Tourenbuch von Hans Zimmermann 1953 bis 1965

Erstellt 2012

1 Vorwort

Hans hat seine Bergtouren in drei Tagebüchern beschrieben. Einige der Touren- schilderungen wurden dem Verbandsorgan, heute „Panorama“, des Deutschen Alpen- vereins München und auch in den Jahresberichten der Sektion Freiburg des DAV veröf- fentlicht. Der Sinn dieser umfangreichen Sammlung war ein Tourenbuch zu führen, das er als Tourennachweis zur Bergführerprüfung (dazu kam er aber dann nicht mehr) vorle- gen kann. Anscheinend hat er aber eine solche Freude am Schreiben entwickelt, dass diese Berichte zu kleinen literarischen Kunstwerken wurden. Unser Vater hat diese Be- richte mit Durchschlägen abgetippt und an uns Kinder verteilt. Diese Durchschläge lie- ßen sich nur unter großem Aufwand einscannen, sodass es mir einfacher schien, die Arbeit meines Vater zu wiederholen und damit zu einer elektronischen Ausgabe zu ge- langen, die jedem unserer Nachkommen und den Bergkameraden von Hans, so sie noch leben (und von der Adresse her, mir bekannt sind,) überreicht werden kann. Der Text von Hans wurde deshalb zweimal hintereinander abgeschrieben; da erge- ben sich von selbst Änderungen gegenüber dem Original. Weitere ergeben sich durch das Nutzen der aktuellen (2012) Rechtschreibung. Zum besseren Verständnis der, von Hans gewählten Ausdrücke und deren Schreibweise, habe ich diese an die heutige Um- gangssprache angepasst. Leider bin ich nur im Besitz der ersten zwei Tagebücher; des- halb sind die Bilder der Montblanc – Touren 1965 nicht original sondern aus dem Inter- net übernommen. Zur besseren Vorstellung der Touren habe ich zusätzlich noch einige Internetbilder eingefügt. Der geneigte Leser und Leserin dieses Alpentourenbuchs wird feststellen können, dass Hans nur einmal sein Studium erwähnt. Achtet man auf die Daten der einzelnen Touren, so wird man sich wohl fragen, wann er eigentlich studiert hat. Zu den Alpentou- ren kommen noch viele Besuche in den Klettergärten rund um Freiburg, teilweise auch wochentags (abends), viele Skitouren im Schwarzwald und reine Lifttage. Bei vielen die- ser Unternehmungen durfte ich als Anhängsel mit, hatte aber als Schüler nicht immer die Zeit, die Hans hatte. Anderen erging es wohl ebenso, so dass er oft eine wechselnde Besatzung auf seinen Touren hatte. Eine Konsequenz seines Zeitmangels war, dass er mit höherem Semester, er arbeitete am Schluss an einer Diplomarbeit, Probleme mit dem Verständnis dieser Arbeit hatte. Hans war ein hochintelligenter Mensch, dem schon in der Schule alles zuflog. Ohne große Lernarbeit legte er ein fantastisches Abitur ab. Auch die Anfangssemester seines Physikstudiums liefen noch relativ problemlos. Erst mit der Diplomarbeit tauchten Schwierigkeiten auf, die er mit einem nichtgewohnten Sitz- leder hätte lösen können. Da er aber nie gelernt hatte, (es war ja nie notwendig), geistige Probleme zu lösen, und da er ein solch erfüllendes Hobby hatte, eigentlich war es ja schon eine, den Alltag voll erfüllende Leidenschaft, verlegte er sich einfach auf Letzte- res. Am Abend vor dem folgenschweren Unfall stieg ich mit Hans vom Zastler oder Wilhelmertal, wo das Auto unserer Eltern geparkt war, mit den Ski zur Grüblehütte des ASC (Akademischer Skiclub Freiburg) auf. Beim monotonen Gehen mit den Fellen im Licht der Stirnlampen gestand er mir, dass er praktisch keine Ahnung von seiner Dip- lomarbeit hat und damit auch kein Interesse, sie weiter zu machen. Er arbeitete mit ei- nem weiteren Diplomand daran, der die Arbeit wohl alleine voran trieb. Er werde jetzt einfach nur noch Bergsteigen, solange, bis es irgendwann zu einem Ende kommt.

2 Eigentlich war dieses Wochenende für eine Berninatour vorgesehen, die mangels ei- nes Kameraden mit Auto aber ausfiel. So verabredete er sich mit Helmut Haberland zu einer Trainingstour an den Feldseefelsen von der Grüblehütte aus. An diesem Sonntag im März 1966 bezwangen wir voll ausgerüstet eine Tiefschnee- abfahrt von der Grüblehütte bis zum Feldsee ganz nahe an den Felsen („Jungfernarsch- abfahrt“). Schon diese Abfahrt in sehr steilem, waldigen und felsbrockenübersäten Ge- lände zum Feldsee war eine Herausforderung. Unten am See beschlossen Helmut und Hans, die „Hinter Direkt“ zu begehen. Ich kannte sie vom Sommer: Schaute in diese Richtung und entschloss mich, meiner starken inneren Angst nach zu geben, diese Tour nicht mit zu machen, sondern mich im Tiefschnee zur Grüblehütte, die Skier auf den Rucksack geschnallt, hoch zu wühlen. Auf der Hütte wechselte ich auf meine Langlauf- skier, mit denen ich noch trainieren musste. Bei meinem Lauf rund um den Seebuck- gipfel kam ich an der Bergwachthütte im Steißbachtal unterm Fernsehturm vorbei. Hier war alles in heller Aufregung. Einige der Bergwachtler kannte ich. Von ihnen bekam ich ihren Alarm geschildert: Im Feldseekessel seien zwei Kletterer verunglückt, von denen der eine im Reimartihof Hilfe holen konnte, während der andere noch am Wandfuß liegt. Ein tollkühner Bergwachtkamerad schnappte sich kurzerhand den Akia, lief zum Grüblesattel hinüber und fuhr damit die schwere Abfahrt hinunter, die wir drei vorher mit großer Mühe durchfahren hatten. So kam er direkt an die Absturzstelle.

Todtmoos, Ende 2012 Sepp Zimmermann Lebenslauf von Hans

Hans erblickte am 9.3.1943 im Lorettokrankenhaus in Freiburg das Licht der Welt. Seine Kindheit und Jugendzeit verbrachte er in der Rebenzüchtung zwischen Freiburg und Merzhausen östlich des heutigen Vauban Viertels. Viel Natur, Wanderungen und Bergfahrten prägten sein Leben in der Familie. Seine Schulzeit leistete er zuerst in Günterstal ab. Hier erfuhr er auf dem fast ein- stündigen Schulweg eine tiefe Naturverbundenheit. Seine Gymnasialzeit am Rotteck- Gymnasium in Freiburg war gekennzeichnet von sehr guten Noten und großer Beliebt- heit bei seinen Lehrern. Mit einem hervorragenden Abitur schloss er am 8.3.1962 seine Schulzeit ab. Aufgrund seiner sehr guten Noten, war er bereit das schwerste Studium, Physik und Mathematik, aufzunehmen (seine eigene Aussage). Seine Studienzeit wurde während der Diplomarbeit durch den tragischen Bergunfall in den Feldseefelsen am 6.3.1966 ab- gebrochen. Nach drei Wochen künstlicher Beatmung und tiefer Bewusstlosigkeit in der Chirurgi- schen Uniklinik in Freiburg wurde er nach Aufhellung der Bewusstseinslage mit einem Apallischem Syndrom (ein Krankheitsbild in der Neurologie, das durch schwerste Schä- digung des Gehirns hervorgerufen wird. Dabei kommt es zu einem funktionellen Ausfall der gesamten Großhirnfunktion oder größerer Teile, während Funktionen von Zwischen- hirn, Hirnstamm und Rückenmark erhalten bleiben. Dadurch wirken die Betroffenen wach, haben aber aller Wahrscheinlichkeit nach kein Bewusstsein und nur sehr begrenz- te Möglichkeiten der Kommunikation. Quelle: Wikipedia 31.12.2012) in der Neurologi-

3 sche-psychiatrischen Uniklinik bis zum Jahresende 1968 stationär versorgt. Erst nach vollen neun Monaten war er wieder ansprechbar. Vom 8.1.1969 bis 14.9.1970 versuchte man in stationärer Behandlung im Südwest- deutschen Rehabilitationskrankenhaus in Langensteinbach bei Karlsruhe ihn zu einer selbständigen Lebensführung zu rehabilitieren. Weit vor dem Erreichen dieser Zielset- zung, entließ man ihn wegen aussichtsloser Prognose. Mit viel Mutterliebe und persönlicher Aufopferung hat unsere Mutter es trotz dieser Diagnose geschafft, mit Hilfe von Physiotherapie und anderer vielfältigen Maßnahmen in sechs Jahren, die er im Elternhaus zubrachte, dass er mit Gehhilfen selbst laufen konnte und seinen Alltag, wenn auch nur langsam, weitestgehend selbstständig meistern konnte. Im Juli 1976 wurde er dann in das Wohnheim St. Konrad in Freiburg St. Georgen aufgenommen. Die damals neue Sozialgesetzgebung ermöglichte ihm und damit unse- rer Familie, ein finanziell abgesichertes Leben zu führen. Von hier aus konnte er in der beschützenden Werkstatt in Umkirch bis zu seiner Berentung 2008 arbeiten. Danach blieb er weiterhin in seiner gewohnten Umgebung im Wohnheim, wo er in das Senioren- programm übernommen wurde, so dass sein Tagesablauf nicht zu monoton verlief. In seinem ganzen Behindertenleben hat er sich niemals über seinen Zustand beklagt. Im Gegenteil, er entwickelte eine außerordentlich positive Lebensauffassung, die ihn bei allen Mitmenschen sehr beliebt machte. Unsre Eltern holten ihn bis kurz vor ihrem Tod (1998) jedes Wochenende zu sich heim. Seine Bergkameraden, vor allem seine Freunde vom ASC (Akademischer Skiclub Freiburg) kümmerten sich rührend um ihn. Auch das Heimleben wurde sehr vielfältig gestaltet, mit vielen Freizeiten, Ausflügen und Festen. Der, der den Freiheitsdrang des Bergsteigers bis zum Extrem gelebt hatte, hat sich völlig auf das Leben mit starker Be- hinderung eingestellt und diesem Leben viel Freude und Erfüllung abgewinnen können. Die starken Verletzungen seines Gehirns führten in den letzten Jahren zu einem kör- perlichen Verfall, so dass er immer mehr an den Rollstuhl gebunden war und schluss- endlich ans Bett. Selbst in den letzten Wochen war er immer fröhlich, wenn er bei Be- wusstsein war. Sein Lachen, sein frohes Gemüt und seine lebensbejahende Haltung bleiben in der Erinnerung derer, die ihn bis zum Schluss begleitet haben. Am späten Abend des 9. Oktobers 2012 entschlief er friedlich und ganz entspannt nach einem, trotz aller Umstände, erfüllten Leben.

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Man wird niemals irren, wenn man das Schönheitside- al eines Menschen auf dem nämlichen Weg sucht, auf dem er seinen Spieltrieb befriedigt. Denn der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.

(Über die ästhetische Erziehung des Menschen, in einer Reihe von Briefen Friedrich Schiller)

1953 zur Kieler Schutzhütte. Von dort aus Wanderung durchs Ferwall mit Eltern erklimmen die anderen die Fadlarspitze. und Fritz Ich bleibe mit einem beinamputierten Bergsteiger aus Dornbirn am Joch un- Am Bodensee entlang radeln wir bis ten. Auf der Niederelbehütte kriegen wir Lustenau, wo wir von einem betrunke- ein Notquartier, in diesem Falle einen nen Mann zur Übernachtung eingeladen extra Raum mit unzählig vielen Matrat- werden. Seine Frau staunt nicht schlecht zen, die wir alle zur Polsterung heran- über den spät angeschleppten Besuch. ziehen. Während die anderen die Kreuz- Bis Bludenz noch mit Velo, dann jochspitze besteigen, treibe ich mich am weiter nach Schruns und mit der sonnigen Hüttensee herum. Dann ver- Schwebebahn und schließlich zu Fuß lassen wir die moderne Hütte und wech- zur Wormser Hütte. Nachdem die letzten seln auf die hässliche Edmund - Graf- Hüttengäste abgezogen sind, genießt hütte. Wieder bin ich zu faul auf den die Wirtin die sachkundige Zuhörer- Riffler mitzugehen. Noch am selben Tag schaft mit ihren alpinen Legenden ver- kehren wir der ungastlichen Hütte den traut zu machen. Rücken und steigen, später in unheimli- Auf dem Wormserhöhenweg in 11 h cher Dunkelheit, nach Pettneu ab. Dort zur Heilbronnerhütte. Fritz geht von dort belegen wir einen Heustadel und bege- mit einem Bergsteiger auf den Patteriol, ben uns dann in ein Wirtshaus. Wir ver- wir auf den Bielerkopf. Anderntags zur zehren herrlichen Kaiserschmarren, um Konstanzerhütte. Beim Abmarsch am darauf in unserem Bettlager, immer tie- nächsten Morgen werfe ich mit einer fer ins Heu versinkend, einzuschlafen. Drehung mit meinem Rucksack eine ganze Batterie Gläser auf den Boden. 1954 Gleich den Scherben müssen auch Vatis Radtour in den Bregenzerwald Schillinge springen. Übers Kuchenjoch Mit Eltern und Traudel zur Darmstädterhütte mit einem Bad in einem Teich unterm Scheiblerkogel, den 7.9.54:Über Höchenschwand, Wald- wir zuvor bestiegen hatten. Am nächsten shut radeln wir nach Rapperswil. Hier Tag stehen wir auf der Saumspitze, die nächtigen wir in der Jugendherberge am mein erster Dreitausender ist. Übers See. Schneidjöchel steigen wir anschließend

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8.9.54: Am Walensee entlang (Bad heischt Bewunderung. Am 29.8. steigen bei Mühlenhorn) – Vaduz – Feldkirch wir mit ihnen zusammen auf den nach Bludenz. Bludenz - Langen auf der Patteriol. Kurz unterm Gipfel lockern Eisenbahn. Über den Flexenpass fahren Fritz und Gerd eine schwere Steinplatte, wir nach Warth, wo wir bei einem Bau- die mich aus dem steilen Felsauf- ern übernachten. schwung drängen will. Ein knapp er- 9.9.: Von Hochkrumbach klettern wir haschter Halt bewahrt mich vor dem Fall auf den Widderstein. Anschließend fah- in den unten brauenden Nebel. ren wir nach Schröcken ab und steigen Wegen des verregneten Wetters fah- in den Abend hinein auf die Biberacher ren wir bald wieder heim. Hütte. Der Wirt, der von einem Jagdun- fall ein steifes Bein hat, empfängt uns freundlich. 1961

Die Jugendgruppe auf der Freiburger Hütte

In der Zeit vom 25. Juli bis zum 3. Au- gust war die Jugendgruppe (vom Alpen- verein Sektion Freiburg, Anmrk. S.Z.), vertreten durch zwei Mädchen und drei Jungen, auf der Freiburger Hütte. Unter der Führung des neuen Jugendgruppen- leiters Hans Zimmermann bestiegen wir am zweiten Tag bei herrlichem Wetter den Rogglskopf. Tags drauf standen wir bei föhnigem, aber noch sicherem Wet- ter auf den beiden Gipfeln der

Braunarlspitze gegen Pettneur Riffler Rotenwand. Verregnete und neblige Tage folgten. Mit Schachspielen, Lesen 10.9.: Braunarlspitze. Übers Fürggle und Skatspielen verging die Zeit, bis wir steigen wir im Anblick der Mohnenfluh auf den Formaletsch steigen konnten. nach Schröcken hinunter. Im schattigen Von seinem Gipfel genossen wir den Tal radeln wir bis Adelsbuch. Bei Bauern Anblick, der im Tale brauenden, zu Re- finden wir gastliche Aufnahme und wer- genwolken höher quellenden Nebel. Am den mit Maisbrei verköstigt. folgenden Tag überschritten wir das 11.9.: Heimfahrt. Fensterle an der Fensterlewand und er- reichten über den steilen NW-Grat ihren 1955 Gipfel. Auf einen weiteren Schlechtwet- tertag folgte ein Tag mit strahlender Patteriol Sonne. Wir stiegen auf den Schafberg,

lagen träumend auf dem Rücken oder Bis Bludenz mit dem Rad, dann mit beobachteten die übermütigen Luft- dem Zug durch den Arlberg nach St. sprünge der Gemsen auf dem Firnfeld Anton. Aufstieg zur Konstanzerhütte, wo unter uns. Nachmittags badeten wir in wir Gerd Semar mit Mutter treffen. Klir- den kühlen Fluten des Formarinsees. rend schmeißt der Gerd seine Schlosse- Noch ein regerischer Tag auf der Hütte, rei mitten auf den Hüttenboden und unsere schönen Tage waren vorbei. Wir

6 packten unsere Rucksäcke und stiegen beim Pfandlhof langen wir um 10 Uhr zufrieden, so schöne Tage verbracht zu am Bahnhof Kufstein an. 10.06 Abfahrt. haben, hinunter nach Dalaas. (Tourenbericht der Jugendgruppe von Auf dem Zugspitzplatt Lutz Freier verfasst. Anmrk. S.Z.) Im Anschluss an den Jugendleiterlehr-

gang des Alpenvereins auf dem Kreuz- Zum „ Schwimmen“ im Wilden Kaiser joch Mit Uli (Münster) und Lutz (Freier) 27.10.61 Freitag ab 12.00 mit dem 9.8.61 Per Zug nach Kufstein, von Zug über Karlsruhe. Bei Tante Thekla in hier nach Hinterbärenbad, wo wir näch- München übernachtet. tigten. 28.10. Nach Garmisch. 16.00 Beginn 10.8. Die Rucksäcke vollends aufs der Tagung. Stripsenjoch geschleift. Dort schlagen 29.10. Ende 11.30. (Gott sei Dank.) wir das Zelt auf und steigen dann durch Mit dem Zug nach Ehrwald (14.30). die Winklerschlucht. Leidlich gutes Wet- Nach Obermoos gelaufen. Mit der Seil- ter. Griffe und Tritte in der Schmidtrinne bahn auf die Zugspitze (16.00). Bis zum mit Leuchs-Variante sagenhaft porzel- Einbruch der Dämmerung auf dem laniert. Schneeferner Ski gefahren. Abends im 11.8. Regen Schneefernerhaus lerne ich einen Hans 12.8. Regen. Wasser von unten und Schöber aus Stuttgart kennen, der mich oben. Jetzt wird`s uns doch zu bunt. in die hiesige Übernachtungsweise ein- Hastig bündeln wir unser Zeug, krem- führt: Im Waschraum einer Arbeitneh- peln die Hosen hoch und waten zum merunterkunft in dem verwinkelten Pa- Stripsenjochhaus hinüber. Das Zelt liegt last hier. Er findet in mir einen begeister- nun brach und füllt sich allmählich mit ten Anhänger. Wasser. 30.10. Wetter trüb. Rauf-runter-rauf- 13.8. Regen runter auf dem langweiligen Platt. Das 14.8. Zelt wird trocken! Totenkirchl einzig Interessante ist die trainierende über den Heroldweg, nachdem wir die Nationalmannschaft. Nichts mehr zu Bergführernadel erklommen hatten. esse. 15.8. Der Lutz flüchtet heimwärts. 31.10. Sonnenschein. Mit meinem 16.8. Der Stripsenjochsenn Wastl neuen Freund Hans Schöber auf den schwärmt uns vom guten Käs auf der Schneefernerkopf hoch über dem Ge- Rankenalm vor. Das verleitet uns zu tümmel der Gattung Pistenmensch. Der einer Wanderung dorthin über den Feld- Hans findet beim Liften eine Rückfahr- berg. Der dortige Senn Jörg fährt Milch karte mit der bayrischen Zugspitzbahn, und Käsebollen auf; aus letzterem win- die ich ihm gegen mein Retourbillet, den sich aber hie und da fette weiße nach Ehrwald hinab, sofort abtausche. Würmer heraus, über die man halt zu Da lerne ich wenigstens auch noch die- hohen Ehren des Produzent hinwegse- se berühmte, wenn auch ziemlich lang- hen muss. Mit geblähten Milch- und Kä- weilige Bahn kennen, die mich bis nach sebäuchen kehren wir an der Latschen- Garmisch bringt. Um 20.00 bei Tante brennerei vorbei aufs Stripsenjoch zu- Thekla, die ich wieder um Nachtlager rück. bitte. 17.8. Da hört sich doch alles auf! 1.11. Um 13.00 über Karlsruhe heim. Wieder schifft es. Um 7 Uhr ergreifen wir So hat der gschaftelhubrige Jugendlei- die Flucht. Nach einer Almdudlerpause

7 tertag doch etwas gebracht, und der fasst uns am Joch oben und treibt uns Alpenverein hat´s gezahlt. sofort auf den Vernagtgletscher hinab. Auf ihm verknüpfen wir uns drei mit dem Seil. Diese Vorsichtsmaßnahme bringt 1962 es mit sich, dass wir nach einem jähen Im Ötztal - vom Sturm verweht Ruck am Seil der Reihe nach, beim Hin- mit Ernst und Hassi Kleewitz termann angefangen, in den Schnee

gezerrt werden. Empört sagen wir dieser 11.3.62 Nach überstandenem Abitur Methode Lebwohl und schießen unbe- geht`s mit dem alten Auto (das an sich helligt den sonnengleißenden Vernagt- schon dem in Amerika weilenden Fritz gletscher hinab zur Vernagthütte. Hier gehört, während das neue am 2. Oder scheint das Ötztal zu beginnen: Die Hüt- 3.3. eintrifft) nach Vent. Obwohl wir te läuft über von Touristen. Im Winter- schon um 5 Uhr fort sind, geraten wir am raum, direkt unter der schnarrenden Arlberg in umfangreiche Verkehrsstau- Fußmannigfaltigkeit der zechenden Gäs- ungen, an denen unter anderem te in der Wirtsstube, ist noch Platz für Schneeglätte Schuld ist. Um 16 Uhr in uns. Vent; in Zwieselstein haben wir den Wa- 14.3. Bei klarem Wetter übers gen abgestellt. Von den Rofenhöfen Guslarjoch zum Hintereisferner hinüber. steigen wir unterm Draht der Material- Heikle Querung an felsbrockendurch- seilbahn zur Breslauerhütte hoch, weil setzten Steilhalden. Dann ideale Abfahrt bei dem Nebel und Schneetreiben und zur Gletscherzunge, wo wir die Rucksä- der zunehmenden Verdunklung dies die cke deponieren. Mitten auf dem Hinter- einzige Orientierungsmöglichkeit ist. Die eisferner zum Hintereisjoch, wo wir die steilsten Hänge waten wir hoch, alle Skier demontieren. Nach 4 h vom Glet- paar Meter knietief einsaufend und flu- scherbeginn hasten wir gegen einen chend. Um 22 Uhr endlich stolpern wir maßlosen Sturm auf dem Felsgrat zum erschöpft in den eisigen Winterraum der Weißkugelgipfel hinüber. Dort werden Hütte. So einsam hatten wir uns die Ötz- die weißen Flecken von den Backen taler nicht vorgestellt; schon lange war massiert und das Blut in die Fingerspit- kein Mensch mehr hier oben. zen zentrifugiert. In einem Schuss, der 12.3. Der kalte N - Wind verscheucht mit dem flacher werdenden Gletscher etwas die zähen Nebel. Über den Mitter- bis fast auf null abnimmt, gleiten wir mit karferner spuren wir hinauf zum gleich- Bauchsturm zu den Rucksäcken hinab. namigen Joch. Doch ist uns der Schnee Qualvoll ist die Traversierung auf hart dort zu hart. Folglich verwerfen wir den gefrorenem Hang zum Hochjochhospiz Plan, auf die Wildspitze zu steigen, und hinüber. In der Wärme schwellen mir die schießen zur Hütte zurück. angefrorenen Backen und nicht einmal 13.3. Wieder ziehen wir den Mitter- die ausgiebige Rotweintränkung über- karferner hoch. Jetzt gilt es aber dem führt mich nach dem anstrengenden Tag Vernagtjoch. Bis in die Hälfte des Joch- dem Schlaf. hanges spuren wir über Windbruch- 15.3. Den Wind im Rücken steigen schnee auf den Skiern, dann wird die wir zum Hauslabjoch hinauf, wo die Höl- Angst vor einem Schneebrett zu groß. le entfesselt zu sein scheint. Orkanartig Bis zum Bauch stehen wir in lockerem rast der Sturm den Niederjochferner her- Pulverschnee und schieben und werfen auf; dichter Nebel nötigt uns, die Karte und wuchten uns und die Skier den um Rat zu fragen. Bei ihrer Entfaltung Steilhang hoch. Ein heftiger Sturm er- wird sie auf die Hälfte dezimiert, der eine

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Teil wird vom Sturm abgerissen und ke ich deshalb meine baldige bergstei- davon gewirbelt, den anderen halten wir gerische Verselbstständigung. verkrampft in den Fängen. Vom Joch schieße ich zu unvorsichtig hinab, was Ostern 1962 bewirkt, dass ich in voller Fahrt an einer Schneeriffelung mit den Skispitzen an- Einige Skitouren rund um den Piz stoße, einen Salto drehe, mit dem Ge- Bernina sicht auf die nächste Schneeriffelung Mit Fritz, Reinhard Zimmermann und Uli falle, mir einen Ski gegen den Ober- Münster schenkel schlage und der Pickel samt Befestigung aus dem Rucksack gerissen 20.04. Fr. 5 – 13 Uhr Autofahrt über wird. Eilends wird wieder aufgetakelt den Julier nach Pontresina. In 5 h stei- und gletscherabwärts eine windstille gen wir zur Coazhütte auf. Der Piz Vertiefung aufgesucht. Eine kurze Ent- Roseg steckt in den Wolken, nur der blößung der Hände verursacht soforti- untere Eselsgrat ist sichtbar. gen Verlust des „Fingerspitzengefühls“. 21.4. Bei stürmischem Wetter über Dem Ernst sind die Finger schon er- den Sellagletscher auf Ils Dschimels. schreckend blau geworden. Ekelhaft Herrliche Abfahrt am Seil, das weiter beißt der eisige Sturm in die angefrore- unten auf dem Gletscher als Störenfried nen, nunmehr blutüberströmten Backen. entfernt wird. Zerknirscht erreichen wir die Samvar- 22.4. Bis auf den Gipfel von Il hütte. Mein Bein ist steif verquollen und Chapüschin mit den Skiern (stundenlang lässt mir nachts keine Ruhe. Der Sturz dröhnen die Lawinen). Anschließend war heftig und hat sich bis ins Rucksack- das steile 5 m Gipfelcouloir seitabrut- innere fortgepflanzt: Unser Blechtopf schend hinunter und die W - Flanke erlaubt kaum noch Rückschlüsse auf durchschießend zum Gipfel des Cha- seine ehemalige Gestalt. pütschinpitschen hinüber. Eine Grat- 16.3.Abfahrt nach Vent. Wie herauf- wanderung bringt uns am späten Nach- zus mit dem Jeep nach Zwieselstein. mittag noch auf den Piz dal Ley Alv. Die Batterie des Autos ist erkältet und Abends Bruchharschabfahrt zur Coaz- spendet keinen Strom mehr. Erst mit hütte. Abschlepphilfe erwacht der Motor und 23.4. Um 3.00 früh steht eine gewal- gestattet uns noch einen Abstecher tige Föhnmauer, im Mondschein sich nach Obergurgel. Auf der Heimfahrt ha- badend, hinterm Roseg. Wir brechen be ich sagenhaftes Glück: Das erste Mal deshalb nicht zu ihm auf. Doch als es rutscht mir der Wagen unterm Hintern tagt, entpuppt sich das Wetter als ziem- weg, das zweite Mal gelingt mir bei lich gutmütig. Wir steigen den Sella- Nassereith am Fernpass eine spielende gletscher hinauf und deponieren unter- Drehung um 180 Grad. Ein Wagen, den halb der, vom Sellagletscher herabfal- ich kurz vorher überholte, war sicher lenden Eisbrüche die Ski. Im tiefen Pul- ziemlich verblüfft, als ich ihm wieder verschnee waten wir zum N - Gratfuß entgegen kam. des Westgipfels. Fritz und ich steigen Am 17.3. um 2.30 kriechen wir in die bequem östlich des Grates auf dem heimatlichen Bettfedern. Gletscher hoch und betreten erst ober- halb des unteren Steilaufschwunges den Viele der folgenden Touren hat mir nunmehr verschneiten Firngrat. Uli und Fritz ermöglicht, weil er mich großzügig Reinhard brauchen für dieses erste immer hat mitfahren lasse. Ihm verdan-

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Stück 2 h länger, weil sie schwierigen, Tanz gleicht das letzte Stück über den vereisten Fels haben. Über den, durch Gletscherbruch. Im ebenen Gletscher- wenige Felsstellen durchwachsenen feld aber trägt die allerorts unterhöhlte Grat auf den W-Gipfel von la Sella. Hier Schneeschicht noch nicht. Wo wir am warten wir auf Uli und Reinhardt. Dann Morgen unbekümmert darüber glitten, steigen wir in den Sattel hinab und klet- brechen wir jetzt unter dem Gewicht der tern auf den Ostgipfel. Ziemlich kalt und Rucksäcke oft einen halben Meter ein. windig. Vom Sattel trotten wir über die Wähnt man dann ein tragfähiges Stück vielen Spaltenzonen zum Skidepot zu- unter sich zu haben, bricht gleich die rück. Wieder schöne Gletscherabfahrt. gesamte Umgebung mit ein. Besonders 24.4. Piz Roseg 5 – 11 Uhr. Um 8 lustig wird`s, wenn man einen der Bäch- Uhr lassen wir unter der W-Flanke die le des verworrenen Gletscherwasser- Ski zurück. Am Grat oben empfängt uns netzes unter sich gurgeln hört. Fritz und warme Sonne. Es liegt ziemlich viel Uli kommen auf der weiten Ebene vor Schnee, durch den zwei Burschen vor dem Roseghotel einmal in die Lage, ein uns eine Spur legen. Über die teils harte solches Gewässer ausloten zu müssen. Eisstirne gelangen wir zum W - Gipfel, Ihre nassen Füße beschleunigen unser der einen stattlichen Schneekamm trägt. Tempo wesentlich. Auf schmalen Sagenhaft schönes Wetter und gute Schnee- und Eisbändern, zwischen dem Aussicht. Abstieg zur Fourcla de la Sella angereicherten Mist von Tragpferden, und Besteigung des Piz Sella. Seine schießen wir auf dem Fahrweg nach Grenzlage erlaubt einen Schiss in die Pontresina vor (20 Uhr). Im Bahnhofs- Katzelmacherei. Fantastische Skiabfahrt restaurant ausgiebige Speisung. An- über hartgepresste Hänge zum Glet- schließend klappern wir das ganze scher. Oberengadin nach billigem Touristenla- 25.4. Im Gletschervorfeld des ger ab. Vergeblich. Unterhalb von Sa- Tschier-vagletschers hinterlassen wir die medan fällt ein Pferdestall neben der Rucksäcke und steigen auf dem Kamm Straße auf, den wir vorsichtig ausleuch- der nordseitigen Moräne an der Tschier- ten. Uli und ich finden das pfahlbauähn- vahütte vorbei zum Piz Morteratsch. Ich liche Gebäude ideal und beginnen sofort lasse die Ski bis zum Gipfel an den Fü- die Nachtruhe. Reinhardt und Fritz ßen. Langer Aufenthalt in der Gipfelson- schwebt was Besseres vor, das ihnen ne. Man kann sich einfach nicht sattse- aber am Ende auch vorenthalten wird. hen am Biancograt, dem auf finsteren Sie nächtigen im Auto. Felsflanken eine strahlend weiße Firn- 26.4. um 5.30 hupt uns Fritz aus ab- schneide aufgesetzt ist; oder an den gründigen Traumtiefen. Dem Engadin NO-Flanken des Roseg, aus dem sich abwärts folgend, fahren wir zum Arlberg. einige Hängegletscher bauchen; oder Um 10.30 entern wir in St. Anton die usw. Prima Pulverabfahrt zum Boval- Valugabahn. Vom Valugagrat steigen pass; von dort mit den Ski auf den Piz wir noch schnell auf den Gipfel. Öde, Tschierva. Auf ihm bleiben wir bis nach schwungarme Abfahrt durchs S(ch)teiß- 5 Uhr. Es wird einem nie langweilig bei bachtal nach St. Anton hinab. In Kon- der umfassenden Schau. Die abendliche stanz besuchen wir den Ernst und erfah- Sonne hat an den W - Hängen den ren, dass Mutti den Knöchel gebrochen Schnee in einen unbeschreiblichen Sulz hat. Nachdem wir bei dem soeben von metamorphosiert. Erst auf dem Tshier- einer Ägyptenreise heimgekehrten Wolf- vagletscher unten lässt sich der Sulz dieter (Münch) angekehrt waren, treffen wieder zu Schwüngen formen. Einem

10 wir um 22.30 bei der heimatlichen Tuors nach Chants (im Winter verlas- Wohnstatt ein. sen). Dort parken wir das Auto und stei- gen unter stark bewölktem Himmel in Übers Wochenende ...... der Dunkelheit zur Keschhütte auf. Auf ihr weilen nur der Hüttenwart und ein Fast auf dem Titlis 30.4.1962 Gehilfe, die bei unserer nächtlichen An- Mit Götz und Lutz Freier, Uli Münster kunft gerade den Fußboden streichen. und Ernst (sog. Jugendgruppe) im Miet- Gastlich reicht der Wirt sogleich warmen omnibus,(in dem wir nächtigen wollen) Tee für uns. um 4 Uhr in Freiburg weg nach Engel- 6.5. So. Bei Nebel und Schneefall berg (8.00). Mit der Seilbahn nach spuren wir in feuchtem Neuschnee über Trübsee. Bei Nebel und Schnee steigen den Porchabellagletscher und auf der wir den Laubgrat hoch und durch das schräg nach Westen ziehenden Rampe Kanonenrohr. Am Rotegg schneit es bis an den Fuß der Felsen. Eine kurze wild und die Sicht ist Null. Mit einer Hor- Schneewühlerei mit vereinzelten vereis- de von Schwaben kehren wir um, ohne ten Kletterstellen bringt uns zum Gipfel. die inzwischen zugeschneite Aufstiegs- Ein Kreuz beweist, dass wir am höchs- spur als Anhaltspunkt verwenden zu ten Punkt sein müssen. Der Fritz wedelt können. Unsichtbare Geländewellen und makellos fast den ganzen Gletscher Löcher bringen einem fortwährend zum runter. Um 10.30 sind wir wieder an der Straucheln. Über die FIS Strecke fahren Hütte. Fritz und Wolfdieter fahren zum wir auf Altschneegrundlage, weiter un- Auto ab, Reinhard und ich brechen zum terhalb der Gerschnialp auf frisch ver- Sertig-Dörfle auf. In 2 h sind wir an der schneiten Matten nach Engelberg hinab. eingenebelten Bergüner Fuorcla. Mit Dort regnet es. In Luzern finden wir in Mühe und Not bringe ich den Reinhardt der Kapellbrücke Unterschlupf vor strö- davon ab, den Hoch Dukan besteigen zu mendem Regen, dann entschließen wir wollen, indem ich zunächst für die Plat- uns heim zu fahren. Um 22.30 in Frei- tenhörner gleich neben der Bergüner burg. Fuorcla plädiere. Am Joch angelangt, mach ich ihm klar, dass es uns zeitlich Piz Kesch (3420) nicht mehr auf die im Nebel und 5.5. Sa. Um 12.00 weg mit Fritz, Schneetreiben zu ahnenden Plattenhör- Wolfdieter und Reinhardt Zimmermann. ner reicht, wollen wir doch um 15.00 im Sertig-Dörfle sein. Gott sei Dank, Rein- hard sieht das ein und will nicht allein dort hinauf. Nach langer Sulzabfahrt treffen wir gerade um 3.00, wie verabre- det, im Sertig am Auto ein.

Sustenhorn 26./27.5 62 Mit Fritz, Reinhardt und Wolfdieter

Über Baden, wo Reinhardts Frau ausgeladen wird, bis Steingletscher an So klar war es allerdings nicht der Sustenstraße, die kurz zuvor freige-

fräst wurde. Auf der Sommerroute stei- Um 6.00 abends in Bravoug. Von dort gen wir durch aufreißenden Nebel zur auf leidlich guter Straße durch das Val Thierberglihütte. Gegen Abend gesellen

11 sich uns dort noch einige wenige Bur- des Altmann-O-Grates. Über ihn, unten schen hinzu. Als wir anderntags die Hüt- schwierig, oben leicht, rasch zum Gipfel. te verlassen, winden sich schon lange Beim Abstieg über den Schaffhauser Kolonnen von Sustenhornaspiranten Kamin tritt an manchen Stellen Blankeis vom Hotel Steingletscher herauf. Als unter der dicken Schneeschicht zutage. erster stehe ich am Gipfel. Ein kurzer Dabei fängt es noch an zu regnen, so Nebelverzug lässt nur noch niedrigere dass wir nicht nur von unten von dem Erhebungen in der Umgebung erken- nassen, knietief, aufgeweichten Sulz, nen. An der Sustenlimmi unten tut uns sondern jetzt auch noch von oben Reinhardt kund, er steige unter allen durchfeuchtet werden. Umständen aufs unsichtbare Ge- wächtenhorn; auch als Fritz erklärt, ohne Lärcheck O- Pfeiler Pfingsten 62 ihn heimfahren zu wollen, bleibt Rein- Mit Fritz, Reinhardt, Wolfdieter hardt hartnäckig und hält es für kindisch, die Tour „abzubrechen“. Schließlich stei- 9.6. Sa. Ab 4 Uhr über Meßkirch - gen wir dem längst entschwundenen Ulm - München - Reit im Winkel - Fisch- nach. Irgendwann erklimmen wir dann bachalm. Hier lassen wir das Auto zu- einen Felszapfen und halten ihn für den rück und steigen auf halsbrecherischen Gipfel. Über die Gletscherbrücke kehren Pfadfragmenten zur Lärcheneckalm, die wir dann zur Straße zurück. aufgelassen ist. In Wolfdieters Stabhän- gematte bringe ich eine kalte Nacht zu. Altmann-O-Grat 31.5.62 Himmelfahrt 10.6. Das Wetter befindet sich auf der letzten Stufe vor Regen. Über den Mit Fritz, Wolfdieter, Helga und Heidi Axt Ostpfeiler klettern (3) wir, an einigen Von Waldhaus über die Chreialp zum Orten sehr exponiert zum Lärchengipfel. Das Gestein ist ziemlich brüchig, nur an Gratstellen ist es genussvoll fest. Wir hatten uns von diesem NO-Strebepfeiler des Kaisermassivs eine umfassende Aussicht auf das unten ausgebreitete Land ausgemalt, doch vereitelt jetzt die Wolkendecke und der Dunst jeden Weitblick. Durch ein befahrbares Schneecouloir nordwestlich des Gipfels rutschen wir ins östliche Griesnerkar hinab. Der Reinhardt trennt sich hier von uns, um allein auf die, irgendwo im Ne- bel thronende Ackerlspitze zu steigen. Wir anderen steigen zur Fischbachalm ab und fahren im Auto zur Griesenau. Hier tränken wir uns mit Milch und Bier und gelangen dann auf besseren Stei- gen zur Lärckeckalm. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit erscheint der Reinhardt wieder und behauptet im Nebel und durch schlüpfrig beschneite Graspolster Zwinglipass. In Schneemassen er- die Ackerlspitze gewonnen zu habe. In saufend, waten wir von dort zum Fuß dieser Nacht ziehe ich der geräumigen

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Hängematte ein zu kurzes Strohlager ße Schuttband, das vom Rachen herein- vor, das aber dem Schlaf mehr Raum greift. Nur eine Gufel zwingt zu einer ex- gibt. ponierten aber interessanten Umklet- 11.6. Die Witterung ist uns zu un- terung, nach der man, an einem enge- freundlich für die Maukspitze. Erst durch ren Riss sich haltend, das Geröllband Urwald, dann durch triefende, mit Troll- erreicht. Darüber steht eine große Ver- blumen übervölkerte Matten kehren wir schneidung, in der man den Schlüssel nach Griesenau zurück. In München herumdreht und das Tor zu einem klein- kehren wir noch bei Onkel Hans ein und brüchigen Felsgelände aufwirft. Unter schädigen ihn, was das Essen anbe- einem schwarzfeuchten, halbmondför- langt, nicht unbeträchtlich. Um 22 Uhr migen Überhang quert man dann nach kratzt der Fritz die Kurve vor dem hei- rechts hinaus und latscht auf die kleine matlichen Stall. Sulzfluh, immer auf der W-Seite des Grataufbaus steigend. Durch den firnge- Lizner – Seehorn – Überschreitung stopften Rachen und selbst noch zwi- 16./17.6. 62 mit Fritz, Wolfdieter, Ge- schen Latschenbeständen hindurch fah- rhard Gürke ren wir zur Hütte.

Irgendwann im Juli fängt es am Ein- Um 9.00 weg. Am Vermuntstausee stieg zum Patteriol – NO – Pfeiler an zu schnallen wir die Ski vom Auto ab und regnen, worauf wir (Werner Pfaffenber- an unsere Füße und steigen zur ger, Wolfdieter, Fritz und ich) die Segel Saarbrückerhütte. streichen. Herrliches Wetter am Sonntag.

Durch ein Schneecouloir spuren wir zum Eine Reise durch Skandinavien Ostgrat des Litzners hinauf, den wir bis 30.7. – 18.8 1962 unter die Abbrüche verfolgen. Hier que- Fritz, Wolfdieter und ich ren wir in brüchigem Gelände, zum

Schluss über eine lange Platte zum SO- 30. Juli 1962. Ab 2 Uhr morgens rollt Grat. Hier beginnt eine genussvolle Klet- dröhnend die „HAFRABA“ unter uns ab. terei mit eleganten Firnschneiden zwi- Der Kilometerzähler schafft emsig Zahl schen griffigen Gneispartien und einer um Zahl über die Runden. Langsam herrlichen Abseilstelle vom Litzner hin- rückt Deutschland an uns vorbei. Durch ab. Nach 9 h solcher Betätigung schlen- Schleswig-Holstein rasen wir nach Dä- dern wir auf dem Litznergletscher zur nemark, überqueren auf hoher Brücke Hütte zurück. Dann geht`s in phantasti- den kleinen Belt und weiter geht`s durch schen Schwüngen hinab. Den Schluss- Fünen. Vereinzelt schauen weißgekalk- scharrer reißen wir gleich neben dem te, strohgedeckte Bauernhöfe aus der Auto. hügeligen Landschaft. In Kundshoved

wechseln wir für eine Stunde den Insel- Sulzfluh – NW – Wand boden gegen das Verdeck des Fähr- (Descheführe) schiffes über den großen Belt. In 23.25.6 mit Fritz, Wolfdieter, Dieter Halsskov, der Anlegestelle auf Seeland, Wagner beginnt eine hervorragende Straße nach

Kopenhagen, das am anderen Ende der Die kurze Zeit zuvor von Ralph Insel liegt. Dort essen wir in einem Desche eröffnete Tour führt durch ein Selbstbedienungsrestaurant zu Abend schräg nach links aufwärtsziehendes Rinnen- und Kaminsystem auf das gro-

13 und fahren dann in die Nacht hinein bis bige Bauerngehöfte mit großen Blech- Helsingör auf einen Campingplatz. dächern. Nur selten sieht man noch 31.7. In Helsingör schiffen wir uns grasgedeckte Dächer, auf denen mit über den Sund nach Helsingborg ein. Vorliebe Bäume und Sträucher gedei- Dort geraten wir sofort in den Strudel hen. Dort besichtigen wir geflissentlich des Linksverkehrs. An Südschwedens, den einzigartigsten gotischen (!) Dom von schwarzweißen Kühen abgeweide- Skandinaviens. Das Innere bleibt uns ter Küste entlang, über den Kranwald erspart, weil man Gebühren dafür er- der Göteborger Werften nach Norwe- hebt. Das Baumaterial ist schiefriger gen. Am düsteren Åas-See (30 Km süd- grauer Stein, aus dem man mit dem lich von Oslo) übernachten wir im Zelt. Fingernagel kleine, schwarzgrüne Nur der Taktschlag einer trainierenden Oktaederkristalle herauslösen kann. Am Rudermannschaft hallt durch die regen- Hafen liegen nur kleine Kähne vor den nassen, finsteren Wälder ringsum. Kranhäusern. Am langen Trondheimfjord 1.8. In Oslo besichtigen wir die Wi- entlang über Levanger nach Steinkier, kingerschiffe auf Byrd und den Frogen- wo die Öldruckbremse kaputt geht. In park. In ihm tummeln sich Vigelands einer VW-Werkstatt verspricht man uns plumpe Figuren, Sinnbilder und Obelis- in deutscher Sprache eine Reparatur am ken. Was eigentlich als Ausdruck spezi- nächsten Morgen. So besichtigen wir die fisch norwegischer Kunst hergestellt nüchterne Ortschaft, die fast nur aus wurde, gereicht nun der ganzen norwe- gischen Nation mehr oder weniger als Schande. Da Oslo eine hässliche Sied- lung ist, fahren wir bald weiter zum Moosen - See (nach dem der europäi- sche Teil eines erdumspannenden Spal- tensystems benannt ist) – Haar – Lee- rem – Glottal. Die asphaltierte Straßen- decke bricht dort ab, wo sich die Straße dem Glomtal entwindet, um über einen Bergzug zum Storsjö (Großsee) hin ab- Trondheimfjord zuleiten. Bei Tgnset erreicht die Straße nach einem Passübergang wieder das Holzbauten besteht. Am Westufer die- kultivierte Glomtal. Dieses verfolgen wir ses hintersten Zipfel des Trondheim- nun aufwärts nach Röros, das zwischen fjords errichten wir unser Zelt. Eigenartig baumlosen Hängen und einigen Kup- klingt das fortwährende Geschrei der ferminen trostlos daliegt. Am Quellsee Möwen. Die Gezeiten machen sich hier der Gloma, nördlich von Röros, bei dem hinten gerade besonders (!) stark be- die Straße einen Pass überwindet, um merkbar: In einem Fjord staut sich das dann in das Gaulatal zu führen, schla- Flutwasser höher, weil es sich nicht aus- gen wir unser Zelt auf. breiten kann. Bei Ebbe sind weite Stre- 2.8. Das ziemlich dicht besiedelte cken von Granithöckern, die von allerlei Gaulatal fahren wir hinab bis nach Stö- Tang überwuchert sind, vom salzigen ren, wo unsere Lehmstraße in die as- Wasser entblößt. Eine unheimliche Stille phaltierte Hauptstraße von Dombås regiert an diesem Abend unter der einmündet. Auf dieser rollen wir das schwer lastenden Bewölkung; nur das Drivatal gen Trondheim hinunter. Auf Anlaufen und Zurückrinnen der Wellen alpenähnlichen Terrassen lagern behä-

14 und der vereinzelte Ruf einer Möwe gesprengter Trasse entlang zieht, zum dringt ans Ohr. Skjerstadfjord an dem ebenfalls Finneid 3.8. Nach frühmorgendlicher Repa- liegt neben dem bedeutenderen Faustre. ratur der Ölbremse fahren wir über den Knapp reicht das Benzin bis hierhin. Snasavatn bei Grong ins Namsental. Nach 36 km erreichen wir Sörfoldfjord, Seine bewaldeten Fichtenhänge sind an den Rösvik mit einem Dolomitstein- durch Streifenkahlschlag gegliedert. Am bruch liegt. Die Fähre bringt uns in einen Passsee vorüber nach Mosjöen hinab, tiefen Fjordarm hinein, um den sich das an einem Fjord liegt. Danach steigt schon bedeutende Bergmassive stellen. die Straße an einen See hoch, an dem An riesigen Plattenschüssen, die sich oft wir uns einer Rast mit Walsteak widmen. ringförmig um den kegelförmigen Berg Nach ausgiebiger Wässerung verliert legen, leitet die Nordlandschaft weiter, das billige Walfleisch seinen bestiali- einige Fjordabschlüsse streifend, bis schen Geschmack und schmeckt da- zum Tysfjord. Gewaltige Felskegel ra- nach nach überhaupt nichts mehr. Auf gen im Osten empor. Im Westen verliert Wolfdieters Gaskocher ist es im Hand- sich der Blick, an den dunstigen Kontu- umdrehen gebraten. Die Weiterfahrt ren der Zackenkrone der Lofoten ent- erfolgt über einen Pass zum Anneid- lang gleitend, im vergoldeten Meer. Von Fjord (Ranafjord); über seinem tiefblau- der Fähranlegestelle fahren wir auf ei- en Wasserspiegel leuchten die Schnee- nem Feldweg nach Korsnes hinaus, flächen des Svartisen. Bei der äußerst immer der horizontalen Sonne entge- sauberen und ordentlichen Ansiedlung gen. Fast durchsichtig, mit klarem Grün- No i Rana mündet in diesen Fjord die blau, strömt das Meer eisige Kühle aus. Rana, in deren Tal die Straße nun weiter Einige Bunker oberhalb des Weges er- führt und den Polarzirkel kreuzt. Auf ihm innern an den Krieg, wie überhaupt hier bauen wir unser Zelt auf. Es ist kalt und sehr viel mich an den Kampf um Narvik trostlos, einige Denkmäler erinnern an erinnert. Auf der drüberen Fjordseite Kriegsgefangene, die unter deutscher kann man Lödingen mit seinen vorgela- Regie die Nordlandbahn hier unter gro- gerten Öltanks erkennen. Eine weiße ßen Opfern vorantrieben. Wir steigen in Fähre zieht gerade ihre Spur durchs schwieriger Kletterei noch auf einen kaltblaue Element in dieser Richtung. Berg westlich der Straße, hinter dem Über Korsnes hinaus fahren wir bis ans sich ein Kar mit See verbirgt; der Berg- Ende der Halbinsel. Weit im Westen rücken um es herum gleicht ganz dem tauchen wie Eisberge die äußersten Feldberg, allerdings in vegetationslosem Felsinseln der Lofoten aus der See; wie Urzustand. Im Norden ist der Horizont die Zähne einer unregelmäßigen Säge unter schwarzen Wolkenbrüchen tiefrot reiht sich Felsspitze an Felsspitze bis gefärbt, im Westen und Süden heben etwa östlich von Lödingen die Bergfor- sich einige Begrsilhouetten von der hel- men zahmer werden. Mit der Fähre set- len Polarnacht ab. Im Osten klingt das zen wir über den Tysfjord, der ganz be- Gebirge in Tundrahochflächen ab, nur herrscht wird von dem kolossalen Fels- 30 km entfernt, beginnt Schweden. Um kegel des Stetind, der mit seinen Plat- 24 Uhr schlupfen wir bei fahlem Däm- tenfluchten direkt aus dem Fjord hoch- merlicht – dunkel wird es nicht – ins kal- schießt. Über einen Bergrücken führt die te Zelt. Straße zum nächsten Fjord. Auf der 4.8. Durch ein 75 km langes Tal, an Passhöhe zelten wir. dessen Westhänge sich die Nordland- 5.8. Westlich der Straße steigen wir bahn auf, in kühnen Plattenschüssen über niedrig bebuschte Hänge und wei-

15 ter oben auf größeren Grasnarben, die ne, die wohl dem Almgürtel entspricht. einer Schafherde Lebensunterhalt ge- Diese wird wenigstens von einigen währen, auf ein ca. 800 m hohes Berg- scheuen Bergschafen durchstreift. Eine massiv. Sehr leichte Kletterei bringt uns lange Schutthalde dient als Weg zum auf den plattigen Gipfel. Wie eine Land- Fuß des Westgrates. Kurz und schön ist karte ausgebreitet liegt unter uns der die Kletterei auf den Gipfel hinauf. Dort vielverästelte Tysfjord mit seinen im regnet es allerdings und Nebel kommt in Westen flachen, hügeligen und bewalde- Sicht. Aber schon unterhalb der Nebel- ten Ufern; mit dem Stetind im Osten, decke haben wir uns gründlich der Aus- dessen Spitze wie geköpft erscheint. sicht gewidmet; Narvik ist ganz sichtbar, (Der Aufstieg erfolgt, wie sich aus der es liegt auf einer lappenförmigen Land- Perspektive weiter nördlich liegender zunge. Die Erzverladeeinrichtung be- Berge ergibt, über den S-Grat). Wieder herrscht das ganze Stadtbildt, in dem überschreitet das Auge sämtliche sonst keine größeren Bauten auffallen. Lofotenzacken und dringt tief in den Östlich direkt unter uns zieht ein großer Ofotfjord hinein, an dem ich Narvik zu Dampfer durch den langen, schmalen sehen glaube. Der topographische Weit- Skjornenfjord. Wir überschreiten nun und Überblick schließt mit uns unbe- das ganze Massiv, wobei wir zweimal kannten Schneehochflächen im NO. An über exponierte, vom Regen bzw. auch tief hin abschießenden Plattenfluchten Schnee glitschig gewordenen Platten beobachten wir das Schauspiel, wie und Verschneidungen abseilen müssen. riesige Felsblöcke in immer kleinere Nur nach unten gibt der Nebel die Sicht Splitter zerbröseln und schließlich das frei. So ist die Orientierung nicht allzu Kar nur mehr als Kies oder Sand errei- schwierig. Über feuchte, dreckige Fel- chen. Dann steigen wir wieder zur Stra- sen klettern wir dann vom Kamm, wo ße hinab. Fritz findet im Boden steckend dieser in einen Schuttrücken auslaufend ein echtes Finnmesser. Da die nächste im Nebel verschwindet, auf den Glet- Fähre erst am anderen Ufer ablegt, ha- scher unter den Nordabstürzen des ben wir Muße, mit dem eisigen Fjord- Kongbachtind ab. Auf dem Rucksack wasser in Berührung zu kommen. Man hockend schießen wir den oberen stei- ist heilfroh, wenn man ihm nach dem len Gletscherhang hinab und queren Bade entronnen ist. Jenseits des Fjords nach Westen auf die Aufstiegsroute hin- geht die Straße in Küstennähe durch über. Bequem trotten wir über den Glet- Föhrenwälder weiter. Über den scher dahin und geben uns dem erhe- Skjomen-fjord nehmen wir wieder eine benden Tiefblick auf Narvik und die jen- Fähre in Anspruch. Kurz vor Narvik bei seits des Ofotfjordes liegende Bergkette dem Ort Håvik zweigt eine Straße in hin; nur einige Spalten bannen die Auf- östliche Richtung ab. Sie führt zu einem merksamkeit auf den Weg. Um 10 Uhr See, der von einem Kraftwerksystem waren wir aufgebrochen und um 19 Uhr ausgebeutet wird. Hoch ragt der Kongs- sind wir zurück. Übernachtung daselbst bachtind überm Zelt. 7.8. Narvik – Lyngenfjord. 6.8. Kongsbachtind 1576 m. Durch In Narvik, wo im Hafen noch ein Wrack pfadloses Birkendickicht (Birken herr- herumschwimmt, besichtigen wir die schen in diesen Breiten in der Holzwelt Demag-Erzverladestation, die uns sehr vor), das mit zunehmender Höhe in trickreich vorkommt. Sonst gibts nichts Knüppelwald übergeht, sich dann mehr mehr zu sehen in dem nüchternen Ort. lichtet und schließlich aufhört, steigen Am nördlichen Stadtrand entlässt uns wir zu einer busch - und baumfreie Zo- Narvik auf die Fähre über den Rombak-

16 fjord. Deutlich ist die Fjordverengung können wir nur wenige Angaben über sichtbar, an der die entscheidende den grandiosen Felszahn entnehmen Kampfhandlung im Streit um die Erz- und sind deshalb froh, mit einem ansäs- bahn ausgetragen wurde. Am 13.3.1940 sigen Bauern in Kontakt zu kommen. musste der nach Narvik durchgebroche- Den Grundstein zu diesem Kontakt legte ne Zerstörerverband einer englischen ein 750 ccm Zündapp - Motorrad aus Übermacht an Seestreitkräften weichen. dem Krieg, versehen mit Seitenwagen, Die schwer getroffenen Boote, 4 an der Maschinengewehraufsatz und tadelloser Zahl, liefen durch die Landenge von Meldetasche, das jetzt im friedlichen Strömmen in den Rombaksfjord ein, um Dienst eines Bauern steht, der Besitzer die Besatzung wenigstens an Land zu von 30 Geißen ist. Mit der Maschine bringen. Das vierte und letzte Boot legte kommt er am Abend unserer Ankunft am sich in die Landenge und hielt die engli- Zelt vorbei, um an der Straße stehende schen Verfolger solange auf, bis alle Milchkannen ab zu holen. Wir bestaunen Munition verschossen war. In dieser Zeit natürlich das ehrwürdige Motorrad deut- konnten die anderen 3 Bootswracks die scher Nation und bringen unsere Ver- Entladung vornehmen. Bei den tiefhän- wunderung im gewohnten alemanni- genden Wolken ist von den Bergen schen Idiom zum Ausdruck, wobei wir nichts zu sehen. Bei Bardufoss stehen merken, dass der Besitzer so manches die letzten Kieferbestände neben der davon versteht. In der Tat machen wir Straße. Der Eindruck von der Land- die Erfahrung, dass unsere Mundart, schaft ist sehr düster und öde. Erst ergänzt um einige schon erlernte Rede- abends am Lyngenfjord wird`s interes- wendungen der norwegischen Sprache, santer. In seiner südlichen Fortsetzung eine gute Basis für eine Unterhaltung schneidet das Signaldal ins Land. Gleich darstellt. Es ist deshalb nicht verwunder- am Abschluss des Fjords erhebt sich der lich, dass wir schon eine halbe Stunde Otertind (1320), im Zeichen dessen wir später im blitzsauberen Stall unseres weiter hinten im Signadal in der Gesell- neuen Freundes sitzen und eifrig mithel- schaft einer englischen Schulklasse zel- fen, seine Geißen zu melken. – Über ten. unser morgiges Bergziel, den Otertind, weiß er nur, dass vor fünf Jahren die Auf dem Matterhorn des Nordlandes letzte Partie oben war und sieben Stun- den zum Aufstieg benötigte. Manch einen Gipfel an der Nordland- Um 9 Uhr am nächsten Tag brechen straße hatten wir bereits einen mitter- wir auf. Die Durchquerung des Zwerg- nächtlichen Besuch abgestattet, ohne birkendschungels, der hier die Talhänge von der Nacht überrascht zu werden; bedeckt, erfordert viel Zeit und wir at- denn der Polarkreis liegt nun schon über men freier, als wir diesen hinter uns ha- 500 km tief im Süden, und vor einer Wo- ben. Über ein einfaches Gelände mit che war es zum letzten Mal in der Nacht niedrigem tundraartigen Bewuchs nä- dunkel geworden, als wir am gezeiten- hern wir uns nun den Westabstürzen bewegten Trondheimfjord zelteten. Jetzt des Otertinds, durch die wir einen Auf- steht unser Dreimannzelt im Signaldal, stieg finden wollen. Den Gipfel können der südlichen Verlängerung des wir noch nicht sehen, weil sich dort oben Lyngenfjords, im Zeichen des 1320 m dicke Nebelschwaden herumtreiben. So hoch aufragenden Otertinds, des Mat- queren wir ein großes Stück unter ver- terhorns von Arktisch-Norwegen. Unse- schiedenen Schluchten hindurch, wobei rem englisch geschriebenen Bergführer wir zwei Rentiere aufstöbern und eine

17 mit blutroten Granatkristallen besetzte naldal den Blick weit in die unwirtliche Gneisplatte und einige Turmalinkristalle Tundra Schwedisch Lapplands schwei- finden. Schließlich entscheiden wir uns, fen, wo weiter südlich die Erzstadt eine der Schluchten hoch zu steigen, Kiruna liegen muss. Im Westen schließ- denn vermutlich sind wir sowieso schon lich und gegen Tromsö schaut an vielen zu weit gequert. Am Ende der Schlucht Stellen das Wasser eines Fjordarmes erreichen wir eine Scharte, von der wir zwischen den spitzen Bergen der Insel die Lage besser überblicken können. Senja oder verschiedener anderer Halb- In nördlicher Richtung kann der Gip- inseln hervor und lässt nur schwer den fel nicht liegen, denn dort gibt der Nebel Verlauf der zerrissenen Küste erahnen. gerade einen langen waagrechten Staunend schauen wir auch die steilen Kamm frei. Also wenden wir uns nach Südabstürze hinunter und können weit Süden und erinnern uns nun auch wie- drunten im Tal unser kleines Zelt aus- der an ein Bild in dem englischen Frühe- machen. Nur ungern scheiden wir vom rer und an dessen Bemerkung, die Gipfel. Auf dem Abstieg finden wir noch Winterbegeher hätten ein „difficult abseil eine herrliche Bergkristallgruppe, die into Veile Skar“ gehabt. Die Entfernung, trotz des Gewichts in den Rucksack die wir unten zu viel gequert haben, klet- kommt. Wir verlassen jetzt schon früher tern wir nun in bestem Fels am Grat den Grat und steigen durch eine andere oben zurück, wobei wir manchen Grat- Schlucht auf die braungrüne Tundra- aufbau schon für den Gipfel halten, den gründe hinab. Einer von uns entdeckt aber die Veil-Scharte noch von uns sogar ein Rentiergeweih, dem sich kurz trennen muss. Diese kommt aber ganz darauf noch ein weiteres hinzugesellt, unvermutet und weist sich durch einen nachdem wir die Suche etwas forciert langen, in einer Felsspalte lose stecken- hatten. Dergestalt mit Fundstücken be- den Eishaken aus, der unzweifelhaft von laden, kämpfen wir uns bei sinkender den im Führer genannten Winterberg- Sonne durch das weglose Birkendi- steiger stammt, die an ihm vor 25 Jah- ckicht, das uns im Tal unten recht zer- ren einen „difficult abseil“ hatten. Die schunden und verkratzt in lieblichere Scharte ist auch im Sommer nicht ganz Gefilde entlässt. Genauso, wie der leicht zu überwinden und stellt eine Art Otertind majestätisch das Signaldal und Schlüsselstelle dar, die dann die letzten den lyngefjord überragt, wird er auch 50 m zum Gipfel freigibt. Der Nebel ist immer die Fülle der Erlebnisse unserer gewichen, als wir am Gipfelsteinmann Nordlandfahrt überragen, zumal sich zur stehen. Die Aussicht ist eigentlich unbe- einmaligen Schönheit und Größer der schreiblich und übertrifft die Ausblicke Landschaft der Reiz hinzugesellt, auf der Alpen an landschaftlichem Reiz: Im einem Gipfel gestanden zu sein, den Norden liegen die tiefblauen Wasser des zuvor vielleicht nicht mehr als 15 Men- Lyngenfjords, der an seinem westlichen schen betreten haben. Ufer gesäumt wird von firnbeladenen (Diese Schilderung hat Hans in der Zeit- Bergen, deren gleißenden, weiße Glet- schrift des DAV veröffentlicht) scherströme durch tiefschwarzen Fels bis fast ans Meer hinabfließen. Westal- 9. Aug. Lyngenfjord – Kistrand – pine Verhältnisse herrschen dort und die Posangenfjord. Unzugänglichkeit dieses Gebietes bringt Von Lyngseidet bringt uns die Fähre es mit sich, dass mancher Gipfel erst über den tiefblauen Lyngenfjord. Im Sü- einmal eines Menschen Tritt verspürte. den verschwindet allmählich der Oter- Anders im Südosten: Dort lässt das Sig-

18 tind, mehr lenkt das Gebirge der bremsung: Plötzlich hört der Lehmbelag Lyngenhalninsel im Westen unserer auf und krachend sinkt der Wagen in Aufmerksamkeit auf sich: Mehrerer Ta- eine Perforation. 70 km ist doch eine felberge tragen schwere Firnlasten auf berechtigte Beschränkung! Bei schwarzem Felsgrund, Schneegrate Russenes gleich neben Kistrand zelten führen aus Gletscherkessel in sonnige wir. Höhen – das Bild gleicht ganz den Al- 10. August Nordkap pen. Über einen niedrigen Pass wech- Um 7.30 von Russenes mit dem Schiff seln wir an eine ganze Reihe anderer durch den langen Porsangerfjord nach Fjorde, auf denen der Blick oft in die Honningsväg, der nördlichsten Stadt der unbegrenzte Weite des Ozeans hinaus- Welt (In Russland gibt´s allerdings noch schweifen kann. In dieser Gegend gibt nördlichere.). Schwarzgraue, tiefgehen- es eine Unmenge von Kühen und Scha- de Wolken beengen drückend den fen, die sich offenbar am liebsten auf der Raum zwischen Wasserspiegel und Straße herumtreibe, ohne den Autos Himmel. „Wasserspiegel“ ist hier über- irgendwelche Achtung schenken zu wol- trieben ausgedrückt, es sei denn, dass len. Sie scheinen die länderverknüpfen- man annimmt, er wäre zerborsten. Hef- de Straße für den bequemsten Standort tiger Seegang lässt das Schiff schwer zu halten, die Kühe, weil die Straße der stampfen. Steht man vorne am Bug- wohl einzige ebene Ort im gebirgigen spriet, so tanzt der Horizont gemächlich Nordland ist, die Schafe, weil man auf auf und ab, je nachdem das Schiff gera- der feuchtkühlen Lehmdecke lagernd, de in ein Wellental absackt oder durch sich am wohligsten in der Mittagshitze einen Berg in die Höhe gewuchtet wird. mit Wiederkäuen befassen kann. Nach Um 10.45 setzen wir wieder Fuß auf schier endlosen Umkurvungen des nicht schwankenden Boden und erholen Kvaenangenfjords ans Ufer des Lang- uns langsam vom Brechreiz, der einem fjords. Das Gebirge klingt allmählich ab, den Mageninhalt bis vor die Tore des dafür beherrschen nun langweilige Hü- Schlundes gehoben hat. Wir entern ei- gel das Bild. Die firngleissenden Höhen nen Touristenbus, der uns auf kühn an- bleiben leider zurück. 3 km vor Alta geht gelegter Straße quer durch die Insel (34 das Benzin aus. 200 ml Kocherbenzin km) zum Nordkap transportiert. Die werden in den gähnenden Tank geleert Tundrahochflächen sind mit Nebel ver- und laut klingelnd (vor Empörung) schaf- hängt und bieten ein düsteres Bild. Ir- fen´s wir gerade auf eine Anhöhe vor gendwo in diesen Weiten hält der Bus: Alta. Unten liegt eine BP Tankstelle, auf Endstation. In der Tat wächst dort ein die wir ziemlich erleichtert zu rollen. Voll Haus aus dem Nebel. Es ist das Nord- getankt und mit neuem Öl fahren wir kaphotel. Aus seinen großen Glasfens- weiter nach Kistrand. Schnurgerade tern gähnt mondäne Langeweile. Es schwingt sich die Lehmstraße durch die liegt um diese Tageszeit vollständig ver- Abendsonne, rötlich vergoldete Tundren ödet. Außer uns gibt es nur zwei andere und lädt dazu ein, mal 100km zu fahren. deutsche Burschen, die noch nach (Das ist verboten, weil 70 km in Norwe- Spitzbergen wollen. Nördlich des Ge- gen Höchstgeschwindigkeit ist, aber nußschuppens weitet sich ein großer schneller erlauben die schlaglochdurch- Platz, der gen Norden durch einen Ma- siebten Straßen gar nicht.) Aber gerade schendrahtzaun eingepfercht wird. Die- ist kein Schlagloch und kein „Wasch- ses, von Touristenhorden zertrampelte brett“ in Sicht, also drauf auf´s Gas! Eine und gewalzte Feld heißt Nordkap. Zwei schöne Weile 100 km, dann aber Voll-

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Denkmäler veredeln die exponierte Ört- die Tradition macht nördlicher als Nor- lichkeit. Eines für den norwegisch- den. Der norwegische Touristenverein dänischen König Oskar, der 1871 das wird wohl nicht mehr umdisponieren. Die Nordkap vom Meer aus erklommen hat übliche Touristenflut setzt erst mit dem und damit seinen Ruhm begründet hat. Nachtbus ein, weil doch alle die Mitter- Das andere gilt Philipp von Orléans, nachtssonne sehen wollen. Bei uns aber dem französischen Bürgerkönig, der ist Mittag und einsam. Wir fahren mit sich lange Zeit in Norwegen herumtrieb dem gleichen Bus nach Honningväg und einmal bis ans Nordkap vorstieß. zurück, wo wir 14 Uhr eintreffen. Das Sehr weit über den Zaun reicht die Sicht nächste Schiff geht in 13 h nach Rus- nicht, alles eine Waschküche oder senes, also um 3 Uhr des nächsten Dampfbad. Wir überschreiten deshalb Morgens. Eine lange Wartezeit. Der Fritz den Wachzaun der Menge und klettern erwirbt sich einen amerikanischen Kri- in hervorragend festem und griffigem minalroman und verschwindet damit in Urgestein ein paar Meter ab, bis ober- einem Restaurant. Wolfdieter und ich halb von einigen nicht einzusehenden schauen uns den aufstrebenden Ort an. Steilabbrüchen. Schwach erkennt man Er schmiegt sich um eine geräumige durch die Nebelschleier ca. 200 m tiefer Hafenbucht und bietet mit seinen weiß die hochaufschäumende Gicht der an grün gestrichenen Holzhäusern keinen Europas Nordkante sich brechende Wo- sehr freundlichen Eindruck. Es ist alles gen. Wer ans Nordkap bei gutem Wetter sehr nüchtern und abstoßend, Frösteln. kommt, der steigt auf Umwegen ans Das Meer ist graublau und die Berghän- Meer hinab und suche sich eine Kletter- ge sind graugrün, der Himmel ist grau- führe über die Nordkante Europas! Es schwarz, die Häuser grauweiß – ein muss eine Genußkletterei sein, das Ge- finsteres Farbenspiel. Am Hafen spricht stein macht den besten Eindruck. Es uns ein Fischer an, der uns sofort als Deutsche identifiziert. In unserer Spra- che gibt er einige Auskunft über seine Tätigkeit. Jeden zweiten oder dritten Tag läuft er für mehrere Tage aus dem Ha- fen aus und wagt sich mit seinem klei- nen Kahn weit aufs offene Meer hinaus. Unter den ausladenden Dächern der Hafenbauten sind die langen Angel- schnüre ausgehängt, die er dort drau- ßen auswirft und hinter sich her- schleppt. Hunderte von Haken sind an ihnen fest geknüpft und jeder einzelne wird mit einem Köder versehen. Schließlich landen wir bei Fritz im Restaurant und versuchen dann, über den Tisch gebeugt, zu schlafen. Wäh- renddessen betritt auch der Fischer das Lokal und betrinkt sich mit einigen Ge- wird gemunkelt, dass es auf Magerög nossen. Offensichtlich wird der Gewinn ein noch nördlicheres Kap gäbe, was der letzten Fischfahrt verzecht. Als er genauere Karten auch bestätigen. Aber sich zwischendurch mal zu uns an den Tisch begibt, bietet er uns an, in einem

20 seiner Kähne zu schlafen. Da sei es Aber das Meer sieht man nicht. Luleå, nicht so laut. Wir nehmen die Einladung dem schwedischen Narvik, gibt es auch an und folgen ihm zum Hafen. Durch einen großen Erzpier, denn hier endigt eine kleine Luke klettern wir in ein dunk- der Schienenstrang der Erzbahn von les Gemach, in dem ein Freund des Fi- Narvik über Kiruna und Gällivare. In ei- schers gerade seinen Rausch aus- nem Selbstbedienungsrestaurant essen schläft. Der kann auch deutsch und singt wir teuer zu Mittag. Richtiges Brot gibt uns sogar die „Wacht am Rhein“ vor. Wir es hier auch noch nicht, nicht einmal steigen in die Kojen, die zweistöckig an süßes wie in Norwegen, sondern bloß die keilförmig zum Bug zusammenstre- Knäckebrot. 70 km vor Umeå übernach- bende Wandung angefügt sind. Sie sind ten wir wieder am bottnischen Meerbu- zwar kurz, doch muss ich irgendwann im sen. Sein abwechslungsreich verästeltes Klatschen der an den Schiffsbauch an- Gestade ist bis dicht ans Wasser mit laufenden Wellen eingeschlafen sein, Fichtenwaldungen bewachsen. denn ganz unvermittelt reißt mich das 13. Aug. Über mehrere Flüsse hin- Gekicher des Weckers um 2.30 aus der weg, an deren Mündung gewaltige Holz- Entrückung. verarbeitungsfabriken nisten, durch 11. Aug. Von 3.00 bis 6.00 dauert Sundval hindurch bis Långvind, das kurz die Überfahrt auf stampfendem Schiff. nördlich von Söderhamm am Meer Mit uns fahren zahlreiche, enttäuschte draußen liegt. Nordkaptouristen, die zwar zur Nachtzeit 14. Aug. Gävle – Falun –Upsala draußen waren und ebenfalls nichts sa- Hier sieht die Gegend sehr historisch hen. Das Wetter ist genauso schlecht, aus: Große Gehöfte hinter wogenden wie es bei der Herfahrt war. Getreidefelder, weiß gekalkte Kirchtür- me, sowohl spitze als auch gezwiebelte, Von Meer zu Meer über ausladenden Baumkronen. In der Bergmannstadt Falun gibt es ein riesi- Am Porsangerfjord (der letzte eisfreie, ges, wohl 150 m tiefes Loch, aus dem weil vom Golfstrom noch bestreifte Fjord Lastwagen das Kupfer herausholen. nach Osten hin) verlassen wir das Eis- Überall rote Schutthalden; alles durch- meer und rasen durch die monotone, wühlt nach dem begehrten Erz. In teils schon bewaldete (sogar mit Föhren Upsala macht Fritz bei einem wissen- mancherorts) Finnmarken über die finni- schaftlichen Kollegen Visite. Wir besich- sche Grenze zum Inarisee. Nur wenig ist tigen gratis die Bibliothek. Zwei Seiten von diesem zu sehen, weil er ganz mit von der Wulfilabibel sind so trickreich dichten Kieferwaldungen umstellt ist. ausgestellt, dass man meint, es läge da Nur Wald, Wald und nochmal Wald bis vor einem das ganze Exemplar. Erklä- Rovaniemi. Südlich davon lockert sich rend steht dazu geschrieben: Hand- die Landschaft etwas auf: Es gibt Wie- schrift auf purpurgefärbten Pergament, sen und Äcker und Heustadel (oder et- silberne z.T. goldene Schrift. Die Hand- was Ähnliches). Mit dem Torne älv schriften stammen aus Norditalien, viel- überqueren wir die finno-schwedische leicht aus Ravenna und wurden wahr- Landesgrenze. Etwas westlich von scheinlich im Anfang des 6. Jahrhun- Haparanda zelten wir am gering salzhal- derts während der Regierung Theo- tigen, bottnischen Meerbusen. derich des Großen geschrieben. Die 1.August Sonntag Handschrift enthält Bruchstücke der 4 Die Europastraße E4 führt dauernd Evangelien in der von Bischof Wulfila im durch Wald und ist sehr gut asphaltiert. 4. Jahrhundert gemachten Übersetzung.

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Von ursprünglich 336 Blätter sind nur noch 187 erhalten. Unten auf jeder Seite befinden sich Kanonbögen mit den Hin- weisen auf die Parallelstellen in den anderen Evangelien. Um 1650 Gestal- tung des Silberdeckels. Außerdem fah- ren da in den Glaskästen noch zahlrei- che andere Handschriften herum. Zwi- schen Upsala und Stockholm zelten wir irgendwo an einer Nebenstraße im Wald. 15. August Stockholm Rundfahrt zu Wasser um die Insel Kungsholmen und Långsholmen für 3 Kronen. Anschließend mit dem VW am Verkehrsgewühl teilgenommen und wahllos durch die Häuserschluchten über Brücken und Überführungen her- umgekurvt. Auf der E4 verlassen wir dann Stockholm an den Vättensee. Kurz vor Gränna zelten wir auf einem leeren versität. Was mir in Kopenhagen am Campingplatz zwischen Straße und See. besten gefallen hat: Die Meerjungfrau 16. Aug. Über Lund, wo wir den ro- von Erikson und ein fantastischer Brun- manischen Dom belinsen, nach nen, die germanische Göttin Gefion hin- Höllviksnäs auf der Halbinsel Falsterbo. ter, einem von vier Uren gezogenen Zufällig entdecken wir unsere Räderpflug darstellend, mit dem sie Fernkousine Ingeborg (Tochter von Seeland vom Festland abpflügt (Edda Großonkel Hans, deren Mutter aus die- von Dahlsberg 1900). Die peitschen- ser Gegend stammt. Anmrk. S.Z.) vor schwingende Göttin und die Ure, denen einem Kiosk stehend. Ohne sie hätten das Wasser lustig aus den Nasenlö- wir nie das Wochenendhaus ihrer chern sprüht, sind in eindrucksvoller schwedischen Tante ausfindig gemacht. Wirklichkeitsnähe, wenn auch überle- Im Garten zelten wir. Fritz geht mit Inge- bensgroß, gestaltet. Sämtliche Bauten borg tanzen, Wolfdieter und ich gehen und Schlösser sind nichtssagend und am Meer spazieren. Bei einem nächtli- anödend gegenüber diesen beiden chen Gang ins Innere der Halbinsel ver- Bronzekunstwerken. Um 19.30 bringt lieren wir völlig die Orientierung und uns die Fähre über den Sund zurück sind erstaunt, als wir an derselben Stelle nach Malmö. rauskommen, an der wir aus Höllniksnäs 18. August. Um 12 Uhr mit der Auto- herausgetreten waren. fähre wieder über den Sund nach Ko- 17. August. In Malmö parken wir das penhagen. Hier besichtigen wir noch- Auto am Hafen und fahren mit einer mals mit Fritz die Vorgeschichteabtei- Fähre nach Kopenhagen hinüber. Dort lung des Nationalmuseums. Um 18. Uhr widme ich mich mit Wolfdieter ausgiebig schließlich versinken uns im Rücken die dem Nationalmuseum Abteilung Urge- Zinnen Kopenhagens hinterm Horizont, schichte. Der Fritz sucht derweil die Uni den die abendliche Sonne bestrahlt. 19. August. Um 11 Uhr, nach 17 h ununterbrochener Fahrt daheim.

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selten begangene Westflank bestiegen Die Jugendgruppe in der Gletscher- wird. Obwohl wir schon ziemlich früh am welt der Ötztaler Alpen Tage auf der Similaunhütte um Nachtla- 30.08. – 7.9.1962 ger fragen, müssen wir doch mit dem Ernst und ich stehen folgender Fußboden als Nachtlager vorlieb neh- Mannschaft vor: Lutz Freier, Manfred men. Baßler, Thomas Kurzeder Selbstverständlich kommt nun der Im Süden beginnen schon die Similaun dran, dessen Gipfel wir aber abendlichen Sonnenstrahlen die Gipfel wieder recht eilig verlassen, ist er doch der Königsspitze und des Ortlers mit an diesem Sonntag der Schmelztiegel einem feinen Rot zu überziehen, als wir, äußerst zahlreicher und lautstarker eine fünfköpfige, begeisterte Gruppe Italienerpartien. Aber dieser Umstand zum ersten Mal unsere Rucksäcke able- kann nicht verhindern, dass wir im An- gen, um zu verschnaufen. Das Schnals- blick des Bergkranzes um den Marzel- tal liegt uns tief zu Füßen und die lenferner einen großartigen Tourenplan Bellavistahütte verspricht auch nicht für den nächsten Tag fassen: Bei tiefer mehr weit zu sein. – Schließlich langen Dunkelheit treten wir am folgenden Tag wir am Hochjoch an, wo um unsere um 4 Uhr aus der Samoarhütte, die wir Barfüße, die wertvollen Bergstiefel trägt vortags über den Marzellkamm erreich- jeder im Rucksack, um deren Profil zu ten und steigen, oft stolpernd, in das alte schonen, ein kühler Nachtwind streicht Gletscherbett des Marzellferners hinab. und uns sogleich in die Hütte treibt. Der Drüben muss sehr mühsam der steile folgende Tag sieht uns schon recht früh und hohe Moränenrest überwunden über die hässlichen Schuttfelder zum werden, bevor wir uns einen Weg zu Teufelsjoch wandern, wo wir im Anblick den hoch über uns hängenden Glet- der Weißkugel den Hintereisferner be- scherbrüchen der Mutmalspitze - Nord- treten. An seinem oberen Ende vertrau- wand suchen können. An einem Glet- en wir uns den Steigeisen an und ge- schertisch vorbei, nähern wir uns der winnen auf diese Weise rasch an Höhe; ersten Steilstufe. Wir legen unsere Auf- ein leichter, warmer Felsgrat bringt uns stiegsroute fest und klettern mit der mit dann zum Gipfel. Einem mit einer Eis- Pickel und Eishaken bewehrten Hand schicht überzogenen Gletschertümpel, nach Halt suchend und an einigen Stel- der unsere Abstiegsroute säumt, können len auch Stufen schlagend, drei Seillän- wir bei diesem herrlichen Wetter und gen hoch, um einen bequemen Absatz nach dem eroberten Gipfel nicht wider- zu erreichen. Dabei lernen wir zum ers- stehen. Geschwind werden die Kleider ten Mal mit Eisschrauben um zu gehen, abgestreift und der erste wagt sich vor- die uns als Standsicherung sehr gelegen sichtig abkühlend in das blaugrüne Ele- sind. Ein weiter Sprung über eine Spalte ment. Ein paar Züge nur, dann ist er befördert uns an den Fuß der nächsten wieder draußen. Der nächste ist schon Steilstufe, die schnell überwunden wird. kühner: Er durchquert, mit hastigen Unter den Pickelhieben spritz, im Son- Handschlägen die Eisschicht zertrüm- nenlicht gleißend, der Firn aus der Ab- mernd, den ganzen Tümpel und die an- schlußwächte und öffnet leichteres Ge- deren folgen ihm durch die nunmehr lände: Ein herrlicher Grat führt zum eisfreie „Wasserstraße“. In bester Laune Mutmalspitzengipfel. Es ist nun schon 9 kehren wir abends zur Bellavista zurück. Uhr und unsere geplante Route liegt uns Den Weg zur Similaunhütte nehmen klar vor Augen. Eine weitere Stunde wir über die Finalspitze, die durch die verstreicht mit leichterer Gratkletterei,

23 dann stehen wir auf der hinteren tern wir in zügigem Tempo aufwärts, Schwärze. Wolken hüllen ab und zu den während sich weit im Westen Gewitter- Simlaun ein, den drei Gipfel von und wolken auftürmen. Bereits nach zwei trennen: Die östliche, mittlere und west- Stunden müssen wir feststellen, dass wir liche Marzellspitze. Uns immer am am Gipfel sind. Es ist kaum zu fassen, Kamm haltend, überschreiten wir diese dass wir die 1000 m Höhendifferenz von und stehen nun vor der Entscheidung, der Hütte so schnell schafften. Nur kurze entweder über den grausam zerrissenen Zeit genießen wir die herrliche Aussicht, Marzellferner abzusteigen oder über den dann fahren wir durch die Schuttreißen Nord-Ostgrat auf den Similaun zu ge- der Südwand hinunter, einem Bergsee hen, von wo aus ein bequemer Abstieg entgegen, in dessen Fluten wir bei uns uns zur Samoarhütte bringen würde. Für einen einigermaßen zivilisierten Rein- letzteres entscheiden wir uns und ra- heitsgrad wieder herstellen. In der scher als wir dachten, treffen wir am Abenddämmerung liegen wir dann vor Gipfel ein. Auf unserer Anstiegsroute der kleinen einsamen SAC-Hütte und vom Vortag geht es nun hinunter zur betrachten andächtig, aber doch weh- Similaunhütte, wo der berechtigte Durst mütig darüber, dass dies der letzte Ge- beim Genuss von köstlichen Getränken birgstag war, ein Schauspiel, wie sich schnell weicht. Um 16 Uhr schließlich das vom silbernen Inn durchschlängelte finden wir uns bei der Samoarhütte wie- Engadin allmählich mit Dunkelheit füllt. der ein. (Dieser Artikel erschien auch im Alpen- Ein Föhneinbruch am anderen Tag vereinsheft) erlaubt uns nur einen kleinen Spazier- gang, der uns noch einmal die Schön- Und wieder übers Wochenende ...... heit des Mutmalgletscherbruches und überhaupt die Großzügigkeit des gestri- 9. September 1962 gen Unternehmens vor Augen führt. Große Neuman-Stanekführe durch die Einen regnerischen Tag harren wir noch Sulzfluh SW-Wand mit Fritz, Horst Frie- bei lustiger Unterhaltung auf der Hütte bolin, Werner Hofheinz. Bestes Wetter. aus, dann steigen wir frühmorgens über Nur lange Wartezeiten am Einstieg. die Similaunhütte ins Schnalstal hinab, wo unser Fahrzeug steht. Hatte zweifel- Bergseeschien-S-Grat haftes Wetter uns aus den Ötztalern vertrieben, so herrschte nun makelloser 16. Sept. mit Fritz, Wolfdieter, Wer- Sonnenschein, als wir über den ner Hofheinz. Übernachtung in Ofenpass ins Engadin hineinfahren, wo Göschenenalp auf Matratzenlager. schon von weitem die mächtige Pyrami- Überm Gletschhorn wölbt sich eine ge- de des Piz Linard zur Besteigung ein- waltige Föhnmauer, die uns aber nicht lädt. stört bei der genussvollen Kletterei. Von Lavin aus gehen wir auf die Linardhütte, wo wir um 14 Uhr ankom- Trettach men. Nach einer kurzen Pause brechen wir zu einem Erkundungsspaziergang 23. Sept. mit derselben Besatzung. auf, allerdings nicht ohne Hintergedan- Am Samstagabend das ganze Tal hinter ken, noch heute den Linard zu erklim- gelatscht nach Einödsbach, ab Birgau men, denn das Wetter scheint über unter Alkohol stehend. In Einödsbach im Nacht umschlagen zu wollen. Gedacht, Touristenlager geschlafen. Über Walten- wie getan: Über den Südwestgrat klet- bergerhaus und die S-Wand auf die

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Trettachspitze. Über den verschneiten 1.3. Abfahrt 7 Uhr mit Bus nach und vereisten NO-Grat und über den Partenen. Einödsberg steigen wir nach Birgau ab. 2. und 3. Gruppeneinteilung ( in 3 Batail- In Oberstdorf besuchen wir noch die lone zu je 10). Eltern von Werners Freundin. 4.3. Aufstieg zur Saarbrückerhütte von Trominier aus. Saulakopf-O-Wand (Bachmann-Zint) 5.3. Winterberg (den Steilhang zu Fuß) und Sonntagsspitze. 7. Okt. Mit Fritz, Werner Hofheinz, Horst Vom Litznersattel tragen wir (ohne Friebolin Margot und Thahiti) die Ski über ver- schneite Geröllhalden und Felsen zum Gastlosen-Überschreitung Sattelkopf hinauf und queren den obers- ten Verhupfgletscher zum N-Grat der 21. Oktober mit Fritz, Wolfgang Weltin, Verhupfspitze. Über diesen glitschigen, Werner Hofheinz. verschneiten Grat zur Spitze hinauf. Mit Auto bis Abländschen unterm Jaun- Zum Litznersattell zurückzukehren er- pass bei Freiburg (CH) . Auf einer offen scheint mir zu gefährlich. So schwingen gelassenen Alm nächtigen wir im Stroh- wir großzügig zum Verhupftgletscher lager. Bestes Wetter. hinab. Am langen Steilstück jedoch darf immer nur einer im langen Hang fahren Silvretta – Hochtourenkurs der und nur in einer Spur. Es könnte sich die Universität Freiburg 30 cm hohe lockere Pulverschnee- 1. bis 15. März 1963 schicht in Bewegung setzen. Als endlich alle drunten sind, verlasse ich meinen Meiner Befehlsgewalt unterstehen: „Feldherrnhügel“ und lege in jungfräuli- Karin Speer Clausthal chen Pulverschnee eine makellose Bertold Gaaz Celle Spur, die am folgenden Tag viel Beach- Werner Pfaffenberger München tung findet. Wendelin Altinger Tegernsee 6.3. Von W durch das Schneecouloir Werner Böhm Neustadt Schw. zum NW - Grat des Seehorns. Der Gerhard u. Wolfgang Schütz Kaisersl. Schnee im Couloir ist nicht fest genug, Margot Poppenhusen Hamburg als dass er auf der Felsplatte haften Karin Moitja Saune (Thahiti) Hamburg würde. Mir gelingt es mit der hektischen Kurt Weis Hildesheim Goldhamstertaktik den Plattengürtel zu Auf dem Bild von links nach rechts: überwinden; von einem Felsvorsprung werfe ich das Seil hinab, an dem sich die ganze Gesellschaft dann hochhieve. An der Gratscharte angelangt, erkenne ich jedoch, dass der Gipfelgrat zu schwierig für die ganze Bande ist. Also kehren wir um und fahren im unteren flacheren Couloirteil auf dem Hosenbo- den abwärts. Dabei wird der Wendelin von einer kleineren Lawine mit ge- schwemmt. Zum Glück hat sich kein Schneebrett gelöst!! Als Ersatz bestei-

gen wir das häufig besuchte kleine

Seehorn.

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7.3. Durch die Kromerlücke über den aufzug zum Tominier, wo das Essen obersten Kromergletscher zum Mittelrü- steht. Die anderen beiden Gruppen ha- cken. Dort Skidepot und Besteigung der ben ihren Teil schon abgeholt. Im Ma- westlichen Kromerspitze von N her. schinenhaus am Vermuntstausee er- Über die Schweizerlücke darauf zum werben wir Bier, die Flasche für 3.- Plattenjoch und ein Stück weiter erneut Schilling. Mein Befehl heißt, die Ski an- Skidepot. Unter drohenden Gratwächten schnallen bevor das Bier zu wirken an- steigen wir ausgerechnet um die Mit- fängt. In einem scharfen Tempo, das mit tagszeit durch felsdurchwachsene S- mir Kurt Weis durchhält, an den Rohren Halden auf die westliche Plattenspitze. entlang in heißer Sonne zum Madlener- Abgestiegen wird einer nach dem ande- haus. Kurz vorher begegnet uns Eber- ren am fixierten Seil. Abfahrt zum See- hard Hauptmann mit seiner Gruppe (ab- gletscher und auf ihm zur Seelücke und züglich der Essenholer). Erstaunt nehme durch sie zur Hütte hinab. ich seine Gratulation zu meinem Ge- 8.3. Zum Litznersattel und durch das burtstag entgegen. Um 15.30 brechen in der Morgensonne tief aufgeweichte wir zur Wiesbadenerhütte auf. Zum und deshalb lawinengefährliche Ver- Glück ist klares Wetter, so finden wir die hupftäli ins Klostertal. Dort häufen wir Hütte gut, die ich bisher erst einmal, die Rucksäcke aufeinander. Über die nämlich gestern von der Schneeglocke nördliche Zunge des Klostertalferners gesehen habe. zur Schneeglocke. Die erschöpfte Mar- 10.3. Eine schwere Föhnmauer got bleibt am W-Aufschwung der Gipfel- wälzt sich über die Dreiländerspitze, die kalotte zurück. An der Scharte zwischen ab und zu freigegeben wird. Wir spuren Schneeglocke und Rotfluh machen wir den Vermuntferner zur Ochsenscharte, danach Rast. Inzwischen trifft Dietrich wo es anfängt zu schneien. Die Felsen Kettler mit seiner Gruppe von der Wies- am Grat zur Dreiländerspitze sind ver- badener über die Rote Furka her ein. Er schneit und sehen schwierig aus. Dies spornt uns an, noch die Rotfluh mitzu- bewegt mich zum Umkehren. Auf ihr nehmen, während er auf die Schneeglo- Drängen hin erlaube ich dem Pfaffi und cke geht. Mit Pfaffi, Wendelin und Kurt Wendelin den Gipfel zu besteigen, was Weis erreichen wir in leichter Kletterei ihnen im wüsten Schneesturm auch ge- zur selben Zeit den Gipfel, wie die Kol- lingt. Eine Stunde nach uns finden sie legen die Schneeglocke. Prima Pulver- sich bei heftigem Schneetreiben in der abfahrt ins Klostertal. Durch dieses hin- Hütte ein. aus an den Silvrettastausee und über Nachmittags stinkt mir die ihn zur Staumauer. Zum Glück kennt die Herumflackerei. Mit Kurt Weis will ich Thahiti das Madlenerhaus. Da mir alles den Vermuntkopf erklimmen. Doch ra- neu ist, lasse ich sie vorausgehen und sen wir an ihm vorbei über den Tiroler- schaue, welchen der zahlreichen ferner zur Tirolerscharte und stehen Schuppen sie ansteuert. Somit ist meine nach weniger als einer Stunde auf ei- Ehre gerettet. In der überfüllten Hütte nem Dreitausender, dem Ochsenkopf. schlafen wir auf den Bänken. (Die Ski lassen wir an der Scharte.) Bei 9.3. Essenholen mit der ganzen der Abfahrt schauen wir den Bande, außer den drei Mädels und Ger- Vermuntkopf mal genauer an und wäh- hard Schütz. In Nebel und Schneetrei- len einen schwierigen, verschneidungs- ben fahren wir die Kardatscha nach artigen Kamin als Aufstiegsroute. Eifrig Partenen hinab. Dort fressen und saufen wirbeln die Schneeflocken um uns. Krie- wir gute Sachen. Dann mit dem Schräg- chend klettern wir und prüfen und säu-

26 bern vom Schnee jeden Tritt und Griff. einen Salto dazwischen schaltend. Da- Den etwa 20 m hohen Kamin verlassen rauf überwinden wir glücklich die lawi- wir oben an einigen Schuppen unter nen- und alkoholgefährdete Kardatscha. Überhänge nach links. Dann leicht und Es folgt ein puritanischer Abschluss- schnell zum Gipfel (2851). Unsichtig ist abend mit meiner Gruppe im Guten die Fahrt in der Dämmerung zur Hütte Tropfen; die anderen durchzechen die hinab. halbe Nacht in der mondänen, Eintritt- gebühren erhebenden Silberbar. 11.3. Schneesturm 15.3. Ein Bus befördert uns nach 12.3. Da es äußerst nebelig ist und Freiburg zurück, wo sich am Karlsplatz schneit, unternehmen wir zur Aufrecht- alles auflöst. erhaltung der Laune einen Orientie- rungsmarsch zum Vermuntpass. Knietief Auf der steht der jeweilig Spurende in den Neu- schneemassen und wühlt. Der Nebel Sa. 30. März – Ostermontag 15. April verzieht sich bald, sodass sich die Kom- 1963 passhilfe erübrigt. Ein rasender Sturm Dichter, warmer Nebel lastet auf am Vermuntpass scheucht uns gleich dem Talkessel von Le Tour, dem klassi- wieder in den Windschatten. schen Ausgangspunkt zur Haute Route, 13.3. Trotz Schneesturm wühle ich im oberen Teil der gelegen. Steile, mich mit Berthold, Wolfgang und Wen- mit nassem Neuschnee beladene Fels- delin in 50 cm schwerem Neuschnee zur abstürze und Rampen bauen sich dort Tirolerscharte. Das alles um der Lang- auf, wo der Weg zur Albert Premier Hüt- weile vorzubeugen. te hinaufführen muss. Das ist der zu- 14.3. „Abfahrt“ von der Wiesbadener. nächst etwas ernüchternde Eindruck, Kein Meter gleiten die Ski von selber. den wir fünf Haut - Route - Aspiranten Mühsam lege ich eine Spur durch den vom Beginn der ersten Etappe erhalten. schweren Schnee, bis uns jemand ent- Bei diesen Verhältnissen und um der gegen spurt. Die Talenge vor dem See fortgeschrittenen Tageszeit würden wir dünkt mich sehr lawinig, weshalb wir in die Hütte wohl kaum erreichen. Wir 30 m Abstand gehen. Am Maschinen- übernachten daher in , um haus laben wir uns wieder am billigen dann auf die leichter zu findenden Bier, was uns verleitet und erdreistet, Argentière-Hütte zu steigen. Auch diese von den Rohren in den Schnee zu hech- Hütte kann als Ausgangspunkt gewählt ten, Werner Böhm und Wendelin sogar werden, wenn gleich der Übergang ins

Val d´ Entremont beschwerlicher ist, als der von der Albert-Premier-Hütte. Die zusätzlichen Mühen nimmt man wohl gern in Kauf, liegt doch die Agentiére- Hütte in einem der großartigsten Glet- scherkessel der Alpen, eingerahmt von den himmelstürmenden Eiswände der Aiguille Vert,- Droite, - Courte und - Triolet. Den Hüttenaufstieg erleichtern wir

uns erheblich durch die Benutzung der Lognan-Seilbahn und des anschließen- den Schlepplifts. Auf der so gewonnen

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Höhe queren wir in tiefem Neuschnee einen Übergang ins Val d`Aprette dar- hinüber zum Glacier d`Argentièr und stellt. Über staubende Pulverschnee- steigen auf dessen orographisch linken hänge gewinnen wir die Sohle des Ta- Ufer bis über den letzten Eisbruch hin- les, wo es durch schütteren Hochwald auf. Nebel und Schneetreiben umfängt nach hinausgeht und schließ- uns, als wir uns auf den Gletscher be- lich auf versulzten Hängen nach geben, um auf die andere Seite zu ge- Orsiéres hinab. Von hier aus bringt uns langen. Mit Hilfe der Bussole erreichen ein Postbus auf der Passstraße des wir bald die gegenüberliegende Rand- Großen St. Bernhards nach Bourg St. moräne, an der wir uns bis unter die Pierre, wo wir die Nacht verbringen. Hütte halten. 3.4. Eine unbarmherzig sengende 1.4. Bei sich besserndem Wetter Sonne sieht uns anderntags das präparieren wir am folgenden Tag den Valsorey-Tal hinausziehen und den un- Aufstieg zum Col de Chardonnet, dem endlichen langen Hüttenhang hochkrie- ersten von drei zu überwindenden chen, über dem, auf einem Felsabsturz Jöchern. Abends tauchen wir aus den thronend, die winzige Valsorey- Hütte sonnigen Höhen in das Nebelmeer hin- schwebt und einfach nicht näher rücken ein, das in wogenden Schwaden bis zur will. Zufrieden stehen wir dann endlich Hütte her aufbrandet. oben und stellen mit Genugtuung fest, 2.4. Die in stiller Majestät emporra- dass der uns bevorstehende Aufstieg genden Nordwände der zum Plateau du Couloir, einer Terrasse und Droit im Rücken, ziehen wir im fah- in den Südabstürzen des Grand len Dämmerschein auf vertrauter Spur Combin, nur schwach überwächtet ist. den Glacier de Chardonnet zum gleich- Ehrfurchtsvoll gleiten unsere Blicke an namigen Col hinauf. Auf diesem gelan- den schwarzen Wandfluchten zum Gip- gen wir nach drei Stunden, als sich die fel des Combin de Valsorey hinauf, dem höchsten Gipfel ringsum bereits im ers- Vorgipfel des Combin de Grafeneire, ten Sonnenlicht röten. Eine steile Flanke den wir morgen besteigen wollen. leitet auf den Glacier du Saleina hinab, 4.4. Auf steigeisenbewehrtem Fuß spu- den wir im oberen Teil befahren, um ren wir die steilen Schneehalden zum dann in nördlicher Richtung zur Fenêtre Col de Meitin im Westgrat des Grand du Saleina abzubiegen. Dieses schmale Combin hinauf und klettern von dort Felstor gibt den Weg zum ausgedehnten über ein Blankeisfeld auf den Glacier de Plateau Trient frei, über das man ohne Corbassière hinunter. Es folgen 200 Gegenanstieg zum letzten, schwierigs- Höhenmeter Abfahrt bis dorthin, wo man ten Joch, der Fenêtre de Chamois ab- in die NO-Wand des Grand Combin hin- fährt. Gewöhnlich erfordert der Abstieg ein queren kann. Durch diese leitet der aus dieser engen Scharte Steigeisen sog. Korridor, eine schräg aufwärtsfüh- und Seilhilfe, doch gelingt es uns, zumal rende Gletscherrampe, die auf der die Verhältnisse es erlauben, auf den Bergseite von einem Felsriegel begrenzt Skiern hinab zukommen. Wie sich spä- wird, über den sich zum Kalben bereite ter herausstellte, ist es um die jetzige Seracs drohend herab neigen. Auf der Jahreszeit (April) wesentlich einfacher, Talseite löst sich die Rampe in wilde am orographisch rechten Rand des Gla- Eiskatarakte auf. Der Korridor selbst cier de Trient, allerdings an gewaltigen wird auf halber Höhe von einem Bruch Brüchen vorbei, weiter ab zu fahren und durchzogen, über den wir auf Anhieb auf den wenig nördlicher liegenden Col einen Weg entdecken können. Auf ca. des Ecadies aufzusteigen, der ebenfalls 4000 m lassen wir die Ski zurück und

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schnallen die Steigeisen an. Eine 30 m bedeutet das letzte Hindernis, dann hohe Eismauer (Mur de Côtes genannt)

öffnet sich leichteres Gelände, über das wir ten Hänge zum Plateau Couloir hoch rasch zum Gipfel gelangen. Die Wolkende- steigen, auf dem uns nach dreistündi- cke hat sich inzwischen so gehoben, dass gem Aufstieg warmes Sonnenlicht um- wir bei Nebel und schwachem Schneetrei- fängt. In herrlichen Schwüngen geht`s ben den höchsten Punkt dieses mächtigen auf dem Glacier de Sonadon hinunter Massivs betreten, kaum können wir die und anschließend in kurzem Anstieg nach Osten vorgebaute Gipfelwächte zum Col de Sonadon. Eine 1200 Höhen- erkennen. Bei der Rückkehr zur Hütte meter überwindende Abfahrt über den bereitet die Eisflanke am Col de Meitin noch Glacier du Mont Durand und Glacier du ziemliche Schwierigkeiten, bis wir dann Fenêtre entschädigt uns in genussvoller verdrossen, die Ski auf den Rucksack Weise für die Mühen am Morgen. Im geschnallt, die Hänge zur Valsorey-Hütte Moränenkessel Grande Chermontane hinabsteigen können. Es folgen nun drei legen wir eine Rast ein, um dann durch Schlechtwettertage, die wir geduldig eine Felsschlucht auf den 8 km langen ausharren. Von einer Partie, welche nach Otemmagletscher zu gelangen. In widri- einem Tag schon wieder absteigt, können gem Pappschnee, bei häufigem Ab- wir etwas Proviant haben. wechseln der Spurenden, rücken wir nur 8.4. Wir schließen uns mit sieben in schleppendem Tempo vor. Aufzie- Gleichgesinnten zusammen und bre- hende Bewölkung dämpft zum Glück chen am vierten Tag auf. Im Westen etwas die stechenden Sonnenstrahlen gleißt die Firnkuppe des Montblanc im und auf der halben Höhe des flachen Mondlicht, als wir die uns schon bekann- Gletschers wird auch der Schnee ange-

29 nehmer. Nur zögernd bleiben die zahl- ben eingesetzt hat. Über den oberen reich einmündenden Gletscherströme und unteren Arollagletscher fahren wir und Felsgrate zurück, bis wir endlich nach Arolla hinunter und laufen auf der nach fünf Stunden zum Col de durch mächtige Lawinen blockierten Chermontane kommen, den man schon Straße nach Le Haudères hinaus. Dort geraume Zeit zuvor zum Greifen nahe nächtigen wir in einem Wirtshaus und vor sich wähnte. Eine kurze Querung treten anderntags die Heimreise an. und ein Felsgrat leiten zur Vigettes- 13.4. In Martigny warten wir auf un- Hütte, die wie ein Schwalbennest über seren Kameraden, der in Argentière das einer hohen Felswand klebt. Wieder tobt Auto holt. Das Wetter ist aber viel zu drei Tage lang der Föhnsturm um die schön, jetzt schon wieder heim zu fah- Hütte und wieder können wir nur des- ren. Die Heimreise wird deshalb aufge- halb so lange ausharren, weil andere schoben und zwei Stunden später sind Partien die Belagerung aufgeben und wir bereits in Saas Fee, dem eigentli- uns ihren Proviant verkaufen. Dann wird chen Ziel der Haute Route. das Wetter besser und mit der Gewiss- 14.4. Die ersten beiden Stunden des heit, am Abend in Zermatt zu sein, bre- nächsten Morgens verbringen wir, in chen wir auf. ungewohnter Menschmasse stehend, 12.4. Karfreitag (fast noch der 13.) vor der Talstation der Längfluhseilbahn. Über dem Cole de l`Eveque erreichen Eine Stunde vor Mittag erreichen wir wir den oberen Arollagletscher; aus dem dann endlich die Gletscherinsel die Felsinsel „La Vierge“ emporragt. Das Längfluh, den Gegenwert von Fr. 8,80 nächste Joch, der Col du Mont Brulè, und zwei Stunden Anstehen. Um diese liegt unauffällig in einem zergliederten Zeit noch auf einen Gipfel aufzubrechen Grat, so dass wir seine genaue Lage widerspricht unseren Grundsätzen, durch Kompasspeilung ermitteln müs- weshalb wir uns missmutig zur Britan- sen. Siegesgewiss legen wir unsere niahütte begeben wollen. In den Aus- Aufstiegsspur in die steile Schneeflanke, puffgasen und auf der festgewalzten wobei die Vorausgehnden ihren Zweifel Fahrbahn eines Raupenfahrzeuges, das an der Festigkeit des Hanges nicht ver- die Touristen noch ein Stück den Glet- hehlen. Wenn wir auch die Bedenken zu scher hinauf transportiert, marschieren zerstreuen versuchen, sind sie doch be- wir los. Als wir aber dann das Getümmel rechtigt, denn einige Sekunden später von Menschen wahrnehmen, die sich in erdröhnt ein dumpfes Krachen und eine Richtung Alalinhorn bewegen und denen fast ein Meter dicke Schicht schwimmt, immer mehr nachströmen, werfen wir sich in Schollen auflösend, mit uns den unsere Rucksäcke in den Schnee und Abhang hinab. Unten stauen sich die tun dasselbe. Mit der Einstellung, die Schneemassen, in den die Mehrzahl von Besteigung des Allalinhornes sei besser uns untertauchen. Die weniger Betroffe- als gar nichts, lenken wir unsere Ski in nen (Uli, Udo) beginnen sofort zu graben die ausgetretene Spur und legen ein und erfolgreich wird einer nach dem gutes Tempo vor, sodass manche Partie anderen wieder ans Tageslicht beför- hinter uns zurück bleibt. Nach zwei dert. Glücklich darüber, so glimpflich Stunden sind wir auch am Gipfel und in davon gekommen zu sein, sehen wir langen Schussfahrten kehren wir zu den gerne über den Verlust der Hälfte unse- Rucksäcken zurück. Die Nacht verbrin- rer Skistöcke und den Bruch eines Skis gen wir auf der Britanniahütte. Wir woll- hinweg und beschließen die Tour abzu- ten noch das Strahlhorn besteigen, aber brechen, zumal mittlerweile Schneetrei- das Wetter verschlechtert sich zuse-

30 hends. Unwillig machen wir uns auf die setzten Zone richtet sich das Gelände Heimfahrt. wieder steil auf. Durch schütteren Wald spuren wir beschwerlich hoch. Allmäh- Teilnehmer waren Udo Patscheider, lich verziehen sich die Nebel, die erst Carsten Ross, Uli und Hans-Wolfgang kurz zuvor noch Regen spendeten. Auch Münster am Doldenhorn oben gewinnt der sich Bericht im Alpenvereinsmagazin (Heute hochwälzende Mond die Oberhand und Panorama) erschienen. lässt uns bald die Hütte erkennen. Hinter uns stapfen zwei Fußgänger, die vor der Wochenende auf Wochenende letzten Steilstufe umgekehrt waren, Kaltenberg dann aber wieder erschienen, als sie uns bemerkten. Um 10.00 entern wir die 27./28. April 63 Hütte. Mit Fritz, Wolfdieter und Dietland Müller 5.5. Ab 5.00 winden wir uns die aus- Sa. mittags: Auf den Albonasesseln zur gedehnten Hänge hoch und gelangen Bergstation, Abfahrt zur Kaltenberg- durch ein steiles, enges Couloir westlich hütte. der Gletscherzunge auf den Gletscher. Sonntag: Bei Nebel auf das Halbzeit (ca. 10.00). Auf der Gletscher- Krachenjoch (ohne Wolfdieter, der um- rampe bis kurz über einen gewaltig klaf- kehrt). Dort treten wir aus dem Nebel ins fenden Schrund. Im bergseitigen Steil- Sonnenlicht; unvermittelt tritt der Kalten- hang dieser „Narbe“ deponieren wir we- berg ins Sichtfeld. Vom Joch fährt man gen Neuschneebrettgefahr die Ski. Ab zum Gletscher hinab und steigt über den hier ist der Gletscher unzerborsten. Keil- langen, gleichmäßig gewölbten Gipfel- förmig verjüngt sich die ganze Glet- hang zur Spitze (nach 3 h von der Hüt- scherrampe zu einem scharfen Grat, der te). Aus den Tälern quollen drohende etwa eine Seillänge lang zum winzigen Nebelschwaden, die aber zum Glück in Gipfel leitet. Bis zum Bauch stehen wir duldsamer Entfernung Halt machen. in den überwächteten Schneemassen Nach langem Gipfelaufenthalt fabelhafte (15.00). Die Sicht ist makellos. Beim Abfahrt. Nach zwei Gegenanstiege (der Abstieg sieht man immer unter sich die erste am Krachenjoch, der zweite auf grüne Talschaft ausgebreitet, ohne je- die Maroiköpfe) bolzen wir durch die doch den Fuß dieser ungeheuren Hang- mörderische Buckelpiste nach Stuben fluchten zu sehen, auf denen wir uns hinunter. Kurz unterhalb der Mittelstation bewegen. Der Gletscher taucht vor ei- bricht sich Dietland den Knöchel. Die nem scheinbar lotrecht hinab ins grüne Bergwacht holt ihn in kühner Weise über Tal. Im tiefen Neuschnee ist die Abfahrt den letzten Steilhang hinab. eine Aneinanderreihung von Schrägfahr- Doldenhorn ten und Spitzkehren. Nur das steile Cou- 4./.5. Mai 1963 loir kann ich mit einigen Schwüngen durchmessen. Man ist eben zu sehr er- Werner Hofheinz, Horst Friebolin, Sepp ledigt nach 10 Stunden Bewegung, um Kleiser in dem schweren Schnee noch etwas Elegantes ausrichten zu können. Bei Sa, 4.5. um 19.00 in Kandersteg. vernünftigem Schnee dürfte das Dol- Durch den Bärentritt über den Felsriegel, denhorn eine der geschlossensten und wo der Weg im Schnee verschwindet. längsten Abfahrten bieten! Nach einer Nach der flacheren, spärlich, baumbe- wüsten Bolzerei schnallen wir unterhalb der Waldgrenze (nach einem nochmali-

31 gen Hütten-Aufräumbesuch) die Ski ab. abfahrend angelangt, überlegen wir uns, Um 19.00 sind wir in Kandersteg um 1 ob wir die Ski abschnallen oder nicht; Uhr zuhause. denn eine Spalte ist nur auf einer, schräg durch sie gespannte Eislamelle, Tödi balancierend zu nehmen. Da macht sich 11./12. Mai 63 ein Rumpeln und Dröhnen breit: Ein scheinbar recht ansehnlicher Serac Fritz, Bernhard Dischler (mit seinem muss das Gleichgewicht verloren haben Wagen), Franz Kneer, Reinhard Zim- und ergießt, sich in großen Eisschollen mermann, den wir in Baden abholen. aufgelöst, über unsere Aufstiegsserpen- Es ist schon lange dunkel als wir tinen. Eine glänzende Bestätigung der nach 4 h um 9.00 die ziemlich besetzte philosophischen Koppelung zwischen Fridolinshütte erreichen. Es ist neblig Zeit und Sein! und regnet tut`s beim Aufstieg. „Umkehren können wir immer noch“ Titlis sage ich, als wir um 4.30 aufbrechen. 18./19. Mai Tiefgehende Wolken verhüllen den Gip- fel. Die zwei Eiskatarakte im Bifertenfirn Horst Friebolin, Franz Kneer, Werner überwinden wir reibungslos. Der Rein- Hofheinz, seine Freundin Karin, Sepp hard schießt noch eine „Notaufnahme“ Kleiser von irgendwelchen Abstürzen, denn der Im Hotel Trübsee auf den Bänken im Nebel will gerade die letzte Sicht neh- Speisesaal geschlafen. 6.00 – 10.00 men. Doch stellt sich bald heraus, dass Aufstieg im Nebel mit lichten Momenten. wir das Nebelmeer in der Höhe zu über- Fabelhafte Fahrt über die Gipfelkalotte, treffen im Begriff sind. Der Westbiegung weil gerade dort der Nebel aufreißt. des Bifertenfirns folgend, gelangen wir in einen großen Gletscherkessel und durch Freiheit S-Wand ihn auf den Sattel zwischen Piz Russein Christi Himmelfahrt 23.5.63 und Glarner Tödi. Als erster komme ich in den Genuss, meine Spur über den Fritz, Horts, Werner Pfaffenberger, John Grat zum Gipfel zu legen. Dabei kommt Potter einem so richtig die Wuchtigkeit und Um 11.00 am Einstieg. Die ganze Erhabenheit des Tödimassivs zum Be- Kletterei spielt sich im Nebel ab. Horst wusstsein. Man schreitet auf stumpfem, und ich wären beinahe in eine ganz an- flachem Grat über einen, an alle Hori- dere Wand eingestiegen. Vom Freiheit- zonten reichendes Nebelmeer dahin, gipfel steigt man in eine Scharte ab und aus dem nur wenige andere Gipfel dann auf den Hundstein. Von ihm führt schüchtern herausragen. Nicht einmal ein Weg nach Bollenwies hinab, auf den das Berner Oberland mit seinen Riesen uns Schweizer auf dem Gipfel aufmerk- kann die Illusion nehmen, höher als alles sam machen. andere zu sein. Um 11.00 droben. Bis zum Tentiwang können wir herrlich ab- Schesaplana fahren. Die Lawinenkegel erlauben noch einige „Skimeter“. Regnerisch ist der 25./26. Mai Abstieg. Fritz, Bernhard Dischler, Dr. Westphal ( Nachtrag (solche Begebenheiten Kollege von Fritz) vergisst man zum Glück gleich und Den Dietland Müller (mit Gipsfuß) leicht.): Am oberen Biferteneisbruch nehmen wir bis Bludenz mit, von wo aus

32 er nach Innsbruck mit dem Zug fährt. An angenehm. Zumal ein Gewitter uns ge- der Seilbahnstation zur Douglashütte rade dort erreicht, wo in einer zu que- verlassen wir auf Ski das Auto und stei- renden Felswand der Sommerweg gen in einer halben Stunde zur Doug- sichtbar wird, der unter Überhänge dort lashütte auf (Nebel). Bei bestem Wetter durchführt. Somit haben wir gleich einen stehen wir nach 3 h um 8.00 auf dem günstigen Unterstand. Am Eiger und Gipfel. Langes Sonnenbaden, dafür Mönch zucken die Blitze ins verhangene schlechte Abfahrt. Eismeer. Eine Traverse in tiefem Schnee auf steilem Hang bringt uns Ums Finsteraahorn übern gewaltigen Eisbruch auf den Glet- scher und über ihn zur kleinen Strahl- Pfingsten 1. – 3. Juni 1963 egghütte. Das Wetter klart auf, kalt Hosrt, Franz, Bernhard, Sepp Kleiser, leuchtet das Abendrot hinter fliehenden K.G. Zimmermann Wolkenbänken. Gegen 21.00 nach 10 h 1.6. Um 5.00 ab nach Grindelwald. Aufstieg bei der Hütte. Ab 11.0 durch die Gletscherschlucht 2.6. Bei fahlem Morgenlicht steigen über den Zäsenberg zur Strahlegghütte. wir hinter der Hütte schräg aufwärts Am Fuß des Zäsenbergs, genau an der nach Osten querend hoch. Der Schnee Ecke, wo der Grindelwaldgletscher und ist beinhart gefroren. Auf die Stahlkan- Eismeer ineinanderfließen, überwinden ten ist kein Verlass und um die Knöchel wir einen hohen Moränenrest, um darü- zu entlasten vom ewigen Kanten in den ber in flacheres Gelände zu gelangen. steilen Flanken, hängt man sich quasi Kurze Zeit zuvor, als wir etwa in der Mit- zwischen die Stöcke. Über die immer te des Zusammenflusses von Grindel- noch ausgedehnten Lawinenfelder mit waldgletscher und Eismeer stehen, ver- harten Eisschollen, über die man nur so nehmen wir vom Eiger her ein Grumpeln dahin stolpert. Trotz Harscheisen eine und Donnern, ohne zunächst die Ursa- Qual. Nach 3 h sind wir erst am Finster- che feststellen zu können. Doch gleich aahornsattel. Lange müssen wir auf drauf ist die Ursache ersichtlich: Ein Horst warten; er ist erledigt. Als er dann Eissturz schießt aus einem breiten Cou- noch Einblick in die Agassizrinne ge- loir hinter dem östlich an den Eiger an- winnt, ist er vollständig zermürbt. Auch gebauten Felsmassiv hervor und ergießt Sepp und Bernhard werden unschlüssig sich tosend in die obere Gletscher- und wollen über den Lauteraargletscher schlucht!! Unaufhörlich ist das Fließen zum Grimselpass abfahren. Mit Karl der Eismassen. Es mag wohl einige Mi- Gerhard steige ich deshalb einfach los. nuten dauern. Bernhard findet ausrei- Dies und nicht gerade höfliche Aufforde- chende Zeit, das Spektakel in seinen rungen, auch hoch zu kommen, bewegt Stadien zu fotographieren. Vor etwa sie schließlich doch dazu. Die uns be- einer halben Stunde sind wir dort ge- vorstehende Rinne ist zwar 45o steil und standen, wo sich nun meterhoch die 400 m hoch, doch ist in ihr der Weg Eismassen stauen! Keine Schwermut! nicht zu verfehlen, wohingegen die be- Von unten sehen die Hänge des reits umnebelten Gletscherbrüche des Zäsenberges nicht gerade gangbar aus. Lauteraarfirns ein unberechenbares Es scheint dort eine geschlossene Fels- Hindernis bedeuten. Alle Vernunftgründe flucht zu stehen. Doch ist erstaunlich viel sprechen für die Rinne. Außerdem se- Platz zum Aufsteigen, wie sich zeigt, hen wir gerade ein paar Burschen über wenn man erst einmal dort ist. Nur das die kleine Wächte in die Rinne abstei- Zurückqueren auf den Gletscher ist un- gen. Das ist ein Überzeugungsmonet

33 mehr. 2 h steigen Franz, K.G. und ich herrlich und lang. Es beginnt nun eine teils im Schnee, teils in den ungeheuer lange Traverse, hoch überm Lauter- brüchigen Felsen nebenan. Die abstei- aarsee, der natürlich entleert ist, etwa gende Partei benötigt dieselbe Zeit zum auf der verschneiten und verwehten Abstieg, wie wir zum Aufstieg. Sepp, Fahrstraße, die nur zum Oberaarsee Horts und Bernhard rasten oft. Dann leitet, zum Grimselpass vor. Heulend sieht man von oben nur ihre weißen höhlt eine Schneefräse eine Gasse in Sonnenhüte sich hin und her bewegen. den Schnee. Nicht mehr lang, dann hat Anstatt untätig auf die drei am sie die Verbindung zur, auf der anderen Agassizjoch zu warten, steigen wir kurz Passseite tobenden Maschine, herge- auf das Agassizhorn, das ziemlich stellt. Bis Handeck marschieren wir auf knapp unter 4000 m liegt. Ein fabelhafter der Passstraße im Eilschritt, denn um Tiefblick auf Grindelwalds östliche Häu- 12.00 soll dort ein Bus abfahren, haben ser und Matten. Am Finsteraarhorn drü- wir von Schweizer Kollegen erfahren. ben schließen sich die Nebel gerade Wir schaffen` s auch gerade noch, dank überm Grat zusammen. Leider ist nun einiger Abschneider und dank dem Um- schon Mittag, da können wir nicht mehr stand, dass der Bus erst um 12.15 ab- über den Grat zum Hugisattel und weiter legt. Hier im Tal ist das Wetter ganz idyl- zum Gipfel. Auch sind die alten Herren lisch und die Gegend schön. In Mei- nicht mehr auftriebsgeladen. Fahren wir ringen setzen sich Horst und Bernhard jetzt zur Finsteraarhornhütte ab und auf den Zug, um in Grindelwald die Au- steigen morgen auf das Finsteraar- tos zu holen. Gegen 16.00 sind sie zu- schloch! In leichter Abfahrt über einige rück. Bei Sarnen, schon überm Brünig- Spalten hinweg geht`s zum Fiescher- pass, versperrt ein Erdrutsch die Fahr- gletscher hinab. Bald um die Ecke links bahn. Zurück! Mühsam winden wir uns oben liegt die Finsteraarhornhütte. Men- am Brienzer- und Thunersee entlang in schenmassen quellen aus allen Öffnun- die entgegengesetzte Richtung. Um gen der neuen und alten Hütte. Maßlos 23.00 Heimkunft. überfüllt! Im Schlafraum liegen die Tou- risten fast übereinander, jetzt schon am Mal kurz im Dachsteingebiet helllichten Tag! Damit ihnen niemand das Lager besetzt. Selbst im Aufent- 13. (Fronleichnam) - 16. (So) Juni 1963 haltsraum wollen so viele Leute schla- Fritz, Wolfdieter, Werner Pfaffenberger fen, dass ich froh bin, unter einem Tisch und halb unter der Bank mich hinstre- 13.6. 6.00 los, über Bischofshofen – cken zu können. Filzmoos bis auf die Au-Alm kurz unter- Um 5 Uhr am nächsten Morgen ist halb der Hofpürgelhütte. In 20 min auf das Gedränge so groß, dass ich meinen diese hinauf. Schlafsack im Stehen zusammenwickeln 14.6. Bei zweifelhaftem Wetter in 2 h muss. Die Gegend ist schwer verhan- an den Fuß des Windlegergrats am gen, still segeln die Schneeflocken zu Thorstein gelaufen. Nur wenig schöne Boden. Finsteraarhorn adieu! Dem all- Kletterstellen unterbrechen das, in Auf- gemeinen Touristenstrom folgend, fah- lösung begriffene Kalkgestein. Gegen ren wir zum Rotlach auf dem Fiescher- Mittag haben wir die Stelle erreicht, wo gletscher, steigen zum Oberaarjoch hin- die Gratlinie nach Osten umbiegt und auf und fahren über den Oberaar- waagrecht wird, um dann sich zum gletscher zum Oberaarstausee hinab. Thorsteingipfel nochmal aufzubäumen. Alles im Nebel. Die letzte Abfahrt ist Da es völlig zu gemacht hat, nutzen wir

34 hier die letzte Gelegenheit aus, auf ein det sogleich Regen. Im Eilmarsch Schneefeld und auf leichteres Gelände durchmessen wir das Klostertal und tref- zu entweichen. Somit haben wir 2/3 des fen bei prasselndem Regen beim Auto über 1000 n hohen Windlegergrats erle- ein. digt. Durch das Kar westlich davon stei- Bilanz: 4 Dreitausender an einem Tag. gen wir auf die bekannte Zugangsroute zurück. Fluchthorn – Überschreitung 15.6. In der Nacht hat es geschneit. Also ab! In Bischoffingen am Kaiserstuhl 6./7. Juli 1963 fallen wir bis Sonntagmorgen um 3 Uhr Fritz, John Potter, Werner Pfaffenberger noch herum. 6.7. Durchs Paznaun nach Galtür und noch weit ins Jamstal hinein (bis zur Durchs Herz der Silvretta Scheibenalm). Beim Aufstieg überholt uns der Hüttenwirt und lädt unsere 29./30. Juni 63 Rucksäcke in seinen Jeep. Fritz, Wolfdieter, Uli Münster, John Pot- 7.7. 2.30 Aufbruch. Hart am Rand ter einer gewaltigen Föhnmauer über Drei- 29.6. Abfahrt zum Stausee und Auf- länder – und Jamsspitze rollt der volle stieg zur Wiebadener. Mond. In seinem Schein steigen wir 30.6. Ab 3.30 streben wir dem Richtung Gamshorn die Hänge hoch Silvrettahorn-O-Grat zu. Über brüchiges und queren dann auf Schutthalden lang Gelände von N auf den Grat. Alles ohne zum Fluchthornferner hinüber. Er wird Seil. Eine schmale Firnschneide von der Lareinscharte begrenzt, die wir schwingt sich zum Gipfelaufbau hinüber. über mehrere Seillängen hohen, äußerst Der letzte Hang setzt der Bruchkletterei brüchigen Felsaufschwung erklimmen. die Krone auf. Etwa um 8.00 oben. Fritz In der Scharte stürzen uns die ersten kommt später an, weil er sich mit John Sonnenstrahlen entgegen. Den N-Gipfel und dem zu uns gestoßenen Günter erreiche ich mit Wolfdieter um 6 Uhr. Seidel, der bei Laterns seine geologi- Etwa eine Stunde warten wir auf den sche Diplomarbeit macht, abgeben von John Porter gebremsten Fritz. Aus- muss. Auf bequemen Grat laufen wir gesetzte Kletterei über eine griffige Kan- dann zur Schneeglocke hinüber, setzen te bringt uns auf den Mittelgipfel. Aber- uns dort auf den Hosenboden und fah- mals langes Warten auf John und Fritz. ren die N-Flanke in aufgeweichtem Firn Kühner Abstieg und Aufstieg auf den S- zur Schattenlücke hinunter. Auf Blodigs Gipfel durch ein vereistes Felsloch, in Spuren klettern wir auf die Schattenspit- dem Pfaffi klugerweise zur Steigeisenhil- ze, wo ich lange auf die angeseilten Bu- fe greift. Lange weilen wir auf dem Gip- ben warte. Ein langer, interessanter Grat fel (ab 2.00), speisen ein Wasserwerk führt zum Klostertaler Egghorn. Es ist mit Sonnenenergie, indem wir Schnee- herrlich so unbeschwert von Seil und wasser in die Helme rinnen lassen und sonstigem Zubehör auf der Gratschnei- sonnen uns. Abstieg nach Süden erst de dahin zu eilen. Ab - und Aufstieg über über Schrofen, dann abfahrender Weise Grattürme werden erkundet und überlis- durch ein langgestrecktes Firncouloir. tet. Vom Klostertaler Egghorn steigen Die Luft flimmert über vegetationslosen, wir nach Westen auf den Klostertaler öden, rotbraunen Moränenwällen. Durch Ferner hinab. Bis jetzt war das Wetter die wir bald auf die begrünte Talsohle angenehm doch überschwemmt nun hinabrammeln. Oft wiederholt der tosen- eine Wolkenfront den Himmel und spen- de Bach seine Einladung zu einem Bad,

35 bis ich ihr schließlich kurz vor der Hütte folge. Keine Seilschlinge hat den Brust- korb heute eingeschnürt, jeder Griff und Tritt hat mein Vertrauen gewürdigt und auch mein Selbstvertrauen gestärkt.

Blümlisalp – Überschreitung

13./14. Juli Fritz, Bernhard Dischler, Reinhard, Uli 13.7. Wir benutzen die Seilbahn zum Öschinensee. Im Nebel und Regen auf die Blümlisalphütte (3 h von Kander- steg). In der Nacht tobt ein Unwetter. 14.7. Um 2.30 stellt Reinhard die Be- hauptung auf, es sei Sternehimmel. Man sieht auch wirklich zwischen Wolkenfet- zen ein paar Sterne. In der Gaststube warten wir auf den Wirt wegen des Übernachtungsgeldes. So kommen wir erst um 3.30 los, allerdings ohne große Reinhardt, Uli, ich an der Blümlisalp Hoffnung auf Wetterbesserung. Diese erweist sich aber allmählich als über- Grat und dann durch die Westflanke flüssig, zumal wir uns über das schlech- steigen wir auf den Öschinengletscher te Wetter erheben und bald auf wogen- ab und tauchen damit ins Wolkenmeer. des Wolkenmeer herabschauen. Ohne Auf Drängen von Reinhard besuchen wir Schwierigkeiten die NW- Flanke auf das das kleine Öschinenhorn. Auf der Spur Morgenhorn. Auf schmalem Schneegrat der oben erwähnten Führerpartie stei- zur weißen Frau. Wechselvoll ist der gen wir durch Gletscherbrüche ab und Verlauf der Schneescheide, die meist queren dann in die W - Flanke das nach SW überwächtet ist und sich wie Öschinenhornmassiv auf den Gletscher eine Schaumrolle zusammenwickelt. Um zwischen Fründenhorn und selbigem. 11.30 am Gipfel. Über den Südgrat Allerdings irren wir noch lange auf ab- kommt gerade eine Führerpartie hoch. schüssigen Schrofen herum, bevor uns Ein dumpfer Krach lenkt unsere Auf- der Abstieg auf den Gletscher gelingt. merksamkeit auf sie: Dicht beben dem Dort, wo die W-Flanke des Fründen- Früherer ist eine Wächte aus dem Grat horns im Schutt ausläuft, traversieren gebrochen und hinterlässt eine große wir wieder nach SW und lassen uns an klaffende Lücke. Über den oberen NW- Drahtseilen auf den Gletscher hinab, an ihm liegt die Fründenhütte. Alle Serpen- tinen schneidend, rammeln wir zum Öschinensee hinab. Ein Bad rundet den Wechsel an Gegensätzen ab.

Balmhorn – Gitzi (SO)-Grat

20./21. Juli 1963

36

Bernhard Dischler, Franz Kneer, K.G. ser Alpen. Um 18.30 wieder bei der Hüt- Zimmermann, Wolfdieter te. Da die Nächtigung 3,50 Franken zu- 20.7. Kandersteg ab 13.30. Durchs züglich 30 Rappen Kurtaxe wert ist und Gasterntal zum Lötschenpass. Ur- außerdem das zulässige Füllungsver- sprünglich wollten wir unter der „Balm“ mögen der Unterkunft weit überschritten an der Zunge des Lötschengletschers ist, strecke ich mich neben der Hütte auf nächtigen, doch bestätigen uns immer ein paar Bretter in meinem Schlafsack mehr Leute, dass am Lötschenpass eine hin. Die Nacht ist lau. Eine Schweizer Hütte existiert. Also gehen wir halt da- Jungmannschaft, vergleichbar mit einem hin. In der Tat ragt dort ein bewirtschaf- Konzentrat von Kretins, lärmt fast die teter Schuppen, der von einem Bergfüh- ganze Nacht. rer betrieben wird. Da wir schon um 21.7. Um 3.00 brechen wir auf. Vor 17.00 da sind (Bernd und Wolfdieter uns gehen zwei verträgliche schweizer nicht) steigen Franz, Kaga und ich zur Alpinisten. Am Einstieg müssen wir noch Gitzifurgga und von dort auf den Grat etwas auf die Helligkeit warten. Bernd, zum Ferdenrotstock. Von ihm schaut Kaga und Franz seilen sich an; Wolfdie- man direkt auf den gegenüberliegenden ter und ich gehen solo. Sehr zum Ge- Gitzigrat, durch dessen Türme vereinzel- spött der „Kretins“, die uns mit den Wor- te Nebelfetzen hindurchgreifen. Auch ten „mit Helm aber ohne Seil“ charakte- Leukerbad ist zu sehen, sowie die Walli- risieren. Der Grat hat mehrere senkrech-

te Aufschwünge von ca. 40 m, die man zahlreiche Menschen häufen. Mit Wolf- direkt durchsteigen kann, was zuvor dieter gehe ich auf den Altels hinüber, unmöglich erscheint. Nur dies Stellen während die anderen mitten am Grat haben festes Gestein (Kalk). Um 8.30 aufgeben, weil sie meinen, alles zurück- sind wir am Gipfel, auf dem sich bereits gehen zu müssen. Sie steigen über den

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Zackengrat ab. Vom Altels haben wir löscht der Wirt das Licht in der überfüll- unmittelbar Einblick in das, unter uns ten Hütte. liegende Kandertal. Endlich stehe ich 28. 3.00. Fernes Wetterleuchten auf dem Gipfel, den man immer so un- durchzuckt immer noch die Nacht. Die wirklich vom Tal aus in der Sonne glei- Hütte „lauft aus“. Einer Prozession aus ßen gesehen hat. Unwirklich, weil er so Kultzwecken gleicht das Bild: Immer jäh und hoch aus dem Talgrund sich wieder lösen sich einzelne Gruppen, ein empor wuchtet. Über seine lange, jeder mit seiner Taschenlampe die Um- schräg geneigte Westflanke fahren wir gebung abtastend, von der Hütte. Weni- auf Schutt- und Schneefelder auf grüne ge biegen zum Roseg ab. Glücklicher- Matten ab. Ein Arvenbestand lädt zum weise können wir uns an die Spitze set- Verweilen ein, was wir zwischen blü- zen und Abstand gewinnen. Der Weg ist henden Alpenrosen auch tun. Im durch Steinleute gut gekennzeichnet, Gemmital betreten wir einen breiten, erfordert aber dennoch große Aufmerk- menschenreichen Weg, dem wir zur samkeit. Es wird gerade hell, als wir den Bergstation der Stockbahn folgen. Der Tschiervagletscher oberhalb seines Bru- besoffenen Kabinenschaffner bzw. sein ches betreten. Noch einmal weichen wir Zustand erlaubt uns unentgeltlich davon in den Fels aus, dann seilen wir uns zu kommen, weil wir die Billets unten zusammen und spuren in rutschigem nachlösen sollten, dort aber seiner be- Altschnee zur Fuorcla Prielusa hoch. einträchtigten Aufmerksamkeit entrinnen Das erste Gratstück besteht aus einem können, zumal er in der Vielzahl der, Felsaufschwung, der zum Glück nur aus der weit überfüllten Kabine auslau- schwach vereist ist. Unter einem letzten fenden Menschen, die Übersicht verliert Felsturm östlich vorbei, betreten wir den (was einem bei dieser Satzkonstruktion eigentlichen Firngrat. Wo man aus dem ebenso leicht passieren kann). Es dau- Fels in den tiefen Firn überwechselt, gibt ert nicht lange, da finden sich auch die Franz nichtgenug acht und kommt, auf anderen Drei beim Auto ein. dem unterm Firn lauernden Blankeis, ins Kurz vor Thun baden wir im See, Rutschen. Das Seil ist fast aus, als Wer- dann geht’s auf quietschenden und heu- ner ihn abfängt. Von diesem Erlebnis lenden Reifen (ich am Steuer) heim. erfahren wir erst am Gipfel, weil Uli und ich rasch einen gewaltigen Vorsprung Bianco-Grat gewinnen. Es sind allerorten gute Stufen in hartem Schnee. Mühelos ist das Fort- 27./28. Juli 1963 kommen. Am Piz Bianco beginnt eine Werner Hofheinz, Franz Kneer, Uli charmante Kletterei. Der berühmte Grat- turm ist gut zu überklettern und der Gip- 27. Sa. Um 13.00 in Freiburg weg. fel dann nicht mehr fern. Um 8.30 habe Über Weil – Wildhaus – Chur – Julier- ich meinen 3. Viertausender meiner be- pass (alle Kurven mit Vollgas und Po- scheidenen Sammlung eingereiht. Ein werslide) nach Pontresina 19.30. Über alter Wunsch ist Wirklichkeit geworden. der Glüschaingruppe zucken die Blitze Das Wetter ist fabelhaft, abgesehen von grell aus einer riesigen Wolkenzusam- einem schneidenden, kalten Luftzug. menballung und erleuchten für Sekun- Erst um 10.30 trudeln Werner und Franz den unseren Weg. Um 10.00 erreichen (ziemlich verstört) an Gipfel ein und er- wir die Tschiervahütte. Ich kann gerade zählen ihr Missgeschick. In den zwei noch etwas Essbares verschlinge, dann Stunden des Wartens kommt mir die Idee, die ich am liebsten heute verwirkli-

38 chen würde: Zum Piz Scherschen hin- Gorges du Durnant nach Champex. über und über seine Eisnase zur Haarscharf passt das Auto auf den Tschiervahütte zurück zu kehren! Aber Saumweg, der ins Val d´Arpette hinter als Werner und Franz ankommen, sind führt. Hinter den letzten Almhütten, in bereits wertvolle Stunden verstrichen. der Mitte des schütteren Lärchenwaldes, Es ist nicht mehr möglich und ihre Un- errichten wir das Zelt. In ihm und im Au- lust zu groß. to verschlafen wir eine blitzdurchzuckte Über den ausgetretenen Spalla-Grat und donnerträchtige Nacht. steigen wir auf den Labyrinthgletscher hinab. Der ist stark versulzt, tief sackt Pointes des Ecandies man bei jedem Schritt ein, manchmal deshalb, weil eine Spaltenbrücke nach- 4. Aug. Von Champex heraufwal- gibt. Der Reihe nach versinkt jeder Mal lende Nebelschwaden bringen fortwäh- bis an die Brust in einer der vielen ver- rend neu Regenböen. Durch triefende borgenen Spalten. An zahlreichen Stel- Baumbestände und Almrosenhecken len wartet man darauf, jeden Moment wandern wir ohne große Hoffnung auf samt dem prekären Schneegewölbe in dem Talboden dahin, queren Moränen- die Tiefe zu fahren. Unten queren wir wälle und steigen schneedurchsetzte zur Bovalhütte hinüber und laufen nach Blockhalden hinauf, um nach 3 h schon Morteratsch vor. Ich laufe nach Pontre- um die Mittagszeit den Cole des sina vor, allerdings nicht ohne mich über Ecandies zu betreten. Die Nebel sind die Länge der Hatscherei zu wundern. Am Rande von Pontresina wird`s mir dann zu dumm. Ich steige in einen gera- de haltenden Zug, zahle 50 Rappen und genieße förmlich, welche große Distanz das Gefährt noch bis zum Pontresinaer Bahnhof durchmisst, wo das Auto steht. Aber nein, die 50 Rappen entsprechen nicht der Entfernung zum Hbf. sondern dem Schienenweg, der in einem großen langen Bogen sich dorthin wölbt. Zu Fuß wäre ich schneller dort gewesen. Kühle Schatten senken sich ins Oberengadin. In den letzten Srahlengarben der Abendsonne entfalten wir schwerelos die angestrengten Glieder im Silva- planaer See. Vom Julierpass schweift ein letzter Blick zur Bernina zurück, die ein Pass von uns trennt.

Montblanc Gebiet 3. – 20. August 1963 zurück geblieben und warme Sonnen- strahlen trocknen die regennassen Fels- Sa 3. August 63. Mit Fritz, Udo zapfen der Pointes des Ecandies, die wir Patscheider, John Potter und Uli Müns- nun überschreiten werden. In leichter ter nach Martigny. Von da ein Stück auf Kletterei durch die Gendarmen hindurch der St. Bernhardstraße, dann über den zum „Rasoir“, in dem ein Bohrhaken

39 steckt, mit dessen Hilfe und einer oben nen, Ringburgen und einige von der befindenden Schuppe sich hochwuch- Aiguille d´Orny nach N herabschießen- tend man den höchsten Punkt der Ra- de, schneegefüllte Couloirs kunden von sierklinge erreicht: Über eine delikate einstmaligem Gletscherbelag. Vor uns, Platte dahinter absteigend kommt man in strahlendem Weiß gleißend, das Glet- auf leichten Pfaden zum „Saut de scherplateau von Trient, das ein Kranz l`Ange“, ein ca. 1,5 m klaffender Spalt im von warm - braunen Felsnadeln säumt Grat, der Narbe eines Schwerthiebes darunter die „Aiguille de Pissoir!“. Gera- vergleichbar. Eine Querung auf der de auf unserer Höhe löst sich die unge- Trientseite bringt uns an einen 25 m stört, harmonische ruhende Gletscher- hohen jäh-plattigen Aufschwung, durch decke in einzelne große Schollen auf, den in der Mitte eine 4 m Verschneidung die sich weiter nach unten wahllos auf- zieht, die über einen gut griffigen über- bäumen, um dann in immer kleinere, hängenden Block Einlass gewähren tut. blaugrüne Eisbrocken zu zerbersten. „Piazend“ (5) kann am Ende der Ver- Sich nirgends mehr erholend von sei- schneidung eine Schuppe erhascht wer- nem Eissturz, schiebt sich der Gletscher den, die eine Querung von 2 m nach zerrissen und verschrundet mit gerin- links eröffnet. Über Platten leicht zu ei- gem Gefälle bis in die Almzone des ner Scharte empor, ohne Schwierigkeit Trienttales hinaus. Dies räumliche Bild zum Kulminationspunkt des Abschnittes vor Augen betreten wir ganz unvermittelt der südl. Gipfelreihe. Genussreiches die neue Sphäre: Unser künftiges Betä- Abklettern auf der Trientseite in einer tigungsfeld! Einen Gratturm gleich nörd- riss-durchfurchten Verschneidung leitet lich der Scharte erklettern wir spielend; zur Bréche Médiane hinab. Leicht ge- von seiner Höhe aus sehen wir hinter winnen wir von dort den oberen Talkes- der Aiguille Dorées die Gipfelkalotte der sel des Val d`Arpette, der ja eben von Aiguille D´Argentière hervorragen. (Sel- den Pointes des Ecandies im Westen bige erscheint uns sehr flach und wir umstanden wird. Hier trennen wir uns. freuen uns schon besonders, deshalb Für Fritz, Udo und John war das nur gelichzeitig gehen zu können. Wir wer- eine Wochenendtour, für Uli und mich den eines anderen belehrt!). In einer der Auftakt unserer Montblanc Tournee. weiteren halben Stunde haben wir die In einer halben Stunde gewinnen wir das Trienthütte erreicht, die sich in stiller Fenêtre de Chamois, das uns ja erst im Einfalt im Abendlicht sonnt. April zu einer frechen Skiabfahrt in seine N - Flanke entlassen hatte. An einen Aiguille D`Argentière N - Wand Felsblock gekrallt, hatte ich da eine um- ständliche Spitzkehre getätigt! Wir res- Mo. 5. Aug. Bevor uns der Hüttenwirt pektieren sehr unsere damalige Kühn- weckt, erheben wir uns um 2.00 und heit, die keine Jochflanke ohne Skispur quittieren um 3.00 die Hütte. Einige Fe- ließ. derwolken beschatten ab und zu den Fenêtre de Chamois: Diese enge Vollmond, der über die Aiguille de Scharte gleicht dem Tor zu einer ande- Chardonnet rollend, uns hilfreich über ren Welt: Uns im Rücken das lange- das Plateau de Trient zum Fenêtre de streckte Tal Val d`Arpette, wo zwischen Saleina den Weg beleuchtet. Auf ihrer lärchenbestandenen Hängen sich Wei- ausgeaperten Südseite steigen wir zum degründe dehnen, ausgeaperte Morä- Glacier de Saleina hinunter und queren licht ragenden Wand. Am 2. April dieses diesen am Fuß der, in fahlem Dämmer- Jahres war es, als wir mit Ski denselben

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Gletscher herabgeschossen kamen und Eisbrüchen bis auf das Mittelstück und die eiswulstige Wand zum ersten Mal hat an sich gar nicht das Gefühl in einer sahen. Sie schien uns problemlos, weil richtigen Felswand zu stecken, sondern wir dem gletscherbelegten Teil unser fühlt sich unfrei und beklemmt und be- Auge liehen. Die Felshälfte gehörte aber engt. (Also hat man Angst, welches Wort genau dazu und bei einem Durchstieg, ja dem lateinischen „augusta = eng“ ent- der Direktheit beansprucht, muss das lehnt ist, weil die alten Germanen für beachtet werden. Die Erstbegeher hiel- derlei Zustände keine Ausdrücke hatten, ten sich deshalb immer an der Grenze eben weil sie vielleicht nie Angst hatten.) Fels - Eis, im Bild annähernd die Dia- Um 5.00 schnallen wir die Schlosserei gonale. Dort geht man dauernd unter an und übersetzen bequem den Berg-

Aiguille d`Argentière N- Wand schrund. Durch zwei Felsblockfelder denn diese verläuft ja weiter oben erneut steigen wir zu einem kleinen Firngrat, unter solch dräuenden Eismauern. Die wo wir erleichtert aufatmen, säumten Erstbegeher hatten vielleicht ähnliche doch bis jetzt von der Morgensonne um- Sorgen, denn sie wichen oberhalb des spielte Einstürme über uns die Route. kleinen Firnfirstes nach rechts auf den 2,5 h alt ist jetzt die Angst vor diesen Hängegletscher aus. Hart an den Ab- Eisbrüchen und die eigentliche Führe brüchen schwindeln wir uns hoch; teil- würde sie noch viel älter werden lassen, weise sind sehr steile Eispartien einge-

41 streut. Unter einer senkrechten Eiswand worfen; schnell sackt der Schnee im zieht ein Band zur Felswand zurück. Auf Hafen in sich zusammen. Im Süden trei- ihm querten die Erstbesteiger in die ben sich weiße Nebel herum. Sonst ist „Angstregion“ zurück, die uns ja bereits das Wetter herrlich. vergrämt hat. Wir entweichen nach Unmittelbar gegenüber ragt die Ai- rechts in sehr steiles Eis. Jetzt sind wir guille Verte. Ihr edler Eishelm entsendet in der Gipfelkalotte, die wir gestern vom einem Fangarm gleich das Couloir Cou- Fenêtre de Chamois sahen und die we- turier in elegantem Schwung zum gen ihrer augenscheinlichen Flachheit Argentièregletscher hinab. Es macht das uns mit freudiger Gewissheit bestrickte, Schneecouloir einen vernichtenden Ein- auf ihr gleichzeitig gehen zu können. druck auf uns: „ Hoffentlich ist das Wet- Pfiffedeckel! Wir wissen zwar nicht, dass ter morgen schlecht, dann müssen wir wir schon so hoch sind, aber es wird da nicht hinauf!“ bekennen wir überein- sausteil und blank vereist. Ein Felseiland stimmend. Doch in dem Maße, wie die lugt dort aus dem Eispanzer und wie von Mühen der eben vollbrachten Tour in die einem Magneten attrahiert, steuern wir Vergangenheit wechseln, ergreifen auch selbigen an. Seine Überkletterung ist die Lust und der Mut zu derartigen Un- sehr schwierig und erfordert meinerseits ternehmungen wieder Besitz von einem. gewaltige Fluchtiraden. Wären wir doch Auch ändert sich beim Abstieg über den im Eis geblieben. Dort ist es zwar nach sulzigen Steilgletscher „du Milieu“ die sieben Stunden langweilig aber doch Perspektive zugunsten unseres Selbst- etwas sicherer. Eisgehen ist halt doch vertrauens, weil das Couloir von unten eine fremdartige, dem menschlichen gesehen flacher erscheint. Bei der Instinkt nicht einverleibte Bewegung, Argentièr - Hütte ist der Auftrieb wieder beruht sie ja schließlich auf einigen Me- der alte. Wir beantragen beim Hüttenwirt tallstacheln, die m an sich unter die Fü- eine Weckung um 1.00 und werden ße schnallt und zwei weiteren Geräten gleich mit zwei Italienern gleichen Ziels stachliger Natur in den Händen, mittels in einen kleinen Schlafraum gesteckt. derer man sich zwei Griffe vortäuscht, Di. 6. Aug. Kein Wirt schmeißt uns die aber einem nur das Gleichgewicht um 1.00 raus. Dröhnend quält der Sturm aufrechterhalten helfen. Was Wunder, die Blechverschalung der Hütte. Es reg- wenn es einem da wieder in ein Betäti- net. Gegen 9 Uhr steigen wir ab zur gungsfeld zieht, das die Affen schon Seilbahnstation Lognan. Wolkenfetzen beherrschen. Das Blankeis ist unerwar- treiben sich um den Gipfel der frischver- tet steil. Die Eisaxt sprengt Tritte ins schneiten Aigullie de Chardonnet herum. Element und segnet den Uli mit dem Wir schichten uns in die mit Personen unablässig geförderten Auswurf. 2 Zwi- überfüllte Kiestransportgondel der Mate- scheneisschrauben bohre ich. Unter rialbahn für die, in Bau stehende einer knöcheltief angepressten Neu- Montetsbahn und gleiten bangen Her- schneeschicht mache ich Stand und zens, ängstlich an der Drahtseilhalte- entlasse den nachgeeilten Uli ins bisher rung festgekrallt, zu Tal. Solch ein Per- unsichtbare Gelände über uns. Ein sol- sonentransport ist auch nur in Frank- ches gibt es aber gar nicht, denn wie ich reich möglich und erlaubt. In Argentière erwartungsvoll dem entschwundenen Uli unten trinken wir Milch und fahren dann nachsteig, gewahre ich ihn schon auf mit dem Zug nach Chamonix, wo Uli dem Gipfelgrat. Heil! Im aufgeweichten einen Schlafsack ersteht. Am Bahnhof Gratschnee stapfen wir zum Hauptgipfel und am Schalter der Aguille-du-Midi- hinüber. 13.00. Der Kocher wird ange- Bahn hinterlassen wir Nachricht für

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Reinhard Zimmermann, Moritz Beil und Mi. 7. Aug. Gunter Wetzel (letzteren hält Otto Sten- Um 5 Uhr brechen wir bei mäßigem gel für den besten Freiburger Bergstei- Wetter auf und queren über blockbesäte ger aller Zeiten), dass wir auf Plan des Hänge zum Nautillongletscher hinüber. Aigullies zu finden seien. Mit der Seil- Wir halten uns direkt auf dem Gletscher, bahn fahren wir dort hinauf und über- der immer steiler wird und schließlich nachten im Refuge 10 min unterhalb der eine kleine Eistour darstellt. Erst ober- Mittelstation für Fr 4,50. Taleinwärts halb des Steilaufschwungs bemerken ziehende Nebelbänke verschleiern am wir, dass der Normalweg rechts durch Abend öfters den Blick auf das uns zu einen Felsaufschwung führt. Immer wie- Füßen liegende Chamonix. der genieße ich zurückblickend die Crepon – Überschreitung Schau auf Chamonix hinab. Auf dem

Crepon – Überschreitung flachen Mittelabschnitt des Gletschers Charmoz mit Blick in ein Anstiegscouloir kommen wir rasch zum Anfang des Cou- aus der berühmten N-Wand: Eine fast loirs, das in die Scharte zwischen Aiguil- senkrechte Rinne mit festgefrorenen und le des Grands Charmoz und Crepon schneedurchsetzten Felsbrocken. Die hochleitet. Unten über leichte Felsen, Sicht ist noch gut. Die Crepon steht wie weiter oben über ein Schneefeld und ein Schwert von der Schmalseite gese- vereiste Blöcke klettern wir bis zu einer hen vor einem. Auf demselben Weg Verzweigung des Couloirs kurz unter kehren wir zur Couloirgabelung zurück dem Grat. Der linke Zweig vermittelt in und packen gleich die nächste, zur tiefs- 15 min einen Gipfelsieg über Grands ten Gratscharte führende Verschneidung

43 an. Doch auf der anderen Seite ist nichts als hinterher, um uns an die kundigen von dem, im Führer versprochenen Fersen von Pierre Levoux zu heften, der Band zu sehen. Auch ein Abstieg und als Schlussmann einer Dreierseilschaft eine Querung in die Ostwand scheitert. fungiert. So haben wir keine Orientie- Zurück. Wir machen uns an die nächste, rungsschwierigkeiten beim Abstieg, der südlichere Verschneidung. Haken und sich immer in der W-Flanke parallel zum die angekündigten Schwierigkeiten lie- SSW- Grat hält und uns sehr lange vor- gen vor. Über ein wirklich vorhandenes kommt. Vom Col des Nautillon geht’s Band quert man ein Stück in die Ost- den Gletscher hinab, an einer 30 m lan- wand und steigt von hinten in eine gen Steilstufe sogar über Eis. Im Ge- Scharte, Brèche de la Mummery, in wel- gensatz zum Morgen wechseln wir am che der bergkundlich linke Couloirzweig untersten Steilabfall in die Rognon- zur oben erwähnten Gabelung ent- Felsen, die oben eine geräumige Kanzel springt. An riesigen Schuppen mache bilden. In diesen Felsen steigen wir bei ich hier Stand. Uli lässt seinen Rucksack nunmehr strömenden Regen ab und zurück und gewinnt leicht absteigend betreten den Nautillongletscher erst den Mummery-Riss. Schrappend arbei- wieder im unteren Teil. Über Moränen tet er sich hoch und zieht dann die und den Blaitière-Gletscher nach Plan Rucksäcke und anschließend mich des Aiguilles. Wir packen unsre Rucksä- nach. Durchs „Kanonenloch“ gelangen cke und warten in der Seilbahnstation wir wieder auf die Seite. eine Gondel nach der anderen ab, auf Schräg nach links oben haltend und dass Reinhard und Trabanten heraustre- durch einen Kamin, der mit einem über- te. Fröstelnd hocken wir auf den Bän- hängenden Block abschließt, steigen wir ken, schreiten ungeduldig auf uns ab durch den „Briefkasten“, einem Fels- und sprechen mit Bergsteigern. Pierre spalt, wieder auf die Nautillonseite. Auf Levoux ist inzwischen in Chamonix un- dem „Ziegenrücken“ den 10 m langen ten gewesen, hat einen neuen Kunden aufwärtsziehenden Grat einer abstehen- gefischt und wieder hochgekommen, um den Schuppe, reite ich zum N-Fuß des morgen von hier aus erneut die Crepon N-Gipfels hinauf. Diesen umgehen wir zu besteigen. Ebenso, wie er meine auf der Nautillonseite; er kann durch Stiefel bewundert wegen des Geröll- Seilwurf überlistet werden. 4 m Abseilen, schutzes, sind wir von seiner eigenen dann auf den Grand Gendarme. Auf Schuhkonstruktion überrascht: Die seinem plattenförmigen Gipfel ruht ein Schnürung wird von einem Lederstreifen teraederförmiger Block, an dem man überlappt, den man seinerseits mit sich 20 m abseilt. Argwöhnisch rütteln Druckknöpfen verschleißt. Dergestalt wir an ihm, doch er rührt sich in der Tat wird die üble Angewohnheit des nicht. Auf einem Band in der Nautil- Schnees, sich in der Schnürung festzu- lonseite geht’s weiter, wir überklettern setzen, total vereitelt. - Auch als die den Grat auf die andere Seite und ren- letzte Bahn aus dem Nebel auftaucht, ist nen – es schneit nämlich schon - auf kein bekanntes Gesicht zu entdecken. dem „Radlerband“ auf den S-Gipfel zu. Vor der Station liegt eine abgestellte rote Durch einen sehr schwierigen Z- Seilbahnkabine; sie habe ich als nächtli- förmigen Riss auf ihn. Gerade, wie ich che Behausung ausgewählt, denn noch neben die Gipfelmadonna trete, fährt ein einmal 4,50 in stickigem Refuge zu las- Bergführer, Pierre Levoux, wie sich hin- sen, war mir doch zu viel. Anfangs zö- terher herausstellt, in die Ostwand sich gernd macht Uli mit. Eine fast schlaflose abseilend in die neblige Tiefe. Wir nix Nacht auf hartem Boden ist die Folge.

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Do. 8. Aug. 1963 Schon um 6 Uhr benförmiger Zusammenballungen die treten wir in den feuchtkalten Nebel, um Kletterer in den einzelnen Führen herum nach Chamonix hinab zu schweben. Ein hängen. Abends bringt uns Gunter mit Telefonanruf bei der Talstation schließt seinem Opel nach Argentière hinter, wo den Fall aus, dass Reinhardt mit der Moritz einem ihm bekannten Bergführer Gegenbahn hochkommt. Dass er bereits aus dem Geschlecht der Ravanels um in Chamonix ist, wissen wir, denn ges- Tourenvorschläge bitten will. In Rein- tern Abend hat uns Pierre Levoux er- hards „Bergsteigersarg“ durchschlafen zählt, einige Deutsche hätten ihn nach wir eine regnerische Nacht. uns gefragt. Tatsächlich finden wir an Fr. 9. Aug. Prasselnd geht gerade der Talstation eine Nachricht hinterm wieder eine Regenbö übers Zelt nieder. Schalterfenster stecken. Wir stellen die Ich drehe mich schläfrig auf die andere Rucksäcke neben den Eingang der Sta- Seite; aber allmählich verstummt das tion und befestigen daran einen Hinweis, Geräusch fallender Tropfen und, als ich dass wir um 10 Uhr wieder hier her kä- das nächste Mal den nassen Verschlag men. Gewaltige Löcher gähnen in mei- aufknöpfe, stürzen die ersten Lichtgar- nem Hosenboden; es muss unbedingt ben der befreiten Sonne durchs zarte ein neuer Arsch drauf. Für 7.- Fr erwer- Grün mit glitzernden Tropfen behange- be ich ein großes Stück Loden und stelle ner Lärchen. Rasch wird das Zelt abge- mich damit bei der italienischen Schnei- rissen und das Gelump in den Rucksack derin Sangargio vor. Ich mache ihr klar, gestopft. Auf dem kurzen Weg nach dass dies meine einzige Hose sei und Argentière kommen uns schon Rein- sie sofort genäht haben möchte. Nach hardt und die anderen entgegen, die da knapp einer Stunde ist die Hose für 5.- meinten, wir seien schon lange aufge- Fr wieder voll einsatzbereit. Am Berg brochen. Gunter, Moritz und Wolfdieter schon, aber nicht in der Öffentlichkeit. fahren mit der Lognanseilbahn hoch und Es ist halt ein brauner Filzarsch auf nehmen unsere Rucksäcke mit. Ein letz- grauem Gabardine. Inzwischen hat Uli tes Milchbesäufnis, ein Blick zur son- den Reinhard und Wolfdieter Münch nengleißenden Gipfeleiskalotte der Ai- zufällig getroffen und sie hierher ge- guille Verte, dann verlassen wir Argen- bracht, wo sie auf mich gewartet haben. tière und steigen unbeschwert nach Sie logieren im Hotel Chamonix, wo wir Lognan hinauf (2 h). Dort schieben wir dann auch Gunter Wetzel und Moritz uns unter die in der Bergstation abge- Beil kennenlernen. Alle wollen noch ger- stellten Rucksäcke und wandern zur ne eine Eingehtour machen, bevor wir Argentière- Hütte hinter. Als notorische an den Peutereygrat gehen. Durch un- Frühaufsteher werden wir wieder in den sere Erzählungen gereizt, nehmen sie kleinen Schlafraum einquartiert. die N- Wand der Aiguille d´Argentière aufs Korn. Wir wollen morgen gemein- Aiguille Verte über Couloir Couturier sam zur Argentière – Hütte aufsteigen. Nachmittags latschen Reinhard, Uli und Sa. 10. Aug. 63 ich in den Klettergarten bei Les Schon um 12.30 schmeißt uns Rein- Geillands hinaus. Die erste Kletterpartie hardt raus. Ein Haferschleim wird ge- bringt mich gleich oberhalb des Felsens kocht, dann brechen wir um1.30 auf. Die in ein Paradies voll behangener Heidel- abnehmende Mondsichel hat alles ins beerstauden. Lange Zeit bin ich in dieser Helle gebracht, sodass wir gleich auf mühsamen Branche des Nahrungser- den Gletscher hinab finden. „ Dass ihr ja werbs tätig, während unter mir in trau- nicht in die Droite-N-Wand einsteigt“,

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Aiguille Verte über Couloir Couturier

46 heißt die alles befürchtende Mahnung. durchstiegen zu haben. – Zu solcher Er und Wodi gehen heute durch die N- Philosophie verleitet mich die augen- Wand, Moritz und Gunter über den NW- blickliche Stille und Einsamkeit um mich Grat auf die Aiguille d`Àrgentière. Dort, herum, der da sich bewusst wird, dass wo der N-Pfeiler der Grand Rocheux im das Couturiercouloir nur von draußen Gletscher versinkt, um dann nochmals in schön aussieht, nicht aber von der War- einem späteren Felskegel zu erschei- te aus, die einer einnimmt, der intime nen, steigen wir durch einige Gletscher- Tuchfühlung mit ihr pflegt. Ich schaue brüche zum ansehnlichen Bergschrund zur Aiguille d`Argentière hinüber wie zu hinauf (3 Uhr). Wir schirren uns an. Als einem alten Freund; kaum erkennbar erstes steige ich nach links querend in erbleicht über ihr der schwarze Himmel. knietiefem Pulverschnee über die zuge- Wenn Uli jetzt rief „nachkommen“, dann schüttete Kluft. Suchend huscht der hätte ich Grund meine Schmalspurla- Lichtkegel der Taschenlampe an der teinkenntnisse in folgendem Satz unter- bergseitigen Steilwand hoch, beleuchtet zubringe: „O, Uli, si acuisses philosphus über mir heraus geneigte Eischollen und mansissem!“ Er schweigt zwar, vielmehr erfasst schließlich die Einmündung einer höre ich halt nichts, aber das Seil ist Verflachung, zu der kein Hindernis den schon eine Weile aus und rührt sich Weg versperrt. Bis unter die Überhänge nimmer. Diese Tatsache unterbricht rechts davon reicht gerade das Seil, an mein Philosophieren, so dass ich jetzt dem nun der Freund das unangenehme nachsteige. Stemmend arbeite ich mich Seilstück nachsteigt. Sachte schiebt sich in der langen Rinne hoch und quere Uli von meinem Standplatz unter den dann auf einem Kriechband zu Uli hin- Eiswulst hinaus an die, in Brusthöhe über. Auf ausgedehnten Rippen zwi- senkrecht abbrechende Verflachung. Er schen Lawinenbahnen steigen wir nun, hackt sich Griff und Tritt, reißt das linke uns in der Führung abwechselnd, Seil- Bein bis an die Schulter hoch, richtet länge für Seillänge hoch. Standplätze sich auf und verstemmt sich in der Rinn- werden ausgehackt und Eisschrauben ne. Unablässig rieselt feiner Pulver die- werden ins harte Eis unter der Schnee- se Lawinenbahn herab, in welcher Uli auflage gewirbelt. Nach 4 h haben wir lautlos verschwindet. Es wird ganz still, den Knick im Couloir erreicht; schlecht nur das fortwährende Schneegeriesel ist ist der Halt. Wir queren deshalb ober- zu vernehmen. Gespannt nehme ich halb der Krümmung rechts in die Felsen jede Bewegung des Seiles in meinen hinaus. Erleichtert legen wir Hand an Händen wahr. Einzelne Windstöße bla- das vertraute Element. Das ständige sen mir Schneestaub ins Gesicht. – Als Gefühl der Unsicherheit beim steilen Eis winzige Zwerge, von ferne mit Ameisen verflüchtigt sich. Über ein Eisfeld gewin- vergleichbar, hängen wir am gewaltigen nen wir eine Halde gefrorener Blöcke Bergschrund. Der Eisüberhang hier und und Schuppen. In dieser leichten Zone die Schneerinne dort: Das ist unsere und über ein anschließendes Schnee- „kleine“ Welt. Steckt man erst einmal feld gelangen wir auf den Firngrat, der drin im Couloir, das uns mit seiner Ele- einem First gleichend, von der Spitze ganz und Schwung angelockt hat, be- des gewaltigen Eckpfeilers zwischen merkt man die Diskrepanz zwischen Couloir Couturier – Cordier (das im Routenführung und ihrer Durchführung. Sommer 1962 von Contamine erstmals Erstere erscheint elegant, rassig und direkt durchstiegen wurde.) sich zum direkt. Erst nach der Tat ist man dann Saum des Gipfelaufschwunges hinüber- stolz und glücklich eine solche Route schwingt. Dem Grat folgen wir, bis Se-

47 racs zu einer Umgehung links zwingen. ausmachen zu können. Endlos traver- Schließlich erklimmen wir einen der Eis- sieren wir brüchige Rinnen, die, sich brüche in sehr steilem Eis direkt und weiter unten unserem Einblick entzie- haben damit das letzte ernsthafte Boll- hend, sämtlich zum Talèfre- Gletscher werk überrumpelt, denn ab hier können leiten bzw. in unangenehmen Abstürzen wir nun gleichzeitig gehen. Rechts ne- enden: Immer wieder spähen wir zum ben uns zwängt sich ein völlig Grat hinauf, um den im Führer verspro- zerwürfelter Eisstrom zungenartig ins chenen Gratturm „Le Cardinal“ zu ent- Couloir Cordier. Nur noch einige beson- decken. Denn bei ihm geht’s dann end- ders steile Aufschwünge werden gesi- gültig auf den Gletscher. Als die turmrei- chert. Unangenehm ist in dem knöchel- che Umgebung schließlich einige Ähn- tiefen, gepressten Neuschnee dem Halt lichkeit zu der im Führer beschriebenen der Steigeisen zu trauen. Dennoch „sa- herzustellen gestattet, steigen wir auf cken“ die umliegenden Berge mit an- gut gestuften Bändern gletscherwärts. sehnlichem Tempo in die Tiefe, ein er- Die letzten lotrechten Meter abseilend, folgreiches Maß für unser erfolgreiches landen wir glücklich am Bergschrund. Höherkommen. Um 12.30 schiffen wir Mit einem weiten Satz entkommen wir aufatmend ein gelbes Loch (intensiv der überdrüssig gewordenen Felswildnis gelb) in den Gipfelschnee und drehen auf den bequemen, wegsamen Talèfre- uns ein paar Mal im Kreis herum, die Gletscher. Unter der Mauer der Aiguille sonnigen Tief -, Weit – und Ausblicke Moine entlang trotten wir in den Abend genießend. Jetzt endlich stehen wir auf hinein, erst jetzt die Bergwelt aufrichtig der langbegehrten Aiguille Verte, doch genießend, zur Couvercle-Hütte hinab. leider, des Genießens und inneren Frie- 18.30. Die alte Couverclehütte liegt un- dens ist da nicht viel. Ein brennendes ter einem riesigen, waagrechte aus dem Problem schöpft Unrats: Wie kommen Hang ragenden Felsdeckel (= wir ins Tal? Zunächst streben wir das Couvercle), der als Dach dient. Die neue zumeist zum Abstieg dienende liegt einige Meter daneben. Whympercouloir an. Doch ein Blick in das ausgeaperte, ewig steinschlagbe- Aiguille Mummery und Ravanel strichene Couloir treibt uns umgehend auf den Gipfel zurück. Da bleibt nur der So. 11. Aug. 63 Moinegrat. Aus Gerüchten und Berg- Das Licht geht an im Schlafraum (Tou- steigerlegenden mit langwierig, ja sogar risten, die zu gleichen Zeiten geweckt biwakträchtig und sonstigen Attributen werden wollen, kommen in gleiche belegt, uns von vorneherein mit Respekt Schlafräume. Similia similibus.), der nähernd, gehen wir argwöhnisch und auf Wecker ruft „quatre heur“ und überall auf alles gefasst den Grat an. In leichter den Lagern beginnt fieberhafte Reg- Kletterei turnen wir abwärts und halten samkeit. Ich drehe mich bloß um und uns geflissentlich an die Gratschneide. schlafe sofort wieder ein. Der Uli scheint Selbige verlassen wir nach einiger Zeit überhaupt keine Veranlassung zu se- dort, wo sie einen Knick in ihrer Linie hen, auf zu wachen. Um 4.30 schließlich tätigt auf die Talèfre- Flanke. Halb que- raffe ich mich auf, rüttle den, nicht min- rend, halb absteigend klettern wir über der verstörten Uli wach und fahre in die Platten, lassen uns in Kaminen runter nassen Strümpfe. Um 6 Uhr Aufbruch. gleiten, um dann immer wieder mal ver- Erst auf gutem Pfad, dann neben der schneite Geröllhalden zu betreten. Wir Mittelmoräne des Talèfregletschers am bilden uns ein, hie und da Trittspuren moränengerahmten Jardin de Talèfre

48 entlang. Bei einem Couloir, das vom in der O-Wand). Weiter durch einen Ostgipfel der Courtès herabzieht, ver- schräg rechts aufwärtsführenden Riss, lassen wir den Gletscher und steigen in dessen rechte Begrenzung eine riesige, leichtem Fels bis unter eine schwarzge- vom Hauptkörper abgespaltene Schup- strähnte Wand und queren dann schräg pe ist, nicht ganz zum NO-Grat zurück, aufwärts an zahlreichen Bergkristall- sondern zuvor über ein winziges Band in gruppen und – Drusen zum Col des der O-Wand zurück, obere Terrasse. Ein Cristeaux, den wir, zum Schluss über geschweifter Riss zu einem gutgriffigen ein gefrorenes Schneefeld hochstei- Überhang, schließlich offene, grifflose gend, um 9.00 erreichen. Ein eisiger Verschneidung – Aiguille Mummery. Wind umfängt uns. Auf der anderen Sei- Lange bestaunen wir die Triolet-N-Wand te sehen wir tief unten auf dem Argen- mit ihren Eisbäuchen, Briefkästen und tièregletscher 3 winzige Menschen sich senkrecht scheinende Ausstiegscouloirs. der brüchigen Schulter nähern, die einen Wir knüpfen die beiden 40 m Stricke einfachen Aufstieg zum Col des zusammen und seilen uns bis zur Cristeaux aus dem Argentièrebecken Schuppe und von ihr bis an den bietet. Auf dem blockigen Grat gehen Wandfuß der O-Wand über senkrechte wir, oft auf bergkristallbesäten Platten bis überhängende Platten ab. Sagenhaft wandeln, bis zu einem Gratgendarm vor exponiert: Über tausend Meter unterm dem Ravanel und steigen einen seilgescheurten Arsch dehnt sich der talèfresseitigen Kamin ab, bis links oben flache Argentièregletscher. eine Rinne aus der Scharte zwischen Wesentlich einfacher ist die Aiguille dem nämlichen Gendarm und der Ravanel über ihre SO-Seite. Von ihrem Ravanel einmündet (ca. 10m). Anseilen. Gipfel seilen wir 3 x 30 m zum Col des Über rißdurchschlissene Platten geht es Cristeaux hin ab. Ein rasender Sturm eine Seillänge in der Ravanelwestwand treibt die Seile zum Bogen und verflichtt schräg hoch bis zu einem aus der Wand sie geschickt zu Zöpfen und heftet sie bauchenden Block. Über ihn. Nach einer hinter die Gratkante. Beim zweiten Ab- mannshohen, fast überhängenden Par- seilen lassen sich die Seile nicht abzie- tie mit Haken queren wir bis unter einen hen. Teils kletternd, teils mich an den von links oben einfallenden Viererkamin. Seilen hochhievend, alle paar Meter Eine sehr schwierige Wandstelle mit einen Sackstich aus den zwei Seilen ins Haken leitet zu einem großen, horizontal Brustgeschirr knotend, steige ich wieder liegenden Block (vom Vallot-Füherer hoch. Der seilverknüpfende Knoten lässt erwähnt, sonst trifft die Beschreibung sich nicht über eine Felskante bewegen. nicht zu.). Noch 3 m hoch, dann abstei- Das ist der Grund. Vom Sturm umstri- gendes Queren (sehr heikel) und leich- chen fahren wir die letzten 30 m zum tes Aufsteigen zur Scharte Ravanel- oben erwähnten Gratgendarm ab. Leicht Mummery. Wir queren unter die Ost- über ihn und zum Col de Cristeaux. Das wand der Mummery, wo ein 10 m Riss Wetter ist immer noch herrlich. Nur der zu einer Terrasse führt (im NO-Grat). Sturm. Am Col des Cristeaux sind inzwi- Auf dem NO-Grat noch einige Meter schen auch die 3 Burschen angelangt, hoch, bis eine flache Verschneidung die wir heute Morgen auf dem schräg nach links aufwärts in die O- Argentièregletscher tief unten beobach- Wand weist. 2 Haken. Am Ende der 3 m teten. Auf dem Gipfel der Ravanel äu- langen Verschneidung lässt man sich ßerten wir schon die Vermutung, dass auf ein Band hinunter, das zu einer gro- der erste von ihnen, seinen Bewegun- ßen abstehenden Schuppe leitet (mitten gen und Gesten nach, Reinhardt sein

49 könnte. Tatsächlich sitzen da im Wind- Auf die regnerische Nacht folgt ein kris- schatten Reinhardt, Gunter und Moritz tallener Morgen. Am sonnigen Waldrand und reichen uns heißen Tee. Aus Rein- frühstücken wir und trocknen den Bi- hardts Plan, auch das Couloir Couturier waksack, den wir übers Zelt gelegt hat- zu durchsteigen, ist nichts geworden, ten. Aus dem Dunstschleier unter uns hatten sie doch gestern nach der dröhnt geschäftiger Lärm aus Chamonix Argentière-Nordwand die Hütte erst um herauf. Kuhglocken läuten irgendwo. 21.30, also nach 20 Stunden wieder Gegenüber erhellen sich allmählich hoch betreten. Wolfdieter war heute ins Tal droben die Aiguilles des Chamonix, nur abgestiegen um dort zu schlafen. Der der Montblanc Gipfel bleibt finster be- auftriebsschwangere Reinhardt mit Gun- schattet von einer sturmgestrählten ther und Moritz wählten den Col des Wolkenbank. Cristeaux als Übergang zur Couvercle- Vor dem Hotel wird weiter diskutiert. hütte, wo sie auf uns stoßen wollten. Nur Reinhardt, Uli und ich denken noch Geplant hatte Reinhardt natürlich noch an den Peutereygrat. Doch scheitert Ravanel und Mummery, doch hatten sie eine Dreieinigung an mir, der keine den Col zeitlich unterschätzt. Jetzt war Dreierseilschaft bei einer solchen Tour es zu spät (15.00), um die unsrige Tour leiden mag. Trotzdem beschließen wir zu wiederholen. Da ist selbst Reinhardt nach zu fahren, einer sollte einsichtig. Gemeinsam steigen wir zur mit der Seilbahn hinüber. Gut. Die vier Couverclehütte ab. (17.00). Schon ge- verschwinden im Hotel, um ihre Sachen gen 16.00 weht am Montblanc eine zu packen. Nach langer Zeit treten sie sturmgepeitschte Wolkenfahne, die zäh wieder heraus, allerdings nicht abfahrbe- am Gipfel haftet. Um 17 Uhr ziehen mit reit sondern mit einem ganz geänderten beklemmender Geschwindigkeit Wol- Plan, der für Uli und mich sehr günstig kenfelder auf und um 18.00 regnet es erscheint: Die vier machen die Crepon- bereits in Strömen. Nachts jagt ein Ge- überschreitung. Mit diesem Manöver ist witter das andere. es Gunther und Moritz offenbar gelun- Di 13.Aug. 63 gen, Reinhardt vom Peutereygrat abzu- Es hat aufgeklart. Eine zu klare Sonne lenken. Uns beiden stiften sie großzügig durchflutet die Winterlandschaft. Um 12 Fr. und bringen uns an die Aiguille 8.00 steigen wir ab über Montenvers de Midi Seilbahnstation. Moritz besorgt nach Chamonix. Gunter holt Wolfdieter uns die Karten, die er aufgrund eines und das Auto aus Argentière. Eine Assistentenausweises für beide zum schleppende Diskussion beginnt nun vor halben Preis (je 6 Fr.) erstehen kann. dem Hotel Chamonix, wo sich die vier Einigermaßen froh, wieder ein unabhän- einquartieren. Wolfdieter verzichtet auf giges Duett zu sein, schweben wir in den Peutereygrat (weil er nicht länger überfüllten Kabinen zur Aiguille de Midi mit Reinhardt gehen will, mit dem er in (13 Uhr). Von dieser durcheilen wir in 2 der Argentière-N-Wand schlechte Erfah- h den Glacier du Tacul zur Turinerhütte. rungen gemacht hat). Gunter und Moritz Wetterverschlechterung gegen Abend. ist das Wetter zu launisch. Wir ent- In der unteren Hütte nächtigen wir für schließen uns deshalb in Chamonix gu- 400 L. An der oberen Hütte, aus deren tes Wetter abzuwarten. Mit Reinhards leeren Glasfenstern mondäne Langweile Zelt verziehen Uli und ich uns abends in gähnt, sind wir schnurstracks vorbeige- den Wald über der Brévent Talstation. schritten. Mi. 14. Aug, 63 Do. 15. Aug

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Um 4 Uhr weckt uns die Bedienung und Felsriegels stoßen wir auf den Gamba- „il pleut“. Dann schneit es aus allen Ne- hüttenweg. 2 h Aufstieg. Ich teile dem beln. Um 10.00 brechen wir zum Dent Wirt, der in dem unansehnlichen Schup- de Géant auf, den Uli ja schon kennt. pen waltet, mit, dass wir aufs Biwak Durch tiefen Schnee waten und klettern Craven in der Brèche Nord wollen. Er wir leicht auf den Frühstücksplatz und sagte, der günstigste Weg führe über an den Einstieg zum Normalweg. Uli den Col de L´Innominata. Über einen verschwindet um die Ecke, ein eisiger Moränenwall, ein Schneefeld, das im Wind wölbt das Seil zum Bogen; mich oberen Teil von einem Felsgürtel zer- friert`s sehr. Der Fels muss schwierig schnitten wird und eine kaminartige Rin- sein, denn nur selten rückt das Seil ein nen steigen wir zum Col hinauf. Drei Stück über die Kante. Uli hört vielleicht Seillängen leiten auf der anderen Seite meine Aufforderung, lieber umzukehren. in brüchigem Fels einen Hang weiter Endlich kann ich nachkommen. An der hinab, welcher maßlos zertrümmert und Ecke wird Sprechverbindung wieder zerwürfelt ist. Hier überqueren wir eine möglich, so dass mir Uli sagen kann, er Zone, wo öfters Eistürme herabstürzen wolle zurückklettern. Schnell ist er wie- und mit ihren resultierenden Trümmern der da. 15 Uhr. An der Burgenerplatte die Spalten auffüllen. Um 18 Uhr fangen hat er aufgegeben, die Vereisung ist zu wir an dem Bergschrund des Brèsche stark. Bald haben wir die Hütte und das Nord-Couloirs an. In einer breiten, ver- Innere unserer Schlafsäcke erreicht. tieften Bahn rieselt beständig Schnee Fr. 16. Aug. und Kies herab, welche beiden Materia- Wie am schneeigen Vorabend behaup- lien die beiden Schrunden in Bahnbreite tet, bricht ein strahlender Tag an. Für zugeschüttet haben. Dass dieser bob- 1500 Lire schweben wir nach Entrève bahnähnliche Graben durch heftigen hinab, der Kabinenboden sackt einem Steinschlagbestrich ausgehöhlt wurde, nur so unter den Füßen weg, derart beweist der auf dem Gletscher auslau- schnell gleitet die Gondel zu Tal. In La fende Schuttkegel. Eine ganze Weile Palude bringen wir uns durch eine beobachten wir das Geriesel, das erst mächtige Herde anstehender Skiläufer bei scheidender Sonne versiegt. Wir ins Freie und laufen nach Courmayeur. überqueren dann den Graben, die bei- Hier kaufen wir für 400 Lire ein, saufen den Schründe und verlassen bei der teure Milch und besteigen dann den Couloirverengung weiter oben den überfüllten Bus nach Visaille. Von der Schnee auf das nördliche Felsufer. Un- Schaffnerin hören wir, dass die Brücke geheuer brüchig ist das Gestein, trotz- zur Gambahütte weggerissen worden dem gehen wir gleichzeitig, weil doch sei, was wir auch mit eigenen Augen keine Sicherung vorhanden ist. Bei der sehen. So müssen wir weiter oben einen Verzweigung der Brèche Centrale und Übergang über das reißende Gewässer Brèche Nordast queren wir in das Cou- suchen. Durch Brennnesseln, Weidege- loir zurück. Der tagsüber aufgeweichte strüpp und allerlei anderes Gewächs Neuschnee ist oberflächlich schon gefro- geht es bald moränenauf, bald ren, so dass wir guten Halt haben und moränenab. Am Bach angelangt, verfol- rasch hochkommen. Um 20 Uhr räume gen wir diesen aufwärts, können aber ich den Schnee vor der Biwak- nirgends übersetzen. Erst, wo der Bach schachteltür weg und krieche in den aus dem schuttbeladenen Gletschertor Bau. Aufwallender Nebel verhindert den hervorquillt, wechseln wir auf dem Eis Blick zum Brenvagletscher. Am späten ans andere Ufer. Am Fuß des untersten Nachmittag schon hatte der Montblanc

51 eine üblverheißende Wetterfahne aus- ab bis fast ans Ende der kaminartigen gehängt und eilig waren mehrere Wol- Rinne. Beim Aufsetzen aufs Schneefeld kenfelder über uns hinweg gezogen. Es nach einem Sprung über die Randkluft verwundert deshalb nicht, dass es bald rutsche ich auf dem sonnengenäßten zu schneien beginnt. Neuschnee aus, kann mich aber am Samstag 17. Aug. tiefeingerammten Eisbeil halten (dank Friedlich wie an Weihnachten rieselt dem kurzen Stiel). Leicht wird der fol- der Schnee. Nur selten bläst ein Wind- gende Felsriegel überklettert, dann ha- stoß den Pulver gegen die Blechver- ben wir alle Gefahren überlistet. Wir schalung. Wir dösen dahin, öffnen ab freuen uns unmäßig, wieder drunten zu und zu die Klappe, nur um fest zu stel- sein. In der leeren Gambahütte machen len, dass es immer noch schneit. Einmal wir dem Wirt Mitteilung über den Zu- ist die Tür so zugeschneit, dass ich sie stand der Biwakschachtel und fressen nur einen Spalt weilt augewältigen kann. und saufen Ovomaltine. Bei leichtem Meine Hand passt gerade noch hindurch Schneetreiben verabschieden wir uns und kann mit dem Eispickel die Verwe- vom netten Wirt und eilen ins Tal. Son- hung beseitigen. Abends, als es dann nenstrahlen durchfluten wieder den Lär- dunkel wird und immer noch schneit, chenwald, der uns beim Weg nach haben wir uns schon damit abgefunden, Entrèves über die Frèlayalm aufnimmt. dass unser nächstes und wichtigstes Ab Entrèves benutzen wir die Bahn Ziel das Tal ist. nach La Frèlay im . Links oben Sonntag, 18. August. aus den Wolken fließend, recken zer- Es schneit nicht mehr! Der Nebel zerteilt schundene Gletscherzungen, grauweiß sich manchmal, gibt aber nur eine höhe- gescheckte Felsfluchten, rechts dehnen re Bewölkung frei. Ab 7 Uhr steigen wir sich grüne Almhänge über Lärchenbe- ab. Der Grat von der Schachtel zur Rin- stände. Dieser Gegensatz entspricht ne ist zur Unkenntlichkeit verschneit, die offensichtlich herrschenden geologi- Rinne selbst nur an flachen Stellen. Un- schen Strukturen. Entlang des flachen sere Spuren sind noch verwendbar und Val Ferret und des gegengleich gerichte- gestatten ein schnelles Absteigen. An ten läuft die Grenze zwischen der Couloirgabelung bleiben wir in dem Urgestein- und Kalkgebirge. Während Steinschlaggraben, verweilen darin ein man im Regen dahin trottet, würde man paar Meter und verlassen ihn auf das in einem Rückspiegel unter tiefschwar- südliche Ufer. Öfters fegt der Wind aus zen Wolken unter den Südabstürzen der den ringsumragenden Wänden den und der Aiguille Noir Schneestaub ins Couloir, wo wir uns in entlang sehen auf den gerade besonn- ihm „duschen“ dürfen. Nach 2 h begin- ten Miagegletscher, der auf hohem nen wir die Gletscherüberquerung. Eini- Schuttbett ganz hinten ins Val Veny her ge Sonnenstrahlen bringen einem sofort einbiegt und sich in zwei Zungen spal- ins Schwitzen und machen uns gereizt. tend weit zwischen begrünten Moränen Wir haben uns doch bestmöglich ver- vorschiebt. An einer Passkontrollstelle mummt. Auf fast demselben Weg errei- vorbei, deren Besatzung gerade von chen wir die Rinne zum Col de einer Kontrolle am entferntesten Punkt L´Innominata. Der Neuschnee erschwert zurückkehrt, gelangen wir zur letzen die sonst einfache Kletterei ungemein. Behausung in diesem Tal, dem Chalet Dankbar hänge ich das Seil bei den 2 de Val Ferret. Nach dem Genuss eines Haken ein. Von der Scharte des Col de Liters Rotwein sind wir reif für das 600 L´Innominata seilen wir 40 m am Stück Lire Nachtlager.

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Montag 19. August Saxalp (19.30). Daselbst Nächtigung im Wir nehmen ein evangelisches Früh- Heu, aber auf Decken. stück ein und überschreiten dann auf Sonntag 6.30 los. Mutti wandert mit steilem Pfad den Col du petit Ferret Sepp über den Mutschen zum nach , ein nach Orsière geöff- Zwinglipass nach Wildhaus hinab. Mit neten, ebenfalls Val Ferret genannten Wolfdieter überschreite ich die Kreuz- Tals. Zuvor verweilen wir auf einer, das bergtürme außer dem ersten und dem Tal beherrschenden Stufe und laben uns achten. Weil der Felsen gras- und an heißgemachten weißen Bohnen. Ge- dreckdurchwachsen und zudem öfters nießend lasse ich mein Auge über die feucht ist, schöpfen wir die Skala der saftgrünen Matten hinauf in die Höhe Schwierigkeitsgrade aus, auf der wir schweifen, wo es geblendet wird vom schwindelnde Höhen erreichen. Der gleißenden Gipfelfirn des Mont Dolant, Tiefblick ins Rheintal geschieht durch des südlichen Strebepfeiler des Mont- Wolkenlöcher und ist deshalb bruch- Blanc-Massivs. Ab La Fouly bis Orsières stückhaft. Über die Saxeralp wieder zum beanspruchen wir für 5 Franken den Auto runter und über Wildhaus, wo wir Postomnibus, dann wir getrampt. Bis Mutti und Sepp aufsammeln, heim. Martigny werden wir zusammen mitge- nommen, dann trennen sich unsere We- Urirotstock ( 2931) ge. Wir eilen gleich hinaus ins Vorland, ich möchte das Rhonetal zum Furka- 12./13.10.1963 pass hinauf. Ein junger kath. Pfarrer Fritz, Rosa Uihlein, Willi Farr, Wolfdieter nimmt mich in Sières auf, bezahlt mir in Münster ein Abendessen und lässt mich Samstagmittag: Über Altdorf am im oberen Rhonetal unter einer Zeltpla- Vierwaldstättersee zurück (W-Ufer) und ne schlafen. auf kühner Straße durch eine Felswand Dienstag 20. August 1963 nach Isenthal und weiter ins Großtal bis In Realp hält der Pfarrer eine Messe, die, an sich verbotene Straße aufhört. weil er gerade Lust dazu hat, inzwischen Während die anderen im Zelt bzw. im nimmt mich ein Milchhändler nach Auto nächtigen, schlafe ich in der Hän- Andermatt mit, von wo ich mit einem gematte. Italiener bis Basel gelange. Von Basel Ab 6.30 über die Biwaldalm, wo Willi bis Schallstadt und mit einem Franzosen zurückbleibt, Richtung Urirotstock. Wolf- bis St. Georgen. Daheim hat man sich dieter und ich steigen auf harten schwere Sorgen um uns im Peutereyg- Schneehängen und brüchigem Fels mit rat gemacht. Die Mutti sieht direkt hohl- heiklen Verhauern in die Scharte zwi- äugig aus uns blass. Sie hatte sich in schen Urirotstock und Schlieren und ihrer Vorstellung größere Sorgen um erklimmen letzteren leicht. Der N - Grat uns gemacht als wir selbst. des Urirotstocks scheint uns zu stark verschneit, so dass wir aus der Kreuzbergüberschreitung Schlierenlücke auf den Kleintalfirn ab- steigen und jenen am Fuß des Urirot- 21./22. September 1963 stock - O - Grat durchwaten. Der O-Grat Am Samstag mit unserem Wagen und sieht nämlich flacher und einfacher aus. Mutti, Sepp Wolfdieter gegen 13.10 fort Doch ist der Steilaufschwung, mit dem nach Sax im Rheintal (18 Uhr). Abendli- der O-Grat dem Kleintalfirn entragt brü- cher, dann nächtlicher Aufstieg auf die chig, verschneit und schwierig. Darüber ist der Grat fast horizontal und bildet

53 eine Schneeschneide, die es zu durch- von den verronnenen Sommertagen. Bis stapfen gilt. In besser werdendem Fels zur Vergabelung ins Val dal Diavola und (relativ!) zum Gipfel, wo Fritz und Rosl, Val Sassa sind die Bergföhren vorge- die den Normalweg benutzt haben, drungen und mit ihnen Gras und ähnli- schon eine Stunde hocken und uns an- cher Niederwuchs. Aber das Weitere ist feuern. Am eindrucksvollsten ist der An- auch der unternehmungslustigsten Ve- blick aus unserer winterlich verschneiten getation zu viel: Schutterfülltes Val Umgebung auf den Vierwaldstättersee Sassa, umstanden von starren, klaffen- und ins grüne Vorland. Der Schlieren den Felsrinnen, unter ihnen Piz Quatter- (mit einem rassig ausschauenden N- vals Moränenwälle. Sie zeugen von Grat) ist aber für diese Richtung eine Verderben und Gedeihen eines Glet- noch bessere Aussichtskanzel. Abstieg schers, der sich heute verschüchtert in über die Normalweg-Schuttflanke zum Form eines Firnfeldes im hinteren Tal- Blümlisalpfirn hinab zur Biwaldalm. Beim kessel verbirgt. Abfahren über ein Schneefeld verliert Gegen 13 Uhr erreichen wir die Rosl das Gleichgewicht und „roselt“ zu Fuorcla Val Sassa, wo uns der einzige Tal, an zahlreichen herausragenden Mensch begegnet. Über den S - Grat Steinspitzen sich die Unterarme auf- steigen wir leicht in 1 h auf den Südgip- schürfend. Auch das hat sein Gutes. Sie fel des Quattervals, der vier Täler re- hat nämlich ihren Personalausweis ver- giert: Val Müschauns gen Scans, Val gessen. In die Schweiz hinein konnte Tautermozza gegen Zernez, Valetta und Fritz den Zöllner mit Bergsteigerfragen Val Sassa gen Cluoza. Auf teils ver- ablenken. Jetzt entdeckt der deutsche schneitem Grat brüchig zum Hauptgipfel Zöllner die Verbände an Rosls Armen (3165). Schwierig. 15 Uhr. Die Bernina- und zeigt sich interessiert, dass sein gruppe, die sich an der Fuorcla Val passfordernder Kollege nicht zum Zuge Sassa unvermittelt vor einem auftut, der kommt. Ortler und die Vielzahl der anderen Gip- fel umgeben uns in ätherischer Klarheit! Wanderung im Schweizer National- Durch üble Schutthalden und Felsbän- park – Piz Quatterval der in der SW- Flanke lassen wir uns ins 20.10.63 Val Tautermozza ab. Der Fritz befürch- tet, das Tal bildet an seiner Mündung ins Fritz, Elisabeth Franziska Löwenhein Inntal eine unwegsame Klause und da und Heiner Westphal unsere Coaz-Karte des Aufnahmejahres 19.10. Sa 13.30 – 19.30 nach 1847 keine Auskünfte erteilt, queren wir Zernez auf den verödet liegenden Cam- etwa auf der Höhenlinie 2350 auf sei- pingplatz am Inn. nem Westufer aus dem Tal hinaus. In 20.10.: Die ersten Sonnenstrahlen den schneebefleckten Steilwiesen läuft stürzen ins kalte Tal, golden lodern so- ein Pfad, der sich in heftige Felsabstürze gleich Lärchenhaine neben samtenen verliert. Am Fuße lotrechter Kalkfluhen Matten: 7.30 im unteren Val dal Spöl, wo werden wir von Gemsspuren an eine sich der Weg ins Val Cluoza vom exponierte Bruch-Kletterstelle geführt, Talgrund löst. Steil führt er zwischen die das flinke Getier im Sprung nimmt, Bergföhren hoch über das, im unteren wir aber, sorgfältig Griffe und Tritte an- Teil stark verengte Val Cluoza, um sich drückend, schleichend überwinden. Auf dann zum Blockhaus Cluoza hin abzu- vereisten gamsgetretenen Felsen und senken. Die Natur ist starr von der anschließend Wiesen auf den Kamm, nächtlichen Kälte und liegt ausgedorrt der Val Tautermozza und Engadin

54 trennt. 18.00. Es dunkelt rasch. Silbern scheinen als mächtige Felsklötze. Ein spiegelt sich der Schein des Abendhim- kalter Wind lässt uns bald den Gipfel mels im geschlängelten Inn. Hoch fliehen. Auf grobem Schutt rammeln wir überm weiten, schattenschweren Ober- rasch ins Tal. Schon gegen 15 Uhr hat engadin hängt die zarte Sichel des jun- die Sonne arktische Horizontnähe und gen Monds. Vom Kammhöcker Muo- vermittelt damit auch den entsprechen- tsaniza Bön stolpern wir in der Dunkel- den Eindruck von Menschenleere und heit durch den Wald hinab, bis wir auf Ursprünglichkeit. Mit Nietsche: „Mittag einen breiten Weg stoßen. Selbiger leitet schläft auf Raum und Zeit“. Mulden und uns zur Eisenbahnausweichstelle Caro- Falten der mattbraunen glänzenden lina. Der dortige Bahnwärter veräußert Matten füllen sich bereits mit schwarzen uns eine Flasche Rotwein, an der wir Schatten und nur selten schießt ins uns tunlichst laben. Bald trifft ein Zug dunkle Tal ein Sonnenstrahl und streut ein, mit dem wir nach Zernez in die auf solcher Bahn goldene Lärchenpfeiler Bahnhofgaststätte reisen. ins düstere Fichtenkleid der Abgründe. Sparsam in die jähen Flanken gekerbt, Piz d`Err senkt sich die Straße von der Alp Flix 26./27. 1063 nach Sur hinab, sonnendurchwirkte Lär- Quattervalsmannschaft chenhaine und versengte Matten passie- rend. Samstag nach Savognin, wo ein On- kel von Heinz Westpahl ein Ferienhaus Wochenenden besitzt. In diesem hoch über Savognin ragenden Lustschuppen ernähren wir Zum Liften am Gamsstock bei uns von Fondue und Rotwein und was Andermatt mit Erich Schwarz, Peter Franziska sonst noch herstellt. Brehmer, Manfred Viesel und einem Sonntag, nicht übertrieben früh, fah- gewissen Lothar. ren wir über Sur zur Alp Flix (1900), wel- So. 15.12.63 Anfahrt 4.30 – 8.30. che direkt unterm Piz d`Err liegt. Wir Tagesabo: 20.-. Von der Mittelstation 6 x gehen den Berg von Westen an, durch zum Gipfel geschwebt. Die untere Sekti- ein Hochtal, das zu der charakteristi- on wegen Schneemangels nicht befahr- schen, schräg aufwärts zum Gipfel zie- bar. henden Schneerinne leitet. Neben der Schneerinne klettern wir in leichtem Fels 27.12.63 Mit Wolfdieter und Ernst rasch auf den höchsten Punkt, den man am Raimoix-Grat im Jura. 3 h bei war- unversehens betritt. 3 Stunden vom Au- men Sonnenschein gestiegen. to. Man schaut dem Bergell gerade ins steinerne Herz, nur die sanfte Mulde des 28./29.12. Mit Bernd Dischler, Ernst, Septimerpasses liegt dazwischen. Ge- Wolfdieter ab 5.00 nach Pontresina, ca. genüber, just über der Julierstraße, das 12.00 Ankunft in Morteratsch (Unter- edle Horn des etwa gleich hohen Piz kunft). Mittags 2 x auf Lagalp ge- Platta, der uns bisher eine unbekannte schwebt. 10er Abo 4 Fr. pro Fahrt. Größe war. Gen Norden schaut man in die weite Talschaft des Oberhalbsteins 29.12. St. Moritzer Skizirkus für 15 hinab auf die Siedlung Tinzen, Fr. Tagesabo. 4 x Piz Nair und Abfahrt Schweiningen (= Savogin) und Cunter, durchs Val Suver. Einige Male Trais um die sich braun gedörrte Mattenhänge Fluors. Bis zur Neige wird der strahlende dehnen. Piz d`Acla und Tinzenhorn er- Tag ausgenutzt. Bei Anbruch der Däm-

55 merung und vollem Mond ein letztes Mal bin. 13.00. Der Grat zum Mittelgipfel ist vom Piz Nair abgefahren. Unserem Abo sehr scharf und ausgesetzt, so dass ich setzen wir die Krone auf, indem wir die umkehre. Das war wieder eine kühne letzte Sektion, bequem in die Kabine Tat Wolfdieters! Warmer Sonnenschein gelagert, statt auf rarem Schnee, abfah- und Aussicht bis zum Apennin! Ehrlich, ren, schwebend genießen. (Ursprünglich man überblick den ganzen Alpenbogen. wollten wir nach Flims, doch beschlos- Im oberen Teil, wo der Schnee fest ge- sen wir im Anblick des schneefreien presst ist, gute, im unteren, wo`s Skiparadieses das schneereichere En- bruchigen Schnee hat, schwierige Ab- gadin zu besuchen.) fahrt. Dämmerabfahrt im Schein der abendroten Schneeberge auf einfacher 1964 Piste zur Talstation hinab. Dunkel. Bernd und Wolfdieter wollen die Glet- „Ein Bernina-Jahr“ scherabfahrt (Isla Pers) machen. Da

wären wir wieder in die Nacht gekom- 3 Mal den Piz Palü Bestiegen men auf ungespurtem Morteratschglet- Ein zweites Mal auf Piz Bernina scher. Übernachtung im Hotel Morte- Scherschen – Eisnase ratsch. Piz Rosegg –NO- Wand 6.1.64 Mo. Morgens nach Savogin

an der Julierstrasse gefahren. Am Piz 4.1.64, Sa. Mit Ernst, Bernd Dischler Martegnass den ganzen Tag für Fr. 10.- und Wolfdieter (in dessen Auto) ab 3.30 geliftet. Ausgeprägte Buckelpiste, deren bis 9.00 nach Surlej zur Corvatschbahn. Anblick vom Tal unten aus verleitet zum Für Fr 20.- erwerben wir ein Tageabon- Ausdruck „Skiäcker“. Die Teilnahme an nement. Da die untere Sektion zu solchen kostspieligen Wochenendeska- schneearm ist, befahren wir sechsmal paden verdanke ich großzügiger finanzi- die obere. Öfters ist kaum möglich, weil eller Unterstützung durch Ernst. zu viele Leute sich in die Gondeln drän- gen und außerdem die untrainierten Füße streiken. Um 17 Uhr schweben wir Chäserugg und Hinterrug die untere Sektion zu Tale. Das ist der Clou des Abos: Man braucht nicht mehr 23.2.64 So. abzufahren. Nächtigung für 6 .- Fr im Um 4.00 mit Fritz, Willi Farr und Dietland Hotel Morteratsch. Müller nach Unterwasser (7.00). Um 5.1.64 So Piz Palü 8.00 mit der ersten Bahn nach Iltios hin- Mit der ersten Diavolezzabahn (9.00, 5 auf. Von dort auf den Hinter- und Fahrten à Fr. 25.-) zur Diavolezzahütte. Chäserugg 10.30 übers Stöfeli. Ostab- Bruchharschabfahrt auf den Pèrs- fahrt bei Pulver über die Schlachtböden. gletscher. Leichter spaltenfreier Aufstieg Unten Sulz ganz links durch den Gletscherbruch. Der Steilhang unter der Schulter ist Skizirkus von Flims bockhart. Harscheisen-Triumph meiner- seits. Skidepot etwa 100 m unter der 29.2./1.3.64 Schulter an einem großen Schrund. Un- Flims: Der bekannte Ortsnamen Flims, schwierig zum Ostgipfel. Der Wolfdieter rom. Flem, geht zurück auf die Bezeich- hat seit dem Steilhang so viel Vor- nung des Flimserbaches, der sich in der sprung, dass er gerade den Palü- Trinserschlucht in den Rhein ergießt. Mittelgipfel betritt, als ich am Ostgipfel Dieser Bach, Flumen, hat wie oft auch,

56 dem Ort den Namen gegeben. Nun tritt chen muss. Die obere Hälfte der Abfahrt dieser Ortsname bereits schon im Tes- steckt aber leider immer in sehr dichtem tament des Bischofs Tello aus dem Jah- Nebel. So verleben wir einen genussrei- re 766 in der Form Flemme auf, d.h. mit chen, lediglich auf dem billigen Abo des „e“ aus älterem „i“, welches seinerseits gestrigen Tages aufbauenden Tag. Mit „ü“ entrundet ist. Beispiel für den Wan- der Startgels-Bahn liften wir umsonst del des lateinischen „U“ zu „ü“ (im En- hinab, um auf zart verschneiten Wiesen gadin) und den weiteren Wandel (Ent- die letzten 300 m auf Kuhscheiße und rundung) von „u“ zu „i“ im Rheingebiet. Maulwurfshäufen gleitend, nach Flims 29.2.: Um 4.30 mit Bernd Dischler hinab zu gelange. Die Sicht ist minimal. und Hans-Wolfgang Münster nach Flims (ca.9.00). Regen, Nebel. Für 12 Franken In der Bernina ein Tagesabo. Auf den Cassonsgrat 15. – 29. März 1964 geschwebt. Bis auf 2700 m praktisch Als Tourenführer mit Otto Stengel und keine geschlossene Schneedecke. „Ab- seiner Ötztalmannschaft: fahrt“ nach Startgels. Die obersten Cassonshänge ganz gut. Von Startgels Dr. Peter Haas mit Sessellift zur Nagenshütte (früher Charlotte MüllerUte + Dietlind Niemann S.A.C); wo wir die Rucksäcke deponie- Müllheim ren. Dann schießen wir nach Mughels Hans Melzer Freiburg zur Talstation des La-Siala-Liftes (an- Armin Beckert Clausthal geblich längster der Welt). 4-Mal Abfahrt Wolfgang Hunn Konstanz immer an der Nagenshütte vorbei (im Jürgen Mahlmann Wuppertal Nebel natürlich). Nächtigung auf der Hartmut Röpke Bielefeld Nagenshütte. Friedhelm Küpper Diusburg 1.3. So.: Schneetreiben. Mit Fellen in 15.3.64, So.: 5.00 – 13.00 mit Zug tiefem Neuschnee Richtung La-Siala. nach Pontresina und nach Bernina-Suol, Etwa die Hälfte der Strecke hinauf, dann unserem Quartier, gelaufen. Abfahrt in unbekannter Direktheit zur La- 16.3.: Ins Val des Fein. Otto in mit- Siala-Liftstation runter. Man lässt uns ten riesiger Schneebretter. Umkehr. einmal umsonst fahren, weil gestern zu 17.3.: Sassal Masone. Vom Bernina früh Schluss gemacht wurde und wir – Hospiz mit Ski bis zur Fuorcla di Caral. angeben, um die volle Auskostung des Dann stark verschneiter Grat bis zum Abos gekommen zu sein. Wir schwingen Gipfel. Im Süden Nebel, keine (so be- nicht wie üblich über die Nagenshütte rühmte) Aussicht. Fantastische Abfahrt: zur Liftstation zurück, sondern halten In riesigen Schwüngen durch das Glet- uns gleich neben der Schlepplifttrasse scherbecken hinunter, wo dann bald zur Mittelstation hinab. Dort macht der Bruchharsch überwiegt. Bad im Ber- Schlepplift einen Knick und man muss ninabach. umsteigen. Aber Billets werden nicht 18.3.: Mit Fellen auf Lagalp gelau- kontrolliert, weil es offenbar nicht üblich fen. Vom Bergstationsrestaurant Blick ist, hier her abzufahren. Diesen Um- auf die berninische Wolkenjagd. Rasan- stand nützen wir achtmal aus, wobei der te Steilhangpulverabfahrt. Appenzeller Liftbügel-unter-den-Arsch- 19.3.: Palü bei schlechtem Wetter. Schieber nicht auf die Idee kommt, nach Ab Skidepot völlig unsichtig. Seit Drei- unseren Karten zu fragen. Tolle Abfahrt könig haben sich viele neue Spalten in tiefem, etwas gepresstem (lawinigem) aufgetan. Abfahrt über Isla Pers. Schnee, wo man alles mit Tempo ma-

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20.3.: Die meisten tummeln sich bei geben, seine Stabilität zu zeigen. Wir Tanz und Tee in Pontresina. steuern deshalb den Chalchagn an, keh- 21.3. Bei Sturm und Nebel auf der ren aber oberhalb der Waldgrenze we- gerade freigefräst werdenden Straße gen Schneebrett-Krachen wieder um. zum Berninahospiz (1 h 20 min). Am Otto genehmigt großzügig, dass ich Hospiz ziehen wir einen Italiener aus mit Jürgen, Armin und Wolfgang zur Bormio, der über den Bernina – Bernina aufbreche. Die restlichen Grup- Ofenpass nach Bozen will, aus dem penmitglieder, insbesondere die weibli- Schnee. Er stiftet uns dafür zwei große che, besesseneren sind tief vergrämt. Flaschen Rotwein. Nach Einkauf in Pontresina starten wir 22.3.: Mit der Diavolezzabahn hoch um 18.00 zur Bovalhütte. Gegen einen zur Fortezza. Am Gratbeginn Schlecht- eisigen Bergwind rasen wir auf der Piste wettereinbruch: Innerhalb 10 min von den Morteratschgletscher hoch und Sonne zu Schneetreiben umgeschlagen zweigen unterhalb des Bruches zur (von N her). Umkehr. Von der Diavo- Bovalhütte ab. Der Mond übergießt be- lezza gehen wirr zu Fuß auf den Munt reits die schweigende Schneelandschaft Pers (Schneebrett am Grat, Glück ge- mit warm rötlich-goldenem Schein, wel- habt). Schöner Aussichtsberg. Abends cher mich bzw. das Wetter schon arg- herrliche Diavolezzapiste, Pulver. wöhnisch stimmt. Auch weht am Bernina 23.3.: Wieder zur Fortezza. Skide- eine graue, vom Sturm gekämmte Wol- pot. Der 1. Grataufschwung ist zu kenfahne, die nicht weichen will. Ein schwierig für alle. Deshalb mit Hans Halo umfriedet das volle Mondradl. Melzer, Armin, Jürgen und Wolfgang 19.45 bei der Hütte. Der, die Matratzen allein weiter. Relativ leichter prüfende Lichtkegel der Taschenlampe Fortezzagrat, aber mit Ski am Rücken ertappt unter den Decken gepaarte bay- zu schwierig. rische Individuen. Das Telefon klingelt Bella Vista-O-Gipfel: Irrsinniger nach unserer Ankunft: „Hier Bovalhütte! Sturm, auch Nebel. Über Fortezzagrat Wer dort?“ Ein Grazer fragt, ob er über zurück geklettert. Abfahrt Isla Pers nach Ostern kommen könnte. „Ja, selbstver- Morteratschhotel. Peter Haas hat in zwi- ständlich, Platz genug. Nicht bewirt- schen mit seinem Auto den Umzug von schaftet usw. erklären wir“, geflissentli- Bernina-Sol nach Morteratsch bewerk- che Zuständigkeit vortäuschend. „Kom- stelligt. men sie ruhig, das Wetter ist ja pfundig“. 24.3.4: Verdächtig klares, herrliches Wir entfachen Feuer für Tee. Wieder Wetter. Die ganze Gruppe will auf die schrillt das Telefon. Da fragt einer wie Bernina. Unbedingt und ungeachtet der viele Leute auf der Hütte seien. Ich gebe Verhältnisse. Es herrscht sowieso Auskunft und füge noch hinzu, dass schlechte Laune, weil die Unterkunft heute mehrere Salzburger zur Marco e sauteuer ist (Bernina-Suol: Fr. 14,50, Rosa Hütte aufgestiegen seien. Er fragt, Morteratsch Fr. 18,50 Halbpension) und wohin wir wollten. „Auch dorthin!“ „ Aha, dabei kaum Touren gemacht werden da zahlt ihr wieder nicht!“ „ Woher weißt können, des Wetters wegen. Es ist mir du denn das?“. Er rät uns ab. „An der klar, dass ich niemals mit der ganzen Bernina hat`s eine Spalte“ und andere Gruppe zur Bernina gehen kann. Das Gefährlichkeitsargumente kommen. Die würde am Fortezzagrat zu viel Zeit kos- Salzburger seien noch nicht wieder zu- ten. rück (obwohl sie ja erst heute fortgin- Ich will den heutigen Tag noch ab- gen); „außerdem kippt das Wetter um“, warten, um dem Wetter die Chance zu verspricht er. „Ihr müsst umkehren!“ Ich

58 sage, „wir können ja immer noch umkeh- schaftler gezogenen Spur über den fla- ren.“ „Nein, nein kehrt jetzt schon um“. chen Morteratschgletscher, dann in sau- Ich frage mich, was der Mann eigentlich steilen Kehren zum „Bauch“ hinan direkt will. „Wer sind sie?“ „Ein Fremder“ „und aufs „Loch“ zuhaltend. Die Spur ist wei- wo?“ „in Morteratsch“. „ Warum haben ter oben völlig verweht und nicht mehr Sie eigentlich angerufen?“ „ Ich wollte zu gebrauchen. Auf Steigeisen und im- meinen Freund sprechen“. „Ich kann ja mer angeseilt (im Gegensatz zu unseren mal schauen, ob ich ihn hier finde“ ma- Nachfolgern) durchs Loch auf die Bella che ich mich anbötig. „Nein, nein, der ist Vista Terrasse. Ca. 11 Uhr. Heftiger nicht dort“. Das kapiere ich nicht. „Wenn Sturm. Im Tal unten ballen sich Nebel. Sie wissen, dass er nicht hier ist, warum Von der Bernina zur Bella Vista lugen rufen Sie dann an?“ Da ist etwas faul. sich zunehmend verdichtende Wolken. Ich frage nochmal „Wer sind Sie?“ Jetzt Oberhalb des „Lochs“, etwa auf der ist er Bergführer. Er interessiert sich Höhe des Fortezzagratbeginns von oben nach einer Pause, woher ich bin. Ich sei her montieren wir wieder die Ski. Uns ein Schwabe, das hört er an der Spra- entgegen tauchen gerade 8 Leute (die che! „Ich bin us Basel“, lüge ich. „Nein, Salzburger und Klagenfurter) aus dem nein, Du bist ein Schwabe“. Ich modifi- Nebel, die von Marco e Rosa kommend, ziere:“Ich lebe nicht mehr in Basel, aber nun gerade zum Bella Vistamittelgipfel wenn ich in Basel geboren bin, kann ich abbiegen. Auf der Bella Vista Terrasse doch sagen, ich bin aus Basel“ Das be- reißen die Wolken noch mal ab und zu tone ich mehrmals, offensichtlich ohne auf und geben den Blick frei auf den einen rechten Glauben zu finden. Er rät gerade besonnten Morteratschgletscher. uns nochmal zum Umkehren. Wir kön- Über dem, nur vom Tal aus sichtbaren nen ihn ja morgen wegen dem Wetter halbmondförmigen Gletscherausbruch anrufen, Nr. 66391. Ich frage: „Wo bist wird die Traverse am steilen Hang hart du zur Zeit? In Pontresina?“ „Ja in Pont- vereist. So dass sich meine Harscheisen resina.“ Kann ich dich um 2 Uhr schon beim Treppenschritt abwärts glänzend anrufen?“. „Um 2 Uhr morgens?“.“Ja.“ bestätigen. Im weiten Gletscherbecken, „Ja“ sagt er. „Gut, dann werde ich da- das zum Argient hinauf sich dehnt (den von Gebrauch machen“, schließe ich. die Nebel verbergend) machen wir ein Nachdem er mich dauernd geduzt hat, relativ windstille Rast. Wir beabsichtigen bin ich auch zu dieser Anredeform über- noch auf den Zupo zu steigen, doch gegangen. Wir kommen übereinstim- wünscht der offenbar geschwächte Jür- mend zu dem Schluss, dass der Mann gen zuvor eine Pause. Er erholt sich besoffen sein muss. keineswegs. Ich schlage vor, er solle 25.3.64 Mittwoch 2.00: Der Himmel sich mit Wolfgang, der kalte Füße hat, überzieht sich gerade. Am Persgletscher mittlerweil auf Marco e Rosa gehen. Ich droben hat der Mond noch eine schmale würde mit Armin Zupo aufsuchen. Es Domäne. Wieder in die Decken. 4.00 macht zwar gerade völlig zu, doch trau- ganz zu. 6.00 wieder klarer. Nur steckt en wir dem Wetter eine baldige Lichtung Bernina bis Bellavista alles in einer zu. Ein einziges Mal war es kurz aufge- föhnandeutenden Wolkenmauer-Walze. rissen und Marco e Rosa war weit drü- Leider hatten wir den gestrigen Anruf ben zu sehen. „Bei solchen Verhältnis- vergessen. Gleichzeitig mit der ver- sen sich zu trennen ist unvernünftig“, mischten Viererpartie verlassen wir um regt sich mein alpine Gewissen und dich 6.45 Boval. Auf der gestern von Salz- male mir aus, wie ich mit Armin auf die burger und Klagenfurter Jungmann- Marco e Rosa Hütte komme und kein

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Jürgen und Wolfgang ist da. Also Ver- der Schnee gepresst. Ich zweifle, ob wir nunft zu vorderst und keine Trennung. überhaupt schon am Sattel sind. Ich Diese Entscheidung hat sich gelohnt! wähne uns irgendwo in der Bernina-O- Man sieht bereits fast nichts mehr. Die Flanke (das wäre nämlich das Übelste). Reste einer Skispur verliere ich ziemlich Ich steige deshalb schräg abwärts und gleich wieder. Ich weiß, dass man von künde an: Dies sei der letzte Versuch. hier ohne großen Höhenverlust zur Viel länger können wir nicht in dem eisi- Fuorcla Crastagüzza queren kann, doch gen Sturm herumirren, da bliebe nur durch die Eisbrüche hindurch. Ich weiß noch ein Biwak oder Umkehrversuch. auch, dass ein spaltenfreier Durchlass in Eine verschneite Blockhalde taucht vor Falllinie auf das Crastagüzza – mir auf und rechts oben ein offensicht- Gletscherbecken besteht. Dieser Korri- lich künstlich geschichteter Steinhaufen. dor ist beidseitig von Brüchen gesäumt. Ich steige dorthin und siehe: Die Hütte. Zwischen diesen, die Nase fast an den Ich werfe die Arme hoch und schrei „hur- Skispitzen, um gegen die Umsichtigkeit ra!“. Wir sind am ganzen Körper vereist, anzukegeln, lavieren wir den Hang hin- selbst die Augenwimpern klirren. Wäh- unter. Es ist fast ganz dicht. Ein scharfer rend ich Wolfgangs Fuß reibe (dies ge- Sturm aus SW dient mir als Orientie- schieht mit solcher Vehemenz, dass ich rung. Zunächst ist rechts Talseite, wie zu spät merke, an seinen Zehen die ich mit den Stöcken tastend und sto- Haut abzureiben), hat Jürgen den Gas- chernd feststelle. Nach einige Zeit Mar- herd entzündet. Wir fressen und spielen schierens geht’s links bergab und Skat. schließlich taucht rechts eine Spalte auf 26.3.64 Donnerstag und der Wind kommt von rechts hinten. Bis um 12 Uhr in den Decken. Wir stel- Also Spitzkehre und erneut gegen den len ein Kabagetränk her. Wieder unter Sturm marschiert! Daraus, dass jetzt die Decken bis Anbruch der Dunkelheit. größere Eisflächen ohne Schneebelag Den ganzen Tag stürmt und schneit es. häufiger werden, entnehme ich, dass wir Wir freuen uns wie die Schneekönige, in der Nähe des Sattels sind. Immer wenn man mal durch die vereisten noch geht’s rechts hinab. Ich vermute: Scheiben die Crastagüzzafelsen sehen Wir befinden uns unter der Crastagüzza, kann. Abends: Spaghettigericht (in der besonders der vereinzelt im Schnee Küche gefunden) mit angebratener liegenden Steine wegen und haben au- Wurst, Speck und Knoblauch mit Butter ßerdem den Sattel, ihn rechts liegend übergossen. Im Laufe der Vertilgung lassend, schon passiert, weils rechts so dieses Gerichtes werfen die anderen steil runter geht, vermutlich in die schon frühzeitig den Löffel weg und Crastagüzzarinne. Außerdem kommt der überlassen mir die füllende Aufgabe, Sturm wieder von rechts. Also wieder den Nudeltopf zu räumen. Ich schaffe es Spitzkehre und zurück. Es wird ganz gerade. Aus dem Nudelwasser entsteht flach. Das muss der Sattel sein. Wir fin- ein schleimiger Tee. Man muss ihn den, oder bilden es uns ein, Spuren und schneller herunterstürzen als man Löcher von Skistöcken. Hoffentlich sind schmecken kann. So geht’s. Anschlie- das nicht unsere eigenen! Ich gehe nun ßend Glühwein. Armin hat einen spani- genau dem Sturm entgegen. Die Rich- schen Lederbeutel voll Rotwein dabei. In tung einzuhaltend ist schwieriger als der Küche stöbern wir noch eine aufge- man glaubt; man wird fast verrückt und brochen Zitronensaftbüchse und Zimt- weiß als nicht mehr, woher nun der stangen auf. Die ganze Völlerei und Windbläst. Links wird’s immer steiler, Schlemmerei erklärt sich aus meiner

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Absicht, morgen unter allen Umständen Und dann klafft ein weiterer Schrund mit den Abstieg zu erzwingen. Dass dies senkrechtem meterhohem Eisufer auf ungewisse Unternehmen auf einen Kar- der anderen Seite. Also sind wir falsch. freitag zu liegen kommen soll, stimmt Zu hoch? Zu tief? Überhaupt annähernd mich nachdenklich, hatte ich doch am richtig? Ich spähe nach unten. Ganz letztjährigen Karfreitag „Geburtstag“ im schwach ist da eine weiße Fläche zu Schneebrett am Col du Mont Brulè. unterscheiden, die sich gegen den kaum 27.3.64 Karfreitag 7.45 Abmarsch, dunkleren Nebel dahinter etwas heller Marschzahl 70o.. abhebt. Die Terrasse verläuft also unter Es schneit und stürmt immer noch wie uns. Gottseidank. Seitabrutschend las- wild. Nebel weiter unten, im Gletscher- sen wir uns dorthin runter. Bald erkenne becken wird es immerhin so sichtig, ich rechts den charakteristischen Eis- dass man den unteren Teil des Bernina - wulst des mittleren Bellavistagipfels. Das O - Grates sehen kann und auch unsere, Spuren wird zur Qual: Bis über die Knie von einer blaugrünen Eisbürde gedrück- reicht der Schnee. Die Ski sind wir- ten, angestrebten Felswand in Marsch- kungslos, weil der Neuschnee zu leicht richtung erscheint. Unsre Kompassarbeit und locker ist. Er neigt schon im flachen war exakt! Vor ihr hoch zieht der Hang, Gelände zum Fließen. Also keineswegs der uns aus der Mausefalle allein retten Abstieg durchs steile, schneegefüllte kann. Eine unserer beiden Seilschaften Loch! Da bleibt nur Fortezza, wenn auch verweilt immer im Schutz der angren- zeitlich länger, so doch lawinensicher. zenden Brüche, während die andere den Ich ziehe schräg abwärts hinüber und unheimlichen, neuschneeverpatzten erkenne bald die ersten Fortezzafelsen. (knietiefen) Hang durchquert. Dieser 11.30. Hang ist zunächst die Schlüsselstelle Ich beauftrage Jürgen mit Armin als unseres Rückzuges. Ich setze alles auf Zweitem den Abstieg zu präparieren. Mit eine Karte: Entweder der Hang hält oder Wolfgang als Vorletztem besorge ich nicht. Er hält. Ich scheue davor zurück den Abtransport der Ski. Je 2 Paar wer- den Hang in der Falllinie zu nehmen den zusammen geschnallt. Nachdem wegen der verborgenen Spalten. All- Wolfgang ab geklettert ist, binde ich mählich wir der Aufschwung flacher und mich los, befestige ein Skibündel an der einige breite Spalten im Untergrund er- glücklicherweise mitgeführten Reep- ahnend, streben wir den felsigen W- schnur und hänge das Ganze mittels Abstürzen des Bella Vista-W- Gipfels zu. Karabiner an das von Wolfgang ge- Hier biegen wir rechtwinklig nach Osten spannte „Tragseil“. Die Reepschnur als ab und queren in die Bellavistaterrasse Zugseil handhabend, lasse ich so nach- hinein. Am sog. Eck, dem halbmondför- einander die Skibündel über die beiden migen Ausbruch unter uns, haben sich ersten etwa 10 m hohen Steilstufen des fest gepresste Schneewehen angesetzt. Fortezzagrates. Seilsalat, Flüche, Ski- Ich steige traversierend immer höher paket bleibt an einem Felsen und dergl. und vermeine dort vorne im Nebel oder Dabei schneit es fortwährend bei Wind- Schnee eine tiefeingeschnittene Skispur stille und Wärme (wie immer bei stillem zu sehen. Sollte eine Skispur die aus- Schneefall), so dass wir immer nässer giebigen Schneefälle überlebt haben? werden. Der Jürgen geht sehr gewis- Als das dunkle Gebilde einfach nicht senhaft vor und räumt gewaltige näher kommen will, muss ich umdispo- Schneemassen ab, ohne sich von Ar- nieren. Es ist gar keine Spur, sondern mins Ungeduld beirren zu lassen. Ein Blankeis, das aus dem Schnee schaut. zuverlässiger Kamerad. Am 3. Und letz-

61 ten Steilstück kann ich die Ski ohne und die gefährliche Lawine ist schon Tragseil runterlassen. Ein kurzer abgeschossen worden oder selber ab- Schneeteil: Brusthoch im Schnee. Das gegangen. Unwahrscheinliches Glück unterste Gratviertel, mir spielend leicht widerfährt uns da. Wegen der Lawinen- und felsig in Erinnerung, ist restlos bollen schnallen wir die Ski ab und ge- schneeerfüllt. Ein Wälzen, Schieben und hen den mächtig lawinenüberhäuften Rutschen, das ist unsere Fortbewegung. Hang zu Fuß runter (der weltberühmte Dabei ist es so unsichtig, dass man nicht Steilhang der Isla Pers Abfahrt). Damit weiß, wo eigentlich die Gratschneide ist. sind wir aller Lawinengefahr entwischt. Man ertastet sie bloß. 14.00, durch. Die Markierungsfahnen der Gletscherab- Auch auf den Skiern sinkt man bis fahrt entlang wühlt der jeweils Spurende zur Hüfte ein, man fühlt sich direkt be- den Schnee zur Seite. Die zweite Seil- klemmt von der Schneehöhe. Ein kleiner schaft macht „Brotzeit“ und holt dann in Gegenanstieg auf die vorderste For- wenigen Sekunden Schussfahrt den tezzabastion strengt ungeheuer an. Ich mühsam raufenden Ersten wieder ein. wollte eigentlich zur Diavolezzahütte, Da bricht uns eitel Freude aus: da unten doch welche Wühlerei erwartet uns auf spuren 3 den Gletscher hoch! Sie wollen dem Persgletscher. Ich lasse mich von zur Bovalhütte. Ab jetzt haben wir frei Jürgen und Armin umstimmen, nach Fahrt bis Morteratschhotel, wo wir 17.45, Morteratsch zu streben, obwohl ich die nach 10 h eintreffen. Ich stürze sofort steile Isla Pers befürchte. Der Hang zum Telefon, um den vermeintlich auf westlich der Gamsfreiheit ist gerade steil Tschierva sich gestern befindlichen Otto genug, dass die Haftreibung des hüftho- von unserer glücklichen Heimkunft zu hen Schnees überwunden werden kann. berichten. Ruf: 66391. Mir fällt noch Gleitet man endlich schneller, so wallt nichts auf. Es meldet sich der vor der Brust ein Schneestrudel hoch, Tschiervawirt. Seine Stimme ist mir vom der einem selbst ins Gesicht springt und letzten Sommer her bekannt. Er sagt, es den Atem raubt. Ich muss halten. Ich sei bis jetzt kein Mensch zu ihm gesto- schreie den anderen zu, sie könnten ßen, auch kein Otto. Wo wir herkom- nachkommen. Welch seltsames Bild! men. Von Marco e Rosa antworte ich. Er Die fahren doch in der Hocke ab. Oder? ist ungläubig. Über Bellavistaterrasse Nein, da ragt nur noch Brust und Kopf und Fortezzagrat füge ich hinzu. „Habt aus der Oberfläche und das noch ab ihr Glück gehabt, dass ihr da in kein und zu von einem Schneewirbel über- Schneebrett gekommen seid.“ „Ja, wir sprüht. Wir kommen auf einem Felskopf sind so gegangen, dass keine Gefahr an. Hilflos irre ich nach allen Seiten. Vor bestanden hat“ beschönige ich, „außer- uns muss es recht steil runtergehen, wie dem war die Lawine über Isla Pers man an einigen Felsblöcken dort unten schon abgeschossen“. Ich lenke ab. erkennen kann. Links ist ein riesiges „Also ist niemand hinaufgekommen?“ Schneebrett abgegangen, wer weiß, wo „Nein“.“Danke, Adieu.“ Und jetzt kommt seine sichere Bahn hinführt? Nach lan- mirs erst: Das ist ja der mysteriöse Anru- gem Hin und Her entschließe ich mich fer von der Bovalhütte. So ein Spinner, doch auf der Lawinenbahn abzufahren. was der nur damals bezweckt hat?. Wo Zum Glück. Spitzkehrend stolpere ich ist dann Otto mit seiner Gruppe? Der nach unten; die ewige Unsichtigkeit Morteratschwirt weiß es. Otto ist auf macht einem immer wirrer. Und welche dem Weg zur Tschiervahütte umgekehrt Überraschung: Dort drüben ragt eine wegen Lawinengefahr. Im Roseghotel rote Pistenfahne. Wir sind auf Isla Pers fanden sie keine Aufnahme. Darauf rief

62 er hier an, ob er nicht wieder kommen terrheintal bis zu einem, von Soldaten könnte. Nein, schon belegt. Aber wenn umschwärmten Gelände. Im weiten nichts anderes zu finden sei, könnte ebenen Talboden neben einem braunen man mal in Sanssouci (Surovas bei Lawinenkegel haben sich eidgenössi- Pontresina an der Bahn) fragen. Dort sche Panzer formiert und beginnen als- sind sie nun wahrscheinlich. Dorthin zu bald in den Talgrund zu feuern. Hier also laufen, stinkt uns. Also Taxi für Fr 13 .- übt die Schweiz den Krieg. Das zahlen wir! Freudiges Wiedersehen in Adulagebiet ist offiziell gesperrt. Wir Sanssouci. Ernst ist seit Mittwochabend dürfen nicht zur Zapporthütte aufsteigen. bei der Gruppe. Otto auf unsere Erzäh- Das ist auch im eigenen Interesse, soll lung hin: Das muss ein schneidiges Un- sich doch ein Geschoss schon bis zur, ternehmen gewesen sein. um viele Ecken liegenden Hütte verflo- 28.3.64 13.00 fährt die Gruppe heim. gen haben. Während wir derlei von den Ich bleibe mit Ernst zurück und besuche Soldaten erfahren, trifft auch Bernd Dis- Onkel Oskar mit Familie in Cheva Diana chler mit Sepp Kleiser und Werner am St. Moritzer See. Um ½ 12 Uhr er- Billing ein. Monte Sissone wird unser tappen wir sie gerade beim Frühstück, neues Ziel. Wolfdieter: Ich habs ja gleich was uns eigentlich recht ist, denn wir gesagt, wir sollen nicht hierher sondern werden gastlich genährt. Ich darf baden an den Sissone fahren. und rasieren. Darauf ins Café Hansel- Auf dem Julierpass treffen wir Hasso mann. Anschließend bringen wir Onkel Schauer mit Familie bei der Heimfahrt Oskar mit Frau nach Pontresina, von wo von ihrem Celerina-Aufenthalt, an dem sie zurück laufen. Wir hören noch den ich ja ursprünglich, anschließend an die schlechten Wetterbericht um 19.30, Berninafahrt, auch teilhaben sollte. Ge- dann fahren wir auch heim. Ich wollte ja gen 15 Uhr am Maloyapass, wo wir in mit Ernst noch Touren machen und einem Hotel den Hüttenschlüssel holen. Hasso Schauer treffen, der hier am (Die Hütten sind hier verschlossen we- Dienstag einen langen Urlaub antreten gen italienischer Grenznähe und damit will (zwischen seinem langjährigen Tür- einhergehender Einbruchtätigkeit.) Beim keiaufenthalt und künftigem Rhodesien- Aufstieg überholt uns der Hüttenwart, leben). der uns sehr nett behandelt. Überm Sonntag 4.30 daheim. Bergell drohen schwarze Wolkenmas- sen. Monte Sissone 12.4.64. Ab 5.30 über harte Hänge 11./12.4. 1964 zum Formogletscher hinab. In 3 h, erst zum N-Grat und bis unter einen Schnee- Erster Jahrestag des Lawinenun- kopf. Mit Ski auf diesen, dann steigei- glücks vom Col du Mont Brulè ob Arolla senbewehrt auf enger Schneide, zuletzt Als Jubiläumstour habe ich das durch verschneite Blöcke zum felsigen Rheinwaldhorn vorgeschlagen, das mir Kleinraumgipfel, 8.30. Ein markanter als sagenhafte Skibergschönheit schon Gipfel ist das ja nicht, man kann ihn vom lange im Sinn liegt. Gletscher unten aus nicht von den um- Unlustig steuert Udo seinen VW mit liegenden Grathöcker unterscheiden. Uli, Wolfdieter und mir drin auf das Topographisch ist er bedeutend als Ab- namhafte Bergziel. Samstagmorgen zweigungspunkt der Disgraziakette vom gegen 10 Uhr fahren wir an der Baustel- Bergeller Hauptkamm, der hier von W le des Bernhardinotunnels vorbei auf nach N umknickt, das Formobecken einer gebahnten Straße ins hintere Hin- rahmend. Die lange Gipfelkette des

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Monte Disgrazia erscheint von hier zu Adula – Gruppe einem einsamen Felstrum verkürzt. Über 1. – 3. Mai seinen stark zerwürfelten N-Gletscher streicht der Blick ins grüne Val Malenco Freitag, 1.5.64 und draußen, unter grauem Dunst ver- Mit Bernd Dischler, Sepp Kleiser, Hart- borgen, ahnt man das Veltlin und den mut Röpke 3.30 ab. In Reichenau, wo Comer See. Hat man hier schon das Hinter – und Vorderrhein zusammenlau- Gefühl, auf einer südlichen Bastion zu fe, treffen wir mit Fritz, Ernst, Eberhard sitzen, wie erst muss vom Disgrazia Hauptmann und Annemarie zusammen, herab der Eindruck sein. Ab 10 Uhr Ab- um zu erörtern, ob Zapport- oder fahrt. Den spaltenreichen Steilgletscher Leutahütte angestrebt werden soll. Tele- befahren wir, abgesehen von Wolfdieter fonisch forschen wir bei mehreren Mili- auf einem Langlauski, am Seil. Der fla- tärstellen in Chur nach, ob das Adula- che Teil des Formogletschers ergibt sich Manöver vorüber sei. Vergebens. Ein mittels einer 5 km langen Schussfahrt. Schweizer kann ja keine vernünftige Berge, einmündende Gletscherströme Auskunft geben. Um nicht noch einmal links und rechts und schließlich die Hüt- von Panzern zurück geworfen zu wer- te rechts oben rücken vorbei, während den, reisen wir über Kauz ins Valsertal man in die Hocke geduckt, auf des Eis- bis zum Zervreilastaudamm, dessent- stroms Bauch hinausgeleitet. Der wegen hier hinten wohl ziemlich sicher Schneecharakter ist gerade am Umkip- keine Schießtraininge absolviert werden. pen: Es beginnt zu pappen, etwa dort, 11 Uhr Abmarsch. Der meist schon wo von Osten her das Val Muretto ein- schneefreie Weg zieht hoch südöstlich mündet. Durch die Arven bewachsene über der Restpfütze des Staubeckens Moränenlandschaft (desselben Charak- entlang, wo stolze Arven die Uferhänge ters wie im Oberengadin, dessen ur- adeln. Im Gleitflug streicht ein Birkhuhn sprüngliche Fortsetzung das Val Forno ab, in seiner Einsamkeit behelligt. wohl ist. Das Bergell warb dem Inn die Obeliskgleich ragt das Zervreilahorn Fornowasser nur durch rückwärtsschrei- über Teich und Firnhänge. Halb umrun- tenden Bodenverzehr ab.) Machen wir den wir auf dem breiten Weg, teils auf auf stumpfer Spur eine Hatz. Um 12.30 moderner Brücke das Becken und drin- treffe ich als erster in Maloya ein. Neben gen ins flache Lautatal ein. Mehrere einem Restaurant plätschert da ein Almhütten schmiegen sich da an Fels- Brunnen mit geräumigem Trog. Von ihm blöcke und heben sich in ihrem Grau und der warmen Sonne bestrickt, nehme kaum vom steinigen Grund ab. Westlich ich in aller Ruhe und vor verblüffter Öf- ist das Tal von steilen Plattenfluchten fentlichkeit ein Bad. In Chur im Zollhaus flankiert. Bei der nächsten und letzten traditionsgemäß Gelage. 22.00 daheim. Alm, wo sich in wasserbestandenen Die Lawinen- bzw. Schneebrettge- Grasflecken tunlichst laichende Frösche fahr hat scheint’s seit den so ergiebigen aufhalten, sehen wir zum ersten Mal das Osterschneefällen bis zum 12.4. ange- Rheinwaldhorn, rechts davon das halten. An der Trais-Fluors-Abfahrt ge- Grauhorn und legen die Ski an. 16 Uhr schah am 12.4. das Lawinenunglück, bei bei der betagten Leutahütte, die sich dem Barbi Henneberger und Bud Wer- unter einen gewaltigen Felsklotz duckt. 5 ner umkamen. Schneebrettgefahr liegt Welschschweizer treffen abends noch bis zu 3 Wochen nach den erzeugenden ein. Schneefällen auf der Lauer.

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Rheinwaldhorn rutscht man zum Güfergletscher hinab. 2.5.64 Auf seiner sanften Wölbung eilt man lang zum Fuß des steilen Gipfel- 5 Uhr – 7.30: problemlos über den schneegrats. Skidepot etwa 100 m unter unten sehr steilen Leutagletscher. Herr- dem Gipfel. Wieder jagt ein scharfer lich, den anderen weit voran eine steile Wind aus SW uns auf die Leeseite. Der Spur in den seichten Pulver zu pflügen bedeckte Himmel vom Morgen hat sich und dann über die Gratschneide einsam zum Föhn geläutert: In türkisenem Blau zum Gipfel zu schreiten. stehen makellose silbergraue Föhnfi- Westlich hängt alles bis zum sche. Der Blick schweift frei von Hori- Finsteraarhorn in Wolken, gen Osten ist zont zu Horizont. In weiten Bögen, im die Sicht frei. Ins Tessin bricht das Steilen in engen Girlanden tanzend, Rheinwaldhorn so gäch ab, dass die treiben wir den Güfergletscher unter der Hänge von oben nicht ein zu sehen sind. Güferlücke vorbei hinab, bis dorthin, wo An den dort hinunterfallenden Gletscher er sich gen Osten wendet. Sein linkes scheinen sich deshalb unmittelbar die Ufer bildet dort ein hohes Felsriff in das, besiedelten Wiesen und Almen der Tal- im rechten Teil eine Scharte geschnitten schaft von Olivone anzuschließen. Von ist. Diese gewinnen wir, in dem wir unter dort herauf quellen auf einmal zahlreiche ca. 150 m hohen Felswände entlang Italienerpartien, die uns schon nach 3 einen 200 m breiten Schneehang traver- Stunden den Gipfel fliehen lassen. In sieren, der weiter unten mit Felseinlagen einem Pulverrausch ohnegleichen garniert zum Güfergletscher abbricht. schweben und tanzen wir hinab und Die Querung dieses S- Hanges um die gewinnen gegen 12 Uhr im Schuss die Mittagszeit in rutschfertigem Schnee ist Hütte. Ostwärts triftende Wolken lösen heikel. Ein noch hartes Couloir bringt sich überm Tal fortwährend auf, so dass uns zur Scharte. Dieser Durchschlupf die Himmelsschneiße über uns auch durch die unwegsame Felsbarriere in weiterhin Sonnenbestrahlung gewähr- nun idealem Skigefilde ist trickreich und leistet. ist der Schlüssel zu dieser ungewöhnlich spannenden Tour. An einer Alm vorbei Güferhorn schießen wir auf Weideböden schräg 3.5.1964 abwärts vor gen N und stranden nach (Gufer, plural Güfer, walserisch = Geröll kurzer Sulzstrecke auf Rhododen- Felsblock) dronhängen genau über der Gabelung zum Zervreilastausee. Seltsam ist der 5.00 – 8.30. Die der Hüte gegen- Anblick der entblößten Betonmuschel, überliegende, teils aperen Geröll – und die dort drunten im Tal klemmt und die Felshalden hinan bis unter einen schräg niedrige Flut hemmt. von links nach rechts ansteigenden, 21.30 daheim. senkrecht bis überhängenden Felsauf- schwung. Unter diesem queren wir nach Presanella – Adamello rechts hinaus auf steilem Harschhang 16. bis 18.5.1964 (auf Ski mit Seitenschwertern) und er- öffnen uns so hügeliges Skigelände. Über fünf Pässe und fast 500 km Steilste Aufschwünge, genüsslich bayer- weit haben sie uns hergelockt: Presanel- ländernd zur Güferlücke. Von hier er- la und Adamello, südalpine Fern- und blickt man Rheinwladhorns ebenbürtigen Firnziele für die drei Pfingsttage. Nachbarn von N. Vom Joch seitab-

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Acht Stunden seit Freitag misst die eisbehangene Nordwand scheint unmit- Uhr, als unser Gefährt vom Tonalepass telbar aus dem Smaragd des Hochwal- herab ins mittägliche Vermiglio hinein des herauszuwachsen. Kunstvoll spie- rollt. Hier forschen wir nach dem Hüt- ßen wir die Ski an den Rucksäcken auf tenwart der Denzahütte, die, im Staveltal und folgen einem von gepflegteren Zu- gelegen, unser Stützpunkt für die stand kündenden Steig in den Wald hin- Presanalle sein wird. In einem Krämer- ein. Häufig streifen die hochragenden laden treffen wir den jungen Patrone an, Skispitzen im Lärchengeäst und lösen der erklärt, eine andere Partie habe be- einen in den Nacken zielenden Nadel- reits am Morgen den Hüttenschlüssel schauer aus, der eindringlich mahnt, abgeholt. Trotzdem behält er einen un- dass hier nicht nur die eigene Körper- serer Personalausweise ein. Ins Stavel- größe in Rechnung zu setzen ist. Ober- tal können wir, solange die Talsohle halb des Steilabfalls weitet sich das noch flach ist mit dem Auto bis zu einer Staveltal zu einem großen Kessel, den Alm vordringen. Dahinter setzt ein hoher im Grunde ein Bach auf verschwenderi- Steilaufschwung den lieblichen Auen schem Geröllbett verheert, wo aber un- und der Erschließung mit dem Motor ein geachtet dessen eine schmale Almdo- Ende. Hoch im bläulichen Mittagsdunst mäne sich behauptet. Braune Lawinen- schimmert silbern der Presanella; seine zungen und Firnfetzen greifen in das

Presanellamassiv

Rund. Jetzt sehen wir auch am oberen wir die Ski verwenden. Die uns voran- Rand des Kessels die Denzahütte, die gegangenen Presanella- Aspiranten, mit schon in einer geschlossenen Schnee- denen wir die Hütte teilen, sind auch nur decke liegt. Erst wenig unter ihr können zu zweit. Da muss ich an die pfingstli-

66 chen Finsteraarhornhütte denken, wo schritten wird oder die gescheuerten man lernte, einen Schlafplatz am dicht- Fersen mit Blasen drohen. Am Fresh- belegten Fußboden als Luxus zu schät- fieldsattel treten wir aus dem schattigen zen. Dem hier ist nicht so. Die Auswahl Bann der Presanellamauer in sonnen- an Matratzen ist reich und wir schlafen durchflutete Gebilde. Wir stehen am noch am hellen Tag tief ein. Jedoch nur Rand einer weiten Firnmulde, die nach bis mein Bruder mich aus dem Schlaf Süden den Nardisgletscher entlässt. reißt: “Mensch, Hans, schon 4 Uhr, jetzt Uns gegenüber baut sich wuchtig die haben wir doch verschlafen!“. Verstört Gipfelpyramide des Presanllas auf; ein spähe ich in die Dämmerung hinaus und steiler Eishang und ganz oben Fels. In dann auf meine Uhr. „Es ist doch erst 8 großem Bogen gehen wir die Mulde aus Uhr abends“. Argwöhnisch führe ich die und belassen dann unsere Ski im NW- Uhr ans Ohr. Sie tickt noch. Trotzdem Grat. Den Westhang queren wir kurz traue ich ihr nicht. Auch ich meine, unterm Gipfel auf sparsam gekerbten schon eine ganze Nacht durchschlafen Stufen zur Ostflanke hinüber, wo wir auf zu haben. Erst draußen weicht unser warmen Felsblöcken zur Spitze eilen. Zweifel: Die Mondsichel schlitzt den ge- Zuerst wird Teewasser aufgestellt, dann röteten Westhimmel und der Presanlla schauen wir in die Weite. Im nahen glüht. Beruhigt darob, noch einer langen Westen dehnt sich die arktisch verglet- Nacht entgegensehen zu dürfen, trollen scherte Adamellogruppe. Die weitflächi- wir uns gähnend wieder auf die Lager. gen Gletschertennen sind das land- Als wir dann aufbrechen, ist es wirk- schaftbildende Element, während die lich 4 Uhr morgens. Die harten Firnhän- Felskämme nur schwach aus der Eisbe- ge liegen in bleiernem Grau, gewinnen deckung hervorbrechen. Von Süden aber mit dem höher kriechenden Mor- reißt tief das Genovatal ein und schließt genrot an Farbe. Bald stehen wir auf mit dem Steilwandkessel von Bedole. dem hohen Moränenufer des Presa- Mit spaltengefiederten Zungen lecken nellagletschers und können das Gelän- Lobbia- und Madronegletscher dessen de einsehen. Uns gegenüber die Nord- felsigen Rand. Kein Riss stört weiter wand des Presanella, die sich mit oben das makellose Weiß der samtenen gleichbleibender Mächtigkeit nach Wes- Gletscherfläche, die im Morgendunst in ten zur Cima di Vermiglio fortsetzt. Am einer ätherischen Unangreifbarkeit flim- Fuß des NW-Pfeilers kommt steil und mern. Weit drüben wölbt sich der mancherorts aufgebrochen der Presa- Adamello aus den Gletschern, um nellagletscher vom noch unsichtbaren scharfkantig in seine Nordwand abzu- Freshfieldsattel herab um die Ecke ge- brechen. Drunten im Südosten reckt die bogen, um sich dann, besänftigt ohne Brenta ihre schattenschwarzen Türme merkliches Gefälle vor den Nordabstür- und Mauern aus den Wolkenschwaden; zen des Presanellas entlang zu schie- kulissenhaft stehen die Dolomiten dahin- ben. Damit ist unsere Route gegeben. ter. Ötztaler, Ortler und Bernina zeigen Man geht durch den Freshfieldsattel um ihre ungewohnten Südflanken und fern den Berg herum und packt ihn von hin- am westlichen Horizont schwimmt der ten an. Zunächst streben wir auf flach Monte Rosa überm Dunst. Um neun Uhr gewellter Gletscherfläche der Aufstei- steigen wir zum Skidepot ab. Vom lung zu, wo wir Harscheisen an die Skier Freshfieldsattel schwingen wir die harten stecken. Mit ihrer Hilfe „bayernländern“ Steilhänge hinunter, hie und da zum wir, die Falllinie nur aufgebend, wenn Halten gezwungen, weil die Füße das der Reibungswinkel für die Felle über- Kanten verweigern. Und ehe wir uns

67 versehen, sausen wir unter der Presa- den Bergspitzen, die Luft ist erfüllt mit nella-Nordwand dahin, nun im besten menschlichen Lauten und tausend Spu- Firn. Wir fahren oberhalb der Hütte vor- ren durchkreuzen den Schnee. Wir sind bei und ziehen auf einer breiten Lawi- in einen sonntäglichen Tummelplatz nenbahn in den Talkessel hinein. Erst Norditaliens geraten. Und da müssen wir auf dem Boden, wo Krokusse das noch hindurch! Verdrossen beginnen wir den welke Gras durchstoßen und Lärchen Durchmarsch, der zu einem Exkurs in grünen, müssen wir umsteigen: Von den die Mentalität der Italiener wird. Am Ski auf Schusters Rappen. Genießend Presanajoch, das wir nach einer Stunde vollziehen wir den Wechsel unserer erreichen, befindet sich die am weites- Umgebung, als wir in die vorwärtsdrän- ten vorgeschobene Bastion italienischer gende Vegetation eintreten. Auf vertrau- Lautstärke und Lustbarkeit. Auf einer ten Kehren steigen wir zum Auto hinab, Felszinne nistet eine fröhliche Gesell- wo wir befreiend die schweren Rucksä- schaft, die die Umgebung mit Stein- und cke abwerfen: Blüten aller Farben über- Flaschenschlag gefährdet und mit ei- völkern die Matten, unentwegt geigen nem weit entfernten Skifahrer in ständi- die Grillen und rauscht der Bach. Gelas- ger Sprechverbindung steht; ein von sen in den Schatten gelagert beobachtet Chianti und Sonne Betörter torkelt um uns eine einsam wiederkäuende Geiß. eine leere Flasche im Schnee; andere Sonst liegt die Alm wie ausgestorben in liegen ganz unitalienisch schweigend, der Mittagsglut. Nur kurz erfreuen wir krebsrot in der Sonne. Bei der Abfahrt uns der Tatenlosigkeit und der aus neu- zur Madronenhütte, angesichts der un- er Sicht geschauten Umwelt. Unser alpi- berührten Madronen- und Lobbia- ner Ehrgeiz gebietet nämlich, dass wir gletscher, sind wir solchem Treiben ent- noch heute eine Ausgangsstellung für ronnen und wieder versöhnt mit der den Adamello beziehen. In Vermiglio Welt. Der Winterraum der Madronen- holen wir gegen 1000 Lire unseren hütte ist zwar verschlossen, doch kön- Ausweis wieder ab und erhalten vom nen wir der Vorarbeit eines früheren Hüttenwirt noch einige Hinweise für un- Einbruchs nutzen und durchs Fenster ser Unternehmen. Diesen zufolge kön- eindringen. Mit zwei Boznern zusammen nen wir vom Tonalpass mit der neuen sitzen wir noch vor der Hütte, bis uns die Seilbahn hochschweben, kurz zum Schatten in unsere Stube treiben. Presenajoch aufsteigen und zur Die Konturen der Madronenhütte Madronenhütte abfahren. In der Seil- verschwinden hinter uns im Dämmer- bahnstation sagt man uns, der Schlüssel licht, während wir in leichtem Gelände zum Winterraum sei gestern schon ge- dem Madronengletscher zustreben. holt worden, die Partie wolle ihn aber Nach einer Steilstufe und einem quer- heute wieder abliefern. Wir müssen die riegelähnlichen Eisbruch stehen wir mit- Leute halt auf ihrem Rückweg abfangen. ten in den Schneeweiten, die sich all- Wütend ob solcher Schlüsselwirtschaft mählich mit Sonne füllen. Rechts hin- lassen wir uns von der Seilbahn zum term Corno Bianco lugt die steile Stirn Monticellojoch hinauftrage. Als wir dort des Adamellos hervor in weit abgelege- ins Freie gelangen, bietet sich uns, die ner Ferne. In vier Stunden durchmessen wir noch die Einsamkeit des Staveltals wir den Madronengletscher bis an den im Sinn haben, ein erschütternder An- Fuß der Adamellokalotte. Über den kur- blick. Die ganze weite Mulde des zen Ostgrat stapfen wir zum Gipfel. Wir Presanafirns wimmelt von Italienern, in schauen zum schneidigen Presanella Trauben hängen sie an den umliegen- hinüber wie zu einem alten Freund; er ist

68 uns das einzig neue Element im Blick- ten des Adamello, aber des Narcanetals feld. Vorwiegend widmen wir uns leibli- nicht ansichtig, dessen Bogen man nur chen Genüssen, wir sonnen uns und an den begrenzenden Bergrücken erah- trinken Tee. Mit der Zeit verblasst die nen kann. Dann stürzen wir uns in den Siegesfreude und neue Probleme wer- weißen Rausch, nehmen plötzlich auf- den aktuell. Wir wollen nicht mehr zur tauchende Bruchzonen in unverminder- Madronenhütte zurück sondern nach tem Tempo, flechten Zöpfe in den Firn Ponte di Legno hinab, das westlich unter und stechen übermütig in nicht einzuse- dem Tonalepass liegt. Gegen 10 Uhr hende Steilhänge, um schließlich auf wenden wir uns zur Abfahrt, die aber flacher Gletscherzunge auszulaufen. Wir alsbald in einen Gegenanstieg um- sind wie besessen vor Begeisterung, als schlägt. Der Corno Bianco muss noch wir ins gleißende Gegenlicht zurück- erstiegen werden, weil er einen rassigen schauen. – Ein mächtiger Felsriegel Osthang zum Madronengletscher hin hemmt die Weiterfahrt. Haben wir uns absendet. In den von der Morgensonne bestricken lassen vom geführigen Firn aufbereiteten Firn zeichnen wir Schwung und sitzen nun in der Falle? Aber da an Schwung., biegen dann aber recht- entdecken wir eine zerschmolzene Ski- zeitig unter einem Felssporn scharf nach spur, der wir misstrauisch folgen. Doch links und schießen unter der Nordost- sie leitet uns in wegsamen Gelände auf flanke des Corno Bianco tief in die nörd- der rechten Talseite schwingend in die liche Bucht des Madronengletschers Tiefe. Durch ein steiles Erlendickicht hinein. Erneuter Gegenanstieg. Links müssen wir kurz die Ski tragen, womit der Mandroepass, in dem eine Biwak- wir den beträchtlichen Steilabfall ge- schachtel glänzt. Auf dem Grat daneben meistert haben. Auf kernigem Lawinen- ragt verfallenes Gemäuer und mahnt an schnee durchfahren wir den Knick im verbissene Kampfhandlungen im ersten Narcanetal und stellen glücklich fest, Weltkrieg. Wir richten unsere Schritte dass kein weiterer Abbruch unseren auf eine Scharte in der, den Madronen- Schuss behelligen will. Jeden Schwung gletscher gegen Norden einfriedenden kosten wir aus. Am meisten, den letzten, Felsmauer. Unsere österreichische Al- dem zischend der Firn in einen Wildbach penvereinskarte, mit der sich unser weicht. 1600 m Meereshöhe, ringsum Großvater um die Jahrhundertwende sprießen Büsche und Bäume, unweit im hier vortrefflich orientiert haben mag, Tal draußen Ponte di Legno. Befanden erweist sich des Gletscherschwundes wir uns nicht eben noch auf 3200 m am wegen als untauglich. Weiter östlich Tredicesimopass? Welch Höhenverlust, über den weißen Gletschern liegt ja ein welch ein Lustgewinn. Von Ponte di sicher leichterer Übergang, aber es flös- Legno gelangen wir per Anhalter rasch se noch viel Schweiß, bis wir ihn erreich- wieder in Besitz unseres Autos, das am ten. Da probieren wir es lieber mit dieser Tonalepass wartet. Bereits wenige steilen aber nahen Scharte, vielleicht Stunden später wiegen wir uns in den kommt man doch drüben runter. (Auf der Wellen des Comer Sees und mehren Karte entspricht diesem Übergang am den Reichtum an Gegensätze, die wir in ehesten der Tredicesmopass.) Und sie- den verflossenen Tagen ausgeschritten he, wir dürfen in der Scharte schon die haben. Ski besteigen zur Abfahrt ins Narcanetal. Auf hochgewölbten Glet- Dem Scherschen über seine Nase scherrücken gleiten wir hinaus, vorerst 30. Mai 1964 noch erhaben über den felsigen Vorpos-

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(Piz Scherchen – Alp Serschen in dem wird mein Herz derart angetrieben, dass Val Laterna, Veltlin – circinus „Kreis“) sein Schlag im Kopf schmerzhaft spür- Freitag, der 29.5.64, 9.30 – 10.00 bar wird. (Am Doldenhorn war’s ähnlich.) hebt an mit meiner Matheprüfung bei Dem Wolfdieter geht’s genauso. Wir Prof. Tautz, welche, durch die Ada- reißen uns immer 10 m weit zusammen, mellotour von der Chemie- und Physik- bleiben dann minutenlang stehen, vorn prüfung wohl getrennt, die letzte Etappe übergebeugt, um die Schultern von den meines Vordiploms ist. Tautzens Wort, Ballastsäcken zu entlasten. In solchen “Sie haben sich sehr gut geschlagen“, gequantelten Vorstößen dringen wir bei besiegeln einen halbjährigen Geistes- schwachem Nebel, der auch mal drill. Schneeflocken spendet und bei großer Ab 12.00 Uhr mit Wolfdieter und sei- Hitze bis zum Bergschrund des Gipfel- ner Mutter nach Bernau, wo sie mich im hanges vor (200 m unterm Gipfel). Rössle zum Essen einlädt. Ohne sie 14.00. Völlig erledigt. An ein Weiterge- nach Pontresina-Surovas. 11.30 auf hen ist nicht zu denken. Ich schlage vor, Tschiervahütte. Wir finden da sogar in der Spalte hier zu biwakieren. Wolf- noch einen leeren Raum mit Schaum- dieter meint, wir blamieren uns damit gummimatratzen. Um 3 Uhr wieder her- bloß; außerdem erhoffe er sich keine aus. Als wir der Wirtin verkünden, vom Besserung unserer Zuständ. (Das ist Scherschen zur Bernina gehen zu wol- richtig.) Des Malventees harrend, sitzen len, rät sie uns, von ihrem merkwürdigen wir auf der Spalte Rand und spähen ins Mann wohl dazu abgerichtet, eindring- Land. Die Diembergerführe durch die lich ab. 4 Uhr weg. In 3 Stunden zur Rosegg-NO-Wand scheint diese Jahr Fuorcla Umur von der Nordseite her gut zu gehen: Am großen Eiswulst klebt gestapft. Bruchharsch. Weitere 2 h über eine Stufe, die man von Osten her be- den Schneegrat und anschließend ver- gehen kann und von deren höchsten schneite aber schön zu bekletternde Punkt etwa 2-3 m senkrecht oder über- Grataufschwünge zur Eisnasenwurzel hängendes Eis zu überwinden ist. Ein- anatomisch verkehrt). An der Nase stimmig äußern wir, dass man für diese hackt man sich erst nach rechts querend Tour lebensmüde sein müsste. Umkehr: schräg hoch, beschreibt dann von Stufe Die Eismassen klettern wir ab, wofür wir zu Stufe langsam höher rückend, eine mindestens genauso brauchen wie hin- Haarnadelkurve, um nach einige Metern auf. Um 20.00 wieder in der Fuorcla Querung nach schräg links hinauf sich Umur. 21.30 bei der Hütte, die wir an eine Standschraube zu heften. Die hochmütig, aber nur äußerlich, passie- nächste Seillänge bringt uns aus diesem ren. Zur gleichen Zeit kehrt eine Schwa- ca. 700 geneigten Nasenwulst zum sich benhorde vom Biancograt zurück. Sie verflachenden Nasenrücken. Eine 3. waren bis zum Piz Bianco vorgestoßen Seillänge endet auf der, anatomisch und dann wieder zurückgestiegen. Wir gesprochen, stark fliehenden Stirn, der- schleppen uns zurück zur Alp Misaun gestalt durch den Scherschen- (gegenüber Roseg-Hotel) wo wir auf Hängegletscher. 11.30. Das große Lei- brachliegenden Senner-Schlafstätten, den am Scherschen: Unter jedem Tritt mit Stroh und Reisig versehen, nächti- gibt die Schneedecke nach und lässt gen. Es ist 12 Uhr. Mehrere Male waren einem bis ans Knie und weiter in die wir auf dem Weg hierher gestolpert und Tiefe sacken. Durch diese nervliche dann einfach eine längere Zeit liegen Qual, die zunehmende Höhe und vor geblieben, bis die Nachtkälte sich auf- allem durch die in mir lauernde Grippe drang. ½ 11 Uhr sonntags. Ein wirklicher

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Sonntag, schöner als gestern. Enzian mutenden Kamin, indem ich jedoch kei- gerafft. 13.10 in Surova. Über den nen Haken ausmachen konnte (ich habe Albulapass heim. ja ein Talent, Haken zu übersehen, be- sonders wenn ich direkt vor ihm stehe). Michelplanggstock Da ich das weiß, schicke ich Wolfdieter Traverse zur Inspektion, mit Erfolg, dass er auf den alpinen Abfall stößt (Hakenbruch- 7. Juni 1964 stücke, Lumpen). Und Tatsächlich er- späht er im Überhang droben Haken. Mit Bernd Dischler allein 3 Uhr morgens Wenn man bis da hinaufsteigt, wird man fort. 7.30 am Sustenpass (Meiental, automatisch auf diesen Kamin geführt Wassen-Sustenpass). Bis 9.30 langsam und kann ihn gar nicht verfehlen. In zum Einstieg gelaufen; das Leiden vom Schlingen ersteigen wir diesem 40 m Scherschen ist noch nicht ganz verwun- Kamin über das Dach in äußerst den. In ca. 4 h die Überschreitung getä- zerscherbeltes Gelände. Stark Rechts- tigt. Kurz vor dem Auto wird ein Gewitter querung. Erst die letzte Seillänge dieser oder Wettersturz regsam, heftigen Re- kurzen Tour ist wieder eisenhart. Man gen vergießend. Zuvor war ein sonniger steigt in dem weiten Sattel zwischen Tag ins Land gegangen mit Blick aufs Kleinem und Großem Turm, etwa im Berner Oberland und auf die Südwände tiefsten Punkt aus, Abstieg durchs des Titlis. Urirotstock kann von dieser Bodloch. Seite aus seinen Scherbencharakter nicht verbergen. Wichelplanggstock: Wichel = Winkel Ebnefluh dir. NW- Wand (Hiebeler – im Sinne von „Tälchen“ auch „zugespit- Groß – Führe) ze Fläche“. Plangg (gr. Phalanx) = steil- 27. – 29.Juni 1964 abfallende Grasfläche in Waldungen Mit Wolfdieter Münch und Udo Patsch- oder zwischen Felsen. eider Sa. 27.6. In Udos VW über Thun- Burger - Liebewein – Führe Interlaken nach Stechelberg. 9 Uhr bis 14 Uhr auf die Rottalhütte. Fast 2000 Freitag, 12.6.64. 18 Uhr ab in Wolf- Höhenmeter. Wolfdieter fährt das Auto dieters Auto mit Udo und Helmut Haber- nach Lauterbrunnen, wo er es parkiert land zur Lindauer Hütte. und ein Lunch einnimmt. Er hat dann ca. Samstag, 12.6.64. 1 Uhr morgens 1 Stunde länger zu gehen. Er ist nicht daselbst angelangt. Nach 4 h breche ich gerade vor uns auf der Hütte, sondern mit Wolfdieter auf zur Burger-Liebewein- trifft „erst“ eine Stunde später ein. Womit Führe durch die S-Wand des Mittleren er etwa nur 3 h benötigt hat. Mittags Turms. Ca. 2 h lang irren wir unterhalb befreien sich tiefgehende Wolken von der Schwierigkeiten herum, weil wir ei- ihrer Hagel- und Regenlast. Udo ist jetzt ner Beschreibung von Fritz zu Folge, schon zum dritten Mal heroben und wie- uns zu hoch wähnen. Wir möchten im- der verspricht`s umsonst zu sein. Bis tief mer nach Osten streben, was ohne Ab- in die Nacht hinein füllt sich die Hütte mit seilen jedoch nicht gelingt. Und gerade allerlei SAC-Sektions-Schweizern. das hat Fritz gesagt: Wenn ihr zu hoch So. 28.6.64 3.00 bis 5.00 zum Berg- seid, müsst ihr abseilen. Noch einmal schrund gestapft. Zunächst steckt alles schweifen wir zurück unter einen an- in einer drohenden Wolkendecke, nur fangs schon inspizierten, rachgierig an- ins Tal hat man einen Ausblick, z.B. auf

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Mürren hinab. Kurz hinter uns brechen Fortkommens. Die Aschenbrenner- zwei weitere Aspiranten auf mit dem Führe weicht nun nach rechts gegen die wettertrotzendem Argument: „Wenn man Felsinsel aus. Sie wurde gestern von eine Tour geplant hat, muss man auch einer Seilschaft begangen. Da hat sich zum Einstieg gehen“. Unschwierig pa- Udo gleich auf die schon fertigen Stufen cken wir den Schrund, schirren uns gefreut. Direkt über uns wird`s blank und dann richtig mit zwei Seilen zusammen sausteil und dann der Wulst. In dessen und los geht der Trott: Es ist mindestens Falllinie sind wir bisher höher gestiegen ein Drittel der Flanke, was wir gleichzei- und ich steige auch dort weiter. Udo tig marschieren. Schön langsam, aber Fragt: „ Hans, wohin sollen wir gehen?“ kontinuierlich. (Das Tempo bestimme ja „Geradeaus!“ Durch einige Meter sich im ich. Der Aufstieg gestern hat mich Lauf der Zeit herausschälender Felsen schwer in Herzzustände versetzt, die (in ca. 20 Jahren ist die Ebnenfluh schon mich auch nicht haben schlafen lassen.) eine kombinierte Tour) in eine schwach Es herrscht hier gefrorener Firn, in den ausgeprägte Steilmulde unterhalb des sich schon bei einem Fußhieb ein Tritt Wulstes. An wenigen Stellen findet sich formen lässt. Mit zunehmender Steilheit bequemer Pressschnee auf dem Eis. Ich tritt Blankeis auf. Ende des zügigen

Ebnenfluh Nordwand gehe sehr frech, immer so an der Gren- Dann schlage ich hektisch eine dürftige ze des Gleichgewichtes und des „Zer- Kerbe, in die ich gerade einen Fuß räu- schnellens der Wadenmuskeln“. Man men kann. Eine Schraube wird ins Eis löst sich von der Standschraube, treibt gewirbelt. So ein Zwischenporzess spielt sämtliche spitzen Gegenstände, wie sich etwa zweimal pro Seillänge ab, Stichel, Eisaxt und Steigeisenfrontalza- dann erklingt von unten das lang er- cken ins Eis und steigt, nach außen hin sehnte, erlösende „Seil aus!“. Ich hebe völlig die Ruhe behaltend, den angstge- eine Standstufe aus. Der Auswurf rollt reizten Nerven jedoch innerlich unauf- zischend hinab, trommelt irgendwo auf hörlich gut zuredend, in die Höhe, bis einen Steinschlaghelm und verursacht in die Spannung der Nerven und der Wa- erster Linie bei dem, 70 m weiter unten denmuskulatur die weiter Aufrechterhal- harrenden Wolfdieter heftige Proteste. tung des Gleichgewichts gefährden. Aber gerade letztere Signale versichern

72 mich, dass wir in der Falllinie sind. Den gen wir der Spur, die in großem Bogen Wulst, der sich noch auf dem Bild in das Gletscherbecken ausgeht, um un- einer undegenerierten Form zeigt, heute term Auengrat entlang zur Hollandia- jedoch verflacht ist, überlisten wir mit hütte zu führen. Diese Spur dient uns einem ganz schwachen Rechtsschlen- trefflich zur Orientierung und der ge- ker (steilste Stelle). Hiermit tauchen wir zückte Kompass bestätigt immer wieder ins Sonnenlicht. Von N drücken Wolken, ihre Richtigkeit. Zu mehr taugt die Spur doch sind sich diese nicht ganz ihrer nicht. Bei jedem Schritt fährt man in die Sache sicher. Unsere zwei Schweizer Sulztiefe bis ans Knie. Wir torkeln von Konkurrenten haben sich, nachdem sie einer Seite zur anderen, weil ein ver- am Einstieg waren, zurückgezogen. meintlich unnachgiebiger Fußstapfen Vielleicht wegen dem Wetter, vielleicht erst bei der letzten vollen Belastung zu- wegen dem Bergschrund. Udo erzählt, rückweicht und derart jede Gleichge- man habe ihre Köpfe ab und zu wie Ma- wichtsvorausplanung torpediert. Die rionettenfigurenüber die Lippe des Stiefel haben nur noch den Zweck, den Schrundes hervortauchen und dann Strumpfsumpf, in dem die Füße quat- wieder abrupt zurückfahren sehen. Ich schen, daran zu hindern, die Temperatur strebe gegen den nächsten Wulst, der des umgebenden Sulzes anzunehmen. schon ziemlich dicht unter dem Gipfel Die moralische Belastung durch das liegen muss. Viele Seillängen sind das. fortwährende Einsacken ist qualvoll. Um Das Gelände wird nicht flacher. Diese 17.30 bei der Hollandiahütte. Keine Sau letzten Seracs kann man links ohne ist da. Die trockenen Strümpfe im Ruck- senkrechte Stelle umgehen. Ich bin aber sack haben sich gelohnt. dermaßen kindisch von der Falllinie be- Mo. 29.6.64: 6.00 – 11.30 nach Blat- sessen, dass ich geradeaus eine Eis- ten im Lötschental gelatscht. Fantasti- verschneidung ansteure. Diese ist mit sches Wetter. Die Nordwand des Löt- Flugschnee verklebt, in dem ich mich schen-Breithorns begeistert mich völlig. hochwühle, seitlich gegen grüne Eis- Unter diesen 2000 m Abstürzen rasten wände stemmend. Einige Eisschrauben wir ca. anderthalb Stunden, sonnen uns helfen mir dabei. Nach ca. 5 m quere ich und das Schuhwerk, saufen Tee und aus der Verschneidung heraus. Nach erspähen Einzelheiten der tollen N- zwei Seillängen steiler und schließlich Wand. Gegenüber am Gestade des zurückfliehender Eishalde zum Gipfel- Gletscherbaches ein Bestand von Krüp- grat. Nebel und Wind. 14 Uhr. Zunächst pel- oder Zwerglärchen, die aus Grün- laufen wir den Gipfelgrat (den Gipfel den ihrer unerklärlichen Wasserversor- besuchen wir nicht, er liegt etwa eine gung oder dergl. ein forstbotanische Seillänge nach Osten) nach Westen Phänomen sind. Ab Platten bewegen wir flach hinab, bis wir auf die Spur treffen, uns im Postbus fort bis Goppenstein. von der gestrigen Seilschaft, welche Bahnreise bis Spiez zum Thunersee. einige Seillängen westlicher aufstiegen, Wolfdieter steigt dort um und fährt weiter in den weichen Schnee geprägt wurde. bis Lauterbrunnen, um den VW zu über- Nach einem Steilhang sind wir auf dem führen. großen flachen Gletscher, der in Rich- tung auf`s Aletschhorn, das sich ab und Piz Roseg zu zeigt, wüst zerwürfelt. Rast gegen dir. NO – Wand (Diembergerführe) meinen Widerstand. Der Tee schmeckt aber doch ganz gut. Währenddessen fängt`s an zu hageln. Stumpfsinnig fol-

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Samstag, 4. Juli. In Wolfdieters früher die Biancograt – Anstrebenden Glass 1204 bis 11 Uhr nach Pontresina. heraus. Leider nehmen wir Udo`s war- Insassen: Wodis Cousine Ortrud, Udo nende Erzählung nicht ernst. und ich. 5. Juli Sonntag. Gegen 1 Uhr steige Um 14.00 auf der Tschiervahütte. ich hinaus. Das Wetter hat aufgeklart. Anschließend schüttet es gewaltig. Der Froh darüber kehre ich ins Hütteninnere Wirt behauptet, das sei kein gutartiges zurück und will mich mit meinem Ruck- Gewitter. Wir diskutieren unseren mor- sack vereinigen. Die Tür zu diesem gigen Startermin. Möglichst früh. Udo Raum ist verschlossen, so auch der Auf- erzählt, der Ganter Max habe einst um 3 enthaltsraum. Ähnlich trostlos irren zwei Uhr aufbrechen wollen, sei aber an ver- weitere Gesellen herum. Sie fragen riegelter Türe und weggeschlossenen mich, wohin wir wollen, „zum Roseg“. Rucksäcke gescheitert. Das wollen Wodi „Und Ihr?““Auch“. Den Normalweg ha- und ich nicht glauben, warf doch letztes ben die sicher nicht vor. Wir hauen uns Jahr der Wirt um 3 Uhr schon oder noch wieder auf die Lager. Nach 3 Uhr, als

Piz Roseg immer mehr begreifen, dass der Zugang Umur hindurch ins weite flache Glet- zum Rucksack versperrt ist, erscheint scherbecken am Fuße der Roseg NO- der Wirt und öffnet die Gemächer. Die Wand. (Das ist auch der bequemste Schweizer sind nicht offen empört. Wir Weg zur Fuorcla Umur, die wir vor ei- dämmen unsere Wut und wollen sie erst nem Monat von der anderen Seite her nach der Tür aus dem Sack lassen. Ab 4 betraten.) Diese durchkreuzen wir, stap- Uhr an der Spitze langer Eselspfad- fend in Richtung auf den Einstieg der aspirantenschlange westlich unter Piz klassischen Kluckerroute auf die

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Schneekuppe (Roseg-W-Gipfel). Von stürzen. Dieses erwachende Leben und Westen her fahren auf der Unterseite Regen, Knistern und Rieseln verursacht besonnte Wolkenfelder vor und drücken ein ungutes Gefühl. Eine kurze Horizon- die Laune. Können wir da eine Eistour talquerung an der Randkluft bringt uns wie die Kluckerführe angehen? Udo:“Ich an den Beginn einer schräg nach links schlage vor, wir machen des Eselsgrat!“. oben strebenden Verschneidung. Unten Wodi und ich sind strikt dagegen. ist sie mit Pulver gefüllt, den ich schwin- Schweigend stapfen wir weiter, ich delnd durchwühle. Dann neigt sich die brauche ja nur am Seil zu ziehen, dann rechte Verschneidungswand über die müssen die anderen auch mitkommen. andere rampenartige herüber. Diese ist In dem Maß, wie wir uns dem Berg- mit verharschtem Schnee bedeckt, in schrund nähern, verhindert der Roseg dem das vom rechten Überhang triefen- den Blick in den, Übles verheißenden de Schmelzwasser, von Eiszapfen in Westen und die noch eben in Frage geregelte Bahnen gezwungen, vereiste gestellte Kluckerführe muss zusehen, Löcher gehöhlt hat. Da passt nun gera- wie der ihr zustehende Besuch im letz- de meine Eisaxt hinein, an der ich mich ten Augenblick vom Nachbar abgewor- über die, sonst haltlose Stelle ziehe. ben wird: In zunehmendem Maße falle Wenige Meter unterm Eisbeginn treibe ich der Verlockung der wesentlich ab- ich eine Standschraube in eine vereiste wechslungsreichere Betätigung verspre- Felsspalte. Weit spreizend entsteige ich chende Diembergerführe anheim. Dieser der Felsregion und quere eine Seillänge allmähliche Bestrickungsprozess äußert fast waagrecht mit mehreren Zwischen- sich bei meiner Spurarbeit in einem schrauben im aufgeweichten Steilfirn Linksdrall Richtung Diembergereinstieg. nach links hinaus. Es ist ungeheuer Schließlich halte ich inne und äußere: spannend, wie es wohl um die Ecke „Kommt, wir machen die Diemberger!“. aussieht. Direkt am Fuß des östlichen Wodi: “Ha ja.“ Udo muss mit. Am Berg- Balkoneckpfeilers treibe ich meine schrund schirren wir uns an, 7.00. Un- Standsicherung. Ich sitze da in der Mor- terdessen kommen die Zwei, die heute gensonne hinter funkelnden Eiszapfen, Morgen um 1 Uhr auch zum Roseg woll- die mehrere Meter lang von den über- ten. Die NO-Wand ist also der Weg zum hängenden Balkonpfeiler herab ge- Roseg in der Sprache derer, die mit der wachsen sind, bis sie sich mit dem Sprache nicht herausrücken wollen. An schwach geneigten, aufgefirnten Eis- den Birnen, die sie uns schenken und hang unter mir verschmelzen. Unkundig ihrer Sprache erkenne ich die Südtiroler. dessen wie man sich in einem derarti- Es ist Hias Meier und Benetti aus Bo- gen eiszapfenverbrämten Standplatz zu zen. Hias ist schon über 50.Gleichzeitig benehmen hat, stoße ich beim Einholen steigen wir auf gutem Firn bis zum ers- des Seils an eine der Eissäulen. Diese ten Felsriegel. Nach 2 Seillängen, teils stürzt krachend auf mich herab und ver- auf frisch verschneitem Fels, teils an der setzt mir einen heftigen Hieb gegen den Grenze zwischen Fels und Eis hangelnd behelmten Schädel. Blut rinnt aus einem an dem Fuß der fast lotrechten Fels- Ohr. Ich bin ziemlich verdutzt und habe wand, die oben unter den Eiswulst während dem Gepolter an einen größe- taucht. Dieser weißgrüne Eisbalkon ren Eissturz gedacht. Eine solche Entfal- neigt sich soweit aus der Senkrechten, tungsmöglichkeit habe ich einem Eis- dass die zahlreichen Eissplitter, die sich zapfen nicht zugetraut. Anderthalb Seil- vermöge der Sonnenbeheizung dort längen steigen wir östlich unter dem oben ablösen, außen an einem vorbei Eisbalkon auf einer unschwierigen, teils

75 felsdurchstoßenen Rampe hoch. Es ist Udo und Wodi. Letzterer, zusätzlich mit ungemein spannend, weil man über- meinem Rucksack, muss auch noch die haupt nicht weiß, wo man durch die Schrauben aus drehen. 11 Uhr. Die Gip- ringsum aufstrebenden, blaugrünen, felflanke sieht kurz aus, doch wissen wir, rissklaffenden Eiswände hindurch kom- dass uns die Hälfte noch bevorsteht. men soll. Im Eck hinten, wo der östliche Droben am Gipfelgrat reihen sich die Eiswulst mit unserem mittleren zusam- Eselspfadbezwinger, balancierend ge- menstößt, habe ich mir schon einen gen den blauen Himmel abgehoben. Auf Eiskamin durch die senkrechte, etwa 20 einem baufälligen Restgewebe überliste m hohe Wand als Durchstieg ausge- ich den Bergschrund, mit dem sich das wählt. Doch da öffnet sich nach rechts Dach des eben erklommenen Balkons eine bequeme Rampe, die schräg hinauf von der steileren Gipfelflanke losreißt. in die Vorderseite unseres Eisbalkons Eine Seillänge über dem Schrund kann hineinleitet. Erfreut verkünde ich: „Da ich mich sogar an einen Eiszapfen knüp- kommen wir noch billig weg!“. Das ist die fen. In dem Moment sehe ich, wie sich rampenförmige Stufe, die ich vom unten an der Balkonbrüstung einer der Scherschen drüben beobachtet habe. Bozner hochschiebt. Sie haben viel Zeit Ziemlich leicht geht es eine Seillänge verloren, weil sie die Felsregion direkt auf ihr hoch, bis sie waagrecht wird. Es machen wollten. Acht Seillängen dürften ist hier recht geräumig und man kann es wohl sein, (Eigentlich hat man ja ge- sich nicht vorstellen, dass man auf einer nügend Zeit sie zu zählen, und doch vergleichsweise schmalen Lamelle aus tut`s man nicht.) in recht griffigem Firn. Eis steht, die bescheiden an der Stirn- Es ist aber trotzdem ein Gehen auf den fläche des gewaltigen Eisbalkons klebt, Frontalzacken, die den Firn durchstoßen um eine Sprunghöhe von etwa 2 m ge- und erst im Blankeis richtig greifen. Mit gen die obere Abbruchkante nach unten zunehmender Höhe verflacht sich der gesackt. Diese Abrutschhöhe ist als Firnbelag und die Vorsicht mahnt zu Überhang ausgebildet. In sein morsches mehr als einer Zwischenschraube. Die bzw. zu frischkörniges Eis pflanze ich einzige Abwechslung bietet das Wetter. möglichst tief eine Eisschraube und Wir werden mehr und mehr von Nebel hänge eine Trittschlinge ein. In ihr ste- schwankender Dichte umwallt; schließ- hend, durch Seilzug gegen das Eis ge- lich schneit`s. Die Gipfelfelsen bleiben drückt, jage ich Wolfdieters Pickel mit aber in Sicht, nicht zuletzt, weil wir der meinem Eisbeil in den Firn über Über- schrumpfenden Blickweite durch unser hang. An dem neu geschaffenen Halte- energisches Höherrücken entgegenwir- punkt geklammert, entwinde ich mich ken. Oft messe ich unseren Fortschritt dem Überhang, nicht ohne dass Wolf- am Rosegpitschen, bis dieser Gratturm dieter die umgarnten Steigeisen aus der im Range eines Übergipfels umnebelt Schlinge gelöst hat. Zum Glück habe ich wird. Da habe ich aber schon die ersten meinen Rucksack abgegeben, denn mit Vorposten des Gipfelfelsen erreicht, die ihm wäre das Entwinden um den Pickel- hier die Ufer eines Eiscouloirs verkör- stiel nicht so bequem verlaufen. Ich be- pern. Ein Wechsel im Gelände ist mir finde mich nun auf dem Dach des Eis- höchst gelegen, hat doch das Blankeis wulstes. Mangels Blankeis muss ich hier schon überall die Oberhand gewon- mich an meinem Eisbeil sichern. (Diese nen. Eine halbe Seillänge lang muss ich schlechte Sicherungsmöglichkeit ist Stufen schlagen, die ersten und letzten einst einer Münchner Seilschaft zu Ver- Stufen in der gesamten 700 m Wand, hängnis geworden.) Mit viel Zug folgt dann bröckelt und birst lockeres Gratge-

76 stein unter den Zacken. Genau bis zur Rückblick: eine der frechsten Alpentou- Gratschneide langt das Seil. 15.30. Im ren (Ca. 12. Begehung) über’s Wochen- Nebel erkenne ich gerade noch die zwei ende. Anschließend packt mich eine Bozner, die uns eingeholt haben und schwere Erkältung, die sich auf`s Herz hinter Wodi warten. Der Gipfel liegt ir- schlägt und mich 3 Wochen stilllegt. In gendwo weiter östlich. Ich will ihn noch der Fachsprache heißt das Feiern. Bis aufsuchen, doch wähne ich mich nach zum nächsten Coup .... einer Seillänge nahe genug. Nebel und

Schneetreiben können wir ja auf unse- rem Vorhöcker auch schon genießen. Piz Palü Bumillerpfeiler Wir steigen über die Schneekuppe 26.Juli1964 ab und verlieren in ihrem Westhang die Spuren, da diese bereits zugeschneit Sa. 25.7.. 2 Uhr – 7 Uhr mit Wolfdie- sind. Ich kann mich aber an meiner Er- ter (seinem Auto), Fritz und Udo zur innerung orientieren und finde bald wie- Diavolezzastation. In der Rekordzeit von der zahlreiche Spuren. Die Bozner ken- 4,5 h jagt Wolfdieter sein Gogo nach St. nen den Eselsgrat schon, was uns be- Moritz. wegt, auch dort ab zu steigen. Heftige Geschwindigkeitsbegrenzungschilder Schneeböen fallen von Westen ein. Am standen ohnmächtig am Straßenrand. Gletscher drunten haben wir gute Spu- Fritz ist empört-perplex. In 2 h laufen wir ren und sogar einige freie Blicke in die zur Diavolezzahütte. Wodi schwebt und Umgebung. Aber nur, bis aus dem Tal nimmt uns das schwerste Zeug mit. Da quellende Nebel uns haben. Auch in der ich wegen meines schlechten Gesund- Umur-Moräne halte ich mich trotz ab- heitszustandes sehr auf Akklimatisation zweigender Spuren peinlich an die Auf- versessen bin, frage ich in der Diavo- stiegsroute. Das lohnt sich. Die Bozner lezzahütte gleich nach einem Nachtla- müssen ihr Abweichen durch einen An- ger, werde aber wegen angeblicher stieg auf meinen Weg zurückbezahlen. Überfüllung vom unsympathischen Wirt 19.30. Tschiervahütte. Aus Rache abgeschlagen. für heute Morgen prellen wir Zeche und Draußen auf der Terrasse liegen ei- marschieren gleich weiter. Der Meier nige Matratzen zum Lüften. Auf ihnen Hiasl und Benetti rasten kurz. Sie müs- lassen wir uns frech nieder, durch eine sen heute auch noch heim. Im Mauerbrüstung gegen den kalten Nord- Roseghotel, wo Ortrud evtl. sitzen könn- wind abgeschirmt. Das war ja der Sinn te, kehren wir ein, ohne selbige vorzu- des frühen Aufbruchs von Freiburg: den finden aber nicht ohne ein genussver- ganzen Samstag mit Höhenanpassung heißendes, leider zu kühles Bier zu verbringen zu können. Auf unseren schlucken. Dafür bin ich ab jetzt nicht 3000, uns angeeigneten Matratzen sind nur außen nasskalt sondern auch noch die Voraussetzungen dazu wie geschaf- von innen. Die Feuchtigkeit dampft ab, fen. Wir nehmen kaum Notiz vom ge- während wir 1 h mit sich steigerndem schäftigen Treiben um uns herum. Auf Tempo hinter Udo her nach Pontresina - der Terrasse sonnt sich, isst, trinkt und Survas hinausreifeln. 22.20. Ortrud hat lärmt die Menge der Schaulustigen. Ein sich im Auto vor Regen und Kälte ge- wohl vom Fremdenverkehrsverein ge- borgen. dungener Alphornbläser presst zwischen 6.7. Montag: 4.30 daheim. Es ist be- langen Pausen melancholisch gedehnte reits wieder Tag, als ich mein Geraffel Laute aus seinem Rohr. Alle 20 min tru- aus Wodis Wagen zerre. delt klappernd ein Hubschrauber ein,

77 macht wie ein Rüttelfalke wenige Meter Persgletscher wächst. Auf der Grenze überm Boden Halt, lässt sich ein Bündel zwischen diesen Felsen und dem Steil- Baumaterial unter die Kufen knüpfen gletscher rechts gewinnen wir, meist auf und schon streicht er wieder ab zur leichtem Eis, kurz auch auf Fels, ein Baustelle der Marco e Rosafiliale direkt steiles Schneecouloir, etwa 3 Seillängen neben der alten Hütte. (Fritz findet in hoch. In seinem orografisch rechten Ufer seinem Rucksack einen Zettel: Wenn lauern gute Sicherungsmöglichkeiten. Sie ein Bild von Ihrer Ruhe auf der Ter- Wir kommen direkt am Beginn der mar- rasse der Diavolezzahütte wünschen, kanten Firnschneide raus, die firstartig dann schicken Sie Ihre Adresse an an den Hauptaufschwung des Pfeilers Francois Michaud, Lausanne. Es war stößt. In den untersten Felsen dessel- verblüffend! Gratis und unerwartet ein ben stecken auch die uns Vorangehen- Fotograf.) Solange die Sonne scheint, den. Sowohl ihr zeitlicher als auch räum- sind wir entschlossen, die Nacht drau- licher Vorsprung ist stark geschrumpft. ßen zu verbringen. Aber: Am Abend erst Sie sind in einem weiten Bogen über schätzt man das Haus. Es herrschte den Hängegletscher heraufgestiegen. bestes Wetter, aber scharfe Kälte. Wir Während sie sogleich in den Pfeilerauf- bekommen doch ein Nachtlager, zumal schwung (in seiner östlichen Flanke na- meine Nachfrage am Morgen als An- türlich) vordringen, tue ich das nur eine meldung gilt. Widerstrebend gehen dafür Seillänge weit. Ich quere dann fast Fr 5,50 verlustig. waagrecht über eine Platte und lockere Fr., 26.7.: 3.00 – 4.30 bei Mondschein Blöcke wohl drei Seillängen lang. Über zum Einstieg. Eine Stunde vor uns muss uns liegt kompakter, steiler Fels, der nun sich irgendwo eine Seilschaft herumtrei- vor mir etwas weiter hinab reicht. Über ben. Auf verschrundetem Lawinenkegel einen Überhang dringe ich, ein Abwärts- steigen wir rasch und leicht hoch in die queren damit vermeidend, in diese Westflanke des unteren Bumillerpfeiler- Felszone ein. In dralles Gestein absatzes, der steil und felsig aus dem

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pflanze ich einen Standhaken. Das Seil ich keine Lust. Wodi schon: „Wenn ich reicht gerade für den nun folgenden ge- mich schon so schinde, dann möchte ich nussreichen Piaz – Riss in bestem Fels. auch was Gescheites machen“. Das Stand auf einer geräumigen Plattform. Wetter ist gut, wir sind früh dran, alles Fritz hat diese schwierige Platte umgan- wie geschaffen zur künstlichen Über- gen, indem er mit Wodi unten herum windung der Eisnase. Aber mir wider- querte und nun eine Schlucht zu mir strebt solche Tätigkeit. Die oberste Eis- herauf rast. Diese Schlucht entspringt schraube belasse ich am Ort und lasse hier einem Halbrund, geformt von einer mich am Seil runter. Hinter Fritz und 20 m hohen Felsmauer, die aus großen, Udo steigen wir östlich in den Nasenflü- kantigen Blöcken wahlloser Orientierung gel hinein. Die erste Seillänge quert man gefügt zu sein scheint. Die Seilschaft vor noch im Fels, dann steigt man schräg uns hat höher querend auch diese Ört- nach lang links auf ein Eisfeld vom 50 – lichkeit gewonnen. Der erste entsteigt 55 0 Neigung hinan. Nach einer Seillän- gerade der Blockmauer in flachere Ge- ge führt eine bequeme Rampe auf den lände. Sie fragen woher wir kommen Nasenrücken hinaus. Einfach läuft man und sind wohl erstaunt, dass wir viel von hier auf den Gipfel über den kaum später von Diavolezza aufgebrochen zerschundenen Dachgletscher. 11.30. sind und sie eingeholt haben. Mittels Unter „Bumillerpfeiler“ habe ich mir mehr einer waagrechten Querung husche ich vorgestellt, allerdings haben wir ausge- an los geschichteten Blöcken in der zeichnete Verhältnisse angetroffen. 1,5 Felsmauer zu einem Überhang und h Rast. Über den Spina – Gipfel und entseige glücklich dieser haarigen Zone. dessen Westgrat zur Bellavista Fuorcla. Dem Fritz bricht, nach dem er zur Siche- Während Fritz mit Udo (was ich von ihm rung eine Schlinge darumgeschnürt hat, in Anbetracht unseres Überschreitungs- ein Block aus, sodass ihm die Sicherung vorhaben im nicht verstehen zur Gefahr reicht, weil der Fritz nicht am kann) über die Bellavistaterrasse – Au- Block sondern der Block am Fritz hängt. tobahn der Marco e Rosahütte zustre- Nach zwei, drei Seillängen erreichen wir ben, führe ich mit Wodi die Bellavista – die eigentliche Schneide des Bumiller- Piz Zupo – Argient – Überschreitung pfeilergrates. Zwei Seillängen weiter durch. Überm Val Malenco schießen taucht der Fels unter die Eisnase. Ca. Wolkentürme in den Himmel und kündi- 10 Uhr. Diese ist ungefähr 50 m hoch, gen ein Gewitter an. Auf den Zupo hin- etwa 80 – 850 im Durchschnitt (übertrie- auf schleppen wir uns eigentlich nur ben) geneigt. Mit Wodi starte ich einen noch. Es ist leichte Gratkletterei und Direktversuch. Udo gesellt sich deshalb deshalb etwas abwechselnd. Doch muss zu Fritz, um die Eisnase auf dem Nor- ich oft innehalten, weil mein Herzschlag malweg zu umgehen. Fritz wartet aber zu turbulent wird. Wodi geht`s ähnlich. nach einiger Überredung und schaut mir Wir interpretieren unser Tun als Ver- zu, weil er wissen will, wie man so etwas such, wie weit man sich noch fortbewe- macht. Er sieht mich nach 10 m und 5 gen kann, wenn man in Wirklichkeit mit Eisschrauben umkehren. Das Eis ist so seinen elementaren Körperkräften am steil, dass man nur mit einer Schrauben- Ende ist, d.h. alle Register gezogen hat. leiter mit einer Sprossenweite von Auf dem Zupo (3995 m) strecken wir uns höchstens 1 m und Steigschlingen wei- flach in den Gipfelschotter. Wir sind ter käme. Dazu auch aus Materialman- wirklich erledigt und doch weiß jeder, gel alle 7 – 8 Meter Stand. Dazu habe ohne es auszusprechen, dass wir noch

79 auf den Piz Argient steigen werden. Hier 5 Uhr ab. Wir queren das Steilglet- am Gipfel verrät mir Wodi vom Roseg – scherbecken unterm Spallagrat und be- Wochenende etwas mich sehr überra- treten den Ostgrat in seinem unteren, schendes und betreffendes. Kurz stei- waagrechten Abschnitt, seillos und ohne gen wir in den Sattel zwischen Zupo ins Schwierigkeiten zum Bernina – Gipfel. Argient ab. Auf letzteren, bereits einge- 7.30. nebelten Gipfel schaffen wir uns in 20 Eigentlich haben wir den Übergang min. Aus den Weiten des unsichtbaren zum Scherschen und Abstieg über die Scherschengletschers und Val Malenco Eisnase geplant. Doch wieder schreckt quellen die Nebel. Jetzt fehlt uns nur uns der Abstieg vom Piz Spalla an den noch der Crastagüzza in unserer Samm- Verbindungsgrat hinab, der auch nicht lung. Aber dazu ist es bereits zu spät einladend ausschaut. Fritz prophezeit, und unser Zustand ist jämmerlich. Wir dass das Wetter höchstens noch bis torkeln das Zupogletscherbecken hinab. heute Abend halten wird. Die schmalen, Unser Blick schweift unter schwarzen hochgeschossenen Wolkentürmchen am Wolken hinaus gen Westen, wo die frühen Morgen veranlassen ihn dazu. Ab dunklen Felsklötze des Piz d`Alea und 8 Uhr: Abstieg über den Biancograt. In Tinzenhorn von abendlichem Sonnen- der Berninascharte begegnen wir den schein umflutet werden. Wir erreichen ersten Leuten. In den Felsen vor Fuorcla die Bellavistaterrasse - Marco e Rosa – Prievlusa Rast. Von 12 Uhr bis 14 Uhr Piste, als es völlig dicht macht und zu 30 zum Roseghotel. Das selbst Besäuf- graupeln anhebt. Um 18.30 Marco e nis um gegen den Hatscher nach Pont- Rosahütte. Die ist völlig überfüllt. Die resina gefeit zu sein. 16.15. Das Geraf- Hälfte der Stube wird von dem Haufen fel ist kaum im Auto (das Wodi am aufeinandergetürmter Rucksäcke einge- Samstag noch nach Surova brachte und nommen. Man kann sich kaum beugen mit dem Zug nach Diavolezzastation ohne irgendjemanden der ca. 50 zu be- zurückkehrte) verstaut, da schifft es helligen. Giovanni, der Wirt, lässt sich schon. Daheim 24 Uhr. nicht aus der Ruhe bringen. Auch beim umfangreichen Kassengeschäft nicht. (1 Montblanc – Gebiet Bierdose: 2 Fr., 1 l Teewasser Fr. 2,50, 1. – 10. August 1964 Nachtlager Fr. 3.-). Ein italiensch- Samstag 1. August sprachkundiger Wiener unterstützt ihn 8.00 – ca. 16.00 mit Udo in seinem als Finanzminister, indem er die pekuni- VW über den großen St. Bernhard. Bis ären Forderungen Giovannis ins Deut- jetzt herrschen zwischen uns beiden sche überträgt und Lire in Franken um- noch tiefe Meinungsverschiedenheiten. rechnet. Zwischen dem Dachfirst und Udo möchte gleich als erste Tour den den zweistöckigen, theaterartig ange- Peuterey – Grat angehen. Da bin ich brachten Kojen befindet sich ein unge- streng dagegen und werde mich auch nutzter, niedriger Raum in dem ich mich nicht umstimmen lassen. Aus zwei wie in einem Ofenrohr zur Nachtruhe Gründen: Wegen Akklimationsschwierig- hinein schiebe. Die anderen drängen keiten und weil mir bei einer derartigen sich auf dem Boden. Eine Koje ist von 6 Tour der Udo nicht ganz geheuer ist. Bauarbeitern belegt, die an der neuen Zweifel der letzten Art nähren sich aus Hütte bauen. Udos Verhalten nach dem Bumiller- pfeiler. Ich kann Udo natürlich nur den 27. Juli Montag: Bernina – Ostgrat ersten Grund entgegenhalten. Wegen Udos Uneinsichtigkeit und Sturheit in

80 manchen Dingen befürchte ich, in Höhe von 2360 m in einer Wiese steht. Courmayeur angelangt, eine scharfe Sie wird nicht mehr benutzt, bedeutet Auseinandersetzung. aber einen Markstein italienischer Pio- Sturmwolken biegen sich über dem nierarbeit auf dem Sektor der Biwak- Montblancgipfel, rachgierig ragen die schachteln. Geisterhaft strömt die Kalt- schwarzen Türme und Felsfluchten über luft über den zu erahnenden Haupt- dem Tal in die Höhe. Das wirkt. Udo kamm, oben in Nebelform, weiter unten findet nun das Wetter schlecht. Ich finde sich in die durchsichtige Phase auflö- das Wetter sogar recht aussichtsreich, send. Wir steigen zum Schluss über den was ich geflissentlich verschweige. Mit zerschrundeten Gletscher und landen Uli z.B. böge ich hinter Courmayeur zum dann auf der felsigen Gletscherinsel, die Peutereygrat ab. Nicht aber mit Udo. die Geravasuttiunterkunft trägt (2850 m). Der Anblick des wuchtigen Peuterey- Diese hat die Dimension einer Baubude, grataufschwunges bereits vom Tal aus Wände aus Holz, die außen mit Blech hat auf Udo gewirkt: Wir zweigen hinter verkleidet sind und 6 Schlafstätten. Wir Courmayeur ins Val Ferret ab zum Fuß sind und bleiben allein für diese Nacht. des Grandes Jorasses – Massivs. Udo Abends tobt ein schwerer Sturm um die wird im Laufe unseres Zusammenseins Hütte und Eisregen prasselt lärmend auf den Peutereygrat nicht mehr erwähnen. ihre Hülle. Wenn ich daran denke, mit welcher Hartnäckigkeit Udo daheim diesen Aiguille de Leschaux gleich als erste Tour machen wollte! 3. August 1964 Bei der Frébouze – Alm erbauen wir unter Lärchen mein uraltes Zweimann- Für den Hirondellesgrat ist uns das zelt. Neben uns steht das Lager der bei- Wetter zu unruhig: Immer noch wälzt den Münchner Hermann Huber sich von N bis NW die Kaltluft über den (Andenexpedition 1955) und Gerhard Kamm. Von 6 – 10 Uhr steigen wir auf Haller (Nanga Parbat mit Herligkoffer). dem Normalweg auf die Aiguille de Sie haben heute den Rochefortgrat be- Leschaux. Von der Gervasuttiinsel sticht gangen bei einem rasenden Nordsturm. man in den spaltenreichen Gletscher Auch den Hirondellesgrat haben sie etwa in N – Richtung und windet sich, schon angegriffen, mussten aber ablas- diese Richtung beibehaltend, in eine sen. sehr steile Bucht hinein. Ein etwa 3 Seil- Sonntag, 2. August: 11 Uhr – 14 Uhr längen hoher Felsriegel (westl. Ufer) auf`s Gervasuttibiwak. gewährt ein unschwieriges Entkommen Von der Frébouze – Alm laufen wir zum Ostgrat der Leschaux. Diese Firn- nach NNO durch den Lärchenwald und schneide bringt uns in den rötlich – gelb queren einen weiten Geröllkessel, in den besonnten Gipfelfels. Der schneidend von oben die zerfetzte Zunge des kalt bestürmte Gipfelgrat ist, wie erwar- Frébouzegletscher hereinhängt. Die weit tet, auf seiner NW Seite von Eisblumen verästelten Gletscherbachläufe überlis- geziert. Mit Genugtuung registrieren wir, ten wir nacheinander ohne Weg und dass der Nebelstrom durch den Col des Steg. Die Kaltluft stürzt derart heftig aus Hirondelles fortschreitend verarmt. Da- dem charakteristischen Stauwall am mit ist auch der Blick geöffnet auf die Kamm droben, dass sie uns die Gischt Grandes Jorasses. Wir sehen schräg in entlegener Bäche wie Regen ins Gesicht ihre N – Abstürze hinein. Im Profil der treibt. Kletternd erreichen wir die Walkerpfeiler, dahinter Pointe Joung, Frébouzebiwakschachtel, die auf einer Pointe Marguerite und Pointe Hélène,

81 die wir ja überschreiten wollen. In der werden auf den Frontalzacken über- Draufsicht der Hirondelles – Grat, der im rannt, weit klaffende Spalten auf schar- gleißenden Wächtensaum der Pointe fen Eislamellen balancierend überlistet. Walker mit dem Walkerpfeiler zusam- Auf Anhieb gelingt der Durchschlupf menläuft. Ein Felsmassiv solcher Kom- durch recht verwickelte Spaltensysteme. paktheit und derartigen Ausmaßes ist Meine Stirnlampe verschmähe ich, ohne wohl in den Alpen einzig. Abstieg auf der ist es noch spannender. Zudem über- gleichen Route. Den Rest des Tages schreiten wir nach 1,5 h die Grenze zwi- sonnen wir uns auf dem Dach der Hütte schen dem bisherigen Schatten und der und genießen den landschaftlichen Reiz vom Mondrelikt ausgeleuchteten Regi- unserer Stellung. Um uns herum ein on. Den oberen Bergschrund müssen zerwürfelter Gletscher, über den das wir lange abschreiten bis er uns Auge hinausgeleitet in die Berge südlich rüberlässt. 500 Blankeis zwingt zur Eis- des Montblancmassiv. Man schaut von schraubensicherung für etwa 3 20 m oben in sanft geschwungene Almregio- Seillängen (Wir haben ein 40 m Seil nen hinein, darin zahlreiche Almen zer- halbiert durch Doppelnehmen.) Um 4 streut liegen. Wie Samt dehnen sich die Uhr schließen wir diese Eistour ab mit besonnten Matten des Valle de Malatra der Erreichung des Col des Hirondelles, uns zu Füßen. Dahinter steht die Pyra- 3485 m hoch und wannenförmig verglet- mide der Grand Rochère (3326), mit schert. Über den Bergschrund steigen deren Gipfel man sich auf gleicher Höhe wir kurz durch ein Firnfeld in die Felsen. wähnt: Unersättlich wandert der Blick. Die Eisgeräte werden mit dem Werk- Die Italiener haben offenbar den günsti- zeug für`s Felsgehen vertauscht. Wäh- gen Wechsel der Witterung gewittert. Bis rend des Umschirrens, Doppelseil usw., in die Dunkelheit hinein überfüllt sich die verfolge ich den Werdegang des neuen Hütte auf ca. 15 Hirondellesgratan- Morgens: Hoch im sternengespickten wärter. Alles freundliche Italiener, die Himmelsamt steht die schwindende sich mit ungetrübter Laune in der Stube Mondsichel. Ein zarter Strahlenring er- drängen. gänzt sie zum kompletten Mondrad, so klar ist die Atmosphäre. Wenig später Hirondelles - Grat schiebt sich hinter den Walliser Bergen 4. August 1964 der Sonnenball herauf. Im unteren Drittel ist der Hirondelles- Comme si la lutte avec la montagne grat der nördliche Schenkel einer Wand tolérant l`impatience! in Dreieckform. Die Spitze dieses Drei- 1 Uhr 30: Der Sturm ist tot. Jetzt ecks ist ein Turm in der Gratlinie. Im kommt’s drauf an, wer von dem rechten Teil dieser Dreieckwand klettern Hirondellesgrat anstrebenden Haufen wir zunächst in großbrüchigen Blockfel- am schnellsten frisst und am ehesten sen bis fast auf den rechten Schenkel die Steigeisen unter die Schuhe und den (d.i. die Gratlinie) hinaus, streben aber Rucksack auf den Buckel zwängt. Wir dann wieder mehr nach links! „Par des schaffen einen Vorsprung, der der Zeit passages evidents“ schreibt der Vallot - des Anschnallens der Steigeisen ent- Prospekt. „Ohne Schwierigkeiten im spricht. Die Stirnlampe leuchtet mir Wegfinden empor“ steht im Königer. Das durch das erste Spaltengewirr, dann hat mich gleich argwöhnisch gemacht geht’s auch ohne Licht. Steile Eispartien

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und ich habe Udo versichert, dass wir da zahlreichen Haken keltert man bis zu bestimmt mit ganz besonderen Schwie- einem guten Stand. Am einen Seil muss rigkeiten zu tun kriegen werden. Eifrig ich von hier die Rucksäcke nachziehen. schaue ich mich um, nach einer Nie wieder werde ich zwei Rucksäcke „dépression de l`arrête formant petit auf einmal nachholen! Ich habe mir die amphithéâtre“, der man über einen Hände blutig geschunden und mich un- Überhang der Schwierigkeit III entstei- geheuer angestrengt! Diese Arbeit steht gen könne. Trotz vielseitiger Interpreta- in keinem Verhältnis zur Kletterarbeit im tionsmöglichkeiten und Versuche betre- Rey – Riss. Verglichen mit der nachfol- ten wir weder Amphitheater noch Über- genden Kletterei ist der Rey – Riss bei hang. Mittels einer Querung auf ab- weitem nicht V gar V+. Das ist stark schüssigen Platten, mit Einpflanzung übertrieben. zweier Sicherungshaken, erzwinge ich Wir verlassen nun den sogenannten dann schließlich einen Zugang zur Grat- Normalweg und schlagen die Variante schneide. Man hätte sich schon ganz ein (Vallot: 456a). Die Scharte hinter unten an sie heften sollen, wie es auch dem Gratturm, bzw. der Rey – Riss ist die Italienerpartien hinter uns tun. Das der Beginn des fast senkrechten Grat- Gestein ist sehr fest und meist senkrecht abschnitts. Man fühlt sich hier auch nicht geriffelt. III – IV. Es ist windstill und wohl auf einem Grat sondern in einer Wand. temperiert. Fast zu warm. Von der Spit- Diese Wand durchsteigen wir auf der ze des oben erwähnten Dreiecks, die ein Variante direkt. Eine Seillänge nach dem Gratturm darstellt, steigen wir ab, direkt Rey – Riss quert man nach rechts in die an den Einstieg des Rey – Risses. An Wand hinein. Dralle Überhänge bauchen seinen sich krönend über diesen Aufschwung.

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Zwei Risse laufen senkrecht durch den kurze Zeit vor mir den Gipfelgrat. Ein unteren Teil. Zwei Haken stecken dort Schmerzensschrei dringt von unten her- sogar. Der linke Riss führt weiter hoch auf: Udo hat einen Stein, vom zweiten und wird mit anstrengendem Piazen Italiener gefördert, auf die Schulter be- erklommen. Nach zwei Seillängen etwa kommen. Warm umfängt einem die wir der Riss mehr und mehr zum Grunde Sonne, die längst aus dem NO – Grat einer Verschneidung, die unter einem gewichen ist. Noch einige Meter Fels, schwachen Überhang endet. Haken. dann stehe ich auf dem fast waagerech- Durch einen Spreizschritt nach rechts ten Wächtengrat zum Gipfel hinüber. meidet man dieses Hindernis. Die dritte Zum letzten Mal in dieser Tour ziehe ich Seillänge in dieser Wandpartie rollt in wie ein Stier am Seil, um Udos Tempo einer Verschneidung ab, die teils mit Eis zu beschleunigen. (Diese Methode habe gefüllt, in einer fast überhängenden ich während der ganzen Tour geübt.) quarzkristalldurchwachsenen Felszone 15 Uhr Pointe Walker ausläuft. Ich ginge am liebsten gleich weiter, Griffe sind gut und fest, aber die um die Jorassesüberschreitung noch Stelle ist lustig ausgesetzt und man hat heute zu vollenden (das hätte nicht ganz kein gutes Gefühl, in solcher Lage das gereicht). Der ganze zu überschreitende Seil schon fast ausgegangen zu haben Grat liegt vor mir. Ich glaube vor der und keinen Haken zwischen sich und Verwirklichung dieses großartigen, lang- dem Sichernden zu wissen. Diese drei gehegten Plan zu stehen. Col des Seillängen und nicht der Rey – Riss hal- Hirondelles, Col de Géant ( Turinerhüt- te ich für die schwierigste Kletterstelle im te). Die Quellwolken hinter uns gewin- Grat. Selbigen erreichen wir nun un- nen zwar an Höhe und Macht, doch schwierig, d.h. die Wand verjüngt sich scheint mir das nur eine Mittagserschei- im oberen Teil mehr und mehr, um dann nung zu sein. Alles wie geschaffen zur Grat zu werden. Die herrschende Hitze Durchführung, Weiterführung unserer macht mich gereizt, was zu einem Wut- Tour. ausbruch und vehementer Striptease- Aber: Udo ist nicht geschaffen dafür. handlung führt. Die folgende lange Grat- Körperlich schon, aber nicht geistig. Er kletterei ist sehr abwechslungsreich. hat seine „namhafte“ Tour erledigt und Türme, Platten, in der N – Flanke be- will jetzt Feierabend machen. Das kann quem durchstapfbare Schneelacken, er natürlich nicht äußern. Aber er hat Bruchpartien usw. Und droben der sonn- einen anderen Vorwand, die Tour ab- täglich weiße Wächtenkragen der Pointe brechen zu können: Die steingetroffene Walker. Wie viel Stunden noch! Der Grat Schulter. Er könne seinen Arm nicht fließt allmählich in die Gipfelflanke breit mehr heben, das hindere ihn dann beim aus. Eisfelder zwischen Felsrippen. Eine Abseilen. Ich gebe meinem Argwohn Italienerpartie verringert ihren Abstand dadurch Ausdruck, dass ich ihn mehr- zu uns mit Erfolg. Sie haben den Nor- mals zu überreden versuche, in dem ich malweg gemacht und gehen schneller die Einmaligkeit unserer Chance hervor- als wir, teils deshalb weil sie schlampi- hebe. Doch er beharrt auf seinem Spiel- ger Sichern. Als Zweiter geht Udo in der verderb. Schließlich breche ich meine Tat zu langsam. Die eisdurchsetzten Überredungsversuche ab und tröste Bruchfelsen sind recht heikel; wir sind zu mich damit, dass die Überschreitung mit faul Steigeisen anzulegen für die kurzen einem Udo mir so wie so nur viel Ärger Eispartien. Letzte Seillänge: Die Italie- brächte. (Dass die getroffene Schulter nerpartie hat uns. Ihr Seilerster gewinnt wirklich dem Udo nur zum Vorwand ge-

84 reichte, folgt aus seinen ungehemmten Udo in eine solche Verfassung bringen Körperbewegungen beim Abstieg und könnte und habe die Gefahr eines aus meiner Inspektion der Verletzung.) Dammbruches meiner Geduld ahnend, Ob mit einer derartige, d.h. udoartig, den eindringlichen Vorsatz gefasst, un- beschränkten Motivierung des Bergstei- ter keinen Umständen mich durch gens die Tatsache zu verbinden ist, Udo`s kläglichen und empörungsför- dass in erster Linie Akademiker, d.h. dernden Abkletterstil aus der Ruhe brin- Menschen, die wohl am ehesten die gen zu lassen. Das habe ich mir beim Fähigkeit haben, noch nicht Dagewese- Abstieg über den Biancograt vor einer nes zu denken, zu planen und zu voll- Woche vorgenommen.) Die Vorsicht und strecken, die Erschließung der Alpen mich selbst vergessend, gehe ich also und großzügige Touren ( Blodig, Pfann; auch auf den steilen, blanken Eishang Zsigmondy e.s.f.) vollzogen haben? mit den törichten Worten „ich zeig dir`s 16 – 20 Uhr. Abstieg zur Jorasses- mal, wie m an das macht“. Sprich`s und hütte (Rifugio Bocalatte). schon habe ich ein Steigeisen zu flach Zunächst steigt man in brüchigen aufgesetzt und komme ins Rutschen. Schrofen den Pointe Walker S-Grat hin- Immer schneller, gewinne bremsend mit ab, bis man auf eine geräumige Terras- Fingernägel und Eisbeil aber langsam se im Gletscher zwischen Whymper und wieder die Oberhand. Das Seil ist jedoch Walker – S – Grat schwach bergab nach aus und reißt Udo mit. Er kommt in ra- Westen hin queren kann auf die unters- scher Fahrt an mir vorbeigeschossen, ten Absätze des Whymper – S – Grates. verschwindet im Bergschrund und schon Dem Gletscher kann man unmöglich reißt`s an mir mit gewaltiger Wucht und folgen, er ist zu zerwürfelt. Die unteren schleudert mich über den Bergschrund Felsen des Whymper – Südgrates über- hinweg kopfüber in den Firnhang darun- quert man bloß, um in einen von rechts ter. Allmählich läuft meine Fahrt aus, oben kommenden Gletscherarm zu ge- gespannt hebe ich den Kopf, der Hang langen. Das westliche Ufer des Glet- abwärts weist, aus dem Firn. Ich kann scherstromes bildet ein Felsenriff, die mich noch rühren und wie als ob noch sog. Rochers de Reposoir. Ihnen folgt was zu gewinnen wäre, beginne ich den der weitere Abstieg. Doch noch sind wir Hang hochzurasen, dem Seil entlang. nicht so weit. Wir haben gerade die Da schreit auch Udo schon nach Seil- unteren Whymperfelsen überquert und zug, mit dessen Hilfe er aus dem stehen über einem blanken Eishang, Schrund hervorkriecht. Schaudernd der, weiter unten von einem Schrund spähe ich in den schwarzgrünen Ra- durchrissen, auf den oben geschilderten chen. Udo ist noch ganz entsetzt, er ist Gletscherarm hin abschießt. Deutlich direkt an dessen Rand gehangen. An sind zahlreiche Steigeisenspuren im Eis körperlichen Leiden haben wir dabei zu erkennen. Ich lege das Seil um einen gewonnen: Udo einen stechenden Felszacken und Udo wagt sich aufs Eis. Schmerz am Becken, er ist wohl auf Seine Bewegungen erzählen von einer einen Stein geprallt. Ich fühle in der großen Ängstlichkeit. Er sagt auch: „Das Brust eine Verrenkung oder dergl., an- ist mir jetzt sehr unsympathisch“. Gegen fangs habe ich etwas Blut spucken kön- Udos Abstiegsstiel bin ich bis hier herab nen. Außerdem trieft aus der Nase ein richtig allergisch geworden. Mir reißt mächtiger Blutstrom. Beide Verletzun- deshalb der Geduldsfaden ab und ver- gen rühren von meinem katapultierten gesse mich selbst völlig. (Daheim war Kopfsprung über den Bergschrund hin- ich mir im Klaren darüber, dass mich weg in den Firnhang darunter. Material-

85 verschleiß: Udo`s Eisaxt und mein stiegen. Sie sind gestern Abend noch Steinschlaghelm. Wir sind froh, diese ins Tal runter. Der eine nächtigte jedoch heikle Partie so glimpflich und schnell irgendwo auf dem Hüttenweg. Ihre zahl- überwunden zu haben. Die Italienerpar- reichen, auch in den Hirondellesgrat tie vom Hirondellesgrat hinter uns gestiegenen Artgenossen wurden, wie kommt aber auf normalem Weg auch von den zwei Walkermännern zu erfah- recht zügig durch. Sie waren Zeugen ren war, auf dem Reposoirfelsen oder unserer Vorführung und meiden deshalb sonst wo zu einem Biwak gezwungen, diese Methode. (Später haben uns Wie- sie waren zu langsam. Der eine Italie- ner, die auf dem Normalweg auf den ner beförderte uns liebenswerter weise Jorasses waren, gefragt, wie wir diese zur Fréneyalm und macht so die Stein- schwierige Stelle gemacht hätten. Sie beschießung wieder gut. Blickten undgläubig, als wir antworteten Donnerstag, 6. August 1964 Zum „im Flug“. Fourche – Biwak. Wir queren den, in riesigen Schollen Bei unserem Zelt treffen wie wieder aufgelösten Gletscherarm auf die Hermann Huber und Gerhard Haller, die Reposoirfelsen hinüber. Leicht kletternd inzwischen die Brenvaspornführe auf steigen wir lang auf diesem Riff ab und den Montblanc mit Abstieg über den betreten dort, wo es in den Gletscher Domegletscher getätigt haben. Das ist taucht, eine gut ausgetretene Piste. ein Unternehmen nach meinem Ge- Nach häufigen Spaltensprüngen stre- schmack. Besonders der Abstieg durch cken wir uns müde in den Schutt der ein Gebiet, das mich ungeheuer interes- Moränenhügel oberhalb der Hütte. Seil, siert. Die Brenvaflanke will Udo auch Steigeisen und Eisbeil, deren Handha- machen, aber nicht mit diesem Abstieg. bung wir offensichtlich überdrüssig sind, Er möchte über den – werden weggesteckt. Um 20 Uhr, nach Montblanc de Tacul zur Turinerhütte 18,5 Stunden werfen wir die Rucksäcke zurück. Der Domegletscher interessiert vor die wenig besetzte Hütte. Man fragt mich nicht. Der Grund ist klar: Zwei Vier- mich: „Habt`s den Walkerpfeiler ge- tausender mehr, das macht einen guten macht?“. Diese Unterstellung weise ich Eindruck. Von Huber, der Prokurist bei zurück: „Nein so wild sind wir nicht!“. In Salewa ist, ersteht Udo ein Eisbeil, an der Tat bin ich augenblicklich damit zu- Andeneis geschult. Für 2300 Lire (Udo frieden, den Mamutabstieg von der Poin- mit seinem Lehrwartausweis für die Hälf- te Walker hinter mir zu haben. Ein Liter te) hin und zurück, schweben wir zur Rotwein betäubt meine Sinne und bürgt Turinerhütte. 9 – 11 Uhr zur Biwak- für tiefen Schlaf. schachtel am Col de la Foursche. Der Mittwoch, 5. August 1964 Zugang zu dieser Unterkunft ist für 3 Am frühen Morgen treffen 2 Franzosen Seillängen eine zünftige Eistour. Kurz ein, die den Walkerpfeiler in einem Tag vor uns sind zwei Genfer angekommen, geschafft haben. Sie haben auf dem die mittags um 16.00 aufbrechen, um Gipfel biwakiert. Nachdem der sehr net- durch die Nacht hindurch über den Col te, französisch redende Wirt eine über- Peuterey zum Einstieg des Freney- raschend billige Rechnung gestellt hat, pfeilers zu gelangen, dessen Drittbege- steigen wir bei brillantem Sonnenschein hung sie vorhaben. Mit einer derartigen ins Tal hinab nach Plaupausier. Dort Gleichgültigkeit über den Wechsel von treffen wir wieder die 2 Italiener, die uns Tag und Nacht hinweg zu sehen, das gestern in der letzten Seillänge überhol- imponiert mir! Das ist echtes Westal- ten und mit denen zusammen wir ab- penbergsteigen. Am Abend pferchen

86 sich in der Biwakschachtel, die 6 Leute ein steiles Eisfeld und Stufen drin. Diese bequem aufnehmen kann, ca. 15 Perso- rühren von den 2 Genfern, die gestern nen. Darunter auch unser steinschla- hier abgestiegen und fast 2 h dazu gender Italiener. brauchten. Eine so lange Zeit wollten wir ja eigentlich vermeiden. Ihre Spuren Brenva – Sporn sind hart gefroren und leiten in zwei Seil- 7. August 1964 längen fallende Querung ein an eine schwache Stelle im Bergschrund. Mit Um 1 Uhr winden wir uns aus der zunehmender Helligkeit verliert die Wol- Biwakbüchse. Unsre Rucksäcke lagen kendecke ihr drohendes Schwarz und buckelbereit zwischen Felsblöcken. So schwindet. Schnell laufen wir durch die müssen wir nur die Stiefel anziehen, das flache Sohle des Brenvagletscher- Frühstück soll erst am Col Moore einge- beckens zum Col Moore (5 Uhr). Hier nommen werden. Zweimal seilen wir uns werfen wir das Seil ab und reifeln den in den Schrofen ab, eine Seillänge wird Felsgrat hoch, der sich manchmal auf abgeklettert. Eine letzte Abseilfahrt soll schmale Firnschneiden verengt, die wir uns über den Bergschrund bringen. Im dann auf der Ostflanke ausgesetzt um- Lichtkegel der Taschenlampen erscheint gehen. Endlich verjüngt sich der Fels- nur die Oberlippe des Schrundes, dann sporn zu einem Eisgrat, der sich gähndes Schwarz. 20 m Seil reichen da hinüberschwingt zur eigentlichen Eis- nicht. Dies und die Tatsache, dass der flanke. Unter uns wogt ein Nebelmeer, Sternenhimmel auf ein schmales Loch in das bereits den Col Moore überflutet. dunkler Wolkendecke zusammenge- Der Pegel des Übels steigt unentwegt, schrumpft ist, beweget uns wieder um aber wir auch. Wir gehen viel gleichzei- zu kehren. Um 3 Uhr sind wir wieder tig. Nur dort, wo das Blankeis ausgea- oben. Die Beobachtung der Wetterent- pert ist, sichern wir an Schrauben. Im wicklung verbinden wir mit dem Früh- Firn, der noch überwiegt, reihen sich stück neben der Biwaktonne. In einer brauchbare Stufe unserer zahlreichen Flasche gespeichertes Wasser, das wir Vorgänger (unter ihnen Reinhardt Zim- vortags mittels Sonnenwärme gewan- mermann und Walter Blattman 4.8.) der nen, wird zu einem Haferschleim verar- verronnenen Tage. Wir nähern uns, we- beitet. Um 3.30 Uhr brechen wir ein gen der herrschenden Hitze in Hemds- zweites Mal auf. Die Domäne der Sterne ärmel arbeitend, dem Seracgürtel, der verleibt sich nämlich fortwährend neue, die Brenvaflanke gegen das Plateauge- zuvor hinter Wolken verborgene Gestir- lände zwischen Mont Maudit und ne ein. Diesmal stechen wir östlich der Montblanc abschirmt. Einmal mache ich Biwakschachtel in die Tiefe mit einer Stand in den Felsen der „ilôt rocheux Abseilreise. So gelangen wir rasch auf superieur de la Brenva“. Dann folgt eine

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Brenvasporn durchstiegen, Sentinell Rouge war nur geplant etwa 30 m hohe, fast senkrechte Eis- Filmarbeiten mit einem Deutschen (Gün- wand, in die jedoch tiefe Griffe und Tritte ter Sturm) und zwei Franzosen. Dann gegraben sind. Durch einen Eisbruch hocken wir um 12 Uhr auf dem Mont folgen wir der Spur auf das Plateau Maudit und spähen in den Nebel. Über gleich östlich des Montblancgipfelhelms den SO – Grat gerade eine Anzahl Wie- hinaus (10 Uhr). Ich will gleich weiter ner heraufgekommen, die sich mit uns in gehen zum Gipfel hinauf. Das sind noch der Biwakschachtel drängten. Beim Ab- fast 500 Höhenmeter. Udo: „ Wenn ich stieg durch die steile aber verpistete N – jetzt nicht esse, falle ich um!“ Wieder Flanke des Maudit setzt Schneefall ein. einmal hat er Feierabendstimmung. Ich Stumpfsinnig trotten wir der Spur nach, habe natürlich auch Hunger und Durst, links unten musste Grand Mulet liegen, aber der Montblanc ist mir jetzt lieber rechts oben der Tacul. Dann fällt die und zwar möglichst bald, umwerben Spur steil ab. Durch die steilen Glet- doch schon die Wolken seinen Gipfel. scherbrüche hindurch gewinnen wir den Von Westen brechen auch verdächtige Col de Midi. Das muss die Nordflanke Wolkengebilde heran. Das Nebelmeer des Tacul gewesen sein. Stimmt: Wir hat bereits alle Berge im Süden über- sind nun unter der Wolkendecke und schwemmt. Um 11 Uhr ist die Rast be- genießen bessere Sicht. Verschwom- endet, der Montblanc eingenebelt. Also men ragt die . Bis 16 Uhr entraten wir ihm. Auf der Steigeisenpiste durchhetzen wir den Gletscher zur Turi- gehen wir auf den Mont Maudit. Auf den nerhütte hinüber, weil wir meinen, um 16 Weg dorthin treffen wir im Nebel den Uhr schwebte die letzte Gondel zu Tal. Martin Schließler, den Udo kennt, bei Um 16 Uhr schwebt zwar eine, aber nicht die letzte. Wir bereuen es nicht,

88 jetzt schon diese Hatz in Sturm und eisi- den folgenden Tagen nichts mehr zu gem Regen absolviert zu haben. Tro- machen gewesen. ckene Kleidung auf und Butter – Panini mit Milch in den Leib verschafft eine Dauphiné gehörige Lustausbeute. Die Nacht ver- 17. – 29. August 1964 bringen wir in unserem Leinwandheim bei der Frébouzealm. Montag 17. August 1964 Samstag, 8.8. Courmayeur durch Ab 4 Uhr mit Christoph Guttenberg (in schlendert. seinem VW – Silberpfeil Baujahr 51) mit Sonntag, 9.8. 64: Die Berge stecken K.G. Zimmermann über Grenoble – in Wolken, die Talsohle hat Sonne. In ihr Briancon nach Ailfroide und weiter zur Pré liege ich den ganzen Morgen. Ringsum de Madame Carle wo die CézanneHütte tummeln sich picknickende Italiener. Die mit einem großen Parkplatz liegt. Horst uns am nächsten gelagert Partie ver- Friebolin, Horst Billing und Sepp Kleiser zehrt gerade ein Hähnchen. Interessiert bemannen eine zweite Fuhre. Ca., 17 spähe ich hinüber, offenbar nicht unauf- Uhr, herrliches Wetter. Direkt neben dem fällig: Man winkt uns herbei und serviert Auto spannen wir die drei Zelte auf, ca. uns Obst, Kuchen, Rotwein und sogar 1900 m. Kaffee. Es ist ein Ehepaar mit einem Dienstag, 18. August: Morgens Re- halbwüchsigen Sohn aus Aosta. Auf gen! 15.30 – 19.00 auf die Refuge Glacier Französisch fragen wir uns gegenseitig Blanc, 2450 m, ehemals Refuge Tuckett über Politik, Wirtschaft und Wehrmacht geheißen, an der wir vorbeimarschieren, und dergl. begleitet uns der Regen; oberhalb ist die Ab 16 Uhr steige ich die Abhänge Gletscher- und Moränenwelt mit einem ins Vallon Martara hinauf. Auf den öst- Schneepelz beschichtet, der laufend aus lich begrenzenden Rücken erreiche ich einem Nebelbad Nachwuchs und Zu- eine Höhe von etwa 2600 m. Einsam wachs erhält. Die Landschaft, insbeson- segelt dicht über mir ein Adler vorüber, dere die Barre des Écrins (=Schmuck- der den Almhängen entlang das Val kästchen) bleibt einem verborgen. Die Feret hinaus streicht. Er ist wohl in einer Caronhütte mit ihrem Hüttenwirt ist spär- kleinen Exkursion aus seiner Heimat am lich besetzt. Grand Paradiso begriffen. Vom Mont 19. August: Pic de Neige Cordier 3613 Dolent bis zum Montblanc stecken die Wie es sein muss: Nach reichhaltigen Berge in den Wolken. Doch die Bréche Schneefällen während der Nacht stei- Nord ist noch sichtbar und gibt die Anre- gend, ist das Wetter auf Kälte, Nordsturm gung zu einem neuen Plan: Beim nächs- und Wolken im Tal übergewechselt. 9 Uhr ten Peutereygrat – Versuch das Biwak ab. Ohne Schwierigkeiten über den Glet- Craveri in der Bréche Nord nicht vom scherarm zur Scharte westlich des Gipfels Freneygletscher sondern vom und in die Westflanke auf verschneitem Brenvagltescher her anzugehen. Felsen zum Gipfel. 11.00. Im Norden Montag, 10.8.: Nachts Regen. Es steht das Wolkenmeer so hoch, dass nur schneit bis auf 2500 m herab. Norma- kurz mal der Montblanc sichtbar wurde. lerweise und unvernüftigerweise wäre Abstieg auf gleichem Weg. das kein Grund zum Heimfahren. Die Gegen Abend überfüllt sich die Hütte. Vernunft und Udo sprechen zum Glück Die eine Hälfte des Aufenthaltraumes für den Abbruch des Zeltes. 9 Uhr – 17 nehmen Tische und Bänke ein, die ande- Uhr Heimreise. Es wäre tatsächlich in re ist wie in einem Schauspielhaus mit drei Rängen von Schlafstellen eingerich-

89 tet. Nachdem wir gespeist haben, formie- Terrasse erreicht wird. Nach ca. siebens- ren wir unsere sechs Köpfe, auf dem tündiger rastloser Wühlerei meinerseits, Bauch liegend, in einer engen Parzelle nachdem sich bereits eine lange Schlan- des dritten Ranges zu einer Phalanx von ge hinter mir aufgestaut hat, überschreite 12 spähenden Augen. Spähend hinab auf ich in steilem Eis den Bergschrund (ca. die Bühne, wo französische Bergsteiger 4000m) unter den Felsen des Gipfelgra- den genussreichsten und differenziertes- tes. ten Verpflegungen zusprechen: Kotelette, Mit Horst Friebolin und Sepp – die an- Eier, Schinken, Trauben und ähnlichen deren drei streben den leichten Dôme de Delikatessen. Unsere Verwunderungsbe- Neige an, und mit ihnen die gesamte kundungen und überhaupt die Art, wie wir Meute – durchsteige ich in 2 Seillängen die verschiedenen Fressgemeinschaften das recht schwierige und steile kombinier- an den Tischen beobachten, stempeln te Eiswand zur Gratschneide hinauf. Lot- uns in den Augen der Franzosen sicher recht schießt auf der anderen Seite der zu einem eigenartigen Haufen. Blick ins Vallon de la Pilatte, wo die Temple-Hütte liegt. Der exponierte Grat Barre des Écrins bietet genussreiche Partien. Kurz unter dem Pic Lory lassen wir den Sepp auf 20. August 1964 eigenen Wunsch hin einsam auf einem Als erster lasse ich mich aus der Schlaf- Felszacken thronend zurück. Ihm be- koje um 3 Uhr herab. Ich befürchte einen kommt der Tiefblick nicht. 12.45 Gipfel. Massenaufbruch, und es gilt die Priorität Herz des Dauphiné. zu erfechten; der erste wichtige Schritt Hemmungslos schweift der Blick in al- dazu ist die Inbesitznahme eines Tisches. le Winde. Besonders hinab zum Pelvoux, Wir bereuen es, keinen Kocher mitgeführt Pic Sans Nom, Ailefroide und entlang zu haben, so müssen wir auf des Wirts ihrer Nordwände. Der scharfe N-Wind hat Wasser warten. merklich nachgelassen. Schleierwolken Meine Befürchtung eines Massenstar- im fernen Westen deuten auf das Ende tes erweist sich bald nicht stichhaltig. An der zweitägigen Schönwetterperiode. allen Tischen wird zwar eifrig gespachtelt, Schleppend vollzieht sich, nachdem wir teils auch von recht wagemutig drein- Sepp aufgesammelt haben, der Abstieg schauenden Gesellen. Aber es herrscht zum Bergschrund, den wir abseilend eine merkwürdige Ruhe in allen Vorberei- überschreiten. 16 Uhr. Schnell rammeln tungen, niemand scheint aufbrechen zu wir die wohl ausgetretene Spur hinab. 18 wollen. Der Grund ist klar: Die Spur auf Uhr Caronhütte. Dort sitzt eine Münchner die Barre des Écrins ist völlig zugeschneit, Partie mit einem betagten Herrn, von dem womit die Mehrzahl der Gipfellüsternen ich weiß, dass er im DAV-Hauptaus- jeder Boden einer Orientierungsmöglich- schuss einen Posten hat. Diese meine keit entzogen ist. Fragte mich doch ges- Bemerkung belustigt meine jugendlichen tern Abend ein schneidig Blickender, wo- Kameraden. Es ist Julius Pechthold, 72 hin wir wollten. Auf unsere Antwort, dass Jahre alt, augenblicklich auf dem Anstand wir die Barre ersteigen wollten, meinte er stehend, seinen 34. Viertausender zu mit sorgenvollem Blick: “Es gibt ja gar erlegen. Kaga, der mit Christoph und keine Spur!“ Billing wesentlich früher bei der Hütte zu- Um 4.30 beginne ich das Stapfwerk. rück war, erzählt, man habe von mir dank Es macht mir Spaß, und auf Ablösungs- meiner Spurarbeit gesagt:“ C’est un angebote gehe ich nicht ein. Hüfttief liegt homme himalayen“. Jener Franzose, der der Schnee in der Mulde, nach der die gestern besorgt die Abwesenheit einer

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Piste auf die Barre feststellte, bedankt sich bei mir sogar. (Nachtl. Fr 3,10).

Barre des Écrins

Wir steigen ab, zunächst zur Glacier „Löffel sinken lassen“, gehe ich mit einer Blanc-Hütte, wo wir nächtigen wollen, um Weißbrotbasis periodisch die 8 Käsesor- morgen die Agneaux zu besteigen. Die ten durch, bis nur zwei große Bollen ein- Hütte quillt jedoch über, was uns weiter- sam auf der Platte sitzen. Ein prüfender streben lässt. Blick, der die Unaufmerksamkeit von Kell- Weiter oben ist uns Michael Schroft, ner und Tischnachbar bestätigt und schon Sportstudent aus Freiburg, in Grenoble fügen sich diese restlichen Käseposten in z.Zt., entgegengekommen. Man hat ihm die Hosentasche. Die Qualität der Mahl- schon erzählt, sechs Deutsche hätten zeit und die Folgerichtigkeit der Gänge eine Spur auf die Barre gemacht. Diese erfährt ihren Beweis wohl dadurch, dass Nachricht scheint wie ein Lauffeuer um ich in keiner Weise ein Gefühl der sich zu greifen. Nacht im Zelt. Wetter- Überfressenheit registrieren kann, ob- sturz. gleich der Tatbestand vorliegt. Freitag, 21. August 64 Samstag, 22,August 1964 Regen. Horst Friebolin lädt das Dreige- Wir können uns nicht entschließen, die stirn der Aktivas, Kaga, Christoph und Pelvouxhütte heute schon anzugehen. mich, zum Abendessen in Vallonis ein. Das Wetter ist einfach zu launisch. Mit- Preis 52/6 pro Person, Gangzahl 5, Käse- tags unternehmen wir einen Spaziergang sorten acht. Während die Anderen aus auf den Glacier Noire. Wir gehen so weit, Wohlerzogenheit oder zu geringem Ma- bis man den Col de la Temple erblickt. Er genfassungsvermögen schon früh den ist gerade unterm Einstieg in die Nord-

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Christoph Gutteneberg Horst Billing ich Horst Friebolin Sepp Kleiser (typisch)

Wand des Mont Pelvoux. Wir bestaunen Figur von oben bald erreicht. Es ist ein, die verschneiten 1000 m N – Wände, die mit Straßenschuhen angetaner Knabe, wir vorgestern von der Barre aus kennen der in einer Felswand drin steht und sich lernten. weder vorwärts noch rückwärts zu gehen Um 19 Uhr, als ich gerade künstl. Kar- traut. Ich schlage einen Sicherungshaken, toffelpuffer anrühre, kommt Sepp Kleiser an welchem gesichert Horst mich abstei- atemlos herbeigespänt (er war bei unse- gen lässt. Nochmal einen Haken. Ich las- rer Rückkehr vom Spaziergang zurück se dem Bub ein zweites Seil hinab mit geblieben) und berichtet, in den Felsen einem Sackstich drin, den er sich recht dort hinten unterm Weg zur Glacier – geschickt umlegt und in den er sogar Blanc – Hütte stände einer und fuchtle noch zwei Träger zu flechten im Stande wie wild mit den Händen, er sei wohl in ist. Ein Junge, der die Stelle lang vor mir Bergnot. Ich stopfe mit Horst zusammen erreicht hat, hilft mir die Anweisungen ins Seil Haken, Hammer und Taschenlampe Französische zu übertrage. Also ziehen und dergl. in einen Rucksack und eile wir den Bub heraus in leichteres Gelände. davon. Bald erkennen wir die Person. Sie In dem Augenblick steigen von oben eini- findet sich 2-3 Seillängen über der Tal- ge Soldaten mit Lampen und Seilen, aber sohle in einer Felsenschlucht. Einige Sol- ohne Hammer und Haken, wie sie geste- daten, die hier scharenweise kampieren, hen. Es ist nun dunkel und unter ihrer strömen herbei. Doch alle ohne Seil und kundigen Führung klettern wir nach oben Kopf. Mit Horst habe ich die winkende entlang aus der Felszone heraus auf den

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Weg zum Glacier Blanc. In der Couloir Coolidge hinein, ein Seitenarm Cézannehütte drunten ehrt uns der Vater des Sialouzegletschers, der als Normal- des verstiegenen Sohns mit einem Bier. weg auf den Pelvoux Verwendung hat. Im Man weiß hier, dass wir die sechs Deut- oberen Teil benutzen wir das schrofige schen von der Barre sind, womit wir unse- Westufer des Couloirs und stehen unver- ren Ruhm gemehrt haben. hofft schnell am Rand des Plateauglet- Sonntag, 23. August 1964 schers du Pelvoux. Wenig oberhalb des In Ailefroide parkieren wir die Wägen und Punktes 3225 m finden wir uns in der La- wandern in 3,5 h auf die Pelvouxhütte ge, das Wetter zu durchschauen: Wir ha- (früher Lemercier, 2704 m). Lärchengrün, ben uns über das Wolkenmeer erhoben, rote Holunderdolden und südliches Him- das sich unmerklich auflöste. Im Westen melblau. Das Tal der Celse Nière, das durchbrechen sonnengerötet die zusam- südlich des Pellvouxmassiv eingekerbt ist, menstrebenden Felssäulen des Sommet ist vielleicht das schönste Tal im Dauphi- des Bains das Nebelgewoge. All das liegt né. Die Pelvouxhütte, hochmodern und uns bereits tief zu Füßen, als wir das N – praktisch, ist heute leer. Abends als ein sturmbefegte Gipfelplateau entern und Gewitterregen niedergeht, lehnen wir mit zur Pointe Puiseux (7.30) hinauf stapfen. dem Wirt an der Tür und lauschen, wie er Der Blick schießt in kristallklare Fernen. von phantastischen Skitouren schwärmt. Der Pelvoux ist der südöstlichste Eckpfei- Es schifft bis 23 Uhr. ler des Dauphiné, kein Gipfel weiter süd- lich übertrifft ihn an Höhe. Er ist einmalig Mont Pelvoux (Traverse) in seiner landschaftlichen Ausgesetztheit. 24. August 1964 Auf der einen Seite steht Eis und Fels des Um 3.30 lösen wir uns, ohne eine Dauphiné – Hochgebirges zur Schau, auf Weckung durch den Wirt abgewartet zu der anderen dehnen sich bewaldete Hän- haben, von der Hütte. Einzelne Wolken- ge und winden sich weite Täler gen Sü- ballen hängen schwarz vor dem runden den. Im Osten ragt einsam der Monte Mond. Es sieht wirklich nicht ermunternd Viso aus subalternen Gipfelmengen her- aus. Unter dem Leitmotiv „umkehren kann aus. Wir besuchen auch, - auf ebenso man immer noch“ steigen wir ungeachtet leichtem Weg – den zweiten Hauptgipfel des Wetters die Moräne hinauf und Que- des Pelvoux, die Pointe Durand, die mit ren dann unter Seracs nach Westen hin- ihren 3932 m nur 14 m tiefer liegt als die über zum Punkt 3225 m. Hier ist das Ge- Pointe Puiseux. Bei dem Adel der Land- lände vom nächtlich geworfenen Schnee schaft und Erhabenheit des heutigen Ta- überzuckert. Wir betreten den Glacier de ges reift in Christoph das Verständnis des Sialouze und steigen an seinem Ostrand Tuns und Strebens eines Bergsteigers, empor. Man stößt so unmittelbar in das wie er äußert. Um 9.30 lassen wir uns

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in 3 Zweierseilschaften geordnet in den Seil hat gut gereicht, sonst wäre vielleicht Glacier des Violettes hinein. Dieser wild Christoph und Kaga hinterher katapultiert zerwürfelte Gletscher hängt dem Pelvoux worden. Billing hat körperlich keinen zungengleich über seine NO-Flanke hin- Schaden genommen, seelisch schon. ab, stellenweise derart steil, dass sich nur Durch aufgeweichten Pappschnee gewin- ein wenig mächtiger Eisbesatz auf dem nen wir den Kopf des Felsgrates, der ent- Felsenuntergrunde festhalten kann. Unter lang dem oben beschriebenen Steilstück der allerersten Bruchzone im Bogen hin- des Gletschers dessen linkes Ufer bildet durchquerend, heften wir uns an den lin- und dergestalt dieses bequem zu über- ken Rand, d.h. unter die Ostabstürze der winden gestattet. Der Gletscher selbst ist Pointe Durant. Vom First der großen hier entartet zu einer gescheuerten Scholle steigen wir recht heikel herab, Rutschbahn für oben an – und abfallen- dergestalt einem Abseilen an einem da- den Seracs, deren Bruchstücke sich in selbst eingerammten Pickelstiel entra- einer folgenden Flachzone zu hohen Wel- tend. Horst Billing jedoch seilt sich ab: len auftürmen. Während einer kurzen Beim Balancieren auf der Scholle First Rast genießen wir den Tiefblick auf unse- gleitet er im Schnee aus und fliegt die 10 ren Zeltplatz neben der Cézannehütte m zu uns herab. Dumpf schlägt er im hinab. Es ist dies hier schon ein unge- Schnee auf, an einer Stelle, wo norma- wöhnlich kühner Abstieg. Das Abklettern lerweise eine Spalte zu klaffen pflegt. Das über den Felsgrat ist leicht, doch kommt

94 die ganze Unbeholfenheit und das Unge- Dienstag, 25. August schick des Horst Billings zutage. Ich gelo- Allgemeine Heimreise. Ich bleibe mit Wodi be mir, nie mehr jemanden mitzunehmen, hier. Selbiger vertilgt noch auf meine dessen Fähigkeiten mir nur aus Worten Empfehlung hin in Vallonise drunten ein bekannt sind. Aus einer Scharrte im Fels- franz. Mittagsmahl. Ihm bei einem Glas grat steigen wir durch ein leichtes Wein gegenübersitzend und den gesam- Schneecouloir auf die Flachzone des ten Speisesaal im Auge habend, verfolge Gletschers hinab. Im Eiltempo durchmisst ich das Schauspiel, wie er die einzelnen jeweils eine Seilschaft den von Eisge- Gänge abräumt. Der erste rekrutiert sich schiebe überhäuften Gletscherstrom zum aus einer Artischocke, einer Frucht, die anderen Ufer hinüber, wo ein Steindau- einer riesigen aufgeplatzten Zwiebel ähn- men uns den Weg zeigt. Eine kaminartig lich sieht, mit deren mühsamen Verzehr verengte Schlucht, in der wir ein lotrech- sich Wodi während einer ganzen halben tes Stück abseilen, führt wieder auf ein Stunde abgibt. Dank meiner saalbeherr- Firnfeld, das wir zu einer nächsten Fels- schenden Schlüsselstellung kann ich bei stufe abfahren. Eine flachere Schlucht anderen Tafelnden spionieren, wie man leitet wieder auf ein Firnfeld, das uns zu Artischocken zuspricht. Gegen bares einer ausgeprägten Moräne mit Pfad be- Weißbrot gebe ich meine Informationen fördert. Smaragdene Matten über den an Wodi weiter, der dem Saal den Rü- Lärchenhainen des Vallonise in einer cken zuwendet. Man greift eines der ab- märchenhaft reinen Abendsonne nehmen stehenden Fruchtblätter an seiner Spitze, uns auf. Doch allzu rasch und betörend schält es vom Fruchtboden ab, tunkt es in bestrickt einem die Romantik: Ein mächti- Olivenöl und kämmt aus seinem unteren ger Felsriegel trennt uns noch von der Teil mittels der Schneidezähne eine win- Talsohle. Den Steig durch diesen gilt es zige Portion Fruchtfleisch heraus. Als- nicht zu verpassen. Seinen Einstieg ge- dann schichtet man das derart ausgebeu- funden, dehnen wir uns ins trockene tete Fruchtblatt auf einen bedrohlich an- Gras; kaum erreichen uns noch die Son- wachsenden Abfallhaufen, denn eine Arti- nenstrahlen, die uns mehr und mehr der schocke hat gar viele Fruchtblätter. Pelvoux vorenthält. Auf exponiertem Steig Schließlich ist Wodi ein perfektionierter durchqueren wir den unteren Felsriegel, Artischockenesser auf meine Anweisung dem wir an derselben Stelle wie der Wild- hin. Er hat den Abfallhaufen umgeräumt bach Riou du Chazalet in kultivierte Auen vom Glasteller auf die Silberschale und entquellen. In des Pelvoux Schatten ist die Artischocke auf dem Glasteller aufge- draußen der Weiler Ailefroide gelagert, baut. Außerdem fährt er mit den Frucht- den durcheilend wir unsere unter Lärchen blättern jetzt nicht mehr durch das große harrenden Wägen gewinnend. 16 Uhr. Vorratsgefäß mit Olivenöl, sondern wickelt Von 2500m Höhenunterschied ermattet diesen Prozess in einem bislang unge- sinken wir in die Knie. Klöpfend lupft sich nutzten Teller ab, den er ab und zu mit ein Korken. Sekt perlt durch dürre Gur- einem Löffel Olivenöl versieht. Endlich geln. Was Besseres kann’s gegen den haben sich die einst wohl angeordneten Durst gar nicht geben. Blätter der Artischocke – ein jedes durch Bei unseren Zelten droben an der die Zähne gezerrt und ausgelutscht – in Cézannehütte hat sich Wolfdieter einge- einen riesigen, wahllos aufgetürmten funden. Ich habe ihn schon am Samstag Haufen versammelt, sogar auf dem kor- erwartet, doch ist er erst gestern gekom- rekten Teller. Vereinsamt ruht der Frucht- men. boden auf der Schale Boden. Was fängt an mit dem an? Wodi sagt, der müsse

95 eigentlich genießbar sein, von Silberdistel Haferbrei, um 3.30 steigen wir los. Doch äße man auch den Fruchtboden. Ich spä- nur etwa 100 m hinter der Hütte, wo der he in die Runde: Ein Mann vom Börsen- Weg an plattigen Felsfluchten abprallt. „5 maklertyp, hier wohl in der Sommerfri- Minuten hinter der Hütte abgeblitzt!“ cha- sche, hat sich genausoweit fortgebildet rakterisieren wir herum irrend die Situati- wie Wodi und saugt einfach das Essbare on. Wir kehren vernünftigerweise wieder heraus. Damit ist die letzte Klippe um- um, denn es muss einen begangenen schifft. Ich betrachte den angeschwolle- Weg geben. Und siehe: Wenige Meter nen Abfallhaufen: Artischockenessen ist hinter der Hütte zweigt ein solcher ab, nur eigentlich bloß ein Zeitvertreib ohne Sätti- übersahen wir das Autobahnkreuz. Wir gungsbeitrag. Die Bilanz ist eine zer- streben dem Glacier du Coup de Sabre pflückte Artischocke, die des wegräu- zu und zwar am moränigen Ostrand sei- menden Kellners harrt. Die folgenden nes Beckens. Bevor wir jedoch seine Gänge schaufelt Wodi reibungslos hinter Zunge erreichen, queren wir durch die die Binde. Schlucht seines Baches fast waagerecht Aufstieg zur Séléhütte. nach Westen und gewinnen über weite Wo der zur Alpe de Claphouse abzwei- Schutthalden den Fuß des Südgrates der gende Weg den Torrente de Celse Nière Ailfroide Orientale. Um auf den Normal- überbrückt, nehme ich in dessen Fluten weg zu stoßen, der von der Séléhütte wiederholt ein Bad. Azurner Himmel, sma- über diesen Südgrat zur Orientale führte, ragdene Lärchen, der tosende Bach: hat man einen völlig neuen Weg eröffnet. Herrliche Dauphiné. Dieser leitet durch die Ostflanke des Süd- Angetan mit Stiefeln, Unterhose und grates auf Bändern in kühner Linienfüh- Rucksack (der sich mit all den Kleidungs- rung, doch leicht zu gehen und zu finden, stücken bläht) wandere ich das Tal hinein. weil zahlreiche Steinleute den Verkehr Ein drolliges Bild sicher, aber gut durchlüf- regeln. Nur den Einstieg muss man erwi- tet bei der heißen Sonne. Die Séléhütte schen. Und das gelingt uns auch bei der füllt sich abends mit einem Hochtouren- Finsternis auf die sachdienlichen Erläute- kurs auf, der einen großen Vorteil, näm- rungen des Kursleiters hin. Als wir die lich einen gefälligen Leiter aus dem Val Schulter des Südgrats habe, verschwin- Guisan, hat. Ich stelle bereits anhand un- det die Stirnlampe in den Rucksack und serer viel zu frühen Ankunft fest, dass ein klarer Tag setzt ein. Über harte diese Hütte weiter talaus liegt, als im Füh- Schneefelder stehen wir um 7 Uhr auf der rer beschrieben. In der Tat bestätigt der Ailfroide Orientale: Unser Startpunkt. Der junge Wirt, dass die alte Hütte dem Stein- Steigeisen entledigt, lassen wir uns in die schlag anheimgefallen sei. Damit sind Brèche du Glacier Noir, einer wenig mar- auch die Beschreibungen zum Aufstieg kanten Scharte gleich unterm Gipfel. „Man auf die Ailfroide Orientale hinfällig gewor- befindet sich am Fuß eines großen Gen- den. Dafür berät uns jetzt der Kursleiter in darmen, der auf den ersten 20 m einen der Gestalt eines schwellenden Redeflus- schmalen und steilen Grataufschwung ses, dem einiges zu entnehmen ist. bietet. Man erklettert ihn direkt (3) bis auf eine kleine Plattform, von wo man den Traversè des Arètes Faitières de Gipfel erreicht.“ So der Führer. 3?, das l`Ailfroide klettert man doch frei. Ist zwar fast senk- 26. August 64 recht und unerhört exponiert. Fiele man, Gegen 3 Uhr balancieren wir über die, am so flöge und glitte man über 1000 m auf Boden Schlafende in die mondhelle Nacht den Glacier Noir hinab. Nach einigen Me- hinaus. Vor der Hütte koche ich mir einen tern glauben wir unseren Vorstellungen

96 von einem Dreier überholen zu müssen: geht´s voran. Bis zu einem größeren Ein Haken fährt umständlich ins steile Gendarm. Ohne den Führer zu konsultie- Gestein und schleunigst knüpfen wir uns ren lass ich mich von einem durch seine aneinander. Schwierig packen wir das NW – Wand schräg abwärts ziehendes „Dreiergelände“. Dann reißen wir das Seil Band bestricken, bei dessen heikler Be- wieder ab und schwindeln uns von einem gehung ich froh bin, mich von Wodi von wackeligen Gratzacken zum nächsten. oben gesichert zu wissen. Wodi hat da- Das Gestein an der scharfen Gratschnei- gegen beim Nachsteigen weniger Seilsi- de ist durch und durch korrupt. Ganze cherung, was er heroisch erträgt. Wir lan- Gendarme bekommen Gleichgewichtsstö- den in einer Scharte vor einem folgenden rungen, wenn sie sich überklettert sehen. Gendarm, der direkt zu überklettern we- Wir nähern uns zügig dem großen Auf- gen Überhänge, nicht gestattet ist. Wir schwung auf die Ailefroide Centrale. 4 müssen auf die Südseite zurück, wozu ein verspricht der Führer an Schwierigkeit. Abklettern schwieriger Natur erforderlich Das muss ja enorm schwierig seine, wenn ist. Der nachsteigende Wodi ist sogar ein Dreier schon so ist! Wir stehen unter auch von oben gesichert, weil wir das Seil der Wand und bemühen uns die Felsfor- oben durch eine Schlinge laufen lassen, men den im Führer propagierten anzu- die ausgebleicht in einem in der Scharte gleichen. Wir sehen uns gezwungen di- gedeihenden Haken haftet. Zwei Seillän- rekt die Ostwand hoch zu steigen. Das gen durch ein vereistes an seinen Ufern sieht rachgierig aus. Doch zuvor schauen aber, wenn auch schwierig (4), gut zu wir noch mal noch weiter um´s Eck her- durchkletterndes Couloir auf den Grat um in die Südflanke hinein. Und siehe: zurück. Eine einzige Scharte trennt uns das im Führer versprochene Couloir mit nur noch vom Gipfel. Dieser ergibt sich dem Kamin erscheint dort. Von 4 keine leicht. Nach einer vereisten Seillänge, Rede. Fast waagerecht zielt die Gratlinie unvorsichtigerweise von mir verlängert, auf die Centrale hinüber. Ungeheuer brü- stemme ich mich zur Sicherung in den chig und ausgesetzt. Nach beiden Seiten Gipfelschotter.14.00 Uhr Ailefroide Occi- saugt´s den Blick in unmittelbare Tiefe. dentale. In 7 h haben wir 1,5 km Grat be- Seit dem Aufschwung gehen wir wieder gangen auf einer durchschnittlichen Höhe am Seil. Bis ich an einem Gratturm an von 3900 m. Das sind 02, km/h! brüchigen Griffen über einen gäch herab- Eine sphärische Klarheit spannt sich schießenden Couloir klebe und nicht wei- von Horizont zu Horizont. Edles Spiel in terkomme. Vorsichtig liste ich mich zu- unbegrenzter Freiheit. Unbegrenzt? Nein: rück. Ein wenig einladender Tiefblick Über unseren Köpfen trudelt ein Falke. dorthin, wo man hinab fiele, überzeugt Ersichtlich badet er spielend im Äther. vom Seilgebrauch. 11.15: Ailfroide Symbol der Freiheit. Doch fühle ich mich Centrale. In diesem Gipfel knickt die Grat- hier nicht weniger frei als er. Erst drunten linie aus der bisherigen O – W – Richtung im Alltag gilt auch für mich was Rudolf in die NO – SW – Richtung des Hagelstange schreibt: Ailfroidemassivs. Ich zähle sie zu den „Ihr aber dient der Gunst des Augenbli- schaurigsten Alpenwänden. Sowohl we- ckes, ereifert Euch in täglichen Geschäf- gen ihrer Höhe als auch wegen des kom- ten ein Nutzen und Gewinn ans Werk binierten Charakters. heften und geht verlustig jenes tiefen Zur Bréche de Corte Rouge klettern Glücksein Mensch zu sein. Ihr lasst euch wir ab ohne, wie im Führer empfohlen, dingen wie Knechte, um ein ausgeraubtes abzuseilen. Herrliche Kletterpartien sind Leben mühsam zu fristen und es aufzu- ab und zu eingestreut. Leicht und flott heben.

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Wofür? Was kann dieses Los denn brin- gebenen Aufstieg über den Westgrat an- gen? Ihr seid wie Fische, die in großen zustreben. Über den östlichen Arm des Kästen gefangen noch das freie Wasser Glacier du Coup de Salve und ein kombi- spüren, und sind versprochen schon dem niertes ca. 100 m hohes Couloir gewin- ersten besten der sie begehrt. Die Freiheit nen wir den Coupe de Salve. 7.30. Das ist zu verlieren heißt für den Falken, eines eine tief eingekerbte Scharte, beiderseits Himmels Weite hingeben für das Gna- von etwa 200 m hohen, lotrechten Fels- denbrot der Meute.“ kanten flankiert. Westlich führt eine sol- Den Abstieg nehmen wir über den SW che, zumeist überhängend auf den Pic du Sporn der Ailfroide Occidentale. Wir fin- Coup de Salve 3699 m, östlich steht der den ohne Schwierigkeiten leichteres Ge- untere, senkrechte Abschnitt des West- lände, Schrofen und ein Schneecouloir, grates auf den Pic sans Nom. Der Name das uns schnell auf einen Gratabsatz hin- „Coup de Salve“ für diese Scharte liegt ab bringt. Von diesem aus queren wir in auf der Hand (3448 m). Le Coup de Sal- den Glacier d´Ailfroide hinein, der sich in ve: Superbe Col entaillé entre deux parois die gen SW geöffnete Wölbung des formidables. Der von der Scharte einzu- Ailfroidemassivs schmiegt. Der Gletscher sehende Abschnitt des Westgrates ist ist von einigen großen Spalten zerschlis- mehr eine Wand, die in der Mitte von ei- sen, die uns jedoch auf Brücken hinüber ner kamingründigen Verschneidung in lassen. Derart gelangen wir auf den Falllinie durchfurcht wird. Es erscheint Südgrat der Ailfroide Orientale zurück und unmittelbar plausibel, dass dieser „grand damit auf unsere morgendliche Aufstiegs- couloir – cheminée“ die einzige Durch- route. 19.00: Séléhütte zurück. Man stiegsmöglichkeit liefert. Er beginnt etwa staunt über unser Unternehmen. in halber Wandhöhe, wo auch die Struktur der senkrechten Wand von einer mono- Pic sans Nom Westgrat lithartigen Geschlossenheit wird. In uner- 27. August 1964 hört brüchigem Fels schwindeln wir uns dem Beginn dieses Schlüsselkamins ent- C’est une des plus belles escalades du gegen. Die Schwierigkeiten sind derart, massif. La partie difficile est continuelle- dass wir sicher sind, nicht mehr auf im ment de IV avec passages de V. Führer empfohlenen Routen zu klettern. Ein Beweis dafür ist mir der Umstand, Aufbruch: 4.30 erst. Mit Rücksicht auf dass wir nirgends eine „corniche“ erbli- den gestrigen Tag wollen wir irgendeine cken noch antreffen, denn zweimal ge- kürzere Tour auf den Pic sans Nom ma- winnt der Führer eine „corniche“. Wir je- chen. Etwa durch die Bréche de Sialouze doch nicht. Wenigstens solange nicht, wie auf den Sialouzegletscher und von dort ich „corniche“ mit Wächte eindeutsche. über den Südgrat zum Gipfel oder auf Dieser Irrtum lässt mich jeder Selbstsi- irgendeiner leichten Route direkt vom cherheit verlustig gehen: Nach verwege- Glacier de Coup de Salve durch die SW - nen Kletterstellen in senkrecht bis über- Flanke. Wodi will von vorneherein den hängendem Bruch landen wir endlich am Westgrat machen, den ich mir nicht zu- Fuße des ca. 100 m hohen Schlüsselka- trauen will. Angesichts der verworrenen mins. Ich stehe auf einem bequemen Routenführung der anderen Anstiege las- Band unter einer vertikalen, kniffligen se ich mich überreden, diesen klar vorge- Platte, die m an überwinden muss, will

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man den Grund des Couloir – Kamins spähen und äugen, selbst Wodi kann kei- erreichen. Wären wir richtig, so müsste ne auftreiben. Arbeitshypothese: Die Hak- laut Führer unsere Umgebung folgende ken sind vielleicht rausgeschlagen oder Bedingungen befriedigen: Ich müsste, derart verborgen angebracht, dass sie statt auf einem waagerechten Band auf unseren Blicken unzugänglich bleiben. Mit einer „corniche“ parfaitement horizontale, der Bemerkung im Führer, dass hier die d.h. also meiner Übersetzung gemäß, auf Schwierigkeiten beginnen, können wir uns einer völlig waagerechten Wächte stehen, keineswegs versöhnen. Die überwunde- in der Platte über mir hätten 3 Haken aus nen Seillängen scheinen uns durchaus einer V – Stelle herauszuschauen und das Attribut „schwierig“ zu verdienen. hier müssten die Schwierigkeiten begin- Dennoch räumen wir den Standpunkt zu nen. Ich stelle eine Arbeitshypothese auf: Gunsten der Arbeitshypothese: „Entweder Übersetze ich „corniche“ mit Gesimse wir haben eine völlig falsche Vorstellung oder Band anstatt mit Wächte, so wäre vom Dauphiné – Klettern, oder wir haben immerhin in diesem Punkt Übereinstim- uns elend verhauen.“ Verhauen? Auf dem mung mit dem Früherer erreicht. Unsre Weg hierher sicherlich, aber das Kamin Umgebung immerhin der im Führer ge- Couloir ist das einzige seiner Art in dieser schilderten. Bleiben noch die versproche- Wand oder liegt nördlich um die Ecke ein nen Haken. Wie weit und scharf wir auch ähnliches zweites? Ich versetze mich in

99 die Lage der Erstbegeher (1934). Vom Sialouze – Gletscher auf, zuunterst einen Coup de Salve unten gesehen lädt dieses ca. 50 m hohen steilen und glatten Fels- Kamin – Couloir zu seiner Durchklet- gürtel formend, dann aber in schrofiges terung ein, ja ist die einzige Chance, die Gelände verfallend. Dieser unwegsame geschlossene Wand zu durchsteigen. Wir Felsgürtel vereitelt eine direkte Abstiegs- müssen hier richtig sein und wir müssen route vom Gipfel auf den Gletscher hinab. eine grundverkehrte Vorstellung vom Man muss vielmehr sich schon im oberen Dauphiné – Klettern haben. Mit dieser Teil der SW – Flanke beim Abstieg nach Argumentation ziehe ich mich an kleinen links halten und schließlich oberhalb der Griffen über einen Überhang in die Felsbarriere horizontal nach links queren plattige Wand hinein. Der Erfolg ist erhei- in Richtung auf den Col de Pelvoux. Nicht ternd: Unweit gedeihen einige Haken. Der weit vor diesem zerklüftet ein Schneecou- Fels ist kompakt und fest, sodass die 5 – loir den feindlichen Felsriegel und entlässt Stelle weniger unwirsch erscheint als so den Abstiegsuchenden unbehelligt auf manche Bruchpartie. Im folgenden, gut zu den Sialouzegletscher hinaus zum Punkt findenden Aufstieg durch und neben dem 3225, bei dem der Pelvouxascensionist Couloir zeigt es sich, dass die 5er – Stel- den Sialouzegletscher betritt. Graumelier- len zwar anstrengender aber besser zu te Wolkenbänke befahren über uns in begehen sind, als die brüchigen 4er – aufgelockerter Marschordnung den bisher Stellen. Man kann so ähnlich wie im ungetrübten Himmel. Im Süden, wohin Montblancgebiet sagen: 3er – und 4er – unser Blick über die Wölbung des Glet- Stellen sind im Dauphiné von größerer schers hinausgleitet, strahlt ein türkis- oder gleicher Rachgierigkeit wie die 5er – blauer Himmel über grauweißen, felsigen Stellen. Bergkette, die sich über weite Talkesseln Der Couloirkamin endigt nicht am First und bewaldete Hänge in zackenreicher der von ihm durchschnittenen Wand, Linie aneinander reihen. Das ist einer der sondern etwas tiefer, auf einer gen Nor- Reize der Dauphiné: Hochalpine Fels – den vorspringenden Schulter. Mittels ei- und Eisberge über südlicher Landschaft. nes äußerst exponierten Querganges, der 19.00 Uhr Pelvouxhütte. Wir finden ganze Couloir – Kamin ist aus diesen ihn unseren Bergführer von der Séléhütte in überwölbenden Felsen einzusehen, han- der Küche beim Wirt wieder. Beide zeigen gelt man aus der Nordflanke schräg auf- Respekt vor unserer Tour, die wohl selten wärts in die Südflanke hinüber. Damit ist gemacht wird. Von unserer Ailfroide – man dem Reich des Lotrechten entron- Überschreitung zeigt sich der Wirt ebenso nen: Wenig südlich, unterhalb des nun beeindruckt. Sie fragen ob wir Autrichiens waagerecht abstreichenden Firstes in seien, welche Vermutung ich aber gerne leichtem Fels zu einem nächsten andert- korrigiere, denn es gilt, das eben gesam- halb Seillängen hohen Grataufschwung. melte Ansehen der Rehabilitierung, der im Diesen müssen wir direkt nehmen, weil letzten Krieg hier schwer mordenden und seine Nordseite, die leichter wäre, ver- sengenden, deutschen Nation zu gute schneit ist. Es folgt eine kurze horizontale kommen zu lassen. Meine Kletterhose Gratstrecke. Ein Gendarm wird südlich in findet bei ihnen Interesse. Sie gestehen gemein brüchigem Gestein umrundet zur die Vorteile meiner elastischen Skihose Scharte hinüber, aus der ein breites Eis- (schwarz mit riesigem braunem Filzbo- couloir gen N abstreicht. Unschwierig von den) ein. Ich erwähne natürlich nicht hier zum Gipfel. 15.00. (schon aus Sprachschwierigkeiten), dass Abstieg auf dem Normalweg durch die ich hier die Not zur Tugend gemacht ha- SW – Flanke. Diese taucht aus dem be. Zu Beginn des Sommers konnte ich

100 mich nicht zu einer Strümpfe verschlei- Kondenswasser erhält das Wageninnere ßenden Bundhose entschließen. Als das Aussehen einer Eishöhle. Übergangs – und Verlegenheitslösung 28.12. Schneefall. Den Piz Turba zog ich meine Skihose an und heran. Und müssen wir absagen. Von 9.00 – bis bin nicht mehr gewichen von dieser prak- 17.00 befassen wir uns bei m maximaler tischen Tracht. Unsichtigkeit und Schneetreiben auf den Am selben Abend steigen wir noch Buckelpisten des Pi – Nair – Geländes mit zum Auto ab. 8.45. Ich nächtige in Gut- der geflissentlichen Entwertung eines tenbergs „Bergsteigersarg“, den er mir Tagesabo zu Fr. 17,-. Zwischen St. Moritz überließ. Wodi pennt im Wagen, nachdem und Campher finden wir einen Parkplatz er in Vallonis drunten zu Abend aß. fürs Auto, um in seinem Inneren Tee zu Freitag, 28. Aug.: Ein fauler Vormittag kochen und auch zu schlafen. Die Nacht zwischen Lärchen und einigen Milchfla- wird sternenklar und verspricht einen schen gewinnt Gestalt. Gegen Mittag rei- schönen Tag. sen wir ab. In Vallonis ergötz sich Wodi 29.12.1964 nochmals an einem franz. Menü, während Als wir um 5 Uhr morgens einen Seh- ich in restauranteigenem Liegestuhl, ohne schlitz zwischen geistreichen Eisblumen berappt zu werden, in der Sonne liege. freischaben, blinzelt kein Stern mehr her- Über Briancon nach Col de Lautaret fah- ein. Es schneit wieder. Unbefristet bre- ren wir nach La Berarde, dem Berg- chen wir die nicht vorhandenen Zelte ab steigerdorf per excellence im Herzen der und rollen auf verschneiten Straßen Dauphiné. Dort ragt ein Alpenverein heim.12 Uhr. (franz.) C.A.F. – Hotel, in dem man billig speisen und hausen kann. Wir treffen Michael Schroft wieder, der in diesem 1965 Schuppen weilt. Wodi nimmt hier ein Abendessen zu sich, während ich künstli- Piz Turba ches Kartoffelpüree gaskochend zuberei- Turba (fränk.) „Torf“ == roman. Turba Val te, alles am selben Tisch. Mein Lein- Turba wandheim errichte ich vis à vis des Hotels Samstag, den 20 März 1965 auf einer beherrschend gelegenen Ter- Mit Bernd Dischler (in seinem Variant), rasse, die in einer Matte eingekerbt ist. Franz Kneer und Karl – Gerhard Zim- Samstag, 29. Aug. mermann von 7.00 bis 14.00 nach Bivio. Das Wetter ist schlecht geworden, welche Gerade bei unserer Ankunft wechselt das Entwicklung sich gestern Mittag in Wetter von schneewerfend zu sonnenklar. zirrenlosem Aufzug schütteren Gewölks Zeitlich muss der Piz Turba noch heute schon anließ. Die Meije – Südwand bleibt Mittag zu machen sein. Den Lift verwen- bis auf weiteres dahin gestellt. Heim im dend, dann in seichtem Pulver auf harter Regen über Col du Gladon – Annecy – Harschschicht auf Mot Scalotta hinauf Genf – Jura. (Pkt. 2560 m). Querung in guter Spur und Firn zur Forcellina. 17 Uhr Piz Turba. Wir Skifahren in St. Moritz halten fest: Freiburg – Piz Turba 10 Stun- 27.12. -29.12.1964 den. 2000 m tiefer die frisch überzucker- ten Wälder des Val Bregaglia. Sonntag, 27.12.1964 Fabelhafte Abfahrt über die Alp da Mit Ernst in seinem VW – Variant nach Sett hinaus. Gleich das erste uns begeg- Bivio gereist, 10.00 – 15.00. Daselbst nende Haus betrachte ich aus der for- Nächtigung auf der Ladepritsche. Durch

101 schenden Perspektive eines Nachtlager steckt in einer Föhnwalze. Die Berge Suchenden. Es ist das Haus Fumia (Per- nördlich, denen wir uns zuwenden, sind sonennamen == Euphemia) zur Streu- ebenfalls im Nebel verschluckt. 7 Uhr ver- siedlung Tgavretga gehörend (caprarius lassen wir die Straße und durchmessen in == „Ziegenhirt“, roman.)Chavrer, Neben- 2,5 h das Val d`Agnel (agnellus == form: capriciu == tgavretga). Lamm) zur gleichnamigen Fuorkla. Das Die Wirtin, aus dem Fenster blickend, Wetter hat sich sehr gebessert und ge- behauptet zunächst, kein Lager zu haben, währt uns von hier oben einen Einblick in weist uns dann aber in einem Nebenge- seine Großlage. Im Süden wölbt sich über bäude, das früher vielleicht mal die Back- wolkenverbrämten Bergen ein strahlend stube war, einige Chaiselonguen an, nach blauer Himmel. Von Norden drängen dro- dem wir unsere Bereitschaft, im eigenen hend schwarze Wolkenfelder. Wir stehen Schlafsack zu schlafen, betont haben. auf der Wetter – und Wasserscheide zwi- Zuerst fahren wir jedoch nach Bivio hinab, schen Donau und Rhein. Auf dem Ober- um die Säcke zu holen und im Gasthaus teil des gegen Norden entweichenden Septimer Bier zu trinken. (Hartmut Röpke Vadrel d`Agnel traversieren wir zur Fuorc- und Schnadt, die extra hergefahren sind la da Flix und steigen über den Südgrat und unsere Tour mit gemacht haben, auf die Tschima da Flix (3302), benannt zechen mit.) Bernd und Franz nächtigen nach der Alp Flix (fluxus == da Fließen), in Bivio, wo Franzens Mutter gerade ei- die im 15. Jahrhundert von Walsern be- nen längeren Urlaub verbringt. Gegen siedelt war. Zwei weitere Walserkolonien 9.00 mache ich mich mit Karl – Gerhard waren Sblocs und Val Faller. Alle drei nach Fumia auf, einem kräftigen, lauen liegen über Mulegns. Unmittelbar ist der Südsturm entgegen, der aus einer düster Tiefblick in die verschneiten Wälder des geballten Wolkenwalze über dem Oberhalbsteins. In Süden dringt das Auge Septimerpass hervorbricht. Im Osten ist genau in das Fornobecken hinein. Zwi- das Gewölk etwas heller. Dort muss der schen seinen Fels – und Eisflanken sitzen Mond stehen. Mit Mühe und Taschenlam- in halber Höhe, einer Zwischendecke pe finden wir in der unsichtigen Nacht gleich, dunkle Wolkenschwaden. Von unser Haus wieder. hinten her und durch einige Lücken in diesem Gewölbe malt die Sonne in makel- Piz Calderas losem Weiß den Fornogletscher darunter. Sonntag, 21. März 1965 Darüber reckt sich der schwarz Turmbau der Punta Rasica. Diese Komposition Auf dem installierten Gasherd bereiten entrückt und über sie erhaben, steht der wir uns einen Tee zu, lassen je 2 Fr. zu- Disgrazia dahinter. rück und entfernen uns in Richtung Bivio, Mit K.G. und Bernd fahre ich auf den wo wir um 6.00 sein sollten. Es ist aber Vadret Calderas hinab und strebe dem schon 6.30 und Bernd und Franz erwar- oberen Teil des Piz Calderas – O – Grat ten uns schon oberhalb Bivio auf der zu, wie es die Skitourenkarte empfiehlt. Passstraße. Beinahe hätten wir sie über- Auf dem Felsgrat muss man ganz nett sehen und wären nach Bivio hinein ge- hinlangen. Vom Süden her ist es wohl strebt. Wir fahren nun nach La Veduta, wesentlich einfacher, man könnte evtl. dem Julierhospiz, wo Röpke, Schnadt und sogar mit den Ski bis zum Gipfel (die Dr. Hillemanns schon warten. Letzterer Skiroute ist wahrscheinlich falsch einge- treibt sich zufällig auch gerade für einige tragen). 13 Uhr: Piz Calderas (caldaria, Tage auf den hiesigen Pisten rum. Der roman. Chaldera = Kochkessel, Boden- Bergkamm gegen Bergell und Engadin vertiefung – nach der Stelle calderas über

102 der Alpe Flix). Zunehmende Einnebelung uns der ghanesische Kellner, dessen von Norden her. Abfahrt bei Schneetrei- Hautfarbe das Fernziel aller hier weilen- ben und gemeiner Umsichtigkeit aber der Urlauber ist, eine großräumige rechtem Schnee zur Jenatschhütte. Es ist Schüssel, der alsbald eine zweite folgt. gut, dass wir auf dem steilen Vadret Cal- Von der Gemüsesuppe werden wir mehr deras der Skiroute, wie auf der Karte ge- als satt. Auf die Erzählung der gastfreund- zeichnet, folgen, es gibt dort eine schwa- lichen Wirtin hin, entscheiden wir uns den che Bruchzone. Nach einem einstündigen Piz Tremoggia anzugehen statt den Piz Anstieg über den ganzen Vadret d’Agnel Fora. gewinnen wir um 15 Uhr die Fuorcla 28.3.65: 5.00 ab. Alpenstau, d.h. N – d`Agnel. Umfing uns gerade noch schwa- Wind. Ab 3100 m treiben sturmgequälte cher Flockenwirbel, so grüßt uns von Sü- Wolken ihr Wesen um die Gipfel. Schon den her kristallener Sonnenschein über vom Tal unten vernimmt man das beharr- blauen Schatten und gleißenden Schnee- liche Rauschen des Sturmes am Grenz- flächen. Das leicht verharschte Val grat gegen Italien. Am Fuß der NW – d`Agnel bewältigt man im Schuss, mit Flanke des Piz Fora entscheiden wir uns wenigen Schwüngen garniert. 16.00 am erneut um: Die Chance, dass sich der Piz Auto. In Bivio schneit es bereits wieder. Tremoggia seiner düsteren Wolkenfrisur begibt, ist nicht groß, während am Fora Piz Fora droben manchmal die Sonne spielt. Zu 28. März 1965 Fuß überwinden wir die unteren Steilhän- ge der Fora NW – Flanke, wo sich vor- Samstag. 27.3.: Mit Horst Friebolin, zugsweise die Ergebnisse der neuerli- Karl – Gerhard und Achim Vode von chen Schneefälle in leicht angepresster 10.30 – 17.00 nach Sils Maria (ab Lenzer- Phase versammelt haben. Weiter oben heide schönes Wetter). Mit der Absicht zieren kniehohe Windgangeln das Ge- auf der Alp da Segl zu nächtigen, stoßen hänge. 10.30: Gipfel. Die Hoffnung, dem wir ins Val Fex vor. Der von Schlittenpfer- Monte Disgrazia von hier aus unmittelbar den und Kurgästen festgestampfte Weg vorstellig zu werden, zerschlägt sich un- und die mäßige Steigung erlauben es, bis vermittelt: Nebel haftet auf der anderen Dämmerungsbeginn das letzte Anwesen (Lee-)Seite des Fora und verwehren den zu erreichen. Für die steileren Hänge zur Einblick ins Val Vedoz und die NW – Ab- Almhütte hinauf legen wir Felle an. Doch stürze des Disgrazia. Umso bedrückender nicht ohne Argwohn des hier lebenden ist es, die 2000 m tiefer sich windenden, Bauers zu erregen. „Wo wollt ihr hin? Da von schütterem Wald gerahmten Talsohle oben kann man nirgends übernachten.“ der Val Malenco gen Süden hinaus zu „Wir biwakieren“ erwidere ich kurz. „We- folgen, bis das Veltlin vorbei kommt. Jen- he, wenn ihr mir in die Alp geht!“ „Wem seits des letzteren stehen in edler Einfalt gehört die?“ „Üüs!“ „Können wir nicht dort die Bergamasker Alpen, deren sich unser übernachten?“ „Nein, aber dort in dem Drang und Streben bisher nicht ermäch- Hotel könnt ihr bleiben.“ „Das ist doch viel tigt hat. Gegen Norden, wohin wir uns nun zu teuer!“ Der Mahner hat jedoch bereits absteigend wenden, lenkt die schnurge- das Fenster zugeschlagen. Ein bösartiger rade eingekerbte Val Flex den Blick weit Bernhardiner bewegt uns dazu, von der hinaus, wo ihre Berglehnen, Torpfosten Alp abzusehen. Das bereuen wir nicht. In gleich ein Stück Oberengadin um das dem an Gästen armen Hotel richtet man Dorf Basaglia einfassen. Sobald es mög- uns in einem Zimmer Matratzen her für Fr. lich ist, verlassen wir den NNW – Grat, 2.-. Auf eine Suppenbestellung hin reicht schnallen die Ski an und fahren in die NO

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– Flanke schräg auf den Gletscherbauch aufgewärmten Erwartungsbereich der des Vadret da Güz. Hinüber. Die Querung angeblich noch anstehenden Pizollawine, vollzieht sich in einem sehr steilen Hang. die sich als von den Schwarzen Hörnern Eine alte, verblasene Spur garantiert sei- löst. Bei der in heißen Nebel liegenden ne Haltbarkeit. Der Schnee ist auf dem Pizolhütte betreten wir die Piste, die uns Gletscher noch ganz gut, wenn auch sein bei der Station Baschalva ausgelaugten, Bruchcharakter leicht zum Durchbruch braunen Matten übergibt. Die weitere Ab- verhilft. Dann wird’s pappig und brüchig. fahrt geschieht in einer Seilbahngondel. Doch sind, besonders vor dem Bergsturz- Waren wir gerade noch durch firnige Bu- kegel kurz über der Talsohle zwischen ckel getanzt, wo der Blick über Schnee einzelnen Lärchen, dem Gelände einige und zwischen Tannen hindurch unmittel- genussreiche Schwünge zu entlocken. bar ins Rheintal entwich, so durchziehen wir nun selbiges auf glatter Rollbahn in Einige beschauliche Skitouren zielstrebigem Tempo hinein nach Grau- 30. März – 5. April 1965 bünden: Nach Flims. Gegen vier Uhr er- reichen wir auf rotierendem Lift die men- 30.3.65, Di. schenleere Nagenshütte. Lange weide ich Nur ein Montag verrinnt, um den üblichen mich an der Aussicht nach Süden, wo Verlauf einer neuen Woche abzuzeich- sich überm Vorderrheintal bisher unbe- nen, da sieht mich schon wieder das ver- kannte Berge sonnen. traute Graubünden. Eine sich ankündi- gende Schönwetterperiode regt den Ur- Vorab laubsdrang der Eltern an und meine Ent- scheidung sie zu begleiten, fällt leicht. Ab Do, 1. April 1965 6 Uhr fahren wir nach Wangs und liften Ab 7 Uhr streben wir in hindernislosen auf die Pizolhütte (ca. Fr. 7,-), wo wir Ob- Schneeweiten und wolkenloser Witterung dach finden. Bei fantastischem Wetter dem Bündner Vorab zu. Die liebgewon- bestreichen wir mittags einige Male die nene Adulagruppe bietet sich von hier aus obersten Buckelpisten. Fr. 7 ,- kostet die mit all ihrem Adel dem schweifenden Au- Nacht, in der sich ein Unwetter entlädt mit ge an. Neu ist der Anblick des nahen Frühstück. Tödi, den das Massiv des Hausstocks von Pizol uns trennt. Um eine direkte Abfahrt zu erreichen, steigen wir auf den Glarner Mi., 31. März 1965 Vorab. Dieser, von Osten her so wegsa- Nachdem die erhoffte Schönwetterperio- me Gipfel äußert gegen NW eine durch- de bereits heute Nacht abgebrochen zu aus entgegengesetzte, den arglosen Läu- werden droht, verwundert ihre brillante fer verblüffende Natur: Er bricht auf einer Fortsetzung am heutigen Tag. 7.30 – Strecke von 2 km ebenso tief ins Sernftal 10.00 über die Wildseeluggi auf den Pizol. ab, wo sich auf gefügigem Talboden das Seinen Gipfel betritt man jedoch nicht. Ein Dorf Elm mit seinem Kirchturm sonnt. (Es verwächteter Felsgrat hemmt den Zugang soll eine jährliche Konstellation geben, wo zur scharfen Spitze. N – Sturm. Aus den man von Elm aus die Sonne gerade durch Tälern quellen rasch Wolken empor. Der ein gewaltiges Loch in der Felsmauer der Pizolgletscher vermittelt im oberen Teil Tschingelhörner hindurch sieht.) Der Gip- eine ungetrübte Abfahrt, die in der Folge felhang ist interessant zu fahren, das Wei- von Bruchharsch vereitelt wird. Die ersten tere ergibt sich im Schuss bis zur Mittel- Leute begegnen uns als Aufsteigende station des Sialaliftes, den wir beanspru- unter der Wildseeluggi im bereits hoch

104 chen, um von oben her zur Nagenshütte Birkhähne auf, die in steilem Start ihre zu gelangen. Leierschwänze in Sicherheit bringen. Um 12 Uhr stehen wir auf dem pulvrigen Piz Sardona , Piz Dolf Faulbergegg. Zu Fuß folge ich dem Grat zum Punkt 2529 m. Das ist wohl die pro- Fr., 2.4.1965 minenteste Aussichtskanzel in Graubün- Ab 6 Uhr sehr heikel auf hartem Steilhang den. Unbeschränkt verfolgt man das In- auf die Plaun Segnas hinab, wo wir unnö- nenleben des fetten Domleschg, zwängt tiges Gepäck zurücklassen. Skitragend sich hinter Thusis durch die schwarze Via auf die Plaun Segnas Sura und über den Mala ins sonnige Schons, verliert bei der Segnasgletscher zum Pass. Unterm Roflaschlucht den Faden des Hinter- Steilhang spießen wir die Ski in den ge- rheins, ergeht sich aber dafür in höhere pressten Schnee und bewegen uns zu Sphären am schimmernden Firn des Fuß fort. Wieder genießen wir unge- Pizzo Tambo und Stella oder des Piz hemmten Weitblick. Selbst der schnee- Curver und Beverin. beglänzte Schwarzwald schwebt weit im Abfahrt in Pulver des Nordhanges NW über grauem Dunst. Wieder stürzt der hinüber zum Dreibündenstein. Weit öffnet Blick steil nach Elm hinab. Auf dem Bauch sich unter einem das Rheintal, die sog. liegend, strecke ich meinen Kopf über die Bündner Herrschaft. Gute Firnabfahrt ge- senkrechten Ostabstürze, um Einblick ins rade bis nach Feldis hinein. Nochmals wilde Calfeisental zu haben, wo zu oberst nächtigen wir in der Jugendherberge, die die Alp Sardona ( surdus == Trocken) nat. von uns allein behaust wird, durch liegt. Auf dem Pass darunter trenne ich deren Fenster Pis Beverin und Piz Fess mich von Mutti und Vati, die schon mal hereinlugen. abfahren, um einen windgeschützten Sa., 4.4.65 Wir fahren nach Juf hinter Rastplatz zu beziehen. Ich wende mich und steigen auf den Stallerberg und den über seine NW – Flanke dem Piz Dolf zu, benachbarten Höhenrücken „Uf den den ich ab Punkt 2998 unter Zurück- Flüen“. Heute besteigen, wie sich später lassung der Ski innert kurzem erreiche. herausstellte, Fritz und Sepp den Piz Die umfassende Aussicht wird fast schon Platta. Beste Firnabfahrt vom Stallerberg zur Gewohnheit. Nur ein neuer Tiefblick nach Juf hinab. Auf der Suche nach dem hat sich aufgetan: Mitten hinein ins sma- sagenhaften Pizzo Stella, jedoch bar jeg- ragdgrüne Domleschg. Die Abfahrt er- licher Landkarte, zweige ich bei Cröt in streckt sich bis nach Flims hinaus, wo wir ein Seitental, in dem die Straße nach 3 ins Auto klettern und nach Feldis fahren. km bei einem neuzeitlichen Viehzuchtge- In der hiesigen Jugendherberge finden wir höft ausläuft. Hier erfahren wir, dass das billige Unterkunft bei Frau Fischer. Tal nicht zum Stella führt, sondern das Madrisa Tal ist. Die Familie Patzen, die Faulbergegg das Gut bewirtschaftet, nimmt uns gast- lich auf, lässt uns duschen, an einem feu- Sa., 3.4.65 dalen Abendessen mit anschließendem Ab 8 Uhr durch noch schattige Lärchen- Ausschank von Jeninser Roten teilneh- haine und steile Harschhänge zur Alp da men und in sauberen Betten schlafen. Veulden. Von hier oben kann man unmit- 5.4.64. Um 8 Uhr, nach einem reichli- telbar den Zusammenfluss von Vorder – chen Frühstück verlassen wir Hohenhaus und Hinterrhein beiwohnen. Im hügeligen und steigen bald das westliche Talufer, Gelände, das wir bald steigend, bald ab- das eine Steilstufe bildet, hinan. Darüber fahrend durchmessen, stöbern wir drei vermutet man eine Terrasse. Das stimmt

105 und wir laufen auf ihr südwärts am Wildhorn 3247 m Schwarzsee entlang, dem der Seebach So., 11.4.65 entströmt und ziehen dann steil hoch zum Punkt 2876. Das ist ein ausgeprägter Gip- 5.00 – 9.00. Genauso ununterbrochen fel und verwunderlich, dass er namenlos wie gestern Abend die Leute in die Hütte ist. Vielleicht wegen der Nähe des Piz rieselten, geht heute der Neuschnee zu Bles (Bles == steile, glatte Alpweide). 11 Boden. Trotzdem begibt sich die ganze Uhr oben. Der Grat zum Bergell hin hat nicht schwache Hüttenbesatzung hinter sich mit von Süden aufsteigenden Wolken uns, bzw. hinter einem geführten Be- verhängt. Es baut sich ein Föhn auf. Der triebsausflug auf das Wildhorn. Sehr un- große Augenblick, dem Piz Stella auf sichtig. Auf einem Grathöcker wähnen wir Atemnähe gegenüber zu stehen, erfüllt uns schon am Ziel, doch nur bis Bernd sich gerade einmal, als er seinen spitzen nachkommt, seinen Höhenmesser zückt Gipfel frei gibt. Seine Umnebelung macht und unsere voreilige Selbstzufriedenheit ihn aber nur noch erhabener. Unwillkür- und uns von unserem Gipfel vertreibt. Wir lich wölben sich riesige Hänge vom Gipfel seien noch 100 m zu tief, kommentiert er. ins Tal. Wir fahren in Falllinie zur Alp Bles Ob wir dann wirklich noch den richtigen ab. 1000 Höhenmeter. Weiter unten wird Gipfel getroffen haben, kann ich nicht der Schnee immer fester. Herrlich. versichern. Jedenfalls kehren die uns fol- Abends Heimfahrt. genden Leute, in einzelnen Tatzelwür- mern gegliedert ankommend, an dersel- ASC – Clubtour ben Stelle um. Hauptsache, der Höhen- Wildhorn – Wildstrubel messer zeigt Wildhornhöhe. Abfahrt zur Wildhornhütte zurück. Bei Sicht wäre das Sa., 10.4.65 eine tolle Abfahrt gewesen! Mit Ernst (in seinem Variant), Bernd Dis- Mo., 12.4.65 2. Jahrestag meines chler, Uli Sotriffer, Horst Fribolin, Sepp Lawinenunglückes vom Col du Mont Brulé Kleiser und K.G. Zimmermann von 5.30 – Wildhornhütte – Wildstrubelhütte 7.00 – 10.30 nach Lenk. Strahlendes Wetter, 14.00 übers Schneidejoch. doch mahnen einzelne Zirruswolken an Vom Joch aus erkennt man das be- seine beschränkte Lebensdauer. Ins sonnte Wallis, während uns hier von Nor- Iffigental dringen wir, obwohl verboten, den stürmende schwarze Wolken über- d.h. nur in einem Taxi zugängliche Stra- schwemmen. Abfahrt von Schneidejoch ße, bis unter die Serpentinen vor. Immer- bis Punkt 2442. Ernst legt den steilen Teil hin können wir unser Geraffel soweit der Abfahrt in einem Schneebrett zurück. transportieren. Andere Hüttenanstreben- Er kann sich gerade noch selbst befreien. de lassen sich mit dem Taxi bis zur Denkwürdig: Heute genau vor zwei Jah- Iffigenalp überführen und ziehen bald weit ren fuhr ich auch in einem Brett in die vor uns durch den tiefen Neuschnee zur Tiefe! Damit haben wir zwei Brüder am Wildhornhütte. Am Iffigensee habe ich die gleichen Tag einen „Geburtstag“. Spurenden eingeholt und komme noch in Hergang des heutigen Lawinenun- den Genuss auf selbstgeprägter Spur die glücks: Vom Schneidjoch in eine flache verschneite Hütte an zu steuern. 12.00 – Mulde hinab schwingend, gelangen wir an 16.00. Bis weit in die Nacht hinein reißt einen nicht einsehbaren Steilhang. Alle der Strom der Übernachtungswilligen legen Lawinenschnüre an. Ernst fährt als nicht ab. erster los, verschwindet. Bernd hinterher, doch bleibt er stehen, als er den Hang einsieht. Kurz darauf sagt er: „Ich glaube,

106 da ist der Ernst drin!“ Bernd bemerkt das Später Aufbruch wegen später Wetter- in seiner üblichen Ruhe, weshalb ich sei- besserung. Anfänglich mit Bussole, später ne Worte erst verstehe, als ich selbst den bei besserer Sicht über den Glacier de la Hang hinabblicken kann. Ich sehe einen Plaine Morte an den Fuß des Wildstrubel dicken Abriss ca. 50 m horizontal über SW – Grat. Ein Aufstieg zum Lämmerjoch den Hang ziehen und weit drunten in bro- wäre wohl Selbstmord. Den 4 Schwei- delnden Schneemassen auslaufen. Mitten zern, die ortskundig sind, folgen wir, teils drin ein dunkler Fleck, der ab und zu mal zu Fuß über Felsen, oben auf umnebelten ganz untertaucht, meistens jedoch sicht- Grat auf Ski zum Wildstrubelgipfel. Um bar bleibt: Ernst. Endlich bleibt das 13.00 reißt`s auf, die Sonne scheint und Schneegeschiebe liegen und man erken-- dämmt von Norden herandrängendes nt, wie der dunkle Fleck sich rührt, größer Gewölk. Abfahrt zur Gemmi, wo`s bereits wird und sich zum ganzen Ernst heraus- wieder schneit. In Schwarenbach Besäuf- schält. Das alles beobachte ich, während nis und Nächtigung. ich möglichst rasch auf der harschigen Mi., 14.4. Abfahrt nach Kandersteg Mitte des Bretts hinabschwinge. Es gilt Neuschnee bis ins Tal. Ernst holt das Au- zum Glück nur noch einen Stock zu fin- to aus Lenk. Horst und Sepp reisen heim. den, was gelingt. Bei recht gutem Wetter Abends lassen wir uns samt Auto durch gewinnen wir den Rawlipass. Darüber auf den Lötschbergtunnel, hinein ins blau Punkt 2513 steht die Mittelstation einer angehimmelte Wallis. Mörel, wo wir in Militärseilbahn von Iffigen auf das Weiß- einem Heustadel wunderbar nächtigen. horn. Sie führt an der Wildstrubelhütte Durch die offene Tür blickt man in die vorbei, wo sie eine Stütze hat, wohin un- mondhelle Nacht hinaus, wo hoch über sere, ihr übergebenen Rucksäcke freund- den dicht sich drängenden Steinplatten- licherweise transportiert werden. Der An- dächern von Mörel ein Aprikosenbaum stieg zur Wildstrubelhütte von hier aus sei seine blütengesäumten Äste in die laue sehr lawinengefährdet, sagt der Maschi- Luft streckt. nist. Wir halten uns deshalb auf dem Do., 15.4. Für Fr. 3.- auf die Riederalp Felsgrat, der sicher dort hinaufführt, wenn geschwebt. 9.00 – 18.00 Abfahrt auf den auch die Ski geschultert werden müssen. Aletschgletscher hinab und Aufstieg zu- Vier junge Schweizer marschieren nach erst über apere Halden dann in Schnee uns, allerdings ohne Bedenken quer zur Oberaletschhütte. Wetter: Von schön durch die verdächtigen Hänge, ohne Ab- zu schneeliefernd umgeschlagen stand zu halten und ohne Schnüre. Auf 16.4.: Tatenlos, weil Sauwetter unsere Frage, ob sie keine Bedenken 17.4.: Tatenlos, weil Sauwetter gehabt hätten wegen Schneebretter, ant- 18.4.: Tatenlos, weil Sauwetter worten sie: Sie hätten nirgends einen 19.4.: Abreise, bei relativ „gutem“ Rutscher gesehen. Als ob erst ein von Wetter. Immerhin sehen wir mal das selbst abgerutschtes Brett das Anzeichen Aletschhorn und das Nesthorn. von Brettgefahr wär! Wir haben jedenfalls ein Brett gesehen, wussten aber schon Pizzo Tambo vorher um die Gefahr und sind immer mit Schnüren und in großen Abständen ge- Sa., 1. Mai 1965 gangen. 3.00 – 8.30 mit Sepp Kleiser (der über den VW von Horst Friebolin verfügt), Uli Wildtsrubel 3243 m Sotriffer und Bruder Sepp an den Splügenpass, Berghaus. Ab 8.30 steigen Di., 13.4.1965 9.30 - 13.00 wir erst in westlicher Richtung, dann ge-

107 gen SW in die Scharte östlich des Latten- Sa., 8.5. Mittags fort in zwei Fuhren: horns, die einen Zutritt in die Südflanke 1. Bernd Dischler, Karl Gerhard, des Tambo – O – Grates gewährt. Den Hartmut Henning und ich steilen O – Hang der Eiskuppe (Pkt. 2. Hartmut Röpke, Robert 3096) hinan und an den Fuß des felsigen Schnadt, Arnulf Schulz, Baumgartner Ins Val Faller bis zum Holzplatz mit dem Auto. Von Norden treiben schwere Wol- ken heran, die Dämmerung verfrühend und beschleunigend. Im Gasthaus Rot- kreuz zu Mulegns hieß es, die Skihütte sei schon bestellt, die entsprechenden Leute seien aber noch nicht da. So nächtigen wir im Heu in einem Stall neben der Ski- hütte. Pizzo Tambo gesehen aus dem Hügelgelände So., 9.5.. Um 4 Uhr in die Dunkelheit zwischen Lattenhorn und Alpetlistock aus NE hinaus. Auf Harscheisen in ca. 3,5 h zum Skidepot unterm Gipfelcouloir. Die 2. Steilaufschwunges des Tambo. Ziemlich Mannschaft bleibt früher schon geschlos- exponiert dort, wo man sich kurz unter sen zurück. In tiefem Neuschnee durch dem Gipfel mehr in die Südflanke begibt. das steile Couloir zum Gipfel. 9.00. Herrli- 13.00 droben. Schwere Quellwolken wal- ches Wetter (Hochbewölkung zuneh- len um die südlichen Gipfel. Rheinwald- mend). Vespernd sitzen wir auf dem horn und Güferhorn präsentieren sich Wächtensaum des Gipfels und spähen unmittelbar. Das Hinterrheintal unterhalb zwischen unseren Füßen hindurch auf von Splügen öffnet sich dem Zublick in den tief drunten sich dehnenden Talbo- seiner ganzen Länge. Mühsam dringt das den. Abfahrt oben gut, unten bricht man Auge in die dunstige Tiefe des Valle San völlig unmotiviert bis zum Bauch in die Giacomo, das dem Splügen südwärts Tiefe. Ein Bad im Fallerbach am Auto entkommt. Drüber enthüllt sich ab und zu drunten beendet die körperliche Betäti- der Pizzo Stella. Die im Aufstieg butter- gung für heute. weichen Südosthänge sind verharscht. Erst die Nordhänge sind wieder ange- Im Becken des Gauligletschers nehmer, weil sie noch Pulver haben. Die Ostgipfel des Rosenhorns (Wetter- letzten Schwünge pflügen im kernigen hornmassiv) Firn. 17.30. Wir fahren ins Madrisertal, wo wir bei der Familie Patzen nächtigen. Sa., 15. Mai 1965. Mit Dr. Baumgart- So., 25.4.65. im Madrisertal schneit`s. ner, Karl Gerhard Zimmermann und Das Kirchalphorn wird aufgegeben. Zilli`s Achim Wode von 5.00 – 9.00 nach Kirchendeckengemälde besichtigend und Innertkirchen und ins Urbachtal hinein, Burg Hohenrätien über Thusis besuchend das sich bis Rohrmatt (1000m) befahren bummeln wir heim. Nicht ohne über Chur lässt. in beherrschender Lage gevespert zu Der übliche Skianstieg aufs Wetter- haben. horn wickelt sich über den Rosen- lauigletscher ab mit der Besonderheit, Piz Platta dass man die Höhendifferenz von 2000 m 8./.9. Mai 1965 zwischen Rosenlaui und Wetterhorn in einem Zug zu meistern hat. Es gibt dort

108 keine Hütte auf halber Höhe. Eine solche Couloirs mahnt zur beschleunigten gibt es aber am Gauligletscher, den das Durchmessung desselben. Langsam zie- Wetterhornmassiv ostwärts ins obere Ur- he ich eine Spur durch die folgenden nas- bachtal hin abschickt. Warum bedient sich sen Steilschneehalden, die sich stufen- der Skialpinist nicht dieser Unterkunft in förmig, durch Terrassen schwach geglie- 2000 m Höhe? Im Laufe unserer Tour von dert, übereinander türmen. Man hat schon und zur Gaulihütte wird uns der Grund ein schlechtes Gewissen bei einem derar- immer fassbarer. Von Rohrmatten ab fol- tigen Rutschschnee. Gegen 15.00 Uhr gen wir dem Almweg, der, selbst schnee- erreichen wir Pkt. 2222,4, eine durch drei bedeckt, durch aperes bewaldetes Ge- Steindaumen weithin gekennzeichnete lände zur Schrätteralp leitet. Kurz vor die- Schulter. Über die Engelhörner, die fleißig ser ist der Weg hoch über der Schlucht in tosend und krachende Lawinen aus ihren eine Felswand gekerbt und seine Bege- 2000 m hohen Ostwänden ins Urbachtal hung an dieser Stelle wird zu einem aus- speien, rücken schwarze Wolken auf, aus gesetzten Quergang in steilem Firn. Wäre denen wie zur Probe schon einige Regen- die Schneeauflage hart, müsste man hier, tropfen auf uns abgeworfen werden. Von mitten zwischen Fichtenbäume und Moos- der gewonnenen Schulter steigen wir zu polstern auf 1400 m Höhe zur Steigeisen- Fuß unter Durchstechung der Gratwäch- hilfe greifen. Am Schrättern bewegen wir ten ca. 5m ab, bis das felsdurchsetzte uns auf fellbezogenen Ski in einen 800 m Gelände etwas flacher wir. Ich lockere hohen Steilhang, der völlig durchweichten dabei erhebliche Schneemassen, die zi- Schnee trägt. Von seiner Abrutschbereit- schend davon fließen. Wir haben zwar schaft künden an anderen Stellen sich schon die Höhe der noch unsichtbaren lösende und schon gelöste brettartigen Hütte, doch wäre eine Horizontaltraverse Lawinen. Etwa 20 cm unter der Oberflä- am Steilhang entlang zu riskant. Deshalb che lauert ein deutlicher Gleithorizont, fahren wir ab bis auf 2000 m und begin- doch liegt in größerer Tiefe sicher ein wei- nen erneut den Aufstieg in unübersichtli- terer. Die lange Schönwetterperiode Ende chem, durchfurchtem Gelände. Die er- März, Anfang April bereitete einen schö- sehnte Hütte sieht man erst, wenn man nen Firn, den reichhaltige Schneefälle in direkt davor steht. 17.00. Das Hüttenbuch der Folgezeit vergruben, ohne die tücki- beweist, dass sich hier nie Skitouristen sche Unterlage zu vergessen. Das herumtreiben. Das können wir bereits Schneebrett vom 12.4.65 bei unserem ganz gut verstehen. Ein starkes Gewitter Übergang von dem Wildhorn – zur Wild- leitet eine warme Nacht ein. strubelhütte ist ein Kind dieser arglistigen So., 16. Mai 1965. Um 3.00 Uhr be- Schneelage. Unser 800 m Hang ist nord- ginnen wir im nassen Sulz den Aufstieg. seitig, weshalb ich mich um die augen- Doch schon wenige Meter oberhalb der blickliche Mittagszeit hineinwage. Eine Hütte verdichtet sich von Westen her das Mulde, talseits gerahmt von einem runden Gewölk urplötzlich und von Donner be- Felsrücken, bergseitig von einer hohen gleitet, trommelt der Regen auf uns. Ver- Felsbarriere bedrängt, über der sich mo- dutzt drehen wir um. Bei der Hütte ange- notone Steilwände dehnen, ist der Brenn- langt hat`s jedoch wieder aufgehört. Doch punkt. Ostwärts steigt die Mulde an, um die drohenden Wolken lassen uns schlaf- sich in Form eines Couloirs dort hinaufzu- trunken wieder die Matratzen besteigen. ziehen, wo der talseitige Felsrücken mit 6.30. Lockeres Gewölk, von der Sonne dem bergseitigen Steilaufschwung ver- durchbrochen. Mit der Absicht, einen Er- schmilzt. Die von den Hängen rechts kundungsgang zum Gauligletscher zu oben stammende Lawinenfüllungen des machen, brechen wir ohne Baumgartner

109 auf. Bei sich besserndem Wetter streben Ski (ich fahre ohne Fangriemen). Kopf- wir jedoch bald darauf über den über im Geäst eines Erlenbusches gela- Gauligletscher hinweg gegen das Rosen- gert, verfolge ich das Schicksal meines horn. Im Osten steht die Sonne in einem entwichenen Blechlöffels. Er gleitet auf klaren Himmelsblau über den unberührt die unten folgenden Terrassen, überquert ragenden Gletscherbergen Ewigschnee- diese rasch zu ihrem talseitigen Rand und horn, Trifthörner, Hühner – und da, mein bittend und flehend hinterherja- Hühnertälistock. Vor uns, im Westen, hüllt gender Blick vermag ihn zu bremsen und sich das anfänglich freie Rosenhorn in kurz vor dem nächsten Abbruch anzuhal- Wolken, die es hinterrücks überfallen. Am ten. Eine gnädige Schneewehe am äuße- Seil verbunden steigen wir in leichter ren Rand der Terrasse hindert den Ski am werdendem Schnee zum Rosenegg hin- Absturz in die darunter harrende auf, von wo wir, bevor uns der Nebel auf- Schlucht. nimmt, einen herrlichen Ausblick erha- Das nun folgende Couloir mit der an- schen: Direkt ins Eismeer hinüber und auf schließenden Mulde ist nicht wieder zu die schwarze Schneide des Mittel- erkennen: Die ganzen Steilhänge darüber legigrates, dahinter der weiße Mönch. haben sich einer mächtigen Schicht ihres Links davon die breite Mauer der Schneebelages entledigt und den Abraum Fiescherwand. Vom nahen Schreckhorn ins Couloir gestürzt, aus dem sich die sieht man nur Felsrippen und grüne dreckigen Massen weit in die flache Mul- Blankeisfelder dazwischen in der Wol- de hinausgeschoben haben. Auf ca. 200 kendecke verschwinden. Am Rosenegg m ist unsere gestrige Aufstiegsspur ver- lassen wir die Ski und steigen den steilen schüttet. Teilweise ist das Couloir ganz Schneehang zum östlichen Vorgipfel des glatt ausgefegt und verschmiert. Selbst Rosenhorns hinauf. Dieser ist ca. 3600 m die talseitige Felsbrandung, in die wir hoch und bildet eine Schneekuppe. 12.00. beim Aufstieg zu entweichen hofften, falls Dichter Nebel. was runterkommen sollte, ist bis hoch Schöne Abfahrt, nachdem wir uns hinauf mit Schnee verkittet. Über 10 m vom lästigen Seil getrennt haben im An- hoch muss der, sich hier durchzwängen- blick des steil aufragenden Galenstock de Schneefluss gewesen sein. Unbarm- weit draußen im sonnigen Osten. Auch herzig gekämmt, gestriegelt uns ausge- der Titlis war vom Rosenegg zu sehen mit fegt ist das Couloir samt Wandung. In der dem langen Tal zur Engstligenalp davor. Mulde unten türmen sich haushoch die 13.30 nach Zwischenaufstieg zum Schneebollen. Drunten erwarte ich Kammlieg bei der Hütte. 15.00 – 18.00 Baumgartner und reiche ihm die Hand Abstieg und Abfahrt. Von der Schulter zum „Geburtstag“. (Das am gleichen Tag Pkt. 2222,4 gehen wir ca. 200 m zu Fuß passierte Lawinenunglück auf der Zugs- hinab. Immer wieder treibt´s Regenwolken pitze, kann ich mir jetzt nur allzu gut vor- über die Engelhörner heran, doch stellen in seinen Ausmaßen.) Jetzt wissen kommt´s nie zu deren Entladung (viel- wir endgültig, warum man im Winter nicht leicht, weil ich immer schon vorher mei- über den Gauligletscher angeht!! nen Regenmantel überstülpe). Die Hänge des Hochwang sind butterweich, stem- Pizzo Stella mend und leicht zu befahren. In der Steil- stufe überm oben geschilderten „Brenn- Sa., 22. Mai 1965 Mit Wolfdieter und punkt“ entkommt mir bei einem Sturz ein Wolf Hockenjos ins Valle di Lei, das ein

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Pizzo Stella vom Lago di Lei

Seitental des Averser Rheintals ist. Am der Straße bis ans Seeende. Daselbst ausgelaufenen Stausee entlang windet schnallen wir die Geräte an und ziehen sich eine schmale Straße, die im Allge- auf Fellen in die Richtung, in der wir den meinen schon aper ist. Nur an einigen Gipfel vermuten. Wolf geht mit Langrie- Stellen ist sie für ein paar Meter mit me- menbindung und Treppenschritt die Hän- terhohem Schnee versperrt. Fritz, Sepp, ge hoch. Dicker Nebel verwehrt jede Gunild und Dieter Wagner waren letztes Sicht. Irgendwann stellen wir fest, dass Wochenende hier und streckten vor ei- wir schon 3 h gegangen sind und deshalb nem derartigen Hindernis die Waffen ihres schon recht hoch sein müssten. Kurz da- Autos und gingen zu Fuß weiter, obwohl rauf wird’s sehr steil und meine Harschei- nach wenigen Metern für ca. 4 km die sen verhelfen mir zu großem Vorsprung. Straße wieder völlig frei wurde. Mit Ski Ein kräftiger Wind vertreibt auf einmal die und Pickel schaufelnd, räumen wir des- Nebel und die Gipfelpyramide wird sicht- halb zwei Schneesperren mit einem Zeit- bar. In den schmalen Grat ramme ich de- aufwand von einer Stunde und eröffnen poterrichtend meine Ski und eile zum uns damit die Straße bis zur Alp schneeverklebten Gipfelkreuz. Die Aus- Mulecetto. Das Almgebäude ist modern sicht wird schnell besser: Besonders der errichtet. Das alte Anwesen ist den Was- Tiefblick ins Val Giacomo ist bedeutend sern des riesigen Stausees anheimgefal- und außerdem erahnt man den Comer len. See. Das Bergell muss dort liegen, wo 23.5.65. Nach dem es in der Nacht hochgehende Wolken wogen. 8 Uhr, län- geschifft und gehagelt hat sieht der mor- gere Rast. Der Aufstieg im Nebel hat ei- gen entsprechend aus. Tief hängt eine nen Vorteil gehabt: Der frische Schnee schwarze Wolkendecke im Tal. 4.00 Auf- aus der letzten Nacht ist unverdorben bruch. Die Ski geschultert laufen wir auf geblieben. Das riesige Gehänge liegt,

111 einen ungeheuren Fahrkomfort verspre- Galenstock chend unter uns. Im leichten Pulver schwingen wir zum See hinab. 1200 m! 12. Juni, Samstag. Mit Wolfdieter, Lutz und Sepp ab Mittag zum Furkapass Alphubel – Bellavista, ca. 20 Uhr. Wodi schläft im Wagen. Wir andern wandern bis 23 Uhr Sa., 29.5.65 Mit Bernd und Wolfdieter nach Saas Fee. Auf Längfluh geschwebt und daselbst genächtigt. So., 30.5.65 Um 4 Uhr stehen wir auf, brechen aber nicht auf, weil Schnee fällt. Um 7 Uhr klart es auf und schon ziehen wir unsere Spur Richtung Alphubel, wo noch alles vernebelt ist. Bald sind auch wir in der Sauce und auf gut Glück spure ich in tiefem Weichschnee und heißem Nebel durch zu ahnende Brüche auf den Gipfel. Kurzfristig kann man mal das Täschhorn erkennen. 13.30. In unserer Spur haben sich noch mehrere herauf gewagt, die ohne mich nicht weit gekom- men wären. Der Einsatz war wie geschaf- fen zum Einsatz von Orientierungskunst. Die Abfahrt in dem bazigen Schnee wird sogar recht ordentlich, wenn man von den Sichtverhältnissen absieht. Klirrende Kälte und Aussicht auf dem Galenstock

Theodul – Pass Breithornplateau Pfingstsamstag, 5 . Juni 1965 auf Ski über den Rhonegletscher hinan und biegen vor dem Eisbruch zum Galenstock hinauf ab. In der Gletscher- Mit Udo, Manfred Baßler und Dieter mulde unter diesem, auf 2900 m, errich- Wagner reisen wir auf den Theodulpass. ten wir in einer Schneekuhle, die sich um Bis „Trockener Steg“ mit der Seilbahn. Im einen großen Steinblock herumwälzt, ein Nebel weiter zur Theodulhütte, uns an bequemes Biwak auf zwei Luftmatratzen. Raupenschlepperspuren orientierend. Hoch über uns glänzt silbern die Firnkup- 6.6. 8.00 – 10.00. Auf dem Breithorn pe des Galenstocks im Mondschein. hilft selbst der Kompass nicht mehr und in 13.6. 4.30 – 6.30 zum Gipfel. Wodi der Hoffnung, es reiße nochmal auf, ver- rast etwa in der gleichen Zeit den Berg bringen wir 4 Stunden unterm Zeltsack. hinan. Ausgezeichnetes Wetter, wenn Dann Rückkehr im Nebel. Abends findet auch kalter Wind. Um 10 Uhr verlassen eine herrliche Aufklarung statt. Aussicht in wir den Gipfel auf hartem Firn, der erst alle Winde. Kurz darauf schneit`s wieder weiter unten gefügiger wird. aus allen Winden.

7.6.: Heim. Grollend ob finanzieller

Verluste.

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Dent D`Herens N – Wand ten durch die Dunkelheit. Das Abendge- 26./29. Juni 1965 witter flaut ab. Es ist bereits hell, als wir durch die brüchige Felszone hinaufeilen, Samstag, 26.6.65: Mit Wolfdieter und die fast ein Drittel der Wand ausmacht. Udo von 3 Uhr bis 11 Uhr nach Zermatt. Nach 2 h umspielt uns die Sonne auf der In aller Ruhe schlendern wir (ohne Wodi, Schneekuppe. Hier stehen wir vor der der mit einem späteren Zug von St. Niko- untersten Eiswand und vor der Entschei- laus losfährt) Richtung Schönbiehlhütte. dung diese links umgehen zu versuchen „Wenn man von Zermatt über Zmutt nach oder durch einen Eiskamin direkt zu neh- Schönbiehl wandert, so wird das ganze men. Aus Udo´s Anstiegsblatt ersehen Landschaftsbild zunächst beherrscht von wir, dass hier der erwähnte Eiskamin klaf- dem himmelragenden Bau des Matter- fen muss, durch den, falls er überhaupt horns. Sobald man sich aber der Klubhüt- vorhanden ist, der Anstieg gelingen kann. te von Schönbiehl nähert, ändert sich das Wir sehen: Es klafft ein Eiskamin. Nach Bild mit einem Schlage. Das Matterhorn einer Seillänge echter Kletterei in wasser- verliert seine kühne Gestalt und wird zum triefendem Eisgekröse fast lotrechter Nei- breit ausladenden Felsbau. Dagegen gung stehe ich unter den nun überhän- drängt sich eine neue Berggestalt dem genden Seracs. In den Nacken rieselt das Blick auf: Die Dent d´Hérens, deren ver- Wasser, ein dumpfes Krachen bebt ab gletscherte Nordflanke einen gerade ein- und zu durch die drohend herausragen- zigartigen Abschluss für das wilde Becken den Schollen und drüben am Matterhorn des Tiefmattengletschers bildet.“ (W. brennt heiß und heizend der Sonnenball. Welzenbach) Eine Querung um eine exponierte Ecke Ein kleiner Teich, der sich hinterm an Hand einer abstehenden Schuppe hohen Moränengrat des Zmuttgletschers liefert mich an den Fuß des Eiskamins. hält, birgt seltene Genüsse: Rücklings in Dieser ist eine Kluft, die eine große ca. 40 seinem sonnenbeheizten Wasser trei- m hohe Eisscholle vom Hauptrumpf los- bend, spähe ich in die Nordwand der Dent trennt. In ihr stemme ich mich hoch, d´Hérens, wo von der breiten Finch- Schrauben bohrend und Schnee räu- terrasse sich ablösend in schmaler kas- mend. Letzterer gibt dunkle Tiefen frei, kadenartig gestufter Zunge ein Hänge- was mich davon abhält, im Kamingrund gletscher herab sprudelt, der Brennpunkt Tritt zu fassen. Schließlich wird der bisher der Wand. lotrechte Kamingrund flach und man mar- Wesentlich unbeteiligter betrachte ich schiert auf dem so gewonnenen „Zwi- aus meiner Rückenlage die unmittelbar schenboden“ in die nach oben unver- über uns ragende Nordwand des Matter- stopfte, klaffende Spalte. Ich lasse Udo horns. Ein Netzwerk zahlloser Eis – und und Wodi nachkommen. Bergseitig ist die Schneeadern überspannt den schwarzen Spaltenwand überhängend, doch beginnt senkrechten Fels. Kein gleißender Eisbal- in ca. 3 m Höhe ein Kamin, dessen Grund kon hellt dort den finsteren Anblick auf. man jedoch nicht einsieht. Mit Schlingen- Gegen 17 Uhr auf der Schönbiehl- technik gewinne ich diesen, verfolge ihn hütte, leer, jedoch mit Hüttenwirt. ca. 10 m weit, muss aber dann feststel- 27.6. 1 Uhr 30 bis 3 Uhr 30 über den len, dass er grundlos wird. Man müsste in Tiefmattengletscher, den wir westlich von der langen Kluft sicher einmal im Spreiz- der Hütte absteigend gewinnen zum Ein- schritt oder in Schlingen einen Standplatz stieg SE des Punktes 2877. Im Nordosten zeitigen. Das sieht´s talwärts schon bes- linst die zarte Mondsichel aus einem Wol- ser aus: Die Innenwand der riesigen, sich kenloch. Fern zuckt ab und zu ein Leuch- abspaltenden Scholle ist zwar völlig glatt

113 aber nicht einmal ganz senkrecht und Westen, wo dies sich mehr und mehr ver- oben ist sie wieder mit dem Hauptrumpf jüngt, um ganz ab zu brechen. Hier ist die des Eises verwachsen. Mittels ca. 10 Eis- Eismauer am niedrigsten (ca. 10 m hoch) schrauben von Schlinge zu Schlinge stei- und nur senkrecht mit Ausnahme des gend, bewältige ich diese Innenwand der obersten Meters. Schräg nach rechts Scholle und überquere leicht an der Ver- aufwärts schiebe ich meine Schlingenpo- wachsungsstelle unsere Spalte hinüber sition von einer Schraube zur nächsten, auf eine mäßig steile Firnterrasse. Das etwas höher angebrachten vor. Unter mir Dach der Seracs gewonnen, den kalten ist unsere Terrasse zu Ende; ich hänge in Klüften entronnen! Während Udo den einer hohen, unten zurückweichenden Eisschrauben -rausschraubenden Wodi Eismauer, aus der unten irgendwo der sichert, Fels hervortritt und auf 700 m unter mir lagernden Tiefmattgletscher hinab schießt. Je höher ich steige desto schlechter wird das Eis, desto weniger traue ich dem Halt der Schrauben. Das fortwährende Bohren ausschließlich mit der rechten Hand und das Festkrallen sind sehr kraftraubend und verkrampfend. Zum Greifen nah ist nun der sonnen- gleißende Saum, der flaches Gelände verheißt. Tief schürfe ich im Firn, bis ich einigermaßen haltbares Eis für meine bis dahin aufgesparte Hohlschraube spüre. Leichter wie befürchtet gelingt mir der Übergang aus der letzten Schlinge auf die Finchterrasse hinauf. Erleichtert lockere ich die verkrampften Hände. Die Siche- rungsmöglichkeit ist schlecht. Ich stampfe den lockeren Firn und stoße mein kurzes Eisbeil hinein. Udo kommt nach. Darauf mein Rucksack, der nicht recht über die Kante hinweg will. Da ich hiermit wieder in Besitz meines langen Pickels bin, kann Ich beim Abstieg vom Galenstock ich eine Seillänge weiter oben sitzend, von hier aus Udo nochmals sichern, der habe ich Muße, mich zu nähren und zu nun Wodi während 1,5 h nachkommen trocknen. Ohne größere Schwierigkeiten lässt. Es ist bereits 16 Uhr. Aus der ech- gehen wir an den Fuß des großen Eisrie- ten Gipfelwand lösen sich einige Steinla- gels, der quer durch die ganze Wand gür- winen, die Sonne kommt nämlich wieder telgleich sich spannt. Über ihm dehnen in die Wand. Doch zieht sich von Westen sich die ersehnten Gefilde der flachen her ein Gewitter zusammen, das die Son- Finchterrasse. Wir befinden uns auf einer ne am Loslösen von Steinen hindert. waagrechten Terrasse, der eben bergsei- Wir entscheiden uns, nicht in Falllinie tig von Ost nach West abnehmende an dem 400 m höheren Gipfel zuzustreben, Höhe abnehmend der schwach überhän- sondern uns nach mehr rechts zu halten, gende Eismauer entragt. Wir laufen auf um den NW – Grat bald zu gewinnen. unseren Gletscherstufen soweit nach Über der Finchterrasse quillt noch ein

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Eiswulst aus dem Gehänge hervor, den Wolkenzug aus NW hüllt alles in Nebel. wir mittendurch überlisten, wo eine Den NW – Grat verfolgen wir direkt auf „schwache Stelle“ zum Durchstieg ein- der Gratscheide zum Gipfel. Das Gewölk lädt. Fünf Seillängen über der Finch- zerteilt sich allmählich. Schillernd zeichnet terrasse zerreißt ein Schrund die Wand. die durchbrechende Sonne mein Bro- Doch hält er mich nicht auf. Ich stehe be- ckengespenst auf die Nebelschwaden. 9 reits eine Seillänge darüber, als das Ge- Uhr. Unser Gipfel entragt kaum einem witter anhebt. Schnee und Blitze fallen hochgehenden Wolkenmeer. Nur aus den Wolken. Ich lasse mich zum Montblanc, Grand Combin, Dent Blanche Schrund zurück, unter dessen Oberlippe und Matterhorn schwimmen inselgleich wir das Wetter abwarten. Ca. 18 Uhr. Von über den weißen Wolkenballen. Ausführ- W klart es bald wieder etwas auf. Die lich wird gefrühstückt. Nur Wodi sitzt teil- Firnauflage auf dem 600 geneigten Hang nahms – und regungslos da und stiert in wird seichter und die letzte Seillänge, be- die Sonne. Die Wolken verflüchtigen sich vor wir die Felszone erlangen, mache ich zusehends und man erblickt unter der zu einer ordentlichen Stufenleiter. Immer Finchterrasse den waschbrettartigen, ge- mehr Fels durchbricht das Blankeis, wel- fächerten Tiefmattengletscher. Ab 10.30 ches endlich völlig einem Haufwerk von Abstieg über den Westgrat, bis dieser in Blöcken und Platten weicht. Dunkelheit. Felstürme übergeht. Von dort lassen wir Auf zwei engen Podesten rüsten wir zum uns an einer vorgefundenen Abseilschlin- Biwak. Alles muss festgebunden werden. ge auf eine flache Terrasse des Hänge- Angeseilt kaure ich mit Wodi auf der ab- gletschers der Dent d´Hérens WNW schüssigen Stufe. Mein linkes Bein steht Wand hinab. Zeitraubende Erkundungen in einer Schlinge. Unter den Füßen habe ergeben, dass diese Terrasse überall ich den Biwaksack zusammengezogen. senkrecht abbricht. Nur eine Chance Durch das verbleibende Loch erkennt bleibt uns: Eine Spalte zieht aus leichtem man die Eisflanke. Als ich einmal den Gelände schräg durch den Eiswall hin- Kopf durch das Luftloch des vom Wind durch. In ihrem Grund könnte man gerade knatternd geblähten Zeltsack ins Freie durch diesen durchmarschieren. Mit zö- hinausführe, sehe ich weit draußen im gerndem Udo und zu allem bereiten Wo- NW die Lichter von Evolène im Val di, Letzterer springt, um die Eisschrauben d´Hérens funkeln. Es gelingt Tee zu ko- zu sparen, an der mit 4 m niedrigsten chen, indem ich den Kocher in der Hand Stelle in die rettende Spalte. Durchqueren halte. Meinen Fußsack verwende ich bloß unter fortwährend zerbröselnden Eiswän- als Sitzkissen, ich kann ihn nicht über den den den Eisgürtel und lagern bald darauf ihm zugedachten Körperteil stülpen. Denn im sinnenwarmen Fels eines hier auftau- die Stiefel kann ich nicht abstreifen. Mit chenden Felspfeilers. Hier wähnen wir den feuchtkalten Zehen treibe ich Gym- uns wieder sicher und weiden uns am nastik, doch schlafe ich dabei immer wie- nahe vorbeifallenden Eis. Bis zum Ein- der ein. Dann reißt mich plötzlich das bruch der Dunkelheit beschäftigen wir uns schlechte Gewissen um die Füße aus den damit, über den leichten Pfeiler traumreichen Untiefen des Schlummers abzuklettern. Eine Dreierseilschaft kostet und erneut falte und krümme ich die Ze- halt Zeit. Der Fels würde ein seilfreies hen im Takt, der erneut unmerklich und Gehen gestatten, doch personelle Gründe unbewusst verebbt. würde dies auch nicht schneller gestalten. Um 5 Uhr verlassen wir die Zeltsäcke Der Felspfeiler verschwindet unten unter und gewinnen nach zwei Seillängen brü- einem Blankeisfeld, das die Oberlippe chiger Kletterei den NW – Grat. Ein kalter eines hohen Schrundes bildet. Eine lange

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Querung noch in den Felsen befördert und gen SW unter die Seracs des Hän- Montblanc gegletschers, wo Lawinenreste und Firn 28. Juli – 14. August 1965 das Blankeisfeld bedecken und den Berg- Mit Lutz Freier, Ekkert Gundelach, Udo schrund gutmütig zuschütten. Es ist gera- Patscheider de Nacht geworden als wir das flache Becken des oberen Tiefmattgletschers Abgeblitzt am Teufelsgrat (Tacul) betreten. Mitten in ihm schlagen wir unse- 29./30. Juli 65 re Zeltsäcke auf. Welch ein Genuss, die nassen Schuhe von den Füßen zu bre- 28. Juli 65 5.00 – 11.00 mit Udo sei- chen und die triefenden Strümpfe von den nem VW nach Chamonix, wo Lutz und Knöcheln zu schälen! Und hinein in den Ekkert (besitzt einen Fiat 500) bereits warmen Fußsack. Ein warmes, schlaf- eingetroffen sind. Nachmittags schweben trunkenes Biwak überlistet die klare wir bei fantastischem Wetter auf die Ai- Nacht. Vom „Bett“ aus verfolge ich die guille de Midi (13,50 Fr mit 10 % AV Er- Tagwerdung. Leise rötet sich der Himmel mäßigung) und durchqueren von 17.00 – hinter der edlen Pyramide der Dent Blan- 19.00 das Vallée Blanche. Ausgangs- che, die den ganzen Talkessel beher- punkt für den Teufelsgrat ist die Turiner rscht. Hütte, doch müssten wir ein Großteil des Dienstag, 29.6.65 Von 5.00. bis 7.30 Weges, den wir heute Abend würden, eilen wir in einen gleißenden Tag hinein morgen in umgekehrter Richtung zurück- über die zwei Eisbrüche des Tiefen- legen. Um dies zu vermeiden, nächtigen mattengletschers hinaus an das grasige wir unterm in ca. 3400 m Gestade unseres kleinen Moränensees. auf dem Gletscher. Ekkert und ich haben Und wieder rudere ich rücklings in den vollständige Daunenbekleidung, während frischen Fluten und spähe vom hiesigen Lutz nur einen Fußsack, Udo nur eine Talort zu unserem Tatort; doch diesmal Daunenjacke zur Verfügung haben. Hier nimmer besorgt messend und wägend, hinterlassen wir auch Nahrungsmittel und sondern die durchschrittenen Lagen ver- sonstiges Zeug, das wir für den Teufels- gleichend und am Gewinn mich berei- grat nicht brauchen. chernd. 29.7. Deutliche Wetterverschlechte- rung.Trotzdem steigen wir von 5.00 – 8.00 in den Col du Diable, den wir durch das, von ihm herabziehende Couloir direkt ge- winnen. Eine italienische Dreierseilschaft kehrt hier um, weil sie sich bei den zwei- felhaften Wetter zu lahm vorkommt. Im Couloir waren sie jedoch schneller als Ekkert, Lutz und Udo, die sich im oberen Teil zu einer Seilschaft verbinden, wäh- rend ich solo voran klettere. Beim Rück- zug stürzt einer der Italiener tödlich ab, wie sich später herausstellt.

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Teufelsgrat: Er wurde nur bis zur Brèche Médiane beklettert, nach dem Biwak, Abstieg

.Bei einsetzendem Schneetreiben klettern nig windet. Ich schrei zu beiden hinüber, wir in zwei Zweierseilschaften (Ekkert – dass wir dann hier biwakieren können und Udo, Lutz – ich) auf den Pointe Chaubert müssen: In der 2 m mächtigen Gratwäch- (4077 m) 9.00. Zweimal seilen wir gesi- te, der sich vom Fuße des Pointe chert an zwei zusammengeknüpften 40 m Chaubert zum Gratturm inmitten der – Seilen in die Brèche Médian hinab. Brèche Médian schwingt, können wir eine 4017 m. Ein wütender Sturm erschwert Höhle graben. Die Tiefbauarbeit über- das Abseilen und Abziehen der Seile, nimmt hauptsächlich Lutz. Zusammenge- diese werden vom Sturm hinter Felsza- kauert hockend, hackt er in der Höhlung, cken getrieben, wo sie sich verklemmen, während wir anderen draußen stehen. Ich derart, dass wir erst gegen stehe oben auf der Wächte drauf, koche 12.00 alle viere in der Brèche Médiane Tee und mahne ab und zu, die Aushöh- versammelt sind. Udo hat den Gratturm lung einzuschränken, insbesondere, wenn mitten in der Scharte schon überklettert ein krachendes Beben durch die Wächte und lässt Ekkert nachkommen. Beide ste- geht. Die SO – Wand des Loches bildet hen nun am Fuß der lotrechten Wand zur der Fels der Pointe Chaubert, der sich Pointe Médiane hinauf. Doch orgelt dort durch eine tiefe Kluft vom Eis des ein derartiger Sturm um beide herum, Wächtengrates fernhält. Diese Kluft füllen dass sie sich weigern weiter zu gehen. wir mit dem Aushub der Nische. Stabili- Meinen Standpunkt, unter allen Umstän- tätserwägungen lassen uns den weiteren den weiter zu gehen, muss ich allmählich Ausbau der Höhle abbrechen. Zu leicht räumen, da Ekkert und Udo sich nur mit kann man sich vorstellen, dass das Ge- Mühe gegen den Orkan stemmen kön- bäude zusammenstürzt und uns aus un- nen, während es bei mir und Lutz nur we- seren schmalen und abschüssigen Stän-

117 den in die Tiefe reißt. Lutz, der ziemlich poniertes Zeug auf und stapfen im Sulz durchnässt ist, richtet sich als erster im zur Turinerhütte. Die leichte Wetteraufhel- innersten Winkel ein. Zu ihm kriecht dann lung hat sich als nur flüchtig erwiesen. In Ekkert in den Biwaksack. Udo setzt sich in der Nacht fallen 20 cm Neuschnee. einen extra Biwaksack davor. Als letzter Samstag, 31. Juli. Mit Fieber und schiebe ich mich gegen 16.00 in das Bronchitis liege ich den ganzen Tag in der Loch, mit dem Rücken zum Ausgang, die Hütte. Füße ins Innere in ein Loch im Höhlenbo- Sonntag, 1. August: Abreise mit der den geräumt. Ich kann mich nirgends an- Seilbahn nach Palud hinab. (Lire 800 statt lehnen. Um zu dösen, lege ich, wie ein 1600, weil ich mich mit meinem alten Taschenmesser zusammengeklappt, den Jugendleiterausweis als Führer ausgebe. Kopf auf die Knie. Die anderen hocken, Ebenso Udo und Ekkert). Im Handumdre- den Kopf abgewinkelt, weil die Höhle zu hen trampen wir alle vier durch den niedrig ist, mit dem Rücken zur Felswand. Montblanctunnel nach Chamonix hinüber, Trotz der misslichen Körperstellung jedes direkt unter der Flégéreseilbahn finden wir einzelnen müssen wir zufrieden sein, zwi- einen aussichtsreichen Zeltplatz. schen wilden Felszapfen überhaupt einen 2. August: Eine zauberhafte Aufkla- Platz für alle vier aufgetrieben zu haben. rung am Morgen enthüllt die verschneiten Unsere Situation ist „haarig“: Ein Rück- Nadeln und die Dru. Mittags Regen. zug auf dem Herweg ist unmöglich, denn 3. August. Wetterbesserung. Am die Wand, über die wir zweimal abseilten, Montetpass lümmeln wir uns mit zahlrei- ist im Abstieg zu schwierig. Der Weiter- chen Franzosen an Felsblöcken und spä- weg in schwierigem Fels ist wegen des hen ins winterliche Agentiére – Becken. Neuschnees auch nicht mehr möglich. Es Udo ergreift die Initiative und schlägt den bleibt nur ein Abseilrückzug durch das Rochefortgrat vor. Ekkert lässt die N – Couloir, das die Brèche Médiane gegen Wand der Triolet als Kandidat vom Stapel. SW entsendet. Dieses ist jedoch so steil, Ich biete nichts, da mir jeder weitere Ru- dass man es nicht einsehen kann. Doch hetag zur Genesung willkommen ist, doch müssen`s wir dort versuchen. unterstütze ich die Triolet. Ohne Umstän- 30. Juli 65. Es schneit nicht mehr. Der de einigen wir uns alle auf diese. Unsere Nebel gibt sogar ab und zu den Mont große Sorge ist bloß die Schneebrettlawi- Maudit frei. Um 8.00 fährt Ekkert als ers- nengefahr. Für 22 Fr erwerbe ich mir mit ter an einem Haken in die lotrechte Tiefe Reiseschecks bei Saugland in Chamonix und landet im eisigen Grund der schma- Bonattigamaschen, wie sie Ekkert und len Rinne. Nach zwei Abseillängen gesellt Udo schon tragen. sich von rechts ein weiteres Couloir hinzu, 4. August 65. Ein Donnern lockt mich mit welchem zusammen das unsrige ein aus meinem Zelt: Eine Staublawine fegt breites, flacheres, mit Felsblöcken durch- über die Nordabstürze der Aiguille du Midi setztes Couloir bildet. An dessen linkem, herab. In eine ähnlich gerichtete Wand solidem Felsufer geht die Abseilerei wei- wollen wir einsteigen. Bei brillantem Wet- ter, bis wir nach insgesamt neunmaliger ter steigen wir zur Argentièrehütte, nicht Prozedur dort landen, wo wir gestern ohne die untere Sektion der Morgen von NW her in das Couloir zum Lognanseilbahn mit Fr. 2,50 (bei 50% Col du Diable hinein querten. Nach drei Ermäßigung) zur Erleichterung des An- weiteren Seillängen Abstieg im Schnee- stiegs herangezogen zu haben. Den gan- hang betreten wir den flachen Gletscher zen Mittag liegen wir über der Hütte auf des Cirque Maudit. 14 Uhr. Bei unserem einem Felsblock herum und richten immer ersten Biwakplatz nehmen wir unser de- wieder lange Blicke, einen Durchstieg

118 suchend, auf die N - Wand der Triolet. Am Um 1 Uhr treten wir aus der Hütte und 13. Juli hat Peter Blattmann und Jürgen stolpern südlich von ihr auf den Gletscher Winkler aus Frankfurt, am 28. Juli eine hinab. Immer drohender ragt vor uns die polnische Seilschaft die Wand durchstie- Wand und drüber der dunkle Felsbau in gen, wie wir vom Wirt erfahren. Abends den gestirnten Himmel. Schweigend mar- löst sich am Col des Droites, gerade ge- schieren wir auf dem flachen Gletscher genüber der Hütte ein Schneebrett und dem Wandfuß zu. Um 3 Uhr sind wir fertig gebiert eine mächtige Staublawine. Wir angeschirrt und als erster überschreite ich werden nachdenklich. Doch belehrt uns in tiefem Pulver den Schrund und dringe ein Blick durch das Fernglas des Wirts, in die Steilflanke vor. Abwechselnd führt dass die schneebrettträchtige obere Zone Lutz und ich. Es ist reine Stapfarbeit, die der Triolet durch die Begehung des mehrmaliges Einschlagen des Fußes ver- blankeisigen Lachenal – Contamine – langt, um festen Tritt zu fassen. Die Stirn- Ausstieges gemieden werden kann. Wir lampen sind in diesem monotonen Ge- entscheiden uns also hier unten bei der lände überflüssig; außerdem verbirgt die Hütte schon für den rachgierigen, viel- Nacht die ungewöhnliche Steilheit. Es leicht noch gar nicht wiederholten Lache- wird hell als wir dicht rechts neben der nalausstieg, ohne zu ahnen und zu wis- rechten der beiden charakteristischen sen, wie wir unseren und der Eiswand Felseninseln im unteren Wandteil stehen. Zustand in dieser Phase der Durchstei- Diese tragen beide feine Schnurgrät- gung antreffen würden. schen, die einige Seillängen höher in der Eisflanke aufgehen. Unser Grätchen ent- ledigt sich auf halber Höhe der bis hier her herrschenden Pulverauflage und trägt weiter oben einen glänzenden Panzer, von dem ich aus der Ferne annehme, es sei Blankeis. Zum Glück ist dem nicht so. Es ist eine feine, blättrige Kruste unter der sich recht griffiger Firn birgt. Doch bereits nach einer Seillänge hilft auch diese Grif- figkeit nicht mehr. Wo ihr das Grätchen entspringt, steilt sich die Eiswand so sehr auf, dass ich für 10 m Stufen und Griffe hacken muss. Seit wir das Schnee- grätchen erreicht haben, führe ich. Nach dieser ersten Trioletkostprobe folgt eine schräg ansteigende Querung nach rechts in „flacherem“ Gelände fast ohne Stufen- hacken hinüber zu einem weiteren Schneegrätlein., das einem Serac aufsit- zend in leichtem Bogen zu den Felsen über uns schwingt. Zwei Seillängen rollen auf diesem First ab, die zweite Hälfte der zweiten zweigt bereits zur großen Rechtsquerung ab, die uns auf das mäßig Nordwand geneigte Dach des unteren der zwei gro- 5. August 65 ßen Seracs bringen soll. Diese Querung erfordert zwei bis drei Stunden Hackarbeit

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auf anderthalb Seillängen. Das Eis ist ist es Blankeis?) im fahler werdenden wohl 600 geneigt und trägt einen beinhar- Sonnenlicht, so dass dort keine Schnee- ten, glatten Harschpanzer, den das Beil brettgefahr lauert, wie wir befürchteten. mit Mühe sprengt. In fantastisch exponier- Vom Mittag bis 18 Uhr sind wir mit diesem ter Stellung – unter mir schießt die Eis- Steilfinale beschäftigt, denn der Schein flanke steiler werdend ca 400 m , dem trügt: Nach zwei Seillängen überm Blicke entschwindend, in die Tiefe – meiß- Schrund, unter dem das Dach des unte- le ich an geräumigen Stufen, auf denen ren Seracs ansetzt, treffen die Frontalza- ich mich an den großen Serac schne- cken der Steigeisen durch die seichte ckengleich her anschiebe. Im pulvrigen Harsch – oder fleckenweise Pulverdecke Grund der Lawinenbahn, die sich mit 700 auf Blankeis. Wieder hacke ich. Diesmal mindestens nach unten und oben entfernt nach links querend zu einem blockigen – oben vollzieht sich in ihr der Lachenal- Felsrücken. Auf diesem gewinne ich, em- Ausstieg direkt in Gipfelfalllinie – stehe ich pört über die mangelnde Festigkeit der zum ersten Mal wieder auf gefügigen Bo- Felsplatten, fluchend die ersehnte Schar- den. Laufend rieseln feine Eissplitter te. 18 Uhr. Das Wetter hat seit Mittag An- durch die Rinne herab, in der ich Stand stalten gemacht, sich zu verübeln. Es ist mache. Schleppend kommt Lutz nach; für bis zu zaghaften Versuchen, Schnee fal- seine kurzen Beine sind die Stufen zu len zu lassen, gekommen. Doch nun rückt weit auseinander, außerdem hat er von Westen Aufheiterung heran, die uns Hangangst, die ihn sich zu sehr an den bei der Überschreitung der Petites Hang lehnen lässt. Dies ist verständlich, Aiguilles de Triolet eine friedliche Abend- ist doch dies seine erste richtige Eistour. stimmung herzaubert. Glücklich darüber Aus der Rinne kletternd in fast senkrech- und noch glücklicher über die Spur, die tem Eis nach rechts querend auf das wir auf dem Plateau de Triolet und im Dach der großen Seracmauer. Das ist Eisbruch des Courtesgletschers antreffen, leichter gegangen, als es anzusehen war. stapfen wir in den roten Abend hinein, vor Lediglich eine Zwischenschraube habe uns unter orangem Westhimmel die ich zur Sicherung angebracht. In abgrün- schwarzen Zinnen, Zapfen und Zacken digem Pulver stehe ich nun ohne Siche- des zerzausten Moinegrates der Verte. rungsmöglichkeit in flachem Gelände. Da Drüben steht in kräftigem Wolkenzug ge- darf Lutz nicht abstürzen! Tut er auch reckt der Montblanc und gleich, wie in nicht. Und schon spurt und wühlt er an mir seinem Schutze, hält er die Aiguille Blan- vorbei rechts hinaus unter die obere gro- che an der Hand. Am meisten beeindruckt ße Eismauer. Links an dieser vorbei das kolossale, kompakte Felsmassiv der schießt in unerhörter Steilheit das Blank- Grandes Jorasses. eis die oben genannte Rinne zum Gipfel- Ohne die Spur wären wir aufge- aufbau hinauf. Das ist der Lachenal – schmissen und zu einem Biwak gezwun- Contamine – Ausstieg. Er würde stunden- gen. Der Courtesgletscher ist sehr zer- lange Hackarbeit erfordern. Wir streben würfelt und zerborsten, als dass man nach rechts hinaus, ohne auf dem Dach (zumal von oben her) einen Durchschlupf des oberen Seracs Fuß fassen zu wollen, fände. Trickreich windet sich die Spur sondern mit der Absicht, in die Scharte durch den steilen Bruch, der uns unter der zwischen den beiden Petites Aiguilles de Aiguille Mummery und Ravanel in weg- Triolet zu steigen. Der Eishang dort hin- sameres Gelände und in die Dunkelheit auf glänzt mit seinem Harschpanzer (oder entlässt. Um 22 Uhr betreten wir die Cou-

120 verclehütte, wo man unsere Herkunft auf- Abends liegen wir am lodernden Feuer, grund unserer späten Ankunft gleich errät die anderen drei singend und mund- und uns mit heißem Wasser umgehend harmonizierend. Schnupfen hat mich be- bewirtet. Genüsslich schlürfen wir heißen fallen. Erneut fürchte ich um meine Berg- Hagebuttentee. Literweise. tüchtigkeit, als wir am Freitag, der 6. August 65 Sonntag 8. August mit 50 % Ermäßi- Das schlechte Wetter am Morgen erholt gung (800.- Lire) auf die Turinerhütte sich gegen Mittag, als wir von der Cou- hinaufgondeln. Ins strahlende Wetter verclehütte nach hinaus – und dringen von Westen her argwohnerre- absteigen. gende Zirren, die uns – unter Überein- Samstag, 7. August 65 stimmung Eckerts – vom sofortigen Gang Übersiedlung auf die Südseite des auf´s Fourchebiwak absehen lassen. In Montblanc. In Ekkerts Fiat 500 biegen wir der Zeit von 15 – 17 Uhr schlägt das Wet- unser Gepäck, zudem sich noch Udo hin- ter auch tatsächlich in Nebel um. Nachts zugesellt, nach dem dieser Lutz und mich hagelt es. an die Tunneleinfahrt chauffiert hat. Sein VW bleibt in Chamonix, denn die Tunnel- Arête de Rochfort maut berechnet sich nach Kubikzentime- 9. August 65 ter Hubraum. Auf Anhieb werden Lutz und ich von einem deutschen Ehepaar mitge- Ab 5 Uhr streben wir, bemüht unsre nommen, während Ekkert und Udo auf Schrittlänge den unregelmäßig vertrete- eigener Achse gegen Fr. 16.- in den 12 nen Spuren auszugleichen, der Dent km langen Tunnel einfahren. Herrschte Géant zu, wo sich – ihrer Sache wohl auf der Nordseite blendendes Wetter, so nicht mehr ganz sicher – graue Nebel speit uns das südliche Maul des Tunnels herumtreiben. Das Wetter will schön wer- in diesig verhangenes Gelände. Es mutet den. Der aus Nebelschwaden ragende einem an wie Alpenstau in umgekehrter Montblanc hinter uns und die am Rande Richtung. Im Val Veny weiß Ekkert einen weitläufiger Gletscherwellen stehende einsamen Zeltplatz in einem Lärchenhain Aiguille du Midi links drüben erröten be- zwischen zwei großen Wiesen, nur zwei reits kräftig. Um 7 Uhr treten wir am Früh- Steinwürfe von der Frênyalm entfernt. stücksplatz unter dem Dent de Géant die

Rochefortgrat: Links Dent Géant, rechts Grandes Jorasses

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Rochefortgratwanderung an. Bis 12.30 auskosten: Gegen Süden sackt der Blick überschreite ich mit Lutz die Aiguille über hohe Felswände hinab auf zer- (4001 m), den Dôme, (4015 m) und die schründete Gletscherzungen, an die un- Calotte de Rochefort. Auf dem eleganten mittelbar die smaragdgrünen Wiesen- Firn des letzteren machen wir Rast und gründe und Baumgruppen des Val Ferret kehrt. Gen Osten bricht der Grat rasch in anzuschließen scheinen, durch das sich den Col de Jorasses ab. Rassige Firn- silbern die Doire fädelt. Nördlich dringt der schneiden und überwächtete, gewellte Blick nicht ganz so tief, doch begegnet er Gratpartien wechseln brüchige Felsflan- anderen Formen und Farben. Aus schat- ken ab. Die Westflanke der Aiguille und tigem Gletscherkessel entwinden sich des Dôme de Rochefort bieten zwei bzw. dunkelgesträhnte Eisströme, über denen vier Seillängen kapitalen Bruch. Auf dem reich und fein getürmte Grate und Wäch- Rückweg biegen wir, d.h. Lutz und ich ten herumstehen. noch zum , der etwas abseits Dienstag, 10.8. Trotz schönem Wetter nördlich ragt, ab. Ekkert und Udo haben schlafen wir bis 10.00 Mit Absicht. Als wir diesen auf dem Hinweg schon überlistet, gestern Morgen zum Rochefortgrat gin- kehrten dafür auf dem Dôme de Roche- gen, war ich besorgt, der Peutereygrat fort schon um. Der Mont Mallet ist vom könnte uns durch die Lappen gehen, weil Rochefortgrat aus gesehen, ein ca. 75 m wir mit dem Rochefortgrat einen Tag ver- hoher Turm, der das Gletscherplateau lieren könnten. Heute habe ich die Sorge östlich der gen Nor- nicht mehr. Den Rochefortgrat schätze ich den säumt. Felsmäßig ist er der große nunmehr als vollwertige Bergtour, der zu Lichtblick der Grattour: Kompaktes, griffi- liebe man einen Tag „verlieren“ kann. ges, kurz Montblanc – Gestein. Seilfrei Inzwischen haben wir auch unser genießend klettere ich auf den Gipfel, der Argwohn dem Wetter gegenüber abge- nordwärts in schaurige Tiefen abbricht. legt. Wir haben gelernt, dass es jeden Lutz fühlt sich einer platteren Kletterstelle Mittag zu macht, als ob es nie wieder nicht gewachsen und bleibt dem Gipfel- schön werden sollte. Am nächsten Tag block fern. 16 Uhr. pflegt´s aber wieder schön zu sein. 19.00: Auf dem Gipfel des Dent Géant Bis 13 Uhr fressen und saufen wir oh- (4013). Ein Meer grauer Wolkenballen ne Unterbruch und gehen dann von 13. – wogt unter uns über dem Glacier du 17 Uhr aufs Fourchebiwak. Wie üblich um Géant. Hohe Wolken verbergen die hori- dies Tageszeit ist es dort dicht. Eigentlich zontnahe Sonne. Es ist schneidend kalt. haben wir vor, bis zum Fuß der Aiguille Eine Italiener – Partie mit stark hemmen- Blanche zu laufen und dort zu biwakieren. der Frau verzögert unseren Abstieg be- Ekkert überredet uns jedoch zur Bean- trächtlich, so dass wir erst um 22 Uhr auf spruchung der Biwakschachtel, weil ihm der Turinerhütte einlaufen. seine Schuhe schon zu nass sind. Unsere Sämtlich Gipfel, fünf an der Zahl, zwi- auch, aber erst ein Argument, morgen schen Col de Rochefort und dem Cole früh seien die Gletscher hart gefroren und des Grandes Jorasses sind uns heute in gestatten so ein schnelleres Vorrücken, die Hände gefallen. Überholt ist meine stimmt uns um. Hochkant, 14 Leute füllen Befürchtung von heute Morgen, für den die wenigen Lager aber warm dösen wir Peutereygrat einen Schönwettertag an bis Mitternacht. Dank weitblickender Vor- den zuvor gering geschätzten Roche- bereitungen sind wir in einer halben Stun- fortgrat zu verlieren. Ein verlorener Tag ist de fertig. das keiner! Man kann die landschaftliche Situation des Rochefortgrates nicht genug

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Nordwand der Aigullie Blanche nahe wieder zu verschwinden: Auf ihrem und Peutereygrat ersten horizontalen Schritt verstellt ihr das 11. August 1965 ferne Massiv des Grand Combin den Lichtweg. Schwarzen Kulissen gleich, Kurz nach Mitternacht löst sich einer staffeln sich die zahlreichen Südgarte der nach dem anderen von der Biwakschach- Grandes Jorasses; leuchtender Dunst tel und gleitet am Seil in die Tiefe. Zwei- zwischen ihnen löst ihre Konturen aus mal seilen wir ab und steigen dann über dämmriger Masse. den kaum aufgesperrten Schrund auf den Der große Eiswulst vor uns ist die Brenvagletscher hinab. In das Halbrund Schlüsselstelle. In manch anderem Jahr der Gletscherbucht wirft der Mond den mag er nur mit künstlicher Kletterei zu gigantischen Schatten des Grand Piller überlisten gewesen sein, doch heuer ge- d´Angle, der uns rasch entgegen wächst. bärdet er sich freundlich. Nach rechts Die Südflanke des Col Moore trägt hinauf ist eine Rampe ins lotrechte Ge- griffigen Firn. Einer Spur folgend gewin- mäuer gefurcht. Ohne ernsthafte Behelli- nen wir nach mehreren Seillängen Ab- gung sehen wir uns nach zwei Seillängen stieg die südlich viel tiefer gelegene Bai auf das flache Firndach des Wulstes ver- des Brenvagletschers. Mächtige Lawi- setzt. nenkegel türmen sich hier, wo die Eisstür- Gleichzeitig stapfe ich mit Lutz zum ze der Montblanc – Ostwand auszulaufen Schrund, mit dem sich das Flache vom pflegen. Um 3 Uhr stehen Lutz und ich merklich Steileren der Schlussflanke los- am Fuß der Flanke und takeln auf, um für reißt. Sichernd stehe ich bald in ihm und schwere Eisarbeit gefeit zu sein. Noch lehne mich über seine Unterlippe hinaus. fast in halber Höhe in der Südflanke des An einem reichen Ensemble von Eiszap- Col Moore glimmen zwei Lichter: Ekkert fen vorbei spähe ich in die morgendliche erkämpft mit Udo den Abstieg. Auf Runde. Beklemmen nah steht der Grand bolligem Lawinenschnee eilen wir in Fall- Pillier d´Angle. Geschlossene Granitfluch- linie der großen Seracmauer die noch ten fügen sich über- und nebeneinander flache Flanke hinauf. Einige steile Eis- zu einem riesigen Pfeiler von der Gestalt rampen kreuzen unseren Weg, doch eines Engelflügels. An seinem Fuß er- hemmen sie nicht unser Tempo. Oberhalb weckt die Sonne gerade zwei Gesellen dieser Zone von Schründen und Wülste aus schlaftrunkenem Biwak. Ob sie sich ziehen wir nach links hinauf. Dort ragt im zwecks einer niederen Begehung der Dämmerlicht die Flanke jenes Firsts, auf Bonattiführe durch den Pillier dort herum- dem sich die Firnschneide zur großen treiben? Auch im Col Peuterey, in den wir Seracmauer schwingt. Steiles Blankeis bereits von oben rein spicken können, drängt mich in den Fels, aus dem eine regt´s sich. Um 7 Uhr entfernen sich dort sekundäre Firnrippe zum herrlichen Grat vier Gestalten gegen die Westflanke des hinaufwächst. – Wie sehr hat mich seit Grand Pillier im warmen Rot. Der allerorts vorigem Jahr, als ich die Blanche zum beobachtete späte Aufbruch hat einen ersten Mal näher sah, diese elegante einleuchtenden Grund: Man lässt den Firnschneide bestrickt und zu ihrer Bege- Daunenzipfel nicht gerne los. hung verlockt. – In dem Maße, wie wir auf Den Schrund überqueren wir weiter ihm höher steigen, verflacht sich der Grat, rechts in der Wand, wo er sich allmählich um sich als breiter Rücken mit den Seracs schließt. Unweit des Felsen des Südgip- zu vereinen. fels gewinnen wir dann in günstigem Firn 5 Uhr. Überm Wallis trollt sich die den Gürtel wenig erhabener Eiswülste. In Sonne hervor, um aber gleich darauf bei- ihr Blankeis pflanze ich eine Sicherungs-

123 schraube, die ein genüssliches Gefühl sich schon der gipfelverknüpfende von Geborgenheit schenkt, sicherten wir Firngrat, den wir bald zwei Seillängen doch seit dem Schrund bloß am versenk- nördlich des Südgipfels betreten. Letzte- ten Eisbeil. Im Schatten des Gipfels steu- rer gilt als Gipfel der Aiguille Blanche, ern wir, einige Stufen kerbend, links an obwohl ihn der Mittelgipfel, ein brüchiger den Wülsten vorbei. Nah über mir spannt

Das Traumziel: Peuterey – Grat: links Aiguille Noire, Aiguille Blanche, der Grat, Montblanc

Gendarm, um ca. 10 m übertrifft. Nicht Innominatagrat und in der Fortsetzung der übertrifft ihn dieser an Adel. Eine beste- Blanche jenseits des Col de Peuterey, der chende Schneehaube thront auf dunklem Peutereygrat. Ihm streben wir zu. Er ist Fels. Weithin leuchtet dieser dreikantige die „Abstiegsroute“ von der Aiguille Blan- Firnhelm und fordert zur Besteigung auf. che mit einer Gegensteigung von 800 m. 9.15. Fast eine Stunde verweile ich 10 Uhr. Ekkert und Udo stoßen gera- mit Lutz an diesem langersehnten Fleck, de aus der Wand heraus an den First des Essen und Aussicht genießend. Diese Gipfelgrates vor, als Lutz und ich die geht auch zur Aiguille Noire hinab, wo sie Überschreitung zum Blanchegipfel antre- unseren Respekt vor den Nordabstürzen ten. Zusammen mit ihnen balancieren wir nährt. Weit und klein im Südwesten ste- auf zarter Firnschneide hinüber, dem Mit- hen die vertrauten Massive des Dauphi- telgipfel entgegen, wie das offenbar alle né. Doch alles verkümmert gegen den machen. Ich spüre trotzdem starke Lust nahen Montblanc dort oben. Ein Gebirge diesen brüchigen Turm zu erklimmen, für sich allein ist der Gipfelaufbau, in den doch die Zeitnot treibt mich vorbei. 2,5 von Süden drei lange Grate münden. Im Stunden verbringen wir bei dreimaligem Westen der Brouillard -, in der Mitte der Abseilen in den Col de Peuterey hinab.

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Hakenschlagend, die wenigen vorhande- sich herabschwingende Firnschneide ihr nen preisen ihre Stabilität nicht gerade an gratbildendes Amt reich getürmtem Fels und mein Sichern der anderen Drei, das zur Verfügung stellt. Durch´s bleierne Ne- raubt Stunden. Am Schrund wechseln wir belgrau schimmert jetzt öfters ein frosti- aus den Seilen in dicken Nebel, dessen ges Blau und bald haben wir die mählicher Einzug uns über die spannende Umschleierung ganz los. In den gefrore- Tätigkeit entging. Von 14 – 15 Uhr genie- nen Stapfen, die unsere Vorgänger heute ßen wir im Biwakloch unserer Vorgänger Morgen in den Firn traten, schreiten wir auf dem Col de Peuterey eine Rast. mühelos dem Gipfelaufschwung zu. Der Der Col de Peuterey war in jüngster Grat ist leicht gewellt und arglistig sind an Zeit Zielpunkt heftiger Erosiosangriffe. ihm ausladende Wächten angebracht. 1920 rutschte seine zuvor vergletscherte Erst hinterher durchschaut man meistens NO – Flanke samt mächtigem Eisschild die Qualität des unterhöhlten Weges. Sich auf den Brenvagletscher hinunter. Die aufsteilend, macht die Firnschneide ihre Passhöhe büßte dabei 40 m ein. Wo sich Flanken flacher, bis diese schließlich zu früher Leute wie Güßfeld und Pfau ohne einem Eishang auseinanderfließen. Eine Seilhilfe und namhaften Schwierigkeiten seichte Firnrippe in seiner Mitte überlebt in den Col hinunterbegaben, seilt man den Anschluss des spitzen Gratfirstes an heute über steile, schräg gespaltene die breitere Ostwand und wird von dieser Felsplatten ab. In den 30er Jahren stürzte mitgenommen bis hinauf unter den ein weiterer Fall zu Tale. Auf Fotos beo- Wächtenkragen des Montblanc de Cour- bachtet man völlig verschiedene Gesich- mayeur gleichwie als Vermächtnis des ter der Brenvaflanke des Col de Peuterey. Pillier d´Angle. Diesen vorgeprägten Weg, Der dichte Nebel ist hier eine ge- bzw. den darin befindlichen Stapfen, fol- bräuchliche Erscheinung. Wir stecken halt gen wir. Monoton reiht sich Seillänge an mitten drin in der Zone der mittäglichen Stand und Stand an Seillänge. Unser Schönwetterwolken, welche die kühlen Tempo und die erholsamen Standplätze Felsnischen des Massivs als Standort sind gut. vorziehen. Er verhindert die Sonne an der Am atmosphärischen Geschehen Aufheizung der SW – Flanke des Grand nehme ich aufmerksam teil. Die zurück- Pillier d´Angle. Das ist uns billig, denn gebliebenen Wolken sterben zusehends, Lawinen im dortigen schneeverbrämten zwischen ihrem Restgewebe hindurch, Fels würden uns dort behelligen. Diagonal taucht der Blick auf den Frêney Eisstrom durchklettern wir die kombiniert ausgestal- hinab, der sich zwischen rotbesonnten tete Flanke. Sulzige Schneearme umfas- Felswänden wie in einen Canyon zwängt. sen kompakte Plattenschüsse oder zer- Die Anzeichen der Dämmerung mehren gliedern weiter oben brüchig geschichte- sich. Die Dunstschicht am östlichen Hori- ten Fels. Einmal verdächtigt man Firn und zont stülpt eine kleine, dreieckige Aus- Eis, griffiges Gestein zu verbergen, das beulung in das darunter gewölbte Violett. andere Mal verdankt man ihm bequemes Der Schatten des Montblanc! Die horizon- Stapfen. Einige Stellen verbieten seilfrei- tale Sonne wirft ihn weit in die Poebene es Gehen, wie es z.B. von Buhl und Mar- hinaus. Eine Seillänge später rundet sich tin Schließler 1949 bei der ersten Bege- neben dieser Stelle der volle Mond in hung der heutigen Tour geübt wurde. Bei warmen Gold. Ebenso fern wie der Mond aperem Fels kann man wohl in genussrei- ist uns auch die Wärme. Fröre man nicht cher Kletterei hocheilen. Um 17.30 setzen so, genösse man das Schauspiel unein- wir Fuß auf den waagrechten Gratfirst des geschränkter! Man muss eben einen Grand Pillier d´Angle, genau dort, wo die

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Großteil seiner Aufmerksamkeit für Ze- das Lichtermeer von Chamonix zu würdi- hengymnastik abzweigen. gen, den stürmischen Montblancgipfel. An den Standplätzen ist das Blankeis Auf der ausgetretenen Steigeisenpiste zum Einbringen von Schrauben von sei- eilen wir in einer halben Stunde auf die ner Firnschicht entblößt, im „Handumdre- Vallothütte hinab. Durch das mir neue und hen“ ist eine Schraube drin. Während der von mir verfluchte Einlaßsystem dringen letzten zwei Seillängen berühren wir Fels, wir ins geschützte Innere. dann prophezeit auch die pessimistischs- Das Erlebte zu verarbeiten und zu te Schätzung nicht mehr als eine Länge fassen ist jetzt noch kein Raum. Nach 22 zum Wächtensaum. Im Rampenlicht des Stunden Bewegung drängen weniger er- Vollmondes schwinge ich mich um 21 Uhr habene aber nicht weniger wichtige Be- freudejohlend auf den Montblanc de dürfnisse nach ihrer Erfüllung. Erst an- Courmayeur. derntags (12.8.) beim sonnigen Abstieg Ein paar Felszapfen verstellen den auf Plan des Aiguilles hinab erglimmt das Weg hinüber zur fahlen Schneekalotte Bewusstsein, einen lang gehegten des Montblanc. Nach ihrer leichten Über- Wunsch verwirklicht zu haben und die schreitung plädiert Ekkert und Udo für ein Sicherheit setzt sich durch, dass dies al- Biwak. Immer höher steigt uns die Ge- les nicht nur ein Traum war. fühlslosigkeit in den Füßen. Besonders Mittags trampe ich mit Ekkert durch Ekkert und Lutz sind davon betroffen. den Montblanctunnel zu seinem Fiat. In Aber gerade bei Lutz findet ein Gratbiwak ihm bringen wir unser Zelt nach Les Praz keinen Beifall auch, wenn Udo ihm mit zurück. dem Erlebnis eines Sonnenaufganges 13.8.: Genieße den Tag auf unserem winkt. Gerade dieses Argument von Udo herrlichen Zeltplatz. Wiederholtes Bad im entfacht Lutzens Temperament und seine nahen Bach. Abends: Wettersturz. Hartnäckigkeit bewegt uns schließlich 14.8.: 7.00 bis 14.00 heim bei Regen. dazu, ohne Aufenthalt, die Vallothütte anzustreben. Um 22 Uhr überqueren wir, ohne unsere Schritte zu bremsen oder

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Nachtrag

Wie das so üblich ist, wenn man am 7.8. Mit Auto bis zum steilen Stück im Daten sammeln und am zusammenfassen Murgtal. Aufstieg zur Fischerhütte am ist: Wenn man meint fertig zu sein, dann Murgsee über das Arvenschutzgebiet. findet man noch irgendwo weitere Quel- Sepp bleibt am Murgsee. Mutti, Vati und len. So auch hier: Zwischen den Seiten ich direkter Aufstieg über die Matten zum der Tagebücher fand ich noch 2 Blätter Erschenzapfen. Herrliche Aussicht auf die aus einem älteren und viel kleinerem Ta- steilen Wände des Mürtschenstocks. gebuch. Dabei handelt es sich um Ur- Bauchlings auf dem Grat liegend, die laubsreisen mit unserem ersten Familien- Almwelt bestaunend. Abstieg zum Auto. auto in die Alpen, an die norditalienischen 9.8. Mit dem Auto ins Klöntal (nördlich Seen und ans Meer: des Glärnisch) bis zur Kantonsgrenze Schwyz – Glarus. Aufstieg nach Silbern 6.8.58 Darmstädterhütte – Kuchen- über romantische Almen. Rast in der joch. Wegen Nebel Scheibler nicht ge- Schafalp. Abstieg über die Gampelalpen. macht. Im Regen zur Konstanzerhütte. 10.8. Zeltplatz in Wesen verlassen. 7.8.58 Regen Faht über Näfels (bei der Landung von 8.8.58 Abstieg. Mit dem Schiff über Düsenflugzeugen zugeschaut) – Sargans den Bodensee (Bregenz – Konstanz). – Ragaz in den Prätigau – St. Wolfgang – Tuttlingen- Donaueschingen – Freiburg. Davos – Flüelapass – Susch – Zernez 20.8.58 Morgens zu viert, Mutti, Vati, Zeltplatz. Sepp und ich über Basel – Zürich – Chur 11.8. Wanderung zum Zollhaus. La – Julierpass – Silvaplanasee – Drossa – Alp la Schera – Munt la Schera Malojapass –Chiavenna – Dervio (Edelweißwiesen, Murmeltiere) – 21.8.58 Schlechtes Wetter Buffalora. Vati holt per Anhalter das Auto. 22.8.58 Über Lecco – Bergamo – 12.8 Fahrt wegen Regen das Engadin Piazenso – Via Emilia bis kurz vor hinauf über Samedan – Pontresina – Blick Parmacicapass – Marina di Massa auf Morteratschgletscher – Berninapass 5.9.58 Denselben Weg wie gekom- (Diavolezzaseilbahn) – Poschiavo – men, nur über den Splügenpass anstatt Tirano – Fresental – Edolo (im Ogliotal) – Julier – Maljoapass eimgefahren. Stat das Ogliotal hinunter (viel Fabriken, über Basel, über Schaffhausen mords Gestank und Qualm) – Iseosee. Zeltplatz Olivella in Pilzone. 5.8.59 Morgens um 11 Uhr zu viert 13.8. – 15.8. Am See Bootfahren und nach Basel – Rheinfelden – Winterthur – Baden. Rapperswil –Wesen (Walensee) 16.8. Heimfahrt um 9 Uhr über: Bres- 6.8. mit Auto nach Amden cia – Salo – Riva –Trient – Bozen – Me- (Arvenbuel), Besteigung des Leist- ran – Spondinig – Schluderns – Reschen- chamms (Hintere) pass – Nauders – Hochfenstermünster – Landeck – Arlberg – Feldkirch ......

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Bitte Anregungen, weitere Unterlagen und Fotos, eigene Erfahrungsberichte und Fragen bzw. Korrekturen an: Sepp Zimmermann Graf Dürckheim Weg 24 79682 Todtmoos 07674 8257 [email protected]

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