­ DReserveoffizier und Zeitzeuge hatte er den totalen nem länger anhaltenden Gefecht. Am Ende fielen drei von militärischen Kollaps seiner Armee hautnah miterlebt. ihnen. Dieser Tag ging in das kollektive Gedächtnis der Bloch war nicht der einzige, der so dachte. Selbst auf deut­ Bundeswehr als »Karfreitagsgefecht« ein. scher Seite hatte kaum einer mit einem so schnellen Erfolg Das Gefecht war eine Zäsur für die Bundeswehr. Die Ein­ gerechnet. In einem »Blitzfeldzug« von nur gut sechs Wo­ satzrealitäten hatten sich geändert: Kämpfen können, um chen besiegte die Wehrmacht die französische Armee und nicht kämpfen zu müssen, wich den Erfahrungen der Sol­ vertrieb das britische Expeditionskorps bei Dünkirchen daten mit Tod und Verwundung im Kampf. Das als ruhig vom europäischen Festland. bewertete Nordafghanistan hatte sich zu einer Kampfzone Als der deutsche Angriff am 10. Mai 1940 begann, galt die entwickelt. Unter den Soldaten wurde von »Krieg«, in der französische Armee als die beste Armee der Welt. Frank­ Politik von »kriegsähnlichen Zuständen« gesprochen. reich hatte außerdem seine Grenze zum Deutschen Reich Am 2. April hatte die 1. Infanteriekompanie aus Kunduz durch eine beeindruckende Befestigungsanlage geschützt, den Auftrag, im Distrikt Chahar Darreh verschiedene Stra­ die Maginot-Linie. Die deutschen Angreifer waren dem ßen nach improvisierten Sprengfallen (IED) abzusuchen. Gegner nummerisch in allen Belangen unterlegen: Solda­ Diese Aufgabe übernahm ein Zug zusammen mit Kampf­ ten, Panzer, Artillerie und Flugzeuge. Was waren also die mittelbeseitigern, während die anderen Kräfte der Kompa­ Gründe für den entscheidenden deutschen Erfolg? Erstens nie zur Überwachung und als Reserve eingesetzt waren. In ein kühner, wenngleich auch riskanter Operationsplan so­ einem Vorort von Isa Khel sicherten Kräfte des Zuges das wie zweitens die überlegene deutsche Militärdoktrin. Suchverfahren und klärten mit einer Drohne weiter auf. Als Um die Maginot-Linie zu umgehen, fielen die Deutschen diese abstürzte, machte sich ein Spähtrupp auf die Suche. in die beiden neutralen Staaten Belgien und Niederlande Von den deutschen Soldaten unbemerkt, hatten die Taliban ein, ähnlich wie aufgrund des Schlieffen-Plans 1914. Anders das Vorgehen längst beobachtet. als 26 Jahre zuvor, drehten sie dann aber nicht nach Süden Gegen 13 Uhr Ortszeit griffen plötzlich etwa 80 Aufstän­ Richtung Paris ab, sondern stießen weiter nach Westen zur dische aus dem Hinterhalt mit Handfeuer- und Panzerab­ Kanalküste durch. Damit kesselten sie einen Großteil der wehrhandwaffen an. Der vier Mann starke Spähtrupp war alliierten Armeen in Belgien und Nordfrankreich ein. Trotz nahezu eingeschlossen, ein Soldat wurde verwundet. Nach des Widerstands seiner Generalität hatte Hitler auf diesem über einer Stunde Feuerkampf konnte der Spähtrupp ent­ »Sichelschnitt-Plan« von General Erich von Manstein be­ setzt werden. Drei Soldaten wurden verwundet, zwei davon harrt und das Risiko der offenen linken Flanke bewusst in schwer. Robert Hartert erlag später seiner Verwundung. Kauf genommen. Verstärkung wurde angefordert, Kampfflugzeuge der Der »Sichelschnitt-Plan« war aufgrund der überlegenen US-Streitkräfte führten Tiefflüge durch. Am Boden stand deutschen Doktrin erfolgreich. Während die französische der Zug noch immer im Feuerkampf. Beim Ausweichen Armee im Kriegsbild des Ersten Weltkrieges mit dem Stel­ wurde ein Gefechtsfahrzeug durch ein IED angesprengt. lungskrieg verhaftet blieb, hatte die Wehrmacht erkannt, Die sich in der Nähe befindlichen fünf Soldaten wurden dass Motorisierung sowie Luftstreitkräfte den Bewe­ alle schwer, zwei weitere im Fahrzeug leicht verwundet. gungskrieg ermöglichten. Während die Franzosen ihre Pan­ Zwei der Schwerverwundeten – Nils Bruns und Martin zer lediglich­ taktisch als Unterstützungswaffe der Infanterie ­Augustyniak – überlebten ihre Verwundung nicht. Am benutzten, setzte die Wehrmacht sie in eigenen Panzer­di­ Abend wurde die Kompanie durch eine Reserve-Kompanie visionen operativ ein. Zudem unterstützte die Luftwaffe als aus dem Raum abgelöst. »fliegende Schlachtartillerie« taktisch die Landstreitkräfte. Eine Woche nach dem Gefecht, am 9. April, fand die Letztlich zeigten sich auch die deutschen Führungsgrund­ ­offizielle Trauerfeier für die drei Gefallen in Selsingen statt. sätze überlegen: Dank der Auftragstaktik war die Wehr­ Die verwundeten Soldaten kämpften sich ins Leben zurück, macht ihrem Gegner stets einen Schritt voraus. Die Wehr­ sind heute teilweise erfolgreiche Angehörige einer Sport­ macht agierte, die französische Armee reagierte nur noch. fördergruppe. Der Feldzug endete am 22. Juni 1940 mit dem Waffenstill­ Der Afghanistaneinsatz im Allgemeinen und das Kar­ stand von Compiègne, exakt am selben Ort und im selben freitagsgefecht im Speziellen wirkten sich auf das Geden­ Eisenbahnwaggon wie 1918. Hitler war nun auf dem Höhe­ ken in der Bundeswehr aus. Verschiedene Erinnerungsorte, punkt seiner Popularität im Deutschen Reich. Doch ein stra­ wie etwa das Ehrenmal der Bundeswehr oder der »Wald tegischer Sieg war es für ihn dennoch nicht, da Großbritan­ der Erinnerung«, sind seitdem entstanden. Die Auseinan­ nien unter seinem neuen Premierminister Winston S. dersetzung mit dem Kämpfen ist Teil des Traditionsdis­ Churchill weiterkämpfte. Frankreich selbst standen vier kurses geworden. Dabei sollen keine Helden geschaffen, Jahre deutsche Besatzung bevor. Diese »années noires«, die sondern die persönliche Einsatz- und Opferbereitschaft als »schwarzen Jahre«, vertieften die innenpolitischen Gräben vorbildlich anerkannt werden. in der französischen Gesellschaft noch weiter.

Chris Helmecke Peter Lieb

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2020 29 Service Ausstellungen

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30 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2020 Militärgeschichte im Bild

Mahnmal für Frieden und Versöhnung

erlin, Tauentzienstraße, Sommer Heute ist sie eine der größten Berliner hängt, schwebt gleichsam und golden 1945. Drei Kinder stehen an der Geschäftsstraßen. Die Debatten, was leuchtend eine Großplastik des »Auf­ Bzerstörten Trasse der Straßen­ mit der Kirche passieren sollte, spitz­ erstandenen« über dem Altar. Der ge­ bahn. Ein Junge hält einen Gegenstand ten sich in der Nachkriegszeit stark zu. kreuzigte Christus ist in (neo)romani­ in der Hand, den er offenbar werfen Die westalliierten Besatzungsmächte scher Tradition als Sieger über Tod und will. Die Kinder tun das, was Kinder taten sich schwer damit, das Gottes­ Leid dargestellt. auf der ganzen Welt, zu allen Zeiten haus wieder zu errichten, das wie In einer Nische der Kirche befindet und unter allen Bedingungen tun: Sie kaum ein anderes Gebäude den wilhel­ sich die »Stalingradmadonna«, eine spielen. Die Einnahme durch minisch-deutschen Nationalstolz ver­ Kohlezeichnung, die der Arzt Kurt die Rote Armee, das Ende des »Dritten körperte. Reuber zu Weihnachten 1942 in Stalin­ Reichs«, die bedingungslose Kapitula­ Der mit sechs Millionen Mark bis da­ grad anfertigte. Reuber überlebte den tion – all das liegt nur wenige Monate hin teuerste evangelische Kirchenbau Krieg nicht, seine Madonna gelangte zurück. Die Spuren des Krieges sind wurde zwischen 1891 und 1895 im Stil jedoch mit einem der letzten Flug­ überall sichtbar. Die Tauentzienstraße der rheinischen Spätromanik erbaut. zeuge aus dem Kessel nach Deutsch­ ist fast vollständig zerstört. Auch die Sein Architekt Franz Schwechten land. Sie wurde nach dem Krieg zum prunkvolle Kaiser-Wilhelm-Gedächt­ knüpfte an die Bauweise der großen Zeichen der Versöhnung. Eine Kopie niskirche auf dem damaligen Auguste- christlichen Kathedralen des Mittelal­ hängt heute in der Kathedrale von Viktoria-Platz, heute Breitscheidplatz, ters an. Bewusst wollte er auch Asso­ Wolgograd, ehemals Stalingrad. ist seit einem nächtlichen Bombenan­ ziationen zum mittelalterlichen Kaiser­ In der benachbarten Gedenkhalle be­ griff der Royal Air Force am 22. No­ tum wecken, in dessen Nachfolge sich findet sich ein Nagelkreuz, ebenfalls vember 1943 schwer beschädigt. Vom das 1871 gegründete Kaiserreich sah. ein Symbol für Versöhnung und Frie­ 113 Meter hohen Turm stehen noch Die Kirche wurde am 1. September den. Es stammt aus der Kathedrale von 71 Meter. 1895, dem 25. Jahrestag der Schlacht Coventry, die am 14. November 1940 Die Tauentzienstraße wurde nach von Sedan, eingeweiht. Sie sollte an von der Luftwaffe zerstört wurde. Die dem Krieg zügig wiederaufgebaut. den Ruhm Wilhelms I. erinnern, der große Glocke im Kirchturm trägt die 1871 zum ersten Kaiser des neu ge­ Inschrift: Eure Städte sind mit Feuer ver- akg-images/Günter Schneider gründeten Deutschen Reiches erhoben brannt (Jes. 1,7). Aber mein Heil bleibt worden war. Mosaike im Innern der ewiglich, und meine Gerechtigkeit wird Kirche kündeten nicht nur vom Wir­ kein Ende haben (Jes. 51,6). ken Jesu, sondern auch vom Leben, Im Kalten Krieg wurde der Eier­ Streben und Wirken Wilhelms I. mann-Bau zusammen mit der Kirchen­ Nach 1945 prägte die Kirchenruine ruine zu einem der markantesten Bau­ als Mahnmal des Krieges das Zentrum ten West-Berlins. Bis heute gehört die West-Berlins. 1956 gewann der Archi­ Gedächtniskirche zu den bekanntesten tekt Egon Eiermann einen Wettbewerb Wahrzeichen der wiedervereinigten zu einem Neubau der Kirche. Sein Ent­ Stadt. Als Mahnmal gegen Krieg und wurf löste jedoch große Proteste aus. Hass hat sie keinesfalls ausgedient. Der »hohle Zahn«, wie die Berliner den Auf dem Weihnachtsmarkt vor ihrer Turmrumpf nannten, sollte keinem Schwelle verübte der Islamist Anis Neubau weichen. Man verständigte Amri am 19. Dezember 2016 seinen sich auf einen Kompromiss: Nur Teile ver­heerenden Terroranschlag. Seit des Chors wurden abgetragen, die 2017 erinnert ein goldfarbener »Riss«, Ruine blieb erhalten. Sie wurde um ein der sich über den Breitscheidplatz zum vierteiliges Ensemble aus Glas, Beton, Kirchenplateau zieht, daran, dass auch und Stahl ergänzt. Am 9. Mai 1959 er­ heute ein friedliches Miteinander keine folgte die Grundsteinlegung für den Selbstverständlichkeit ist. Die Namen Neubau. der elf Anschlagstoten sind in die Setz­ Das achteckige Kirchenschiff des stufen der Treppen eingelassen. Neubaus ist mit blauen Fenstern ver­ glast. Im Innern, kaum sichtbar aufge­ Esther Geiger/ Harald Potempa Die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche heute.

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2020 31 Neue Publikationen des ZMSBw

Andreas Lutsch Westbindung oder Gleichgewicht? Die nukleare Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland zwischen Atomwaffensperrvertrag und NATO-Doppelbeschluss, Berlin, Boston: De Gruyter 2019 (= Sicherheitspolitik und Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland, 14), VIII + 878 Seiten, 79,95 Euro, ISBN 978-3-11-053577-8

Peter Lieb Die Schlacht um Berlin und das Ende des Dritten Reichs 1945, Stuttgart: Reclam 2020 (= Kriege der Moderne), 160 Seiten, 14,95 Euro, ISBN 978-3-15-011272-4 Die »Militärgeschichte. Zeitschrift für historische Bildung« finden Sie auch in der Media-App der Bundeswehr (kostenfrei).

Helmut R. Hammerich »Stets am Feind!« Der Militärische Abschirmdienst (MAD) 1956–1990, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2019, 520 Seiten, 40,00 Euro, ISBN 978-3-525-36392-8 www.mgfa.de www.zmsbw.de